Und dann kam das Mondkind - Vielfalt Leben - ErzieherIn.de
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20 Begegnungen Und dann kam das Mondkind Vielfalt Leben Die Vater-Mutter-Kind-Familie hat Gesell- schaft bekommen. Warum das so ist, was neue Lebensentwürfe, Partner- schafts- und Familienmodelle attraktiv macht und welchen Gewinn wir daraus ziehen können, interessiert Betrifft KINDER in der Reihe »Vielfalt Leben«. Sandra und Sabrina Lukas z.B., die El- tern des vierjährigen Mats und der fünf Monate jungen Enni. Jutta Gruber traf sie auf dem Hunsrück, wo die Kita- Leiterin und die Erzieherin keine Un- bekannten sind. Tom Sessa aus dem wild-romantischen Nahetal bei Idar-Oberstein erzählt gern, was er als erstes dachte, als Sandra Lukas ihm vor gut zehn Jahren ihre Gefühle zu seiner ehemaligen Schul- war, eine Ehe miteinander einzugehen, Nicht nur für den Schein kameradin Sandra anvertraute. Der feierten sie die Eintragung ihrer Lebens- Sozialarbeiter bereitete zu dieser Zeit partnerschaft im großen Stil. »Alle wa- Die Eheschließung 2018 war reine Form- eine Fortbildungsreise für Jugendlei- ren da! Sogar fast meine komplette sache. »Mit dieser Art Upgrade folgten terInnen vor. »Weil Sabrina die erfah- Handballmannschaft!«, erinnert sich wir der Empfehlung unseres Notars, in renste meiner Begleitpersonen war, die heute 41-jährige Kita-Leiterin Sandra rechtlichen Belangen immer das abzu- war ich in diesem Moment einfach nur Lukas. Für sie stand lange Zeit der schließen, was aktuell möglich ist, froh, dass hinter ihrer bedeutungsvol- Sport an erster Stelle: »Ich spielte in und öffneten den Weg zum gemeinsa- len Miene keine Absage steckte.« Ob der Regionalliga, trainierte neben Schu- men Sorgerecht für unseren damals die beiden gut zusammenpassen, hat le und später Ausbildung und Arbeit anderthalbjährigen Sohn Mats«, führt er sich nie gefragt: »Die müssen doch quasi täglich und kenne fast jeden Sabrina Lukas weiter aus. Weil für sie miteinander klarkommen und nicht ich Sportplatz in ganz Deutschland. Für immer schon klar war, dass sie einmal und ganz offensichtlich passt es ja mit eine Beziehung hatte ich schlicht keine Kinder haben möchte, war das zu Be- den beiden.« Zeit und mir hat das auch nicht gefehlt. ginn der Beziehung die Gretchenfrage: Nicht mal das Missgeschick, dass er Letztlich aber ist der Groschen, dass »Glücklicherweise war es für Sandra zum Polterabend sein altes Geschirr vor meine Zukunft an der Seite einer Frau auch so, dass Kinder zu ihrem Leben dem falschen Haus zerschlug, konnte ist, vor allem deshalb relativ spät ge- dazu gehören. Ich bin sicher, dass es dem Glück etwas anhaben: Inzwischen fallen, weil es lange Zeit kein passen- mit uns nicht funktioniert hätte, wenn sind sie nicht nur glücklich verheiratet, des Gegenüber für mich gab. Weder in das für sie kein Thema gewesen wäre.« sondern auch Mütter des vierjährigen meinem Dorf, noch auf der Arbeit und Anfangs dachte die acht Jahre jüngere Mats und der fünf Monate jungen Enni. auch beim Handball waren alle Team- Erzieherin, dass sie »einfach nur gern Weil es gleichgeschlechtlichen Paaren kolleginnen in einer Beziehung mit ei- Zeit mit Sandra verbringt. Sie war doch 2014 von Rechts wegen nicht möglich nem Mann.« meine Arbeitskollegin, meine Chefin!« Betrifft KINDER 11-12|20200
Begegnungen 21 Die Einsicht, dass ihre Gefühle über das Diesseits der Norm Sandra verliebt, weil sie Sandra ist – Kollegiale und Freundschaftliche hin- in ihren Charakter, ihre Persönlichkeit ausgehen, traf sie wie ein Blitzschlag. Jede zehnte Familie lebt in einem, von – und nicht, weil sie eine Frau ist. Ich »Da hatte ich dann schon ein paar der Vater-Mutter-Kind/er-Familie ab- wüsste auch nicht, ob ich mich noch schlaflose Nächte. Ich war 22 Jahre alt, weichenden Familienmodell. Tendenz mal in eine Frau verlieben würde.« wohnte noch bei meinen Eltern und steigend. Geschätzt rund 10 Prozent war bis dahin immer nur mit Männern aller Kinder leben demnach nicht mit zusammen. Die Beziehung mit einer beiden leiblichen Eltern im selben Stadtluft macht frei Frau hatte ich nie überhaupt nur in Er- Haushalt, sondern z.B. in einer Patch- wägung gezogen.« Der Einsicht folgte workfamilie, bei den Großeltern, in Zu Beginn ihrer Beziehung waren Aus- eine Zeit des inneren Zwiegesprächs. einem SOS-Kinderdorf, in einer Pflege- flüge in das zweieinhalb Autostunden Grundsätzliche Fragen wie »Steh ich familie (siehe Betrifft KINDER 03-04/19) entfernte Köln wichtig: »Auf dem Land, dazu und bin glücklich oder verleum- oder in einer Regenbogenfamilie. Dies da werden wir angeguckt, vor allem, de ich meine Gefühle und seh’ zu, dass ist nach der zeitgemäßen Definition wenn wir mit den Kindern unterwegs sie wieder weggehen, um mit dem des Lesben- und Schwulenverbandes sind. Einfach weil wir nicht ins gewohn- Strom zu schwimmen?« wollten ge- Berlin-Brandenburg (www.regenbogen- te Rollenbild passen. Aber in Köln oder dreht und gewendet und beantwortet familien.de) eine Familie, in der min- Berlin gehören gleichgeschlechtliche werden. »Meist ist es ja ein längerer destens ein Elternteil lesbisch, schwul, Paare zum Straßenbild.« Andere Frauen, Prozess, bis eine Frau ahnt oder weiß, bisexuell, trans* oder inter* ist (vgl. die auch mit Frauen zusammen sind, dass sie lieber mit einer Frau als mit Betrifft KINDER 11-12/19, S. 39). Von al- kennenzulernen, erlebten sie wohltu- einem Mann zusammen sein möchte. len vorstellbaren Regenbogenfamilien end und hilfreich. »Verstecken wollten Aber bei mir ging das Knall auf Fall. ist die Mutter-Mutter-Kind/er-Familie wir uns auf keinen Fall. Deshalb haben Und ehrlich gesagt, ich habe mich in die mit Abstand häufigste. wir gar nicht erst damit angefangen, Betrifft KINDER 11-12|2020
22 Begegnungen uns als WG oder so zu bezeichnen Gut abgebildet In dem von Alexander Schug u.a. her- und im Zweifelsfall betont, dass unse- ausgegebenen Das Regenbogenväter- re Freundin nicht ›eine‹, sondern ›die‹ Zwei Papas für Tango von Edith Schrei- buch berichten Autoren aus verschie- Freundin ist.« ber-Wicke und der Illustratorin Carola denen Blickwinkeln von persönlichen Anfängliche Irritationen in Sabrina Holland ist die Geschichte von zwei und intimen Erfahrungen. Das mit Lukas’ Familie und Freundeskreis hätten männlichen Pinguinen, die im Zoo Fotos von Jan von Holleben illustrier- sich schnell gelegt: »Von mir hat ja leben, von Kindesbeinen an beste te Buch ist nicht nur ein gelungener niemand – und nicht mal ich selbst – Freunde sind, alles zusammen machen Ratgeber für Regenbogenväter und erwartet, dass ich mal mit einer Frau und sogar ein gemeinsames Nest ha- solche die es werden wollen, sondern zusammen sein könnte. Letztlich aber ben. Als ihnen ein Wärter das verlasse- für alle, die ihren Blick auf Familie in wollten alle, dass ich einfach nur glück- ne Ei eines anderen Pinguinpärchens Deutschland radikal ändern möchten. lich bin.« Damals erkannte sie auch, dort hinein legt, ist ihr Glück perfekt. Auf www.familiafutura.de stehen Inhal- »dass man die heftigsten Barrieren de- Im Buch werden weder die Herkunft te eines Festivals für Familiendiversität finitiv sowieso im eigenen Kopf hat.« des Eies, noch die Frage, ob zwei Män- kostenfrei zur Verfügung. Eine Beson- Das zu erkennen erlebte sie als span- ner Eltern sein können, thematisiert. derheit der Seite ist, dass viele Einfüh- nend, im Nachhinein aber auch irgend- Das ist einfach nur wohltuend! Sorum rungstexte in einfacher Sprache ge- wie erschreckend: »Bis dahin entsprach und Anders von Yvonne Hergane und schrieben sind. Aktuelle Informationen ich dem üblichen Frauenbild. Schon Christiane Pieper ist eine weitere ge- postet das engagierte Team auf www. längst geklärt geglaubte Fragen nach lungene Publikation zum Thema Diver- facebook.com/familiafuturafestival. meinem Rollenverständnis, also z.B. sität. Die Geschichte im Pappbilder- Drei Klassiker, die Familien jenseits ›Wie habe ich als Frau zu sein?‹ oder buch erzählt davon, dass Unterschie- der Norm in ihrer Normalität abbilden, ›Was wird von mir erwartet‹, haben sich de das Leben bunt und vielfältig ma- sind Du gehörst dazu: Das große Buch mir nochmal neu gestellt. Was hab’ ich chen und warum es z.B. praktisch ist, der Familien von Mary Hoffman und mir da nicht alles überlegt ... ob ich wenn der eine Milchreis und die an- Ros Asquith, das aus dem Schwedi- mich jetzt nur noch maskulin kleiden dere Karotten mag. schen übersetzte Das Familienbuch von und mir die Haare kurz schneiden muss Auf www.queer.de gelangt man Edward Summanen und Johanna Arpi- und mich nicht mehr schminken darf. durch Eingabe des Suchbegriffs »Kin- ainen und das in Zusammenarbeit mit Ich weiß noch, dass ich zögerte, einen derbücher« zu einer ebenso bemer- dem Projekt Kinderwelten INA gGmbH Rock anzuziehen, als ich Sandra zum kenswerten wie bunten Liste von entwickelte und im verlag das netz ersten Mal zu einem Handballspiel be- Büchern für Kinder ab 4 Jahren. erschienene Das Familienspiel. gleitete, und sie sagte: ›Und warum machst du das denn nicht?‹ All die Klischees, die musste vor allem ich dinnen haben, denen es egal ist, ob Wie man in den Wald hineinruft selbst abschütteln.« wir mit einer Frau oder einem Mann zu- Ihre Erfahrung nach all den Jahren sammen sind.« Vieles würde sich ohne- Heute pflegen sie bewusst Kontakt auch ist, dass »die Leute vor allem dann ko- hin von selbst regeln. »Mit Mats z.B., zu einigen Familien mit zwei Müttern, misch mit einem umgehen, wenn man da haben wir auch überlegt, wie wir auch wenn sie, wie Sandra Lukas be- selbst um eine Sache herumdruckst. ihm die Unterscheidung zwischen uns tont, mit manchen kaum mehr als das Spätestens als dann Mats, unser Mond- erleichtern könnten. Ob es vielleicht verbindet: »Nur weil die Eltern zwei kind, zur Welt kam, hätten sowieso eine gute Idee ist, gleich von Anfang Mamas sind, muss man nicht auf einer alle gewusst, in welche Richtung das an die eine von uns Mutti und die an- Wellenlänge sein, was den Umgang mit mit uns zu verstehen ist«, erinnert sich dere Mama zu nennen ... Aber dann Kindern angeht.« Die Kontakte pflegen Sandra, und Sabrina ergänzt: »Alle, die haben wir das auf uns zukommen las- sie trotzdem. »Wir machen das vor al- mich vorher kannten und mochten, mö- sen und erlebt, dass Mats eine wunder- lem für die Kinder. Sie brauchen, ge- gen mich auch jetzt. Richtig schön fand bar praktikable und einfache Lösung nauso wie Erwachsene, Gleichgesinnte, ich, als damals meine beste Freundin gefunden hat: Wenn nur eine Mama da insbesondere wenn sie hinsichtlich sagte, dass sie für uns einsteht, falls ist oder er in eindeutigem Bezug, also irgendeiner Eigenschaft nicht der Norm uns mal jemand blöd kommt. Vielleicht z.B. im Blickkontakt mit einer von uns entsprechen. Vielleicht entstehen da- zeigt sich auch irgendwann, dass wir ist, sagt er ›Mama‹, wenn wir drei im raus Freundschaften zwischen den Kin- gar keine Gleichgesinnten unter ande- Raum sind und er von einer von uns dern, auf die sie irgendwann, wenn ren homosexuellen Paaren finden müs- was will, sagt er ›Mama Sandra‹ oder ihnen nach Austausch ist, zurückgrei- sen, weil wir tolle Freunde und Freun- ›Mama Sabrina‹. Das funktioniert super!« fen können.« Betrifft KINDER 11-12|20200
Begegnungen 23 Dein Kind. Mein Kind. Unser Kind Auch wenn noch viele Schritte fehlen, mit der Möglichkeit zur Eheschließung für gleichgeschlechtliche Paare – die sogenannte Homoehe – ist das Fami- lienrecht seit Oktober 2017 hinsicht- lich der rechtlichen Absicherung von Kindern für Regenbogenfamilien einen wesentlichen Schritt weitergekommen: Die Eheschließung erlaubt gleichge- schlechtlichen Paaren, ein Kind zu adoptieren und das gemeinsame Sor- gerecht zu erlangen. Ohne Eheschließung müssen sich PartnerInnen von lesbischen oder schwulen Alleinsorgeberechtigten mit dem landläufig auch »Kleines Sorge- recht« genannten Mitsorgerecht be- gnügen. Es erlaubt im selben Haus- halt lebenden sozialen Vätern oder Müttern in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens, also z.B. bei der Er- nährung des Kindes, der Gesundheit, der Hygiene oder bei Alltagsfragen in der Schule Entscheidungen für das Kind zu treffen und es rechtlich zu ver- treten. In Streitfragen und grundle- genden Angelegenheiten des Kindes liegt die Verantwortung jedoch beim allein sorgeberechtigten Elternteil. Weil man sich kennt dem Land in gewisser Weise vielleicht Auch deshalb sollte Mats kein Einzel- sogar einfacher ist, eine Regenbogen- kind bleiben. Damit er und Enni mög- Bislang scheinen für Mats, den seine familie zu sein, ohne sich komisch zu lichst viel gemeinsam haben, wählten Mütter ihr »Mondkind« nennen, weil er fühlen: »In einem Dorf mit 600 Einwoh- sie für beide denselben Samenspender sie lange Zeit in Vollmondnächten auf nerInnen ist ja irgendwie alles familiär aus. »Dann können sie sich, falls ihnen Trab hielt und nach wie vor den Mond und wenn jeder jeden kennt, wie soll- jemals danach ist, auf die Suche nach und die Sterne am Nachthimmel be- te einem da etwas fremd sein?« diesem Teil ihrer Wurzeln machen«, er- wundert, diesbezüglich keine Fragen gänzt Sabrina Lukas. »Der Weg würde offen zu sein. »Wir haben ihn schon Jutta Gruber M. A. studierte Philoso- sie wahrscheinlich nach Dänemark sagen hören ›Und ich hab’ zwei Ma- phie, Germanistik und Pädagogik. Sie führen.« Es war die Empfehlung ihres mas‹, wenn in einem Buch ›Das ist die war Vorstandsmitglied im Bundes- Kinderwunschzentrums, für die Inse- Mama und das ist der Papa von ...‹ verband Natürlich Lernen e.V., lebt mination – die üblichste der künst- steht.« Den Eindruck, dass ihm etwas und arbeitet als Autorin, Journalistin lichen Befruchtungen – eine Samen- fehlt oder er das Gefühl hat, irgendwie und Heilpraktikerin für Psychothera- spende von einer dänischen Samen- anders zu sein, haben sie jedenfalls pie in Berlin und Landsberg am Lech bank zu wählen, weil aufgrund der nicht. Auch nicht in der Kita. »Dort und hat eine erwachsene Tochter. dänischen Rechtslage Ansprüche vom scheint er uns eher ›das Kind von einer Samenspender an seine Nachkömm- Erzieherin und einer Kita-Leiterin‹ als Kontakt linge und umgekehrt ausgeschlossen ›das von zwei Mamas‹ zu sein.« Ge- juttagruber@verlagdasnetz.de sind. meinsam resümieren sie, dass es auf Betrifft KINDER 11-12|2020
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