Trendcity? Zürich! - IM HERZEN VON ZÜRICH ist der Blick von der Quaibrücke einer der schönsten, die Limmat fließt gemächlich, die Stadt pulsiert ...

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Trendcity? Zürich! - IM HERZEN VON ZÜRICH ist der Blick von der Quaibrücke einer der schönsten, die Limmat fließt gemächlich, die Stadt pulsiert ...
Trendcity?
 Zürich!

IM HERZEN VON
ZÜRICH ist der Blick
von der Quaibrücke
einer der schönsten,
die Limmat fließt
gemächlich, die
Stadt pulsiert.
Trendcity? Zürich! - IM HERZEN VON ZÜRICH ist der Blick von der Quaibrücke einer der schönsten, die Limmat fließt gemächlich, die Stadt pulsiert ...
FEINSCHMECKER REISE

Auf der Reise-Wunschliste für die Zukunft sollte diese
Stadt ganz oben stehen: Mit ihrer bunten, innovativen
Szene sorgt die Schweizer Gastro-Metropole jetzt auch
international für Furore. Welche Restaurants sich jetzt
besonders lohnen – hier sind die besten Adressen

TEXT PATRICIA BRÖHM FOTOS CHRISTINE BENZ

                                                           12/2020 DER FEINSCHMECKER 47
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MENÜZWANG GIBT
ES NICHT bei
Nenad Mlinarevic
und Küchenchef
Gino Miodragovic (r.)
im Restaurent
„Neue Taverne“

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KREATIV
              VEGETARISCH
          wird in Mlinarevics
            „Neuer Taverne“
           gekocht: Rettich,
           Yuzu-Kürbiskern-
          Furikake (Gewürz-
                   mischung)

12/2020 DER FEINSCHMECKER 49
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DER REGIONALE
                               BEZUG kommt
                               auch beim Fischhaut-
                               Cracker mit Dill-
                               mayonnaise und
                               Forellentatar mit
                               Rogen zum Tragen

   NACHHALTIGER
    ANSATZ in der
         Küche von
  Fabian Fuchs (o.),
      reduziert das
        Interieur im
       „EquiTable“

50 DER FEINSCHMECKER 12/2020
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B
Bürklimarkt, morgens 8 Uhr. Wer früh aufsteht, kann
hier einen der besten Schweizer Köche bei der Inspirati-
on erleben. Nenad Mlinarevic sieht mit seinem schwar-
zen Outfit und dem tätowierten rechten Arm zwar eher
wie ein Rockstar aus, aber er ist mit allen Bauern, die hier
Selbstgezogenes verkaufen, per Du. Er weiß, wer im
Sommer die frischesten Eierschwämmli (Pfifferlinge)
führt und wo er die geschmacksintensiven Heidelbeeren
vom Gotthard bekommt; er weiß, wer im Winter die bun-
                                                               Hier boomt die Szene, junge Gastronomen mit Erfah-
                                                               rung in der Topgastronomie realisieren unkomplizierte,
                                                               produktfokussierte Konzepte, wie sie in London und
                                                               New York das Bild prägen. Herzstück dieser Entwick-
                                                               lung sind vor allem die früher verrufenen Kreise 4 und 5
                                                               jenseits der Langstraße, die sich vom Rotlichtviertel zur
                                                               Hipstermeile wandelte. Zu den derzeit angesagtesten Ad-
                                                               ressen zählen Markus Stöckles „Rosi“, ein zeitgemäßes
                                                               bayerisches Wirtshaus, und das „Gül“, wo die junge Kö-
                                                                                                                             NAH AM WASSER
                                                                                                                                   gebaut und
                                                                                                                            dennoch ein Grund
                                                                                                                               zur Freude: der
                                                                                                                                Blick aus dem
                                                                                                                               Hotel Storchen

testen Urkarotten und die besten Randen (Rote Bete) an-        chin Elif Oskan Klassiker der türkischen Küche neu in-
bietet. Heute haben es ihm die hocharomatischen Cedrat-        terpretiert. Aber auch die Vorreiter einer neohelvetischen
Zitronen aus Sizilien angetan: „Die hobele ich hauch-          Regionalküche nach nordischem Vorbild sind hier zu
dünn und serviere sie auf unserer Lemon Tarte.“                Hause, allen voran Marius Frehners „Gamper“ und das
                                                               „EquiTable“, das mit seinem Fokus auf nachhaltig er-
Mlinarevics „Neue Taverne“ liegt nur ein paar Schritte         zeugten Produkten aus Fair Trade Pionierarbeit leistete.
entfernt, in einer kopfsteingepflasterten Seitengasse der
Bahnhofstraße. Die berühmte Shoppingmeile, wo die              Im schlichten Ecklokal, dem man die Vergangenheit als
Immobilienpreise ins Unendliche tendieren, wäre der            Quartierbeiz ebenfalls deutlich ansieht, steht Fabian
letzte Ort, an dem man einen Außenposten der jungen            Fuchs, ehemaliger Souschef und guter Freund von Mli-
Schweizer Küche vermuten würde. Doch Zürichs Gastro-           narevic, am Herd. Auch bei ihm geht es entspannt zu:
szene ist derzeit mehr denn je für Überraschungen gut:         Die lockigen Haare am Hinterkopf zum Dutt gebunden,
Hinter der Fassade einer typischen Altstadtbeiz mit            kocht der 33-Jährige mit Produkten aus der Region: „Im
grün-weißer Markise schickt das junge Team abends die          Idealfall vom Bauernhof direkt in die Pfanne.“ Gemüse
innovativsten Gemüsegerichte der Stadt an die blanken          spielt in seiner puristischen Küche eine wichtige Rolle,
Holztische. Auch die Wandtäfelung und die historischen         ein Biobauer pflanzt eigens für ihn zehn Sorten Gurken
Fenster hat man belassen, das Neo-Gasthausambiente ist         an. Das Entrecote vom Angus-Rind aus Ennetbürgen
sehr entspannt: „Wir wollen keinen Menüzwang oder an-          kommt kurz gebraten, damit die Qualität für sich spre-
dere Fine-Dining-Attitüden“, sagt Mlinarevic.                  chen kann: „Die Rinder grasen auf Almen hoch über
                                                               dem Vierwaldstättersee und ernähren sich von Alpen-
Er serviert eingesalzene Kohlrabi, dazu Austernemul-           kräutern.“ Dazu gibt es geschmorte Radieschen sowie
sion, Austernkraut und Shiso. Das schmeckt knackig             Bergkartoffeln aus dem Graubündner Albulatal, eine
frisch, jodig nach Meer und verrät Mlinarevics Herkunft        kräftige Rinderjus rundet das Gericht ab.
aus der Spitzenküche. Der heute 39-Jährige hatte sich im
„Park Hotel Vitznau“ am Vierwaldstättersee höchste             Die überraschendste Entwicklung aber, das sieht auch
Auszeichnungen erkocht, die er aufgab, um in seiner Hei-       Fuchs so, spielt sich im etablierten Zentrum von Zürich
matstadt eigene Projekte zu verfolgen.                         ab, rund um die Bahnhofstraße und in der Altstadt, wo

                                                                                                                 12/2020 DER FEINSCHMECKER 51
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MEDITERRANE LEBENS-
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                                                         Ristorante „Ornellaia“,
                                                         wo klassisch italienisch
                                                         auf hohem Niveau
                                                         gekocht wird

                                       EIN GROSSES
                                  GEHEIMNIS macht
                               Antonio Colaianni (u.),
                                     Küchenchef im
                                „Ornellaia“, um seine
                                          Version der
                                        Bouillabaisse

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FINGERFOOD,
                                                                                                                             im „1904 Lagonda“
                                                                                                                             passend serviert:
                                                                                                                             Brik-Teig-Cornetto
                                                                                                                             mit Rindertatar,
                                                                                                                             Sauerrahm und
                                                                                                                             Kaviar

                                                                                                                                                                                                  DER ZÜRISEE,
                                                                      lange Zeit nur Touristenfallen lauerten: „Dort entstehen   Ein weiterer Neuzugang im Umfeld der unteren Bahn-                  wie ihn die
                                                                      neue, coole Konzepte, das hat einen Mega-Charme.“          hofstraße ist das „1904 Designed by Lagonda“. Im Zen-           Einheimischen
                                                                                                                                                                                              liebevoll nennen,
                                                                      Hier ballen sich neuerdings große Namen und unge-          trum des großzügigen Raumes, der sich in Restaurant         ist das eigentliche
                                                                      wöhnliche Projekte, hier wandelt sich die 430 000-Ein-     und Lounge unterteilt und nebenbei als Brand Space fun-    Highlight der Stadt
                                                                      wohner-Stadt zur kulinarischen Minimetropole interna-      giert, steht eine schwarze Nobelkarosse der 1904 ge-
                                                                      tionalen Zuschnitts. Nicht zuletzt ein Beleg dafür, dass   gründeten britischen Marke Lagonda, die zu Aston Mar-
                                                                      im weltoffenen Zürich genügend genussaffines Publikum      tin gehört. Auch das Interior Design mit viel Arvenholz,
                                                                      mit potenter Ausgabefreudigkeit zu Hause ist, um eine      einer Wand aus italienischem Marmor und einer knall-
                                                                      anspruchsvolle Gourmetszene zu unterhalten.                roten Wendeltreppe stammt aus London und sieht nach
                                                                                                                                 viel Geld aus. „Wir wollen die Passionen Automobil und
                                                                      Auch der Schweizer Koch-Superstar Andreas Camina-          Fine Dining verbinden“, sagt Küchenchef Thomas
                                                                      da eröffnete hier Anfang des Jahres eine Dependance        Bissegger, der mit erst 33 Jahren eine große Aufgabe
                                                                      seiner erfolgreichen „IGNIV“-Lokale mit Menüs zum          übernommen hat. „Unser Küchenstil ist puristisch-redu-
                                                                      Teilen. Und ein italienisches Gourmetrestaurant vom        ziert und produktfokussiert, alles Unwichtige wird weg-
                                                                      Format des „Ornellaia“ findet man so im gesamten           gelassen – genau wie bei Lagonda.“ Als unkompliziertes
                                                                      deutschsprachigen Raum nicht: Eine ehemalige Privat-       Löffelgericht reicht er eine vor Umami strotzende
                                                                      bank verwandelte die Schweizer Stararchitektin Tilla       Dashi mit vier verschiedenen Pilzen, Zitronengras, Ko-
                                                                      Theus in ein stimmungsvolles Lokal mit unverputzten        rianderöl und mit Pfifferlingsragout gefüllten Dim-Sum.
                                                                      Steinmauern, einsehbarer Küche und dutzenden kleinen
                                                                      Lämpchen, die an der hohen Holzdecke schweben. Der         Den Gastro-Coup des Jahres aber landete man im „Ho-
                                                                      Name des Ristorante mit der beeindruckenden Wein-          tel Widder“, das sich hinter der Fassade einiger stim-
                                                                      karte kommt nicht von ungefähr, es ist eine Kooperation    mungsvoll restaurierter Altstadthäuser verbirgt: Hier
                                                                      des toskanischen Kultweinguts und des Schweizer Wein-      kocht seit Juni mit Stefan Heilemann eines der größten
                                                                      händlers Bindella. Seit September steht hier Antonio       Talente der Stadt, er wechselte mit dem kompletten Team
F OTOS: C H R I S T I A N S C H N U R / ZÜ R I C H TO U R I S M U S

                                                                      Colaianni am Herd, ein stadtbekannter Garant für gro-      an den Rennweg. Für die beiden historischen Stuben, in
                                                                      ßen Geschmack und Verzicht auf Tellerakrobatik. Sein       denen sich verwinkelter Altstadtcharme mit modernem
                                                                      Stil basiert auf klassisch italienischen Rezepten und      Design mischt, kreiert der Harald-Wohlfahrt-Schüler an-
                                                                      französischem Savoir-faire, dazu mediterrane Lebens-       sprechende Teller mit höchster Produktqualität, gekonn-
                                                                      freude. „Meine Küche soll Emotionen auslösen“, sagt der    tem Einsatz feiner Säure und asiatischem Aromenhauch.
                                                                      50-Jährige. So wie eines seiner Signature-Gerichte, die    Bestes Beispiel: der Bauch vom Balfegó-Thunfisch, den
                                                                      intensiv duftende Bouillabaisse. Sie ist bestückt mit      er mit Blumenkohl als Creme und Couscous von duften-
                                                                      Edelfischen, Garnelen, Tintenfisch und Gamberi di fos-     der Thai-Salsa mit Minze und Koriander umspielen lässt,
                                                                      so (winzige Crevetten, die man mit Kopf und Schale         das Ganze mit Partikeln vom Thunfischherz gewürzt.
                                                                      isst). Was ist das Geheimnis ihrer tiefgründigen Aroma-
                                                                      tik? „Ich setze sie mit Geflügelfond und -hälsen an, so    „Zürich ist eine Stadt mit sehr hoher Ausgehkultur. Vie-
                                                                      wird sie eleganter, die Aromen sind besser eingebunden.“   le Leute gehen jeden Abend essen,“ lobt der gebürtige

                                                                                                                                                                                 12/2020 DER FEINSCHMECKER 53
Trendcity? Zürich! - IM HERZEN VON ZÜRICH ist der Blick von der Quaibrücke einer der schönsten, die Limmat fließt gemächlich, die Stadt pulsiert ...
EIN HÖHEPUNKT, nicht nur
                                                                          geografisch, ist ein Besuch
                                                                          bei Heiko Nieder im Hotel
                                                                          The Dolder Grand, der
                                                                          im „The Restaurant“ auf
                                                                          Weltklasseniveau kocht

Schwabe seine Wahlheimat. Eine Stadt, die engagierten        heranzuführen. Bezeichnend für Nieder sind nicht nur
Köchen viele Chancen bietet. Das Widder gehört zur           feines Säurespiel und überraschende Aromenkombina-
kleinen, feinen Privathotelgruppe The Living Circle, die     tionen, sondern auch herzhafte Elemente. Etwa der
neuerdings mit zwei weiteren stilvollen Boutique-Adressen    Krautsalatsaft, der den gedämpften Seehecht mit Speck
von sich reden macht: Das historische Hotel Storchen,        und grüner Peperoni durch seine vielschichtige Würze
ebenfalls aufwendig renoviert, steht gleich um die Ecke      in andere Sphären hebt. Und man muss sich erst mal
und bietet, direkt an der Limmat, eine der schönsten Ter-    trauen, in diesem edlen Restaurant mit silbernen Wän-
rassen der Stadt; im Sommer kam noch das moderne             den, bemalter Holzdecke und der geballten „Dolder-
Alex Lake City direkt am See im Vorort Thalwil dazu.         schen“ Kunstsammlung Spareribs auf die Karte zu
                                                             schreiben. Natürlich nicht Barbecue-Style, sondern auf-
Höhepunkt jeder Züricher Genusstour ist ein Besuch bei       wendigst zubereitet kommt diese Sublimation eines
Heiko Nieder, der im „The Restaurant“ schlicht Welt-         Ibérico-Schweins, gekrönt von knackigem Lattich (Sa-
klasse kocht. Über steile Straßen führt der Weg hinauf,      lat), aromatisiert von Wasabi und Sesam, begleitet von
wo The Dolder Grand, die von Sir Norman Foster gestal-       unglaublich dichter Miso-Eigelb-Sauce auf den Tisch.
tete moderne Inkarnation der traditionsreichen Hotel-
ikone, im Wortsinn thront. Vor seinem Küchenfenster          Und als ob das alles noch nicht genügte, setzt das Dol-
                                                                                                                              F OTOS: FA B I A N H A E F E LI , P E T E R H E B E I S E N

bietet sich dem gebürtigen Hamburger der reinste Post-       der Grand mit Starpatissier Christian Hümbs nun auch
kartenblick auf Stadt, See und, bei guter Fernsicht, aufs    im süßen Bereich neue Maßstäbe. Wer allerdings jene
beeindruckende Alpenpanorama. „Als ich hier anfing,          Avantgarde-Desserts mit Gemüse und wenig Zucker
war Zürich kulinarisch noch recht konservativ“, erinnert     erwartet, die ihn bekannt machten, wird verblüfft. Er
er sich. Zu Anfang saß vor allem das alte Geld bei ihm       serviert in der noblen Lobby zu Pianoklängen Schwarz-
zu Tisch, heute kommen viele jüngere Gäste, aus Zürich       wälder Kirsch, Schweizer Rüeblitorte und eine sensati-
und aller Welt. Den kulinarischen Wandel der Stadt trieb     onelle Tarte au citron, deren intensiv-blumige Aromatik
der 48-Jährige entscheidend voran, er scheute sich nicht,    den Einsatz von Yuzu verrät. Seine Rückkehr zur klas-
auch ein gesetzteres Publikum an moderne Kochtechni-         sischen Patisserie will er mit einem eigenen Shop krönen
ken und Produkte jenseits der klassischen Hochküche          – und Zürich um ein weiteres Highlight bereichern. L

54 DER FEINSCHMECKER 12/2020                                ADRESSEN, KARTEN UND BEWERTUNGEN ZUM HERAUSNEHMEN AUF SEITE 146
Trendcity? Zürich! - IM HERZEN VON ZÜRICH ist der Blick von der Quaibrücke einer der schönsten, die Limmat fließt gemächlich, die Stadt pulsiert ...
Die Vordenker
unserer Zeit                     /7

                                               pic
                        Mit seit frühester Kindheit geschultem Gaumen,
                leiser Stimme und eisernem Willen erkämpfte sich die
                         Autodidaktin in der männlich geprägten Haute
               Cuisine gegen alle Widerstände ihren Weg. Heute ist sie
                    die Königin der zeitgemäßen französischen Küche
                                  – und Vorbild für Kolleginnen weltweit

                                                                    TEXT PATRICIA BRÖHM

                                       „NOTRE-DAME-DE-VALENCE“,                               so
                                       nannte ein französischer Kritiker sie einmal. Ein Beleg
                                       dafür, wie viel Respekt sich die zierliche Brünette, die
                                       immer ein wenig wirkt, als sei sie gerade einem Colette-
                                       Roman entstiegen, in der traditionell testosteron-
                                       gesteuerten französischen Spitzengastronomie erworben
                                       hat. 2007 erkochte sie den dritten Stern – als erste Frau
                                       in Frankreich seit 50 Jahren. Es war der Beginn eines
                                       einzigartigen Durchmarschs in der Welt der Hochleis-
                                       tungsküche, den sie sich mit leiser Stimme und eisernem
                                       Willen bahnte. Heute steht sie nicht nur für ihren ganz
                                       eigenen, feminin geprägten Küchenstil, sondern ist auch
                                       die einzige Frau, die zielstrebig an einem weltweiten
                                       Gourmetimperium arbeitet.

                                       „Ich habe die Küche damals nicht im Sturm erobert“,
                                       untertreibt sie ihre schwierigen Anfänge. Wer Anne-
                                       Sophie Pic in ihrer großen, ganz in Weiß gehaltenen Kü-
                                       che in Valence bei der Arbeit zusieht, der bekommt eine

58 DER FEINSCHMECKER 12/2020
SERIE: EUROPAS BESTE KÖCHE

                                                                                                 „Eine Frau kann
                                                                                                 sich durchsetzen,
                                                                                                 ohne zu schreien.
                                                                                                 Meine Mitarbeiter
                                                              Vorstellung davon, wie schwer
                                                                                                 wissen, dass ich
                                                              es war, sich durchzusetzen: Die    sehr anspruchs-
                                                              meisten Mitarbeiter überragen      voll bin.“
                                                              die nur 1,58 Meter große Chefin ANNE-SOPHIE PIC
                                                              um einen Kopf. Wie verschafft
                                                              man sich Respekt bei einem Lehrling, zu dem man auf-
                                                              schauen muss? „Eine Frau kann sich durchsetzen, ohne
                                                              zu schreien“, sagt Anne-Sophie Pic. „Meine Mitarbeiter
                                                              wissen, dass ich sehr anspruchsvoll bin.“ Hochkonzen-
                                                              triert kontrolliert „La Cheffe“ jeden Teller, der ihre Kü-
                                                              che verlässt, wischt noch einmal mit einem Tuch über
                                                              den Rand, um mögliche Fingerabdrücke zu entfernen,
                                                              dann erst nickt sie ihn ab.

                                                              DOCH NICHT NUR TALENT und Ent-
                                                              schlossenheit halfen auf ihrem Weg. Sondern auch die
                                                              Geburtsurkunde. Pic – das ist ein Name wie Donnerhall
                                                              im Mutterland der Haute Cuisine. Wer ihr Restaurant im
                                                              südwestfranzösischen Valence besucht, bekommt das
                                                              noch vor dem ersten Amuse-Bouche vor Augen geführt,
                                                              anhand einer Ausstellung im Eingangsbereich. Schwarz-
                                                              Weiß-Fotos aus dem Familienalbum erzählen die Ge-
                                                              schichte einer Dynastie von Spitzenköchen, begründet
                                                              1889 von der Urgroßmutter Sophie. Schon Anne-Sophies
                                                              Großvater und Vater erkochten drei Sterne. Als Kind lag
                                                              ihr Schlafzimmer über der Küche, sie erinnert sich noch
                                                              an den Duft von Windbeuteln mit Vanillecreme. Und an
                                                              die Krebse aus dem nahe gelegenen Fluss, die im Res-
                                                              taurant kiloweise verarbeitet wurden. „Immer, wenn ich
                                                              vorbeikam, habe ich davon genascht. Den Geschmack
                                                              der frischen Krebse habe ich noch heute auf der Zunge“,
                                                              sagt sie.

                                                              Doch obwohl ihr Geschmackssinn so früh eine erstklas-
                                                              sige Schule durchlief, ist „La Pic“ Autodidaktin. Als jun-
F OTO: LO U I S T E R A N / M A DA M E F I G A R O/ L A I F

                                                              ge Frau drängte es sie nicht in die Küche. Sie besuchte
                                                              die École de commerce in Paris, absolvierte Praktika bei
                                                              Cartier in Tokio und LVMH in New York. Mit Mitte
                                                              zwanzig aber holte sie die Macht der Gene ein. Nach dem
                                                              frühen Tod ihres Vaters und dem Verlust des dritten
                                                              Sterns beschloss sie, die Familienehre zu retten, koste
                                                              es, was es wolle. Sie nahm dafür sogar den Bruch mit
                                                              ihrem älteren Bruder in Kauf, der zunächst die Küche
                                                              weiterführte, dem allerdings ihr innovativer Geist fehlte.
                                                              1997 verließ er das elterliche Haus und machte sich
                                                              selbstständig.

                                                                                       12/2020 DER FEINSCHMECKER 59
NEBEN IHREM RESTAURANT
                                                „Maison Pic“ in Valence (u.),
                                          zu dem auch das Bistro „André“
                                             (o.) gehört, führt Anne-Sophie
                                         Pic (u. r., Mitte) sechs Restaurants
                                             weltweit. Sie entstammt einer
                                              Dynastie von Spitzenköchen,
                                          darunter ihr Großvater André (u.)

ES FOLGTEN HARTE JAHRE für die da-
mals 28-Jährige. Ohne formale Kochausbildung musste
sie sich zunächst im eigenen Haus Respekt verschaffen
und ihre Ideen von guter Küche durchsetzen. Auch in der
Branche erfuhr sie Gegenwind. Als sie sich um die Mit-
gliedschaft bei den Maîtres Cuisiniers de France bemüh-
te, hagelte es Protestbriefe gegen die Aufnahme einer
Frau in die traditionsreiche Association. „Da waren sehr
festgefahrene Vorstellungen, gegen die ich angehen
musste“, sagt Madame heute, „sehr viel Borniertheit.“
Sie ist überzeugt, dass die schwierigen Anfänge ihr letzt-
lich halfen: „Wäre alles einfach gewesen, hätte ich viel-
leicht nicht so schnell ein so hohes Niveau erreicht.“

Sie erinnert sich genau an den Tag, als ihr zum ersten
Mal ein Gericht gelang, das dem entsprach, wie sie sich
ihre Küche der Zukunft vorstellte: „Es war ein großes
Glücksgefühl. Ich wusste einfach intuitiv, ich bin auf
dem richtigen Weg.“ Dieses Schlüsselerlebnis bescherte
ihr ein Arrangement von Hummer und Foie gras, Arti-
schocken, Nüssen und Quittengelee. Ein Spiel mit den
Elementen süß und salzig, ein Jonglieren mit verschie-
denen Texturen, wie es heute für ihre leichte und pro-
duktbezogene Küche typisch ist: das Knackige der Nuss,
das Zarte der Artischocke, der Schmelz der Foie gras,
der Biss des Hummers. „An dieses Gericht werde ich
mich mein Leben lang erinnern. Es war der Beginn mei-
ner kulinarischen Emanzipation.“

  DER WEG DER
  ANNE-SOPHIE PIC
  SIE WIRD AM 12. JULI 1969 im südfranzösi-
  schen Valence in eine Dynastie von Spitzen-
  köchen hineingeboren. Nach einem Betriebs-
  wirtschaftsstudium und dem plötzlichen Tod
  des Vaters übernimmt sie überraschend die
  Nachfolge und erkämpft sich als Autodidaktin
  gegen viele Widerstände ihren Weg. 2007
  erkocht sie – als erste Frau in Frankreich seit
  50 Jahren – drei Michelin-Sterne, viele
  nationale und internationale Auszeichnungen
  folgen. Mit ihrem Mann und dem 15-jährigen
  Sohn Nathan lebt sie in Valence, weltweit
  führt sie sieben Restaurants.

60 DER FEINSCHMECKER 12/2020
SUBTIL GEWÜRZT,                               „Die große
                                                                                                                                                                perfekt ausbalanciert
                                                                                                                                                                und fantasievoll sind                   Herausforderung
                                                                                                                                                                die Gerichte von Anne-                     besteht darin,
                                                                                                                                                                Sophie Pic: Kalbsbries
                                                                                                                                                                mit gemischten Pilzen (l.),                 in der Küche
                                                                                                                                                                Ravioli mit Tomate                       etwas zu wagen,              blanc“, ein puristisch-mono-
                                                                                                                                                                und Waldmeister sowie
                                                                                                                                                                Seeigel in Eischnee                    dabei aber immer               chromer Würfel ganz in Weiß
                                                                                                                                                                (linke Seite, von oben)                 die Harmonie im               aus Tahiti-Vanille- Creme, der
                                                                                                                                                                                                                                      im Inneren mit Kumquat und
                                                                                                                                                                                                       Auge zu behalten.“             Timut-Pfeffer explosive Aro-
                                                                                                                                                                                                                    ANNE-SOPHIE PIC   matik beweist.

                                                                                                                                                                                                            Nächtelang habe sie früher in der Küche gestanden, um
                                                                                                                                     TYPISCH PIC                                                            neue Gerichte zu entwickeln, erzählt sie. Manchmal än-
                                                                                                                                     DREI SIGNATURE-GERICHTE                                                derte sie die Karte so oft, dass ihr Mann sie bremsen
                                                                                                                                     KALBSBRIES: Ungewöhnlich floral ihre Interpretation                    musste. David Sinapian, mit dem sie seit der gemein-
                                                                                                                                     des Kalbsbries: mit Miel de Callune, kraftvollem Heide-                samen Ausbildungszeit verheiratet ist, bestärkte sie von
                                                                                                                                     honig aus den Pyrenäen, und Steinklee pochiert, ruht                   Anfang an, ihren eigenen Weg zu gehen, heute führt er
                                                                                                                                     es über Nacht in einer Hülle aus Bienenwachs, ein                      die Geschäfte in ihrem wachsenden Imperium. Gemein-
                                                                                                                                     Prozess, der das Aromenspektrum intensiviert und                       sam arbeiten die beiden seit Jahren daran, den Namen
                                                                                                                                     abrundet, bevor das Bries kurz angebraten und mit                      Pic in die Welt hinauszutragen und die 51-Jährige als ers-
                                                                                                                                     gemischten Pilzen serviert wird.                                       ten weiblichen Global Chef zu etablieren.
                                                                                                                                                                                                               Neben dem Flaggschiff in Valence (zu dem auch eine
                                                                                                                                     BERLINGOTS: Eine Küche voller Emotionen: Die                           Kochschule und das Bistro „André“ zählt, benannt nach
                                                                                                                                     „Berlingots“, kleine, dreieckige Ravioli, deren                        ihrem Großvater) führt sie heute Restaurants in Paris,
                                                                                                                                     Form ein Lieblingsbonbon ihrer Kindheit inspirierte,                   Megève, London, Lausanne und Singapur, New York ist
                                                                                                                                     tauchen in all ihren Restaurants auf, in immer neuen                   in Planung. Mit ihrer geschäftlichen Expansion wachsen
                                                                                                                                     lokalen Varianten. In Lausanne etwa besteht die                        auch ihr Renommee und ihr Einfluss weltweit als eine
                                                                                                                                     cremig-flüssige Füllung aus den Fondue-Käsesorten                      der führenden Kräfte der modernen französischen Kü-
                                                                                                                                     Vacherin und Gruyère, die nötige Frische schenkt                       che. In einer Zeit, da internationale Rankings wie die
                                                                                                                                     ein vegetaler Fond aus Tomate, Verveine und Wald-                      Michelin-Guides oder die World’s 50 Best Restaurants
                                                                                                                                     meister.                                                               wegen des geringen Frauenanteils immer heftiger in der
F OTOS: S E R G E C H A P U I S ( 3 ), M A I S O N P I C , J E A N - F R A N ÇO I S M A L L E T, V I N C E N T VA N D R I E S ( 2)

                                                                                                                                                                                                            Kritik stehen, taugt die zierliche Französin für junge
                                                                                                                                     SEEIGEL: Bildschön auch ihr Seeigel in luftigem                        Frauen rund um den Globus als Vorbild. Denn sie ist ein
                                                                                                                                     Eischnee mit einer Balance von hellen und dunklen                      Beleg dafür, dass man in der männlich dominierten Welt
                                                                                                                                     Aromen: Für Tiefgründigkeit sorgen geräucherte                         der Spitzenküche auch seinen Weg gehen kann, wenn
                                                                                                                                     japanische Sojabohnen und japanischer Nikka Whisky,                    man so leise und zurückhaltend auftritt wie sie – man
                                                                                                                                     für Frische Apfelgelee und Kapuzinerkresse.                            muss nur wissen, was man will.

                                                                                                                                                                                                            WIE STARK IHR INNERER Kompass ist,
                                                                                                                                                                                                            beweisen die für sie typischen Gerichte, die scheinbar
                                                                                                                                                                                                            voller aromatischer Widersprüche sind, aber am Gaumen
                                                                                                                                                 HEUTE STEHT ANNE-SOPHIE PIC für                            in perfekter Balance aufgehen. Bestes Beispiel ist ihre
                                                                                                                                                 eine perfekt ausbalancierte, subtil gewürzte, fantasie-    „Auster Tarbouriech“, die auf einem Teller die Meeres-
                                                                                                                                                 volle Küche, die nicht durch die Lehrzeit bei großen       frucht mit den überraschenden Partnern Kaffee und
                                                                                                                                                 Meistern geprägt, sondern Ausdruck ihrer eigenen Per-      Whisky vereint: „Wir suchten nach einem Element, das
                                                                                                                                                 sönlichkeit ist. Ausschlaggebend für ihren Stil ist das,   sensorisch die Verbindung zwischen Auster und Kaffee
                                                                                                                                                 was sie „ouverture d’esprit“ nennt – einen offenen Geist   darstellt – der Whisky liefert diesen roten Faden.“ Es ist
                                                                                                                                                 pflegen, neue Horizonte entdecken: „Die große Heraus-      die Kreation einer Frau, die erfahren hat, dass es im Le-
                                                                                                                                                 forderung besteht darin, in der Küche etwas zu wagen,      ben nicht nur den einen, geradlinigen Weg gibt. So ge-
                                                                                                                                                 dabei aber immer die Harmonie im Auge zu behalten.“        sehen, erzählen die Teller der Spitzenköchin immer auch
                                                                                                                                                 Ihre Kreationen sind nie laut und offen provokant, son-    ihre Lebensgeschichte. Oder, mit den Worten ihres gro-
                                                                                                                                                 dern gehen auf eine subtile und doch selbstbewusste Art    ßen Förderers Paul Bocuse: „Was ich an Anne-Sophies
                                                                                                                                                 neue Wege. Zum Beispiel das Dessert „le mille-feuille      Küche so schätze, ist ihre Wahrhaftigkeit.“              l

                                                                                                                                                                                  ADRESSEN, KARTEN UND BEWERTUNGEN ZUM HERAUSNEHMEN AUF SEITE 146
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