Tor zum Orient ein Zeitsprung in eine vergangene Welt - von Ulla Schmitz
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36 Abenteuer Reisen Tor zum Orient … Foto: ©fotolia/Alexmar ein Zeitsprung in eine vergangene Welt – von Ulla Schmitz Die Koutoubia-Moschee (dt. etwa „Moschee der Buchhändler“) ist die größte Moschee von Marrakesch. Nicht nur die Straße von Gibraltar trennt Marokko von Europa – hier haben Städte ihren exotischen Charme bewahrt und Sitten und Gebräuche die Jahrhunderte überdauert. Das Land zwischen Orient und Okzident kennenzulernen ist mehr als eine Reise. Es ist ein Zeitsprung in eine vergangene Welt. L ängst schon ist Mitternacht vorbei, doch die Stimmen nimmermüder Nachtschwär- blühende Jasmin- und Myrrhebüsche streift, scheint erst jetzt eine geheimnisvolle mer zu einem Singsang. Sanft und wie vom das diese Ingredienzien zu einem Parfum ver- Hand den Süden Marrokkos erreicht zu Lufthauch getragen, verweht sein Klang über mischt und seinen Duft durch die weit geöff- haben, um die Lichter von Marrakesch zu den Dachterrassen und in den imposanten neten Fenster des berühmten Hotels weht. löschen. Sanft verglimmt in den Innenhöfen Stadttoren, zerstreut sich in den Ruinen des In ihren Träumen sind die Schlafenden der Medina eine Karbitlampe nach der ande- El Badia Palastes, windet sich um das Minarett noch vom Flair Marrakeschs befangen, leben ren und wo eben noch plackende Neonröh- der Koutoubia Moschee und lässt sich in den wie bei einer Fahrt mit der Calêche die Ma- ren grün-grellen Schein in den Souks verbrei- Park des legendären Hotels „La Mamounia“ gie dieser Stadt nach: Unter den Arabesken tete, schimmert samtige Schwärze. Hier und tragen. Hier angelangt, sind die Stimmen nur und Ornamenten der Koubba Baraduyin und da noch hallt ein Ruf nach, verquicken sich mehr ein Flüstern. Ein Wispern, das durch im Palais de la Bahia, das seiner traumhaften Ausstattung wegen den Beinamen „Die Schö- ne“ erhielt; bei den Gräbern der Saadier oder inmitten der Eleganz des Innenhofs der Me- dersa Ben Youssef. Von der Dachterrasse die- ser Koranschule hatte man einst den besten Blick über die ganze Oase Marrakesch. Sah im Abendlicht ihre Lehmmauern sich purpurn färben, die Palmwipfel sich im Rhythmus des Windes wiegen, und von den Springbrunnen und Bächen erhaschte man einen kühlenden Hauch. Und erst in der bläulichen Kulisse des nahen Atlas-Gebirges war dann der Lärm des „Jemaa el-Fna“ verklungen. Jemaa el-Fna: Platz der Gehenkten, Platz Foto: ©fotolia/kasto der Geköpften. Die ehemalige Hinrichtungs- stätte hat ihren düsteren Habitus längst zum Flair eines immerwährenden Festivals gewandelt. Trotz der heute nummerierten Standflächen für die Garküchen und die Gril- le der Brochetteverkäufer, für die Obst- und Djemaa el Fna, zentraler Marktplatz in Marrakesch
Abenteuer Reisen 37 Safthändler und jene, die mit kandierten Foto: ©fotolia/kasto Mandeln, Honiggebäck, Henna und Minz- tee ihr Geschäft machen, trotz des offiziell limitierten Radius der Wasserverkäufer und Schlangenbeschwörer, der Schreiber und der fahrenden Zahnärzte, der Gaukler, Akrobaten und Affendresseure und trotz, oder gerade weil so viele Marrakeshi sich dem Treiben anpassen, ist der Jemaa el-Fna das Herz Mar- rakeschs. Symbol für ein wunderbares Chaos, für einen nie endenden Zirkus unter freiem Himmel, für ein endloses Spiel von Licht und Schatten, von Düften und Farben. Ein Intermezzo, das ganz Marokko spiegelt. In dem die Rufe des Muezzin den Tagesab- lauf fünf Mal durchbrechen, in dem das Spra- chengewirr aus Französisch, Arabisch und zahllosen Berberdialekten zu einer Melodie verschmilzt – wo andernorts die Atmosphäre arabischer Souks und Märkte im Wortstakka- to feilschender Händler und Käufer aggres- Diese „Blauen Männer“, so erzählt die Sage, Tingitana, der römischen Provinz im Norden siv zu dröhnen scheint. Es ist, als würden die durchwanderten mit ihren Kamelkarawa- Afrikas. Vierhundert Jahre später, mit der atemberaubenden Düfte der üppigen Blu- nen schon im 3. Jahrhundert unserer Zeit- Islamisierung der Region, erhielt das Land mengärten, der Kräuter- und Obstplantagen rechnung die Sahara bis nach Mauretania den Namen Maghreb al-Akhsa, äußerster allen hektischen Zeitläuften die Eile nehmen, um hernach aus den Extrakten einen sanften, sinnlichen Rhythmus zu kreieren. So entsteht ein Bild, durch das bodenlange Djellabah we- hen, changierend mit kardinalroten Sticke- reien, kunstvoll geflochtenen Troddeln und schweren Goldbordüren. Klirrender Silber- schmuck beweist den Reichtum einer Familie, mit Henna aufwändig bemalte Hände drapie- Foto: ©fotolia/Ekaterina Pokrovsky ren eine verschlungene Kopfbedeckung neu. Hier verhüllt der Gesichtsschleier das Antlitz einer Schönen, dort trägt eine schwarzhäuti- ge Haratin, eine Nachkommin sudanesischer Sklaven, ihren Einkauf in ein glänzend golde- nes Tuch gewickelt, auf dem Kopf nach Hau- se. Und den Herrn in der Momentaufnahme weist der tiefblaue Turban als ein Mitglied des Stammes der sagenumwobenen Guel- min aus. Foto: ©fotolia/giacomobo
38 Abenteuer Reisen Foto: ©fotolia/vladislav333222 Die Hassan-II.-Moschee in Casablanca ist eine der größten Moscheen der Welt Westen. Marokko war fast zur Gänze von Ber- des Reiches bis 1912, gilt als das Zentrum der Piratenhafen zum Sitz des marokkanischen berstämmen bewohnt. Die Vorherrschaft der intellektuellen Elite mit der wahrscheinlich Herrscherhauses. Breite Prachtboulevards, Almovariden, der Almohaden und Meriniden ältesten Universität der Welt und als die an elegante Villenviertel, gepflegte Parks, präch- begründeten eine kulturelle Blütezeit, vor Kunstschätzen reichste Stadt der gesamten tige Moscheen und reich ausgestattete Mu- deren Hintergrund die Verhältnisse in Europa arabisch-muslimischen Region. Mit, wie man seen: Kein Wunder, dass Rabat auch das „Paris zu jener Zeit des Mittelalters sich wie solche sagt, der schönsten Medina, der traditionel- Marokkos“ genannt wird. Sein ökonomischer einer prähistorischen Epoche ausnahmen. len Wohnstadt, des gesamten Maghreb. Partner ist Meknes, Zentrum der Agrarwirt- Diesem ungewöhnlichen Reichtum geistiger Dennoch Rabat zur politischen Zentrale schaft, Umschlagplatz aller marokkanischen und künstlerischer Prägung konnte selbst Marokkos zu ernennen, war letztendlich die Weine. Die ehemalige Hauptstadt der Me- die Moderne nichts anhaben. Allein die vier Entscheidung der französischen Protekto- knesen wurde im 11. Jahrhundert gegründet, königlichen Residenzen des Landes quellen ratsverwalter. Das frische Klima des Atlanti- ungefähr zur gleichen Zeit wie Marrakesch, über von Schätzen dieser Tradition: Fes, die schen Ozeans soll dazu den Ausschlag gege- die Diva Südmarokkos. älteste Königsstadt Marokkos, Metropole ben haben. So wandelte sich der ehemalige Hier, wo das mächtige Massiv des Atlas Ge- birges die Wüste Sahara an ihrem Vordringen hindert, variiert der Puls der Städte in einmali- gen Landschaftskulissen, in allen nur denkba- ren Nuancen von Ocker und Grün. Da strahlen die vom Wind und Regen rund gewaschenen Landschaften des Anti-Atlas am Tag in jenem dunklen Gelb und kleiden sich gegen Abend in purpurrote Schattierungen, um so der Phantasie des Betrachters mit Schattenspie- len endlosen Freiraum zu geben. Kniehohe, ockerfarbene Wälle umgeben die Landbesitze und deren Weidegründe, sie ziehen sich die Berghöhen hinauf und durch die engen Flus- stäler hinab und teilen das dunkle Grün der Karte von Marokko. Quelle: wikipedia Dattelplantagen. Ein Duft von reifen, süßen Palmfrüchten liegt über Szenerie. Dort, wo das Wasser der Flüsse sich ent- lang der Oasen seinen Weg über Felsdämme bahnen muss, hüpfen halbnackte Kinder von den höchsten Steinen und lassen sich fröhlich kreischend von den gischtigen Strudeln mit- ziehen. Frauen hocken zum Wäschewaschen im Wasser, die langen Röcke geschürzt, in
Abenteuer Reisen 39 rokko, würde sein Charakter nicht den Stil des landestypischen Laisser-faire wiedergeben. Da kontrastieren die Ruinen der alten Kasbah mit der geometrischen Strenge in den Anla- gen der Hotels, Restaurants und Läden. Die übersichtliche Anlage der hiesigen Wohn- viertel drängt Vergleiche auf mit den Labyrin- then anderer Medinen. Eben das ist Marokko: Ein Mosaik aus mys- Foto: ©fotolia/NoraDoa tischen Szenerien, aus Traumstränden, aus atemberaubenden Landschaften, aus leben- diger Buntheit. Vereint zu einem exotischen Kosmos, als geheimnisvolles Tor zwischen Orient und Okzident. ■ Ouzoud-Fälle 150 km nordöstlich von Marrakesch Sie gelten als die höchsten und schönsten Wasserfälle Marokkos Rob & Sophia Palmer – Zu Gast in Marokko Verlag: Callwey € 39,95 Verführerische Rezepte einer kulinarischen Reise Foto: ©fotolia/Anibal Trejo Es ist ein ein einmaliges Potpourri aus exoti- schen Leckerbissen, wunderschönen Land- schaften und interessanten Porträts. Alle Kapitel beginnen mit einer Hinwendung zur Kultur des jeweiligen Reisezieles. Bei- spielsweise handelt das Kapitel „Auf den Spuren der Kaiser und Könige“ von der al- ten Hauptstad Marokkos Fès, die bereits Die Medersa Ben Youssef ist eine ehemalige Koranschule im Herzen der Medina der Stadt Marrakesch. zu römischen Zeiten entstanden ist. Unge- mein eindrucksvolle Fotografien von Men- Rufkontakt zur Nachbarin, denn Waschtag nen Traumfabrik weiß man schon lange um schen, Plätzen, Palästen und traditionellen ist der Tag der Neuigkeiten. Später, wenn die den auch cineastischen Charme Marokkos – Handwerkerstätten illustrieren die anre- bunten Kleidungsstücke zum Trocknen auf obwohl man im heutigen Chaos von Casab- genden Rezepte wie Fleischbällchen-Taji- den Felsen ausgelegt sind, sitzen auch die lanca vergebens nach einer verschwiegenen ne mit Tomatensauce, Sellou-Käsekuchen, Männer dabei. Ein Glas Minztee in der einen, Stelle suchen wird, um wie einst Humphrey Couscous-Risotto mit Chermoula-Jakobs- eine selbst gedrehte Zigarette in der anderen Bogart der Liebsten Ingrid Bergmann in die muscheln oder Fenchel-Blutorangen-Salat. Hand. Und als sei dies der Idylle noch nicht Augen zu schauen. In diesem Kochbuch finden Sie wirklich die genug, bewacht die turmhohe, senkrecht Nein, gegen den sich überschlagenden ganze Vielfalt marokkanischer Küche! abfallende Wehranlage einer Kasbah das Zeitgeist „Casa´s“, dem größten Hafen des Bild. Die magische Faszination dieser her- Landes – Verwaltungssitz internationaler Hier noch ein paar Rezept Beispiele: metisch abgeschlossenen Wohnburgen aus Industrie, Drehscheibe des Handels – wirkt – Couscous mit Lamm und Gemüse braungelben, von der Sonne fest gebacke- selbst die Gangart Agadirs gemächlich. Jener – Kaiserbarsch mit Datteln und Zwiebeln nem Lehm, hält selbst starken Regenfällen strahlend weißen Stadt, direkt am Atlanti- – Rindfleisch-Tajine mit Datteln und stand, obwohl die einst präzisen Linien der schen Ozean gelegen, umrahmt von endlo- Walnüssen ineinander verschachtelten Häuser, der Ge- sen Stränden, eine Retortenstadt zwar und – Rindfleisch-Kartoffel-Auflauf treidespeicher, der Wehrtürme, Wehrmauern Zentrum des Tourismus, mondän, três chic, mit dicken Bohnen und Stadttore wie verwischt scheinen. Da er- pulsierend und attraktiv. 1960 beendete ein – Eingekochtes Fleisch mit Eiern, scheint das Sujet der Kasbah Ait-Benhaddou verheerendes Erdbeben die Existenz der 500 Kreuzkümmel und Paprika ihres trutzigen Ambientes wegen in der Er- Jahre alten Hafenstadt im Süden Marokkos, – Marokkanische Eier innerung. Als Kulisse des Hollywood-Dramas doch wenn auch der Wiederaufbau sich an – Rindfleischeintopf mit Aubergine, „Sodom und Gomorrha“ oder aus „Lawrence modernen Vorbildern orientierte – Agadir Paprika und Ei von Arabien“. Apropos Hollywood: In der fer- wäre nicht ein Teil des üppig-sinnlichen Ma- – Fisch-Pastilla im Kohlblatt
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