The Big Bang Theory und die Philosophie - Leseprobe aus: Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.

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The Big Bang Theory und die Philosophie - Leseprobe aus: Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.
Leseprobe aus:

The Big Bang Theory und die Philosophie

       Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.

         Copyright © 2015 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
William Irwin/Dean A. Kowalski (Hg.)

The Big Bang Theory
und die Philosophie
Stein, Papier, Schere, Aristoteles, Locke

Aus dem Englischen von Barbara Reitz und Thomas Wollermann

Rowohlt Taschenbuch Verlag
Die englische Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel
«The Big Bang Theory and Philosophy. Rock, Paper, Scissors,
Aristotle, Locke» bei John Wiley & Sons, Inc., Hoboken/NJ .

Deutsche Erstausgabe
Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag,
Reinbek bei Hamburg, März 2015
Copyright © 2015 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
«The Big Bang Theory and Philosophy» Copyright © 2012 by John
Wiley & Sons. All rights reserved
Redaktion Ana González y Fandiño
Umschlaggestaltung ZERO Werbeagentur, München
Umschlagabbildung FinePic, München
Innengestaltung Daniel Sauthoff
Satz Whitman PostScript (InDesign)
Gesamtherstellung CPI books GmbH, Leck, Germany
ISBN 978 3 499 62892 4
Inhalt
Einleitung...................................................................................... 9
Teil Eins
«Alles begann an ­einem warmen Sommerabend im
antiken Griechenland» Aristotelische Einsichten..................... 13

1.    Sheldon Cooper frei nach Aristoteles:
      Grieche, antik, trifft auf neuzeitlichen Geek...................................... 15
      Greg Littmann

2.    «Als Freund hast du versagt, so was von versagt»:
      Auf der Suche nach aristotelischer Freundschaft
      in The Big Bang Theory....................................................................... 35
      Dean A. Kowalski

3.    Vom Gebrauch und Missbrauch moderner Technik in
      The Big Bang Theory............................................................................ 55
      Kenneth Wayne Sayles III.

Teil Zwei
«Ist es falsch, wenn ich sage, ich liebe unseren
Killer-Roboter?» Ethik und Tugend........................................... 73

4.    Wo hört der Spaß auf?
      Ist es verwerflich, über Sheldon zu lachen?....................................... 75
      W. Scott Clifton

5.    (…) aber ist Wil Wheaton wirklich böse?........................................... 93
      Donna Marie Smith

6.    Braucht man ­eine Mitbewohnervereinbarung?
      Vergnügen, Egoismus und Tugend in The Big Bang Theory........... 113
      Gregory L. Bock und Jeffrey L. Bock

                                                                                                      5
Teil Drei
«Vielleicht meinst du etwas ganz anderes als ich,
wenn du sagst ‹wissenschaftlich›»
Wissenschaft, Szientismus und Religion................................ 135

7.    Grundlagenforschung: Physik in The Big Bang Theory..................... 137
      Jonathan Lawhead

8.    Sheldon, Leonard und Leslie:
      Die drei Gesichter der Quantengravitation...................................... 155
      Andrew Zimmerman Jones

9.    Ein Paradigma, sie alle zu knechten:
      The Big Bang Theory und der Szientismus...................................... 177
      Massimo Pigliucci

10. Mütter, Meinungen, Missverständnisse:
    Wissenschaft und Religion in der Familie Cooper.......................... 199
      Adam Barkman und Dean A. Kowalski

Teil Vier
«Ich bräuchte deine Meinung zu ­einer Frage der Semiotik»
Sprache und Bedeutung.......................................................... 219

11. Wittgenstein und Sprachspiele in The Big Bang Theory................ 221
      Janelle Pötzsch

12. «Sheldon, ich fürchte, du liegst da mit deiner Meinung
    mehr als falsch»: Sheldon und das Talent, noch im
    Unrecht recht zu haben..................................................................... 239
      Adolfas Mackonis

13. Die Cooper-Quizfrage:
    Herrgott, wer toleriert hier eigent­lich wen?..................................... 259
      Ruth E. Lowe

14. Die ganze Wahrheit über Lügen........................................................ 279
      Don Fallis

6
Teil Fünf
«Das gehört zu dem Bereich der menschlichen
Erfahrungen, der sich mir immer entzogen hat»
Der Mensch an und für sich.................................................... 299

15. Mütter und Söhne in The Big Bang Theory..................................... 301
      Ashley Barkman

16. Penny und Sheldon oder:
    Wie man durch Andersartigkeit zu innerer Größe gelangt............. 321
      Nicholas G. Evans

17. Eine Dekonstruktion der Frauen in The Big Bang Theory:
    Weit mehr als «nur» Freundinnen.................................................... 337
      Mark D. White und Maryanne L. Fisher

Dank......................................................................................... 353

Das Episoden-Kompendium: «Hey, das ist ­eine umfangreiche Karte!
Es gibt allein zwei Seiten für Desserts!»..................................................... 355

Die Autorinnen und Autoren: «Aber wenn wir zu dem Team
gehören (…), kriegen wir Gratisdrinks in allen Bars in allen Städten,
in denen Universitäten sind, die ­einen naturwissenschaftlichen
Schwerpunkt haben.» .................................................................................. 359

                                                                                                        7
Einleitung

       «Unraveling the Mysteries» –
       Den großen Fragen auf der Spur
                                          Dean A. Kowalski

Es hat fast vierzehn Milliarden Jahre gedauert, aber nun hal-
ten sie das Buch endlich in Händen: The Big Bang Theory und
die Philosophie. Andere Leute im Buchladen nehmen viel-
leicht gerade Häschen Bernie hat jetzt zwei Daddys oder Jerry
die Rennmaus und die Raufbolde im Bus genauer unter die Lupe,
aber das sind Leute, denen die soziale Kompetenz abgeht, die
Sie und ich ohne Frage besitzen. Diese Dummköpfe werden
wahrscheinlich irgendein anderes Buch kaufen. Aber nicht
Sie. Sie kaufen dieses Buch, weil Sie mit den coolen Typen an
­einem Tisch sitzen – drauf gewettet. Mit der Quittung in der
Hand rennen Sie wie Flash nach Hause, um sich Ihr Lieblings-
müsli zuzubereiten (mit ­einer viertel Tasse Milch) und es sich
auf Ihrem Platz auf der Couch bequem zu machen.
    Es gibt Bücher über Mathematik, Naturwissenschaften und
Geschichte; es gibt Bücher, die erklären, wie man ­eine Mauer
 oder gar ­eine Pyramide errichtet; es gibt sogar Bücher, die
von Neandertalern und ­ihren Werkzeugen und sabbernden
autotrophen Lebewesen handeln. In diesem Buch geht es um
Philosophie, aber Sie benötigen keinen IQ von 187, um sich
 dar­an zu erfreuen. Das schwör ich bei der Kuh! Sie werden
 sehen: Die Philosophie ist reine Theorie, aber das Vergnügen
ist echt.
    Philosophen zerbrechen sich den Kopf über die «großen

                                                             9
Fragen»: Was ist «wirklich wirklich», wie sollen wir uns ver-
halten, was können wir überhaupt wissen? Und Philosophen
stellen gerne in Frage, was die Denker früherer Epochen
über ­diese «großen Fragen» zu sagen hatten. Wir wollen das
einmal anders machen. Dieses Buch will ­Ihnen die Chance
geben, dar­über nachzudenken, was Aristoteles über Sheldons
Leben sagen würde, war­um Thomas Hobbes die Mitbewoh-
nervereinbarung gutheißen und wen Immanuel Kant hochnä-
sig dafür verspotten würde, «unentwirrbare» Lügengespinste
zu spinnen.
   Ja, ­einige Philosophiebücher versuchen zu erklären, was
Wissenschaft überhaupt ist und weshalb sie für uns so wichtig
ist, aber unbegreiflicherweise tun sie das ohne jeglichen Bezug
auf Darth Vaders Macht-Würgegriff, Witze über kugelförmige
Hühner in ­einem Vakuum oder Supermans Wäscheprobleme.
Das soll mal ­einer verstehen. Nur selten wenden sich Philo-
sophiebücher der Frage zu, ob comicversessene Geeks in der
Lage sind, den lieben Gott ­einen guten Mann sein zu lassen,
oder ob sie wissenschaftlich bewandert genug sind, um der
Natur die Maske zu entreißen und in das Antlitz Gottes zu
schauen. Noch seltener erforschen sie, wie linkische Intelli-
genzbestien, die ­eine Schwäche für Superhelden haben, mit
fest im Leben stehenden schönen Frauen aus Indien oder der
Cheesecake Factory in Beziehung treten. Ich kenne kein ein-
ziges, das sich mit der Boshaftigkeit von Wil Wheaton ausein-
andersetzt. Dieses Buch ist ein Saturnalien-Wunder!
   Nein, ich beschimpfe Sie hier nicht im Eskimo-Dialekt.
Lesen Sie einfach ein paar Seiten, dann werden Sie schon
sehen, was ich meine. Je tiefer Sie in Ihr neues Lieblings-
Philosophiebuch eintauchen, desto besser werden Sie ver-
stehen, dass wir ungeachtet unserer Unterschiede und Shel-

10
donesken Wunderlichkeiten nicht einfach bloß Atome sind,
  die gelegentlich zusammenstoßen. Wir sind Personen, wenn
 auch allesamt unvollkommen, die sich nach bedeutungsvol-
 len Beziehungen zu anderen Menschen sehnen, auch wenn
  das rein wissenschaftlich betrachtet nicht immer sinnvoll
 ist. (Nein, Sheldon, das ist kein Sarkasmus – selbst Du ver-
  spürst hin und wieder «unerklärlicherweise Bedürfnisse nach
 menschlichem Kontakt».)
     Na schön, ich gebe zu, es gibt ein paar Dinge, bei denen
­Ihnen dieses Buch nicht weiterhelfen wird. Sie werden nicht
 erfahren, wie Sie ­Ihren eigenen Leonard Nimoy klonen oder
 ­einen «Kripke, der Krippler» bauen können, und auch nicht,
 wie man im Handumdrehen ­einen Super Bowl für Physiker
 gewinnt. Es wird ­Ihnen zwar aller Voraussicht nach genauso
 wenig dabei helfen, auf ­einer Zugfahrt mit der Schauspielerin
 Summer Glau anzubandeln oder dar­über hinwegzukommen,
 dass FOX die Serie Firefly abgesetzt hat, aber es wird Sie zum
 Lachen bringen. Und – nicht weniger wichtig – es wird ­Ihnen
 helfen, eini­gen der größten Fragen des Lebens auf die Spur zu
 kommen – und das alles im heimeligen Licht des Leuchtfisch-
Aquariums auf ­Ihrem Nachttischchen.
     Worauf warten Sie also? Nehmen Sie die Scheinchen, die
 Sie im Hintern der Batman-Figur versteckt haben, kaufen Sie
  sich das Buch und fangen Sie an zu lesen! Halt – die Geistes-
 wissenschaften! Bitte spenden Sie den Rest des Geldes für die
 Geisteswissenschaften. Bazinga!
Teil Eins

«Alles begann an ­einem
warmen Sommerabend
im antiken Griechenland»
Aristotelische Einsichten

                         13
1

Sheldon Cooper frei nach Aristoteles:
Grieche, antik, trifft auf neuzeitlichen Geek
                                            Greg Littmann

       Falls ich jetzt wieder sprechen darf,
       Doktor Sheldon Cooper hat’s voll drauf.
                                     – Dr. Sheldon Cooper,
                                      «Unflotter Dreier»

Sollten wir wie Sheldon Cooper leben? Denken Sie scharf
nach, Sie können sich nicht den Luxus erlauben, in dieser
Frage keine Meinung zu haben. Vierzehn Milliarden Jahre
nach dem Urknall hat die Evolution ein Lebewesen hervor-
gebracht, das sich entscheiden muss, wie es leben möchte –
der Mensch. Wie Sheldon in der Episode «Der Cooper-Hof-
stadter-Antagonismus» sagt: «Wir müssen Nahrung zu uns
nehmen, Exkremente ausscheiden und Sauerstoff einatmen,
um ein vorzeitiges Absterben der Zellen zu verhindern. Alles
andere ist optional.» Sollten wir nicht versuchen, mehr über
die Welt zu erfahren? Ist es in Ordnung, unglaublich viel Zeit
damit zu verbringen, Comics zu lesen und fernzusehen? Wäre
es womöglich besser, unser soziales Leben zu vernachlässi-
gen, um Zeit für andere Dinge zu haben? Das Geek-Leben,
das Sheldon führt, mag zwar ­eine völlig neue Option in der
menschlichen Geschichte darstellen, doch die Frage, wie wir
unser Leben leben sollten, ist so alt wie die Menschheit.

                                                           15
Nachfolgend wollen wir ebendieser Frage nachgehen, und
zwar indem wir Sheldons Lebensweise mit den Idealen ver-
gleichen, die der griechische Philosoph Aristoteles aufstellte,
übrigens ­einer der einflussreichsten Denker aller Zeiten. Das
Interessante dabei ist die Frage, inwieweit sich sein antikes
Konzept ­eines guten Lebens auf ­einen neuzeitlichen Geek wie
Sheldon anwenden lässt. Hierbei soll uns Aristoteles nicht als
Guru dienen, dessen Antworten wir unkritisch übernehmen,
vielmehr wollen wir mit seiner Hilfe unsere eige­nen Lebens-
bedingungen beleuchten, um ein wenig Licht in die wich-
tigste aller Fragen zu bringen: «Wie sollten wir unser Leben
gestalten?» Doch bevor wir mit Aristoteles loslegen, noch
­eine Frage zu Beginn: «Was heißt es eigent­lich, Sheldons
Leben zu leben?»

Ein vom Verstand bestimmtes Leben

     Bernadette: «Sheldon, wann hast du das letzte Mal
        richtig geschlafen?»
     Sheldon: «Keine ­Ahnung, vor zwei, drei Tagen. Unwichtig.
        Ich brauche keinen Schlaf, sondern Antworten. Ich
        will herausfinden, wo in diesem Morast von asymmetri-
        schen Formeln die Unke der Wahrheit hockt.»1

Wenn es etwas gibt, das Sheldon von anderen unterscheidet,
dann ist es die Tatsache, dass er fast sein ganzes Leben aus-
schließlich mit Nachdenken verbringt. Er arbeitet mit seinem
Kopf, und wenn er gerade nicht arbeitet, entspannt er sich
bei Gedankenspielen und Denksportaufgaben. Der Gedanke,
er könne seine Intelligenz einbüßen, macht Sheldon mehr

16
Angst als die Vorstellung, sein Leben zu verlieren. Als Amy
ihm in der Folge «Ein Traum von Bollywood» vorschlägt, er
solle die Erinnerung an die schlechte Evaluierung durch seine
Studenten mit ­einem Laser aus seinem Gedächtnis löschen,
weigert er sich mit der Begründung: «Eine minimale Abwei-
chung reicht aus, und auf einmal hocke ich bei den Ingenieu-
ren und baue mit Wolowitz Kinkerlitzchen.»
    Mit seinem Körper kann Sheldon sich überhaupt nicht iden-
tifizieren. Wenn dieser sich verbessern ließe, würde er an ihm
so bedenkenlos herumschrauben wie an ­einer Maschine. In
der Episode «In der Kreditklemme» offenbart er, dass er hofft,
die Wissenschaft möge bald «eine bezahlbare Methode (ent-
wickeln), um ein Skelett mit Adamantium zu verschmelzen,
wie bei Wolverine». Hätte er die Möglichkeit, würde er seinen
Körper ohne mit der Wimper zu zucken kom­plett aufgeben.
In der Folge «Der sicherste Ort der Welt» hofft er auf «den
Eintritt des singulären Ereignisses (…), zu dem der Mensch
fähig sein wird, sein Bewusstsein in Maschinen zu übertragen
und dadurch unsterblich zu werden». Außer­dem fühlt er sich
geschmeichelt, als man ihm sagt, er habe ­eine gewisse Ähn-
lichkeit mit C-3PO , und ­einer seiner Träume ist es erklärter-
maßen, ein denkender Satellit in der geostationären Erdum-
laufbahn zu werden. Vergleichen Sie das mal mit Raj! Obwohl
auch Raj mehr als glücklich wäre, wenn er seinen Körper
upgraden könnte, besteht sein Ziel nicht dar­in, ­einen für das
Denken optimierten Körper zu besitzen, sondern ­einen, mit
dem sich die pure Lust erleben lässt. In «Drei Monate im Eis»
denkt er laut dar­über nach: «Meine Religion lehrt uns, wenn
wir in diesem Leben leiden, werden wir belohnt im nächsten.
Drei Monate am Nordpol mit Sheldon, und ich werde wieder-
geboren als gut bestückter Milliardär mit Privatjet.»

                                                            17
Sheldon ist im Grunde froh dar­über, dass er gut und gerne
ohne rein körperliche Vergnügungen auskommen kann. Zwar
ist er extrem pingelig, wenn es um seinen Körper geht – das
Essen muss genau das richtige sein, die Temperatur muss
exakt die richtige sein und er muss auf seinem Platz in seiner
Ecke des Sofas sitzen. Dennoch stellt sein Körper eher ­einen
Störfaktor dar, der ihn unzufrieden macht, als ein Quell der
Freude. Sex interessiert ihn nicht die Bohne. Er denkt nicht
einmal dar­an, Leonard zu widersprechen, sondern pflichtet
ihm bei, als dieser in der Episode «Das Vorspeisen-Dilemma»
spöttisch bemerkt, Sex habe nicht mehr zu bieten als «Nackt-
heit, Orgasmen und menschlichen Kontakt». In «Das Cooper-
Nowitzki-Theorem» fragt Penny bei Leonard nach: «Du weißt
schon, wor­auf steht er? Mädchen? Jungs? Aufblaspuppen?»
Und Leonard muss zugeben: «Um ehrlich zu sein, haben
wir bisher angenommen, dass er auf nichts und niemanden
steht.» Was das angeht, ist Sheldon der Ansicht, dass wir alle
ein wenig mehr sein sollten wie er. In der Folge «Die Strei-
chelmaschine» sagt er über Leonard: «Meiner Ansicht nach
ist sein Sexualtrieb überentwickelt. Das führt zu Fahrigkeit.»
Wie sehr Sheldon allein schon der Gedanke an Sex zuwider ist,
offenbart sich unter anderem in der Folge «Der Gestank der
Verzweiflung», als er Amy tatsächlich anzubieten scheint, ein-
mal mit ihr zu schlafen – nur um gleich mit ­einem «Bazinga!»
klarzustellen, dass es sich nur um ­einen Scherz handelt. Leo-
nard, Raj und Howard sind den Freuden des Sex hingegen kei-
neswegs abgeneigt. Howard sieht sein In­ter­esse an Sex sogar
als Wesensmerkmal seiner Persönlichkeit. In «Die Zeitma-
schine» sagt Penny zu Leonard: «(…) es sind die Dinge, die
du liebst, die dich zu dem machen, was du bist», wor­auf­hin
Howard einwirft: «Dann bin ich wohl ein Atombusen.»

18
Alter Grieche und junger Geek

    Sheldon: «Ich bin Physiker. Ich habe fundierte Kennt-
       nisse über das gesamte Universum und alles was dar­in
       ist.»
    Penny: «Wer ist Radiohead?»
    Sheldon: «Ich habe bedeutende Grundkenntnisse über
       die wichtigen Dinge innerhalb unseres Universums.»2

Hat Sheldon recht damit, dass das beste Leben für den Men-
schen ein rein intellektuelles ist? So­kra­tes (469 – 399 v. Chr.),
Platon (428 – 348 v. Chr.) und Aristoteles (384 – 322 v. Chr.),
die «großen Drei» unter den griechischen Philosophen, stell-
ten allesamt das Geistige über das Sinnliche. Die gleiche Mei-
nung vertraten ­eine Reihe anderer antiker philosophischer
Schulen, dar­un­ter die Kyniker, die Epikureer und die Stoiker.
   Aristoteles glaubte, dass sich die Funktion ­einer Sache
davon ableiten lässt, was sie am besten kann. Ein DVD -
Player ist am besten dazu geeignet, DVD s abzuspielen, und
ein Schraubenzieher ist die beste Wahl, wenn du an deinem
Festplattenrecorder die Schrauben lösen musst, weil du ­eine
größere Festplatte installieren möchtest. Denn im Lösen und
Anziehen von Schrauben besteht nun einmal die spezifische
Funktion des Schraubenziehers. Jeder Fisch kann schwim-
men, und jedes Pferd kann galoppieren, das macht ihre jewei-
lige Funktionalität aus.
   Aus dieser Perspektive betrachtet, scheint der Mensch nicht
gerade für besonders viele Dinge gut zu gebrauchen zu sein.
Verglichen mit den in ­ihren jeweiligen Spezialgebieten sehr
leistungsfähigen Tieren sind wir Menschen lahm, schwach,
ungelenk – und uns dessen nicht einmal bewusst. Wir sind

                                                                19
einfach nur ein fettes Stück Frischfleisch auf kurzen nutzlo-
sen Beinchen. Worin der Mensch aber ziemlich gut ist, ist das
Denken. In der Tat sind wir im Denken besser als jede andere
Spezies – zumindest soweit wir das beurteilen können. Daraus
kann man schließen, dass unsere Funktion im Denken besteht,
womit ein geistig erfülltes Leben das beste Leben für uns Men-
schen darstellt. Aristoteles wollte damit nicht etwa sagen, dass
wir uns niemals ertüchtigen, niemals Sex haben oder niemals
irgendwelche anderen körperlichen Tätigkeiten ausüben soll-
ten. So, wie wir nun einmal sind, wäre das nicht ansatzweise
praktikabel. Der Körper ist nun einmal da, aber eigent­lich nur,
um ein Leben in geistiger Betätigung zu unterstützen – und
ebendiese geistige Betätigung macht die Essenz des Mensch-
seins aus. Aristoteles schrieb: «Was ­einem Wesen von Natur
eigentümlich ist, ist auch für es das Beste und Genussreichste.
Für den Menschen ist dies das Leben gemäß dem Geiste, da ja
dieses am meisten der Mensch ist.»3 Aristoteles war fest davon
überzeugt, dass das ideale Leben aus reinem Denken besteht,
ein fast schon übermenschliches Leben, das sich der ungestör-
ten gottähnlichen Kontemplation verschreibt.4 Das ähnelt auf
den ersten Blick Sheldons Wunsch, als denkender Satellit im
Weltraum zu kreisen. Würde uns Aristoteles also raten, wie
Sheldon zu leben? Sieht so das beste Leben für ­einen Men-
schen aus? Zugegeben, die Anhänger von Aristoteles haben der
aufstrebenden Geek-Kultur zu wenig Aufmerksamkeit gewid-
met. Auch weil das Auftauchen und die starke Zunahme von
Wissensdurstigen à la Sheldon, Leonard, Raj und Howard die
Vertreter dieser Schule vor ganz neue Pro­bleme stellt, wenn
es dar­um geht zu bestimmen, was das gute Leben auszeich-
net. Denn, man kann es nicht anders sagen, Geeks widmen
ihr geistiges Potenzial wirklich den absonderlichsten Dingen.

20
Einige der für Geeks typischen Leidenschaften hätte Aris-
toteles mit Sicherheit gutgeheißen. Ihm war wichtig, dass
man beobachtet und Theorien aufstellt, um mehr über das
Universum in Erfahrung zu bringen, und er selbst schrieb
zu allen möglichen Themen seine Beobachtungen sowie
 seine Theorien über die Welt und den Kosmos nieder. Auf
­diese Weise leistete er Beiträge zur Biologie, Botanik, Logik,
Mathematik und Medizin. Durch seinen ungeheuer großen
Einfluss in der Geschichte des Denkens kann er wie kein
anderer Anspruch dar­auf erheben, Begründer der Wissen-
 schaft zu sein.
   Aristoteles sagte, die Wissenden seien den Unwissenden
genauso überlegen wie die Lebenden den Toten.5 So würde
ihn Sheldons Arbeit als theoretischer Physiker, Leonards
Tätigkeit als Experimentalphysiker und Rajs Arbeit in der
Astrophysik tief beeindrucken, und er würde ohne Frage
auch noch dem Luft- und Raumfahrtingenieur Howard sei-
nen Re­spekt zollen, auch wenn dessen höchster Bildungsab-
schluss in Ermangelung ­eines Doktortitels nicht ganz so hoch
einzuschätzen ist, immerhin hat er «nur» ein Di­plom in Inge-
nieurwesen vorzuweisen.
   Aristoteles würde sogar viele von Sheldons Leidenschaf-
ten teilen, die jemandem ohne vergleichbaren Wissensdurst
total lächerlich vorkämen. ­Eine Diskussion über «die wis-
senschaftlichen Grundlagen für den interstellaren Flug auf
dem silbernen Surfbrett», wie sie in der Episode «Sheldon
pro se» erwähnt wird, stellt immerhin ­eine Analyse physi-
kalischer Gesetzmäßigkeiten dar, wenn auch anhand ­eines
etwas ungewöhnlichen Gegenstands. Vorträge über die kor-
rekte Unterwäsche ­eines Ritters oder Spekulationen dar­über,
was mittelalterliche Busen zu erzählen hätten, wenn sie denn

                                                            21
reden könnten, wie in der Folge «Sex mit der Erzfeindin» vor-
gestellt, beruhen auf ­einem breiten Geschichtswissen – ein
Wissensgebiet, das Aristoteles sehr zu schätzen gewusst hat.
Auch Lichter in China via Internet ein- und auszuschalten,
wie in der Episode «Der Cooper-Hofstadter-Antagonismus»
demonstriert, gehört zu der Art wissenschaftlicher Experi-
mente, die die Grenzen neuer Technologien auslotet. Debat-
ten dar­über, ob es möglich wäre, Terminatoren in der Zeit
zurückzuschicken, wie in der Folge «Das Placebo-Bier» ange-
sprochen, oder ob ­eine Teleportation à la Star Trek unweiger-
lich zum Tode führen würde, wie in der Folge «Das Jerusa-
lem-Projekt» erörtert, greifen sehr kon­krete und wichtige
philosophische Fragen auf. Sie ziehen lediglich Beispiele aus
der Populärkultur her­an. Griechische Philosophen haben das
ständig so gemacht. Aristoteles etwa orientierte sich zum Bei-
spiel an Hektor aus der Ilias, um sich mit Fragen über Mut
auseinanderzusetzen, oder an Neoptolemos aus Sophokles’
Stück Philoktetes, um sich mit den Facetten der Selbstbeherr-
schung zu beschäftigen.

Die Freuden ­eines Geeks

     Penny: «Mein Gott, ihr seid erwachsene Männer. Wie könnt
        ihr euer Leben mit diesem albernen Spielzeug ver-
        schwenden und diesen Kostümen und diesen Comics?»6

Zugegeben, ­einige von Sheldons Lieblingsbeschäftigungen
sind intellektuell nicht gerade anspruchsvoll und wirken eher
trivial. Er ist in Themen bewandert, die nicht so richtig wich-
tig sind. So ist er beispielsweise Fachmann für die Geschichte

22
der X-Men und verfügt über ein umfangreiches klingonisches
Vokabular. Er liebt es, sich mit besonders kniffeligen Aufga-
ben zu beschäftigen, die in der realen Welt allerdings keine
Pro­bleme lösen. Er ist ein Meister im 3-D-Schach und ein
Virtuose auf dem Gebiet der frühen Fantasy-Textadventure
wie zum Beispiel Zork. Und in der Folge «Die andere Seite
der Krawatte» können wir ihm dabei zusehen, wie er mit viel
Hingabe die Schlacht von Gettysburg in der Cafeteria mit
Hilfe von Ketchup- und Senfflaschen sowie Salz- und Pfeffer-
streuern nachstellt, nur um herauszufinden, was geschehen
wäre, wenn der Norden durch Saurons Ork-Armee und der
Süden durch diverse Superhelden und Hindu-Götter unter-
stützt worden wäre. Darüber hin­aus verwendet er sehr viel
Zeit und Energie auf populäre MMORPG s (Massively Multi-
player Online Role-Playing Games), wie World of Warcraft und
Age of Conan oder das dem ersten Sammelkartenspiel Magic:
The Gathering ähnliche Fantasy-Kartenspiel Mystic Warlords
of Ka-’a. Sheldon beschäftigt sich mit Pro­ble­men der Pop-
kultur, die keinerlei Auswirkungen auf die reale Welt haben,
genauso intensiv und hingebungsvoll wie mit solchen, die
das sehr wohl tun. So geht er in der Episode «Der Mann der
Stunde» gewissenhaft der Frage nach, was Zombies essen und
ob Vampire sich rasieren, und in der Folge «Die Geschenk-
Hypothese» stellt er Überlegungen an, wie Superman eigent­
lich seine Uniform säubert, wenn ­diese dreckig geworden ist.
   Ähnlich ambitioniert verhält sich Sheldon, wenn es um
Kunst geht, allerdings nicht um die Art von Kunst, die in
intellektuellen Kreisen ein gewisses Prestige genießt. Nein, er
ist ein ausgewiesener Kenner und großer Fan von Battlestar
Galactica, Doctor Who, Firefly, Stargate und Star Trek in all sei-
nen Erscheinungsformen sowie vielen anderen Fernsehserien,

                                                               23
allerdings mit ausdrücklicher Ausnahme von Babylon 5! Seine
Liebe zum Kino ist derart ausgeprägt, dass er den Gedanken
 nicht ertragen kann, zu spät zur Vorstellung von Jäger des ver-
 lorenen Schatzes zu kommen, zumal es um ­eine Fassung geht,
 die 21 Sekunden zusätzliches Bildmaterial enthält, das noch
 nie gezeigt wurde. Und er ist eher bereit seine Freunde zu
verlieren, als den Original-Ring aus der Herr der Ringe-Trilogie
wieder zurückzugeben. Seine größte Leidenschaft auf dem
Gebiet der Kunst aber gilt der Literatur, insbesondere den
Comics. Schon ihr Geruch allein kann ihn schier in Entzü-
 cken versetzen, und er sammelt leidenschaftlich alles, was in
 irgendeiner Verbindung zu seinen Comichelden steht. Zudem
 trägt er mit Begeisterung ihre Kostüme oder Kleidung, die mit
­ihren Symbolen versehen ist. Aristoteles schätzte durchaus
 das Vergnügen an sich, doch seiner Ansicht nach sollte es ein
Vergnügen sein, das aus ­einer sinnvollen Beschäftigung ent-
 steht. Handelt es sich aber bei solchen banalen Hobbys wirk-
lich um ­eine wertvolle Beschäftigung für ­einen intelligenten
Menschen?
    Das führt uns zu der Frage, welche geistige Betätigung
 als sinnvoll gelten kann. Für Aristoteles wäre die Tatsache,
 dass sich Sheldons intellektuelle Bemühungen auf etwas
Fiktionales beziehen, kein Grund, sie deshalb auch als tri-
vial zu bezeichnen. In der Tat vertrat er die Meinung, «die
Dichtung [sei] etwas Philosophischeres und Ernsthafteres als
Geschichtsschreibung; denn die Dichtung teilt mehr das All-
 gemeine, die Geschichtsschreibung hingegen das Besondere
 mit».7 Dass die Dichtkunst als philosophischer und bedeu-
 tender einzuschätzen ist als die Geschichtsschreibung, liegt
 dar­an, dass Letztere sich nur mit Dingen befasst, die tatsäch-
lich passiert sind, während die Poesie sich damit befasst, was

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passieren könnte, und sich so in ­einem weit­aus allgemeineren
Rahmen bewegt. In seiner Schrift Politik betonte Aristoteles
die große Bedeutung, die Poesie und Literatur für die Erzie-
hung haben, und in seiner Schrift Poetik schrieb er ausgiebig
dar­über, was gute Kunst ist.8
   Über das reine Vergnügen hin­aus dient die Kunst laut
Aristoteles noch zwei weiteren legitimen Zielen. Erstens,
Kunst kann uns erziehen; und zweitens, Kunst kann uns zu
besseren Menschen machen. Die Kunst erzieht uns, indem
sie uns erlaubt, das Wesen des Menschen zu erforschen und
so mehr über uns selbst zu erfahren. Indem wir Situationen
theoretisch durchspielen, beispielsweise was vier Freunden
passiert, wenn jeder von ­ihnen den Requisitenring aus Herr
der Ringe für sich behalten möchte, können wir mehr über die
menschliche Natur erfahren als wenn wir bloß tatsächliche
Beispiele menschlichen Verhaltens analysierten. Das Theater
erbaut uns, weil wir uns dort von unseren negativen Gefüh-
len befreien können. Die Tragödie läutert uns zum Beispiel
dadurch, dass wir negative Gefühle wie Angst und Schuld
anhand fiktionaler Charaktere durchleben können, ein Vor-
gang, den Aristoteles Katharsis nennt. Musik erbaut uns in
ganz ähnlicher Weise, indem sie uns mitreißt und so die
negativen Gefühle aus unserem «System» spült. Und was ist
mit der Komödie? Aristoteles hat auch über sie geschrieben,
aber leider ist dieser zweite Teil seines Werks namens Poetik
verlorengegangen. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als
weiter The Big Bang Theory anzuschauen und uns unseren
eige­nen Reim dar­auf zu machen.

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