Teil 2: Therapie der Urtikaria - deutschsprachige Version der internationalen S3-Leitlinie* - dgaki

 
WEITER LESEN
LEITLINIE
                                 Guideline

Teil 2: Therapie der Urtikaria –
­deutschsprachige Version der
 ­internationalen S3-Leitlinie*
Torsten Zuberbier 1 , Werner Aberer 2 , Knut Brockow 3 , Jürgen Grabbe 4 , Eckard Hamelmann 5, Karin
Hartmann 6 , Thilo Jakob 7, Marcus Maurer 1 , Hans F. Merk 8 , Markus Ollert 3 , Franziska Ruëff 9 ,
Peter Schmid-Grendelmeier 10, Petra Staubach 11 , Ingrid Voigtmann 12 , Bettina Wedi 13
1Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin; 2Universitätshautklinik, Medizinische Universität Graz,
Österreich; 3Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein, Technische Universität München; 4Abteilung für Dermatologie
und Allergologie, Kantonsspital Aarau, Schweiz; 5Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Sankt-Josef-Hospital, Ruhr-Universität Bochum; 6Klinik und
Poliklinik für Dermatologie und Venerologie, Universität Köln; 7Universitätshautklinik, Universitätsklinikum Freiburg; 8Klinik und Poliklinik für
Dermatologie, Universitäts-Hautklinik der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule, Aachen; 9Klinik und Poliklinik für Dermatologie und
Allergologie, Ludwig-Maximilians-Universität, München; 10Dermatologische Klinik, Universitätsspital Zürich, Schweiz; 11Klinik für Dermatologie,
Universitätsmedizin der Johannes-Gutenberg-Universität, Mainz; 12Deutscher Allergie- und Asthmabund (DAAB), Mönchengladbach; 13Klinik für
Dermatologie, Allergologie und Venerologie, Medizinische Hochschule Hannover

Zusammenfassung
Eine länger dauernde Urtikaria hat einen starken                der Basis der internationalen englischsprachigen                        Therapy of
Einfluss auf die Lebensqualität. Daher ist, wenn                unter besonderer Berücksichtigung der medizi­                           ­urticaria: Ger-
kausale Faktoren nicht beseitigt werden können,                 nischen Gegebenheiten im deutschsprachigen Raum                          man l­ anguage
eine effektive symptomatische Behandlung notwen­                erstellt. Diese Leitlinie ist gemeinsam mit der Leit­                    version of the
dig. Die empfohlene Therapie der ersten Wahl ist                linie zur Klassifikation und Diagnose der Urtikaria                      international S3-
die Gabe von nicht sedierenden H1-Antihistamini­                das Ergebnis eines Konsensus, der auf einer Podiums­                     guideline
ka der neuen Generation. Wenn die Standarddosie­                diskussion beim 3. Internationalen Konsensus­
rung nicht ausreichend wirksam ist, sollte die Dosis            meeting zur Urtikaria, der „Urticaria 2008“, erzielt
bis auf das Vierfache erhöht werden. Bei Patienten,             wurde. Die „Urticaria 2008“ war eine gemeinsame
die auch auf eine solche Behandlung nicht anspre­               Initiative der Sektion Dermatologie der EAACI
chen, sind Therapeutika der zweiten Wahl zusätzlich             (Euro­pean Academy of Allergology and Clinical                          Schlüsselwörter
zu Antihistaminika zu empfehlen. Dabei sollten so­              Immunology), des EU-geförderten Network of Ex­                          Konsensus –
wohl das Nutzen-Risiko-Profil als auch die Kosten               cellence GA2LEN (Global Allergy and Asthma Eu­                          Therapie –
berücksichtigt werden. Kortikosteroide sind für die             ropean Network), des EDF (European Dermato­logy                         ­Urtikaria –
Langzeitbehandlung aufgrund ihrer unvermeidbaren                Forum) und der WAO (World Allergy Organi­                                Quaddel –
schweren Nebenwirkungen nicht empfohlen. Die                    zation). Die Autoren der deutschsprachigen Version                       Angio­ödem
hier vorgelegte deutschsprachige Leitlinie wurde auf            waren während des Treffens anwesend.

Summary                                                                                                                                 Key words
Persisting urticaria has a profound impact on the qual­         antihistamines. If standard dosing is not sufficiently                  Consensus –
ity of life. Therefore, where causal factors cannot be          effective, increasing the dosage up to four-fold is                     ­therapy – urti­
eliminated, effective symptomatic treatment is re­              recom­mended. For patients who do not respond to                         caria – wheal –
quired. The recommended first line treatment is the             such a treatment, it is recommended that second-line                     angio­edema
administration of new generation, nonsedating H1-               therapeutics should be administered in addition to
                                                                                                                                        Entwicklungsstufe
Korrespondenzanschrift/Correspondence to                                                                                                S3
                                                                *Die deutsche Fassung basiert auf der entsprechenden internatio­
                                                                                                                                        AWMF-Leitlinien-
Prof. Dr. Torsten Zuberbier                                     nalen, englischsprachigen Leitlinie: Zuberbier T, Asero R, Bindslev-­
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie           Jensen C, Walter Canonica G, Church MK, Giménez-Arnau AM,               Register-Nummer
Charité – Universitätsmedizin Berlin                            Grattan CEH, Kapp A, Maurer M, Merk HF, Rogala B, Saini S, Sánchez-     013/028
Charitéplatz 1                                                  Borges M, Schmid-Grendelmeier P, Schünemann H, Staubach P,
                                                                Vena GA, Wedi B. EAACI/GA2LEN/EDF/WAO guideline: management             Stand
10117 Berlin
E-Mail: torsten.zuberbier@charite.de                            of urticaria. Allergy 2009; 64: 1427–43                                 1. April 2011

Allergo J 2011; 20: 259–76                                                                                                                            259
LEITLINIE S3-Leitlinie Urtikaria: Therapie
          Guideline

      the antihistamines. In this case, both their benefit-risk-   panel discussion at the 3rd Inter­national Consensus
      profiles and their costs should be considered. Cortico­      Meeting on Urticaria, “Urticaria 2008”. “Urticaria
      steroids are not recommended for long-term treatment         2008” was a joint initiative of the Dermatology Section
      due to their unavoidable severe adverse ­effects. This       of the EAACI (European Academy of Allergy and
      German language guideline was prepared on the ­basis         Clinical Immunology), the EU-funded network of
      of the international English language guideline, par­        excellence GA2LEN (Global ­Allergy and Asthma Euro­
      ticularly taking into account medical conditions in the      pean Network), the EDF (European Dermatology
      German language area. This guideline, together with          Forum) and the WAO (World Allergy Organization).
      the guideline on the classification and diagnosis of         The authors of the German language version joined
      urticaria, is the result of a consensus reached during a     the Consensus Meeting.

      Einleitung                                                   Ziel der Behandlung ist jedoch für alle Arten der
      Diese Leitlinie ist das Ergebnis einer Podiumsdis­           Urtikaria eine vollständige Symptomfreiheit. Die
      kussion während des 3. Internationalen Meetings              Therapie der Urtikaria kann in zwei grundsätzliche
      zur Urtikaria, „Urticaria 2008“. „Urticaria 2008“            Ansätze eingeteilt werden, die bei jedem Patienten
      ist eine gemeinsame Initiative von EAACI,                    in Betracht gezogen werden sollten:
      ­GA2LEN, EDF und WAO. Für den Entwurf der                    — Identifizierung und Eliminierung zugrunde lie­
       Leitlinie wurden alle zur Verfügung stehenden In­               gender Ursachen und/oder auslösender Faktoren,
       formationen aus der Literatur verwendet (Suche in           — symptomatische Behandlung.
       PubMed/MEDLINE, EMBASE, Handsuche von                       Anzustreben ist eine Behandlung der zugrunde lie­
       Abstracts internationaler Allergiekongresse von             genden Ursache bei der Mehrzahl der Patienten.
       2004 bis 2008). Die Leitlinie baut auf die Konsensus­       Eine zweite Herangehensweise ist die Vermeidung
       berichte des ersten und des zweiten Symposiums              von auslösenden Faktoren oder Stimuli. Diese kann
       im Jahr 2000 und 2004 auf [184, 186]. Der Leit­             bei der seltenen Immunglobulin-E(IgE)-vermittelten
       linienentwurf wurde von den Podiumsmitgliedern              Urtikaria und bei physikalischer Urtikaria durchge­
       und den Teilnehmern im Auditorium im Detail                 führt werden. In der letztgenannten Gruppe können
       besprochen, um, wo erforderlich, einen Konsens              entsprechende Maßnahmen (z. B. Sitzkissen bei
       mittels eines einfachen Abstimmungssystems zu               Druckurtikaria) den Einfluss physikalischer Stimu­
       erzielen. Die Teilnahme von über 200 Urtikaria­             li zumindest verringern und damit Symptome redu­
       spezialisten aus 33 Ländern ermöglichte es, in die­         zieren. Bei der spontanen akuten und chronischen
       sen Konsens regionale Unterschiede europäischer             Urtikaria kann es hilfreich sein, potenziell relevante
       und weltweiter Ansichten aufzunehmen und bietet             Infekte und/oder Entzündungen (wie z. B. Helico-
       eine Basis für eine verbesserte Vergleichbarkeit zu­        bacter-pylori-assoziierte Gastritis, parasitäre Erkran­
       künftiger Studien auf dem Gebiet der Urtikaria.             kungen) zu behandeln oder Intoleranzen gegenüber
            Während des internationalen Konsensustreffens          Nahrungsmitteln oder Medikamenten zu beachten
       vom 4. bis 5. Dezember 2008 in Berlin waren die             [172, 174, 175, 176]. Zusätzlich muss berücksich­
       deutschsprachigen Leitlinienautoren auf dem Podi­           tigt werden, dass manche Faktoren (z. B. nichtste­
       um oder im Auditorium vertreten. Während dieses             roidale Antiphlogistika, synonym zu „nonsteroidal
       Treffens fand auch eine erste Sitzung der Autoren           antiinflammatory drugs“, NSAID) sowohl zu einem
       zur Erstellung der deutschsprachigen Leitlinie statt,       Neuauftreten als auch zu einer Verschlechterung
       eine zweite Sitzung am 30. April 2009 während der           einer bereits existierenden Urtikaria führen können
       DDG-Tagung in Dresden und ein drittes Treffen               [58]. Die chronische spontane Urtikaria ist außer­
       während der DGAKI-Tagung in Berlin am 3. Sep­               dem eine vielfach durch Stress zu triggernde Erkran­
       tember 2009. Diese Leitlinie orientiert sich an der         kung, psychischer Stress kann besonders Juckreiz
       internationalen [187] und wurde für den deutsch­            auslösen oder intensivieren. Ein effektiver Behand­
       sprachigen Raum angepasst. Die Leitlinienautoren            lungsansatz sollte psychologische Faktoren berück­
       haben festgestellt, dass prinzipiell keine Unterschiede     sichtigen [3, 27, 125].
       in den Vorgehensweisen zwischen diesen Leitlinien                 Während der Suche nach den Ursachen einer
       bestehen.                                                   Urtikaria sollte jedem Patienten eine symptoma­
            Urtikaria stellt eine heterogene Gruppe von            tische Therapie angeboten werden. Sie ist die derzeit
       Krankheiten dar, die eine Vielzahl von Ursachen             am häufigsten verwendete Behandlungsform und
       haben, durch verschiedene Faktoren ausgelöst wer­           zielt darauf ab, die Freisetzung von Mastzellmedia­
       den und sich klinisch auf sehr unterschiedliche Art         toren oder deren Effekte zu unterbinden und damit
       und Weise präsentieren können (s. Schwesterleitlinie        die subjektiven Beschwerden zu mildern oder zu
       „Klassifikation und Diagnostik der Urtikaria“). Das         unterdrücken.

260                                                                                                 Allergo J 2011; 20: 259–76
Die zur Verfügung stehenden Behandlungsoptionen        die aktuelle Leitlinie wurde beschlossen, den soge­
wurden für diese Leitlinie nach den folgenden          nannten Grading-of-Recommendations-Assess­
­Methoden evaluiert.                                   ment-Development-and-Evaluation(GRADE)-
                                                       Ansatz zu modifizieren, indem die bereits vorhan­
Methoden                                               denen Evaluierungen der Literatur nach SIGN-
In den vorherigen Konsensusprotokollen wurden          Kriterien aus der vorhergehenden internationalen
die Studien mittels der Methoden-Checkliste 2 für      Leitlinie übernommen und neu publizierte Studien
randomisierte kontrollierte Studien der Scottish       hinzugefügt wurden.
Intercollegiate Guidelines Network (SIGN, www.                 Der GRADE-Ansatz zur Entwicklung von Leit­
sign.ac.uk) evaluiert, welche in einer dreistufigen    linien schlägt vor, dass die Entwickler einer Leitlinie
Kodierung ++, +, − resultierte. ++ bedeutet, dass      vor der Bewertung des Evidenzgrades und einer
alle oder fast alle Kriterien der Checkliste erfüllt   Empfehlung zunächst eine gute aktuelle systema­
werden und nicht erfüllte Kriterien wahrscheinlich     tische Übersichtsarbeit zum entsprechenden Thema
nicht zu einer Veränderung der Schlussfolgerung        vorstellen, welche die relevanten klinischen Fragen
führen würden; + bedeutet, dass einige Kriterien       formuliert.
erfüllt werden und die nicht erfüllten oder nicht              Diese Bedingung war zum Zeitpunkt des Leit­
erwähnten Kriterien wahrscheinlich nicht zu einer      linienupdates für den Fall der chronischen spontanen
Veränderung der Schlussfolgerung führen würden;        Urtikaria erfüllt, aber nur zum Teil für andere For­
− bedeutet, dass wenige oder keine Kriterien erfüllt   men der Urtikaria. Daher konnte das GRADE-Sys­
werden und die Schlussfolgerung sich bei Erfüllung     tem nicht für alle Punkte verwendet werden. Den­
wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich ändern         noch können eine Literaturauswertung für chro­
würde. Diese ++, +, − Kodierung bestimmte ge­          nische spontane Urtikaria nach dem GRADE-System
meinsam mit der Art der Studie den Evidenzgrad         und Hintergrundinformation zum Algorithmus von
(von 1++ bis 1−, von 2++ bis 2−, 3 und 4), welcher     der Internetseite www.ga2len.net heruntergeladen
zum Grad der Empfehlung führte (A bis D). Für          werden.
                                                               Zu den Faktoren, die die Stärke einer GRADE-
                                                       Empfehlung bestimmen, gehört die Abwägung zwi­
 Verwendete Abkürzungen                                schen erwünschten und unerwünschten Effekten
 ACE	Angiotensin-converting enzyme                    einer Intervention.
 AH       Antihistaminikum                                     Die Trennung zwischen der Stärke einer Emp­
 ASS      Acetylsalicylsäure                           fehlung und der Qualität der zugrunde liegenden
 ASST Autologous serum skin test                       Evidenz ist bei der Erstellung von GRADE-Emp­
 BfArM	Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-   fehlungen entscheidend. Das GRADE-Sys­tem
        produkte
                                                       erlaubt stärkere Empfehlungen, auch wenn die
 DAAB Deutscher Allergie- und Asthmabund
 EAACI	European Academy of Allergology and Clinical   vorhandenen Studien einen niedrigeren Evidenz­
        Immunology                                     grad haben. Weiterhin können trotz hohem
 ECARF	European Centre for Allergy Research           Evidenz­niveau auch schwache Empfehlungen aus­
        ­Foundation                                    gesprochen werden. Die Autoren der Leitlinie
 EDF      European Dermatology Forum                   ­haben die Worte „wir empfehlen“ für starke Emp­
 EFA	Federation of Allergy and Airways Diseases        fehlungen und „wir schlagen vor“ für schwache
         Patients’ Association                          Empfehlungen gewählt, um die Ausdrücke zu ver­
 GA2LEN Global Allergy and Asthma European Network
 GRADE	Grading of Recommendations Assessment
                                                        wenden, die für die Entwicklung der „Allergic
         ­Development and Evaluation                    Rhinitis and its Impact on Asthma Guideline
 HRQoL Health related quality of life                   ­update 2008“ verwendet wurden [26].
 IgE      Immunglobulin E                                      Die Literaturrecherche wurde mithilfe von
 i.m.     Intramuskulär                                  ­PubMed/MEDLINE und EMBASE sowie durch
 IVIG     Intravenöse Immunglobuline                      Handsuche von Abstracts internationaler Allergie­
 NSAID Nonsteroidal anti-inflammatory drugs               konferenzen der Jahre 2004 bis 2008 durchgeführt.
 Q2oL Quality of Life Questionnaire
                                                          Studien ohne englischsprachige Kurzfassung wurden
 UAS      Urtikaria-Aktivitäts-Score
 PUVA	Photochemo­thera­pie mit Psoralen und UVA-         nicht systematisch evaluiert. Ebenso wurden solche
          Licht                                           Studien ausgeschlossen, die die Effekte von Ter­
 REM      Rapid eye movement                              fenadin und Astemizol untersuchten, da beide auf­
 SIGN Scottish Intercollegiate Guidelines Network         grund ihrer Nebenwirkungen nicht mehr empfohlen
 TNF      Tumornekrosefaktor                              werden und auch in den meisten Ländern nicht mehr
 UEMS European Union of Medical Specialists               erhältlich sind. Außerdem wurden Studien, die
 UNEV Urticaria Network                                   ­primär sedierende H1-Antihistaminika der ersten
 WAO      World Allergy Organization
                                                           Generation untersuchten, nicht ­eingeschlossen, da

Allergo J 2011; 20: 259–76                                                                                       261
LEITLINIE S3-Leitlinie Urtikaria: Therapie
          Guideline

      diese aufgrund ihres Nebenwirkungsprofils nicht           Faktor“) bei kalten Winden beachtet werden. Bei
      mehr empfohlen werden.                                    der Lichturtikaria kann die exakte Identifizierung
                                                                des auslösenden Wellenlängenbereichs wichtig sein,
      Behandlung der Urtikaria                                  um eine entsprechende Auswahl von Sonnenschutz­
      Identifizierung und Elimination zugrunde                  mitteln oder UVA-Filtern zu ermöglichen.
      liegender Ursachen oder Auslöser                               Bei vielen Patienten ist jedoch die Auslöse­
      Für diesen therapeutischen Ansatz ist eine exakte         schwelle für den physikalischen Auslösefaktor sehr
      Diagnostik die Grundvoraussetzung.                        niedrig und eine vollständige Meidung ist nahezu
           Wenn sich die Symptome nach der Elimination          unmöglich. Ein schwerer symptomatischer Dermo­
      eines verdächtigten Auslösers bessern, kann nur das       graphismus (Urticaria factitia) kann gelegentlich mit
      Wiederauftreten der Beschwerden in einem doppel­          einer chronischen spontanen Urtikaria verwechselt
      blinden Provokationstest einen definitiven Nachweis       werden, da z. B. scheinbar spontan auftretende
      einer ursächlichen Bedeutung erbringen, da jederzeit      Quaddeln beobachtet werden, die jedoch nur durch
      auch spontane Remissionen einer Urtikaria auftreten       lockere Kleidung auf der Haut des Patienten ausge­
      können. Dass dies in vielen Situationen (z. B. bei        löst werden.
      Infektionen) nicht durchführbar oder wünschens­                Eine Toleranzinduktion kann gelegentlich bei
      wert ist, erklärt die Schwierigkeit mancher Studien,      der Kälteurtikaria und der cholinergischen Urtikaria,
      mit solider Evidenz die Relevanz von Ursachen und         besonders aber der Lichturtikaria zum Einsatz kom­
      auslösenden Faktoren zu beweisen.                         men. Bei der Letzteren konnte die Wirksamkeit
                                                                einer UVA-Rush-Therapie innerhalb von drei Tagen
      Medikamente: Wenn Medikamente als Ursache                 gezeigt werden [14].
      vermutet werden, sollten sie abgesetzt oder – falls
      nötig – durch Vertreter einer anderen Substanzgrup­       Behandlung infektiöser Ursachen und entzünd-
      pe ersetzt werden. Medikamente, die pseudoaller­          licher Prozesse: Im Gegensatz zur physikalischen
      gische (nichtallergische) Hypersensitivitätsreakti­       Urtikaria ist die chronische spontane Urtikaria häu­
      onen hervorrufen können (klassische Beispiele sind        fig mit einer Vielzahl an entzündlichen und infek­
      nichtsteroidale Antiphlogistika wie Acetylsalicyl­        tiösen Erkrankungen assoziiert [176]. Es wird an­
      säure [ASS] oder ACE-Inhibitoren [ACE, „angio­            genommen, dass diese zum Teil von pathophysio­
      tensin-converting enzyme“], die über ihren phar­          logischer Bedeutung sind. Es handelt sich um
      makologischen Mechanismus zu Quaddeln oder                bakterielle Infektionen des Gastrointestinaltrakts,
      Angio­ödemen führen), können zum einen die al­            wie die durch Helicobacter pylori [173, 176] oder
      leinige Ursache einer spontanen Urtikaria sein, zum       solche im Nasen-Rachen-Bereich [176], die in ge­
      anderen aber auch eine vorbestehende Urtikaria            eigneter Weise behandelt werden sollten. Die Ur­
      verschlechtern [58, 108]. Ihre Meidung wird häufig        tikaria bessert sich nach erfolgreicher Therapie des
      nur zu einer Verbesserung der Beschwerden – und           persistierenden Infekts unter Umständen erst ver­
      dies unter Umständen erst nach Tagen bis Monaten          zögert nach einigen Wochen und kann sich unter
      – führen.                                                 der antibiotischen Therapie auch kurzfristig ver­
                                                                schlechtern. Darmparasiten, die in entwickelten
      Physikalische Auslöser: Die Vermeidung entspre­           Industrieländern aber nur eine seltene Ursache einer
      chender Auslöser bei der Behandlung physikalischer        chronischen spontanen Urtikaria darstellen, sollten
      Urtikariaerkrankungen ist wünschenswert, aber             eliminiert werden [70]. In der Vergangenheit wur­
      nicht immer praktikabel. Ausführliche Informati­          de eine intestinale Candidiasis als eine sehr wichtige
      onen über die Eigenschaften des jeweiligen Stimu­         Ursache für chronische spontane Urtikaria gesehen
      lus sollten dem Patienten ausreichendes Wissen            [70, 74], neuere Ergebnisse zeigen jedoch keine
      vermitteln, um diese im alltäglichen Leben zu er­         signifikante Rolle [50, 156, 181]. Neben Infekti­
      kennen und möglichst zu vermeiden. Dabei ist es           onskrankheiten wurden chronisch-entzündliche
      sowohl beim symptomatischen Dermographismus               Prozesse aufgrund verschiedener anderer Erkran­
      (Urticaria factitia) als auch bei der Druckurtikaria      kungen als ursächlich für die chronische spontane
      wichtig zu erklären, dass Druck definiert ist als Kraft   Urtikaria beschrieben. Dies gilt insbesondere für
      pro Fläche, und dass bereits einfache Methoden            Gastritis, Refluxösophagitis oder Entzündungen der
      (wie z. B. die Verbreiterung eines Gurtes für schwe­      Gallengänge oder der Gallenblase [165, 181]. Wie
      re Taschen bei Druckurtikaria oder eine Verringe­         auch bei Infektionen ist es jedoch nicht immer ein­
      rung der Scherkräfte im Fall des symptomatischen          fach zu unterscheiden, ob sie ursächlich für die
      Dermographismus) hilfreich sein können, die Ent­          Urtikaria sind, oder ob es sich um eine rein zufällige
      stehung von Symptomen zu vermeiden. Ähnliche              Assoziation handelt.
      Überlegungen gelten für die Kälteurtikaria. Hier               Die spontane chronische Urtikaria ist häufiger
      sollte der Einfluss der gefühlten Kühle („Chill-          mit einer Autoimmunthyreopathie assoziiert, als in

262                                                                                              Allergo J 2011; 20: 259–76
der allgemeinen Bevölkerung [39, 41, 124]. Die Be­       von 24 bis 48 Stunden zu einem Verschwinden der
deutung dieser Assoziation ist bislang nicht geklärt.    urtikariellen Symptome, wohingegen bei der Pseu­
Trotz Einzelfallberichten einer Remission der Urti­      doallergie eine Diät häufig für ein Minimum von
karia durch Behandlung mit L-Thyroxin wird diese         drei Wochen durchgeführt werden muss, bis eine
Therapie von den Leitlinienautoren mangels rando­        Verbesserung beobachtet werden kann. Informati­
misierter, kontrollierter Studien sowie der Gefahr       onen über die Durchführung der Diät können in
einer iatrogenen Hyperthyreose nicht empfohlen.          den zitierten Manuskripten gefunden werden [75,
                                                         131, 181]. Die Erfolgsrate pseudoallergenarmer
Reduktion funktioneller Autoantikörper: Es gibt          Diäten kann aufgrund regionaler und kultureller
noch immer wenig Erfahrung in der Behandlung             Unterschiede in Nahrungsmitteln und Essens­
der chronischen spontanen Urtikaria durch die            gewohnheiten deutlich variieren. Bei einem Anspre­
­direkte Verminderung funktioneller Autoantikörper       chen auf die Diät sollte die Pseudoallergie durch
 mittels Plasmapherese. In Fallberichten wurde die       gezielte Provokationstestung (zunächst mit pseudo­
 Plasmapherese als kurzfristig wirksam beschrieben       allergenreicher Provokationskost, ggf. Sammele­
 [59, 61]. Aufgrund hoher Kosten wird diese Thera­       xposition mit Zusatzstoffen in Kapseln und Auf­
 pie ausschließlich als ultima ratio für die Behand­     schlüsselung der Einzelkomponenten) überprüft
 lung von Autoantikörper-positiven Patienten mit         werden (s. AWMF-Leitlinie Nr. 061/005, http://
 chronischer spontaner Urtikaria vorgeschlagen. Die      leitlinien.net; [137]). Eine durch eine Ernährungs­
 Beweislage für die Effektivität immunomodulato­         fachkraft begleitete Diät nach positiver Provokations­
 rischer Therapien ist jedoch gut. Substanzen wie        testung sollte zunächst für einen Zeitraum von drei
 z. B. Ciclosporin A, deren Wirkmechanismus die          bis sechs Monaten empfohlen werden, da während
 Bildung von Antikörpern und damit auch Auto­            dieser Zeit bei etwa 50 % der Patienten eine Remis­
 anti­körpern verhindert, haben sich als nutzbringend    sion der chronischen spontanen Urtikaria auftritt.
 erwiesen [9, 51, 60, 162]. Ob das Ansprechen auf        Das detaillierte Vorgehen ist der oben genannten
 eine solche Behandlung an das Vorhandensein funk­       Leitlinie zu entnehmen.
 tioneller Autoantikörper gebunden ist und seine
 immunsuppressive Wirkung den entscheidenden             Symptomatische Therapie
 Mechanismus darstellt, muss aber nach der vorhan­       Die symptomatische Therapie zielt darauf ab, die
 denen Datenlage noch offen bleiben. Andere im­          Wirkung von Mastzellmediatoren an den Zielor­
 munomodulatorische Therapien, für die weniger           ganen zu reduzieren. Viele der Symptome einer
 Wirkungsnachweise vorliegen, sind intravenöse           Urtikaria sind hauptsächlich durch die Effekte von
 Immunglobuline (IVIG), Methotrexat, Azathioprin,        Histamin auf H1-Rezeptoren auf Endothelzellen
 Mycophenolatmofetil, Cyclophosphamid, Anti-IgE          (Quaddel) und sensorischen Nerven (neurogenes
 (Omalizumab) und Tacrolimus (siehe Tabelle 2).          Reflexerythem und Juckreiz) vermittelt. Daher ha­
                                                         ben H1-Rezeptorblocker eine besondere Bedeutung
Therapeutische Diäten: IgE-vermittelte Nahrungs­         in der Behandlung der Urtikaria. In manchen Fäl­
mittelallergien sind sehr selten die Ursache einer       len, insbesondere bei der chronischen spontanen
chronischen spontanen Urtikaria [75, 181]. Wenn          Urtikaria, kann ein ausgeprägtes zelluläres Entzün­
ein spezifisches Nahrungsmittelallergen identifiziert    dungsinfiltrat vorliegen. Dieses kann weitgehend
werden kann, muss es gemieden werden. Bei einer          refraktär gegenüber Antihistaminika sein, aber auf
Untergruppe der Patienten mit chronischer spon­          einen kurzen Steroidstoß ansprechen.
taner Urtikaria können pseudoallergische Reakti­              Antihistaminika stehen seit den 1950er-Jahren
onen (nicht IgE-vermittelte Hypersensitivität) auf       zur Verfügung und die Urtikaria ist eine der Erkran­
natürliche Nahrungsmittelbestandteile und in eini­       kungen, die üblicherweise effektiv bei sehr geringem
gen Fällen auch auf Nahrungsmittelzusatzstoffe           Risiko für Nebenwirkungen behandelt werden kön­
vorkommen [75, 131, 181, 185]. Ebenso wie Medi­          nen. Die älteren Antihistaminika der ersten Genera­
kamente können solche Pseudoallergene sowohl die         tion haben ausgeprägte, länger als zwölf Stunden
eigentliche Ursache einer chronischen spontanen          anhaltende zentralnervöse und anticholinergische
Urtikaria sein als auch eine bestehende Urtikaria        Effekte, wohingegen ihre antipruritische Wirkung
verschlimmern [120]. Das Vorgehen bei Verdacht           häufig nur für vier bis sechs Stunden anhält. Auf­
auf eine pseudoallergische Reaktion auf Nahrungs­        grund dessen wurden bei diesen sedierenden Anti­
mittelzusatzstoffe besteht aus der Durchführung          histaminika zahlreiche Interaktionen beschrieben,
einer standardisierten pseudoallergenarmen Diät          insbesondere mit Substanzen, die ebenfalls eine zen­
für mindestens vier Wochen (s. AWMF-Leitlinie            tralnervöse Wirkung haben wie Analgetika, Hyp­
Nr. 061/005, http://leitlinien.net; [137]). Typischer­   notika, Sedativa und stimmungsaufhellende Medi­
weise führt die Vermeidung von Typ-I-Allergenen,         kamente sowie Alkohol. Ebenso können Monoamino­
bei schneller Elimination des Allergens, innerhalb       oxidasehemmer die anticholinergischen Effekte

Allergo J 2011; 20: 259–76                                                                                        263
LEITLINIE S3-Leitlinie Urtikaria: Therapie
          Guideline

      dieser Medikamente verlängern und verstärken. Wei­       legenheit von Levocetirizin 5 mg ver­glichen mit
      ter beeinflussen Antihistaminika der ersten Gene­        Desloratadin 5 mg [135]. Die Häufig­keit von Ne­
      ration die „rapid eye movement“ (REM)-Schlaf­phase       benwirkungen war niedrig. Bei Des­loratadin traten
      und können einen negativen Einfluss auf Lernen und       häufiger Kopfschmerzen auf (3,3 % im Vergleich zu
      geistige Leistungsfähigkeit haben. Wir empfehlen         1,6 % bei Levocetirizin), bei Levocetirizin kam es
      daher ausdrücklich, sedierende Antihistaminika nicht     häufiger zu Somnolenz (5,9 % im Vergleich zu 2,9 %
      als Mittel der ersten Wahl in der Routinebehandlung      bei Desloratadin) [135].
      der chronischen Urtikaria, auch nicht zur Nacht, zu            Veröffentlichungen, die den Nutzen einer hö­
      verwenden. Diese Empfehlung basiert auf der hohen        heren als der Standarddosis von Antihistaminika bei
      Evidenz bezüglich potenziell schwerer Nebenwir­          einzelnen Patienten zeigen [91, 183], unterstützen
      kungen älterer sedierender Antihistaminika und der       frühere Beobachtungen mit Antihistaminika der
      Verfügbarkeit von nicht sedierenden Antihistamini­       ­ersten Generation [84, 169]. Dies wurde in Studien
      ka, die neben dem Fehlen dieser Nebenwirkungen            bestätigt, die eine bis vierfache Dosierung der emp­
      auch eine höhere Wirksamkeit und eine länger an­          fohlenen Tagesdosis von Cetirizin, Desloratadin oder
      dauernde Wirkung aufweisen. Zusätzlich sind die           Rupatadin verwendeten [53, 91, 149]. Interessanter­
      Kosten für eine Tagesdosis vergleichbar, da bei Anti­     weise berichtete Asero [4] jedoch, dass die Erhöhung
      histaminika der älteren Generation bis zu sechsmal        der Dosis von Cetirizin auf das Dreifache keine Ver­
      mehr Tabletten pro Tag als bei denen der neueren          besserung der Effekte bei schwer betroffenen Pati­
      Generation notwendig sind. Die schwerwiegendsten          enten zeigte. Eine kürzlich durchgeführte Studie mit
      Nebenwirkungen wurden mit Diphenhydramin und              Levocetirizin bzw. Desloratadin in vierfacher Dosie­
      Chlorpheniramin beobachtet.                               rung zeigte jedoch eine dosisabhängige Verbesserung
           Die Entwicklung von Antihistaminika der zwei­        bei einer kleinen Patientengruppe [154].
      ten Generation führte zu minimal sedierenden Medi­             Zusammengenommen lassen diese Studien den
      kamenten, die keine anticholinergischen Effekte           Schluss zu, dass einzelne Patienten erst auf eine ­höhere
      aufweisen. Zwei der frühen Antihistaminika der            Dosierung ansprechen, jedoch sind weitere Unter­
      zweiten Generation (Astemizol und Terfenadin, bei         suchungen notwendig, um zu klären, ob dies für alle
      denen es sich weitestgehend um Prodrugs handelte,         Formen der Urtikaria gilt und es Untergruppen von
      die eine hepatische Metabolisierung benötigten, um        Patienten gibt, die davon profitieren.
      voll aktiv zu werden) wiesen jedoch kardio­toxische            Es ist festzuhalten, dass derzeit für keines der
      Effekte auf, wenn die Metabolisierung durch die           nicht sedierenden Antihistaminika eine Zulassung für
      gleichzeitige Gabe ebenfalls über Cytochrom P40           eine im Unterschied zur Einzeldosis erhöhte Tages­
      abgebauter Medikamente, z. B. von Ketoconazol             dosis besteht. Die Anwendung einer höheren als der
      oder Erythromycin, kompetitiv gehemmt wurde.              zugelassenen Dosierung stellt einen Off-­Label-Use
      Diese beiden Medikamente sind daher in den mei­           da, der Patient ist darüber gesondert aufzuklären.
      sten Ländern nicht mehr erhältlich. Es wird aus­               Der empfohlene Algorithmus zur Therapie der
      drücklich empfohlen, sie grundsätzlich nicht mehr         chronischen Urtikaria (Abb. 1) sieht zunächst die
      zu verwenden.                                             symptomatische Therapie mit einem nicht sedieren­
           Weitere Fortschritte hinsichtlich der Medika­        den H1-Antihistaminikum in Standarddosierung
      mentensicherheit wurden durch die Entwicklung             vor. Bei Patienten, die auf diese Therapie innerhalb
      der neuesten Generation von Antihistaminika (Fexo­        von zwei Wochen nicht ansprechen, sollte schritt­
      fenadin und Desloratadin) erreicht, die pharmako­         weise zunächst eine Erhöhung der Dosis bis auf das
      logisch aktive Abkömmlinge von Antihistaminika            Vierfache und dann, wenn nach ein bis vier Wochen
      der zweiten Generation (Terfenadin und Loratadin)         weiterhin Beschwerden bestehen, ein Wechsel des
      sind und nicht mehr Cytochrom-P450-abhängig               nicht sedierenden Antihistaminikums (ggf. auch
      metabolisiert werden.                                     mehrfacher Wechsel) oder zusätzlich die Gabe eines
           Aufgrund ihres guten Sicherheitsprofils stellen      Leukotrienantagonisten (in Deutschland ist nur
      Antihistaminika der zweiten Generation bei der            Montelukast zugelassen) versucht werden. Letztere
      symptomatischen Behandlung der Urtikaria die              Empfehlung beruht auf dem guten Sicherheitsprofil
      Mittel der ersten Wahl dar. Derzeit fehlen weitest­       von Montelukast. Die Datenlage zu Leukotrien­
      gehend gut geplante, randomisierte kontrollierte          antagonisten ist allerdings widersprüchlich (vgl.
      Studien, die die Wirksamkeit und Sicherheit von           Tabelle 2 und Seite 266).
      verschiedenen nicht sedierenden H1-Antihist­
      aminika in der Behandlung der chronischen spon­          Weitere therapeutische Möglichkeiten
      tanen Urtikaria vergleichen. Eine kürzlich publizierte   Ein weiterer symptomatischer Behandlungsansatz zielt
      multizentrische Studie mit 886 Probanden mit chro­       hauptsächlich darauf ab, die Freisetzung von Mast­
      nischer Urtikaria zeigte in einem Zeitraum von vier      zellmediatoren zu verringern. In der vorher­gehenden
      Wochen statistisch signifikante thera­peutische Über­    Version der Leitlinien wurde dieses Prinzip eindeutig

264                                                                                               Allergo J 2011; 20: 259–76
von einer Blockade der Wirkung der freigesetzten          Level 1
Mediatoren am Zielorgan unter­schieden. Neuere
­Daten zeigen jedoch, dass dies bei manchen Medi­                         Nicht sedierendes H1-Antihistaminikum (ns H1-AH)
 kamenten nicht immer möglich ist, da einige (z. B.
                                                                                                                   Wenn nach 2 Wochen
 nicht sedierende Antihistaminika der zweiten Gene­                                                                weiterhin Beschwerden
 ration) sowohl blockierende Effekte auf Hist­           Level 2
 aminrezeptoren auf den Zielorganen als auch – ins­
 besondere in höherer Dosierung – auf die ­Freisetzung                              ns-H1-AH-Hochdosierung (bis zu 4×)
 von Zytokinen aus Mastzellen haben [100, 177].
                                                                                                                   Wenn nach 1–4 Wochen
      Derzeit werden Kortikosteroide häufig bei all­                                                               weiterhin Beschwerden
 ergischen Erkrankungen verwendet. Es gibt jedoch        Level 3
 eine ausdrückliche Empfehlung, die Anwendung
                                                                    Zusätzlich Leukotrienantagonist oder Wechsel des ns H1-AH
 systemischer Kortikosteroide über einen längeren                        Exazerbation: systemisches Steroid (für 3–7 Tage)
 Zeitraum zu meiden, anderenfalls Patienten an ein
 spezialisiertes Urtikariazentrum zu überweisen. Bei                                                                Wenn nach 1–4 Wochen
 akuter Urtikaria und akuten Exazerbationen einer                                                                   weiterhin Beschwerden
                                                         Level 4
 chronischen spontanen Urtikaria kann die kurz­
 fristige Gabe eines systemischen Glukokortiko­            Zusätzlich Ciclosporin A*, H2-Antihistaminikum, Dapson, Omalizumab
                                                                     Exazerbation: systemisches Steroid (für 3–7 Tage)
 steroids jedoch hilfreich sein, um die Krankheits­
 dauer abzukürzen [182]. Gut geplante ­randomisierte
                                                          *Sehr gute Evidenz für Effektivität liegt nur für Ciclosporin A vor.
 kontrollierte Studien fehlen hier jedoch.
      Ciclosporin A hat ebenfalls einen moderaten        Abbildung 1. Ausdrücklich empfohlener Algorithmus zur Therapie der chro-
 direkten Effekt auf die Freisetzung von Mastzell­       nischen Urtikaria – Literaturauswertung nach dem GRADE-System und Hinter­
 mediatoren [157]. Die Effektivität von Ciclosporin      grundinformation zum Algorithmus können von www.ga2len.net herunter-
 A in Kombination mit nicht sedierenden H1-Anti­         geladen werden.
 histaminika wurde in zwei Plazebo- [60, 166] sowie
 in offenen kontrollierten Studien gezeigt. Dennoch
 kann dieses Medikament aufgrund der Nebenwir­            Bemerkungen zum Verfahren des Algorithmus für chronische
 kungen nicht als Standardtherapie empfohlen wer­         Urtikaria
 den. Ciclosporin A ist jedoch für Patienten mit          Level 1         — Niedrige Kosten
 schwerer Urtikaria, die nicht erfolgreich durch Anti­
 histaminika allein in höherer Dosierung zu behan­                        — Sehr gutes Sicherheitsprofil
 deln sind, eine Therapieoption, da es insgesamt ein                      — Sehr gute Evidenz für Wirksamkeit
 deutlich besseres Risiko-Nutzen-Profil als sys­          Level 2         — Niedrige Kosten
 temische Kortikosteroide hat. Ein therapeutisches
                                                                          — Gutes Sicherheitsprofil
 Ansprechen erfolgt erfahrungsgemäß innerhalb von
 vier bis sechs Wochen.                                                   — Gute Evidenz für Wirksamkeit
      Eine Phototherapie führt bei Mastozytose zur        Level 3         — Niedrige bis mittlere Kosten
 Reduktion der Mastzelldichte in der oberen Dermis                        — Gutes Sicherheitsprofil
 [47, 72]. Für die Behandlung der chronischen spon­
 tanen Urtikaria und des symptomatischen Dermo­                           — Nichtausreichende oder keine Evidenz für Wirksamkeit in quali­
                                                                             tativ hochwertigen randomisierten kontrollierten Studien
 graphismus kann eine UVA- und/oder UVB-­
 Behandlung versuchsweise für ein bis drei Monate         Level 4         Ciclosporin A                        — Mittlere bis hohe Kosten
 zusätzlich zur Antihistaminikabehandlung zum Ein­                                                             — Mittlere Stufe an Nebenwirkungen
 satz kommen [21, 66].                                                                                         — Gute Evidenz für Wirksamkeit
      Mit Omalizumab (Anti-IgE) konnten inzwi­
                                                                          H2-Antihistaminikum                  — Niedrige Kosten
 schen hervorragende Effekte bei einzelnen thera­
 pierefraktären Patienten mit chronischer spontaner                                                            — Gutes Sicherheitsprofil
 Urtikaria [153], cholinergischer Urtikaria [110],                                                             — Wenig Evidenz für Wirksamkeit
 Kälteurtikaria [22], verzögerter Druckurtikaria [17],                    Dapson                               — Niedrige Kosten
 Wärmeurtikaria [28] oder Lichturtikaria [63, 85]
 gezeigt werden. Größere doppelblinde plazebokon­                                                              — Mittlere Stufe an Nebenwirkungen
 trollierte Studien mit Omalizumab sind jedoch not­                                                            — Wenig Evidenz für Wirksamkeit
 wendig. Die Anwendung von Tumornekrosefaktor                             Anti-IgE                             — Hohe Kosten
 (TNF)-Antagonisten [103] und IVIG [34, 123,
                                                                                                               — Gutes Sicherheitsprofil
 128], die nach Einzelfallberichten erfolgreich waren,
 ist derzeit nur in spezialisierten Zentren als letzte                                                         — Wenig Evidenz für Wirksamkeit

Allergo J 2011; 20: 259–76                                                                                                                        265
LEITLINIE S3-Leitlinie Urtikaria: Therapie
                                     Guideline

                               Option empfohlen (Anti-TNF z. B. für Druckurti­                             — Kombination     von sedierenden Antihistaminika
                               karia, IVIG für chronische spontane Urtikaria).                                 mit Terbutalin [68, 151]
                                    Mit Ausnahme von Ciclosporin A, das aber                               — Montelukast als Monotherapie [37]
                               aufgrund von Kosten und Nebenwirkungsprofil                                 — Zafirlukast als Monotherapie [139]
                               Einschränkungen in der Anwendung hat, basieren                              — Montelukast 10 mg in Kombination mit Des­
                               einige der Alternativen, wie die Kombination von                                loratadin 5 mg [37]
                               nicht sedierenden H1-Antihistaminika mit H2-                                — Tranexamsäure [97]
                               Antihistaminika oder Leukotrienantagonisten, auf                            — orale Natriumcromoglicinsäure [160].
                               randomisierten kontrollierten Studien mit niedrigem                         Bei den physikalischen Urtikariaformen zeigten sich
                               Evidenzlevel (Tabelle 1). Das Gleiche gilt für eine                         folgende Therapien als unwirksam:
                               Monotherapie mit Ketotifen, Montelukast, War­farin                          Bei Druckurtikaria:
                               und Hydroxychloroquin. Auch ältere Unter­                                   — Colchizin als Monotherapie [99]
                               suchungen mit Oxatomid, Doxepin und Nifedipin                               — Indomethacin als Monotherapie [40].
                               zeigten nur eine geringe Evidenz.                                           Bei symptomatischem Dermographismus (Urtica­
                               Für Dapson, Sulfasalazin, Methotrexat, Interferon,                          ria factitia) waren nachgewiesenermaßen unwirk­
                               Plasmapherese und IVIG wurden nur unkontrol­                                sam:
                               lierte Studien oder Fallserien publiziert (Tabelle 1).                      — Kombination von einem H2-Blocker mit einem
                                    Neben publizierten Studien, die die Wirksam­                               H1-Blocker [109, 147]
                               keit von Medikamenten bei der Behandlung der                                — Monotherapie mit Nifedipin [98].
                               Urtikaria zeigen, gibt es auch Studien, die zeigten,                        In Tabelle 2 werden die Evidenzgrade der derzei­
                               dass eine bestimmte Kombination von Medikamen­                              tigen medikamentösen Standardtherapie und der
                               ten oder einzelne Monotherapieansätze keinen Effekt                         Alternativen für verschiedene Urtikariaformen dar­
                               haben [184].                                                                gestellt.
                                    Für die chronische spontane Urtikaria wurden                                 Zusammengefasst bestehen Empfehlungen auf
                               die folgenden Behandlungen als nicht wirksam ein­                           sehr hohem Evidenzlevel nur für die symptomatische
                               geschätzt [184]:                                                            Therapie mit nicht sedierenden Antihistaminika. Es
                               — Kombination von sedierenden Antihistaminika                              sollte jedoch beachtet werden, dass diese bei einigen
                                  mit Cimetidin [38]                                                       Patienten nicht ausreichend wirksam sind und dass
                                                                                                           randomisierte kontrollierte Studien häufig nur Pati­
                                                                                                           enten mit leichter bis moderater Krankheitsaktivität
 Tabelle 1. Evidenzstärken                                                                                 eingeschlossen haben. Im Gegensatz dazu wurden
 Die Stärke der Evidenz für eine therapeutische Intervention ergibt sich wie                               die meisten alternativen Medikamente nur bei Pati­
 folgt*:                                                                                                   enten angewandt, die zuvor nicht auf Antihist­
 1++         Qualitativ hochwertige Metaanalysen, systematische Reviews ran-
                                                                                                           aminika angesprochen hatten.
             domisierter kontrollierter Studien oder randomisierte kontrollierte                                 Es sind in diesem Zusammenhang mehr gut
             Studien mit sehr geringer Fehlerwahrscheinlichkeit                                            geplante randomisierte Studien zu fordern, um
                                                                                                           ­potenzielle Alternativen ausdrücklich empfehlen
 1+          Gut durchgeführte Metaanalysen, systematische Reviews rando-
             misierter kontrollierter Studien oder randomisierte kontrollierte                              oder ablehnen zu können.
             ­Studien mit geringer Fehlerwahrscheinlichkeit                                                      Für die Routinebehandlung von Urtikaria­
                                                                                                            patienten empfehlen wir (Abb. 1), zunächst eine
 1–          Metaanalysen, systematische Reviews randomisierter kontrollierter
             Studien oder randomisierte kontrollierte Studien mit hoher Fehler-                             Thera­pie mit einem nicht sedierenden H1-Antihist­
             wahrscheinlichkeit                                                                             amini­kum in der bis zu vierfachen empfohlenen
                                                                                                            Tages­dosis durchzuführen, da hierdurch in der
 2++         Qualitativ hochwertige systematische Reviews von Fallkontroll-
             oder Kohortenstudien mit sehr geringem Risiko von Störvariablen,
                                                                                                            Mehrzahl der Fälle die Beschwerden ausreichend
             Fehlern oder Zufall und einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass der                               oder gut kontrolliert werden können. Um die volle
             Zusammenhang kausal ist                                                                        Effektivität einer Antihistaminikatherapie zu er­
 2+          Gut durchgeführte Fallkontroll- oder Kohortenstudien mit geringem
                                                                                                            reichen, wird empfohlen, diese zunächst für ein bis
             Risiko von Störvariablen, Fehlern oder Zufall und einer moderaten                              vier Wochen durchzuführen und vor der Gabe von
             Wahrscheinlichkeit, dass der Zusammenhang kausal ist                                           nicht für die Therapie der Urtikaria zugelassenen
                                                                                                            Medikamenten zunächst ein oder mehrere andere
 2–          Fallkontroll- oder Kohortenstudien mit hohem Risiko von Störvari-
             ablen, Fehlern oder Zufall und einer signifikanten Wahrscheinlich-                             H1-Antihist­aminika (bei Bedarf in erhöhter Do­
             keit, dass der Zusammenhang nicht kausal ist                                                   sierung) zu versuchen. Auf dieser Behandlungs­stufe
                                                                                                            kann auch die zusätzliche Gabe eines Leukotrien­
 3           Nichtanalytische Studien, z. B. Fallberichte, Fallserien
                                                                                                            antagonisten hilfreich sein. Nur für solche Pati­
 4           Expertenmeinung                                                                                enten, die nicht ausreichend auf diese Therapie
 *Die Qualität der einzelnen Studien wurde nach der Methodology Checklist 2: Randomized Controlled Tri-    ansprechen, sollten alter­native Behandlungsmetho­
   als of the Scottish Intercollegiate Guidelines Network (SIGN; www.sign.ac.uk) bewertet (s. Methoden).
                                                                                                            den wie Ciclosporin A, H2-Antihistaminikum,

266                                                                                                                                        Allergo J 2011; 20: 259–76
Tabelle 2. Effektive Therapien der Urtikaria
 Art der              Standardtherapie        Evi-      Referenz                 Behandlung für therapie­         Evi-      Referenz
 Urtikaria                                    denz-                              resistente Patienten             denz-
                                              stärkea                                                             stärkea
  Akute               Therapie ausdrücklich                                      Therapie vorgeschlagen von
  ­spontane           empfohlen von der                                          der Mehrheit des Gremiums
   ­Urtikaria         Mehrheit des Gremiums                                      und des Publikums
                      und des Publikums
                      ns H1-AH                2+        [150, 182]               Prednisolon, 2×20 mg/db für      2+        [132]
                                                                                 4 Tage
                                                                                 Prednisolon, 50 mg/db für        2–        [182]
                                                                                 3 Tage
                                                                                 H2-Blocker, einfache Dosierung   2–        [117, 133,
                                                                                 für 5 Tage                                 171]
  Chronische          Therapie ausdrücklich                                      Therapie vorgeschlagen von
  spontane            empfohlen von der                                          der Mehrheit des Gremiums
  Urtikaria           Mehrheit des Gremiums                                      und des Publikums
                      und des Publikums
                      ns H1-AH                1++       [1, 2, 15, 23, 25, 29,   Kombinationstherapie:
                                                        35, 43, 45, 52, 55,
                                                                                 ns H1-AH und Ciclosporin A       1+        [145, 60, 166]
                                                        64, 69, 76, 78–80,
                                                        86–90, 94–96, 101,       ns H1-AH und Montelukast         2–        [37, 49, 119]
                                                        102, 113, 115, 116,      ns H1 und H2-AH Cimetidin        2–        [19, 38, 68,
                                                        118, 130, 141, 142,                                                 114]
                                                        159]
                         Dosiserhöhung,       2++       [45, 52, 154]            Monotherapie:
                       wenn notwendig bis              [154]                    Trizyklische Antidepressiva      2+        [56, 62, 67]
                        zu 4-fach                                                (Doxepin)
                                                                                 Ketotifen                        2++       [81]
                                                                                 Hydroxychloroquin                2–        [12, 138]
                                                                                 Dapson                           2–        [31, 46]
                                                                                 Sulfasalazin                     3         [93]
                                                                                 Methotrexat                      3         [93]
                                                                                 Kortikosteroide                  4         [82, 83]
                                                                                 Andere Therapieoptionen
                                                                                 Kombinationstherapie:
                                                                                 ns H1-AH und Stanazolol          2+        [126]
                                                                                 ns H1-AH und Zafirlukast         2–        [5]
                                                                                 ns H1-AH und Mycophenolat-       3         [146]
                                                                                 mofetil
                                                                                 ns H1-AH und UVB                 2–        [47]
                                                                                 ns H1-AH und Omalizumab          2–        [42, 54, 85,
                                                                                                                            144, 152, 153]
                                                                                 Monotherapie:
                                                                                 Oxatomid                         2–        [13, 36, 129]
                                                                                 Nifedipin                        2–        [24]
                                                                                 Warfarin                         3         [10, 127]
                                                                                 Interferon                       3         [33, 161]
                                                                                 Plasmapherese                    3         [57, 59]
 Fortsetzung auf der nächsten Seite

Allergo J 2011; 20: 259–76                                                                                                               267
LEITLINIE S3-Leitlinie Urtikaria: Therapie
                             Guideline

 Tabelle 2 Fortsetzung. Effektive Therapien der Urtikaria

 Art der          Standardtherapie          Evi-      Referenz                 Behandlung für therapie­            Evi-        Referenz
 Urtikaria                                  denz-                              resistente Patienten                denz-
                                            stärkea                                                                stärkea
                                                                               Immunglobuline                      4           [123, 128]
                                                                               Autologe Vollblutinjektionen        3           [8, 155]
                                                                               (nur ASST-positive)
 Physikalische    Zunächst Vermeidung von   1++       Keine kontrollierten
 Urtikaria        Auslösern anstreben                 Studien, per Definiti-
                                                      on der physikalischen
                                                      Urtikaria
 Symptoma-        Therapie ausdrücklich                                        Therapie vorgeschlagen von
 tischer Dermo­   empfohlen von der                                            der Mehrheit des Gremiums
 graphismus       Mehrheit des Gremi-                                          und des Publikums
 (Urticaria       ums und des Publi-
 factitia)        kums
                  ns H1-AH                  2+        [105, 148]               Ketotifen (s. auch chronische       2–          [30]
                                                                               spontane Urtikaria)
                                                                               UVB-Therapie                        3           [21]
 Druckurtikaria   Therapie ausdrücklich                                        Therapie vorgeschlagen von
                  empfohlen von der                                            der Mehrheit des Gremiums
                  Mehrheit des Gremiums                                        und des Publikums
                  und des Publikums
                  ns H1-AH:                 2–        [91, 92]                 Kombinationstherapie:
                  Cetirizin
                  Hochdosiert H1-AH         4                                  Montelukast und H1-AH               2–          [119]
                                                                               ­(Loratadin)
                                                                               Monotherapie:
                                                                               Prednisolon 40–20 mgb               2–          [164]
                                                                               Andere Therapieoptionen
                                                                               Kombinationstherapie:
                                                                               Ketotifen and Nimesulid             2–          [164]
                                                                               Monotherapie:
                                                                               Topisch: Clobetasol-                2–          [166, 167]
                                                                               propionat
                                                                               Sulfasalazin                        3           [48]
 Kälteurtikaria   Therapie ausdrücklich                                        Therapie vorgeschlagen von
                  empfohlen von der                                            der Mehrheit des Gremiums
                  Mehrheit des Gremiums                                        und des Publikums
                  und des Publikums
                  ns H1-AH                  1+        [20, 44, 77, 104,        Versuch mit Penicillin i.m./p. o.   3           [112]
                                                      149, 168]
                   Erhöhung der Dosis                [149]                    Versuch mit Doxycyclin p. o.        3           [112]
                    auf das 4-Fache
                                                                               Induktion physikalischer                        [112]
                                                                               ­Toleranz
                                                                               Andere Therapieoptionen
                                                                               Cyproheptadin                       2–          [169, 170]
                                                                               Ketotifen                           2+          [158]
                                                                               Montelukast                         3           [65, 140]
 Fortsetzung auf der nächsten Seite

268                                                                                                                     Allergo J 2011; 20: 259–76
Tabelle 2 Fortsetzung. Effektive Therapien der Urtikaria

  Art der               Standardtherapie                    Evi-         Referenz                        Behandlung für therapie­                      Evi-         Referenz
  Urtikaria                                                 denz-                                        resistente Patienten                          denz-
                                                            stärkea                                                                                    stärkea
  Lichturtikaria        Therapie ausdrücklich                                                            Therapie vorgeschlagen von
                        empfohlen von der                                                                der Mehrheit des Gremiums
                        Mehrheit des Gremiums                                                            und des Publikums
                        und des Publikums
                        ns H1-AH                            2–           [16, 143]                       Induktion physikalischer                      3            [14]
                                                                                                         Toleranz
                                                                                                         Andere Therapieoptionen
                                                                                                         Plasmapherese und PUVA                        3            [73]
                                                                                                         Photopherese                                  3            [107]
                                                                                                         Plasmaaustausch                               3            [18]
                                                                                                         IVIG                                          3            [37, 106]
                                                                                                         Omalizumab                                    3            [63]
  Andere
  Formen
  ­induzierbarer
   Urtikaria
  Cholin­               Therapie ausdrücklich                                                            Therapie vorgeschlagen von
  ergische              empfohlen von der                                                                der Mehrheit des Gremiums
  Urtikaria             Mehrheit des Gremiums                                                            und des Publikums
                        und des Publikums
                        ns H1-AH                            1–           [179]                           „Anstrengungstoleranz”                        3
                         Erhöhung der Dosis,               1–           [180]                           Andere Therapieoptionen
                          wenn nötig
                                                                                                         Ketotifen                                     2–           [30]
                                                                                                         Danazol                                       2–           [178]
                                                                                                         Omalizumab                                    3            [110]
  ASST, Autologous serum skin test; i.m., Intramuskulär; IVIG, Intravenöse Immunglobuline; ns H1-AH, nicht sedierendes Antihistaminikum; p. o., per os; PUVA, Photochemo­
  thera­pie mit Psoralen und UVA-Licht.
  aEs wird darauf hingewiesen, dass die Evidenzstärken 1–4 sich nur auf die Qualität der Evidenz der Wirksamkeit beziehen und nicht auf die Wirksamkeit der Therapien. In dieser

   ­Tabelle werden nicht die detaillierten Empfehlungen gemäß des GRADE-Systems wiedergegeben.
  bVorschlag bezieht sich auf die Therapie von Erwachsenen

Dapson oder Omali­zumab unter Abwägung des                                     Lebensqualität
individuellen Nutzen-Risiko-Profils zusätzlich zu                              Die gesundheitsbezogene Lebensqualität („health
einem nicht sedierenden H1-Antihistaminikum                                    related quality of life“, HRQoL) wird derzeit als
erwogen werden. Kortikosteroide sind aufgrund                                  primäres Zielkriterium in klinischen Bevölkerungs­
ihres schlechten Nebenwirkungsprofils ausschließ­                              studien und im Gesundheitswesen angesehen.
lich für die Therapie akuter Schübe einer Urtikaria                                 HRQoL wurde auch bei zahlreichen dermato­
zu verwenden. Ciclosporin A ist in Kombination                                 logischen und allergologischen Erkrankungen inten­
mit einem H1-Antihist­amini­kum derzeit die Thera­                             siv untersucht. Eine Literatursuche zeigte jedoch,
pie der Wahl für Patienten, die auf keine andere                               dass nur wenige Studien zur chronischen spontanen
Therapie angesprochen haben. Sedierende Antihist­                              Urtikaria und praktisch keine für andere Arten und
aminika der ersten Generation sollten nicht mehr                               Untergruppen der Urtikaria vorliegen [134]. Die
in der Routinebehandlung verwendet werden. Da                                  vorhandenen Daten weisen darauf hin, dass die Urti­
die Schwere der Urtikaria fluktuiert und es jederzeit                          karia negative Auswirkungen auf objektive Funkti­
zu einer spontanen Remission kommen kann, wird                                 onen und das subjektive Wohlbefinden hat. Zum
ausdrücklich empfohlen, die Notwendigkeit einer                                Beispiel haben O’Donnell und Mitarbeiter gezeigt,
medikamentösen Dauertherapie alle drei bis sechs                               dass Punktwerte bezüglich des Gesundheitsstatus
Monate zu überprüfen.                                                          bei Patienten mit chronischer spontaner Urtikaria

Allergo J 2011; 20: 259–76                                                                                                                                                          269
LEITLINIE S3-Leitlinie Urtikaria: Therapie
          Guideline

      denen von Patienten mit einer koronaren Herzer­           obwohl sie wie oben beschrieben ein schlechteres
      krankung entsprechen [122] und Gesundheitsstatus          Sicherheitsprofil als H1-Antihistaminika der zweiten
      und subjektive Zufriedenheit bei Patienten mit chro­      Generation haben. Das Panel und das Auditorium
      nischer spontaner Urtikaria geringer sind als bei         empfehlen jedoch ausdrücklich, bei Kindern hin­
      Patienten mit Atemwegsallergien [6]. Nach einer           sichtlich der Therapie der ersten Wahl und auch
      Studie von Poon und Kollegen zeigen Ausmaß und            einer (gewichtsadaptierten!) Höherdosierung wie bei
      Art der Beeinträchtigung auch große Variationen           Erwachsenen zu verfahren. Gleichzeitig wird gefor­
      zwischen verschiedenen Urtikariaformen [122].             dert, entsprechende Zulassungen der H1-Antihist­
           In den erwähnten Studien wurde die Bestim­           aminika der zweiten Generation auch für jüngere
      mung des HRQoL mithilfe von bei allen Krankheiten         Kinder durch entsprechende Studien zu erwirken.
      anwendbaren oder krankheitsspezifischen, für Haut­
      krankheiten entwickelten Fragebögen durchgeführt.         Behandlung in der Schwangerschaft
      Es gab bislang nur einen krankheitsspezifischen Frage­    Gleiche Überlegungen wie bei Kindern gelten
      bogen für Patienten mit chronischer Urtikaria, der        grundsätzlich auch für schwangere und stillende
      jedoch nicht validiert war [122].                         Frauen. Einerseits sollte nach Möglichkeit jegliche
           Kürzlich wurde ein Fragebogen validiert, der         systemische Therapie bei schwangeren Frauen ver­
      speziell für die chronische spontane Urtikaria ent­       mieden werden, insbesondere im ersten Trimenon.
      wickelt wurde und physikalische, emotionale, sozi­        Andererseits haben schwangere Frauen ebenso ein
      ale und praktische Aspekte, die diese Krankheit           Recht auf die bestmögliche Therapie. Während zwar
      charakterisieren, beinhaltet [7]. Das Ziel war hierbei,   die Sicherheit einer Behandlung mit Antihist­
      ein sensibles und einfaches Instrument zur Evalua­        aminika bei schwangeren Frauen mit Urtikaria nicht
      tion der spezifischen HRQoL bei Urtikariapatienten        systematisch untersucht wurde, muss aber auch
      zur Verfügung zu stellen. Dieses neue Instrument          bedacht werden, dass mögliche negative Auswir­
      mit dem Namen Chronic Urticaria Quality of Life           kungen von erhöhten Histaminkonzentrationen bei
      Questionnaire (CU-Q2oL) wurde in Italien generiert        einer Urtikaria in der Schwangerschaft ebenfalls
      und getestet. Der CU-Q2oL entspricht den Stan­            nicht untersucht wurden.
      dards für Validität mit guter Konstruktvalidität,              Laut der Informationsseite des Pharmako­vigilanz-
      interner Konsistenz, Reliabilität und Responsivität.      und Beratungszentrums für Embryonal­toxikologie
      Durch diese psychometrischen Charakteristika kann         (www.embryotox.de), tätig im Auftrag des Bundes­
      dieser neue Fragebogen sowohl zur Bestimmung der          instituts für Arzneimittel und Medizinprodukte
      allgemeinen Belastung bei chronischer spontaner           (BfArM), ist der Erfahrungsumfang mit Loratadin,
      Urtikaria als auch zur Überprüfung der Effektivität       das im ersten Trimenon am besten untersuchte Anti­
      einer Behandlung verwendet werden. Er wurde in­           histaminikum der zweiten Generation, in der Schwan­
      zwischen ins Deutsche und Spanische übersetzt und         gerschaft hoch. In über 4.000 prospektiv nachver­
      validiert [111, 163]. Polnische, türkische, grie­         folgten Schwangerschaften konnte kein erhöhtes
      chische, bulgarische und englische Versionen werden       Fehlbildungsrisiko nachgewiesen werden. Insbeson­
      derzeit validiert.                                        dere hat sich in zahlreichen Studien kein Verdacht
                                                                auf ein erhöhtes Risiko für Hypo­spadien ergeben, die
      Behandlung von Kindern                                    in einer früheren Studie des schwedischen Geburten­
      Häufig werden in der Behandlung von Kindern mit           registers beobachtet wurden. Die bei einigen älteren
      Allergien H1-Antihistaminika der ersten Generation        Antihistaminika beschriebenen Entzugssymptome
      als Mittel der ersten Wahl verwendet. Dies geschieht      wie Zittrigkeit beim Neugeborenen nach langan­
      zumeist unter der Annahme, dass das Sicherheits­          dauernder Therapie der Mutter bis zur Entbindung
      profil dieser Medikamente aufgrund der langen             wurden bei Loratadin bisher nicht beschrieben.
      Erfahrungen mit diesen Substanzen auf dem Markt                Auch für Cetirizin wird der Erfahrungsumfang in
      besser bekannt ist als das der Antihistaminika der        der Schwangerschaft als hoch eingeschätzt. In vier Stu­
      zweiten Generation. Zusätzlich sind H1-Antihist­          dien mit über 1.000 ausgewerteten Schwangerschaften
      aminika der zweiten Generation nicht zur Anwen­           konnten keine teratogenen Effekte nachgewiesen wer­
      dung bei Kindern unter sechs Monaten zugelassen,          den. Die bei einigen älteren Antihistaminika oben
      während die Empfehlungen hinsichtlich des Ge­             beschriebenen Entzugssymptome beim Neugeborenen
      brauchs von H1-Antihistaminika der ersten Gene­           nach langdauernder Therapie der Mutter scheinen bei
      ration zum Teil weniger eindeutig sind, da sie zu         Cetirizin unwahrscheinlich zu sein.
      einer Zeit zugelassen wurden, in der die Regeln zur            Zusammenfassend empfiehlt Embryotox Lora­
      „good clinical practice“ für die pharmazeutische In­      tadin als Antihistaminikum der ersten Wahl in allen
      dustrie weniger streng waren. Als Konsequenz be­          Phasen der Schwangerschaft, als zweite Wahl Cetiri­
      vorzugen manche Ärzte bei der Behandlung von              zin. Clemastin oder Dimetinden können eingesetzt
      Kindern Antihistaminika der ersten Generation,            werden, falls ein sedierender Effekt des Antihist­

270                                                                                              Allergo J 2011; 20: 259–76
Sie können auch lesen