Therapie seltener idiopathischer Kopfschmerzerkrankungen
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217 © 2005 Schattauer GmbH Therapie seltener idiopathischer Kopfschmerzerkrankungen Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft S. Evers1, A. Frese1, A. May2, G. Sixt3, A. Straube4 1 Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster 2 Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Eppendorf, Hamburg 3 Neurologische Klinik, Regionalkrankenhaus Bozen, Italien 4 Klinik für Neurologie, Klinikum Großhadern, München Schlüsselwörter Keywords steht auch Unsicherheit darüber, wie groß Kopfschmerzklassifikation, idiopathische Kopf- Headache classification, idiopathic headache, treatment ihr Anteil an allen Kopfschmerzen über- schmerzen, Therapieempfehlungen, Indometacin recommendations, indomethacin haupt ist. Es muss jedoch davon ausgegan- gen werden, dass diese Kopfschmerztypen Zusammenfassung Summary häufiger sind, als es ihr Bekanntheitsgrad Die Kopfschmerzklassifikation der International The chapter 4 of the classification of the International annehmen lässt. Dementsprechend liegen Headache Society unterscheidet in ihrem Kapitel 4 Headache Society describes different idiopathic keine kontrollierten Therapiestudien vor, verschiedene idiopathische Kopfschmerzerkrankungen, headache disorders which are regarded as an entity die eine evidenzbasierte Therapieempfeh- die als selten gelten, aber als eigenständige Entitäten although they are very rare. The following headache lung rechtfertigen würden. Allerdings gibt aufgefasst werden müssen. Zu diesen gehören der disorders are classified: primary stabbing headache, es inzwischen genügend Erfahrungen, pub- primäre stechende Kopfschmerz, der primäre Husten- primary cough headache, primary exertional headache, lizierte Fallberichte und offene Studien, kopfschmerz, der primäre Kopfschmerz bei körperlicher primary headache associated with sexual activity, hypnic Anstrengung, der primäre Kopfschmerz bei sexueller headache, primary thunderclap headache, hemicrania die Hinweise geben, welche Therapiestrate- Aktivität, der primäre schlafgebundene Kopfschmerz, continua, new daily-persistent headache. These disorders gien bei diesen Patienten hilfreich sind. Die der primäre Donnerschlagkopfschmerz, die Hemicrania are harmless in nature with a good prognosis but can Deutsche Migräne- und Kopfschmerz- continua und der neu aufgetretene tägliche Kopf- sometimes affect the quality of life in a relevant man- gesellschaft (DMKG) legt daher mit dieser schmerz. Es handelt sich um harmlose Erkrankungen ner. Based on an analysis of the published case reports Publikation erstmals Therapieempfehlun- mit einer guten Prognose, die aber die Lebensqualität and on an expert consent, recommendations for the gen zur Behandlung von Kopfschmerzen der Betroffenen erheblich einschränken können. Auf- treatment of these headache disorders are presented aus Kapitel 4 der IHS-Klassifikation vor. grund einer Analyse der publizierten Fallberichte und although no big randomised, controlled trials are Sie beruhen auf publizierten Therapie- einem Expertenkonsens werden für diese Kopfschmerz- available. Most of these headache disorders respond berichten und auf einem Konsens von erkrankungen Therapieempfehlungen gegeben, auch to indomethacin beside their specific therapy. Kopfschmerzexperten, die Erfahrung in wenn große randomisierte, kontrollierte Studien nicht der Behandlung dieser Kopfschmerztypen vorliegen. Die meisten dieser Erkrankungen sprechen Treatment of rare other primary headaches – neben einer spezifischen Therapie unter anderem auf recommendations of the German Migraine and haben. Die Therapieempfehlungen sind Indometacin an. Headache Society von allen Autoren gemeinschaftlich erstellt und vom Präsidium der DMKG verab- Nervenheilkunde 2005; 24: 217–26 schiedet worden. Gemeinsame Prinzipien E ine Gruppe von Kopfschmerzer- häufig nicht diagnostiziert. In der Erstauf- krankungen ist in Kapitel 4 der revi- lage der IHS-Klassifikation wurden zu die- dierten Klassifikation der Interna- ser Gruppe auch triggerbare Gesichts- der Diagnostik und Therapie tional Headache Society (IHS) zusammen- schmerzen gezählt (32), in der aktuellen gestellt, die als idiopathisch aufgefasst wer- IHS-Klassifikation finden sich dagegen Die Kopfschmerztypen der Gruppe 4 wer- den, sich semiologisch voneinander eindeu- ausschließlich Kopfschmerzen mit einem den anhand semiologischer Kriterien klas- tig unterscheiden und nicht unter den an- Schwerpunkt im Versorgungsgebiet des sifiziert, die in Tabelle 1 dargestellt sind. deren idiopathischen Kopfschmerzerkran- ersten Astes des N. trigeminus (33). Beweisende apparative Diagnostik gibt es kungen subsumiert werden können. Sie Die genaue Prävalenz dieser Kopf- nicht. Ob neben der Anamnese und der kli- sind wenig bekannt und werden deswegen schmerztypen ist nicht untersucht. Es be- nisch-neurologischen Untersuchung weite- Eingegangen am: 23. Januar 2005; angenommen am: 30. Januar 2005 Nervenheilkunde 3/2005
218 Evers et al. Tab. 1 Diagnostische Kriterien der Kopfschmerzen aus der Gruppe 4 der IHS-Klassifikation kunden andauernde Schmerzattacken, die einzeln oder in Serien auftreten und um- schriebene Areale am Kopf betreffen (ma- ximale Größe einer 2-Euro-Münze). Vor- zugsweise liegen sie im Versorgungsgebiet des ersten Trigeminusastes (frontal, orbital, parietal, temporal). Der Schmerzcharakter wird als stechend (engl. stabbing) und mit Bezug zur Intensität als leicht bis mittelgra- dig beschrieben. Er tritt zwischen einmal pro Jahr bis 100 mal pro Tag auf und wie- derholt sich in unregelmäßigen Zeitabstän- den. Gehäuft treten diese Schmerzen bei Patienten mit einem zugrunde liegenden primären Kopfschmerzsyndrom wie Migrä- ne, Clusterkopfschmerz und Kopfschmer- zen vom Spannungstyp spontan auf oder sind triggerbar (z. B. durch kaltes Eis oder Getränke). Unter diesen Kopfschmerztyp werden das häufige »Jabs-and-jolts-syn- drome« (randomisiert auftretende, räum- lich eng begrenzte, stechende Kopfschmer- zen), die »Icepick-like pains« (auch auslös- bar durch Kälte) und die »Ophthalmody- nie« (Sekunden andauernde, lanzinierende Schmerzen im Augenwinkel) subsumiert. Definitionsgemäß treten diese Schmerzen ohne fassbare organische Grunderkran- kung spontan auf. Autonome Begleitsymp- tome fehlen meistens. Die Pathophysiolo- gie ist noch ungeklärt. Epidemiologie Der Kopfschmerz wird häufig bei Patienten mit einem schon präexistenten Kopf- schmerz wie Migräne, Kopfschmerz vom Spannungstyp oder Clusterkopfschmerz diagnostiziert. Hier liegt die Prävalenz bei ca. 2%, wobei eine neuere Studie sogar von bis zu 35% ausgeht (71, 80, 81). Selten kom- men diese Kopfschmerzen auch bei Kin- re apparative Diagnostik zur Differenzial- diagnose erforderlich ist, muss im Einzel- Primär stechender Kopfschmerz dern vor (29). Frauen überwiegen mit ei- nem Geschlechtsverhältnis zwischen 1,5 :1 fall entschieden werden. Eine zwingende (4.1) (80) und 6 : 1 (60). Betroffen sind Men- Indikation zu zerebraler Bildgebung bzw. schen jeden Alters, die Inzidenz steigt weiteren diagnostischen Maßnahmen (z. B. Klinisches Bild jedoch linear mit zunehmendem Alter Lumbalpunktion) ergibt sich nur bei auf- Abzugrenzen von den trigemino-auto- (60). fälligem Befund in der klinisch-neurolo- nomen Kopfschmerzen der Gruppe 3 der gischen Untersuchung und bei den Kopf- IHS-Klassifikation ist der primär stechende schmerztypen 4.2 (primärer Hustenkopf- Kopfschmerz (engl. stabbing headache). Therapie schmerz), 4.4 (Kopfschmerz bei sexueller Bei diesem eigenständigen Kopfschmerz- In der Regel ist diese Art von Kopfschmer- Aktivität) und 4.5 (primärer Donner- typ handelt es sich um paroxysmal auf- zen nicht behandlungsbedürftig. Bei hoher schlagkopfschmerz). tretende, nur Sekundenbruchteile bis Se- Attackenfrequenz und starker Intensität Nervenheilkunde 3/2005
219 Therapie seltener idiopathischer Kopfschmerzen der Schmerzen mit Beeinträchtigung der Tab. 1 (Fortsetzung) Lebensqualität ist die Gabe von Indometa- cin indiziert, das bei über 65% aller Be- troffenen zu einer befriedigenden Unter- drückung führt (18, 60, 74). Indometacin sollte in einer Dosis von 2 x 25-50 mg pro Tag gegeben werden, evtl. ist ein Magen- schutz (Antazidum, H2-Antagonist, Proto- nenpumpenhemmer) notwendig. Es muss noch bestätigt werden, ob möglicherweise Nifedipin 90 mg (35), Melatonin 3-12 mg (73) oder Gabapentin 800 mg (25) bei Ver- sagen oder Nebenwirkungen von Indo- metacin eine wirksame Alternative dar- stellen. Primärer Hustenkopfschmerz (4.2) Klinisches Bild Der primäre Hustenkopfschmerz beginnt plötzlich und hält 1 Sekunde bis 30 Minu- ten an. Er wird ausgelöst durch Husten, Pressen und/oder Valsalva-Manöver und tritt ausschließlich in Verbindung damit auf. In ca. der Hälfte der Fälle ist der Hus- tenkopfschmerz symptomatischer Natur (61). Die häufigste Ursache für einen symp- tomatischen Hustenkopfschmerz ist die Arnold-Chiari-Malformation Typ I. Ande- re symptomatische Formen können durch Raumforderungen in der hinteren Schädel- grube, kraniozervikale Übergangsanomali- en wie die basiläre Impression oder die Pla- tybasie, nicht-rupturierte zerebrale Aneu- rysmen und Pathologien im Bereich der A. carotis oder im vertebrobasilären Ver- sorgungsgebiet verursacht sein (5, 86). Die Ätiologie des primären Hustenkopf- quordruck) zu einer Kompression der Dura Lebensjahr mit 1% angegeben (71). Das schmerzes ist nicht geklärt. Husten führt mater kommt. Dies würde die Wirksamkeit mittlere Alter bei Erkrankungsbeginn liegt durch einen Anstieg des intrathorakalen/ von Indometacin, das zur Reduktion des bei 55-65 Jahren. Männer scheinen 3 bis abdominellen Drucks zu einer Erhöhung ICP führt (84), von Acetazolamid, das die 5 mal häufiger als Frauen betroffen zu sein. des zentralen Venendrucks und somit auch Liquorproduktion vermindert (51), und 57% aller Patienten mit Hustenkopf- zu einem Anstieg des intrakraniellen von Liquorpunktionen erklären. Jüngst schmerz haben eine symptomatische Form Druckes (ICP). Ein Zusammenhang zwi- wurde eine anlagebedingte Enge der hinte- mit einem früheren Erkrankungsbeginn schen dem Hustenkopfschmerz und dieser ren Schädelgrube bei Patienten mit (39 ± 14 Jahre). Der Verlauf der Erkran- ICP-Erhöhung ist plausibel (69, 96). In ei- primärem Hustenkopfschmerz ohne Ar- kung zeigt häufig eine Spontanremission. ner Studie wiesen Patienten mit primärem nold-Chiari-Malformation berichtet (8). Bei den meisten persistiert der primäre Hustenkopfschmerz ein erhöhtes Liquor- Hustenkopfschmerz zwischen 2 Monaten volumen auf (94), wodurch es unmittelbar und 2 Jahren, z.T. leiden Patienten jedoch Epidemiologie nach dem Husten durch einen erhöhten bis zu 12 Jahre und länger an diesen Kopf- Druckgradienten (der Druck in den Zister- Die Prävalenz des primären Hustenkopf- schmerzen (88). nen übersteigt kurzzeitig den lumbalen Li- schmerzes wird zwischen dem 25. und 64. Nervenheilkunde 3/2005
220 Evers et al. Therapie Primärer Kopfschmerz bei 46% der Fälle liegt eine Komorbidität mit Migräne vor (83). Spontane Remissionen Aufgrund der sehr kurzen Dauer einer ein- körperlicher Anstrengung (4.3) sind die Regel, symptomatische Phasen zelnen Attacke des Hustenkopfschmerzes können wenige Tage bis mehrere Jahre lang erübrigt sich eine Akuttherapie in aller Re- Klinisches Bild anhalten (61,77). gel. Wenn möglich sollte der Hustenkopf- Es handelt sich um Kopfschmerzen, die schmerz präventiv behandelt werden wie durch unterschiedliche Formen körper- z. B. durch effektive Therapie respiratori- licher Anstrengung hervorgerufen werden Therapie scher Infekte. können. Als typische Auslöser werden Als nichtpharmakologische Maßnahmen Im Falle häufiger Kopfschmerzattacken sportliche Betätigungen wie Gewichtheben, wird neben der Vermeidung stärkerer kör- ist eine medikamentöse Prophylaxe möglich. Schwimmen und Laufen beschrieben (34, perlicher Aktivität insbesondere in Hitze In einer kleinen doppelblinden Plazebo-kon- 53, 62). Der Schmerzcharakter ist pulsie- oder großer Höhe ein ausreichendes Auf- trollierten Crossover-Studie mit Indometa- rend, die Dauer kann zwischen 5 min und wärmen vor sportlicher Betätigung emp- cin in einer Dosis von 3 50 mg pro Tag 48 h betragen, der Kopfschmerz erfüllt aber fohlen (40). Regelmäßiges körperliches konnte dessen Effektivität beim primären nicht die Kriterien einer Migräne (83). Defi- Training und eine Normalisierung des Kör- Hustenkopfschmerz belegt werden (56). nitionsgemäß werden die Kopfschmerzen pergewichts gelten als hilfreich. Pharmako- Dies wurde in offenen Studien bestätigt (4, 8, ausschließlich durch körperliche Anstren- therapeutisch ist Indometacin Mittel der 69). Die effektive Dosis lag zwischen 25 und gung hervorgerufen und treten während ersten Wahl, für das mehrere Fallberichte 200 mg pro Tag (im Mittel 78 mg). Die Be- oder nach dieser auf. Für die Diagnosestel- eine Wirksamkeit zeigen (10, 11, 57, 61). Bei handlungsdauer betrug 6 Monate bis 4 Jahre. lung ist insbesondere bei erstmaligem Auf- seltener körperlicher Aktivität kann eine Bei Indometacin kann wegen gastrointes- treten der Ausschluss sekundärer Formen Kurzzeitprophylaxe mit 25-50 mg Indo- tinaler Nebenwirkungen ein Magenschutz obligat, die 22% bis 43% der Fälle ausma- metacin ca. 1 h vor der geplanten Betä- (Antazidum, H2-Antagonist, Protonenpum- chen (61, 75). Besonderes Augenmerk ist tigung ausreichend sein. Bei häufigerer penhemmer) notwendig werden. hierbei auf Subarachnoidalblutungen, Ge- körperlicher Aktivität und regelmäßigem Eine Alternative stellt der Carboanhy- fäßdissektionen, Arnold-Chiari-Malforma- Auftreten der Kopfschmerzen wird eine drasehemmer Acetazolamid dar. In einer tionen, Anomalien des kranio-zervikalen prophylaktische Einnahme von 3 25 bis offenen Studie (n = 5) war dieses Medika- Übergangs, Raumforderungen der hinteren 50 mg Indometacin täglich empfohlen. Im ment bei benignem Hustenkopfschmerz Schädelgrube sowie Sinusitiden zu richten Falle gastrointestinaler Nebenwirkungen wirksam (94). Die Patienten erhielten für (61, 75). In Fällen mit höherem Erstmani- kann zusätzlich die Gabe eines Magen- mindestens 4 Wochen Acetazolamid, be- festationsalter und Vorliegen vaskulärer Ri- schutzes (Antazidum, H2-Antagonist, Pro- ginnend mit 3 125 mg pro Tag und einer sikofaktoren muss auch eine koronare tonenpumpenhemmer) notwendig werden. mittleren Erhaltungsdosis von 625 mg (ma- Herzerkrankung als Ursache eines symp- Medikamente der zweiten Wahl sind Pro- ximale Dosis 2000 mg). Zwei Patienten tomatischen Kopfschmerzes bei körperli- pranolol, Flunarizin und Ergotamin, für die wurden zwei komplett beschwerdefrei, cher Anstrengung ausgeschlossen werden kleine Fallserien ein Ansprechen bei einem zwei hatten nur noch Kopfschmerzen bei (sog. kardialer Anstrengungskopfschmerz) Teil der Patienten nahe legen (37, 61, 77). starkem Husten und einer hatte keinen (47). Die genauen Mechanismen, die dem Propranolol in einer Dosis von 3 20-80 mg Therapieerfolg. Weiterhin gibt es 2 Fall- primären Kopfschmerz bei körperlicher An- pro Tag und Flunarizin in einer Dosis von berichte mit Patienten, die auf eine Be- strengung zugrunde liegen, sind ungeklärt. 5-10 mg pro Tag können prophylaktisch ein- handlung mit Methysergid (2 mg pro Tag) Eine intermittierende Zunahme des intra- gesetzt werden, während Ergotamin in einer angesprochen haben (3, 6). kraniellen Drucks durch Valsalva-Man- Dosis von 2 mg als Kurzzeitprophylaxe un- Überdies gibt es Patienten mit primä- növer wurde als Ursache postuliert (6). Ei- mittelbar vor der körperlichen Aktivität zum rem oder symptomatischem Hustenkopf- ne Belastungshypertonie ist auszuschließen. Einsatz kommen kann. Da spontane Re- schmerz, die nach Durchführung einer missionen die Regel sind, sollte nach einer Lumbalpunktion (Entnahme von ca. 40 ml) Therapiedauer von ca. 6-8 Wochen ein Aus- gebessert wurden. Von 14 Patienten wur- Epidemiologie lassversuch unternommen werden. den 6 durch eine Lumbalpunktion be- Die Lebenszeitprävalenz wird zwischen ca. schwerdefrei. Die übrigen 8 Patienten wur- 1% (71) und 12,3% (82) angegeben. Das den mit Indometacin behandelt, worunter Geschlechtsverhältnis ist ungeklärt und Primärer Kopfschmerz bei sexueller es bei 6 Patienten zur Beschwerdefreiheit wird mit ca. 4-7 mal mehr Männern (61, 72) kam (69). Darüber hinaus wurden auch bis zweimal mehr Frauen (82) angegeben. Aktivität (4.4) Therapieeffekte durch Naproxen 550 mg, Die Erstmanifestation ist typischerweise im Klinisches Bild Ergonovin, 1 mg Dihydroergotamin i.v. und jungen Erwachsenenalter (61). Es besteht Phenelzine berichtet (31, 54, 69). Proprano- in ca. 40% eine Komorbidität mit primärem Dieser Kopfschmerz tritt ausschließlich lol war ohne sicheren Erfolg (6). Kopfschmerz bei sexueller Aktivität. In ca. bei sexueller Aktivität auf. Nach der über- Nervenheilkunde 3/2005
221 Therapie seltener idiopathischer Kopfschmerzen arbeiteten Klassifikation der IHS wird ein besteht in 19% bis 47% eine Komorbidität der ersten Wahl, für das mehrere größere Präorgasmuskopfschmerz von einem Or- mit Migräne, in 29% bis 40% mit primärem Fallserien eine Wirksamkeit gezeigt haben gasmuskopfschmerz unterschieden. Beim Kopfschmerz bei körperlicher Anstren- (28, 36, 37, 61, 66, 77). Die empfohlene Präorgasmuskopfschmerz nimmt ein dump- gung und in 45% mit Kopfschmerzen vom Dosis beträgt 3 20-80 mg pro Tag, die An- fer Schmerz in Kopf und Nacken während Spannungstyp (26, 41, 61, 77). Spontane Re- sprechrate liegt bei über 80%. Ebenfalls der sexuellen Aktivität zu, dieser geht mit missionen sind die Regel, symptomatische wirksam scheinen die Betablocker Meto- der Wahrnehmung von Kontraktionen der Phasen können wenige Tage bis mehrere prolol und Atenolol zu sein, jedoch sind die Nacken- und Kaumuskulatur einher. Beim Jahre lang anhalten und im weiteren Ver- Erfahrungen mit diesen Substanzen gerin- Orgasmuskopfschmerz tritt mit dem Or- lauf rezidivieren (28, 77). ger als mit Propranolol (28, 77, 93). Für Kal- gasmus oder kurz vorher plötzlich ein star- ziumblocker steht ein positiver Fallbericht ker, explosionsartiger Kopfschmerz auf. mit Diltiazem einem negativen mit Verapa- Die Schmerzen sind überwiegend bilateral Therapie mil gegenüber, so dass ein Einsatz dieser und diffus oder okzipital lokalisiert. Die Als nichtpharmakologische Maßnahme ist Substanzgruppe nicht empfohlen werden mediane Dauer beträgt 30 Minuten, die eine passivere Rolle beim Geschlechtsver- kann (1, 19). Jede prophylaktische Therapie maximale Dauer 24 Stunden. Häufig ver- kehr ratsam, die bei ca. 50% der Patienten sollte nach ca. 6-8 Wochen probatorisch un- bleibt ein leichterer Nachschmerz, der nach die Kopfschmerzen reduziert (26). Ein Ab- terbrochen werden, da spontane Remissio- spätestens 72 Stunden abklingt (26). Der bruch der sexuellen Aktivität bei Auftreten nen der Erkrankung die Regel sind. Kopfschmerz ist unabhängig von spezifi- erster Symptome kann bei ca. 40% eine schen sexuellen Praktiken (26). Für die weitere Zunahme der Kopfschmerzattacke Diagnosestellung ist insbesondere bei erst- verhindern und ist insbesondere beim Prä- Primärer schlafgebundener maligem Auftreten der Ausschluss sekun- orgasmuskopfschmerz als Präventionsmaß- därer Kopfschmerzen obligat. So entstehen nahme erfolgreich (26). Solange ein leich- Kopfschmerz (4.5) Subarachnoidalblutungen in bis zu 11% terer Nachschmerz besteht, erscheint das Klinisches Bild bei sexueller Aktivität und müssen durch Risiko einer erneuten Kopfschmerzattacke entsprechende Zusatzdiagnostik (CCT, bei erneuter sexueller Aktivität besonders Der primäre schlafgebundene Kopf- Liquoruntersuchung, in besonderen Ver- hoch, so dass für diesen Zeitraum sexuelle schmerz (engl. Hypnic Headache) wurde dachtsfällen CT- oder MR-Angiographie) Inaktivität anzuraten ist (26, 41). erstmals 1988 beschrieben (68) und 2004 ausgeschlossen werden (49). Für Patienten mit länger anhaltenden neu in die Klassifikation der IHS aufge- Die genauen Mechanismen dieses Kopf- Kopfschmerzphasen mit wiederholten nommen. Er stellt eine Kopfschmerzentität schmerzes sind ungeklärt. Frühe Arbeiten Attacken besteht die Indikation für eine dar, bei der es in (fast) jeder Nacht, wenigs- postulierten pathophysiologische Zusam- medikamentöse Therapie: Diese ist für tens aber einmal in der Woche, zu Kopf- menhänge zwischen Präorgasmuskopf- beide Subtypen gleich. Das Therapieziel ist schmerzattacken kommt, die zu einem fes- schmerz und Spannungskopfschmerz sowie die Vermeidung von Kopfschmerzattacken, ten Zeitpunkt nach Schlafbeginn anfangen. zwischen Orgasmuskopfschmerz und Mi- da sich unterschiedliche Schmerzmittel Das regelhafte Auftreten immer zur selben gräne (41). Jüngst konnte eine Störung der (Paracetamol, Ibuprofen, Azetylsalizylsäu- Uhrzeit in der Nacht ist für diesen Kopf- zerebralen Autoregulation für den Orgas- re, Diclofenac) in der Akutbehandlung be- schmerz nahezu pathognomonisch. Die bis- muskopfschmerz nachgewiesen werden reits aufgetretener Attacken in mehr als lang publizierten Fälle sind einer Metaana- (24). Der Nachweis einer fehlenden kog- 90% als unbefriedigend erwiesen haben lyse unterzogen worden (23). Danach sind nitiven Habituation bei Messung ereignis- (28). Bei geplanter sexueller Aktivität kann die Kopfschmerzen in der Regel bilateral korrelierter Potenziale weist auf pathophy- eine medikamentöse Kurzzeitprophylaxe und frontotemporal oder diffus verteilt, siologische Gemeinsamkeiten zwischen mit Indometacin durchgeführt werden. Die von mittlerer Intensität, dauern 30 min bis Orgasmuskopfschmerz und Migräne hin empfohlene Dosis beträgt 50-75 mg ca. eine 3 h und sind nicht von autonomen oder (27). Stunde vor der sexuellen Aktivität. Die vegetativen Symptomen begleitet. Selten Ansprechrate liegt bei über 80% (28, 70). kann es zu einer zweiten Kopfschmerz- Ein einzelner positiver Fallbericht existiert attacke in einer Nacht kommen. Typischer- Epidemiologie über den Einsatz von Naratriptan als Kurz- weise beginnt dieser Kopfschmerz jenseits Die Lebenszeitprävalenz beträgt ca. 1% zeitprophylaktikum (19). Für Diazepam des 50. Lebensjahres mit einem mittle- (71). Männer sind 3-4 mal häufiger betrof- und Ergotamin als Kurzzeitprophylaktika ren Erstmanifestationsalter von 63 Jahren fen als Frauen (26,41,61,77). Das Erstmani- stehen Fallberichten über positive Thera- (Spannbreite 36 bis 83). Der Verlauf ist festationsalter ist zweigipflig mit Maxima pieerfolge jeweils mehr publizierte nega- chronisch, nur in ca. 20% der beschriebe- zwischen dem 20. und 24. Lebensjahr und tive Erfahrungen gegenüber, so dass der nen Fälle kommt es zu einer Spontanremis- dem 35. und 44. Lebensjahr (26). Der Or- Einsatz nicht empfohlen werden kann (38, sion. Der Kopfschmerz beeinträchtigt die gasmuskopfschmerz ist 3-4 mal häufiger als 43, 59, 61, 63, 66, 77). Ist eine Langzeitpro- Lebensqualität insbesondere durch die der Präorgasmuskopfschmerz (26, 36). Es phylaxe notwendig, ist Propranolol Mittel resultierenden Schlafstörungen. Nervenheilkunde 3/2005
222 Evers et al. Die genaue Pathophysiologie ist un- oder sehr guten Therapieerfolg. Substanzen ZNS-Vaskulitis, Hypophysenapoplex, Kol- bekannt. Polysomnographische Studien der zweiten Wahl, für die positive Berichte loidzyste des 3. Ventrikels, spontane intra- konnten zeigen, dass der Kopfschmerz fast publiziert sind, sind Indometacin (100 bis kranielle Hypotension, akute Sinusitis, immer während der ersten REM-Schlaf- 150 mg pro Tag) und Flunarizin (10 mg hypertensive Krise (z. B. im Rahmen eines phase auftritt (15, 22, 64). Ein Zusammen- abends). Prophylaktische Sauerstoffinhala- Phäochromozytoms) bzw. hypertensive hang zwischen REM-Schlaf und Attacken- tion während der Nacht, Betablocker und Enzephalopathie. beginn ist auch für den Clusterkopfschmerz Antidepressiva jeder Substanzklasse sind (9, 58, 65) und – weniger eindrücklich – für in der überwiegenden Zahl der Fälle wir- die Migräne bekannt (17). Möglicherweise Epidemiologie kungslos. handelt es sich also um eine Störung Eine (moderate) Wirksamkeit zur Ku- Zur Prävalenz des primären Donnerschlag- schmerzkontrollierender Systeme während pierung von akuten Attacken wird nur für kopfschmerz gibt es bisher keine Daten. des REM-Schlafs. Azetylsalizylsäure in analgetischer Dosie- Frauen scheinen im Verhältnis von bis zu rung beschrieben. Akute Sauerstoffinhala- 2 zu 1 häufiger betroffen zu sein. Das tion und Sumatriptan s.c. sind wirkungslos. Erstmanifestationsalter liegt im Mittel bei Epidemiologie 45 (Spannbreite 25 bis 67) Jahren (46, 48). Die bevölkerungsbezogene Prävalenz die- 30%-46% der Betroffenen haben in der ses Kopfschmerzes ist nicht bekannt. In Primärer Donnerschlagkopfschmerz Vorgeschichte eine Migräne oder einen zwei Fallserien machte der primäre schlaf- Kopfschmerz vom Spannungstyp (46, 52, gebundene Kopfschmerz ca. 0,1% aller (4.6) 95). Patienten einer Kopfschmerzambulanz aus Klinisches Bild (13, 22). Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Es ist keine Komor- Der primäre Donnerschlagkopfschmerz ist Therapie bidität mit anderen idiopathischen Kopf- ein plötzlich auftretender Kopfschmerz Da die Intensität des Donnerschlagkopf- schmerzen oder mit psychiatrischen oder stärkster Intensität, der dem Kopfschmerz schmerzes in den ersten Stunden sehr stark internistischen Grunderkrankungen be- bei Ruptur eines intrakranialen Aneurys- ist, sollte gleich nach Eintreffen in der Not- kannt. mas ähnelt. Definitionsgemäß sind sowohl aufnahme eine analgetische Therapie ge- die zerebrale Computer- bzw. Kernspinto- geben werden. In dieser Akutphase kann mographie als auch der Liquorbefund auch nach entsprechender Diagnostik die Therapie komplett unauffällig. In der Akutphase fin- Diagnose primärer Donnerschlagkopf- Der primäre schlafgebundene Kopf- den sich bei manchen Patienten in der zere- schmerz nicht mit letzter Sicherheit gestellt schmerz ist bei seltenem Auftreten (d. h. bralen Panangiographie diffuse, segmen- werden, und auch nach Ausschluss einer seltener als 3 pro Woche) und geringem tale und multifokale Vasospasmen in allen Subarachnoidalblutung mittels CCT und Leidensdruck nicht therapiebedürftig. Oft Gefäßterritorien ohne Nachweis eines Liquor bleiben noch bedrohliche Differen- genügt die Aufklärung über das Wesen und Aneurysmas oder einer stattgehabten Blu- zialdiagnosen abzuklären, die die Durch- die Harmlosigkeit der Erkrankung. Kon- tung (14, 85, 87). Diese Vasospasmen waren führung einer Kernspintomographie erfor- trollierte Studien zur medikamentösen in Kontrolluntersuchungen 2-5 Wochen dern (16). Deswegen sollten im Stadium Therapie liegen nicht vor. Nach einer Meta- später komplett reversibel. Üblicherweise der Diagnosestellung unbedingt potenziell analyse der publizierten Fallberichte und tritt der primäre Donnerschlagkopf- vasokonstriktive Substanzen (Ergotamine, Fallserien sollte am Beginn der Therapie schmerz nur einmal im Leben auf. Er kann Triptane) oder Thrombozytenaggregations- ein Versuch mit Koffein gemacht werden durch Hitze getriggert sein (45). Bei bis zu hemmer (Azetylsalizylsäure, NSAR) ver- (23). Bei ca. 50% der Betroffenen sistieren 44% der Patienten kann es jedoch in un- mieden werden. In dieser Phase wird eine die nächtlichen Attacken, wenn wenigstens regelmäßigen Abständen zu einem oder analgetische Therapie mit Paracetamol, eine Tasse mit starkem koffeinhaltigen Kaf- mehreren Rezidiven ohne Anhalt für se- Metamizol oder einem Opioid empfohlen. fee vor dem Schlafen getrunken wird. kundäre Subarachnoidalblutungen kom- Üblicherweise hält der Kopfschmerz in sei- Sollte dieses Verfahren nicht wirksam men (16, 46, 52, 87, 95). ner heftigen Intensität nur einige Stunden sein, kann eine medikamentöse Prophylaxe Unterschiedliche lebensgefährliche Er- an und tritt auch nur einmal im Leben auf. durchgeführt werden. Mittel der ersten krankungen können mit einem plötzlichen Daher ist eine weiterführende Therapie Wahl ist hierbei Lithium in einer Dosis von Kopfschmerz heftigster Intensität einher- zumeist nicht erforderlich. 150-600 mg pro Tag. Lithium sollte ein- gehen. Folgende Erkrankungen müssen Basierend auf der Beobachtung, dass dosiert und nach dem Serumspiegel (0,6 bis durch geeignete diagnostische Mittel aus- Nimodipin bei Vasospasmen nach einer 1,2 mmol/l) eingestellt werden. Kontrollen geschlossen werden: Subarachnoidalblu- Subarachnoidalblutung wirksam ist, wurde der Schilddrüsen- und Nierenfunktion sind tung, intrazerebrales Hämatom, Sinus- an 11 Patienten mit einem primären Don- notwendig. Ca. 75% der mit Lithium be- venenthrombose, nichtrupturierte Gefäß- nerschlagkopfschmerz eine offene, nicht handelten Patienten berichten einen guten malformation, Gefäßdissektion, isolierte Plazebo-kontrollierte Studie mit dieser Nervenheilkunde 3/2005
223 Therapie seltener idiopathischer Kopfschmerzen Substanz durchgeführt. Durch 30-60 mg Therapie Unbedingte Voraussetzung ist, dass sich Nimodipin p.o. alle 4 Stunden kam es bei die Patienten an den subakuten Beginn er- allen Patienten außer bei einem innerhalb Die Hemicrania continua ist obligat In- innern und dass kein episodischer Kopf- von 24 Stunden nach Beginn der Therapie dometacin-sensibel. Das Ansprechen auf schmerz mit langsamer Frequenzzunahme zum Sistieren der Attacken (48).Allerdings Indometacin ist spezifisch (auch in der vorbestand. Weiter sind Erkrankungen, die hatten diese Patienten untypischerweise re- IHS-Klassifikation genannt). Der Wir- ebenfalls zu einem subakut beginnenden zidivierende Attacken. kungseintritt ist prompt, bei ausreichender Dauerkopfschmerz führen können, wie Dosierung sistiert der Kopfschmerz nach Pseudotumor cerebri, Sinusvenenthrombo- spätestens 48 h. Die Therapie sollte mit 3 se, Liquorunterdruckkopfschmerz, chro- 25 mg Indometacin begonnen werden und nische Meningitiden oder ein Schädelhirn- Hemicrania continua (4.7) bei Nichtansprechen jeden 3. Tag bis auf trauma auszuschließen. Ein bestehender Klinisches Bild maximal 200 mg pro Tag erhöht werden Analgetikaübergebrauch schließt die Dia- (79). Unter dem Stichwort Indo-Test wurde gnose aus. Die Hemicrania continua wurde erstmals auch die Gabe von 50 mg Indometacin Experimentelle Untersuchungen oder 1984 beschrieben (78) und besitzt viele Ge- i.m., was in der Regel zu einem Sistieren Modelle sind bisher nicht berichtet wor- meinsamkeiten mit den Kopfschmerzen der Kopfschmerzen innerhalb von 30 min den. Am häufigsten wird von einer postin- der Gruppe 3 der IHS-Klassifikation, wird führt, propagiert (2). Sind auch hohe Dosen fektiösen Genese ausgegangen. Schon in jedoch aufgrund der geringen bis fehlenden von Indometacin unwirksam, muss die den ersten Beschreibungen wurde über autonomen Begleitsymptome in der Grup- Diagnose verworfen werden. Evt. ist die einen Zusammenhang mit Virusinfekten pe 4 geführt. Im Gegensatz zum Cluster- Gabe eines Magenschutzes erforderlich berichtet (92). Spätere Kasuistiken und kopfschmerz klagen Patienten mit einer (Antazidum, H2-Antagonist, Protonen- kleine Fallserien haben immer wieder auf Hemicrania continua über einen konti- pumpenhemmer). eine positive Epstein-Barr-Virus(EBV)- nuierlich vorhandenen Schmerz, auf den In der Literatur existieren darüber hi- Serologie bei Betroffenen hingewiesen (12, einzelne Schmerzattacken unterschiedli- naus Einzelfallberichte über die positive 20, 44, 50). In einer größeren Fallserie von cher Länge aufgepfropft sind, die nur bei Wirksamkeit von Naproxen, Koffein, La- Kindern (n = 175) mit chronischen Kopf- Exazerbation der Schmerzen auch mit motrigin, Gabapentin, Methysergid oder schmerzen wurden 40 Kinder mit einem milden autonomen Begleitsymptomen ein- Kortikoiden (67). akuten Beginn identifiziert, von denen hergehen (55, 67). Ca. 50% der Patienten 43% den Beginn während einer Infektion beschreiben eine Zunahme der Schmerzen hatten und davon wiederum etwas über nachts. Über 50% der Patienten mit einer Neu aufgetretener täglicher 50% eine EBV-Infektion hatten (50). Hemicrania continua leiden von Beginn an Kopfschmerz (4.8) unter einem chronischen Verlauf. Nur we- nige (unter 15%) erfahren einen episodi- Klinisches Bild Epidemiologie schen Verlauf mit alternierenden aktiven Diese Kopfschmerzform wurde 2004 neu in Nach bevölkerungsbasierten Untersuchun- und inaktiven Phasen. Sekundäre Formen die Klassifikation der IHS aufgenommen, gen leiden etwa 3% bis 5% der Bevöl- sind beschrieben (90). In der Anamnese ist wobei die Abgrenzung zum chronischen kerung an (fast) täglichen Kopfschmerzen. hier wie bei anderen Dauerkopfschmerzen Kopfschmerz vom Spannungstyp schwierig Davon haben 2% bis 3% einen chroni- eine genaue Analgetikaanamnese notwen- und auch umstritten ist. Es handelt sich schen Kopfschmerz vom Spannungstyp mit dig, da die Klinik nicht selten durch einen um einen anamnestisch akut bis subakut einem Überwiegen des weiblichen Ge- Analgetikaübergebrauch verschleiert wer- innerhalb von 3 Tagen auftretenden Kopf- schlechtes (ca. 2 : 1 häufiger). Etwa 2% ha- den kann. schmerz, der ab diesem Zeitpunkt mehr ben eine chronische Migräne und 0,2% oder weniger konstant vorhanden ist und einen neu aufgetretenen täglichen Kopf- nicht remittiert. Der Charakter dieses schmerz (engl. new persistent chronic daily Epidemiologie Kopfschmerzes entspricht dem eines Kopf- headache) oder sehr selten eine Hemicra- Die Prävalenz ist unbekannt, die Erkran- schmerzes vom Spannungstyp, manchmal nia continua (39, 42). In einer indischen kung wird jedoch wahrscheinlich unter- mit leichter migräneartiger Komponente; Erhebung aus dem Jahr 2003 findet sich in diagnostiziert. Im Gegensatz zum Cluster- d.h. es handelt sich um einen bilateralen, 1,5% aller Patienten mit chronischen Kopf- kopfschmerz überwiegen die Frauen ge- eher nicht pulsierenden, eher drückenden schmerzen ein neu aufgetretener täglicher genüber den Männern mit 2-3 : 1 (67). Die Kopfschmerz von leichter bis mittelschwe- Kopfschmerz (7). Erkrankung beginnt in der Regel im 3. Le- rer Intensität; Phono- bzw. Photophobie Für diese Form des chronischen Kopf- bensjahrzehnt. Es wurden jedoch auch können milde ausgeprägt vorkommen, schmerzes wird ein ausgeglichenes Ge- Fälle beobachtet, in denen die Erkrankung ebenso eine leichte Übelkeit, wobei bis zu schlechtsverhältnis (89) oder leichtes Über- schon ab einem Alter von 11 Jahren oder 60% der Patienten über diese Symptome wiegen der Frauen (21, 44) beschrieben. erst mit 58 Jahren ihren Beginn nahm. berichten (30, 44, 76). Der Beginn soll vorwiegend im 2. bzw. Nervenheilkunde 3/2005
224 Evers et al. 3. Lebensjahrzehnt liegen mit einem zwei- 30% bis 40% der Patienten (44, 89). Mögli- Therapie ten Gipfel im 6. Jahrzehnt, Kopfschmerzen cherweise liegt ein weiterer Erkrankungs- in der Vorgeschichte finden sich bei etwa gipfel in der Kindheit (50). Evidenzbasierte Therapievorschläge sind nicht publiziert worden. Allgemeiner Kon- sens in den publizierten Einzelfällen bzw. Tab. 2 Pragmatische Empfehlungen für die Therapie von Kopfschmerzen aus der Gruppe 4 der IHS-Klassifikation. Die Fallserien ist, dass die Therapie generell Empfehlungsstärke wird dabei wie folgt klassifiziert, wobei neben der Evidenzstärke die Größe des Effekts, die Abwägung sehr schwierig ist (20, 30, 89). Je nach Kopf- von bekannten und möglichen Risiken, Aufwand, Verhältnismäßigkeit, Wirtschaftlichkeit oder ethische Gesichtspunkte schmerztyp – mehr migräneartig oder mehr berücksichtigt werden müssen: wie ein Kopfschmerz vom Spannungstyp – A: Hohe Empfehlungsstärke aufgrund starker Evidenz oder bei schwächerer Evidenz aufgrund besonders hoher Versor- gungsrelevanz wird eine prophylaktische Therapie mit B: Mittlere Empfehlungsstärke aufgrund mittlerer Evidenz oder bei schwacher Evidenz mit hoher Versorgungsrelevanz oder Valproinsäure (600-900 mg pro Tag) oder bei starker Evidenz und Einschränkungen der Versorgungsrelevanz mit einem trizyklischen Antidepressivum C: Niedrige Empfehlungsstärke aufgrund schwächerer Evidenz oder bei höherer Evidenz mit Einschränkungen der Versor- (bis 150 mg Amitriptylin pro Tag) empfoh- gungsrelevanz len (30, 73). Eine Therapiestrategie mit initialem Einsatz eines zentral wirksa- men Muskelrelaxans, bei Wirkungslosigkeit dann eines trizyklischen Antidepressivums, dann eines Serotonin-Wiederaufnahme- hemmers und dann eines Antiepileptikums erbrachte bei 25% der Patienten eine effektive Schmerzbesserung und bei 50% keine Schmerzbesserung (89). Über den Langzeitverlauf liegen keine gesicherten Beobachtungen vor. Früher wurde ange- nommen, dass etwa 30% der Patienten nach 3 Monaten und etwa 80% nach 24 Monaten beschwerdefrei sind (91). Die- ser Einschätzung wird von anderen Auto- ren widersprochen (20, 30, 89), die auf einen in der Regel therapierefraktären Ver- lauf bei über 50% in einem Beobachtungs- zeitraum von 40 Monaten hinweisen (89). Ausblick Die hier beschriebenen Kopfschmerztypen werden eher selten diagnostiziert, sind jedoch auch keine Raritäten. Mit zuneh- mender Kenntnis ihrer Existenz wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer steigen- den Diagnosehäufigkeit kommen. Die Er- krankungen können anhand standardisier- ter Kriterien (vgl. Tab. 1) diagnostiziert werden. Die Therapie ist in vielen Fällen einfach und bedarf keiner besonderen Expertise (Übersicht in Tabelle 2). Die hier vorgestellten Therapieoptionen sind jedoch bislang nicht ausreichend evidenzbasiert, sondern stützen sich auf Fallbeschreibun- gen und einen Expertenkonsens. Daher fordert die DMKG dringend kontrollierte Studien für diese Kopfschmerztypen (auch Nervenheilkunde 3/2005
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