Unternehmenskrise: Leitfaden für Verwaltungsräte - Briefing November 2020 (Update) - Cloudinary
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Briefing November 2020 (Update) Unternehmenskrise: Leitfaden für Verwaltungsräte In Krisensituationen kommt es zu einer Kompetenzverschiebung von der Geschäftsleitung hin zum Verwaltungsrat. Dieser Leitfaden soll Verwaltungsräten sowie anderen Entscheidungsträ- gern eine Übersicht über die zentralen Massnahmen, Pflichten und rechtlichen Besonderheiten geben. Insbesondere die folgenden Punkte sind aus unserer Erfahrung zu beachten: – Handlungspflicht des Verwaltungsrates: In Krisensituationen muss der Verwaltungsrat "das Zepter in die Hand nehmen", die Geschäftsführung enger überwachen und dazu geeignete Reporting-Systeme implementieren. – Realistische Analyse notwendig: Droht eine Verschlechterung der finanziellen Situation, hat der Verwaltungsrat umgehend eine realistische Analyse der Ist-Situation vorzunehmen. Dabei empfehlen wir eine frühzeitige Kommunikation mit dem Revisor betreffend Going Concern und Bewertungsfragen. – Liquidität ist zentral: Planung, Überwachung und Sicherung der Liquidität sind absolut zent- ral. Liquiditätssichernde Massnahmen sind frühzeitig zu ergreifen, und ein geeignetes Über- wachungssystem ist zu implementieren (sofern nicht bereits vorhanden). – Keine Konzernsicht in der Schweiz: Der Verwaltungsrat muss die Interessen seiner jeweili- gen Gruppengesellschaft (und deren Gläubiger) wahren. Bestehende Konzernbeziehungen und -abhängigkeiten sind daher kritisch zu hinterfragen. Bei up-/cross-stream-Leistungen und Cash Pooling ist besondere Vorsicht geboten. – Sanierungsmassnahmen frühzeitig ergreifen: Neben den unmittelbar liquiditätssichernden Massnahmen hat der Verwaltungsrat frühzeitig Sanierungsmassnahmen zu ergreifen: (i) ope- rative und organisatorische Massnahmen, (ii) Kapitalmassnahmen mit Mittelzufluss und (iii) Kapitalmassnahmen ohne Mittelzufluss bzw. eine Kombination derselben. – Zahlungsrestriktionen beachten: Als generelle Regel sollte eine Gesellschaft in finanziellen Schwierigkeiten (i) Forderungen nicht vor Fälligkeit bezahlen, (ii) keine Sicherheiten für bereits bestehende Verbindlichkeiten gewähren und (iii) Geldschulden nicht durch unübliche Zah- lungsmittel tilgen.
Bär & Karrer Briefing November 2020 (Update) 2|6 Unternehmenskrise: Leitfaden für Verwaltungsräte – Notifikationen vornehmen: Der Verwaltungsrat hat allfälligen Notifikationspflichten unter Kre- ditverträgen, D&O-Versicherungen etc. nachzukommen. – Einleitung von Nachlass- und Insolvenzverfahren: Zeigt sich, dass eine privatrechtliche Sanierung trotz ergriffener Massnahmen nicht mehr möglich ist, stehen dem Verwaltungsrat grundsätzlich drei Nachlass- und Insolvenzverfahren zur Verfügung: COVID-19 Stundung, Nachlassverfahren oder Konkurs. Falls die Gesellschaft überschuldet ist, hat der Verwaltungs- rat zudem unter Umständen die Pflicht, ein solches Verfahren einzuleiten. Die Wahl des pas- senden Verfahrens hängt primär davon ab, ob von einer "V"-förmigen Geschäftsentwicklung (COVID-19 Stundung), einer "U"-förmigen Geschäftsentwicklung (Nachlassstundung) oder einer "L"-förmigen Geschäftsentwicklung (Konkursverfahren) ausgegangen wird. – Wegfall Bilanzdeponierungs-Moratorium: Die im April 2020 eingeführte temporäre Befrei- ung von der Pflicht zur Bilanzdeponierung bei Überschuldung ist per 20. Oktober 2020 weg- gefallen. COVID-19 Kredite bis CHF 500'000 zählen aber weiterhin nicht als Fremdkapital bei der Beurteilung, ob eine Überschuldung vorliegt. Handlungspflicht des Verwaltungsra- lyse der Ist-Situation vorzunehmen. Er muss evaluie- tes ren, ob die Gesellschaft sanierungsfähig ist und eine Fortführung der Geschäftstätigkeit während der nächs- In Krisensituationen kommt es zu einer Kompetenz- ten 12 Monate (Going Concern) realistisch ist (insb. verschiebung von der Geschäftsleitung hin zum Ver- unter Berücksichtigung der Liquiditätssituation). Dabei waltungsrat. Die Intensität und der Rhythmus der kann sich der Verwaltungsrat an den folgenden Grund- Überwachungstätigkeit des Verwaltungsrats müssen sätzen orientieren: erhöht werden, folglich auch die Anzahl Sitzungen so- wie der Austausch mit der Geschäftsleitung. Die Gover- – Einzelbetrachtung jeder Gruppengesellschaft; kei- nance-Struktur sollte auf ihre Angemessenheit für die ne Konzernsicht (vgl. unten). aktuelle ausserordentliche Lage der Gesellschaft hin überprüft und gegebenenfalls angepasst werden (z.B. – Prüfung der Werthaltigkeit der Aktiven, insbeson- durch Bildung von vorbereitenden Ausschüssen). dere der Beteiligungen und konzerninternen Forde- rungen. Entscheidungen und Massnahmen sind zu dokumen- tieren (insb. Protokolle). – Überprüfung von Konzernbeziehungen: Abhän- gigkeiten, Klumpenrisiken, Vermeidung von up-/ cross-stream-Zahlungen. Realistische Analyse – Frühzeitige Kommunikation mit Revisor (Wertbe- Droht eine Verschlechterung der finanziellen Situation, richtigungen, Going Concern). hat der Verwaltungsrat zunächst eine realistische Ana-
Bär & Karrer Briefing November 2020 (Update) 3|6 Unternehmenskrise: Leitfaden für Verwaltungsräte Liquidität ist zentral Verwaltungsräte der einzelnen Gesellschaft Anwen- dung. Die Liquiditätsplanung, -überwachung und -siche- rung sind zentral. Zwecks Sicherung der Liquidität Entsprechend hat der Verwaltungsrat bei der Beurtei- kommen bspw. die folgenden Massnahmen in Betracht: lung der Bilanzsituation die Werthaltigkeit von Beteili- gungen und konzerninternen Forderungen zu prüfen – Erhöhung Kreditlimiten bei Banken. und allfällige Wertberechtigungen vorzunehmen. Be- stehende Konzernbeziehungen und -abhängigkeiten – Verschiebung geplanter Investitionen. sind kritisch zu hinterfragen. Bei up-/cross-stream-Leis- tungen und Cash Pooling ist besondere Vorsicht gebo- – Kurzarbeit. ten. – Weitere personelle Massnahmen (inkl. Lohnver- handlungen und Entlassungen). Mögliche Sanierungsmassnahmen – Kündigung von nicht betriebsnotwendigen Ver- Neben den Massnahmen zur unmittelbaren Sicherung trägen (z.B. Werbeverträge). der Liquidität hat der Verwaltungsrat weitere angemes- sene Sanierungsmassnahmen zu ergreifen. Möglich – Verbesserung der Debitorenbewirtschaftung. sind operative, organisatorische oder bilanzielle Mass- nahmen (mit oder ohne Kapitalzufluss) oder, wie in der – Allenfalls Priorisierung von Zahlungen. Insbeson- Praxis üblich, eine Kombination derselben: dere Sozialversicherungsabgaben sollten zeitge- recht bezahlt werden. Operative und organisatorische Massnahmen – Stundung für Miete, Steuern etc. – Kostenreduktion. – Sale-and-Lease-back. – Optimierung Abläufe / Strukturen. – Reduktion Inventar. – Anpassung Produkte. Sofern nicht bereits vorhanden, muss ein geeignetes – Anpassung der Organisation / des Managements. Überwachungssystem implementiert werden, wel- ches ein Echtzeit-Monitoring der Liquiditätssituation – Beizug von Experten (Sanierungsexperte, Kommu- (aktuell und grundsätzlich über die nächsten 12 Mona- nikation, Anwalt, etc.). te) auf Stufe jeder Gruppengesellschaft sowie auf kon- solidierter Basis ermöglicht. Der Liquiditätsplan ist – Entlassungen – Einhaltung gegebenenfalls an- basierend darauf laufend anzupassen. wendbarer Vorschriften über die Massenentlas- sung. Keine Konzernsicht in der Schweiz – Beantragung einer Stundung für bspw. Mietzinse und Steuern. Für Konzernstrukturen gilt es zu beachten, dass dem Schweizer (Konkurs-) Recht eine Einzelbetrachtung der – Verkauf / Schliessung unrentabler Unternehmens- Gruppengesellschaften zu Grunde liegt und es deshalb teile – Caveat: Paulianische Anfechtung. auch in Krisensituationen keine Konzernsicht zulässt. Der Verwaltungsrat muss die Interessen seiner jeweili- – Notverkauf von Vermögenswerten, Auffanggesell- gen Einzelgesellschaft (und deren Gläubiger) wahren. schaft – Caveat: Paulianische Anfechtung. Die hier skizzierten Pflichten finden individuell auf die
Bär & Karrer Briefing November 2020 (Update) 4|6 Unternehmenskrise: Leitfaden für Verwaltungsräte – Sanierungsfusion – insbesondere Prüfung von Ver- – Debt / Equity Swap (Passiventausch) – Caveat: Dis- rechnungssteuerfolgen. kussion, ob verrechnete Forderung bei Verrech- nungsliberierung werthaltig sein muss; 1% Stem- Kapitalmassnahmen mit Mittelzufluss pelabgabe auf Einlage mit obgenannter Ausnahme; grundsätzlich gewinnsteuerneutral (steuerliche Ver- – Bankkredite. lustvorträge bleiben in der Regel erhalten). – Überbrückungsdarlehen von Aktionären / naheste- – Debt / Asset Swap (Bilanzverkürzung) – Caveat: henden Personen – mögliche Subordinierung im Paulianische Anfechtung; Gewinnsteuer bei Kapi- Konkurs, wenn als eigenkapitalersetzend angese- talgewinn. hen. – Forderungsverzicht (allenfalls gegen Besserungs- – Barkapitalerhöhung (OR 650) – 1% Stempelabgabe schein) – bei Verzicht des Aktionärs 1% Stempel- auf Einlage unter Vorbehalt einer einmaligen Aus- abgabe auf Einlage mit obgenannter Ausnahme; nahme von CHF 10 Mio., soweit mit Bilanzverlusten kann Gewinnsteuer auf ausserordentlichem Ge- verrechenbar; grundsätzlich gewinnsteuerneutral winn auslösen (welcher aber mit Verlustvorträgen (Verlustvorträge bleiben erhalten). verrechnet werden kann, auch wenn diese älter als 7 Jahre sind). – Kapitalherabsetzung mit gleichzeitiger Kapitalerhö- hung (sog. "Harmonika"; OR 732a) – 1% Stempel- abgabe auf Einlage mit obgenannter Ausnahme; Zahlungsrestriktionen (Paulianische grundsätzlich gewinnsteuerneutral (Verlustvorträge Anfechtung) bleiben erhalten). Aufgrund der Bestimmungen über die sog. pauliani- – À-fonds-perdu-Zuschüsse ins Eigenkapital – 1% sche Anfechtung hat eine Gesellschaft, die sich in Stempelabgabe auf Einlage mit obgenannter Aus- schweren finanziellen Schwierigkeiten befindet, ihre nahme; grundsätzlich gewinnsteuerneutral (Verlust- Gläubiger gleich zu behandeln. Es dürfen keine Zah- vorträge bleiben in der Regel erhalten; steuerbarer lungen an einzelne Gläubiger in Präferenz zu privile- Gewinn kann mit Verlustvorträgen verrechnet wer- gierten oder gleichrangigen Gläubigern vorgenommen den, selbst wenn diese älter als 7 Jahre sind). werden. Kapitalmassnahmen ohne Mittelzufluss Als generelle Regel sollte eine Gesellschaft in finan- ziellen Schwierigkeiten (i) Forderungen nicht vor Fäl- – Auflösung stiller Reserven – Gewinnsteuer auf Wie- ligkeit bezahlen, (ii) keine Sicherheiten für bereits be- deraufwertungsgewinn. stehende Verbindlichkeiten gewähren und (iii) Geldschulden nicht durch unübliche Zahlungsmit- – Aufwertung von Grundstücken oder Beteiligungen tel tilgen. Droht Illiquidität oder ein Insolvenzverfah- (OR 670) – Gewinnsteuer auf Wiederaufwertungs- ren, dürfen – unter Vorbehalt gewisser Ausnahmen – gewinn. keine (nicht privilegierten) Forderungen mehr getilgt werden, auch keine fälligen. Eine Beurteilung im Ein- – Refinanzierung (Laufzeitverlängerungen). zelfall bleibt in jedem Fall vorzunehmen. – Rangrücktritt (OR 725 II). Notifikation und weitere Punkte – Auflösung und Verrechnung von Reserven (OR 671 III) – Caveat: Verlust von Kapitaleinlagereserven. Der Verwaltungsrat hat formalen Notifikationspflich- ten unter Kreditverträgen, D&O-Versicherungen etc. – Deklarative Kapitalherabsetzung (OR 735). nachzukommen.
Bär & Karrer Briefing November 2020 (Update) 5|6 Unternehmenskrise: Leitfaden für Verwaltungsräte Als Ausnahme zur Regel, dass einzig das Vermögen Falls beide Zwischenbilanzen eine Überschuldung zei- der Gesellschaft für deren Verbindlichkeiten haftet, gen, muss der Verwaltungsrat beim Gericht den Kon- können Verwaltungsräte im Fall einer Verletzung von kurs anmelden (Bilanzdeponierung; OR 725 II). Bis Sozialversicherungsvorschriften für unbezahlte So- März 2022 zählen staatlich besicherte COVID-19 Kre- zialversicherungsbeiträge persönlich haftbar gemacht dite bis zu CHF 500'000 nicht als Fremdkapital bei der werden. Diese sollten daher unbedingt zeitgerecht be- Beurteilung, ob eine Überschuldung i.S.v. OR 725 II zahlt werden. vorliegt. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Falls eine Einstellung der Geschäftstätigkeit in den Sanierung hoch ist, sollte aus Vorsichtüberlegungen nächsten 12 Monaten voraussichtlich nicht abwendbar ein Plan B angedacht und, wo angezeigt, vorbereitet ist (kein Going Concern; insb. mangels Liquidität), werden (z.B. Auffanggesellschaft, Nachlassverfahren, muss bei der Rechnungslegung auf – üblicherweise oder Bilanzdeponierung). deutlich tiefere – Liquidationswerte umgestellt werden (OR 958a II). Der Verwaltungsrat muss Konkurs an- melden, wenn die Bilanz zu Liquidationswerten eine Nachlass- und Insolvenzverfahren Überschuldung aufweist. Illiquidität führt daher oft zu einer Überschuldung, welche die Pflicht des Verwal- Zeigt sich, dass eine privatrechtliche Sanierung trotz tungsrates zur Bilanzdeponierung auslöst. ergriffener Massnahmen nicht mehr möglich ist, ste- hen dem Verwaltungsrat grundsätzlich zwei Insol- Von einer Konkursanmeldung kann abgesehen wer- venzverfahren zur Verfügung: Nachlassverfahren den, falls Gesellschaftsgläubiger im Ausmass der oder Konkurs. Falls die Gesellschaft bereits über- Überschuldung Rangrücktritte abgeben oder wenn der schuldet ist, hat der Verwaltungsrat zudem unter Um- Verwaltungsrat stattdessen ein Nachlassverfahren ständen die Pflicht, ein solches Verfahren einzuleiten. oder eine COVID-19 Stundung einleitet. Sodann ist Die Wahl des passenden Verfahrens hängt primär da- gemäss Rechtsprechung ein kurzzeitiges Zuwarten von ab, ob von einer "U"-förmigen Geschäftsentwick- (max. 4–6 Wochen) statthaft, wenn der Verwaltungsrat lung (Nachlassstundung) oder einer "L"-förmigen Ge- unverzüglich konkrete Sanierungsmassnahmen er- schäftsentwicklung (Konkursverfahren) ausgegangen greift und ernsthafte Aussicht auf eine dauerhafte Sa- wird. nierung besteht. Wenn der Verwaltungsrat seiner Bi- lanzdeponierungspflicht nicht nachkommt und eine Vgl. diesbezüglich das Bär & Karrer Briefing "Über- offensichtliche Überschuldung vorliegt, ist die Revisi- sicht Nachlass- und Insolvenzverfahren". onsstelle verpflichtet, den Konkurs anzumelden. Pflicht zur Bilanzdeponierung und COVID-19 Erleichterung Hat der Verwaltungsrat begründete Besorgnis einer Überschuldung (Fremdkapital ist nicht mehr durch Ak- tiven gedeckt), muss er eine Zwischenbilanz zu Fort- führungs- sowie Liquidationswerten erstellen und die- se durch einen zugelassenen Revisor prüfen lassen.
Bär & Karrer Briefing November 2020 (Update) 6|6 Unternehmenskrise: Leitfaden für Verwaltungsräte Hauptkontakte Dr. Christoph Neeracher Dr. Luca Jagmetti Thomas Rohde Partner, Leiter Sanierungen und Insol- Partner Partner venzverfahren M: +41 58 262 52 62 M: +41 58 262 52 31 M: +41 58 262 52 64 luca.jagmetti@baerkarrer.ch thomas.rohde@baerkarrer.ch christoph.neeracher@baerkarrer.ch Dr. Philippe Seiler Raphael Annasohn Partner Partner M: +41 58 262 56 48 M: +41 58 262 52 65 philippe.seiler@baerkarrer.ch raphael.annasohn@baerkarrer.ch Bär & Karrer Ltd.
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