Tee bereiten und genießen - Rainer Frädrich

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Tee bereiten und genießen - Rainer Frädrich
Tee bereiten und genießen
       Rainer Frädrich
Tee bereiten und genießen - Rainer Frädrich
Eigentlich hatte ich mich schon damit abgefunden, dass meine Besucher
                          die Einladung zu einer Tasse Tee mit einem suchenden Blick nach dem
                          nächsten Kaffeeautomaten quittierten. Teefreunde schienen eben hierzu-
                          lande selten zu sein. Doch dann hörte ich, dass selbst in England, der letz-
                          ten europäischen Bastion ungetrübter Tee-Kultur, der Kaffeekonsum dem
                          Tee endgültig den Rang abgelaufen habe.

                          So etwas kann natürlich nicht einfach hingenommen werden. Ich trete
                          deshalb an, dem Teegenuss eine Lanze zu brechen. Also bitte: Kaffeetasse
                          mal eben kurz zur Seite stellen. Ich mache es auch kurz.

Die Tee-Theorie
Die Teekultur existiert seit fast 5000 Jahren; ein chinesischer Kaiser namens Shen Nung (2737
bis 2697 v. Chr.) soll die guten Eigenschaften des Tees entdeckt haben. Sie hat sich natürlich
im Laufe der Jahrtausende gewandelt, aber eines ist ihr bis heute zu eigen: Tee kann nur dann
wirklich genossen werden, wenn er in einer Atmosphäre der Harmonie und Ruhe getrunken
wird. Tee ist kein Ex- und Hopp-Getränk. Der Geschmack einer Tasse Tee, der feine Duft, der der
Kanne entströmt; all das ist viel zu flüchtig, um im Vorübergehen wahrgenommen zu werden.
Hierin liegt vielleicht ein Grund dafür, dass viele Menschen nicht mehr viel mit Tee anfangen
können: seine Wirkung ist sehr subtil und erschließt sich nur, wenn man die Muse hat, sie in sich
zu erspüren.
    Zur Verdeutlichung der Poesie, die untrennbar mit Tee verbunden zu sein scheint, möchte
ich zwei chinesische Quellen zitieren. Zunächst die Zeiten fürs Teetrinken (das Original ist recht
poetisch und ist aus 24 viersilbigen Zeilen aufgebaut):
     Augenblicke der Muse
     Gelangweilt von Poesie
     Voller wirrer Gedanken
     Wenn man zu Liedern den Takt schlägt
     Wenn keine Musik ertönt
     Leben in der Abgeschiedenheit
     Bei geistreichem Zeitvertreib
     Bei nächtlichem Gespräch
     Beim Studium an sonnigen Tagen
     Im Brautgemach
     Beim Unterhalten befreundeter Gäste
     Als Gastgeber von Gelehrten und schönen Damen
     Beim Besuch von Freunden, die von weither heimgekehrt
     Bei schönem Wetter
     Bei verhangenem Himmel
     Beim Beobachten vorbeigleitender Boote
     Beim Lagern unter Bäumen und Bambus
     Wenn die Blumen Knospen treiben und die Vögel zwitschern
     An heissen Tagen an einem Lotosteich
     Beim Verbrennen von Weihrauch im Innenhof

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Tee bereiten und genießen - Rainer Frädrich
Wenn die trunkenen Gäste gegangen sind
     Beim Besuch einsam gelegener Tempel
     Beim Anblick von Quellen und malerischen Felsen

   Mit anderen Worten, Teegenuss und Ästhetik gehen Hand in Hand. Und noch etwas wird
deutlich: Tee ist nicht nur Selbstzweck und dient nicht nur dazu, den Durst zu löschen, sondern
kann auch bestehende Situationen vertiefen helfen.
   Der zweite chinesische Text – es handelt sich um die vierte Strophe der Ballade vom Tee –
beschreibt die Wirkung des Tees:

     Die erste Schale netzt geschmeidig Lippen und Kehle,
     Die zweite vertreibt meine Einsamkeit,
     Die dritte verbannt trübe Gedanken
     Und schärft das Verständnis für alles, was ich gelesen.
     Die vierte beschwingt meinen Atem und lässt
     Die Sorgen des Lebens durch die Poren entweichen.
     Die fünfte Schale reinigt jedes Atom meines Seins.
     Die sechste lässt mich Nähe zu den Unsterblichen fühlen.
     Die siebte ist das äußerste, was ich trinken kann,
     Eine leichte Brise entströmt den Achselhöhlen.

                          Das größte Problem scheint für die meisten Menschen, die Tee zum
                          ersten Mal probieren, die Zubereitung darzustellen. Schon viele Leu-
                          te haben dem Teegenuss den Rücken gekehrt, weil sie von seinem
                          Geschmack – bedingt durch falsche Zubereitung – enttäuscht wa-
                          ren.
                              Da ist zunächst die Teesorte. Mal abgesehen von ihrem Her-
                          kunftsort (Darjeeling, Assam, Ceylon [Sri Lanka], China, Japan usw.)
                          und der Erntezeit (First Flush = Erste Pflückung im Frühjahr, Se-
cond Flush = Zweite Pflückung im Herbst) unterscheiden sich die diversen Teesorten in der
Verarbeitung:

   • Kleines Blatt (oft mit Super-Qualität, aber leider nicht immer)
   • Gebrochenes Blatt (broken, von ausgezeichnet bis schlecht)

   • Großes Blatt (kann gut sein, aber kaum jemals ausgezeichnet)
   • Fannings (zusammengekehrter Dreck)
   • Staub (dust, das was übrig ist, wenn man den Dreck schon zusammengekehrt hat)

    Die beiden letzten Formen werden oft in Teebeuteln verwendet. Selbst dran schuld, wer sowas
trinkt. Je nachdem, ob bzw. wie lange ein Tee fermentiert wird, unterscheidet man:

   • Grüner Tee (nicht fermentiert)
   • Bohea Tee (leicht fermentiert)
   • Oolong Tee (zu 60% fermentiert)

   • Schwarzer Tee (voll fermentiert)

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Die geschmacklich edelsten Tees sind zweifellos die grünen Tees. Doch ist eine gewisse Er-
fahrung nötig, um diese Tees schätzen zu lernen; etwa so, wie man auch die herbe Delikatesse
verschiedener Biersorten nicht auf Anhieb richtig einschätzen kann.
    Es gibt einige wenige seltene und sehr teure Sorten, die man weißer Tee nennt. Es handelt
sich hierbei um Grüntee allerfeinster Güte. Wer ein bisschen Tee-Erfahrung hat und an solchen
Tee herankommt, sollte sich – wenigstens ausnahmsweise – mal nicht vom horrenden Preis ab-
schrecken lassen und 50 Gramm davon erstehen. Dieser Tee ist es wirklich wert.
    Bohea und Oolong schmecken durch die Fermentierung zwangsläufig anders (aber nicht bes-
ser oder schlechter) als grüne Tees, sind aber im allgemeinen auch von hoher Güte.
    Der weit verbreitete schwarze Tee kann an das geschmackliche Niveau von leicht fermentier-
ten Tees herankommen, ohne dieses jedoch zu erreichen. Bedingt durch den Massenmarkt für
schwarzen Tee kann man hier hervorragende Qualitäten erhalten, aber auch Sorten, die selbst
als Beuteltee nur für eine Sorte Beutel geeignet sind: für den Müllbeutel.
    Tatsache ist und bleibt, dass Hochqualitäts-Tees (am besten aus ökologischem Anbau und
mit TransFair- oder gleichwertigem Siegel) recht teuer sind. Man sollte sich diesen Luxus aller-
dings gönnen, wenn man Tee schätzen lernen möchte, denn der geschmackliche Unterschied,
der sich dem Geniesser erschließt, ist den Preisunterschied allemal wert. Sagen wir bis zu 7 C für
100 Gramm Spitzentee müsste man in Ausnahmefällen schon mal auszugeben bereit sein.

Die Tee Praxis
Das Hauptproblem ist die Zubereitung. Viele Leute sind durch falsche Zubereitung vom Tee ent-
täuscht worden. So trivial es klingt: die wichtigste Regel lautet Harmonie. Nun muss man nicht
erst einen Meditations-Lehrgang beim Guru um die Ecke belegen, um Tee zubereiten zu können,
aber ein wenig sollte man sich schon zusammenreißen, bevor man sich an ihm vergreift (am Tee,
nicht am Guru).
    Tee muss man in Ruhe zubereiten; wer hetzt, macht Fehler, und die wirken sich beim Tee
sofort aus. Tee ist kein Instant-Getränk; er wird im wahrsten Sinne des Wortes zu einer bitteren
Erfahrung, wenn man ihn ärgert. Deshalb ist ein gewisser Aufwand im Umgang mit diesem Stoff
erforderlich. Die nachfolgende Beschreibung ist allerdings kein Muss. Jede/r kann (und sollte)
die Schritte nach eigenem Gutdünken variieren, wenn es dem persönlichen Geschmack zugute
kommt.
    Ganz wichtig ist das Wasser: es sollte ziemlich weich sein. Ist es das nicht, kann man den
Tee vergessen. Aber auch hier gilt: ausprobieren, beispielsweise eine Zubereitung mit Leitungs-
wasser und dann eine mit stillem Mineralwasser. Wenn der Tee mit dem Mineralwasser sehr viel
besser schmeckt als derjenige mit Leitungswasser, dann muss man eben abwägen, ob einem der
geschmackliche Zugewinn das zusätzliche Geld und der zusätzliche Aufwand für das Mineral-
wasser wert ist.
                             Für den Tee sollten zwei Kannen bereit stehen: eine zum Aufgießen,
                             eine zum Servieren. In die erste Kanne geben wir den Tee, für den
                             Anfang (sozusagen zum Einschmecken) so ca. vier bis acht Gramm
                             für einen halben Liter Wasser. Wieviele Teelöffel sind acht Gramm?
                             Schwer zu sagen, da gebrochener Tee natürlich mehr Gewicht auf
                             den Löffel bringt als ein Tee mit ganzen, großen Blättern. Als An-
                             haltspunkt würde ich sagen: 8 Gramm gebrochener Tee entsprechen
                             zwei bis drei schwach gehäuften Teelöffeln, 8 Gramm Blatt-Tee ent-
sprechen drei bis vier gut gehäuften Teelöffeln. Ich selbst verwende eine Waage – so eine schön
antiquierte mit zwei Waagschalen, eine Waagschale für die Gewichte, die andere für den Tee.

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Wenn das Wasser sprudelnd kocht, lassen wir es zunächst etwas abkühlen (z.B. eine halbe
oder eine Minute lang). Dann schütten wir es in die Kanne mit dem Tee und lassen das Ganze
rund drei Minuten ziehen (wieder nur für den Anfang, auch hier kann nach Herzenslust experi-
mentiert werden). Nach Ablauf der Ziehzeit gießen wir den Tee über ein Sieb oder ein Papierfilter
in die zweite Kanne.
    Wasser für grünen Tee lassen wir länger abkühlen, so ca. 2 bis 3 Minuten. Grüntee guter Qua-
lität kann man lange ziehen lassen, er kann sogar nach der Ziehzeit in der Kanne bleiben, muss
aber nicht unbedingt. Austesten! Für den Einstieg würde ich drei bis fünf Minuten Ziehzeit vor-
schlagen. Nebenbei: Grüntee ist so ergiebig, dass er sogar mehrere Aufgüsse verträgt. Probieren
Sie es ruhig einmal aus.
    Eine alternative Aufguss-Methode besteht darin, in die Kanne, in der sich die Teeblätter befin-
den, nur einen Teil des kochenden Wassers zu giessen – gerade etwa so viel, dass die Teeblätter
bedeckt sind – und den Rest des Wassers erst dann hinzuzufügen, wenn die Ziehzeit zuende ist.
Diese Vorgehensweise empfiehlt sich insbesondere bei kräftigen Tees, wenn man deren herben
Geschmack etwas dämpfen möchte.
    Tee sollte aus stilistischen Gründen aus henkellosen Tassen getrunken werden. Das hat den
Nebeneffekt, dass man den ersten Schluck erst dann zu sich nimmt, wenn man sich nicht mehr
die Finger an der Tasse verbrennt. Der Tee ist dann auch soweit abgekühlt, dass sein Geschmack
voll zur Geltung kommt.
    Es tut dem Geschmack allerdings auch keinen Abbruch, wenn man eine Kaffeetasse verwen-
det. Übrigens, die Kaffeetassen, wie man sie heute überall benutzt, haben in der Regel ein Füll-
vermögen von etwa einem viertel Liter, das entspricht zwei Teetassen.
    Apropos Geschmack: Das ist Gewöhnungssache, genau wie bei Wein, Mode oder küssen. Also
auch hierbei nichts überstürzen. Und: manche Tees schmecken zunächst etwas bitter, hinterlas-
sen aber seltsamerweise einen angenehm süßen, duftigen Nachgeschmack. Andere schmecken
verschieden, je nachdem, ob man sie sehr heiss oder schon etwas abgekühlt trinkt. Und manche
schmecken gar nicht. Aber dagegen kann man was machen, nämlich eine andere Sorte auspro-
bieren.
    Bis jetzt ist in diesem Beitrag noch nirgends der Begriff aromatisierter Tee aufgetaucht, also
Tee mit Frucht-, Gewürz- oder was weiß ich für einem Geschmack. Nun, Aromatisierung ist nicht
meine Sache. Warum sollte ich den Eigengeschmack des Tees mit einem fremden Aroma zu-
kleistern? Und »Tee«-Sorten wie (echte) Früchte- oder Kräuter-Tees haben in diesem Text nichts
verloren (obwohl sie sehr gut schmecken), da sie im strengen Sinne gar keine Tees (d.h. aus der
Teepflanze gewonnen) sind.

   Tee ist kein Getränk, Tee ist eine Lebensanschauung. Zumindest, wenn man sonst keine hat.

                (Die Zitate stammen aus John Blofeld: Das Tao des Teetrinkens)

            © 1991–2012 Rainer Frädrich (mail@raifra.de, www.raifra.de) Rev. 7.1 LATEX2e

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