Verschiedene Wege zur Wahrheit - von Dr. Johannes Heinrichs
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Es gibt nur eine Menschheit, und damit auch nur eine Religion. (Ajja) Verschiedene Wege zur Wahrheit von Dr. Johannes Heinrichs Eine historisch überholte Fehde Gotteswahn, dt. 2007) der meint, mit sehr be- ten Gegensätze von Wissenschaft und Glaube grenzten wissenschaftlichen Methoden Inhalte weiterbestehen? Wir dürfen dabei nicht verges- In der Abschlussrede eines 19-jährigen Abitu- des religiösen Glaubens ad absurdum führen zu sen, dass der Kapitalismus (mein Thema in der rienten heißt es: „So können wir vielleicht die können? Fehlt nicht auf beiden Seiten gleicher- vorigen Ausgabe der „Lebensträume“) sich alle Überreichung der Reifezeugnisse so deuten, maßen der Sinn für eine ganzheitliche Vernunft? technisch-wissenschaftlichen Fortschritte als dass wir die Zeichen der Zeit verstanden hätten Für eine Vernunft, die wissenschaftlich und gläu- sein eigenes Verdienst zuschreibt. Die Identifi- und gerüstet wären, an der Bewältigung der big zugleich sein könnte? zierung beider geht so weit, dass viele Men- Aufgaben unserer Zeit mitzuarbeiten: an einer schen sich einen technisch-zivilisatorischen Technik, die nicht das Goldene Kalb der Fortschritt der Menschheit ohne das kapitalisti- Menschheit ist, an einer Naturwissenschaft, die Gegensätze von sche System nicht einmal denken können. Karl sich ihrer Grenzen bewusst ist, an einer Reli- Marx hat zu dieser Identifizierung beider sogar gion, die weitherzig genug ist, die Leistungen Kapitalismus bedingt? beigetragen, als er im Manifest der Kommunis- des Menschen anzuerkennen. Denn was war tischen Partei von 1848 die kapitalistische Bour- schädlicher in der Geschichte und was überflüs- Dies ist in der Tat die Position des zitierten Ab- goisie als die fortschrittlichste Klasse rühmte, siger als das seit Galilei bestehende Katz-und- iturienten. Ich selbst war dieser „Klugschwät- welche die Weltgeschichte bisher gesehen ha- Maus-Spiel zwischen Religion und Naturwis- zer“, und zwar anno 1962! Aber dies ist heute, be: senschaft?“ um gleich frei heraus zu sprechen, noch immer meine Position – wenngleich in verwandelter „Die Bourgoisie hat in ihrer kaum hundertjähri- Nehmen wir für einen Moment die Begriffe „Re- Form. Denn dazwischen liegen nicht nur auf gen Klassenherrschaft massenhaftere und ko- ligion“ und „Glaube“ als gleichbedeutend, dann meiner Seite Jahrzehnte ununterbrochener lossalere Produktionskräfte geschaffen als alle ist diese Aussage zentral und aktuell für unser philosophisch-theologischer sowie sozialwis- vergangenen Generationen zusammen. Unter- Thema. senschaftlicher Studien und ebenso viele Jahr- jochung der Naturkräfte, Maschinerie, Anwen- zehnte spiritueller Übungen, Erfahrungen und dung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Erweisen sich Glaube und Wissenschaft Entscheidungen. Nicht gerade minder rasant Dampfschifffahrt, Eisenbahnen, elektrische Te- nicht gleichermaßen als unvernünftig, hat die Welt sich seitdem verändert. Der „Fort- legraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile, wenn sie sich gegenseitig befehden? schrittstaumel“,den der Abiturient damals schon Schiffbarmachung der Flüsse, ganze aus dem so benannte und beinahe überwunden glaubte, Boden hervorgestampfte Bevölkerungen – Richard Dawkins hat sich nach dem Wegfall der atomaren Bedro- welch früheres Jahrhundert ahnte, dass solche hung eher noch gesteigert. Er wurde vielleicht Produktionskräfte im Schoß der menschlichen erst jetzt, durch die Weltwirtschaftskrise seit Arbeit schlummerten?“ Herbst 2008, „nachhaltig“ gebremst. Nur der Schluss des Zitierten lässt durchblicken, dass der vom Fortschritt Begeisterte nicht dem Kapital , sondern der menschlichen Arbeit diese ungeheuren Kräfte zuschrieb. Oder will dieser größte Kritiker des Kapitalismus sagen, dass wenigstens im Anfang die kapitalistische Orga- nisation der menschlichen Arbeit diese ge- schichtlich einmalige Effizienz schuf? Marx/ Engels Zum Beispiel auf der einen Seite ein fundamen- Lassen wir diese Frage hier offen. Inzwischen talistisches Bibelverständnis, das die Evolu- Hängt es mit diesem wissenschaftlich-tech- haben wir eine zweite, elektrische, und eine tionstheorie nicht zu integrieren vermag? Auf nisch geleiteten, doch vom Standpunkt einer noch in vollem Gang befindliche dritte industriel- der anderen Seite ein Wissenschaftsfundamen- ganzheitlichen Vernunft ziemlich unvernünftigen le Revolution, die elektronische, erlebt, über die talismus von der Art eines Richard Dawkins (Der Fortschrittstaumel zusammen, dass auch die al- wir immer noch allen Grund zu staunen haben. 8 Lebens|t|räume 04/09
Versuche erst, dein "Ich" zu erkennen. Danach kannst du über die Welt nachdenken. (Ajja) G.W.F. Hegel durchaus die „Erstmittel“ der Industrie. Kurz, ich Esoterischen, wie bei den Vorgenannten das, sehe in dem anhaltenden technologischen Fort- was die Fach-Leute zurückschrecken lässt, son- schrittstaumel unter kapitalistischem Vorzei- dern einmal die autobiografische Enthüllung, chen vielfältige Gründe, warum Wissenschaft wie wenig sich große Teile des bestallten Er- keineswegs mit ganzheitlicher Vernunft zu- kenntnisbeamtentums um Wahrheit scheren, sammenfällt. wenn es um andere Vorteile geht; ferner einfach der Anspruch eines aufs Ganze dringenden An- satzes, der vor keiner Frage nach dem Warum zurückschreckt wie bei der üblichen, akade- misch dressierten wissenschaftlichen Vernunft – die eigentlich, nach dem Sprachgebrauch Kants und Hegels gar keine Vernunft mehr ist, sondern nur noch der berechnende Verstand. Immanuel Kant Wilhelm Reich/ Viktor Schauberger Untergrabung einer ganzheitlichen Vernunft Zurück zu der Frage: Hängt die noch immer vor- handene Kluft von Glauben und Wissenschaft nicht zum guten Teil mit diesem ungebrochenen Fortschrittstaumel zusammen, von dessen „Nachhaltigkeit“ sich der Abiturient von 1962 wirklich noch keine Vorstellung machen konnte? Ich denke, dass dies in der Tat der Fall ist, und Fritz Albert Popp/ Rupert Sheldrake zwar um so mehr, als der technisch-wissen- schaftliche Fortschritt durch das kapitalistische Vorzeichen verfremdet, das heißt seinen eige- Herrschaftszüge nen Trägern entfremdet war: Er war nicht eine Sache des sich kollektiv und gemeinsam selbst der Wissenschaft entfaltenden Menschen, sondern blieb eine Zeigt nicht deshalb die Wissenschaft so Klassenveranstaltung: Die meisten Beteiligten viele Herrschafts-Züge, durch die z.B. dienten diesem Fortschritt „in der Furcht des zahlreiche Projekte einer ganzheitlichen Verstand und Vernunft Herrn“ (G.W. F. Hegel, im berühmten Abschnitt Vernunft abgewiesen, unterdrückt und bei Kant „Herr und Knecht“ seiner Phänomenologie des lächerlich gemacht werden? Geistes), wobei die Herren nicht, wie im Frühka- Kant definiert in seiner Kritik der reinen Vernunft pitalismus persönlich identifizierbar zu bleiben Nehmen wir – alles im Bereich der Naturwis- brauchen. Es genügt die Herrschaft immer an- senschaft – die Dramen um NiklasTesla und sei- • den Verstand als Vermögen der begrenzten onymer werdender Systemzwänge. Diese ne Erfindungen, um Wilhelm Reich und Viktor Begriffe, Selbstentfremdung betrifft nicht allein die aus- Schauberger, um Fritz-Albert Popp und um Ru- führenden Techniker, sondern gleichermaßen pert Sheldrake und manche andere als Beispie- • Vernunft aber als Vermögen der „Einheit der die an den wissenschaftlichen Grundlagen Ar- le – um von der ältesten menschlichen Wissen- Verstandesregeln unter Prinzipien“ (B 359-363) beitenden, die Wissenschaftler. schaft, jenerVerbindung aus Langzeiterfahrung, sowie das Vermögen der regulierenden, unbe- mathematisch-astronomischer Berechnung und dingten Ideen wie Gott, Freiheit und Unsterb- Unter solchen Verhältnissen ist an die logischer Kombinatorik menschlicher Archety- lichkeit (B 671ff). Kultivierung einer ganzheitlichen pen hier schamvoll zu schweigen, weil dies ein wissenschaftlichen Vernunft kaum zu großes Kapitel der Wissenschaftsgeschichte für Vernunft ist das menschliche „Vernehmungs- denken. Jeder hat vielmehr seine Rolle als sich ist, mit viel Licht und Schatten. vermögen“ (vgl. Kluge: Etymologisches Wörter- Rädchen in einem Wissenschaftssystem zu buch), das sich durch unbegrenzte Offenheit spielen, das unter finanziellen, Ich zähle zu jenen gegenwärtigen Namen auch auszeichnet, obwohl es aus dem ganz punk- wirtschaftlichen Zwängen steht. den zweifellos genialen Physiker, Chemiker und tuellen Vermögen zur Selbstreflexion hervor- Mathematiker Peter Plichta, an dessen ersten geht, das den Menschen auszeichnet. Philoso- In den Naturwissenschaften sind es direkt die beiden Bänden „Das Primzahlkreuz“ (1991) ich phie verstehe ich von daher als die methodisch Mechanismen der Wissenschaftsförderung redigierend beteiligt sein durfte. Hier ist nicht disziplinierte Entfaltung dieses Reflexionsver- durch Drittmittel bzw. (in den USA vor allem) einmal irgendeine Nähe zum Spirituellen, gar mögens. Der Besitz dieses sich selbst spiegeln- Lebens|t|räume 04/09 9
Wir kommen aus dem Licht und werden auch wieder zum Licht zurückkehren. Das ist der Prozess. Das ist der Weg. (Ajja) den Spiegels aller Dinge (als Bewusstseinsge- Anderseits geriet sie zu einem halb mystischen nächst die politische „Bewegung“ auf seiner halte) ist es, was die Philosophie vor allen ob- Geraune, dem die (freilich noch nicht abgeklär- Seite hatte – merkwürdigerweise, ja sehr merk- jektgerichteten Naturwissenschaften auszeich- te) begriffliche Klarheit und Strenge der deut- würdigerweise sogar den Zeitgeist noch nach net. Wer meint, Philosophie könne diesen nur schen Idealisten im Gefolge Kants, also vor al- dem Zweiten Weltkrieg. die Schleppe nachtragen wie einst der Theolo- lem Fichte, Schelling und Hegel, fehlte. Ich gie, hat nicht begriffen (selbst wenn er sich zur schreibe dies als Verfasser einer philosophi- Karl Jaspers philosophischen Zunft zählt), dass sie ein ganz schen Semiotik (Sinnprozesslehre), zu welcher eigenes Licht trägt, eine ganz eigentümliche auch der Sinnprozess Mystik gehört. Doch wen- und unverwechselbare Erkenntnisquelle hat. Ihr de ich mich energisch gegen die Verwechslung ist aufgegeben, die Hüterin einer ganzheitlichen und Verwischung der Ebenen von Wissenschaft, Vernunft zu sein. Kunst und Mystik. Die Lage der Geistes- Der endgültige Zusammen- wissenschaften bruch des ganzheitlichen deutschen Idealismus In den Geisteswissenschaften gestaltet sich die Lage noch dramatischer als in den Naturwis- Vom „Zusammenbruch des deutschen Idea- senschaften. Die Sprachwissenschaften, die lismus“ hatte man schon bald nach Hegels Tod Psychologie und die Sozial- oder Handlungswis- (1831) gesprochen, als noch der Hegelianismus senschaften mussten sich sicherlich von ihrer „rechter“ (religiös-konvervativer) wie „linker“ Mutterdisziplin, der Philosophie, emanzipieren (atheistischer und sozialistischer) Prägung das und mit ihren jeweiligen empirischen Methoden gesamte europäische Geistesleben intellektuell je für sich ausbilden. Doch bei dieser Differen- beherrschte. De facto herrschte jedoch gar nicht zierung ging weitgehend die Integration in ge- mehr der Intellekt, sondern die immer schneller Begriffswirrwarr am meinsamen, begrifflich-logischen Grundlagen marschierende industrielle Revolution einer- Beispiel „Diskurstheorie“ verloren – was früher einmal in der „Philosophi- seits und die sich gegen den philosophisch- schen Fakultät“ gewährleistet sein sollte. Die freien Geist (mochte dieser noch so frisch und Die Folge dieser geistesgeschichtlichen Ent- Emanzipation geschah vor noch nicht einmal fromm sein) stemmende kirchlich-politische wicklung: Der Begriffswirrwarr, der heute in den 100 Jahren. Restauration anderseits. Geisteswissenschaften herrscht, ist für einen Naturwissenschaftler gar nicht vorstellbar. Statt dass um so intensiver an einer Durch diese unheilige Allianz wurde der philoso- Wenn man diesbezüglich Zuflucht etwa bei dem erneuerten Logik der Reflexion phisch-geisteswissenschaftliche Geist in tonangebenden Kopf seit der 68-er Bewegung (dies die Bedeutung von „transzendentaler Deutschland und Europa im fortschreitenden sucht, bei Jürgen Habermas, wird man bitter Logik“ im Sinne Kants) gearbeitet wurde, 19. Jahrhundert zermalmt! Den deutschen Ide- enttäuscht werden. (Vgl. dazu meinen „Offenen entgleiste gerade in Deutschland, alisten wäre eine Entgegensetzung von Glaube Brief an Jürgen Habermas“, im Anfang meines dem unbestrittenen Zentrum der neueren und Vernunft völlig fremd gewesen. Ihr mehr Buches Handlungen, auch im Internet unter die- europäischen Philosophie, oder minder gemeinsames Bestreben war es sen Stichworten.) die streng begriffliche Arbeit und wurde gewesen, das Vernunft-, d.h. Logosgemäße im einerseits zum bloßen Historisieren, überlieferten religiösen (vorzugsweise christ- Es nimmt nicht Wunder, dass nach somit die Philosophie zur bloß lichen) Glauben zu erkennen und vom bloß „po- Orientierung suchende Menschen sich eher philologischen Beschäftigung mit sitiv Religiösen“, geschweige denn Abergläubi- – von den jüngsten, die Augen öffnenden ihren früheren Texten. schen, zu sondern. Vorfällen abgesehen - in Richtung Ratzinger und traditionellem religiösem Glauben Der Zusammenbruch des deutschen Idealismus flüchten als in Richtung philosophische wurde jedoch erst perfekt durch die Auflösung Aufklärung. der akademischen Philosophie in Philosophie- geschichte einerseits und anderseits der Auf- Denn in ihren gegenwärtigen akademischen fassung von Philosophie in Halbpoesie und Vertretern bietet diese so genannte philosophi- Halbmystik, wie sie sich vor allem beim führen- sche Aufklärung bloß dünne, abgestandene den Philosophen der Weimarer Republik, bei Luft, nicht die frische und klare Brise ganzheit- Martin Heidegger, ereignete. Dagegen fallen licher Vernunft. Man hantiert z.B. mit einem dop- andere große und achtsame Namen wie Ernst pelten Begriff von Diskurs: einmal in dem um- Cassirer, Paul Tillich, Karl Jaspers in dieser Hin- fassenden Sinn des französischen und engli- Johann Gottlieb Fichte/ Friedrich Wilhelm Josef Schelling sicht kaum ins Gewicht, zumal Heidegger zu- schen discours(e): Rede überhaupt. Dann aber 10 Lebens|t|räume 04/09
Entferne die Dualität von "gut und schlecht", und der Verstand wird friedvoll sein. (Sri Brahmam) in dem normativen und anspruchsvollen Sinn so liegen die Chancen für eine und auf neue Weise Glaube und Liebe von Diskurs als rationaler Argumentation. Bei- ganzheitliche Vernunft im derzeitigen gegen das Denken ausspielt, verfehlt ihre des ist wahrhaftig nicht dasselbe. Doch vom pseudo-geisteswissenschaftlichen eigentliche Aufgabe für das Wassermann- letzteren leiht man sich das wissenschaftliche „Diskurs“ etwa bei Null. Zeitalter, das (auch) ein Denk-Zeitalter ist. Ansehen, vom ersteren den modischen, mondä- nen Sound. Das Ganze nennt man Diskurstheo- M. E. ist das diskursive (argumentative) Niveau Mit einer neuerlichen Entgegensetzung von rie, gar Diskursethik, z.B. des Politischen. der derzeitigen Mainstream-Philosophie so nie- Glaube und Liebe gegen die große Aufgabe des drig wie seit Jahrhunderten nicht. Peter Sloter- Menschen, selbst zu erkennen, gewinnt die Woran es liegt, dass nicht beachtet wird, wor- dijk, Habermas` publizistischer Gegenspieler, esoterische Strömung auch nicht genügend auf ich (und Andere auf ihre Weise) schon ein liefert mit seinen literarischen Assoziationsket- Kraft gegenüber den sie bekämpfenden alten Dutzend mal hingewiesen habe, darf der Leser ten nicht gerade den Gegenbeweis. Wohl gibt „Glaubens“-Mächten. Sie setzt dann nur ein dreimal raten: es zahlreiche, durchaus wertvolle philosophie- neues Fürwahrhalten aus zweiter Hand gegen historische Monographien und Sammlungen, das alte – statt aus der Einheit von Erfahrung Ein akademischer Diskurs der Argumente, der die heute als Philosophie betrachtet werden. und Denken zu schöpfen, der einzigen Autorität, Voraussetzung dafür wäre, dass diese Argu- Das ist um so verwunderlicher, als die 68-er-Be- die im Wassermann-Zeitalter Bestand haben mente gehört würden, existiert eben nicht. Nur wegung eine ausgesprochen philosophisch-po- wird. der modisch-politische Diskurs existiert. In ihm litische war. finden folgerichtig die Modebewussten oder Selbst wenn uns erleuchtete Meister Günstlinge der Mode(schöpfer) Gehör. Seit langem hatte Philosophie nicht mehr soviel helfen sollten (was ich sehr hoffe), liegt Chancen, ins politische und alltägliche Leben ihre Autorität einzig im Selbsterfahrenen Wenn echte Verstandesargumente (außer gestaltend einzugreifen. Doch die Philosophie und Selbstgedachten, ein riesiger, historischen Analysen) unter solchen der Frankfurter Schule zehrte vom alten Erbe. entscheidender Unterschied zum Fische- Bedingungen schon kaum Chancen haben, (Lehrreich dazu die Schrift von F. Engels: Ludwig Zeitalter. Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, in: Marx/Engels: Ausge- wählte Schriften II.) Konstruktiv-systematische Weiterentwicklungen fehlten ebenso wie ein konstruktiver, nicht bloß negativ-kritischer De- mokratie- und Gesellschaftsentwurf. H.P. Blavatsky/ Alice Bailey Peter Sloterdijk Man muss im akademischen Bereich von einem Verfall der ganzheitlichen Vernunft sprechen. Buch, herausgegeben von peter Neuner im Herder- Ist diese in die Theosophie ausgewandert? Die Verlag, ISBN 3451021951 Antwort auf diese berechtigte Frage würde ganz neue Betrachtungen erfordern. Die Theo- sophie H.P. Blavatkys, A. Baileys und der Agni- Yoga-Lehre des russischen Ehepaars Roerich Untergrabung der Geistes- enthält viel philosophischen Stoff, der eine zünf- wissenschaften durch tig-akademische Aufbereitung erfordern wür- staats-kirchen-rechtliche de, ähnlich wie die seriöse Astrologie. Privilegien Eine Esoterik dagegen, die gering vom Bevor ich auf den eigentlichen Glauben im Ver- Jürgen Habermas ganzheitlich-vernünftigen Denken denkt hältnis zu Wissenschaft zu sprechen komme, Lebens|t|räume 04/09 11
Die Einzelseele verliert ihre Existenz als Individuum durch richtiges Handeln und Wissen. (Ajja) möchte ich auf die zusätzliche Schwächung und Es ist fatal für das Gemeinwesen, wenn man es zum ausgeprägten, rechnenden und beredten Untergrabung der Freiheit der Geisteswissen- als unabänderbare Gegebenheit hinnimmt, Verstandesgebrauch!) Hochkonjunktur haben. schaften durch die für eine echt pluralistische dass sich Wissenschaften und ihr Personal in Doch was soll eigentlich unter „Glaube“ ver- Gesellschaft unrechtmäßigen Privilegien der der geisteswissenschaftlichen Forschung eher standen werden, da hier sicher nicht von Kir- christlichen Kirchen an den Universitäten einge- einem kirchen-politischen Gemauschel verdan- cheneintritten oder –austritten die Rede ist? hen (um von den Schulen und Kindergärten hier ken als der großartigen Idee der Universität, zu schweigen). Infolge des Konkordats zwi- das heißt des freien Diskurses auf allgemein 1. Für-wahr-halten einer religiösen Lehre, die schen Hitler und dem Vatikan von 1933, das in- verbindlichen Grundlagen und Einsichten. man zwar nicht selbst einsieht, die man jedoch zwischen und viele Einzelkonkordate der Länder aufgrund der (im weiteren Sinn verstandenen) abgelöst und durch entsprechende Verträge mit Philosophie und Geisteswissenschaften, die kirchlichen Autorität akzeptiert? Zweifellos wur- den evangelischen Landeskirchen „gerecht“ er- darin ständig Abstriche machen müssen, weil de der religiöse, besonders der christliche Glau- gänzt wurde, genießen die beiden großen Kon- aufgrund historischer Privilegien ständig Glau- be, jahrtausendelang meist so verstanden. fessionen (dazu neuerdings in wachsendem bensansprüche dazwischen treten, über die Doch wir sehen, dass es sich im Grunde um ei- Maße die Jüdische Gemeinde sowie konse- nicht mehr diskutiert werden kann, geben sich nen Autoritätsglauben handelt: quenterweise nun auch Vertreter des Islams) selbst auf. Kein Wunder, dass die Maßstäbe für Privilegien an unseren Universitäten, die wis- wissenschaftlichen Diskurs in allen geisteswis- Ich akzeptiere Wahrheiten, weil die Autorität sie senschafts- wie verfassungstheoretisch in kei- senschaftlichen Disziplinen so leicht verloren lehrt.Vorausgesetzt ist dabei der Glaube an die- ner Weise zu rechtfertigen sind. gehen können, wie es umrissen wurde. se Autorität der „heiligen Kirche“. Ihr vertraue ich. Wenn solcher Glaube etwas Religiöses Zu rechtfertigen wären Religionswissenschaft- gegenüber anderem Autoritätsglauben hat, liche Fakultäten, an denen auch über diese Kon- dann nicht allein wegen der Inhalte, die meine fessionen informiert würde – nicht aber die zeitliche und ewige Existenz betreffen, sondern milliardenschwere Ausstattung fast all unserer weil die Kirche selbst als heilige Gemeinschaft Universitäten mit mindestens zwei konfessio- erlebt oder selbst geglaubt wird. Ähnlich glaubt nellen Fakultäten, an denen die künftigen Kon- ein Kind seinen Eltern, weil es sie als stark und fessionsdiener ausgebildet werden, zudem in fast „allwissend“ erlebt. Wissenschaften, die nach neuzeitlichem Wis- senschaftsverständnis gar keine Wissenschaf- 2. Gegenüber solchem Glauben als Fürwahrhal- ten sein können, nachdem sie sich selbst als ten dessen, was ich selbst nicht einsehe, beton- „Glaubenswissenschaften“ verstehen. te Luther die Komponente des Vertrauens auf Gott. Die kirchliche Vermittlung solchen Vertrau- Man muss sich einmal überlegen, was ens blieb bei diesem vielleicht stark mystisch, diese (von konservativen also selbst erlebenden Reformator ausgeblen- Verfassungsrechtlern mit der christlichen det. Nach evangelischer Lehre ist es allein die- Tradition Europas gerechtfertigte) se vertrauende Selbstauslieferung des Gläubi- Bevorzugung der Kirchen für das Martin Luther gen an Gott, die den Menschen „rechtfertigt“. universitäre und intellektuelle Leben eines Gemeinwesens bedeutet! 3. Nun geht uns Heutigen, an Wissenschaft und Vernunft Geschulten, das Wort „Gott“ nicht Es geht mir in keiner Weise um antireligiöse Po- mehr so kindlich über die Lippen, vor allem, lemik, sondern um die Bedeutung sauber defi- nachdem so unendlich viel Missbrauch mit die- nierter Geisteswissenschaften für unser Ge- sem Wort getrieben wurde. Ein Theologe wie meinwesen. Der Sinn für das, was Wissen- der oben schon erwähnte, 1933 in die USA aus- schaft ist und sein könnte, ist entweder ganz gewanderte Paul Tillich bestimmt Religion als oder gar nicht sauber entwickelt. „Verhältnis zu dem, was uns unbedingt angeht“ (SystematischeTheologie in 3 Bänden, engl. Ori- Dieser Sinn wird nicht zuletzt durch die mächti- ginal 1963) und Glaube als ein mutiges Festhal- Paul Tillich ge Gegenwart von Pseudo-Geisteswissen- ten an den diesbezüglich erkannten „ultimate schaften mitten in der staatlich finanzierten values“. Eine andere Schrift Tillichs heißt Mut Wissenschaft gründlich korrumpiert. Der Kopf zum Sein (Courage to be). des zum Himmel stinkenden gesamtgesell- Glaube schaftlichen Fisches hat sowohl eine spirituelle Dieser „Mut zum Sein“, die grundlegende Da- Seite (die Letztwerte des Gemeinwesens) wie Wir kommen endlich zum Glauben. Wenn es ei- seinsbejahung und das Festhalten an den eige- eine wissenschaftliche Seite (als Teil der kultu- ne Konkurrenz zwischen Glaube und Vernunft nen diesbezüglichen Einsichten und Werterfah- rellen Werte), um in diesem Zusammenhang Po- gäbe, müsste der Glaube in solchen Zeiten des rungen kann sinnvoll der Glaube eines Men- litik und Wirtschaft einmal außen vor zu lassen. dürftigen Vernunftgebrauchs (im Unterschied schen genannt werden, wie vorsichtig oder un- 12 Lebens|t|räume 04/09
Hinter dem Unendlichen gibt es nichts, das erkannt werden könnte.(Premananda) vorsichtig auch immer dieser sich inhaltlich aus- lichen) Gestalten des Heiligen, die sich nicht al- ter 3., dargelegt unter Glauben verstehen, wenn artikulieren, in den wechselnden Herausforde- leTage wiederholen. Solche Offenbarungen gibt er seiner historistisch „gebildeten“ (nur noch rungen des Lebens ausbuchstabieren mag. es offenbar. Wir brauchen nicht an sie zu glau- historisch-philologisch sammelnden) Zeit ent- ben. Wohl sollten wir das Zeugnis solcher Men- gegenschleudert: Wir sind mit diesem dritten Glaubensbegriff na- schen ernst nehmen, die „glaubhaft“ von sol- türlich weit von Glauben als Fürwahrhalten auf- chen Erlebnissen sprechen. Und gegebenen- „Zu weit hinein flog ich in die Zukunft: ein grund einer auf irgendwelchen Gründen akzep- falls unsere eigenen Erlebnisse ernst nehmen, Grauen überflog mich. Und als ich um mich tierten Autorität entfernt, auch von dem noch das heißt mit Treue zu uns selbst und mit Dank- sah, siehe! Da war die Zeit mein einziger recht kindlich und zugleich patriarchalisch ge- barkeit gegenüber dem Erfahrenen am bleiben- Zeitgenosse. Da floh ich rückwärts, prägten Gottesvertrauen Luthers. Es sollen hier den Gehalt (nicht an der vergänglichen und heimwärts – und immer eilender: so kam gar nicht die Gegensätze betont werden. Doch meist unwesentlichen Form) dieser Erlebnisse ich zu euch, ihr Gegenwärtigen, bei näherem Hinsehen laufen für ein modernes, festhalten. und ins Land der Bildung. (…) selbstreflektiertes Bewusstsein die beiden er- sten Bedeutungen von Glauben in den dritten Die Kultur des zwischenmenschlichen Alles Umheimliche der Zukunft, und was je zusammen. Auch Glauben als Stehen zur eige- „Glaubens“, der kritische Prüfung verflogenen Vögeln Schauder machte, nen Göttlichkeit ist nicht allein (als egoistisch zu einschließt, ist aufgrund von zu viel ist wahrlich heimlicher und wirklicher noch diffamierende) Selbstbejahung, sondern darin erfahrungsfremden Autoritätsglauben, als eure ‚Wirklichkeit‘. Denn so sprecht ihr: zugleich Bejahung der Ganzheit des Seins und bei uns unterentwickelt. ‚Wirkliche sind wir ganz, und ohne Glauben seines Sinnes, meinetwegen der „Schöpfung“ und Aberglauben‘: also brüstet ihr euch – (wenn man dieses Wort nicht auf die traditionel- Eine Alltagsform solcher Offenbarung sind intu- ach, auch noch ohne Brüste! le Dualität von Schöpfer und Geschöpf oder auf itive Einsichten: plötzliche Erkenntnisse und Ah- „Schöpfung aus dem Nichts“ festlegt). Anders nungen, für die wir keine rationalen Gründe ha- Ja, wie solltet ihr glauben können, ihr gesprochen: ben. Der Glaube an das Göttliche und damit an Buntgesprenkelten! – die ihr Gemälde seid uns selbst schließt ein, dass wir dergleichen von allem, was je geglaubt wurde! Glaube kann nur Selbstbejahung in ernst nehmen, im Zweifelsfall prüfen und dies- Wandelnde Widerlegungen seid ihr des Bejahung des Anderen sowie bezügliche Erfahrungen sorgfältig beachten Glaubens selber, und aller Gedanken Selbstbejahung vom Anderen auch vom und erinnern. Gliederbrechen. Unglaubwürdige: göttlichen Anderen her, sein. also heiße ich euch, ihr Wirklichen! Alle Hier wie schon beim Glaubensbegriff 2 spielt Zeiten schätzen widereinander in euren Glaube in dem Sinn ist kein bloß selbstbezoge- die Zeitstruktur des Glaubens, das Durchhalten Geistern; und aller Zeiten Träume und ner Monolog, sondern Selbstbezug-im-Fremd- und Festhalten an einmal Erkanntem und Ge- Geschwätz waren wirklicher noch, bezug, ein dialogisches Geschehen. (Eine aus- schenktem, eine entscheidende Rolle. Der Um- als euer Wachsein ist! führlichere Darlegung dieses Glaubens-Ver- gang mit der Zeit ist Umgang mit uns selbst als ständnisses durch den Verfasser findet sich im zeitlicher Wesen. Unfruchtbare seid ihr: darum fehlt es euch Wörterbuch der Religionspsychologie, hg. von an Glauben. Aber wer schaffen musste, Friedrich Nietzsche S. R. Dunde, Gütersloh 1993, Artikel Glau- der hatte auch immer seine Wahr- be/Zweifel.) Dies führt zu einem vierten Aspekt: Träume und Sternzeichen – und glaubte an Glauben!“ 4. Glaube kann auch Anerkennung von „Offen- barung“ und Festhalten an dieser sein. Ich will jetzt nicht über große geschichtliche Offenba- rungserlebnisse und deren schriftliche Fixierung Glaube und Wissenschaft diskutieren, wie sie den drei so genannten Of- fenbarungsreligionen gemeinsam sind. Allzu Hat es überhaupt Sinn, einen solchen aufge- leicht führt die Bindung und Verpflichtung vieler klärten Begriff von Glauben mit Wissenschaft Menschen, die selbst keine Offenbarung erlebt und Vernunft zu konfrontieren? Keineswegs, haben, auf den ersten, autoritätsgeprägten Of- was die beiden letzten Formen oder Stufen des fenbarungsbegriff zurück, der geistesgeschicht- Glaubens angeht. Konfrontieren ließen sich lich überholt ist. Früher wurde der Glaube als einst Glaube und Wissenschaft nur als verschie- „übernatürliche Erkenntnis“ deklariert. Das war (Empfehlung: Osho-Buch “Ein Gott, der tanzen kann”, dene Formen des Fürwahrhaltens. ISBN 978-3-936360-86-8 weitgehend autoritärer Missbrauch. Allerdings ist es die Natur des menschlichen Geistes, Es ist aber klar, dass der so verstandene Glau- „übernatürlich“ zu sein. Ich meine hier die selbst Nietzsches Glaube be von einem wissenschaftlichen Standpunkt erlebte Offenbarung: besondere Wert-Erfahrun- zu einem bloßen Vermuten und einem Erkennt- gen bis hin zu mystischen Erlebnissen und Be- Der furiose „Atheist“ Friedrich Nietzsche muss nis-Ersatz degradiert werden muss. Das ist je- gegnung mit (körperlichen oder außerkörper- etwas ganz Ähnliches wie hier, besonders un- doch ein (wenn auch von vielen „Gläubigen“ Lebens|t|räume 04/09 13
Das Gewahrsein des jetzigen Moments ist das Großartigste, was es gibt. (Ajja) selbstverschuldetes) ganz unwissenschaftli- Universalwissenschaft aufgrund natürlicher Solche Intensität des Denkens ist ches Missverstehen des Glaubens in der dritten Vernunft, im Unterschied zur Theologie, die sich keineswegs dem Philosophen vorbehalten. und vierten Bedeutung. auf „übernatürliche Vernunft“ stütze („scientia universalis supranaturali ratione comparata“). Sie geschieht auch in den Wissenschaften da, Auf der anderen Seite kann kein Glaubender im Auf die Fragwürdigkeit, ja Unhaltbarkeit dieser wo die begrenzten Begriffsbildungen durch die Sinne der grundlegenden Selbst- und Wertbeja- letzten Definition soll es hier nicht nochmals an- ganzheitliche Vernunft und ihre Ideen in Frage hung sich vernünftigerweise gegen wissen- kommen, sondern auf Philosophie als Sachwal- gestellt und dynamisiert werden. „Ganzheitli- schaftliche Erkenntnis sperren – vorausgesetzt, terin einer ganzheitlichen Vernunft. che Vernunft“ meint keineswegs etwas Unge- sie ist tatsächlich Erkenntnis und nicht rationa- fähres, wozu der Ausdruck „ganzheitlich“ oft listische Anmaßung und Reduktion von Erkennt- Alle Wissenschaft, sofern sie nicht allein ein missbraucht wird. Ganzheitlichkeit bedeutet die nis. untergeordnetes Geschäft des berechnenden umfassende, möglichst selbst geordnete Be- und klassifizierenden Verstandes darstellt, er- rücksichtigung aller Relationen, die bei einem „Keine Religion ist höher als die Wahrheit“ hält einen philosophischen, d.h. aufs Ganze ge- Begriff bzw. einem Phänomen zu berücksichti- (H.P. Blavatsky). henden Einschlag. Wir sehen dies deutlich bei gen sind. allen großen Naturwissenschaftlern, besonders Ich verstehe nicht, welche Probleme es zwi- den epochemachenden Physikern, des 2O. Es ist allein diese ganzheitliche Vernünftigkeit, schen Glauben im dargelegten Sinn und Wis- Jahrhunderts. Die Frage ist immer, ob sich Na- die aus den bekannten „Fachidioten“, die ihre senschaft für einen aufgeklärten Menschen ge- turwissenschaftler in willkürlichen Anmutungen darüberhinausgehende Unkenntnis durch Fana- ben könnte. Es kann sich nur um traditionell und Weltanschauungsbildungen ergehen. tismus kompensieren, aus funktionierenden Er- überkommene Missverständnisse und Selbst- kenntnisbeamten, denen es eigentlich um ihr missverständnisse auf beiden Seiten handeln. Bei den Großen ist das nicht der Fall, weil sie ge- regelmäßiges Gehalt und ihr soziales Prestige, nügendes Problembewusstsein mitbringen, nicht um Erkenntnis als solche geht, auf einmal meist auch beilaufend eine gewisse philosophi- offene, gläubige Denker machen kann, aus po- Glauben und Vernunft sche Ausbildung genossen haben. Einsteins Re- tentiellen Inquisitoren mit den oben erwähnten lativitätstheorien sind beispielsweise ohne das Opfern hingebungsvolle und faire Wahrheitssu- Wenn wir „Vernunft“ nicht rationalistisch ver- „Einatmen“ Kantischer Ideen über Raum und cher. kürzt verstehen, sind die Formen des Glaubens Zeit kaum denkbar. im dargelegten Sinne selbst Formen von Ver- nunft, freilich einer dialogischen Vernunft, für Auf den nachgeordneten Rängen der Naturwis- Fazit welche die Botschaften des personal oder me- senschaftler gibt es dagegen zahlreiche Gegen- dial Anderen eine mögliche Rolle spielen. Aller- beispiele für philosophischen Dilettantismus Wissenschaft, Glaube und Vernunft dings haben die Worte „Glauben“ und „Ver- ohne genügendes Problembewusstsein – mö- beschreiben Wege zur Wahrheit, die nunft“ auch dies gemeinsam: Sie sind beide un- gen sie auch als angesehene Festredner vom verschieden sind, aber nur vordergründig säglich missbraucht worden. Vom Glauben war Max-Planck-Institut kommen, die etwa mit konkurrieren. Wenn man „konkurrieren“ diesbezüglich vorhin die Rede. Von der Vernunft Quantenphysik die Gesellschaft strukturieren von Wegen überhaupt sagen kann. kann man nur sagen, dass dieses menschliche wollen. Vernehmungsvermögen der unendlichen Offen- • Wissenschaften sind begrenzte „Settings“ heit im Zeitalter des Rationalismus gerade bei Auch die rasche Gleichschaltung oder Disziplinen, die nur durch ganzheitliche Ver- ständiger Betonung von „Vernunft/raison /rea- von Physik und Mystik, unter nunft Anschluss an das Ganze der Wirklichkeit son“ für bloßen Verstandesgebrauch verkürzt Überspringung, weil Unkenntnis gewinnen. wurde. Diese Verkürzung setzt sich, wie ausge- abendländischer Philosophie, etwa bei führt, in unseren Wissenschaften fort. Deshalb Fritjof Capra (Das Tao der Physik; • Glaube ist – im Unterschied zu vielen Formen noch ein kurzes Schlusswort zu: Wendezeit), leisten der wirklichen des Autoritätsglaubens - Mut zum Sein, Wert- Begegnung von Denken und Spiritualität bejahung des Ganzen, Selbstbejahung vom Un- m.E. keinen besonderen Dienst. bedingten und Göttlichen her. Wissenschaft und Vernunft Eine solche Begegnung findet nur statt, wenn • Vernunft ist das Vermögen des Menschen zum (Um eine Spiritualität des eine echte Spiritualität des Denkens entwickelt Unbedingten (zum göttlichen Logos). Freilich: Denkens) wird: wenn die „Anstrengung des Begriffes“ „Wir suchen überall das Unbedingte und finden zum „Gottesdienst des vernünftigen Denkens“ immer nur Dinge“ (Novalis, Blüthenstaub 1) – In der alten, mittelalterlich-scholastisch gepräg- wird (Hegel). Meines Erachtens kann das Me- womit sich der Kreis zur Wissenschaft schließt. ten Philosophie wurde diese, die Philosophie, dium des wissenschaftlichen Begriffes, ähnlich als „scientia universalis“ gegenüber den Einzel- wie das des dichterischen Wortes, bei hinrei- „Denn was war schädlicher in der wissenschaften, den „scientiae particulares“, chender Intensität und Ehrfurcht tatsächlich Geschichte und was überflüssiger als das bezeichnet. Genauer galt Philosophie als „scien- selbst zum Medium mystischer oder quasi-mys- seit Galilei bestehende Katz-und-Maus- tia universalis naturali ratione comparata“: als tischer Erfahrung werden. Spiel zwischen Religion und 14 Lebens|t|räume 04/09
Wer da auch immer nach Erleuchtung suchen mag, der muss verschwinden. Das ist Erleuchtung. (Sri Brahmam) Naturwissenschaft?“ Die historischen Religionen brauchen wir vielleicht nicht mehr. Doch den Glauben im besagten Sinn. Seine Bücher Hierin sind Wegweiser für beschreibt er die freie Menschen, Welt des sich der- nicht für blind der zeit Obrigkeit folgende. offensichtlich zu To- Er zwingt zum de siegenden Kapi- Nachdenken: talismus. In dieser Real-Uto- pie bietet er eine einfache Lösung an, "Die wie die schleichende Demo- Demokratie wieder kratie-verdrossen- funktionsfähig ge- heit wird bei macht werden könn- Genuss des Mani- te. Dieses Buch kön- festes zur Demokra- nen Sie demnächst tie-begeisterung, als die nach Praxis ver- Paperback erhalten: langt." ISBN 978-954-449- 321-9 Johann Wolfgang von Goethe Schon Goethe meinte, in einer fortgeschrittenen Humanität sei die Religion, eben der Glaube im dargelegten Sinn, inklusive enthalten, ohne der Zur Öko-Problematik stellt er fest: Das ist die populären Form zu bedürfen: Antwort: "Naturwissenschaft- liche Einzelerkennt- Die heute anstehen- „Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, nisse helfen uns de politische Erneu- nicht weiter, erung muss fundiert der hat auch Religion. Wer jene beiden sein in einer Revolu- diese scheinbar nicht besitzt, der habe Religion.“ ausweglose tion der Gesinnun- Situation zu än- gen und Vorstel- dern." lungs-arten! Doch war und ist das nicht heute noch zu elitär gedacht? Bedürfen die „einfachen Menschen“ nicht weiterhin der irgendwie verbindlichen Leh- re über „das, was sie unbedingt angeht“ sowie der Riten des Ausdrucks für das, was sie im Le- Siehe: www.johannesheinrichs.de. Auslieferung der Bücher über: GVA, Postfach 2021, 37010 Göttingen, ben und Sterben, im Lieben und Grenzeziehen, Tel. 0551-487177, Fax: 0551-41392. bewegt? Nicht allein die einfachen Menschen, sondern die menschliche Gemeinschaft als gan- ze wird dieser Lehre und Ausdrucksformen be- Johannes Heinrichs, dürfen – jedoch auf einem neuen Niveau der geb. 1942, zählt schon jetzt zu den herausragenden systematischen Aufklärung und Freiheit, jenseits, nicht diesseits Philosophen der Neuzeit. Als wichtige Neuerung in der Philosophie gilt jenes aufgeklärten und personalisierten Glau- seine Entdeckung des „Periodensystems der Handlungsarten“, das die bensbegriffs. Handlungen nach ihren Intentionen unterscheidet und systematisiert. Doch dies, also künftige Formen von „Gemein- Mit seiner Reflexionstheorie menschlicher Sinnvollzüge und sozialer schaft der Menschen im Freien“, wie es im Buch Systeme steht er auf den Schultern der deutschen Idealisten Hegel, I Ging (Figur 13) heißt, jenseits autoritärer Dog- Kant und Fichte. – Er doziert nicht, sondern besticht in der Einfachheit der Darstellung sinnfäl- matik, jenseits der überholten Zwillingsbrüder liger Zusammenhänge. von Theismus und Atheismus (die beide das Info: www.johannesheinrichs.de Göttliche verdinglichen), das wäre ein eigenes www.netz-vier.de, www.stenobooks.com Thema. Lebens|t|räume 04/09 15
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