Usability Engineering fu r Benutzer-Interaktionskonzepte von Augmented-Reality-Systemen
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it + ti 1/2002 Usability Engineering für Benutzer-Interaktionskonzepte von Augmented-Reality-Systemen Usability Engineering for User Interface Concepts of Augmented Reality Systems Ludger Schmidt, Olaf Oehme, Stefan Wiedenmaier, RWTH Aachen Andreas Beu, Philipp Quaet-Faslem, User Interface Design GmbH, München Bei Augmented Reality (AR) handelt es sich um eine neue Technologie, die es gestattet, in das reale Sichtfeld von Benutzern zusätzliche virtuelle Informationen einzublenden. Um neben einer reinen Technikentwicklung auch den zukünftigen Benutzer von Anfang an zu berücksichtigen, wurde im BMBF-geförderten Leitprojekt ARVIKA die benutzerzentrierte Sys- temgestaltung als zentraler Bestandteil des Projekts verankert. In diesem Beitrag werden neben der Vorgehensweise beim Usability Engineering im Projekt ARVIKA erste Ergebnisse aus der Evaluationsphase der AR-Benutzerschnittstellen dargestellt. Diese zeigen, dass AR zwar große Potenziale für die Praxis aufweist, jedoch wesentliche Bestandteile der heute gängigen Interaktionskonzepte desktopbasierter Systeme hinsichtlich ihrer AR-Tauglichkeit überarbeitet bzw. vollständig neu gestaltet werden müssen. Neben Problemen mit den bis- lang entwickelten AR-Benutzerschnittstellen werden Lösungsansätze dargestellt und so die Grundlagen für die Entwicklungen in der zweiten Projektphase aus benutzerzentrierter Sicht gegeben. Augmented Reality (AR) is a new technology that allows to overlay the users field of view with additional virtual information. Besides from the technically oriented development the user centred system design is an essential part in the project ARVIKA which is supported by German Federal Ministry for Education and Research (BMBF). This contribution de- scribes the approach of usability engineering in ARVIKA as well as first results of the AR user interfaces’ evaluation phase. The evaluation has shown huge potentials for the practical use of AR systems. It has also shown an inability of present-day well known interaction concepts for desktop PCs con- cerning AR and the necessity to reconsider and reengineer them. In this article solutions will be discussed as a basis for further developments in the second project phase from a user centred point of view. 1 Einleitung aktion erfordert neben der anwendungsorientierten Entwicklung der AR-Basistechnologien insbesondere Zur Unterstützung industrieller Arbeitsprozesse in die Berücksichtigung von Benutzeranforderungen bei Entwicklung, Produktion und Service werden im der ergonomischen Gestaltung von AR-Systemen. Die BMBF-geförderten Leitprojekt ARVIKA Augmen- Vorgehensweise in ARVIKA ist an ISO 13407 (Be- ted-Reality-Technologien unter benutzerzentrierten nutzergerechte Gestaltung interaktiver Systeme) ange- Aspekten entwickelt. Bei Augmented Reality (AR) lehnt und umfasst die fünf Phasen wird das Sichtfeld des Betrachters um rechnergene- • Szenarienbasierte Anforderungserhebung, rierte virtuelle Objekte angereichert, um Produkt- • Konzeption und Spezifikation, oder Prozessinformationen situationsgerecht im Kon- • Prototypentwicklung und Integration, text zur betrachteten Realität intuitiv nutzbar zu ma- • Evaluation, Test und Verifikation sowie chen. Diese innovative Art der Mensch-Technik-Inter- • Auswertung der Ergebnisse und Dokumentation. it + ti – Informationstechnik und Technische Informatik 44 (2002) 1 31
it + ti 1/2002 Dabei sind die Aspekte der benutzerzentrierten Sys- Da es sich bei den Evaluationsszenarien nicht um temgestaltung als Querschnittsteilprojekt verankert. vergleichende Studien zwischen verschiedenen Unter- Die im Rahmen des Projektes entwickelten anwen- stützungsmöglichkeiten handelt, kann lediglich die dungsspezifischen Prototypen wurden evaluiert. Ausführung der einzelnen Arbeitsschritte sowie das Für die AR-Anwendungen in ARVIKA werden ver- erreichte Gesamtergebnis im Hinblick auf die ge- schiedenste Ein- und Ausgabegeräte verwendet, die stellte Arbeitsaufgabe beurteilt werden. Wesentlich je nach Erfordernissen der Aufgabe auch innerhalb wichtiger ist es in diesem Entwicklungsstadium, die eines Arbeitseinsatzes mehrfach variiert werden. Konsistenz des Benutzungskonzepts sowie die Eig- Dies erfordert die Entwicklung eines skalierbaren nung des Augmented-Reality-Systems für die An- User-Interface-Konzeptes, das alle erforderlichen Ge- wendungsszenarien zu überprüfen. Dies erfolgt in räte vom Hand-Held-Display mit Touchscreen bis Orientierung an den in DIN EN ISO 9241-10 ge- zum High-End-AR-System mit Head Mounted Dis- nannten Grundsätzen zur Dialoggestaltung. Das play abdeckt. Hauptaugenmerk liegt hier auf der Aufgabenange- messenheit, die sicherlich als oberstes Kriterium für Der Bereich Augmented Reality befindet sich noch die Systementwicklung angesehen werden kann. Ge- weitgehend im Forschungsstadium, so dass hinsicht- rade die Dialogprinzipien Selbstbeschreibungsfähig- lich der Entwicklung von Benutzungskonzepten nicht keit, Steuerbarkeit, Erwartungskonformität und Feh- aus Erfahrungen aus dem Praxiseinsatz dieser Tech- lerrobustheit sind schon beim ersten Einsatz des nologien geschöpft werden kann. In AR-Prototypen Systems von entscheidender Bedeutung. Dahingegen aus Forschung und Entwicklung sind bisher keine steht bei einem ersten Prototyp z. B. die Individuali- umfassenden Konzepte zum Interaktionsdesign zu er- sierbarkeit für den einzelnen Nutzer durch eigene kennen, auch existieren derzeit keinerlei Richtlinien Short Cuts noch nicht im Mittelpunkt des Interesses. zur Gestaltung von Benutzungsschnittstellen für AR- Die geplante Unterstützung der Lernförderlichkeit Systeme. Der Styleguide für AR-Systeme beschreibt durch einen Agenten konnte noch nicht überprüft ein universelles Benutzungskonzept für AR-Systeme werden, da eine solche Technologie noch nicht im und ist ein Teilergebnis des ARVIKA-Projektes. Die System implementiert ist. prototypische Umsetzung dieses Konzepts wird zur Zeit – auch mit Methoden des Usability Engineer- ings – evaluiert. In einem iterativen Prozess sollen die Ergebnisse in die Anforderungserhebung für die 3 Evaluationsmethoden zweite Projekthälfte einfließen. Bei der Evaluation wurden den Teilnehmern Aufgaben gestellt, die für die spätere Nutzung des ARVI- 2 Vorgehensweise bei der benutzer- KA-Systems typisch sind. Hierbei wurden die Teilneh- mer gebeten, diese Aufgaben mit den anwendungsspe- zentrierten Systemgestaltung zifischen Prototypen zu lösen. Die benutzerzentrierte Gestaltung mit Hilfe arbeits- Im Gegensatz zu statistisch abgesicherten grundla- wissenschaftlicher Methoden ist ein elementares Ele- gen- oder systemergonomischen Untersuchungen ist ment zur Erlangung der Benutzerfreundlichkeit von beim Usability Testing keine große Anzahl an Ver- Augmented-Reality-Systemen. Im Gegensatz zur suchspersonen nötig. Nach Untersuchungen von Niel- technozentrierten Gestaltung, bei der das technisch sen [8; 9] werden bereits von sechs Experten die Machbare im Mittelpunkt des Interesses steht, wird meisten Fehler entdeckt und jeder weitere Experte hier sichergestellt, dass die entwickelten AR-Systeme bestätigt im Wesentlichen nur die bereits identifizier- den Anforderungen von Mitarbeitern und Arbeits- ten Fehler, erhöht jedoch die Kosten der Analyse. prozessen entsprechen, die Benutzungsschnittstellen Diese Erfahrungen bestätigten sich bei der Versuchs- software- und hardware-ergonomisch gestaltet sind, durchführung im Rahmen von ARVIKA; auch hier durch AR-Funktionalitäten Verbesserungen der Ar- gaben die letzten Teilnehmer mehr oder weniger die beitsorganisation in den genannten Anwendungsfel- gleichen Auskünfte wie vorherige Versuchspersonen. dern ermöglicht werden und ein Beleg der wirtschaft- Die bei der Evaluation eingesetzten Verfahren des lichen Effekte stattfindet. Usability Engineerings werden im Folgenden kurz Grundlage dieses sog. Usability und Requirements beschrieben. Diese Aufzählung erhebt keinen An- Engineering ist ein partizipativer und iterativer An- spruch auf Vollständigkeit; weitere existierende Ver- satz. In der nun dargestellten Evaluation der proto- fahren sind nicht aufgeführt, da sie bei der Evalua- typisch entwickelten AR-Systeme mit Bezug auf kri- tionsplanung als nicht sinnvoll erachtet wurden oder tische Anwenderszenarien wird ein sog. Usability auf Grund der Rahmenbedingungen nicht eingesetzt Testing durchgeführt. Die Evaluation erfolgt direkt werden durften (z. B. Videoaufzeichnung). Mit Si- mit den betrieblichen Benutzern iterativ nach jedem cherheit ist die Frage nach der richtigen Wahl der Gestaltungszyklus der AR-Systeme. Evaluationsmethoden immer ein Diskussionspunkt, 32
L. Schmidt u. a.: Usability Engineering für Benutzer-Interaktionskonzepte von Augmented-Reality-Systemen it+ti 1/2002 zumal nicht ausgeschlossen werden kann, dass unter Wizard of Oz Prototyping: Dieses wird eingesetzt, gewissen Umständen eine andere Methode mehr Ge- wenn in Prototypen oder Mockups einige Funktionen staltungsmängel aufgezeigt hätte. Hierzu muss jedoch noch nicht vollständig implementiert sind. Der Be- auch erwähnt werden, dass erfolgreich arbeitende nutzer glaubt mit dem System zu arbeiten, obwohl in Abteilungen großer Hersteller oft mehrere Jahre be- Wirklichkeit ein Mitglied des Entwicklungsteams auf nötigen, um zu einer optimalen Anpassung ihrer die Aktionen des Benutzers interagiert [11]. Bei- Evaluationsstrategie an die entsprechende Anforde- spielsweise wird diese Methode bei einer noch nicht rungen der Benutzer und das zu gestaltende Produkt funktionierenden Spracherkennungssoftware einge- zu gelangen [1]. setzt, indem der Benutzer seine Anweisungen an das System verbal äußert und ein vom Versuchsleiter Be- Befragung: Da der Benutzer direkte oder indirekte auftragter diese akustischen Signale in entsprechende Aussagen über die Qualität des Systems macht, spielt Mausklicks auf dem System umsetzt. Für den Benut- er eine aktive Rolle bei der Informationssammlung. zer sieht es dann so aus, als ob das System seine Si- Untersucher bevorzugen vielfach Daten, die aus be- gnale direkt verarbeitet. So können auch technisch obachtenden Methoden gewonnen wurden, allerdings noch nicht machbare Interaktionskonzepte getestet können viele Informationen nur durch Einbeziehung und bewertet werden. der Urteile und Fußerungen von Benutzern gewon- nen werden, wie z. B. Erwartungen, Einstellungen, Walkthroughs: Hierbei handelt es sich um eine struk- Affekte und Wünsche [1]. turierte Art eines Expertenreviews, in dem versucht wird, im Vorfeld genau beschriebene Aufgaben mit Beobachtung: Da nicht jede Versuchsperson offen dem System zu erledigen [11]. Strukturierte Walk- ausspricht, welche Probleme sie mit dem System hat, throughs werden in der Softwareentwicklung schon oder weil sie gerade zu beschäftigt ist, um diese seit längerer Zeit als Standardmethode für die Quali- Probleme zu artikulieren, ist die menschliche tätssicherung eingesetzt [12]. Während eines Walk- (Fremd-) Beobachtung und Beurteilung von Interak- throughs „gehen“ die Produktentwickler (oder Ex- tionssequenzen eine wichtige Hilfsquelle [1]. Prinzipi- perten) durch die einzelnen Spezifikationen des ell wird dieses Verfahren hauptsächlich bei der Aus- Systems und suchen so Schritt für Schritt Fehler oder wertung von Videosequenzen eingesetzt, kann jedoch Inkonsistenzen [4]. Der so genannte Cognitive Walk- auch zur unmittelbaren Aufzeichnung von Interak- through ist ein variierter Walkthrough speziell für tionssequenzen benutzt werden. Bei Letzterer kön- Benutzerschnittstellen und gestattet es, die Benutz- nen zwar nur eine gewisse Anzahl von Interaktionen barkeit anhand eines Mockups zu evaluieren, bevor erfasst werden (Zeit für das Verschriftlichen der Be- überhaupt ein Prototyp entwickelt worden ist. Mit obachtungen), diese hat aber einen wesentlich gerin- dieser Methode kann man Fehler leicht aufspüren geren Zeit- und Personalbedarf [7]. und somit wertvolle Gestaltungshinweise für den spä- Lautes Denken: Die Benutzer werden gebeten, bei teren Prototypen erhalten [4]. der Ausführung der Aufgaben alle Gedanken frei auszusprechen, die ihnen ins Bewusstsein treten. Mit der Ausformulierung ihrer Gedanken ermöglichen die Benutzer es dem Versuchsleiter zu verstehen, wie 4 Fallstudien ihre Sicht auf das System ist, und machen es somit Bei den nachfolgend beschriebenen drei Fallstudien einfacher, die Missverständnisse bei der Interaktion handelt es sich um Beispiele, die im Rahmen des mit dem System zu identifizieren [9]. Hierbei handelt ARVIKA-Projekts entwickelt wurden. Sie unterschei- es sich um eine erprobte, wenn auch nicht unumstrit- den sich vor allem in der Art der Repräsentation von tene Methode zur Untersuchung von Denk- und Informationen im Blickfeld des Benutzers und den Problemlösungsvorgängen [3; 5; 10]. damit verbundenen unterschiedlichen Interaktions- Strukturiertes Interview: Im Gegensatz zu reinen möglichkeiten. Die dazugehörigen Anwendungssze- Fragebögen wird hierbei eine anregende Befragungs- narien stammen aus dem Bereich des Services von situation erzeugt, in der flexibel auf die Benutzer ein- Werkzeugmaschinen und der Montage von Flugzeu- gegangen werden kann und auch nicht formalisierte gen. Sie wurden mit Hilfe der in Kapitel 3 beschrie- Antworten zugelassen sind [1]. Durch einen im Vor- benen Methoden evaluiert. feld ausgearbeiteten Interviewleitfaden ist sicherge- stellt, dass die grundlegenden Fragen den verschiede- nen Versuchsteilnehmern in gleicher Form gestellt 4.1 Hand-Held-PC werden und keine Fragen durch den Versuchsleiter vergessen werden. Durch die mündliche Antwort- 4.1.1 Eingesetzte Prototypen möglichkeit können sich die Benutzer frei äußern In dieser Studie wurde ein mobiles Informations- und werden nicht durch Formulierungsprobleme ins system auf einem Hand-Held-PC, d. h. einem mobi- Schriftliche von ihren Gedanken abgehalten. len Computer mit Touchscreen-Oberfläche, für den 33
it + ti 1/2002 Einsatz bei Service und Wartung von Werkzeug- und Als Hardware wurde ein Fujitsu Stylistic 3400 Produktionsmaschinen untersucht. Das Benutzungs- (400 MHz Intel Pentium III Prozessor, Touchscreen konzept für das mobile Informationssystem ist Ergeb- mit Auflösung 1024 768 Pixel) verwendet. Die nis des benutzerzentrierten Gestaltungsprozesses in Oberfläche beider Prototypen ist darauf ausgelegt, ARVIKA und wurde als Prototyp implementiert. Für vom Anwender mit den Fingern ohne Stift bedient die vorliegende Untersuchung kamen zwei unter- zu werden*. Die Anordnung der Benutzungselemen- schiedliche Prototypen (A und B) zum Einsatz, mit te vermeidet die Verdeckung des Bildschirminhaltes denen die Benutzer das Test-Szenario in realistischer bei Betätigung grundlegender Navigationsfunktionen Weise durchspielen konnten. mit der rechten Hand. Das Konzept der Benutzungs- Die beiden Prototypen unterschieden sich im Wesent- schnittstelle basiert auf einer Browser-Metapher. lichen durch die variierte Menüstruktur: Während Pro- Bild 1 zeigt beispielhaft die Oberfläche von Proto- totyp A eine klassische hierarchische Menüstruktur typ B. beinhaltete, war in Prototyp B das Konzept des Kon- textnavigators implementiert. Dieser soll dem War- 4.1.2 Versuchsdesign und angewandte Methoden tungs- und Servicetechniker einen schnellen und effizi- enten Zugriff auf Informationen und entsprechende Es wurde ein Usability Test mit sechs Teilnehmern Funktionen aus einem umfangreichen Datenbestand aus dem Bereich der Wartung von Werkzeug- und ermöglichen, indem er dem Benutzer eine sinnvolle Produktionsmaschinen vor Ort bei einem Werkzeug- Vorauswahl anbietet, welche dynamisch aus dem aktu- maschinenhersteller durchgeführt. Verwendet wurde ellen Arbeitskontext generiert wird. In Abhängigkeit ein Aufgabenszenario zur Fehleranalyse und Fehler- von seiner räumlichen Position, dem aktuellen Ar- behebung an einer Werkzeugmaschine. Durch Beob- beitsobjekt, der Arbeitsaufgabe sowie möglicher Kom- achtung, die Methode des Lauten Denkens, Inter- munikationspartner erhält er kontextspezifische Infor- views und Fragebögen wurden Nutzungsprobleme, mationen und Funktionen. Der Zugriff erfolgt auf positive Aspekte, Verbesserungsvorschläge und At- dem Hand-Held-PC über Menübuttons am unteren traktivität untersucht (vgl. [6]). Bildschirmrand, die zum jeweiligen Kontext ein spe- zielles Menü anbieten (vgl. Bild 1). Für eine ausführ- * Bei der verwendeten Hardware musste mangels ausrei- liche Beschreibung des Kontextnavigators sei auf [2] chender Empfindlichkeit auf Stiftbedienung ausgewichen verwiesen. werden. Bild 1: Screenshot des UI-Mockups. 34
L. Schmidt u. a.: Usability Engineering für Benutzer-Interaktionskonzepte von Augmented-Reality-Systemen it+ti 1/2002 Die Untersuchung dauerte zwischen 2M und nutzerführung nur für unerfahrene Nutzer bzw. unbe- 3N Stunden. Das Alter der Teilnehmer variierte zwi- kannte Tätigkeiten erwünscht ist. Der erfahrene War- schen 19 und 46 Jahren (Mittelwert: 36 Jahre). Die tungstechniker erwartet vielmehr eine passive, Computererfahrung der Teilnehmer lag bei einer punktuelle Unterstützung, mit der er sich z. B. wichti- mittleren Anzahl von 12 Punkten (auf einer Skala ge technische Werte für die Montage, Informationen von 0 bis 20 Punkten), was einer durchschnittlichen über benötigtes Spezialwerkzeug etc. auf Abruf ein- bis guten Computererfahrung entspricht. Der Testab- blenden lassen kann. lauf war folgendermaßen gegliedert: Zusammenfassend lässt sich aus der Untersuchung 1 Exploration des ersten Systems (abwechselnde folgern, dass die Entwicklung eines mobilen Informa- Reihenfolge von Prototyp A und B) tionssystems zur Unterstützung von Service- und 2 Fragebogen zur Einschätzung Wartungstätigkeiten ein vielversprechender Ansatz 3 Aufgabenbearbeitung mit erstem System ist, der allerdings hinsichtlich Informationsdarstellung 4 Kurzinterview nach jeder Aufgabe und -zugriff besondere Anforderungen stellt. Das 5 Fragebogen zur Einschätzung des Systems Konzept des Kontextnavigators scheint hier eine gute 6 Interview Lösungsmöglichkeit zu bieten. 7 Schritt 1 bis 6 mit zweitem System 4.2 Binokulares HMD 4.1.3 Ergebnisse im Video-See-Through-Modus Ein Großteil der Ergebnisse des Usability-Tests be- trafen die Navigation zwischen Funktionen und In- 4.2.1 Eingesetzter Prototyp formationen. Daraus ergaben sich Hinweise auf die Anders als in dem in 4.1 vorgestellten System wurde Informationsstrukturierung, aber auch auf erforderli- bei diesem Prototyp auf die virtuelle Anreicherung che Verbesserungen an der Benutzerführung bei der des Sichtfelds des Benutzers Wert gelegt. Konzipiert Navigation. wurde der Prototyp für eine typische in der Praxis Während der Informationszugriff mit einem hierar- vorkommende Montagetätigkeit. Die virtuellen Ar- chischen Menü in Prototyp A den Benutzern z. T. er- beitsanweisungen für diese Montagetätigkeit können hebliche Schwierigkeiten bereitete, führte der in Pro- so Schritt für Schritt dem Benutzer ins HMD (hier totyp B gezeigte Ansatz der kontextspezifischen Sony Glasstron) eingeblendet werden (AR-Work- Informationsbereitstellung zu deutlich weniger Nut- flow). Hierbei war es nicht nur möglich, statisch tex- zungsproblemen. Generelle Schwierigkeiten bei der tuelle Informationen einzublenden, sondern auch Navigation ergaben sich bei beiden Prototypen bei Animationen grafischer Objekte, die Arbeitsschritte der Darstellung „verschachtelter“ Informationen, besser veranschaulichen können (Bild 2). wenn z. B. innerhalb einer Arbeitsanweisung zwi- Da das pixelgenaue Oberlagern im See-Through- schen einzelnen Schritten hin- und hergesprungen Modus zur Zeit immer noch immense Kalibrie- werden konnte, gleichzeitig aber auch die globalen rungsprobleme zwischen HMD und Auge bringt, Buttons für „Seite vor“ und „Seite zurück“ zur Ver- fand die Video-See-Through-Methode Anwendung, fügung standen. So bereiteten das Verlassen einer d. h. der Benutzer nimmt seine Umwelt als „Echt- Handlungssequenz und die Rückkehr zum letzten zeitvideo“ dieser wahr. Vorteil dieser Methode ist Schritt den Benutzern Schwierigkeiten. Hier sollte die Möglichkeit einer orts- und zeitgenauen Syn- die Navigationsstruktur einheitlicher und das Naviga- chronisation zwischen virtuellem und realem Bild. tionskonzept transparenter werden. Es zeigte sich Als Nachteile dieser Methode sind der Informati- außerdem, dass zentrale Startseiten fehlten, die z. B. onsverlust der realen Welt aufgrund der maximalen einen Oberblick über Aufgabenbeschreibungen, Auflösung des Displays, ein Verlust der Tiefeninfor- Rauminformationen oder über Maschinenkomponen- mation bei Verwendung nur einer Videokamera so- ten etc. beinhalten. Diese Startseiten müssen immer wie eine zeitliche Verzögerung zwischen realer Welt gleichartig aussehen, und der Benutzer muss immer und des im HMD dargestellten Videos der realen auf die gleiche Art und Weise darauf zugreifen kön- Welt zu nennen. nen. Dieser Ansatz wurde im Kontextnavigator von Die Verwendung eines Wearable-PCs war auf Grund Prototyp B verfolgt. der relativ hohen Leistungsanforderungen (besonders Eine weitere Fragestellung des Usability-Tests war, an die Grafikkarte) nicht möglich. Um die Mobilität wie komplexe Handlungsanweisungen für Wartungs- des Prototyps dennoch zu sichern, wurde das Basis- und Servicetätigkeiten mit Hilfe von AR-Technologie system auf einem Laptop mit Pentium III Prozessor dargestellt werden sollten. Hierzu wurde ein Interak- (800 MHz, 256 MB RAM) installiert. Ein Funknetz- tionskonzept entwickelt, das den Benutzer durch ein- werk mit PCMCIA-Karte für den Laptop ermög- zelne Handlungsschritte führt. Die Ergebnisse des lichte die Verbindung zur Legacy-Datenbank des Un- Usability-Tests zeigten aber, dass diese Art der Be- ternehmens. 35
it + ti 1/2002 zu erörtern und sinnvolle Kommandos für die Sprachsteuerung zu sammeln. Anschließend bestand die Aufgabe der Versuchspersonen darin, die im HMD eingeblendeten Montageanweisungen auszu- führen. Hierbei wurden sie gebeten, „laut zu den- ken“, um Gestaltungsprobleme unmittelbar erken- nen zu lassen. Allerdings wurde in diesem ersten Durchgang keine Rückfragen an die Versuchsteil- nehmer gestellt, um sie in ihrem Arbeits- und (Laut-)Denkprozess nicht zu beeinflussen. Um je- doch die Meinungen sowie Verbesserungsvorschläge Bild 2: Statische und dynamische (animierte) Objekte zur Erklärung des jeweiligen Arbeitsschrittes. und aufgefallenen Probleme bei der Montage zu er- fassen, wurden die Versuchspersonen in einem zwei- ten Durchgang nochmals mit den gleichen Arbeits- 4.2.2 Versuchsdesign und angewandte Methoden schritten konfrontiert. So hatte der Versuchsleiter Da bei dem evaluierten Prototyp die vorgesehene die Möglichkeit, direkt Rückfragen zu stellen und und im Montageszenario unbedingt erforderliche so gezielt einzelne Punkte ansprechen. Sprachsteuerung noch nicht implementiert war, kam für die Simulation die Wizard-of-Oz-Methode (siehe Kapitel 3) zum Einsatz. 4.2.3 Ergebnisse An der Evaluation nahmen sechs männliche Fachar- Als Hauptproblem des Prototyps stellte sich die beiter im Alter zwischen 30 und 46 Jahren (Mittel- Schwierigkeit heraus, den Ort des nächsten Arbeits- wert: 37 Jahre) aus der Ausrüstungsmontage eines schrittes zu finden. Wenn sich die Versuchsperson Projektpartners teil. Die Berufserfahrung reichte von nicht im näheren Sichtfeld des nächsten Arbeitsschrit- 2 bis zu 30 Jahren (Mittelwert: 16 Jahre). Alle Teil- tes befand, so war für sie unklar, was zu tun ist. Es nehmer arbeiten mindestens 5 Tage pro Woche am wurde zwar im unteren Bereich des Sichtfeldes eine Computer (Arbeitsaufträge, technische Dokumenta- kurze Tätigkeitsbeschreibung eingeblendet; die Orts- tion wie Schaltpläne etc. und Arbeitszeiterfassung) angabe dieser Tätigkeit fehlte aber vollkommen. Erst und hatten eine grundsätzlich positive Einstellung ge- durch Herumschauen konnte dann zufällig der Ort genüber Computern, so dass die geäußerten Meinun- des nächsten Arbeitsschrittes gefunden werden. Al- gen nicht auf eine Technikfeindlichkeit zurückführbar lerdings war dann die den Arbeitsschritt beschreiben- sind. Eine der Versuchspersonen hatte schon einmal den Animation (siehe auch Bild 2) häufig bereits be- mit einem HMD gearbeitet (AR-Türmontageszenario endet und die Versuchsperson musste entweder durch bei der Anforderungsanalyse), und zwei Teilnehmer den Befehl „Wiederholen“ die Animation erneut star- hatten Erfahrung mit einer virtuellen Umgebung ten oder aus der Endlage der Animation den Arbeits- durch Computerspiele. schritt erkennen. Aus diesem Grund muss für den Da die Versuchspersonen aus den Unternehmensab- zweiten Prototyp ein Konzept für die Navigation vom teilungen ausgesucht wurden, in denen das System aktuellem Sichtfeld zum Ort des nächsten auszufüh- auch später eingesetzt werden soll, ist davon auszuge- renden Arbeitsschrittes entwickelt werden. Weiterhin hen, dass die Versuchsteilnehmer mit den späteren sollte über eine ständige Wiederholung der Anima- Benutzern des Systems sowohl bezüglich fachlicher tion bis zu einem „Stop“ oder dem Aufruf des nächs- Kenntnisse und Fertigkeiten als auch bezüglich men- ten Arbeitsschrittes nachgedacht werden. taler Wahrnehmungs- und Einstellungsfragen ver- Ein weiteres Problem stellte die Verdeckung des gleichbar sind. Montageortes durch die Animationen dar. So berei- Als Methoden für die Evaluation des Prototyps tete z. B. das einfache Einschrauben einer Kreuz- wurden Befragungen, Beobachtungen, Lautes Den- schlitzschraube Probleme, da durch die virtuelle Dar- ken, strukturierte Interviews, Wizard of Oz Proto- stellung der Schraube das Gewinde derart verdeckt typing und Walkthroughs genutzt. Nach einer kurzen war, dass die Versuchspersonen die Schraube nur Begrüßung und einleitenden Worten zum Projekt durch taktile (und nicht durch visuelle) Rückmeldung sowie der üblichen Erklärung, dass es sich um eine in das Gewinde eindrehen konnten. Auch das Anset- Systemevaluation handelt und nicht um einen Test zen des Schraubendrehers verursachte diese Schwie- des Arbeitsvermögens der Versuchsteilnehmer, wur- rigkeiten, was teilweise auch auf den Verlust der den die Versuchspersonen im Zeitraster von ca. ei- räumlichen Sicht wegen der zwar binokularen, aber ner Stunde zunächst hinsichtlich Selbstbeschrei- monoskopischen Darstellung im HMD zurückzufüh- bungsfähigkeit und Erwartungskonformität der AR- ren ist. Workflow-Oberfläche befragt, um die eigenen Er- Außerdem sollte bei der Weiterentwicklung für kurz- wartungen an einzelne Objekte und Benutzermodi zeitige Arbeitspausen unbedingt die Möglichkeit des 36
L. Schmidt u. a.: Usability Engineering für Benutzer-Interaktionskonzepte von Augmented-Reality-Systemen it+ti 1/2002 temporären Ausschaltens der virtuellen Informatio- sissystem Prototyp 1, Inkrement 5) installiert war. nen vorgesehen werden. Weiterhin muss geklärt wer- Als Betriebssystem wurde MS Windows 98 genutzt. den, wann und wo es überhaupt sinnvoll ist, virtuelle In diesem Szenario wurden ausschließlich virtuelle Information einzublenden. So wurde z. B. das Ein- Overlays implementiert, um eine höhere Bildwieder- blenden einer Animation für das Rechtseindrehen ei- holrate zu erreichen. Die Wiederholrate lag in einem ner Schraube als eine überflüssige Information erach- Bereich zwischen 5 und 10 Bilder pro Sekunde. tet. An dieser Stelle hätte auch ein virtueller Kreis Diese ist zwar von einer optimalen Rate von 25 Bil- um das Gewinde mit zusätzlicher visueller oder akus- der pro Sekunde noch weit entfernt, dennoch ließen tischer Information „Schraube M10 hier eindrehen“ sich die überlagerten Elemente im Clip-on Display ausgereicht. Nur das Außergewöhnliche, wie z. B. das gut erkennen. Eindrehen einer Schraube in ein Linksgewinde, wür- de eine sinnvolle Mehrinformation bedeuten. Auf Grund der sehr unterschiedlichen geäußerten 4.3.2 Versuchsdesign und angewandte Methoden Erwartungen muss gefolgert werden, dass die But- Bei den Versuchspersonen handelte es sich um tons im unteren Bereich des HMD fehlinterpretiert 11 Personen aus einer Ausbildungswerkstatt sowie wurden und dringend hinsichtlich ihrer Erwartungs- aus einer Montage-Abteilung, die sich wie folgt zu- konformität überarbeitet werden müssen. Weiterhin sammensetzten: 5 Facharbeiter (davon ein Schicht- stellte es sich insgesamt als fragwürdig heraus, ob führer) im Bereich Flugzeugbau, 5 Auszubildende im wiederkehrende Elemente wie „Vorwärts“ oder „In- Bereich Flugzeug- und Werkzeugbau sowie eine fo“ bei Steuerung über ein Sprachinterface über- Praktikantin im Bereich Maschinenbau. Die Berufs- haupt notwendigerweise ständig im Display einge- erfahrung variierte zwischen 0 und 26 Jahren mit ei- blendet werden müssen, da diese Befehle dem nem Mittelwert von 8,3 Jahren. Benutzer ohnehin klar waren bzw. nach einigen Mi- nuten Einlernzeit als selbstverständlich angesehen Der beschriebene Prototyp ist eine erste Stufe der wurden. Umsetzung der Augmented-Reality-Technologie und soll deren prinzipielle Einsatzmöglichkeiten klären. Dabei soll das Feedback der zukünftig damit Arbei- tenden bezüglich der Benutzbarkeit und der Einsatz- 4.3 Clip-on im Video-See-Through-Modus fähigkeit im vorgesehenen Umfeld erfasst werden. 4.3.1 Eingesetzter Prototyp Zeitliche Kriterien bezüglich der Arbeit mit AR- Technologien lassen sich folglich in ihrer Gesamtheit Fhnlich dem in Abschnitt 4.2 beschriebenen Proto- in diesem Versuch nur grob abschätzen (diese wur- typ wurde in diesem Szenario ein AR-Workflow zur den jedoch in einem Laborversuch mit anderen Mon- Demontage und Montage eines Beschlages ausge- tageszenarien überprüft). führt. Dennoch ergaben sich einige Unterschiede in der Ausführung des Prototyps, die im Folgenden dar- Die Montagequalität wurde bei der hier vorgestellten gelegt sind. Evaluation berücksichtigt. Da es sich hier jedoch nicht um eine vergleichende Studie zwischen ver- Ein Modellbauer fertigte im Maßstab 1 : 1 aus Holz ei- schiedenen Unterstützungsmöglichkeiten handelt, nen Bauabschnitt eines Flugzeugs. Für den zu montie- kann lediglich die Ausführung der einzelnen Arbeits- renden Beschlag wurde eine originalgetreue Nachbil- schritte sowie das erreichte Gesamtergebnis beurteilt dung aus PVC angefertigt, dessen Bodenplatte bei werden. Wesentlich wichtiger ist es, in diesem Sta- jedem Versuch ausgetauscht wurde. Die Aufgabe der dium die Konsistenz des Benutzungskonzepts sowie Versuchspersonen bestand darin, diesen in der Reali- die Eignung des Augmented-Reality-Systems für die tät vorkommenden Demontage- und Montagevorgang Flugzeugmontage zu überprüfen. mit Augmented-Reality-Unterstützung durchzuführen. Insgesamt waren dazu 14 AR-gestützte Arbeitsschritte Die nun folgenden Ergebnisse ergaben sich mit den notwendig. in Kapitel 3 beschriebenen Methoden des Lauten Denkens, Beobachtungsinterviews, teilstrukturierten Die Computerhardware bestand aus einem Micro- Interviews sowie Beobachtung. Optical Clip-on Display und einer Philips Web-Ka- mera vom Typ Vesta Pro Scan PCVC690K. Diese waren aus Stabilitätsgründen beide an einem han- delsüblichen Schutzhelm montiert, so dass die Kame- 4.3.3 Ergebnisse ra das Sichtfeld aufnehmen konnte und das Clip-on Die im ersten Teil beschriebenen Ergebnisse bezie- Display vor dem linken Auge der Versuchsperson hen sich hauptsächlich auf die Beobachtung und be- befestigt war. Beide Geräte waren über Kabel mit gleitende Beobachtungsinterviews während der Mon- einem Laptop (Intel Celeron 650 MHz Prozessor, tagevorgänge. Sie werden ergänzt durch die 128 MB RAM, S3 Savage/MX Grafikkarte) verbun- Ergebnisse eines teilstrukturierten Interviews im den, auf welchem der AR-Workflow (ARVIKA-Ba- zweiten Teil. 37
it + ti 1/2002 Allgemeine Probleme gibt es für Brillenträger, die Abschließend kann jedoch gesagt werden, dass die Brille unter den Helm und das Display zu bekom- Versuchspersonen mit diesem ersten User-Interface- men. Dennoch ließ sich das System so anpassen, dass Konzept für Augmented Reality (speziell mit dem ers- alle Teilnehmer des Versuchs diesen ausführen konn- ten Konzept eines AR-Workflows) überraschend gut ten. umgehen konnten und sich auch hinsichtlich der Zu- Das System stürzte während des Versuchs insge- kunftsperspektiven eines solchen Systems positiv äu- samt dreimal ab und musste vom Versuchsleiter ßerten. Nichtsdestotrotz müssen viele der in desktop- neu gestartet werden. Dieses Problem trat haupt- basierten Systemen üblichen Interaktionskonzepte sächlich dann auf, wenn der Rechner und der AR- noch hinsichtlich ihrer AR-Tauglichkeit überarbeitet Workflow bereits mehr als eine Stunde im Einsatz bzw. vollkommen neu überdacht werden. Hierfür lie- waren. ferte die beschriebene Evaluation Hinweise und Ver- besserungsvorschläge. Die während des Versuchs aufgetretenen Probleme des AR-Workflows lassen sich in vier Klassen eintei- Für eine Beurteilung der Verbesserungsvorschläge len: Tracking- und Positionierung (1), persönliche und Konzeption des User-Interface-Konzeptes für Fehler (2), Anzeige im Sichtfeld (12) und Sprachaus- den im Projekt geplanten zweiten Prototyp ist eine gabe (9). Hier ist die Ausgestaltung des AR-Work- Workshopreihe mit pluridisziplinärer Beteiligung vor- flows ein primäres Ziel für weitere Verbesserungen. gesehen. In ihr sollen zunächst mehrere mögliche In- Dennoch konnte die gestellte Demontage- und Mon- teraktionskonzepte erarbeitet werden, die dann in tageaufgabe in ausreichender Qualität und einem weiteren Usability-Tests hinsichtlich einer effizienten sehr guten zeitlichen Rahmen durchgeführt werden. und effektiven Nutzung evaluiert und optimiert wer- den können. Durch diese Vorgehensweise ist die Die überwiegende Anzahl der direkten Anmerkun- ständige Einbeziehung der späteren Benutzer solcher gen während des Versuchs kamen bei den weniger Systeme sichergestellt. erfahrenen Mitarbeitern auf. Die Facharbeiter hatten nur einen Anteil von 33% bei den auftretenden Problemen bei einem Gesamtanteil von 45% an den Literatur Versuchspersonen. [1] Baggen, R. und Hemmeling, S.: Evaluation von Benutz- Die Probleme, die allgemein mit dem System zusam- barkeit in Mensch-Maschine-Systemen. In: Timpe, K.-P., Jürgensohn, T. & Kolrep, H. (eds). Mensch-Maschine- menhängen, wurden allerdings meist nicht während Systemtechnik. Düsseldorf: Symposium Publishing der Bearbeitung des Versuchs angemerkt sondern im GmbH, 2000, S. 233–284. nachfolgenden zweiten Teil, dem Interview. Insge- [2] Beu, A.; Hassenzahl, M.; Quaet-Faslem, P. E. und Bur- samt lässt sich aus diesen Anmerkungen weitgehend mester, M.: Benutzerzentrierte Gestaltung eines mobi- len Service- und Wartungssystems unter Verwendung erkennen, dass die hindernden Elemente des Systems von AR-Technologie. MMI-Interaktiv, 5, 2001. primär in der Hardware zu finden sind und erst se- [3] Deffner, G.: Die Methode des Lauten Denkens – Un- kundär in der Ausgestaltung des Montageszenarios. tersuchung zur Qualität eines Datenerhebungsverfah- Dies wird aus den positiven Anmerkungen zur För- rens. Frankfurt: Lang, 1984. derlichkeit des Systems deutlich, welche ein solches [4] Dumas, J. S. und Redish, J. C.: A practical guide to usability testing. Norwood: Ablex Publishing Corpora- System für den gewählten Arbeitsprozess als günstig tion, 1993. ansehen. Das gleiche Ergebnis ist aus den Bewertun- [5] Ericsson, K. A. und Simon, H. A.: Verbal reports as gen des Systems direkt nach erstmaliger Benutzung data. Psychological Review, 87, 1980, S. 215–251. zu erkennen: das System wurde auf einer Notenskala [6] Hassenzahl, M.; Beu, A. und Burmester, M.: Engineer- von 1 (sehr gut) bis 6 (unbefriedigend) mit der Mit- ing joy. IEEE Software 2–8, 2001. [7] Müller-Holz auf der Heide, B.; Ascherleben, G.; Hacker, telnote 2,3 (gut) bewertet, wobei sich die Wertungen S. und Bartsch, T.: Methoden zur empirischen Bewer- der Facharbeiter (Mittelnote 2,8) und der Auszubil- tung der Benutzerfreundlichkeit von Bürosoftware im denden (Mittelnote 1,6) merklich unterschieden. Rahmen von Prototyping. In: Frese, M., Kasten, C., Skarpelis, C. & Zang-Scheucher, B.. (Hrsg.). Software für die Arbeit von morgen. Berlin: Springer, 1991, S. 245–267. [8] Nielsen, J.: Usability Engineering. San Diego: AP Pro- 5 Zusammenfassung und Ausblick fessional, 1993. [9] Nielsen, J.: Usability Testing. In: Salvendy, G. (ed.). Eine generalisierte Beurteilung ist auf Grund der Handbook of human factors and ergonomics. 2nd edi- tion. New York: John Wiley & Sons, Inc, 1997, Verschiedenheit der Prototypen hinsichtlich der Auf- S. 1543–1568. gabenszenarien, der eingesetzten Hardware und der [10] Nisbett, R. E. und Wilson, T. D.: Telling more than we unterschiedlichen Benutzergruppen nicht möglich. know: Verbal reports on mental processes. Psychologi- Vielmehr müssen bei der Gestaltung solcher Systeme cal Review, 84, 1977, S. 231–259. [11] Preece, J.: Human Computer Interaction. Workingham: immer die Umgebungsfaktoren mit einbezogen wer- Addison Wesley Publishing Company, 1994. den, um eine ökologische Validität der Untersuchun- [12] Yourdon, E.: Structured Walkthroughs. 4th edition Eng- gen zu gewährleisten. lewood Cliffs, New York: Yourdon Press, 1989. 38
L. Schmidt u. a.: Usability Engineering für Benutzer-Interaktionskonzepte von Augmented-Reality-Systemen it+ti 1/2002 Die Autoren arbeiten im Rahmen des BMBF-Leitprojektes ARVI- Dipl.-Ing. Ludger Schmidt, Dipl.Ing. Olaf Oehme, Dipl.-Ing. Stefan KA im Teilprojekt „Benutzerzentrierte Systemgestaltung“, das von Wiedenmaier Ludger Schmidt geleitet wird. Ziel des Projektes ist die benutzer- Adresse: Lehrstuhl und Institut für Arbeitswissenschaft, RWTH freundliche und anwendungsgetriebene Entwicklung von Augmen- Aachen, Bergdriesch 27, D-52062 Aachen ted-Reality-Technologien zur Unterstützung von Arbeitsprozessen in E-Mail: [L.Schmidt|O.Oehme|S.Wiedenmaier]@iaw.rwth-aachen.de Entwicklung, Produktion und Service. Dipl.-Ing. Andreas Beu, Dipl.-Phys. Philipp Quaet-Faslem Adresse: User Interface Design GmbH, Lehrer-Götz-Weg 11, D- 81825 München E-Mail: [Andreas.Beu|Philipp.Quaet-Faslem]@uidesign.de Oldenbourg! spannende Technologie Jürgen Jahns Photonik Grundlagen, Komponenten und Systeme 2001. 444 Seiten €44,80 DM 87,62 Die moderne Datenverarbeitung verlangt nach immer größeren Speichermedien und schnelleren Über- tragungsraten. Optische Systeme, wie sie Oldenbourg zum Beispiel die CD-Technologie oder die Glasfaser darstellen, bieten in vielen Fällen die leistungsfähigeren und billigeren Lösungen. Das vorliegende Buch bietet einen Einstieg in die spannende Technologie der Photonik. Nach der Behandlung der Grundlagen der Lichtausbreitung (Brechung, Beugung, Streuung, Polarisation, ...) wird die Physik passiver und aktiver Bauelemente erläutert. Schließlich werden Oldenbourg Wissenschaftsverlag Systemanwendungen in der Informationstechnik wie Rosenheimer Straße 145 Glasfaserübertragung, optische Netze, CD-Technologie D-81671 München und Holographie vorgestellt. Telefon 0 89 / 4 50 51-0 Fax 0 89 / 4 50 51-204 Übungen und Lösungen können im Internet kostenlos Bestellungen: heruntergeladen werden. http://www.oldenbourg-verlag.de 39
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