Töchter des Ares - Gefährtinnen der Artemis Die Amazonen und das Frauenbild der Antike

Die Seite wird erstellt Jördis Block
 
WEITER LESEN
Töchter des Ares - Gefährtinnen der Artemis Die Amazonen und das Frauenbild der Antike
5. To?chter des Ares neu_7.2:Musterseite Sonderbände_7.2   02.10.2007   11:46 Uhr   Seite 11

             Töchter des
             Ares – Gefährtinnen
             der Artemis

                            Die Amazonen und
                     das Frauenbild der Antike
Töchter des Ares - Gefährtinnen der Artemis Die Amazonen und das Frauenbild der Antike
5. To?chter des Ares neu_7.2:Musterseite Sonderbände_7.2         02.10.2007     11:46 Uhr    Seite 12

                           D
                                 ie Amazonen zählen zu den bekanntesten, zugleich         nen Kriegerinnen unmissverständlich zum Ausdruck ge-
                                 aber auch zu den mysteriösesten Protagonisten, die       bracht wird (Abb. 3). Allein die Tatsache, dass sie dem an-
                           uns aus der griechischen Mythologie überliefert sind. In       tiken Betrachter in zahlreichen Heiligtümern, auf Gebäu-
                           der darstellenden Kunst treten sie zumeist in Kampfsitua-      den des öffentlich-politischen Raums und vor allem auf
                           tionen oder in Rüstszenen auf, wodurch der militärische        Vasenbildern in kaum noch überschaubarer Quantität
                           Wesenszug dieser furchteinflößenden und unerschrocke-          präsent waren, verdeutlicht auf beeindruckende Weise,
                                                                                          wie stark der Amazonenmythos im Verständnis der grie-
                                                                                          chischen Kultur verankert gewesen sein muss. Dabei be-
                                                                                          legen die schriftlichen Quellen des Altertums auf sehr an-
                                                                                          schauliche Art, dass die entsprechenden Überlieferungen
                                                                                          offensichtlich auf keinem einheitlichen Erzählstrang
                                                                                          fußen, der die gesamte Antike hindurch unverändert Be-
                                                                                                  stand hatte. Im Gegenteil: Es lassen sich heute
                                                                                                 zahlreiche unterschiedliche, zumeist durch regio-
                                                                                                 nale Besonderheiten modifizierte Legenden fassen,
                                                                                                die – auch durch den Zeitgeist bedingt – durchaus
                                                                                             aktualisiert und in ihrer Grundstruktur verändert wer-
                                                                                          den konnten. Eines haben die verschiedenen Überliefe-
                                                                                          rungen jedoch gemeinsam: In allen Fällen handelt es sich
                                                                                          um Berichte, Sagen und Legenden über ein Frauenvolk,
                                                                                          das unmöglich mit dem Idealbild der griechischen Ge-
                                                                                          sellschaft zu vereinbaren war. Doch was können wir den
                                                                                          antiken Berichten gerade zu diesem Themenkomplex ent-
                                                                                          nehmen?

                                                                                 Abb. 3
                                                                               Die Amazonen hatten nichts mit dem Idealbild der Frau in der grie-
                                                                              chischen Antike gemein. Allein schon durch ihre Bewaffnung waren sie
                                                                             den Männern ähnlich charakterisiert. Dies zeigt die Darstellung auf
                                                                           einer rotfigurigen Hydria in München (Ende 6. Jh. v. Chr.).

                           Der Name der Amazonen
                           antike und moderne Erklärungsversuche

                           S
                                chenkt man den Äußerungen der antiken Autoren             rechte Brust hinweg, um im Wurfspießwerfen nicht ge-
                                Glauben, so verweist allein der Name «Amazonen»           hindert zu sein, ließen aber die linke an ihrer Stelle, um
                           bereits auf die unglaubliche Härte und Strenge, die in die-    säugen zu können.» (Apollodor II 98; Zählung und Übers.
                           sen Frauengemeinschaften nach antiker griechischer Vor-        C. G. Moser/D. Vollbach)
                           stellung an der Tagesordnung gewesen sein sollen. So kön-         Laut dem im 1. Jh. v. Chr. schreibenden Diodor (III 53)
                           nen wir der Bibliothek, einer Sammlung zahlreicher             brannten diejenigen Amazonen, die in Afrika lokalisiert
                           Sagenstoffe aus dem 1. bzw. 2. Jh. n. Chr., u. a. folgendes    wurden, den kleinen Mädchen sogar beide Brüste weg,
                           entnehmen: «Hatten sie [die Amazonen] sich je einmal           damit diese im Erwachsenenalter den Umgang mit den
                           mit Männern eingelassen und geboren, so erzogen sie nur        Waffen nicht einschränkten. Den Jungen, die das Licht der
                           die Kinder weiblichen Geschlechts. Sie pressten auch die       Welt erblickten, verstümmelten sie dagegen die Beine und

                           12 | Töchter des Ares – Gefährtinnen der Artemis
Töchter des Ares - Gefährtinnen der Artemis Die Amazonen und das Frauenbild der Antike
5. To?chter des Ares neu_7.2:Musterseite Sonderbände_7.2             02.10.2007   11:46 Uhr      Seite 13

             die Arme (II 45), um von Anfang an zu verhindern, dass            So leitete beispielsweise der Altertumsforscher Friede-
             sie eines Tages zu berühmten oder gar gefährlichen Geg-       rich Cornelius den Begriff aus der hethitischen Sprache ab
             nern werden konnten. Waren die Amazonen also ein Volk         und übersetzte ihn mit «Frau aus dem Lande Azzi»; ein
             unbarmherziger Frauen, die ihr ganzes Leben nur dem           Land, das an der heutigen türkischen Schwarzmeerküste
             Kampf widmeten und alles dafür taten, dass die jeweils        lokalisiert wird. Diese Frauen hätten sich – so der For-
             nächste Generation diesem Ideal Folge leistete? Hießen        scher – im 13. Jh. v. Chr. gegen ihre männlichen Unter-
             sie also deshalb Amazonen, da ihr Name in der griechi-        drücker zur Wehr gesetzt und den (Geschlechter-)Kampf
             schen Sprache auch als a-mazos verstanden werden konnte,      in der Folgezeit nach Westkleinasien getragen. Durch das
             was in der Übersetzung soviel wie «brustlos» bedeutete?       Zusammentreffen mit den Griechen sei dann die Volks-
                 Das sog. Brustmotiv tritt in der literarischen Überlie-   etymologie a-mazos, also brustlos, entstanden. Diese be-
             ferung interessanterweise erstmals in einer Schrift des       merkenswert konkrete These des Forschers hat in der
             5. Jhs. v. Chr. auf, die dem berühmten Arzt Hippokrates       wissenschaftlichen Literatur jedoch nur wenig Anklang
             zugewiesen wird (Über die Umwelt 17). Dieser Autor er-        gefunden, da sie in letzter Konsequenz nicht zu belegen
             wähnt das Motiv zwar im Zusammenhang mit dem Volk             ist. Ähnliches gilt auch für vereinzelt vorgeschlagene
             der Sauromaten aus dem nördlichen Schwarzmeergebiet           Ableitungen des Namens aus dem persischen Raum.
             und bezieht es somit nicht direkt auf die Amazonen. Aber          Aus sprachwissenschaftlicher Sicht sei eine Herleitung
             wir kennen auch eine Textstelle bei Herodot (IV 110 –         des Begriffes Amazonen – und hiermit kehren wir wieder
             116), der die Sauromaten in ihrer Genese auf eine Verbin-     in den griechischen Kulturkreis zurück – nach Ansicht
             dung der Amazonen mit den Skythen zurückführt. Somit          einiger weniger Forscher auch aus der griechischen Vor-
             ist wiederum eine Verbindung zum Amazonenmythos ge-           silbe ama im Sinne von vereint bzw. zusammen und dem
             geben. Frühere Belege für das sog. Brustmotiv kennen wir      Substantiv zone (Gürtel) denkbar. Demnach würde Ama-
             bislang nicht, weshalb es äußerst schwierig zu entscheiden    zone etwa soviel wie «wohlgegürtet» bedeuten, und der
             ist, ob das Ritual bereits zum ursprünglichen Sagenstoff      Name des kriegerischen Frauenvolkes ließe sich auf ein
             gehört hat oder erst in der klassischen Zeit (5./4. Jh.       bestimmtes Element der Bekleidung zurückführen. Doch
             v. Chr.) als Erzählstrang entstanden ist.                     auch dieser Erklärungsansatz stellt nicht mehr als eine
                 Vor allem das Faktum, dass auf keiner einzigen uns        reine Vermutung dar und ist letztlich nicht zu belegen, da
             heute erhaltenen Amazonendarstellung diese auf den er-        er einerseits etymologisch sehr gewagt ist, und andererseits
             sten Blick zunächst einleuchtende Namenserklärung ihre        die bildliche Überlieferung auch in diesem Zusammen-
             Bestätigung findet, lässt Zweifel aufkommen, dass es sich     hang keine überzeugenden Beweise bietet.
             um einen ursprünglichen und maßgeblichen Bestandteil              Die Diskrepanz zwischen bildlicher Darstellung und
             des Mythos handelt. Wo die Vasenbilder oder die Figuren       literarischer Überlieferung lässt sich ebenso wenig mit
             der griechischen Plastik sekundäre Geschlechtsmerkmale        dem folgenden, aus der Praxis entlehnten Deutungs-
             anatomisch korrekt berücksichtigen, werden die Amazo-         modell überwinden: Die Amazonen hätten ihre rechte
             nen durch die gesamte Antike hindurch immer mit beiden        Brust durch ein Kleidungsstück zeitweise eng an den Kör-
             Brüsten dargestellt (vgl. Abb. 8. 36. 43). Daher nimmt die    per gepresst, um beim Werfen des Speeres oder beim
             heutige Forschung zurecht an, dass das Brustmotiv ein         Schießen mit dem Bogen uneingeschränkte Bewegungs-
             erst im Laufe der Zeit entstandener, sicherlich dramatur-     freiheit zu erzielen. Es ist uns keine vergleichbare Darstel-
             gisch motivierter Erklärungsversuch ist, der den ur-          lung oder eine literarische Entsprechung aus der Antike
             sprünglichen Legenden mit hoher Wahrscheinlichkeit            überliefert, die diesen Rückschluss rechtfertigen könnte.
             nicht gerecht wird.                                               Was bleibt also, wenn wir uns die Frage nach dem
                                                                           Ursprung des Amazonennamens stellen wollen? Streng
                                                                           genommen müssen wir uns eingestehen, dass diese Frage
                     Der Name bleibt ein Geheimnis                         nicht beantwortet werden kann. Der einzige uns bekannte
                                                                           antike Erklärungsversuch, der das Adjektiv a-mazos
             Doch auch heutzutage werden Versuche unternommen,             verwendet, steht im Gegensatz zu allen bildlichen Dar-
             den Namen der Amazonen historisch oder etymologisch           stellungen – und die modernen historischen oder sprach-
             in seinem Ursprung zu fassen. Vergleichbar den antiken        wissenschaftlichen Thesen lassen sich allesamt nicht
             Autoren bemühen wir die Sprachwissenschaften oder die         belegen. So bleibt dieser Aspekt des Amazonenmythos
             archäologischen Nachbardisziplinen, um uns dieser spe-        weiterhin im Dunkeln und gibt sein Geheimnis (noch)
             zifischen Frage zu nähern.                                    nicht preis.

                                                                                Töchter des Ares – Gefährtinnen der Artemis | 13
Töchter des Ares - Gefährtinnen der Artemis Die Amazonen und das Frauenbild der Antike
5. To?chter des Ares neu_7.2:Musterseite Sonderbände_7.2            02.10.2007       11:46 Uhr   Seite 14

                                                                                     Abb. 4
                                                Bevor die Griechen ab dem 7. Jh. v. Chr. das
                                       Schwarze Meer Schritt für Schritt kolonisierten, ver-
                                         ortete man in dieser Region zahlreiche Schauplätze
                                       der hellenischen Mythologie. Dabei zählte gerade die
                                          heutige türkische Schwarzmeerküste – im Bild ex-
                                          emplarisch die Küstenlandschaft bei Kurucaşile –
                                        als Wirkungsstätte der Amazonen, die vom Thermo-
                                                          don aus ihre Herrschaft ausübten.

                 Die Heimat der Amazonen
                                      vom Schwarzen Meer
                                           bis nach Afrika

                           S
                               pricht man heute von den Amazonen der griechischen
                               Mythologie, so sind in der Regel die streitbaren
                           Frauen gemeint, die in einem sagenumwobenen Reich am
                           Thermodon zuhause waren. An der Südküste des Schwar-
                           zen Meeres gründeten die Amazonen der Überlieferung
                           zufolge in grauer Vorzeit ihre Hauptstadt Themiskyra und
                           begannen von dort aus, Angst und Schrecken bis nach
                           Zentralgriechenland zu verbreiten. Aus archäologischer
                           Sicht ist diese Lokalisierung bislang nicht greifbar, da die
                           Überreste Themiskyras, das im Zusammenhang mit den
                           Mithradatischen Kriegen im 1. Jh. v. Chr. nochmals in
                           den Schriftquellen Erwähnung findet, bis heute nicht
                           identifiziert werden konnten. Einzig den antiken Ther-
                           modon setzt man heute überwiegend mit dem türkischen
                           Fluss Terme Çay östlich der modernen Küstenstadt Sam-
                           sun gleich, wodurch das einstige Herrschaftsgebiet der
                           Amazonenköniginnen zumindest ansatzweise geogra-
                           phisch eingegrenzt wäre.
                              Auch den Griechen der Antike werden wohl, wenn die
                           Sprache auf die Amazonen kam, überwiegend die südli-
                           chen Küstenregionen des Schwarzen Meeres in den Sinn
                           gekommen sein. Dennoch belegen u. a. einige Passagen
                           aus der berühmten Weltgeschichte Diodors (III 52–55),
                           dass diese Verortung des mythischen Frauenvolkes nicht
                           die einzig mögliche antike Tradition gewesen ist. Im Ge-
                           genteil: Der berühmte griechische Geschichtsschreiber
                           hebt einen offenbar frappanten Missstand der Informati-

                           14 | Töchter des Ares – Gefährtinnen der Artemis
5. To?chter des Ares neu_7.2:Musterseite Sonderbände_7.2   02.10.2007   11:46 Uhr   Seite 15

                                                                    Töchter des Ares – Gefährtinnen der Artemis | 15
Sie können auch lesen