VERHANDLUNG VON ZUKUNFTSWISSEN IN FORESIGHT-PROZESSEN

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VERHANDLUNG VON ZUKUNFTSWISSEN IN FORESIGHT-PROZESSEN
VERHANDLUNG VON ZUKUNFTSWISSEN IN
FORESIGHT-PROZESSEN
Machtverhältnisse in zwei Stadt-Foresights

„Technikfolgenabschätzung und Normativität – An welchen
Werten orientiert sich TA?“
TA18-Konferenz, Wien, 11. Juni 2018

Dana Wasserbacher
Center for Innovation Systems & Policy, AIT
VERHANDLUNG VON ZUKUNFTSWISSEN IN FORESIGHT-PROZESSEN
ÜBERBLICK

    ▪ Kurze Einleitung
          Foresight-Perspektive

          Macht-Konzept
    ▪ Methodische Vorgehensweise
    ▪ Kurzdarstellung Fallbeispiele (Linz/Wien)

    ▪ Analyse: Die Foresight-Maschine
    ▪ Diskussion und Ausblick

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VERHANDLUNG VON ZUKUNFTSWISSEN IN FORESIGHT-PROZESSEN
WAS IST FORESIGHT?

Foresight…

…ist ein Governance-Instrument und zielt auf die partizipative
Generierung von robustem Zukunftswissen zur Unterstützung
langfristig ausgerichteter, politischer Entscheidungen ab.

…bildet einen mehr oder weniger legitimierten Rahmen für
wissenschaftlich fundierte, politische Debatten zur Zukunft (Tuomi
2012).

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WARUM MACHTVERHÄLTNISSE?

    ▪ Vielzahl an Studien zur Wirksamkeit von Foresight - Frage nach
      den Machtverhältnissen wurde bisher nicht thematisiert

    ▪ Foresight findet i.d.R. im wissenschaftlich-politischen Milieu statt,
      ist an eine Öffentlichkeit gerichtet und prägt daher eine bestimmte
      Art der Gouvernementalität („Kunst/Praxen des Regierens“) aus

    ▪ Machtverhältnisse sind die zentrale Kategorie für die Analyse von
      Gouvernementalität

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HYPOTHESE

 Zweifel an der Wirksamkeit von Foresight in Hinblick auf die
  Langfristigkeit und radikale Neuheit von generiertem
  Zukunftswissen (Schaper-Rinkel 2012, Tuomi 2012, Staton 2008)

 Barrieren und Potenziale zur Umsetzung von (Zukunfts-)Wissen
  werden durch dynamische und produktive Machtverhältnisse
  bestimmt (Foucault 1994)

„Foresight erzeugt aufgrund von emergierenden Machtverhältnissen
         nicht das gewünschte, radikal neue und langfristige
           Zukunftswissen, das es konzeptionell verspricht.”

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METHODISCHE VORGEHENSWEISE

    • Datenerhebung: Dokumentenanalyse, Sekundärliteratur,
      Interviews, persönliche Kommunikation
    • Datenanalyse: Konstruktion und Vergleich von Fallbeispielen

    • 3 Anlaysedimensionen nach Foucault:
         Wissen
         Machttechnologien (Fremd- und Selbstführung)
         Subjektformierung

         ➢ Aufspüren von Problemen/Konflikten/Widerständen
         ➢ Nachverfolgen von Narrativen und Zusammenschau der
           unterschiedlichen Erzählstränge

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ZWEI STADT-FORESIGHTS I

                                „Linz 21“                             „Wien denkt Zukunft“
Ziele            Unterstützung der zukünftigen Entwicklung   Entwicklung einer FTI-Strategie für die Stadt und
                 der Stadt in Hinblick auf wirtschaftliche   Empfehlungen für konkrete Politikmaßnahmen zur
                 Wettbewerbsfähigkeit und                    Stärkung der Innovationsfähigkeit, des
                 gesellschaftlichen Wohlstand durch          Wirtschaftsstandortes und der Lebensqualität
                 explorative Szenarien

Zielgruppe       ▪ Stadt Linz (starke Innenorientierung)     ▪ Stadt Wien (starke Innenorientierung)
                 ▪ breite Öffentlichkeit (Industrie,         ▪ FTI-Community
                   Universitäten, privater Sektor,           ▪ Bundesregierung
                   Zivilgesellschaft)

Auftraggeberin   Stadt Linz                                  Stadt Wien
Durchführung     ▪ Stadt Linz (Magistratsdirektion)          ▪ Stadt Wien (MA 27 – EU-Strategie und
                 ▪ Ars Electronica Centers                     Wirtschaftsentwicklung)
                 ▪ Z_punkt - The Foresight Company, u.a.     ▪ AIT Austrian Institute of Technology
                                                             ▪ Europaforum Wien, u.a.

Dauer            2002 bis 2004 (24 Monate)                   2006 (12 Monate)

Budget           Ca. € 70.000,00                             k.A. (ähnliche Größenordung ist zu vermuten)

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ZWEI STADT-FORESIGHTS II

                             „Linz 21“                         „Wien denkt Zukunft“
Methoden        Explorative Szenarienentwicklung         ExpertInnen-Panele
                 Identifikation und Priorisierung von    Moderierte Diskussionen
                  Trends und Schlüsselfaktoren            konsensuale Erarbeitung und Priorisierung
                 Ausformulierung von Szenarien            von Politikmaßnahmen
                 Entwicklung von Globalszenarien         Einzelgespräche und Interviews

Zeithorizont    5 bis 10 Jahre (2011)                    6 bis 10 Jahre (2015)

TeilnehmerInnen Ca. 80 Personen                          Ca. 80 Personen (Panel-Sitzungen)
                                                         ca. 400 Personen insgesamt (inklusive
                                                         öffentlicher Feedbackrunden und
                                                         Veranstaltungen)

Ergebnisse      Zukunftsszenarien für die Stadt Linz     FTI-Strategie für die Stadt Wien (Endbericht)
                (Endbericht)

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ANALYSESCHEMA:
DIE FORESIGHT-MASCHINE

                                              4 vordefinierte Themenbereiche und
             6 vordefinierte Themenbereiche   4 Querschnittsthemen

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UNTERSCHIEDLICHE ZIELE –
   GLEICHE ERGEBNISSE?

Konsensorientierung                                      4 vordefinierte Themenbereiche und
                                       6 vordefinierte
vs. visionäre Elemente                 Themenbereiche    4 Querschnittsthemen
LINZ: Szenarien kurz bis                                                                      Reduktion von
mittelfristig; Stakeholder-
Konstellation (unterschiedliche                                                               Neuheit durch
Themenexpertise) führte zu                                                                    vordefinierte
inhaltlichem Austausch und
Konsens über gegenwärtige
                                                                                              Themen und kurze
Herausforderungen                                                                             Zeithorizonte
WIEN: Visionäre Elemente wurden                                                               WIEN: Themen wurden nach
in der finalen Strategieversion                                                               der Handlungsmacht der
zugunsten eines breiten, politischen                                                          TeilnehmerInnen ausgewählt
Konsens gestrichen                                                                            und vordefiniert, Zeithorizont
                                                                                              wurde nach der „internen
                                                                                              Logik” der Stadt ausgewählt
                                                                                              LINZ: Themen wurden nach
                                                                                              den bestehenden
                                                                                              Themenschwerpunkten der
                                                                                              Verwaltung ausgewählt,
                                                                                              Zeithorizont ist mit der
                                                                                              Vorstellung von „realistischer”
                                                                                              Antizipation der Zukunft
                                                                                              verknüpft, folgt dem
                                                                                              Zeithorizont politischer
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UNTERSCHIEDLICHE TEILNEHMERINNEN –
   GLEICHE HIERARCHIEN?
Diversität der
Beteiligten?
WIEN: altbekannte Akteure –
die meisten TeilnehmerInnen
kannten sich bereits, es gab
Meinungsunterschiede, die im   6 vordefinierte   4 vordefinierte Themenbereiche und
Verlauf des Foresights         Themenbereiche    4 Querschnittsthemen
beigelegt wurden                                                                      „Prominente”
LINZ: Thematische                                                                     TeilnehmerInnen
ExpertInnen – Akteure, die                                                            zur Stärkung der
noch nie miteinander                                                                  Foresight-
gesprochen haben und im
                                                                                      Ergebnisse
Rahmen des Foresights
interessante, neue                                                                    WIEN: Prominente
Perspektiven ohne                                                                     TeilnehmerInnen wurden
Zukunftsbezug diskutierten                                                            über Einzelinterviews
                                                                                      integriert – es gab keinen
                                                                                      expliziten Konflikte
                                                                                      LINZ: Politische
                                                                                      Amtsinhaber wurden als
                                                                                      Diskussionsteilnehmer
                                                                                      integriert was
                                                                                      stellenweise zu
                                                                                      Konflikten in den
                                                                                      Arbeitsgruppen führte
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UNTERSCHIEDLICHE METHODEN –
   GLEICHE VISIONEN?

Brandmarken von
Städten als
Unternehmen im
globalen Wettbewerb
LINZ: „unternehmerischer           6 vordefinierte   4 vordefinierte Themenbereiche und
Neusprech” positioniert Stadt in   Themenbereiche    4 Querschnittsthemen
den Szenarien als
Dienstleistungsunternehmen                                                                Methodische
WIEN: Positionierung der Stadt                                                            Zwangsjacke zur
als Dienstleistungsunternehmen                                                            „Lösung“ von
(vor allem als Infrastruktur-
Bereitstellerin für Forschung),
                                                                                          Konflikten
„Leuchtturmprojekte” als                                                                  LINZ: Computeralgorithmen
Kommunikations- und                                                                       verhinderten die Diskussion von
Marketing-Tool                                                                            konfligierenden Themen, die
                                                                                          Software-gestützte
                                                                                          Zusammenführung von Szenarien
                                                                                          löste gegensätzliche
                                                                                          Vorstellungen auf
                                                                                          WIEN: Persönliche Gespräche
                                                                                          und Einzelinterviews, sowie
                                                                                          selektive Impulsreferate förderten
                                                                                          den Konsens und die Integration
                                                                                          von gegensätzlichen Meinungen

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IM WESTEN NICHTS NEUES

➢ Unterschiedliche Zielsetzungen (explorativ vs. normative) – unterschiedliches
  Input-Wissen (Megatrends, Forschungsergebnisse eines Programms)

    BARRIERE: vordefinierte Themenbereiche und kurzfristiger Zeithorizont

    Gleiches Ergebnis: Endbericht mit ähnlichen Schwerpunkten wie
    Eingangsthemen, keine langfristige Orientierung der Empfehlungen/Visionen

➢ Unterschiedliche Methodenansätze (Szenarien vs. ExpertInnen-Panel) –
  unterschiedliche „Lösung“ von Konflikten (Einzelgespräche vs.
  Computersoftware)

    BARRIERE: Konsensorientierung und Ausschluss von Konflikten

    Gleiches Ergebnis: Keine langfristigen Zukunftsvisionen („streamlined
    knowledge”)

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RANGORDNUNG DER ZUKUNFT

➢ Unterschiedliche partizipative Verfahren – unterschiedliche TeilnehmerInnen
  (Themen-Expertise vs. Akteure mit Handlungsmacht)
    BARRIERE: gegenwartsorientierte Netzwerk- und Lerneffekte, Vorteile
    werden in intensiver Diskussion unter Kernakteuren gesehen
    Gleiche Strukturen: Festigung der Positionen führt zu fehlender
    Langfristorientierung und fehlender Kreativität für radikale Zukunftsvisionen

➢ Unterschiedliche Integration von „prominenten“ Akteuren (alleinstehende
  Gruppe vs. Teilnehmer in Arbeitsgruppen)
    BARRIERE: Übernahme bestehender Hierarchien in das partizipative
    Verfahren („prominente” Akteure, „Absegnen” und Umsetzung durch
    Stadtregierung)
    Gleiche Strukturen – unterschiedliche Potenziale: Linz 21 war einmaliges
    Unterfangen, Wien denkt Zukunft wurde als wiederkehrende Übung
    implementiert - 2014 Strategieevaluierung und Adaptierung
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ÖKONOMISIERUNG DER STADT

➢ Unterschiedliche Raumbezüge (Urbaner Großraum Linz inkl.
  Umlandgemeinden/CENTROPE)

    BARRIERE: Fehlende Integration von repräsentativen Akteuren aus anderen
    Räumen

    Gleiche Positionierung: gleiche Raumgrenzen (administrative Stadtgrenze),
    „Stadt als Festung“, gleiche Orientierungsmuster („…wie in Deutschland”)

➢ Unterschiedliche Konkurrenzwahrnehmung (Umlandgemeinden/Bund)

    BARRIERE: Fokussierung auf administrative Stadtgrenze und bestehende
    Handlungsmacht

    Gleiche Positionierung: Stadt als Dienstleistungsunternehmen und als
    Anbieterin von Serviceleistungen/Infrastruktur für KundInnen/Unternehmen

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VORSCHLÄGE ZUR KALIBRIERUNG DER
FORESIGHT-MASCHINE

• Verteilung subjektivierender Macht: Integration von neuen Akteuren in
  etablierte Gemeinschaften (vielleicht durch andere Methoden als persönliche
  Auswahl – z.B. Ausschreibung? Werbung für Teilnahme?)

• Verteilung diskursiver Macht: Kollektive Schreibmethoden und –prozesse
  mit dem Ziel Meinungsvielfalt sichtbar zu machen

• Konflikte und Widerstand: Integration des produktiven Potenzials von
  Konflikten und Widerstand um radikal neue Ideen zu generieren

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KONKURRIERENDE WERTE IM RAUM DES
POLITISCHEN

➢ Wie kann die Kalibrierung im Spannungsverhältnis zwischen
  Erwartungssicherheit und Innovationsorientierung stattfinden?

➢ Explizites Adressieren dieses Spannungsfeldes, selektiver Einsatz
  evidenzbasierter Wissensgenerierung, Raum für wissenschaftliche Neugier

➢ Mehr Foresight, mehr Erkenntnis über kognitive Rahmungen und normative
  Vorstellungen (Übung macht die Meisterinnen)

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VIELEN DANK!
Ich freue mich über Fragen und Feedback!
dana.wasserbacher@ait.ac.at
QUELLEN
Foucault, M. (1994): Subjekt und Macht. In: Dreyfus, H.L..; Rabinow, P. (Hrsg.) Michel Foucault: Jenseits von
       Strukturalismus und Hermeneutik.
Schaper-Rinkel, P. (2012): Die Generierung von Zukunft: Von Utopien zu Idealwelten, Weltmodellen, Szenarien und
      Foresight. In: Frietsch, E.; Herkommer C. (Hrsg.) IDEALE. Entwürfe einer besseren Welt in der Wissenschaft,
      Kunst und Kultur des 20. Jahrhunderts. Kadmos, Berlin.
Staton M. (2008) ) Monstrous Foresight. In: Cagnin C., Keenan M., Johnston R., Scapolo F., Barré R. (eds) Future-
       Oriented Technology Analysis. Springer, Berlin, Heidelberg.
Tuomi, I. (2012): Foresight in an unpredictable world. In: Technology Analysis & Strategic Management, Vol. 24, No.8,
        735-751.
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