Tagesarbeitszeiten in der Reinigungsbranche - Nicht aller Tage Abend? - FairPlusCleaning

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Tagesarbeitszeiten in der Reinigungsbranche - Nicht aller Tage Abend? - FairPlusCleaning
Nicht aller Tage Abend?

   Tagesarbeitszeiten in der
   Reinigungsbranche

Dr. Karin Sardadvar, WU Wien
FairPlusCleaning Praxisaustausch, 20.3.2019

Projekt SPLITWORK
Austrian Science Fund (FWF): V 598-G16

                                              Finanziert durch IP Gleichstellung
Tagesarbeitszeiten in der Reinigungsbranche - Nicht aller Tage Abend? - FairPlusCleaning
Überblick

1. Arbeitszeiten in der Reinigung: Was wissen wir?
2. Tagesrandarbeitszeiten: Folgen für Work-Life-Balance und speziell für
   Frauen
3. Vorteile von Tagesarbeitszeiten: Kampagnen und Befunde
   Schwerpunkte: Vorteile für Beschäftigte und für Reinigungsbetriebe
4. Erfahrungen aus Skandinavien: Das Beispiel Norwegen
5. Fazit

 Schwerpunkt: Unterhaltsreinigung

                                                                        Foto: pixabay_orzalaga
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1.
Arbeitszeiten in der Reinigung:
Was wissen wir?
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Arbeit im Dienstleistungsdreieck

 Auslagerungen von                          Kundenunternehmen
  Reinigungstätigkeiten
  Reinigungsunternehmen
 Dienstleistungsdreieck 
  Kundenwunsch  Verlagerung
  der Reinigungsarbeit an die
  Tagesränder
 Arbeit am frühen Morgen und
  späten Nachmittag/Abend,                  Dienstleistungs-
  geteilte Dienste                              dreieck
 Fenster ohne Nachtzuschläge:
  6-21 Uhr

                        Reinigungsbetrieb                        Reinigungskraft
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Arbeitszeiten in der Reinigungsbranche im
internationalen Vergleich

                                            EFCI 2017: 17
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Daten und Datenlücken

 Bedarf nach genaueren, vergleichbaren Daten
 Unterschiede zwischen verschiedenen Erhebungen
 Datendefinitionen EFCI nur vage, nationale Schwankungen
 Aussagekraft der Daten darf nicht überbewertet werden,
  aber Tendenzen erkennbar
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Michenthaler et al. 2013: 15
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Ergebnis FairPlusCleaning

 Erhebung unter 51
  Reinigungsunternehmen im Rahmen
  von FairPlusCleaning:
 Mehr als 60 Prozent der Betriebe
  wünschen sich Tagesarbeitszeit

                                       ÖSB 2018: o.S.
                                     Foto: pixabay_obpia30
2.
Folgen für Work-Life-Balance und
speziell für Frauen
Branchen mit besonders ungleichem
Geschlechterverhältnis in Europa

          https://ec.europa.eu/eurostat/de/web/products-eurostat-news/-/EDN-20180307-1
Verbesserungen der Arbeitszeit:
Auch eine Gleichstellungsmaßnahme

 Gesellschaftliche Zuweisung von unbezahlter Haus- und
  Betreuungsarbeit an Frauen
 Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und unbezahlter Arbeit wichtiges
  Thema in Branchen mit hohem Frauenanteil
 Gleichzeitig: Geschlechtersegregation innerhalb der Branche  vor
  allem Frauen in Bereichen mit geteilten Diensten und Randzeiten tätig
  (Unterhaltsreinigung vs. Hausbetreuung)

 Verbesserungen bei der Arbeitszeit bedeuten faktisch-empirisch vor
  allem Verbesserungen für Frauen
Verbesserungen der Arbeitszeit:
Auch eine Gleichstellungsmaßnahme

 Unsicherheitsgefühle beim Unterwegs-Sein in den frühen
  Morgenstunden

 Unsicherheitsgefühle beim Allein-Sein in Gebäuden

 Betreffen nicht nur Frauen, werden aber von ihnen
  verstärkt zum Ausdruck gebracht
Work-Life-Balance: Mehr als
Kinderbetreuungspflichten

Beispiel Familienleben:
„Oder die Kinder wollten mit der Mama und Papa am Abend vielleicht ins Kino gehen oder so.
Was kann ich machen? Nichts. Wenn ich nach Hause komme, bin ich müde.“
(Frau B., Großunternehmen, Reinigung)

Beispiel Partnerschaft:
„Wir sehen uns … dreimal in der Woche sehen wir uns eine Stunde am Tag. Nur für eine junge
Ehe wäre es nichts (lacht). Aber bei uns ist das halt so.“
(Frau D., Großunternehmen, Reinigung)

Beispiel Sozialleben:
„wenn man jetzt weggehen will oder irgendwas, kann ich es eigentlich nur am Samstag
machen. Am Freitag bin ich so todmüde. Und mit dem Wissen, dass ich um 4.20 Uhr aufstehe,
wo soll ich da am Abend noch hingehen, wenn ich um 10.00 Uhr...um 10.00 Uhr muss ich
schlafen gehen. (…) Man ist kaserniert von Montag bis Freitag, weil mir ganz wenig Zeit
dazwischen bleibt. Und die Zeit, die ich dazwischen habe, da habe ich eh meinen Haushalt und
meine Wege.“ (Frau W., mittleres Großunternehmen, Reinigung)
Verbesserungen der Arbeitszeit:
Auch eine Gleichstellungsmaßnahme

 Kompatibilität mit Öffnungszeiten von
  Kinderbetreuungseinrichtungen
 Strukturelle Erleichterung für
  Alleinerziehende
 Sicherheit, Wohlbefinden
 Work-Life-Balance auch abseits von
  Betreuungspflichten (Familienleben,
  soziale Kontakte, Freizeit)

                                          © pixabay_mohammed_hassan
3.
Vorteile von Tagesarbeitszeiten:
Kampagnen und Befunde
Vorteile der Tagreinigung –
für Unternehmen

 Sichtbarkeit – und damit Anerkennung – der Reinigungsarbeit wird erhöht
 ReinigerInnen können (im Rahmen der Leistungsvereinbarungen) direkt auf
  Erfordernisse hingewiesen werden – Unzufriedenheit und Beschwerden
  verringern sich
 Keine Organisation von Transfers in den frühen Morgenstunden auf Seiten
  von Reinigungsunternehmen notwendig
 Einfachere Handhabung von Flexibilitätsanforderungen (z.B.
  Krankmeldungen am sehr frühen Morgen)
 Geringere Fluktuation, niedrigere Rekrutierungs- und Einarbeitungskosten,
  einfachere Personalsuche
 Erhöhte Kundenbindung
 Besseres Verständnis für Reinigungstätigkeit – verbesserte
  Ausschreibungsprozesse, erhöhte Akzeptanz von Qualitätskriterien
 Möglichkeit zur Akquise zusätzlicher Leistungen
                                                           vgl. auch ArbeitGestalten 2017a
Sozialpartner-Kampagne in Belgien:
10 Argumente für Tagreinigung

 1. ReinigerInnen sind Teil eines
  Teams und daher motivierter.
 2. Die Kommunikation zwischen Reini-
  gerInnen und anderen Beschäftigten
  verläuft rascher und effizienter.
 3.    ReinigerInnen       können  ein
  normales Familienleben führen und
  sind zufriedener.
 4. ReinigerInnen und andere
  Beschäftigte sehen die Arbeit der
  jeweils anderen. Das fördert
  gegenseitigen Respekt.
 5. ReinigerInnen können den
  öffentlichen Verkehr nutzen und
  sich dadurch sicherer fühlen.                      Ramioul 2012
                                          Foto: http://www.ocs-cfn.be
Sozialpartner-Kampagne in Belgien:
10 Argumente für Tagreinigung

 6. Beleuchtung und Heizung können nach
  den Bürozeiten abgeschaltet wer-den;
  Energiekosten werden gespart.
 7. Es wird weniger Sicherheitspersonal
  benötigt. Das spart Kosten.
 8. Es kommt zu höherer Anerkennung
  für die Arbeit der ReinigerInnen und
  in der Folge zu weniger Abwesenheit.
 9. Die Reinigungsqualität verbessert
  sich     durch      natürliche     soziale
  Kontrolle.
 10. Die Aufmerksamkeit für eine spar-
  same     Nutzung     von    Material  und
  Reinigungsmitteln erhöht sich. Das ist gut
  für die Umwelt.
                                                           Ramioul 2012
                                               Foto: http://www.ocs-cfn.be
Wie erleben die KundInnen Tagreinigung?

 Studie aus der Industrie (Unternehmen SCA/Tork) 2015
 Online-Befragung von 3,056 Büroangestellten im Vereinigten Königreich,
  Schweden, Frankreich, Deutschland, Russland und den Niederlanden

  Welcher Kontakt besteht?
   Kontakte zur Reinigungskraft variierten
    stark
   Die Mehrheit gab an, wöchentlich eine
    Reinigungskraft anzutreffen
   77% gaben an, die ReinigerInnen zu
    grüßen
   41% hatten noch nie ein Gespräch mit der
    Reinigungskraft geführt
                                                          Foto: StartUpStocksPhotos / pixabay
   Die Hälfte kannte den Namen der
    Reinigungskraft
                                                         European Cleaning Journal 2015
Wie erleben die KundInnen Tagreinigung?

Welcher Kontakt wird gewünscht?
 49% würden mit den Reinigungskräften gern als KollegInnen interagieren
 14% möchten dass die Reinigungskräfte ganz und gar im Hintergrund bleiben

Welche Tätigkeiten sind untertags erwünscht oder störend?
 89% ist das Nachfüllen von WC-Papier und Papiertüchern wichtig
 6 von 10 wollten nicht, dass staubgesaugt wird
 57% fühlten sich nicht wohl damit, wenn ihr Büro oder Schreibtisch während
  ihrer Arbeit gereinigt wird

                                                          European Cleaning Journal 2015
Präferenzen der Büroangestellten zur
Arbeitszeit der Reinigungskräfte

  Keine Präferenz                                     30

          Nacht             6

           Abend                                25

             Tag                8

   Früher Morgen                                      30

                    0   5       10   15   20   25    30    35   European Cleaning Journal 2015
4.
Erfahrungen aus Skandinavien:
Das Beispiel Norwegen
Das Beispiel Norwegen

Vor rund 25 Jahren:
— Viel Teilzeit, atypische Arbeitszeiten

Mittlerweile:
— 70% der Beschäftigten arbeiten nur
   untertags (Mo-Fr, 6-18h)
— Im Durchschnitt arbeiten
   ReinigerInnen 70% einer
   Vollzeitstelle (=37,5h)
Hintergründe der Veränderung

   Hohe Zuschläge für Arbeit abseits der Tageszeiten (6-18 Uhr)
   Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit
   Rekrutierungsprobleme – Teilzeitgehälter nicht ausreichend
   Allgemeine Professionalisierungstendenzen in der Branche
   Generell sehr hohe Personalkosten – Bestrebungen,
    Personalkosten zu verringern (z.B. technologischer Fortschritt)
  Gemeinsame Bemühungen von Gewerkschaften als auch
    Arbeitgebern initiiert – unter Einbeziehung der KundInnen
   — Verstärkung des Austausches
   — Erhöhung des Bewusstseins für das Thema

                                                         Torvatn/Lamvik 2011

     24
Norwegen: Vom Tagesrand zu den
Bürozeiten

              Manager, multinationales Reinigungsunternehmen, Norwegen
                                                    Finnestrand/Ravn 2011
5.
Fazit
Herausforderungen der Tagreinigung

 Sorgfältige Abstimmungen mit Kunden nötig
 Vermutlich nicht alle Kunden / nicht alle Beschäftigten eines
  Kundenunternehmens zu überzeugen
 Haben manche Reinigungsunternehmen eventuell auch ein Interesse an
  Tagesrandarbeitszeiten, weil sich die Qualität dann schlechter überprüfen lässt?
  (vgl. ArbeitGestalten 2017a: 26/Fußnote 23)
 Reinigungskräfte sind zwar sichtbarer, müssen aber tendenziell besonders leise
  und schnell arbeiten
 Reinigungskräfte können das Gefühl haben, zu stören
 Machen Reinigungskräfte trauen sich den Kontakt mit den Beschäftigten von
  Kundenunternehmen nicht zu, schämen oder fürchten sich, z.B. wegen schlechten
  Deutschkenntnissen
 Direkte Ansprechbarkeit der ReinigerInnen durch den Kunden setzt auch
  Sprachkenntnisse, höhere Selbstständigkeit und Wissen über die
  Leistungsvereinbarung voraus
  Gewohnheit, Empowerment, Qualifizierung
Langfristige Potenziale veränderter
Arbeitszeiten

 Für Beschäftigte                           Für Unternehmen
 Bessere Arbeitsbedingungen                 Verringerung und Prävention von
 Mehr Vollzeit-/ lange Teilzeitstellen –     Rekrutierungsproblemen
  Sicherung des Lebensunterhalts             Senkung von Unzufriedenheit
 Höhere Arbeitszufriedenheit                Senkung Krankenständen
 Keine/weniger geteilte Dienste             Senkung von Fluktuation
 Weniger Wegzeiten                          Möglichkeiten neuer
 Besseres Verhältnis von Erwerbsarbeit       Leistungsangebote
  und unbezahlter Arbeit                     Organisatorische Erleichterungen
 Besseres Verhältnis von Arbeit und          (Management von Krankenständen,
  Freizeit                                    Organisation von Anfahrten etc.)
 Vorteile für Familienleben und             Verbesserung des Images der Arbeit
  Partnerschaft                               in der Branche durch bessere
                                              Arbeitsbedingungen, stärkere
 Besseres Sozialleben                        Sichtbarkeit und höhere Anerkennung
Schrittweise zu mehr Tagesarbeitszeit

 Bewusstseinsarbeit in der Öffentlichkeit –
  auch die Beschäftigten in Kundenunternehmen
  sind Teil der Öffentlichkeit
 Aufklärung, Angebote und Gespräche in
  Kundenunternehmen
 Wissenstransfer in die Auftragsvergabe
   Beispiel Katalog faire Vergabekriterien
    vida
   Befunde aus Deutschland: Bedarf nach
    Fortbildung in Bezug auf soziale Kriterien
    (ArbeitGestalten 2017b: 16; Eigenstätter et al.   Foto: Free-Photos / pixabay
    2016: 65)
 Es gibt Kunden, wo sich einfacher anfangen
  lässt als bei anderen. Z.B.: Später
  Arbeitsbeginn, allgemeiner Geräuschpegel (z.B.
  Baumarkt, Einkaufszentrum, Pflegeheim),
  öffentliche Hand, CSR
Literatur

 ArbeitGestalten (2017a): Branchenreport Gebäudereinigung. Arbeitszeiten
  und Arbeitsverhältnisse. Berlin: ArbeitGestalten.
 ArbeitGestalten (2017b): Können öffentliche Ausschreibungen Einfluss auf die
  Beschäftigungsbedingungen in der Gebäudereinigung und
  Schulverpflegungnehmen? Berlin: ArbeitGestalten.
 EFCI (2017): The cleaning industry in Europe. An EFCI Survey. Edition 2016
  (Data 2014). Brussels: European Federation of Cleaning Industries (EFCI).
 Eigenstetter, Monika; Jähn, Verena; Langhoff, Thomas; Luven, Nicolai;
  Wallmeier, Marco (2016): Reinigungsunternehmen und öffentliche
  Auftraggeber in der Vergabepraxis. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung.
 European Cleaning Journal (2015): Daytime cleaning - impact on office staff.
  8th of October 2015,
  http://www.europeancleaningjournal.com/magazine/september-2016/latest-
  news/daytime-cleaning-impact-on-office-staff
Literatur

 Finnestrand, H. O./Ravn, J. E. (2011): The duality between generous and
  demanding work: BIGCLEAN – a cleaning case study from Norway.
  Internal report for WP6 of the walqing project, SSH-CT-2009-24459.
 Michenthaler, G./Schaup, T./Bugnar, T. (2013): Beschäftigte im
  Reinigungsgewerbe. Analyse der Beschäftigteninterviews. Bericht. Wien:
  IFES.
 ÖSB (2018): Fair Plus Cleaning. Die Erhebung. Ergebnisse. Wien: ÖSB
  Consulting GmBH.
 Ramioul, M. (2012): Promoting daytime cleaning in Belgium. In:
  Holtgrewe, U./Sardadvar, K. (Hg.): The Cleaning Sector: Office Cleaning.
  walqing sector brochures no. 1. Vienna: FORBA.
 Torvatn, H./Lamvik, G.r (2011): A decade in professionalisation in
  cleaning: MUNICLEAN – a cleaning case study from Norway. Internal
  report for WP6 of the walqing project, SSH-CT-2009-244597.
Vielen Dank!

      INSTITUT FÜR SOZIOLOGIE UND
      EMPIRISCHE SOZIALFORSCHUNG
      INSTITUTE FOR SOCIOLOGY AND SOCIAL
      RESEARCH
      Welthandelsplatz 1, 1020 Vienna, Austria

      DR. KARIN SARDADVAR
      T +43-1-313 36-4745
      karin.sardadvar@wu.ac.at
      www.wu.ac.at
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