Untersuchungsbericht Unfall mit dem Motorflugzeug Bombardier DHC-8-402, am 04.04.2019, um ca. 08:56 Uhr UTC am Flughafen Innsbruck (LOWI), A-6020 ...
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Untersuchungsbericht Unfall mit dem Motorflugzeug Bombardier DHC-8-402, am 04.04.2019, um ca. 08:56 Uhr UTC am Flughafen Innsbruck (LOWI), A-6020, Innsbruck, Tirol GZ.: 2021-0.432.817 Wien, 2021
Inhalt Vorwort........................................................................................................................ 4 Hinweis ........................................................................................................................ 5 Einleitung ..................................................................................................................... 6 1 Tatsachenermittlung............................................................................................. 7 1.1 Ereignisse und Flugverlauf ..................................................................................... 7 1.1.1 Flugvorbereitung ......................................................................................... 11 1.2 Personenschäden ................................................................................................ 11 1.3 Schaden am Luftfahrzeug .................................................................................... 11 1.4 Andere Schäden .................................................................................................. 12 1.5 Besatzung............................................................................................................ 12 1.5.1 Fliegender Pilot (Pilot Flying, F/O) ............................................................... 12 1.5.2 Unterstützender Pilot (Pilot Monitoring, Captain) ....................................... 13 1.6 Luftfahrzeug ........................................................................................................ 13 1.6.1 Bord Dokumente ......................................................................................... 14 1.6.2 Zertifizierung und Zulassung........................................................................ 14 1.6.3 Luftfahrzeug Wartung und Lufttüchtigkeit................................................... 15 1.6.4 Beladung und Schwerpunkt des Luftfahrzeuges .......................................... 15 1.6.5 Fluggeschwindigkeit für den Anflug ............................................................. 16 1.6.6 Kriterien des Betreibers für einen stabilen Anflug ....................................... 16 1.6.7 Heck Kontakt mit der Piste .......................................................................... 18 1.7 Flugwetter ........................................................................................................... 20 1.7.1 METAR, TAF und Wetterkarten ................................................................... 20 1.7.2 Wetterberatung der Besatzung ................................................................... 27 1.7.3 Natürliche Lichtverhältnisse ........................................................................ 27 1.8 Navigationshilfen ................................................................................................ 27 1.9 Flugfernmeldedienste ......................................................................................... 28 1.10 Flughafen Innsbruck ............................................................................................ 28 1.10.1 Föhn Verfahren AIP ..................................................................................... 28 1.10.2 Föhn Anflug entlang der Nordkette des Betreibers ...................................... 29 1.11 Flugschreiber ....................................................................................................... 31 1.12 Luftfahrzeug und Ausrüstung – Schäden.............................................................. 31 1.13 Organisation und deren Verfahren ...................................................................... 34 1.13.1 Safety Culture ............................................................................................. 34 1.13.2 Getätigte Maßnahmen des Betreibers......................................................... 34 Untersuchungsbericht 2 von 58
2 Auswertung ........................................................................................................ 35 2.1 Flugwetter ........................................................................................................... 35 2.1.1 Handhabung der Wettersituation in Innsbruck ............................................ 35 2.2 Flugverlauf .......................................................................................................... 36 2.3 Luftfahrzeug ........................................................................................................ 37 2.3.1 Beladung und Schwerpunkt ......................................................................... 37 2.3.2 Luftfahrzeugwartung ................................................................................... 37 2.4 Besatzung............................................................................................................ 38 2.4.1 Humanfaktoren (Crew Resource Management) .......................................... 38 2.5 Getätigte Maßnahmen ........................................................................................ 39 3 Schlussfolgerungen ............................................................................................. 40 3.1 Befunde............................................................................................................... 40 3.2 Unfallart .............................................................................................................. 41 3.3 Wahrscheinliche Unfallursache ........................................................................... 41 4 Sicherheitsempfehlungen ................................................................................... 42 5 Konsultationsverfahren / Stellungnahmeverfahren ........................................... 43 Tabellenverzeichnis.................................................................................................... 44 Abbildungsverzeichnis ............................................................................................... 45 Verzeichnis der Regelwerke ....................................................................................... 46 Abkürzungen .............................................................................................................. 47 6 Anhänge.............................................................................................................. 50 6.1 Daten des Flight Data Recorders (FDR) ................................................................ 50 Impressum ................................................................................................................. 56 Untersuchungsbericht 3 von 58
Vorwort Die Sicherheitsuntersuchung erfolgt in Übereinstimmung mit der Verordnung (EU) Nr. 996/2010 und dem Unfalluntersuchungsgesetz, BGBl. I Nr. 123/2005 idgF. Das einzige Ziel der Sicherheitsuntersuchung ist die Verhütung künftiger Unfälle oder Störungen, ohne eine Schuld oder Haftung festzustellen. Wenn nicht anders angegeben sind Sicherheitsempfehlungen an jene Stellen gerichtet, welche die Sicherheitsempfehlungen in geeignete Maßnahmen umsetzen können. Die Entscheidung über die Umsetzung von Sicherheitsempfehlungen liegt bei diesen Stellen. Zur Wahrung der Anonymität aller an dem Unfall, schweren Störung oder Störung beteiligten natürlichen oder juristischen Personen unterliegt der Untersuchungsbericht inhaltlichen Einschränkungen. Alle in diesem Bericht angegebenen Zeiten sind in UTC angegeben (Lokalzeit = UTC + 2 Stunden). Untersuchungsbericht 4 von 58
Hinweis Der Umfang der Sicherheitsuntersuchung und das bei Durchführung der Sicherheitsuntersuchung anzuwendende Verfahren werden von der Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes nach Maßgabe der Erkenntnisse, die sie zur Verbesserung der Flugsicherheit aus der Untersuchung gewinnen will, festgelegt. Verordnung (EU) Nr. 996/2010 Art. 5 Die Ermittlung der Ursachen impliziert nicht die Feststellung einer Schuld oder einer administrativen, zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Haftung. Verordnung (EU) Nr. 996/2010 Art. 2 Hinweis zu abgebildeten Personen: Auf in diesem Bericht eingebundenen Darstellungen der Gegenstände und Örtlichkeiten (Fotos) sind eventuell unbeteiligte, unfallerhebende oder organisatorisch tätige Personen und Einsatzkräfte zu sehen und gegebenenfalls anonymisiert. Da die Farben der Kleidung dieser Personen (z.B. Leuchtfarben von Warnwesten) möglicherweise von der Aussage der Darstellungen ablenken können, wurden diese bei Bedarf digital retuschiert (z.B. ausgegraut). Untersuchungsbericht 5 von 58
Einleitung Luftfahrzeughalter: Österreichische Fluglinie Betriebsart: Linienflug unter Instrumentenflugregeln (IFR) Luftfahrzeughersteller: Bombardier Inc. Musterbezeichnung: DHC-8-402 Luftfahrzeugart: Motorflugzeug Staatszugehörigkeit: Österreich Unfallort: Flughafen Innsbruck (LOWI), Piste 08 Koordinaten (WGS84): 47° 15‘ 37“ N, 011° 20‘ 38“ E Ortshöhe über dem Meer: 581 m / 1907 ft Datum und Zeitpunkt: 04.04.2019 um ca. 08:56 Uhr UTC (10:56 Uhr Lokalzeit) Am 04. April 2019 ereignete sich am Flughafen Innsbruck (LOWI) ein Unfall mit dem Motorflugzeug Bombardier DHC-8. Der Flug wurde planmäßig vom Flughafen Wien (LOWW) zum Flughafen Innsbruck (LOWI) durchgeführt. Im Zuge der Landung am Zielflughafen Innsbruck kam es zu einem überhöhten Nickwinkel (Pitch). Dadurch streifte das Luftfahrzeugheck die Landebahn (Tailstrike), was zu einer Beschädigung des Hecks führte. Die Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes Verkehrsbereich Zivilluftfahrt wurde am 04. April 2019 um ca. 11:20 Uhr vom Betreiber des Luftfahrzeuges über den Vorfall in Kenntnis gesetzt. Gemäß Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 996/2010 wurde eine Sicherheitsuntersuchung des Unfalls eingeleitet. Gemäß Art. 9 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 996/2010 wurden folgende beteiligten Staaten über den Unfall unterrichtet: Entwurfsstaat, Herstellerstaat: Kanada Nationalität eines Besatzungsmitglieds: Deutschland Untersuchungsbericht 6 von 58
1 Tatsachenermittlung 1.1 Ereignisse und Flugverlauf Der Flugverlauf und der Hergang des Unfalls wurden aufgrund der Aussagen bzw. von Meldungen der Besatzung und der Flugverkehrskontrolldienste, den Aufzeichnungen der Flugdatenschreiber in Verbindung mit den Erhebungen der Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes wie folgt rekonstruiert: Für den 04. April 2019 war der Linienflug vom Flughafen Wien (LOWW) in Richtung Flughafen Innsbruck (LOWI) geplant. Für Start, Flugdurchführung und Landung war der erste Offizier (F/O) eingeteilt. Der F/O wurde um 03:15 Uhr in Innsbruck (LOWI) abgeholt und flog als Pilot Monitoring mit demselben Kapitän den dem Unfallflug vorausgehenden Linienflug nach Wien (LOWW). Die Check-In Zeit wurde dabei vom F/O zur Flugvorbereitung genutzt. Dabei wurde festgestellt, dass in Innsbruck bereits leichte Föhnbedingungen herrschten. Das gewählte Abflugverfahren war bei diesem Flug bereits ein Verfahren für Föhnbedingungen (Föhn Departure) entlang der Nordkette. Der restliche Flug fand ohne besondere Ereignisse statt. In Wien wurde von der Besatzung planmäßig das Luftfahrzeug gewechselt. Bei der Flugvorbereitung in Wien für den bevorstehenden (Unfall-)Flug waren gemäß Aussagen der Besatzung schon eindeutige Föhnbedingungen absehbar, Windscherungen waren aber nicht prognostiziert, weshalb an der Entscheidung festgehalten wurde, dass der F/O den anstehenden Flug durchführen soll. Dazu wurden vom F/O die jeweiligen Wegpunkte für den Sichtanflugteil des Föhn-Anflugverfahrens im FMS hinterlegt, um diese Tätigkeit nicht während des Fluges durchführen zu müssen. Die weiteren Ereignisse waren wie folgt: 08:03 Start vom Flughafen Wien (LOWW). 08:17 Erreichen der Reiseflughöhe von etwa 20 000 ft (FL200) auf Höhe des Ötschers. Vor Einleitung des Sinkfluges wurden vom Kapitän die ATIS Informationen abgehört. Anhand dieser Informationen wurde die weitere Rollenverteilung besprochen und entschieden, dass der F/O weiterhin der fliegende Pilot (Pilot Flying) bleibt. Untersuchungsbericht 7 von 58
08:32 Einleitung des Sinkfluges auf Höhe des Tennengebirges. Anmeldung des Fluges bei LOWI APP. 08:41 Kurze Wetterinformation von LOWI APP an die Flugzeugbesatzung und Freigabe für das Visual Föhn Arrival Verfahren. 08:36 Erreichen einer Höhe von 16 000 ft (FL160) etwa 10 km nördlich von Saalfelden. Level-Off und halten der Höhe. 08:41:20 Einleitung des weiteren Sinkfluges. 08:45 Verlassen der Funkfrequenz von LOWI APP und Anmeldung bei LOWI TWR. Die Flugzeugbesatzung erhält die Windinformation „090 deg 22 kt“. 08:46:21 Überflug des Wegpunktes INNF5 und Einflug in die Kontrollzone des Flughafens Innsbruck (CTR LOWI). 08:47:30 Überflug des Wegpunktes INNF4. 08:48:59 Überflug des Wegpunktes INNF3 in einer Höhe von etwa 9 000 ft. 08:50:07 Deaktivierung des Autopiloten durch Turbulenzen. 08:50:25 Die Flugzeugbesatzung erhält die Landefreigabe und Windinformation „020 deg 11 kt“ mit dem Zusatz „Kematen 070 deg 17, gusting 32, expect wind checks on final“. 08:50:48 Ausfahren des Fahrwerks. 08:51:19 Ausfahren der Klappen auf 15°. 08:51:53 Vorbeiflug an Wegpunkt INNF1, Crosstrack Distance ca. 400 m. Der Downwind Leg und geringfügig auch das Base Leg sollten bewusst verlängert werden (bis etwa über Oberperfuss), um Höhe abbauen zu können und nicht Gefahr zu laufen, Terrain Warnungen zu erhalten. 08:53:23 Aufzeichnung eines „EGPWS Alert/Warning“ Signals für fünf Sekunden. 08:53:25 Einleitung der Rechtskurve für den Endanflug. Überflug des Wegpunktes AXAKI (Kirche in Axams) in etwa 4 700 ft barometrischer Höhe. 08:54:11 Überschießen der Pistenmittellinie. Dies wurde von der Besatzung aufgrund der Windbedingungen und der Klappenstellung erwartet. 08:55:01 Erreichen der Pistenmittellinie etwa 700 ft AGL (ca. 3 150 ft barometrische Höhe) und 1,5 nm (ca. 2,8 km) von der Pistenschwelle. Die Sinkrate liegt in den letzten 30 Sekunden bis zu diesem Zeitpunkt durchschnittlich bei etwa 1100(1) ft/min. Sekunden danach erhöht sich die Sinkrate für wenige Sekunden auf ca. 1800 ft/min, wodurch die folgende „EGPWS“ Warnung ausgelöst wurde. 1 Alle Steig-/Sinkraten errechnet aus dem Verlauf von Altitude Baro L, Altitude Baro R und Radio Altitude (siehe auch Anhang 6.1) Untersuchungsbericht 8 von 58
08:55:07 Aufzeichnung eines „EGPWS Alert/Warning“ Signals für zwei Sekunden. Während des Alarms hatte der F/O die Sinkrate schon korrigiert, sodass um 08:55:11 die Sinkrate bei 300 ft/min lag. 08:55:30 Neun Sekunden bevor und während das Luftfahrzeug den Inn überflog, kam es zu kurzfristigen Auftriebserhöhungen. Unter anderem auch dadurch schwankte die Sinkrate in den letzten 15 Sekunden vor der Landung zwischen 500 und 1000 ft/min. 08:55:42 Aufzeichnung eines „EGPWS Alert/Warning“ Signals für eine Sekunde. 08:55:44 Zu diesem Zeitpunkt lag die Geschwindigkeit bei etwa 141 kt, die Sinkrate bei ca. 700 ft/min und die Höhe betrug ca. 30 ft AGL. Der Nickwinkel (Pitch) betrug etwa 1,4°, Torque lag bei 5,5% (L) bzw. 6% (R). Die von der Besatzung errechnete Final Target Speed betrug für den Anflug 134 kt (siehe Abschnitt 1.6.5). Der F/O schätzte im Nachhinein die Fluggeschwindigkeit während des gesamten Anflugs auf durchschnittlich etwa 140 kt bis teilweise 150 kt. In den folgenden zwei Sekunden verliert das Luftfahrzeug schnell an Höhe und Geschwindigkeit. Der F/O bemerkte, dass das Luftfahrzeug „nach unten gedrückt wurde“, die Sinkrate betrug dem F/O zufolge etwa 500-700 ft/min. Er setzte mehr Leistung, zu diesem Zeitpunkt setzte das Luftfahrzeug aber auch schon auf der Piste auf. 08:55:47.125 Erstes Aufsetzen des Hauptfahrwerkes. Zu diesem Zeitpunkt beträgt die Geschwindigkeit etwa 123 kt. Der F/O zog die Nase des Luftfahrzeuges hoch, wodurch der Nickwinkel des Luftfahrzeuges bis auf 7,65° beim Aufsetzen stieg. Die Sinkrate verringerte sich bis zum Aufsetzen auf etwa 200-500 ft/min. Die maximale Vertikalbeschleunigung (entlang der Luftfahrzeughochachse) beim Aufsetzen beträgt 2,1 g. Die Torque Werte befanden sich zum Aufsetzzeitpunkt bei 11% (L) und 14,5% (R). 08:55:47.500 Aufzeichnung des „Touched Runway“ Signals in Verbindung mit „Master Caution“. Weder die Cockpitbesatzung noch die Kabinenbesatzung (laut Aussage der Cockpitbesatzung) haben die Berührung des Hecks mit der Piste unmittelbar wahrgenommen. 08:55:49.125 Zweites und endgültiges Aufsetzen des Hauptfahrwerkes. 08:55:50.625 Aufsetzen des Bugfahrwerkes. 08:56 Rückfrage von LOWI TWR, ob Unterstützung benötigt wird („any assistance?“). Flugzeugbesatzung verneint. Das Rollen zur Parkposition sowie das Aussteigen der Passagiere verlief normal und ohne weitere besondere Vorkommnisse. Untersuchungsbericht 9 von 58
Abbildung 1: Anflug Visual Approach LOWI 08 Quelle: Google Earth, ACG, SUB, Betreiber Untersuchungsbericht 10 von 58
Am Tag vor dem Unfallflug flog der F/O bereits einen Linienflug von Wien nach Innsbruck, die Landezeit war 12:25 Uhr. Der Anflug bzw. die Landung erfolgte dabei auch vom F/O mit demselben Anflugverfahren (Visual Föhn Arrival auf Piste 08) unter ähnlichen Wetterbedingungen. Der Kapitän (Captain) hatte die beiden Tage vor dem Unfallflug dienstfrei. Abbildung 1 zeigt den Anflug des Luftfahrzeuges auf Piste 08 des Flughafens Innsbruck. Rot eingezeichnet ist die Positionsaufzeichnung des Flugdatenschreibers (FDR), gelb ist die Radaraufzeichnung der ACG. Orange eingezeichnet ist die Kontrollzone des Flughafens Innsbruck (CTR LOWI). Das Anflugverfahren „Föhn Approach along Nordkette“ führt entlang der Nordkette über die Punkte INNF5, INNF4, INNF3, INNF2, INNF1, AXAKI, WI005 zur Pistenschwelle 08 und ist wie in Abschnitt 1.10.2 ersichtlich definiert. 1.1.1 Flugvorbereitung Die gemäß Verordnung (EU) Nr. 923/2012 Anhang SERA.2010/b idgF. erforderliche Flugvorbereitung wurde durchgeführt. Ein entsprechender Operational Flightplan bestehend aus Flugstrecken- und Treibstoffplanung, Technical Aircraft Log und Wetterinformationen sowie ein Loadsheet wurde der Sicherheitsuntersuchungsstelle zur Verfügung gestellt. 1.2 Personenschäden Tabelle 1: Personenschäden Verletzungen Besatzung Passagiere Andere Tödliche 0 0 0 Schwere 0 0 0 Keine 2 Cockpit + 2 Kabine 74 – 1.3 Schaden am Luftfahrzeug Am Luftfahrzeug entstand Schaden an der äußeren Beplankung, einer Antenne sowie an Holmen und Spanten am Heck. Der Schaden war auf einen Teil des Hecks begrenzt und Untersuchungsbericht 11 von 58
hatte keine weiteren Auswirkungen auf die strukturelle Integrität des Luftfahrzeuges oder auf dessen Systeme. 1.4 Andere Schäden Es entstanden keine weiteren Schäden. 1.5 Besatzung 1.5.1 Fliegender Pilot (Pilot Flying, F/O) Alter: 26 Jahre Art des Zivilluftfahrerscheines: MPL(A) Berechtigungen: Flächenflug Muster/Typenberechtigung: DHC8 (COP, IR) Gültigkeit: Am Unfalltag gültig Überprüfungen (Checks): Medical check: Medical Class 1/2/LAPL ausgestellt am 17.08.2018, am Unfalltag gültig Gesamtflugerfahrung (inkl. Unfallflug): ca. 1146 Stunden davon in den letzten 90 Tagen: ca. 116 Stunden davon in den letzten 30 Tage: ca. 43 Stunden davon in den letzten 24 Stunden: ca. 1 Stunden Letzte 3 Landungen in LOWI: Vor 4, 3 und 1 Tag(en) Die angegebenen Flugstunden wurden ausschließlich auf der Unfalltype durchgeführt (abgesehen von evtl. einzelnen Flügen z.B. im Zuge der Ausbildung). Untersuchungsbericht 12 von 58
1.5.2 Unterstützender Pilot (Pilot Monitoring, Captain) Alter: 62 Jahre Art des Zivilluftfahrerscheines: ATPL(A) Berechtigungen: Flächenflug Muster/Typenberechtigung: DHC8 Gültigkeit: Am Unfalltag gültig Überprüfungen (Checks): Medical check: Medical Class 1/2/LAPL, ausgestellt am 02.04.2019, am Unfalltag gültig Gesamtflugerfahrung (inkl. Unfallflug) ab 26.3.1997: ca. 13162 Stunden davon in den letzten 90 Tagen: ca. 139 Stunden davon in den letzten 30 Tage: ca. 55 Stunden davon in den letzten 24 Stunden: 0 Stunden Letzte 3 Landungen in LOWI: Vor 9, 3 und 3 Tagen Die Flugstunden wurden ausschließlich auf der Unfalltype durchgeführt (abgesehen von evtl. einzelnen Flügen z.B. im Zuge der Ausbildung). Die Flugstundenaufzeichnung für den unterstützenden Piloten reichen bis März 1997 zurück. Der Dienstantritt war jedoch 1992, sodass tatsächlich eine größere Gesamtflugerfahrung vorliegt (laut Captain etwa 17 500 Stunden). 1.6 Luftfahrzeug Die Bombardier DHC-8 ist ein freitragender Hochdecker. Das Luftfahrzeug verfügt in der Version DHC-8-402 über bis zu 80 Sitzplätze gem. TCDS und zwei Propeller- Wellenleistungstriebwerke mit je 3781 kW Dauerleistung (maximum continuous shaft horse power, SHP). Luftfahrzeugart: Motorflugzeug Hersteller: Bombardier Inc. Herstellerbezeichnung: DHC-8-402 Baujahr: 2010 Luftfahrzeughalter: Österreichische Fluglinie Untersuchungsbericht 13 von 58
Gesamtflugstunden: ca. 17192 Stunden und 47 Minuten Gesamtzyklen (Start-Landung): ca. 19703 Max. Abflugmasse (MTOM): 28 998 kg (63 930 lb) Triebwerke Typ: Zwei Propeller-Wellenleistungstriebwerke Hersteller: Pratt and Whitney Canada Herstellerbezeichnung: PW150A Propeller Zwei Dowty Aerospace Propellers, Model R408/6-123- F/17 1.6.1 Bord Dokumente Eintragungsschein: ausgestellt am 01.04.2015 von ACG, am Unfalltag gültig Lufttüchtigkeitszeugnis: ausgestellt am 15.07.2010 von ACG, am Unfalltag gültig Nachprüfbescheinigung (ARC): ausgestellt am 13.06.2018, am Unfalltag gültig Lärmzulässigkeitszeugnis: ausgestellt am 15.07.2010 von ACG, am Unfalltag gültig Versicherung: versichert von 15.11.2018 bis 15.11.2019, am Unfalltag gültig Bewilligung für eine Luftfahrzeugfunkstelle: ausgestellt am 12.03.2015 vom Fernmeldebüro für Wien, Niederösterreich und Burgenland, am Vorfallstag gültig 1.6.2 Zertifizierung und Zulassung Die erstmalige Musterzulassung erfolgte am 28. September 1984 von Transport Canada Civil Aviation (TCCA) für die Version DHC-8-101 mit TCDS A-142. Weiters erfolgten die Erstzulassungen für die Versionen DHC-8-301 am 14. Februar 1989, DHC-8-201 am 24. August 1995 und DHC-8-400 am 30. Juli 1999. Die Musterzulassung in Europa wurde erstmals am 27. Jänner 1988 mit TCDS EASA.IM.A.191 für die Version DHC-8-102 von der österreichischen Zivilluftfahrtbehörde ACG durchgeführt. Die weiteren europäischen Zulassungen erfolgten für DHC-8-301 am 23. Februar 1995, DHC-8-201 am 17. Februar 1998 und DHC-8-402 am 1. Dezember 1999. Als Zulassungsbasis diente JAR Part 25. Untersuchungsbericht 14 von 58
Die Rumpflänge wurde im Laufe der Zulassung der verschiedenen Versionen mehrmals gestreckt, sodass die Versionen DHC-8-1XX und DHC-8-2XX eine Länge von 22,25 m (73 ft), Version DHC-8-3XX eine Länge von 25,68 m (84 ft 3 in) und Version DHC-8-4XX eine Länge von 32,8 m (107 ft 9 in) aufweisen (Abbildung 4). Daraus, und aus der Höhe der Fahrwerke der jeweiligen Versionen ergeben sich für jede Version unterschiedliche maximal mögliche Nickwinkel, bei dem das Heck Kontakt mit dem Boden hat (Abschnitt 1.6.7). 1.6.3 Luftfahrzeug Wartung und Lufttüchtigkeit Die letzte Jahresnachprüfung (ARC) wurde am 13.6.2018 bei einer Gesamtflugstundenanzahl der Zelle (Airframe Flight Hours) von 15539 Stunden und 59 Minuten ausgestellt. 1.6.4 Beladung und Schwerpunkt des Luftfahrzeuges Eine Berechnung von Masse und Schwerpunkt wurde vom Betreiber (Loadsheet) durchgeführt und vom Piloten kontrolliert, die Werte lagen während des gesamten Fluges im zulässigen Bereich. Die entsprechenden Daten sind in Tabelle 2 und Tabelle 3 dargestellt. Das MAC Limit von 17,3 – 36 gilt für die maximale Abflugmasse (MTOM) von 28 998 kg und wurde dem Flughandbuch (AFM) entnommen. Tabelle 2: Luftfahrzeugmassen Masse Limit / Maximum Leermasse (ZFW) 25 061 kg 55 250 lb Treibstoff bei Abflug 3 230 kg (TOF) 7 121 lb Abfluggewicht (TOW) 28 291 kg 28 998 kg 62 371 lb 63 930 lb Treibstoff für Strecke 952 kg (TIF) 2 099 lb Landegewicht (LAW) 27 339 kg 28 009 kg 60 272 lb 61 749 lb Quelle: Betreiber, TCDS Untersuchungsbericht 15 von 58
Tabelle 3: Schwerpunkt des Luftfahrzeuges Schwerpunkt MAC Limits Loaded Index (LI) Limit LI FWD Limit LI AFT [% MAC] TOW (Start) 25,9 58,97 (LITOW) 15,74 105,52 17,3 – 36 LAW (Landung) 25,7 58,97 (LOLAW) 15,66 106,30 Quelle: Betreiber, AFM 1.6.5 Fluggeschwindigkeit für den Anflug Die Approach Speed VA (entspricht VREF) beträgt gem. Tabelle im OM-B für ein Landegewicht von 27 216 kg (kommt dem tatsächlichen Landegewicht am nächsten) 124 kt. Bei einer Klappenstellung von 15° und deaktiviertem Anti-Ice System ist noch ein Aufschlag (VREF Increment) von 10 kt zu addieren. Somit ergibt sich eine Final Target Speed für den Anflug von 134 kt (124 kt + 10 kt). 1.6.6 Kriterien des Betreibers für einen stabilen Anflug Das Betriebshandbuch OM-A beschreibt allgemein die Kriterien für einen stabilen Anflug (Stabilized Approach): Untersuchungsbericht 16 von 58
Abbildung 2: OM-A, Stabilized Approach Quelle: Betreiber Abbildung 3: OM-A, Stabilized Approach - Ausnahmen Quelle: Betreiber Das Betriebshandbuch OM-B legt für das konkrete Luftfahrzeug Dash 8 die Kriterien für einen stabilen Anflug wie folgt fest: Untersuchungsbericht 17 von 58
• Die Geschwindigkeit (IAS) darf maximal um ±5 kt von der Final Target Speed in einer Höhe von 1000 ft ARTE abweichen. Unter bestimmten Umständen (z.B. spezielle Anflugverfahren) kann diese Höhe auf 500 ft ARTE reduziert werden. • Leistungseinstellungen (Power Setting) von unter 8% Torque sollten vermieden werden. • Das Luftfahrzeug muss lateral und vertikal stabil sein, d.h. sich am vorgegebenen Flugweg mit der vorgeschriebenen Sinkrate befinden. Im Falle eines Sichtanfluges bedeutet das, dass der Anflugwinkel (Approach Slope) spätestens bei 1000 ft ARTE so gewählt werden muss, dass keine EGPWS Warnungen ausgelöst werden. Der Anflugwinkel wird üblicherweise visuell (z.B. mittels PAPI) oder elektronisch angezeigt. Lateral muss das Luftfahrzeug in 1000 ft ARTE mit der Pistenmittellinie ausgerichtet sein. Für spezielle Anflugverfahren kann dieses Limit auf 500 ft ARTE reduziert werden. 1.6.7 Heck Kontakt mit der Piste Das vom Betreiber zur Verfügung gestellte Flughandbuch (AFM) PSM 1-84-1A, letzte Änderung zum Unfallzeitpunkt vom 9. Jänner 2019, gibt für die Landung einen maximalen Nickwinkel (Pitch) von +6° an. Gemäß Endbericht HCL 25/00 der dänischen Flugunfall-Untersuchungsstelle (Danish Aircraft Accident Investigation Board) zu einem Unfall vom 27. Mai 2000 (bzw. HCL 62/00, Unfall vom 22.10.2000) ist nach Auskunft des Luftfahrzeugherstellers bei voller Kompression der Federbeine des Fahrwerks ein Nickwinkel (Pitch) von +7,6° beim Aufsetzen notwendig, damit es bei der Type DHC-8-400 zu einem Kontakt des Rumpfhecks mit der Piste kommt. Die Differenz zwischen den 6° aus dem AFM und den 7,6° wurde vom Hersteller als Sicherheitsfaktor berücksichtigt. Untersuchungsbericht 18 von 58
Abbildung 4: Dimensionen DHC-8-402 inkl. Kontaktstelle mit Piste Quelle: AFM de Havilland Inc., SUB Untersuchungsbericht 19 von 58
1.7 Flugwetter Der Flughafen Innsbruck (LOWI) ist bekannt dafür, dass Windscherungen bzw. Fallböen häufig beim Anflug auf Piste 08 über oder in der Nähe des Inn auftreten. Außerdem sind häufig Föhnlagen (genauer: Alpenföhn) gegeben. Kommt der Wind, wie bei der Wetterlage zum Unfallzeitpunkt gegeben, aus südlicher Richtung, handelt es sich um einen Südföhn. Föhn ist charakterisiert durch einen warmen, starken, meist trockenen Wind. Üblicherweise ist Südföhn auch mit einem Temperaturanstieg nördlich des Alpenkammes und einer entsprechend geringeren Luftfeuchtigkeit und besseren Sichtweite verbunden, da luvseitig Luftfeuchtigkeit durch Wolkenbildung und Niederschlag entzogen wird. Da bei Südföhn Wind von Süden nach Norden über den Alpenkamm streicht, kann es entlang des Südkamms im Inntal zu böigen Windlagen kommen, weshalb Anflüge auf Innsbruck zur Erhöhung des Passagierkomforts üblicherweise entlang des Nordkamms durchgeführt werden. 1.7.1 METAR, TAF und Wetterkarten Tabelle 4: Wetterbeobachtung Flughafen Innsbruck (METAR LOWI) METAR LOWI LOWI 040650Z 04018KT 020V090 9999 FEW050 SCT080 14/01 Q0993 WS ALL RWY NOSIG LOWI 040720Z 07015KT 030V120 9999 FEW060 SCT080 15/01 Q0993 WS ALL RWY NOSIG LOWI 040750Z 08012G23KT 340V140 9999 FEW060 SCT080 15/02 Q0994 NOSIG LOWI 040820Z 08013G24KT 040V130 9999 FEW060 SCT080 16/02 Q0993 NOSIG LOWI 040850Z 06013KT 010V130 9999 FEW060 SCT080 16/02 Q0993 NOSIG LOWI 040920Z 04014G24KT 360V070 9999 FEW060 SCT080 16/02 Q0993 NOSIG LOWI 040950Z VRB09G29KT 9999 FEW060 SCT150 17/02 Q0994 NOSIG LOWI 041020Z VRB09G27KT 9999 FEW060 SCT150 17/02 Q0994 NOSIG LOWI 041050Z 06014G24KT 360V110 9999 FEW060 SCT150 17/03 Q0993 WS ALL RWY NOSIG Den Daten aus Tabelle 4 zufolge herrschte am Flughafen Innsbruck zum Unfallzeitpunkt (die Wetterbeobachtung von 08:50 Uhr kommt dem Unfallzeitpunkt am nächsten, fett geschrieben) ein Wind von 13 kt etwa aus Osten bis Nord-Osten, wobei eine Variabilität etwa von Norden bis Süd-Osten angegeben war. Die Sichtweite betrug über 10 km. Untersuchungsbericht 20 von 58
Geringe Bewölkung (FEW) befand sich in etwa 6000 ft (1829 m), mäßige Bewölkung (SCT) befand sich in etwa 8000 ft (2438 m) über dem Flughafen. Die Wetterbeobachtung vor dem Unfall (08:20 Uhr) und nach dem Unfall (09:20 Uhr) gab auch Böen von bis zu 24 kt an. Warnungen zu Windscherung auf bzw. in der Nähe der Landebahnen wurden vor dem Unfall um 07:20 Uhr und nach dem Unfall um 10:50 Uhr ausgegeben, zwischen diesen Zeiten jedoch nicht. Tabelle 5: Wetterbeobachtung Vergleich München (EDDM), Innsbruck (LOWI), Bozen (LIPB) METAR EDDM, LOWI, LIPB EDDM 040850Z 09009KT 050V120 CAVOK 10/03 Q0994 NOSIG= LOWI 040850Z 06013KT 010V130 9999 FEW060 SCT080 16/02 Q0993 NOSIG LIPB 040850Z VRB02KT 7000 RA FEW010 SCT025 BKN040 10/09 Q1000= Aus dem Vergleich der Wetterbeobachtung vor allem zwischen Bozen und Innsbruck sind die charakteristischen Eigenschaften einer Südföhnlage erkennbar: Luftdruckdifferenz von 1000 zu 993 hPa, Temperatur/Taupunkt von 10°C/9°C (Taupunktdifferenz/Spread: 1°C) zu 16°C/2°C (Taupunktdifferenz/Spread: 14°C) und deutlich günstigere Bewölkung und Sichtweite in Innsbruck. Die Südföhnlage ist auch in der QNH Chart / Föhn Karte in Abbildung 5 ersichtlich. Tabelle 6: Flugwetterprognose Flughafen Innsbruck (TAF LOWI) TAF LOWI TAF LOWI 040515Z 0406/0506 09012G25KT 9999 FEW060 SCT080 BKN120 TX16/0412Z TN02/0506Z TEMPO 0406/0410 12015G35KT TEMPO 0410/0418 12020G40KT BECMG 0416/0418 27012KT -RA SCT020 BKN040 TEMPO 0418/0422 29015G25KT SHRA BECMG 0422/0424 08005KT -RASN TEMPO 0500/0504 08008KT 3000 RASN SCT008 BKN012= TAF AMD LOWI 040602Z 0406/0506 09012G25KT 9999 FEW060 SCT080 BKN120 TX16/0412Z TN02/0506Z TEMPO 0406/0418 12020G40KT Untersuchungsbericht 21 von 58
TAF LOWI PROB40 TEMPO 0406/0409 03015G30KT BECMG 0416/0418 27012KT -RA SCT020 BKN040 TEMPO 0418/0422 29015G25KT SHRA BECMG 0422/0424 08005KT -RASN TEMPO 0500/0504 08008KT 3000 RASN SCT008 BKN012= TAF AMD LOWI 040931Z 0409/0506 06012G25KT 9999 FEW060 SCT080 BKN120 TX16/0412Z TN02/0506Z TEMPO 0409/0418 12020G35KT BECMG 0416/0418 27012KT -RA SCT020 BKN040 TEMPO 0418/0422 29015G25KT SHRA BECMG 0422/0424 08005KT -RASN TEMPO 0500/0504 08008KT 3000 RASN SCT008 BKN012= Tabelle 7: Warnungen für Flughafen Innsbruck (WARNINGS AD) Aerodrome Warnings und Windshear Warnings WOOS54 LOWI 040900 LOWI AD WRNG 3 VALID 041000/041600 SFC WIND SE 20KT MAX 35 FCST NC= WOOS44 LOWI 040519 LOWI WS WRNG 1 040519 VALID 040520/040700 MOD WS ON FNA FCST= WOOS44 LOWI 041057 LOWI WS WRNG 3 041057 VALID 041100/041200 MOD WS ON FNA ALL RWY FCST= Um 10:57 Uhr (nach dem Unfallzeitpunkt) wurde eine Warnung für den Flughafen ausgegeben, wonach zwischen 11:00 und 12:00 Uhr mit moderaten Scherwinden auf allen Landebahnen zu rechnen ist. Außerdem wurde um 09:00 (ebenfalls nach dem Unfallzeitpunkt) die Warnung ausgegeben, wonach zwischen 10:00 und 16:00 Uhr mit einem Bodenwind von 20 kt bis maximal 35 kt aus Süd-Ost zu rechnen ist. Abbildung 5 zeigt die prognostizierte Südföhnlage mit einer Druckdifferenz von +9 hPa zwischen Bozen (LIPB) und Innsbruck (LOWW) (Berechnungszeitpunkt: 00:00 für Gültigkeitszeitpunkt 06:00). Die prognostizierte Windrichtung betrug 40 kt etwa aus Richtung Süden (170°). Untersuchungsbericht 22 von 58
Tabelle 8: Routinemäßige Wetterberichte, ATIS MET REPORT / ATIS SXOS54 LOWI 040620 MET REPORT LOWI 040620Z WIND RWY 08 TDZ 030/22KT MAX 33 MNM 13 RWY 26 TDZ VRB BTN 010/ AND 110/13KT MAX 28 MNM 4 VIS RWY 08 TDZ 50KM RWY 26 TDZ 50KM CLD RWY 08 FEW 5000FT SCT 8000FT RWY 26 FEW 5000FT SCT 8000FT T 13 DP MS0 QNH 994HPA 2935INS QFE 927HPA QFE RWY 26 927HPA WS WRNG MOD WS ON FNA EXP MOD/SEV TURB ON APCH SFC/12000FT AMSL EXP STNR NC EST WIND LOWI AREA 10000FT AMSL 180/35KT AD TREND NOSIG= SXOS54 LOWI 040650 MET REPORT LOWI 040650Z WIND RWY 08 TDZ VRB BTN 350/ AND 080/27KT RWY 26 TDZ VRB BTN 020/ AND 090/17KT VIS RWY 08 TDZ 50KM RWY 26 TDZ 50KM CLD RWY 08 FEW 5000FT SCT 8000FT RWY 26 FEW 5000FT SCT 8000FT T 14 DP 1 QNH 993HPA 2934INS QFE 927HPA QFE RWY 26 927HPA WS WRNG MOD WS ON FNA EXP MOD/SEV TURB ON APCH SFC/12000FT AMSL EXP STNR NC EST WIND LOWI AREA 10000FT AMSL 180/45KT AD TREND NOSIG= SXOS54 LOWI 040720 MET REPORT LOWI 040720Z WIND RWY 08 TDZ 050/24KT RWY 26 TDZ VRB BTN 030/ AND 120/13KT MAX 23 MNM 6 VIS RWY 08 TDZ 50KM RWY 26 TDZ 50KM CLD RWY 08 FEW 6000FT SCT 8000FT RWY 26 FEW 6000FT SCT 8000FT T 15 DP 1 QNH 993HPA 2933INS QFE 926HPA QFE RWY 26 927HPA WS WRNG MOD WS ON FNA EXP MOD/SEV TURB ON APCH SFC/12000FT AMSL EXP STNR NC EST WIND LOWI AREA 10000FT AMSL 180/45KT AD TREND NOSIG= Untersuchungsbericht 23 von 58
MET REPORT / ATIS SXOS54 LOWI 040750 MET REPORT LOWI 040750Z WIND RWY 08 TDZ VRB BTN 020/ AND 120/17KT MAX 35 MNM 5 RWY 26 TDZ VRB BTN 340/ AND 140/15KT VIS RWY 08 TDZ 50KM RWY 26 TDZ 50KM CLD RWY 08 FEW 6000FT SCT 8000FT RWY 26 FEW 6000FT SCT 8000FT T 15 DP 2 QNH 994HPA 2935INS QFE 927HPA QFE RWY 26 927HPA MOD TURB ON APCH SFC/12000FT AMSL EXP STNR NC EST WIND LOWI AREA 10000FT AMSL 180/45KT AD TREND NOSIG= SXOS54 LOWI 040820 MET REPORT LOWI 040820Z WIND RWY 08 TDZ VRB BTN 020/ AND 090/24KT MAX 36 MNM 13 RWY 26 TDZ VRB BTN 040/ AND 130/13KT MAX 24 MNM 4 VIS RWY 08 TDZ 60KM RWY 26 TDZ 60KM CLD RWY 08 FEW 6000FT SCT 8000FT RWY 26 FEW 6000FT SCT 8000FT T 16 DP 2 QNH 993HPA 2934INS QFE 927HPA QFE RWY 26 927HPA MOD TURB ON APCH SFC/12000FT AMSL EXP STNR NC EST WIND LOWI AREA 10000FT AMSL 180/40KT AD TREND NOSIG= SXOS54 LOWI 040850 MET REPORT LOWI 040850Z WIND RWY 08 TDZ VRB BTN 360/ AND 060/16KT MAX 26 MNM 7 RWY 26 TDZ VRB BTN 010/ AND 130/15KT VIS RWY 08 TDZ 60KM RWY 26 TDZ 60KM CLD RWY 08 FEW 6000FT SCT 8000FT RWY 26 FEW 6000FT SCT 8000FT T 16 DP 2 QNH 993HPA 2934INS QFE 927HPA QFE RWY 26 927HPA MOD TURB ON APCH SFC/12000FT AMSL EXP STNR NC EST WIND LOWI AREA 10000FT AMSL 180/40KT AD TREND NOSIG= Demzufolge wurde ab 07:50 Uhr die Schwere der Turbulenzen von MOD/SEV (moderate/severe, mittlere bis starke Turbulenzen) auf MOD herabgestuft und der Hinweis auf Windscherungen entfernt (WS WRNG). Untersuchungsbericht 24 von 58
Abbildung 5: QNH Chart / Föhn Karte Quelle: ACG Die in Abbildung 6 und Abbildung 7 abgebildeten Karten für signifikante Wettererscheinungen (SWC Charts) zeigten ebenfalls für den Zeitraum zwischen 06:00 und 10:00 Uhr einen südlich der Alpen liegenden Südstau (S-STAU) in Verbindung mit einem Südföhn (S-FOEHN). Wind mit 25 kt war aus südlicher Richtung mit Böen bis 40 kt und lokalen, starken Turbulenzen prognostiziert. Untersuchungsbericht 25 von 58
Abbildung 6: Low-Level Significant Weather Chart Alpen (SWC ALPS) vom 4.4.2010, 00:00 Quelle: ACG Abbildung 7: Low-Level Significant Weather Chart Alpen (SWC ALPS) vom 4.4.2010, 04:00 Quelle: ACG Untersuchungsbericht 26 von 58
1.7.2 Wetterberatung der Besatzung Vor der Flugdurchführung wurde von der Besatzung ein Wetterbriefing durchgeführt. Den Aussagen der Besatzung zufolge waren die Föhnbedingungen bekannt. Windscherungen waren für die Zeit rund um die Landung nicht prognostiziert. Diese wurden lediglich für die Zeit vor dem Flug prognostiziert. Während des Fluges wurden über verschiedene Flugfernmeldedienste Wetterinformationen bezogen (Tabelle 9). Die ATIS Informationen wurden vom Captain etwa in der Mitte des Fluges abgehört und notiert, der genaue Zeitpunkt ist jedoch nicht bekannt. Die Übertragung der ATIS Informationen über ACARS ist nicht gegeben. Tabelle 9: Wetterinformationen während des Fluges (APP, TWR, ATIS) Zeitpunkt Quelle Wetterinformationen 08:33 APP Wind 25 kt aus Richtung 030 08:45 TWR Wind 22 kt aus Richtung 090 08:50 TWR Wind 11 kt aus Richtung 020, Wind bei Kematen 17 kt aus Richtung 070, Böen bis 32 kt Etwa um ATIS – INN – Information L – Report Time 0820 – Runway 08 – Transition Level? – 08:30 (Notizen des Wind V020-090/24-36-13 (Böen im Mittel 24, Minimum 13, Maximum Piloten fett 36 kt) – Visibility 60 km – MOD TB ~ SFC + 12000 exp – FEW060 SCT080 – gedruckt) Temperatur 16/2 – QNH 993 – 180/40 – NS (=NOSIG) Quelle: ACG, Betreiber, Piloten 1.7.3 Natürliche Lichtverhältnisse Der Vorfall ereignete sich um ca. 08:56 Uhr UTC bzw. 10:56 Uhr Lokalzeit. Zu diesem Zeitpunkt herrschten natürliche Tageslichtverhältnisse. 1.8 Navigationshilfen Während des Fluges herrschten Sichtflugwetterbedingungen (VMC), siehe auch Abschnitt 1.7. Der Anflug wurde nach Instrumentenflugregeln (IFR) mit Hilfe von Satellitennavigation (GPS) durchgeführt. Der letzte Teil des Anfluges bis zur Landung auf Piste 08 wurde als Visual Approach durchgeführt. Untersuchungsbericht 27 von 58
1.9 Flugfernmeldedienste Die Besatzung des Luftfahrzeuges war während des Anfluges auf Innsbruck mit Innsbruck Radar (APP – 119,275 MHz) und Innsbruck Turm (TWR – 120,100 MHz) in Kontakt. Aktuelle Informationen zu Wetter und zum Flugplatz wurden über Innsbruck Information (ATIS – 126,030 MHz) bezogen. 1.10 Flughafen Innsbruck Lage: am westlichen Stadtrand von Innsbruck ICAO / IATA Kennung: LOWI / INN ARP (Aerodrome Reference Point): 47° 15‘ 37“ N, 011° 20‘ 38“ E Flughafenhöhe über Meeresspiegel: 581 m / 1907 ft Eine topographische Besonderheit des Flughafens Innsbruck sind die massiven Gebirgszüge nördlich und südlich des Flughafens und die daraus resultierenden etwas steileren Anflugwinkel (3.5° PAPI für Piste 08 und 26 sowie 3,77° GP für 26 ILS) im Vergleich zu vielen anderen Flughäfen (üblicherweise 3° PAPI und GP). 1.10.1 Föhn Verfahren AIP Abbildung 8 und Abbildung 9 beschreiben spezielle Flugverfahren bei Föhnlagen wie sie in der AIP Austria publiziert sind. Unter 2.9 und 3.1.2.6 wird darauf hingewiesen, dass es im Bereich über dem Inn und der Stadt Innsbruck während des Endanfluges zu Fallböen bzw. Abwinden kommen kann. Untersuchungsbericht 28 von 58
Abbildung 8: Flugverfahren bei Föhn, AIP Austria Quelle: ACG Abbildung 9: Instrument Procedures, Flugverfahren bei Föhn, AIP Austria Quelle: ACG 1.10.2 Föhn Anflug entlang der Nordkette des Betreibers Entsprechend der vorherrschenden Südföhnlage entschied sich die Besatzung für das Verfahren „Föhn Approach along Nordkette“ zur Landung in Innsbruck, welches vom Betreiber entsprechend dem Bulletin „Airport Procedures Innsbruck“ für die Type Dash 8 als Zusatz zum OM-B festgelegt wurde (Abbildung 10 ,siehe auch Abschnitt 1.13). Untersuchungsbericht 29 von 58
Abbildung 10: Anflugverfahren „Föhn Approach along Nordkette“ Quelle: Betreiber Außerdem weist das Bulletin „Airport Procedures Innsbruck“ darauf hin, dass im Inntal leicht EGPWS Warnungen ausgelöst werden können (Abbildung 11). Abbildung 11: Hinweis zu EGPWS Warnungen Quelle: Betreiber Untersuchungsbericht 30 von 58
1.11 Flugschreiber Für den Betrieb der DHC-8 waren ein Flugschreiber (FDR, Flight Data Recorder) und ein Stimmrekorder (CVR, Cockpit Voice Recorder) vorgeschrieben und eingebaut. Weiters ist für Wartungsaufgaben und zum Zweck der Flugparameterauswertung ein Quick Access Recorder (QAR) mit an Bord, welcher die gleichen Parameter und Daten wie der FDR bereitstellt. Der CVR wurde am 11.4.2019 vom Betreiber unter Aufsicht eines Organs der Sicherheitsuntersuchungsstelle ausgelesen und die Daten gemeinsam mit den Daten des QAR der Sicherheitsuntersuchungsstelle übergeben. FDR/QAR FDR/QAR Daten liegen vom Zeitpunkt des Rollens am Flughafen Wien (07:57:53 Uhr) bis zum Zeitpunkt des Rollens am Flughafen Innsbruck nach der Landung (08:58:28 Uhr) vor. Die Daten wurden als Rohdaten (d.h. ohne jedwede Konvertierung oder Anpassung) der Sicherheitsuntersuchungsstelle zur Verfügung gestellt und von dieser ausgewertet. Ein Auszug relevanter Parameter des Fluges und der Landung ist im Anhang ersichtlich. CVR Die Aufzeichnung des Stimmrekorders wurde vom Betreiber ausgelesen und der Rekorder nach dem Auslesen gelöscht. Der Sicherheitsuntersuchungsstelle wurden Aufzeichnungen mit einer Gesamtdauer von 2 Stunden, 5 Minuten und 20 Sekunden übergeben. Radardaten Die seitens ACG verfügbaren Radardaten für den Anflug und die Landung wurden angefordert, der Sicherheitsuntersuchungsstelle zur Verfügung gestellt und ausgewertet. Es liegen Daten von 08:50:00 Uhr bis 08:57:13 Uhr bestehend unter anderem aus Zeit, Koordinaten und den Transpondercodes S, A und C vor. 1.12 Luftfahrzeug und Ausrüstung – Schäden Am Luftfahrzeug entstand Schaden durch Abschürfungen an der äußeren Beplankung mit teilweise Rissen und herausgezogener Niete (Abbildung 12). Eine Antenne wurde komplett abgerissen. An der Innenseite des Rumpfhecks waren vereinzelt Holme und Spante Untersuchungsbericht 31 von 58
gebrochen und verbogen sowie Niete herausgezogen (Abbildung 13 und Abbildung 14). Der Schaden war beschränkt auf das Heck und hatte keine weiteren Auswirkungen auf die strukturelle Integrität des Luftfahrzeuges oder auf dessen Systeme. Abbildung 12: Schaden am Luftfahrzeug-Heck Quelle: Betreiber Untersuchungsbericht 32 von 58
Abbildung 13: Beschädigungen bei X747.602, STR31P bis 31S Quelle: Betreiber Abbildung 14: Beschädigungen bei X763.602, STR31P bis 31S Quelle: Betreiber Untersuchungsbericht 33 von 58
1.13 Organisation und deren Verfahren Der Betreiber des Luftfahrzeuges hat als Zusatz zum DASH 8 Operations Manual Teil B (OM-B) das Bulletin „Airport Procedures Innsbruck“ zur Verfügung gestellt. Darin enthalten sind Hinweise zu den speziellen geographischen, meteorologischen und operationellen Gegebenheiten am und um den Flughafen Innsbruck. Dazu gehören unter anderem Verfahren für Sichtanflüge (Visual Approach) unter Föhnbedingungen. Die im Operations Manual Teil C (OM-C) verwendeten Karten und Verfahren für den Flughafen Innsbruck entsprechen den zum Unfallzeitpunkt von der ACG in der AIP veröffentlichten Karten und Verfahren. 1.13.1 Safety Culture Vom Betreiber wird als ein Teil der Safety Culture ein System zum Flight Data Monitoring (FDM) betrieben und umfangreich durchgeführt. Es werden interne Untersuchungen bei Überschreitung bestimmter Parameter (Triggerlevel) bei Start, Landung und während des Fluges sowie bei Unfällen und Störungen durchgeführt. Wenn erforderlich werden Parameterüberschreitungen oder Vorfälle mit den jeweiligen Besatzungen auf freiwilliger Basis im Sinne einer Nachbereitung bzw. Aufbereitung des Vorfalls diskutiert. Außerdem werden im Sinne der Safety Promotion ausgewählte Vorfälle und deren Analysen herangezogen, um innerhalb der jeweiligen Flotten auf aktuelle sicherheitsrelevante Themen aufmerksam zu machen. 1.13.2 Getätigte Maßnahmen des Betreibers Der Betreiber hat seit dem Vorfall folgende Maßnahmen durchgeführt bzw. umgesetzt: • Durchführung einer internen Untersuchung durch die Flight Safety Abteilung gemäß Betreiber-internem Safety Management System (SMS). • Visualisierung der FDM Daten als Video zu Trainings- und Schulungszwecken. • Erstellung eines Flight Crew Briefing Guides „Landetechnik Q400“. • Schwerpunktsetzung „Landetechnik Q400“ des Simulatortrainings der Crews. • FDM: Implementierung eines eigenen FDM Profils, welches speziell bereits stabile Anflüge auf nachfolgende mögliche Abweichungen der Parameter überwacht. Untersuchungsbericht 34 von 58
2 Auswertung 2.1 Flugwetter Zum Zeitpunkt des Vorfalls herrschte am Flughafen Innsbruck gute Sicht bei moderater Bewölkung. Die gerade aufbauende Südföhnlage deutete zwar auf mögliche Windscherungen und Turbulenzen hin. Warnungen für eine Windscherung für den Flughafen waren aber nur bis 07:00 Uhr aktiv und somit zum Zeitpunkt der Landung und in der Stunde davor nicht ausgegeben. Im MET REPORT wurde die Windscherwarnung ab 07:50 Uhr entfernt. Zur gleichen Zeit wurden Turbulenzwarnungen von MOD/SEV (mittel bis stark) auf MOD (mittel) herabgestuft. Der Besatzung war die Information über "Moderate Turbulences" bekannt. Ein Wechsel des Pilot Flying fand nach Besprechung der Situation nicht statt. Der Anflug wurde als turbulent beschrieben. Trotzdem war der etwa drei Sekunden vor der Landung durchflogene Scherwind anhand der zur Verfügung gestandenen Informationen in dieser Form nicht vorhersehbar. Dieser Scherwind bzw. diese Fallböe kurz vor der Landung kann als unfallkausal und ausschlaggebend für den weiteren Lauf der Ereignisse inklusive dem Aufsetzen des Luftfahrzeughecks betrachtet werden. 2.1.1 Handhabung der Wettersituation in Innsbruck Im Zuge der Unfalluntersuchung wurden, auch aufgrund der speziellen Lage des Flughafens Innsbruck, die meteorologischen Besonderheiten in Innsbruck und deren Handhabung mit der Flugwetterdienststelle Innsbruck diskutiert. Die bisherige Praxis in einer klassischen Föhnsituation sah vor, dass Windscherungswarnungen (Bulletin, METAR, MET REPORT) nur bis zum Föhndurchbruch ausgegeben wurden, solange der föhnige Südwind im Anflug- oder Platzbereich auf den Westwind aus dem Oberinntal trifft. Setzte sich der Südwind bzw. Südostwind auch Richtung Oberinntal durch, entfiel die Windscherungswarnung, es blieb nur mehr die Turbulenzwarnung für den Anflug. Obwohl diese Vorgehensweise aus meteorologischer Sicht korrekt ist, bestand die Möglichkeit, dass Pilotinnen und Piloten manchmal diese Informationen scheinbar anders interpretieren konnten. Es ist denkbar und nicht unüblich, dass Windscherungen als gefährlicher angesehen werden als Turbulenzen. Das dürfte unter anderem daran liegen, dass Windscherungen eher als Gefahr in Kombination mit dem immanenten Risiko bei Untersuchungsbericht 35 von 58
Starts und Landungen wahrgenommen werden, wohingegen Turbulenzen tendenziell in Verbindung mit dem Reiseflug im Gedächtnis verankert sind. Diese unbewusste Priorisierung der Windscherung über die Turbulenz bezüglich der Gefährlichkeit führt letztendlich zu dem Trugschluss, dass die Aufhebung einer Warnung über eine Windscherung als Entspannung der Windsituation betrachtet wird. Das gilt auch, wenn die Turbulenzwarnung bestehen bleibt. Die korrekte Vorgehensweise der Flugwetterdienststelle Innsbruck könnte daher möglicherweise unbeabsichtigt vermitteln, dass sich die Situation entspannt oder weniger riskant sei, sobald sich der Föhn etabliert hat, da ja keine Windscherungswarnung mehr ausgegeben wird. Das ist aber ein Trugschluss, Anflüge werden keineswegs einfacher, da der föhnige Süd- bzw. Südostwind im Platzbereich wesentlich böiger und turbulenter ist als der Westwind. Aufgrund dieser Überlegungen ist die Flugwetterdienststelle Innsbruck zu dem Schluss gekommen, auch nach Föhndurchbruch die Windscherungswarnungen aufrecht zu erhalten. Begründet wird das unter anderem auch dadurch, dass nach Föhndurchbruch zwar keine zwei Luftmassen mehr existieren würden, die an einer Scherungsfläche aneinander treffen. Windscherungen in Form von Turbulenzen und Rotoren treten aber genauso auf, wenn nicht sogar noch intensiver. 2.2 Flugverlauf Beim Anflug und zum Zeitpunkt des Unfalls um 08:56 Uhr herrschten gute Sichtverhältnisse. Die Besatzung wurde sowohl vor, als auch während des Fluges umfassend bezüglich der Wetterlage informiert, bzw. holte diese Informationen selbst ein. Eine Warnung betreffend Windscherung war zum Unfallzeitpunkt nicht mehr gültig. Dass der Anflug zeitnah zu einer gerade im Aufbau befindlichen Südföhnlage begonnen wurde, war der Besatzung zumindest seit dem Briefing vor dem Abflug bekannt. Für die in diesem Briefing angesprochene Möglichkeit, dass der erfahrene und mit dieser Wetterlage vertraute Kapitän als Pilot Flying bei einer Verschlechterung der Bedingungen den Anflug und die Landung durchführen wird, bestand aufgrund der verfügbaren Informationen keine Veranlassung. Die Flugvorbereitung und auch die Wetteranalysen während des Fluges wurden gemäß den Standards und entsprechend den geltenden Vorschriften durchgeführt. Der Anflug wurde vom Copiloten gemäß dem veröffentlichten Föhn-Anflugverfahren durchgeführt. Es traten im Endanflug zwar kurzfristige Überschreitungen der Kriterien für einen Untersuchungsbericht 36 von 58
stabilisierten Anflug auf, diese wurden jedoch unmittelbar erkannt und zielführend korrigiert. Der Anflug ist daher gemäß OM-A 8.4.5.15 als Stabilized Approach zu bezeichnen. Die Überschreitung des Nose-Up Limits während des Aufsetzens war minimal (7,65° beim Aufsetzen vs. 7,6° Limit bei voller Kompression der Federbeine, siehe Abschnitt 1.6.7). Es ist durchaus möglich, dass die betrieblich notwendige Bombierung der Runway per Dachprofil zum Unfallgeschehen beigetragen hat. In der allerletzten Phase des Anflugs kam es zu einer plötzlichen Abnahme der Windgeschwindigkeit. Die Steigerung der Triebwerksleistung als Reaktion darauf war zwar richtig, sie kam jedoch zu spät. Die Abnahme der Windgeschwindigkeit trat allerdings erst etwa 3 Sekunden vor dem Aufsetzen auf, was dem Piloten an sich schon sehr wenig Zeit zum Reagieren einräumt. Wäre mehr Leistung gesetzt worden, hätte dies das Nose-Up Nickmoment weiter erhöht. Wenn überhaupt hätte der Kontakt des Hecks mit der Piste unter den gegebenen Umständen und unter Berücksichtigung der Reaktionszeit des Piloten sowie der (Massen-) Trägheit des Luftfahrzeuges nur bei Inkaufnahme einer höheren Vertikalbeschleunigung (G-Load) bei der Landung verhindert werden können. Windscherungen und Turbulenzen sind typisch für Föhnlagen. Fluktuationen der Windgeschwindigkeit wie im gegenständlichen Fall können jedoch nicht nur in Kombination mit Föhnlagen sondern generell jederzeit auftreten. Ob ein sofort eingeleitetes Durchstartmanöver den Kontakt des Flugzeughecks mit der Piste verhindert hätte, lässt sich aus den vorliegenden Parametern nicht eindeutig ableiten. 2.3 Luftfahrzeug 2.3.1 Beladung und Schwerpunkt Sowohl die Masse des Flugzeugs als auch die Lage des Schwerpunkts lagen während des gesamten Fluges im zulässigen Bereich. 2.3.2 Luftfahrzeugwartung In den zur Verfügung gestellten Wartungsaufzeichnungen wurde kein Hinweis auf fehlende, noch offene bzw. nicht durchgeführte Wartungen oder Überprüfungen gefunden. Untersuchungsbericht 37 von 58
2.4 Besatzung 2.4.1 Humanfaktoren (Crew Resource Management) Das Führungsverhalten des Kapitäns, die Kooperation zwischen den beiden Piloten, die gemeinsame Entscheidungsfindung vor dem Anflug, sowie die dazu gehörende Kommunikation können nach Auswertung aller zur Verfügung stehenden Unterlagen durch die Sicherheitsuntersuchungsstelle als optimal bezeichnet werden. Die Entscheidung des Kapitäns, dem Copiloten die Aufgaben des Pilot Flying zu übertragen, war durch die Vorgaben aus dem OM-A gedeckt. Das OM-A räumt dem Kapitän dieses Delegieren der Aufgaben ein. Als Grund dafür wird die Möglichkeit zur Verbesserung der fliegerischen Fähigkeiten (Skills, Fachkönnen) angegeben. Es kann aber daraus auch die Wichtigkeit und auch die Verantwortung ersehen werden, im alltäglichen Betrieb die Copiloten auf eine spätere Umschulung und auch auf die Aufgaben eines Kapitäns rechtzeitig vorzubereiten. Alle Copiloten, welche noch nicht die erforderliche Flugerfahrung für eine Umschulung zum Kapitän mitbringen, müssen praxisnah diese Erfahrungen sammeln. Die Wetterlage am Unfalltag war zwar keinesfalls ideal, sie eignete sich aber sehr gut dazu, um auch als Copilot in der Funktion des Pilot Flying Situationen wie diesen Anflug am Beginn einer Föhnlage zu erleben. Allerdings räumt das OM-A einem Kapitän auch die Möglichkeit ein, jeden Flug selbst als Pilot Flying durchzuführen und den Copiloten ausschließlich mit den Aufgaben des Pilot Monitoring zu betrauen. Ein Hinweis, dass dies im Hinblick auf ein zielführendes CRM nicht ideal ist, wäre sinnvoll. Untersuchungsbericht 38 von 58
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