Touchscreen auf der Haut - HCI Saarland
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24 Ingenieurwissenschaften forschung 4 / 2016 Jürgen Steimle und Gordon Bolduan Touchscreen auf der Haut Integriert, leistungsstark und oft kaum sichtbar: Schon bald wird in nahezu jedem Objekt ein Computer stecken. Informatiker arbeiten daran, die Schnittstellen für die Mensch- Maschine-Interaktion zu verbessern. Der Trend geht zu buchstäblich flexiblen Lösungen. S martwatches und Fitness- Tracker sind „in“ und stylisch – und sollen der Werbung nach den auf dem Forschungsgebiet Mensch- Maschine-Interaktion intelligente Uhren wie die Apple Watch mit steuert zum Beispiel die Heizung in den eigenen vier Wänden. Dadurch verändert sich auch die Gestalt der Alltag ihrer Besitzer verbessern. Ob anderen Augen: „fat thumb prob- Thermostate, die in diesem Fall die relaxed auf dem Sofa, hastig per lem“ lautet ihre Diagnose. Wer die Schnittstellen zum Anwender dar- Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit Smartwatch über Berührungen be- stellen. Anstatt wie bisher durch oder beim abendlichen Workout im dienen will, dem steht nur ein klei- eine einfache und intuitive Dreh- Gym – überall sind Smartwatches nes Display zur Verfügung, wobei bewegung gesteuert zu werden, mit ihren intelligenten Zusatzpro- man den größten Teil noch mit den gleichen solche Thermostate nun grammen gefragt. Sind es die neuen eigenen Fingern überdeckt. häufig einem unübersichtlichen Uhren für das digitale Zeitalter? Was auf eine technisch nahe- Tastenfeld, das ohne Bedienungs- Seit Sommer 2015 ist zum Bei- liegende Art und Weise realisiert anleitung nicht zu verstehen ist. spiel die „Apple Watch“ auch in wurde, ist nicht automatisch das Die Gruppe „Mensch-Computer- Deutschland erhältlich. Und wäh- Beste für den Menschen, so die Interaktion“ am Saarbrücker Exzel- rend Geschäftsanalysten über das übergreifende Erkenntnis. Das lenzcluster „Multimodal Computing wirtschaftliche Erfolgspotenzial für lässt sich ebenfalls außerhalb der and Interaction“ stellt sich der Her das US-amerikanische Unterneh- Welt von Apple & Co. beobachten. ausforderung, neue Interaktionsfor- men spekulieren, sehen Experten Moderne Informationstechnologie men zu entwickeln, die nicht nur Ein Beispiel für hauchdünne gedruckte Elektronik: der „iSkin Music Sticker“, der mit seiner Flexibilität punktet. Foto: Oliver Dietze
forschung 4 / 2016 25 den Restriktionen und etablierten die Idee, Haut als natürliches Me- Konventionen der Technologien dium zu nutzen. Denn sie bietet von heute folgen. Sie erforscht Lö- eine größere Oberfläche und ist sehr sungen, die sich passgenau in die leicht für Eingaben zu erreichen. Objekte und Gegenstände integrie- Deshalb befragten die Forscher ren lassen, mit denen Menschen Personen, wie sie Aktionen auf in der realen Welt arbeiten. Ihre der Haut ausführen würden, wenn Werkzeuge dafür sind unter ande- diese als Eingabesensor für mobile rem empirische Anwenderstudien Endgeräte dienen könnte. Überra- und der Einsatz von neuen Tech- schenderweise beschränkten sich nologien, die selbst noch erforscht die Antworten nicht auf das Berüh- werden. Derzeit ist dies vor allem ren der Haut. Die Anwender wollten gedruckte Elektronik. ihre Haut auch drücken, ziehen und Darunter werden Bauelemente, sogar verdrehen. Dementsprechend Komponenten und Anwendun- entwickelten die Forscher den Pro- gen verstanden, die in Teilen oder totyp eines Sensors, genannt „iSkin“ vollständig gedruckt werden. Die – der erste elastische Sensor, der für Verfahren ähneln Tintenstrahldru- Touch-Interaktion mit Computern ckern: Anstelle von Drucktinte auf auf der Haut getragen werden kann. Papier werden hier jedoch strom- leitende Flüssigkeiten auf dünne, flexible Folien – sogenannte Sub strate – gedruckt. Damit können die D ie Elastizität war dabei eine große Herausforderung, da man dafür Leiter braucht, die nicht Saarbrücker Informatikerinnen und brechen, wenn sie gedehnt werden. Informatiker elektronische Bauteile Die Informatiker arbeiteten dafür mit ganz neuen Eigenschaften reali- mit Materialwissenschaftlern der sieren, die sich sehr gut in Objekte US-amerikanischen Carnegie Mel- und Gegenstände der realen Welt lon University zusammen. Diese integrieren lassen. hatten ein Verfahren entwickelt, Die neuen Bauteile sind bei- das verschiedene Arten von Silikon spielsweise hauchdünn, verform- kombiniert, um elastische Leiter zu bar oder gar dehnbar und haben realisieren. Silikon ist hautfreund- dadurch mit heutigen Computern lich und kann daher problemlos mit nur noch wenig gemein. Daher be- einem medizinischen Kleber auf der treiben die Forscherinnen und For- Haut befestigt werden. scher auf zwei Ebenen Grundlagen- Auf dieser Basis entwickelten die forschung: Zum einen entwerfen sie Saarbrücker Forscher ein multimo- auf Basis empirischer Untersuchun- dales Verfahren, mit dem sowohl gen völlig neue Interaktionsformen leichte Berührung als auch stärke- und setzen diese mit neuen Tech- rer Druck erfasst werden können. nologien um. Zum anderen erfor- Drückt man auf eine vordefinierte schen sie systematisch, wie man die Stelle auf dem Sensor, kann man nahezu unsichtbaren Computer der so beispielsweise einen Anruf ent- Zukunft auf effiziente und nutzer- gegennehmen oder die Lautstärke freundliche Weise steuern kann. des Kopfhörers regulieren. Doch mit So auch bei aktuellen For- dieser grundlegenden Funktionali- schungsarbeiten zu „Interaktiver tät waren die Wissenschaftler noch Haut“. Während der Diskussionen nicht zufrieden. Sie wollten einen Grafik: fotolia / mast3r über Apple Watch & Co. entstand Sensor schaffen, der den Menschen
26 Ingenieurwissenschaften forschung 4 / 2016 in seinem ästhetischen Empfinden die menschliche Haut selbst, sodass eine elektrische Spannung an, gibt es ernst nimmt. Er sollte daher gut sie sich sogar an kleinste Fältchen Licht ab. Bisher war es nur möglich, aussehen und ein visuelles State- anschmiegen und komfortabel ge- Displays in Massen zu produzieren, ment sein, mit dem sich der jewei- tragen werden können. nie für einen einzelnen Nutzer. lige Träger identifizieren kann. So haben die Forscherinnen Deshalb entwarf das Forscher- team auch Verfahren, die es De- signerinnen und Designern er- E ine weitere große Frage: Wie kann man es Laien auf einfache Weise ermöglichen, eine Technologie und Forscher Neuland betreten und einen neuen Prozess ent- wickelt. Der Anwender entwirft möglichen, Linien, Formen und nach ihren Bedürfnissen anzupas- mit einem Grafikprogramm wie Silhouetten nach eigenen Vorstel- sen, um so personalisierte Produkte Adobe Illustrator oder PowerPoint lungen in iSkin-Sensoren zu ver- zu erstellen? Eine Antwort lieferte eine digitale Vorlage für das ge- wandeln. Das Ergebnis: Die semi Simon Olberding, Doktorand in der wünschte Display. Mit zwei von transparenten Steuerschnittstellen Gruppe, mit dem Prototyp des Pro- den Forschern entwickelten digi- sehen auf der Haut wie kunstvolle jekts „PrintScreen“: Eine Postkarte talen Produktionsverfahren kann Tattoos aus und gleichen nicht mehr zeigt ein historisches Automobil. er diese direkt drucken. Als Druck herkömmlichen Bedienelementen. Drückt man auf einen Knopf, leuch- ergebnis erhält man Displays, die Inzwischen wird die Technologie ten Hinterachse und Lenkradstange nur den Bruchteil eines Millimeters auch im Rahmen eines ERC Starting in der gleichen Farbe auf. Möglich dick sind. Da sich mit den Verfahren Grant-Projekts weiterentwickelt, machen dies zwei Segmente auf auch Materialien wie Papier, Kunst- mit dem Steimles Forschung zu einem flexiblen Display, die genau stoffe, Leder, Keramik, Stein, Metall interaktiver Haut von der Europäi- der Form der Autoteile entsprechen. und Holz bedrucken lassen, sind al- schen Union gefördert wird. Neueste Olberding hat das Display auf einem lerlei zweidimensionale, aber auch Ergebnisse der Gruppe erlauben es, handelsüblichen Tintenstrahldru- dreidimensionale Formen möglich. Sensoren auf hauchdünnen Folien cker ausgedruckt. Es ist „elektro- Selbst berührungsempfindliche zu realisieren. Diese sind dünner als lumineszent“, das heißt: Legt man Displays sind auf diese Weise druck- Der berührungsempfindliche Sensor „iSkin“ ist aus mehreren Ebenen aufgebaut. Je nach Stärke der Berührung gibt er ein unter- schiedliches Signal. So kann zwischen Optionen wie keiner Berührung, leichter Berührung und festem Druck unterschieden werden. Schutzschicht Empfangende Elektrode Trennschicht Sendende Elektrode Grafik: Steimle / MMCI Schutzschicht
forschung 4 / 2016 27 berührungsempfindlichen Elek- troden, bilden Reihen und Spal- ten. Auf diese Weise ist maximaler Schaden absehbar, selbst wenn nur ein Draht durchtrennt wird. Bei der Suche nach Alternativen ließen sich die Forscherinnen und Forscher von Vorbildern aus der Natur inspirieren, darunter dem menschlichen Nervensystem und dem Wurzelgeflecht von Pilzen. So wollen sie eine neue Art von Ma- Foto: Steimle / MMCI terial schaffen, das Anwender in Schreibwarenläden kaufen können. Es soll so preiswert sein, dass man es für interaktive Anwendungen oder auch einfach nur als Schreibunter- Der „Cuttable Sensor“ lässt sich so zurechtschneiden, wie ihn sich ein Nutzer wünscht. lage nutzen kann. Dass diese Vision Der Clou: Auch danach funktioniert er noch und reagiert auf Berührungen. schon bald real werden könnte, lässt eine Prognose der „Organic and bar und die Anwendungsmöglich- kreise sicher. „Stellen Sie sich vor, Printed Electronic Association“ ver- keiten damit vielfältig: Displays ein Kind nimmt das von uns entwi- muten. Der internationale Indust- dieser Art lassen sich in nahezu je- ckelte Sensorpapier und schneidet rieverband sagt voraus, dass flexible den Alltagsgegenstand integrieren sich eine Blume in Form einer Blüte Elektronik für Endanwenderinnen – nicht nur in Papierobjekte, son- samt Stiel und Blättern aus. Berührt und -anwender zwischen 2019 und dern beispielsweise auch in Möbel es nun die Blüte, ertönt das Sum- 2022 verfügbar sein wird – in greif- und Einrichtungsgegenstände, auf men einer Hummel“, beschreibt Ol- barer Zukunft also. Taschen oder am Körper getragene berding eine mögliche Anwendung. Gegenstände. So könnte man bei- Durch eine einfache App kann spielsweise das Armband einer Uhr der gedruckte Sensor mit Sound- dazu bringen aufzuleuchten, wenn effekten oder anderen digitalen eine Kurznachricht eintrifft. Funktionen verknüpft werden. Weitere Anwendungsmöglich- W enn Anwender elektronische Bauteile nicht nur digital, sondern auch direkt, auf physi- keiten liegen im Prototyping und Modellbau: So könnten beispiels- weise Architekturmodelle oder Professor Dr. Jürgen Steimle sche Art und Weise personalisieren Möbelstücke auf einfache Weise leitet die Forschungsgruppe „Mensch- könnten, wäre das eine Innovation. interaktiv gemacht werden. Als Computer-Interaktion“ am Exzellenzcluster Zusammen mit Forscherinnen und Basistechnologie dient wiederum „Multimodal Computing and Interaction“ der Universität des Saarlandes. Forschern des US-amerikanischen gedruckte Elektronik. Doch sie al- MIT Media Lab hat das Projektteam lein reicht nicht aus, um den Sen- Gordon Bolduan ist für die Wissenschaftskommunikation am einen berührungsempfindlichen sor unverwundbar gegen Schnitte, Exzellenzcluster und am Center for IT-Security, Sensor entwickelt, dessen Form Beschädigungen und das Abtren- Privacy and Accountability (CISPA) an der und Größe jeder mit einer Schere nen ganzer Bereiche zu machen. Universität des Saarlandes verantwortlich. nach Belieben ändern kann. Dass Bisher ähnelte der Schaltplan ei- Adresse: Campus E1.7, 66123 Saarbrücken dabei die Elektronik trotz Schnitten nes Multitouch-Sensors dem Karo DFG-Förderung im Rahmen der und entfernter Bereiche weiterhin papier in Rechenheften. Die Drähte Exzellenzinitiative des Bundes und funktioniert, stellt eine neuartige verlaufen vertikal und horizontal, der Länder. Anordnung der gedruckten Schalt- an ihren Schnittpunkten sitzen die www.mmci.uni-saarland.de
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