Erfahrungsbericht Erasmus-Aufenthalt an der KU Leuven / Belgien Wintersemester 2011/12

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Erfahrungsbericht
                     Erasmus-Aufenthalt an der KU Leuven / Belgien
                                   Wintersemester 2011/12

Allgemeines zu Belgien / Leuven:

Leuven liegt östlich von Brüssel und hat ca. 90.000 Einwohner. Davon sind rund 40.000 Studenten.
Die Universität hat einen sehr guten Ruf und auch Belgien ist ein sehr interessantes Land
(insbesondere hinsichtlich der Sprache, der Kultur und natürlich wegen des politischen Konflikts
zwischen dem Norden und dem Süden Belgiens). Zwar wird in Leuven Niederländisch gesprochen,
es liegt in Flandern, aber Brüssel und auch der restliche französischsprachige Teil (Wallonien) sind
nicht weit entfernt, sodass man, wenn man nicht schon Niederländisch spricht, eine neue Sprache
lernen und seine vielleicht schon vorhandenen französischen Sprachkenntnisse verbessern kann.
Außerdem kann wirklich jeder Englisch (sogar viele alte Leute), sodass man sich im Grunde immer
gut verständigen kann!

Die Stadt Leuven:

Leuven ist eine typische Studentenstadt, die – trotz deutlich höherer Lebenskosten als in
Deutschland– für Studenten eine hohe Lebensqualität bietet. Jede Fakultät verfügt über eine eigene
Bar – sog. „Fakbar“ – in der Leuvener Innenstadt. Hier kann zu Spottpreisen Alkohol konsumiert
und gefeiert werden. Das ist auch die Hauptbeschäftigung fast aller Studenten an der KUL –
allerdings nur von Sonntag bis Donnerstag – denn am Freitag setzt „der Exodus“ ein. „Der Exodus“
bezeichnet ein spezielles belgisches Phänomen, nämlich dass das Wochenende am Heimatort in der
elterlichen Wohnung verbracht wird. Das führt dazu, dass Leuven sich am Freitag abrupt leert,
während gegen Sonntagabend sich tausende Rollkoffer durch die Stadt schlängeln. Es ist wahrlich
keine Übertreibung, JEDER belgische Student verbringt die Hälfte der Woche zu Hause!
Ich möchte hier jeden ans Herz legen, sich ganz genau zu überlegen, was es heißt in einer von
Studenten ausgestorbenen Stadt zu leben - und das von Donnerstag / Freitag an bis Sonntagabend
(in meiner WG kamen die ersten Mitbewohner Sonntags gegen 22h abends an). Kein
ungewöhnliches Phänomen ist außerdem, dass sich Bars, Cafés und Restaurants am Wochenende
bzw. in der vorlesungsfreien Zeit dieser Eigenart annehmen und komplett schließen! Man ist in
jenen Tagen (immerhin fast die Hälfte der Woche) auf den Kontakt zu anderen Erasmusstudenten
angewiesen, damit die Wochenenden nicht in völliger Vereinsamung enden. Aus diesem Grund
empfehle ich auch jedem (so bitter es klingen mag) nicht in einer reinen Belgier-WG zu wohnen.
Ich selbst habe diese Erfahrung machen müssen und es wirklich nicht besonders schön, an jedem
Wochenende, an jedem Feiertag unter der Woche und insbesondere in den Wochen vor den
Prüfungen alleine in einer großen Wohnung zu sein. Sucht euch lieber eine Erasmus-WG oder eine
gemischte WG, in der die Fluktuation der belgischen Studenten nicht so sehr ins Gewicht fällt.

Studieren an der KuLeuven:

Allgemein werden die Kurse an der Universität Leuven auf Niederländisch und auf Englisch
angeboten. Die Auswahl ist sehr groß und man hat am Anfang des Semesters genügend Zeit, sich
diverse Veranstaltungen anzuschauen, bevor man sich nach ca. vier Wochen endgültig entscheiden
muss. Die Kurse sind unterteilt in graduate und undergraduate. Bei der Wahl muss man genau
aufpassen, wie man in Leuven eingestuft wird, graduate Kurse dürfen nämlich nur mit
abgeschlossenem Bachelor bzw. 4 Jahren Studium besucht werden. Möchte man fachfremde Kurse
hören ist das in der Regel kein Problem, man muss lediglich den zuständigen Professor
verständigen. Hierbei ist das absolute Engagement der Professoren und Dozenten positiv zu
bemerken, wo es nur ging wurde einem geholfen.

Als Erasmusstudent darf man einen Niederländischkurs vom ILT (Sprachzentrum) umsonst hören.
Den Kurs sollte man auf jeden Fall besuchen, es lohnt sich sehr. Zum einen bekommt man
interessante Einblicke in Landeskultur und -Sprache, zum Anderen ist es eine schöne Möglichkeit
Ersamusstudenten anderer Fakultäten kennenzulernen. Der Sprachkurs ist allerdings sehr
zeitintensiv (der Basiskurs für Anfänger, den ich belegt hatte, umfasste 5 Zeitstunden (!) die Woche.
Am Besten versucht ihr euch diesen Kurs in der Heimatuniversität anrechnen zu lassen, immerhin
hat man am Ende auch 2 Prüfungen (eine schriftliche Klausur und eine mündliche Prüfung).

Die Atmosphäre an der Universität ist viel offener als in Deutschland. Die Professoren sind über
Email fast immer zu erreichen, und Büros sind auch außerhalb der Öffnungszeiten meistens besetzt.
Auch das Verhältnis zwischen Studenten und Professoren ist ganz anders und viel persönlicher, da
die Kurse sehr viel kleiner sind, als man es z.B. von deutschen Grundstudiumsveranstaltungen
kennt. Mitarbeit wird gerne gesehen, ist in vielen Kursen sogar Bestandteil der Abschlussnote. Die
Professoren sind unheimlich bemüht was das Lehrprogramm betrifft, immer top vorbereitet und
absolut engagiert! Allerdings erwarten sie das Gleiche auch von den Studenten, das Niveau ist
demnach um einiges anspruchsvoller als ich es aus Jena kenne. Die Mehrzahl der Studenten ist sehr
fleißig und gut auf die Seminare vorbereitet und auch Hausarbeiten oder Essays werden von den
Lehrkräften kritischer betrachtet / benotet als in Deutschland.

Fachbereich Wirtschaftswissenschaften:

Ich habe an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften studiert, daher kann ich selbstverständlich
nur über die Kurse und das Programm dieses Fachbereichs sprechen. Das Studium ist recht
anspruchsvoll, aber machbar. Man sollte sich rechtzeitig über Kurse informieren, das Angebot ist
aber reichlich, da sehr viele Kurse auf englisch angeboten werden. Die Koordinatorin Lieve Smets
ist absolut hilfsbereit und sehr nett. Eine Antwort innerhalb von 24h sowie individuelle Hilfe sind
fast schon zur Selbstverständlichkeit geworden. Ich selbst habe 3 Wirtschaftskurse (à 6 ETCS) +
den Sprachkurs belegt und habe insbesondere in der Prüfungszeit nicht bereut „nur so wenig“
gewählt zu haben. Viele Kursleiter verlangen weitaus mehr als einfach nur eine Klausur oder eine
Hausarbeit am Ende des Semesters, wie ich es aus Deutschland kenne. Unzählige Gruppentreffen,
Teamarbeiten, kleinere Essays, Projektaufgaben etc. runden das Semester und den Lernstoff ab. Auf
der einen Seite eine tolle Möglichkeit mit anderen in Kontakt zu kommen und das theoretische
Wissen im praktischen Rahmen auch anzuwenden, auf der anderen Seite eben viel viel viel
Zeitaufwand, was man am Anfang der Kurswahl bedenken sollte.

Wohnen in Leuven:

Am Anfang des Semesters gibt es die Orientation Days. Die sollte man auf gar keinen Fall
verpassen, da es nicht nur Infoveranstaltungen, eine Stadtführung und eine Infomesse gibt, sondern
man auch schnell die ersten Leute kennen lernt. Hinzu kommen von den Fachschaften organisierte
Parties und es empfiehlt sich, für die ersten Tage ein wenig Durchhaltevermögen mitzubringen ;-)

Anders als in Deutschland ist dort die Form der WG – genannt Kots – weiter verbreitet. In der
Regel teilen sich 5-12 Studenten Küche und Toilette/n. Die Preise liegen zwischen 230 € und 320 €,
also ein wenig höher als bei uns. Legt man Wert auf ein eigenes Appartement (Studio) muss man
mit bis zu 600 € rechnen. Hinzu kommt, dass die Häuser lange nicht so gut in Schuss sind, wie der
deutsche Mietstandard es erfordern würde. Allerdings entschädigt die Nähe zu allen relevanten
Einrichtungen (Uni, Bib, Oude Markt) aus eigentlich jeder Richtung innerhalb des Stadtrings und
das Zusammenwohnen mit anderen ausländischen oder belgischen Studenten für vieles!
Alle Kots sind über die Uni ans Internet angeschlossen, das so genannte KOTNET (Nutzung im
Mietpreis inbegriffen (Breitband, allerdings monatlich beschränkter Download)). Bei der
Wohnungssuche hilft in erster Linie die Uni. Im dafür zuständigen Büro (siehe Infobroschüre)
liegen Listen mit gemeldeten freien Zimmern aus. Diese sind zumeist von belgischen Studenten, die
sich selber in der Zeit im Ausland befinden und haben den Vorteil, dass man so natürlich von
Anfang an viel Kontakt zu Belgiern hat. (Bitte aber das bereits beschriebene Problem der
„Massenabwanderung“ JEDES Wochenende beachten!!) Die Zimmer sind fast alle möbliert.
Gegenüber dem Eingang des Verwaltungsgebäudes in der Naamsestraat befindet sich das Büro von
Globiss, ein privater Anbieter von Zimmern in Studentenhäusern. Diese sind allerdings relativ teuer,
aber sehr einfach zu organisieren.
Es ist ganz sinnvoll, möglichst sehr früh nach einer Wohnung zu suchen. Von Deutschland aus ist
Leuven ganz gut zu erreichen, von daher lohnt es sich, schon im Juli/August ein paar Tage zu
investieren bevor im September der große Ansturm kommt.

Reisen innerhalb Belgiens:

Für Studenten unter 26 ist Bahnfahren sehr günstig innerhalb Belgiens mit der Bahn zu reisen. Es
gibt den so genannten Go-Pass, der für 50 € 10 Fahrten beinhaltet, wobei es egal ist, wohin ihr wollt
und wann ihr die reise antretet. Gerade für längere Strecken z.B. nach Oostende ans Meer (ca.200
km) oder nach Antwerpen (ca. 100 km) lohnt sich das total. Brüssel ist ca. 25 Minuten mit dem IC
entfernt, da sollte man auf Wochenendangebote achten, die unter Umständen noch ein wenig
billiger sind. Homepage der belgischen Bahn (auch auf Deutsch): www.b-rail.be
Von Frankfurt fährt ein deutscher ICE nach Liège/Luik; von dort ist es nur noch eine halbe Stunde
mit der belgischen Eisenbahn.

Einkaufen in Belgien:

Generell ist das Preisniveau in Belgien höher als bei uns. Insbesondere für Lebensmittel muss man
mit viel höheren Ausgaben rechnen als in Deutschland. In Leuven gibt es aber einen Lidl und zwei
Aldi, die vom Sortiment und von den Preisen wie unsere hier sind. Grosse Ketten wie GB und
Delhaize sind ebenfalls teilweise recht günstig.

Fortbewegen in Leuven:

Leuven ist zwar nicht groß, ein Fahrrad ist aber trotzdem sehr angenehm. Dafür gibt es Velo, ein
Fahrradverleih, der für 32 € (für 12 Monate + 50 € Kaution) teilweise klapprige aber meistens
fahrtüchtige Räder mit einem stabilen Schloss vermietet. Das ist auf jeden Fall zu empfehlen, wer
sein eigenes Rad mitnimmt sollte auf ein gutes Schloss achten, da viel geklaut wird! Ein Busticket
gibt es von der Uni, damit kann man im Stadtgebiet unbegrenzt Bus fahren.

Fazit:

Ich weiß, dass die meisten Erfahrungsberichte über Leuven mit einem absolut positiven Rückblick
auf das Erasmusjahr enden und mitunter musste ich mich schon fragen, ob dies einfach
idealisierende Gedanken an die tolle Zeit zurück waren oder was wirklich dran ist. Ich persönlich
kann mit absoluter Sicherheit sagen, dass ich Erasmus wieder in Belgien machen würde, weil es
einfach ein wunderbares und sehr spannendes Land ist, über das wir Deutsche im Allgemeinen sehr
wenig wissen. In Leuven kann ich mir einen Erasmus-Aufenthalt aber nicht nochmal vorstellen und
jedem für den Party non-stop mit anderen Erasmus-Studenten nicht das Non-Plus-Ultra darstellen,
kann ich es auch nicht empfehlen. Die Abwanderung der belgischen Studenten ist so extrem spürbar
in einer kleinen Studentenstadt wie Leuven und es ist leider auch so schade, dass sich viele
gastronomische Einrichtungen etc. darauf einrichten und ebenfalls schließen. Das macht die Stadt
ohne Untertreibung an den Wochenenden schnell zu einer Geisterstadt. Eine Stadt wie Antwerpen
oder Brüssel, in der sich die unterschiedlichen Bevölkerungsschichten stärker mischen, ist
diesbezüglich weitaus empfehlenswerter!
Nichts desto trotz möchte ich nochmal auf das unglaublich gute Lehrangebot, die top-organisierte
Universität und die wahnsinnig hilfsbereiten und engagierten Lehrkräfte hinweisen. Der
international weit verbreitete gute Ruf der Universität der KuLeuven ist absolut gerechtfertigt!

Für Fragen stehe ich jedem gerne zur Verfügung:

lisa.wedekind@web.de
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