Wege zum Glück Deutsch - Textheft für Schülerinnen und Schüler

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Wege zum Glück Deutsch - Textheft für Schülerinnen und Schüler
Deutsch

Wege zum Glück
Textheft für Schülerinnen und Schüler

 Zentrale Lernstandserhebungen in der Jahrgangsstufe 9
                Nordrhein-Westfalen 2004
Hinweis
Dieses Textheft ist Bestandteil der zentralen Lernstandserhebung 2004 im Fach Deutsch.
Am 10. oder 11. November 2004 erhalten die Schülerinnen und Schüler, die an der Lernstandserhebung
teilnehmen, im Rahmen einer Doppelstunde für maximal 60 Minuten Einblick in dieses Heft.
Danach verbleibt es bis zum Tag der Lernstandserhebung Deutsch (17. November 2004) in der
Schule unter Verschluss.

© 2004

Herausgeber:                   Ministerium für Schule, Jugend und Kinder
                               des Landes Nordrhein-Westfalen
                               Völklinger Straße 49, 40221 Düsseldorf

Testentwicklung
und Projektkoordination:       Landesinstitut für Schule
                               Paradieser Weg 64, 59494 Soest

Grafik und Gestaltung:         Ramona Marchitto; Andrea Pöpping

Druck:                         DruckVerlag Kettler GmbH
                               Postfach 1150, 59193 Bönen/Westf.

Alle Rechte vorbehalten. Jegliche Verwertung dieses Druckwerks bedarf – soweit das Urheberrechtsgesetz nicht
ausdrücklich Ausnahmen zulässt – der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Herausgebers.

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Illustrationen: S. 1, 3, 10, 12, 14, 15, 16: Michael Gottschalk, Soest; S. 4: Goldener Buddha, in: http://www.buddhismus.at.bilder
(Stand: 23.09.2004); S. 8: Chinesisches Glückszeichen, Quelle unbekannt
Lernstandserhebungen NRW 2004                                                       Deutsch Textheft: Wege zum Glück

     Verliebt
     Joanna (16 Jahre)

     Pudding in den Beinen,
     Rosinen im Kopf;
     Brauseprickeln auf der Haut,
     über die Lippen fließen Worte
 5   wie Honig und Rote Grütze.
     Das Ende vom Lied:
     Bauchweh vom Kopf bis in die Füße
     von all dem Zuckerzeug!

     Aus: Warmer Regen auf meiner Haut. Liebesgedichte aus der NDR-2-Sendung
          „Sweet, Soft and Lazy”. Hamburg: Hanseatische Edition 1987

     Happy End
     Kurt Marti

     Sie umarmen sich, und alles ist wieder gut. Das                   sagt er. Sie keucht. Ich hasse diese Heulerei,
     Wort ENDE flimmert über ihrem Kuss. Das                           sagt er, ich hasse das. Sie keucht noch immer.
     Kino ist aus. Zornig schiebt er sich zum Aus-                15   Schweigend geht er und voller Wut, so eine
     gang, seine Frau bleibt im Gedrängel hilflos                      Gans, denkt er, und wie sie nun keucht in ihrem
 5   stecken, weit hinter ihm. Er tritt auf die Straße,                Fett. Ich kann doch nichts dafür, sagt sie end-
     bleibt aber nicht stehen und geht, ohne sie ab-                   lich, ich kann wahrhaftig nichts dafür, es war
     zuwarten, geht voll Zorn, und die Nacht ist                       so schön, und wenn`s schön ist, muss ich halt
     dunkel. Atemlos, mit kleinen, verzweifelten                  20   heulen. Schön, sagt er, dieser elende Mist, die-
     Schritten holt sie ihn ein, er geht und sie holt                  ses Liebesgewinsel, das nennst du schön, dir ist
10   ihn wieder ein und keucht. Eine Schande, sagt                     ja nun wirklich nicht mehr zu helfen. Sie
     er im Gehen, eine Affenschande, wie du ge-                        schweigt und geht und keucht. Was für ein
     heult hast. Mich nimmt nur wunder warum,                          Klotz, denkt sie, was für ein Klotz.

     Aus: Marti, Kurt: Dorfgeschichten. Darmstadt; Neuwied: Luchterhand 1983, S. 20

                                                                                                                        3
Deutsch Textheft: Wege zum Glück                                                                                 Lernstandserhebungen NRW 2004

     Was ist wichtig / richtig fürs Glück?
     1987 und 2002 wurden in einer Ju-      Bed eutung für d ie Leb ensg esta ltung (in %)
     gendstudie 2.515 Jugendliche im                               0    10             20         30         40         50   60   70        80             90   100

     Alter von 12 bis 25 Jahren zu ihrer                                                                          88
                                                  Familienleben
     Lebenssituation und ihren Meinun-                                                                                                                 85

     gen befragt. Die Forscher fragten                                                                           83
                                                     Kreativität
     dabei auch, was Jugendlichen für ih-                                                                                                             83

     re Lebensgestaltung besonders viel                                                                     78
                                                Unabhängigkeit
     bedeutet.                                                                                                                                   80

                                                                                                       69
                                                     Sicherheit
                                                                                                                                       70

                                                                                                  62
                                              Fleiß und Ehrgeiz
                                                                                                                                            76

                                                                             27
                                             Macht und Einfluss
                                                                                                            35
                                                                                                                                  1987                     2002
                                                                                  33
                                             Politik-Engagement
                                                                                             22

                                                                       15
                                               Althergebrachtes
                                                                                            20

                                            14. Shell-Jugendstudie: Infografiken. URL: http://shell-jugendstudie.de/
                                            download/shell_jugendstudie_charts.pdf, S. 4

     An alle, die glücklich sind
     Dalai Lama

     Man kann auf unterschiedliche Weise glücklich                 Das ist vielleicht anfangs deprimierend, aber auf
     sein. Manche Menschen leben aufgrund einer                    lange Sicht können wir mit dieser Einstellung
     geistigen Störung in einem Zustand naiven                     nur gewinnen.
     Glücks. Für sie ist immer alles in Ordnung. Die-
                                                                   Wer es vorzieht,
 5   ses Glück ist aber nicht das Glück, um das es uns
                                                            25     die Wirklichkeit zu
     hier geht.
                                                                   leugnen, indem er
     Für andere gründet das Glück auf dem Besitz                   Drogen nimmt, das
     materieller Güter und auf sinnlicher Befriedi-                falsche Glück in
     gung. Wir haben bereits auf die Fragwürdigkeit                einer blinden Spiri-
10   dieser Einstellung hingewiesen. Auch wenn sie          30     tualität sucht oder
     sich aus diesem Grund für wirklich glücklich                  ungezügelt     lebt,
     halten – sie werden doppelt leiden, wenn ihnen                nur um nicht nach-
     die Umstände nicht mehr wohlgesonnen sind.                    denken zu müssen,
     Andere wiederum fühlen sich glücklich, weil sie               erwirkt     dadurch
15   moralisch denken und handeln. Das ist Glück,           35     bloß einen kurzen
     das wir brauchen, denn dieses Glück hat tiefere               Aufschub.
     Wurzeln und hängt nicht von den Umständen ab.                 Wenn dann die Probleme akut werden, sind diese
     Um dauerhaft glücklich sein zu können, müssen                 Menschen oft nicht gegen Schwierigkeiten gefeit
     wir zuallererst erkennen, dass auch Leid zum                  und „erfüllen das Land mit ihren Klagen“, wie
20   Leben gehört.                                          40     man in Tibet sagt. Zorn oder Verzweiflung über-

     4
Lernstandserhebungen NRW 2004                                                          Deutsch Textheft: Wege zum Glück

     kommen sie, und zu den anfänglichen Schwie-                   60   möglich, wenn selbst das, was wir als Leid anse-
     rigkeiten gesellt sich der Schmerz.                                hen, uns nicht unglücklich macht.
     Versuchen wir herauszufinden, woher unser Lei-                     Nach buddhistischer Auffassung führt die Be-
     den kommt. Wie jedes andere Phänomen ist es                        schäftigung mit der Existenz des Leids nie zu
45   das Ergebnis unendlich vieler Ursachen und Um-                     Pessimismus oder Verzweiflung. Sie lässt uns
     stände. Hingen unsere Gefühle jeweils nur von                 65   die eigentlichen Gründe für unser Unglücklich-
     einer einzigen Ursache ab, dann müssten wir nur                    sein erkennen, nämlich Begierde, Hass und
     einer einzigen „Glücksursache“ ausgesetzt sein,                    Nichtwissen, und durch dieses Erkennen können
     und wir wären hundertprozentig glücklich. Wir                      wir uns davon befreien. Mit Nichtwissen ist hier
50   wissen aber genau, dass dem nicht so ist. Geben                    das Unverständnis für die wahre Natur der We-
     wir also die Vorstellung auf, dass wir sie nur fin-           70   sen und Dinge gemeint. Es ist die Ursache der
     den müssten, um nicht mehr zu leiden. Anerken-                     beiden anderen Gifte.
     nen wir, dass das Leid Teil des Lebens oder
                                                                        Sobald das Nichtwissen sich auflöst, haben Hass
     buddhistisch gesprochen des Samsara, des Kreis-
                                                                        und Begierde keine Grundlage mehr, und die
55   laufs der bedingten Existenzen, ist. Wenn wir das
                                                                        Quelle des Leids ist erschöpft.
     Leid als etwas Negatives oder Abnormales be-
     trachten, dessen Opfer wir sind, dann führen wir              75   Daraus ergibt sich ein spontan altruistisches
     ein erbärmliches Leben, denn dann werden wir                       Glück, das nicht mehr der Spielball negativer
     Opfer unserer Einstellung. Glück ist nur dann                      Gefühle ist.

     Aus: Dalai Lama: Ratschläge des Herzens. Zürich: Diogenes 2003, S. 107 ff.

     Wahlverwandtschaften
     Laura Freudenreich, 16 Jahre, geborene Anna Behrenfeld, berichtet in einem
     Gespräch über die Suche nach ihrem Vater.

     „Ich suche meinen Vater. Meine Adoptiveltern                       Meine Adoptiv-Eltern sagen, sie stehen mir nicht
     haben mir immer gesagt, dass ich adoptiert bin,                    im Weg, wenn ich weitersuche. Ich will wissen:
     schon als ich vier Jahre alt war. Vor drei Jahren             25   Wer sind diese anderen Eltern? Wie sind sie? Ich
     habe ich angefangen, meine leiblichen Eltern zu                    will was über meine Vergangenheit erfahren. Ich
 5   suchen – nicht so einfach, weil ich inkognito a-                   habe über die Show 'Andreas-Türck' versucht mei-
     doptiert bin. Bei einer Inkognito-Adoption erfah-                  nen Vater zu finden. Die Redakteure meinten aber,
     ren die Eltern nichts voneinander. Das Jugend-                     sie könnten mir nicht helfen. Ich habe auch nur ei-
     amt hat schließlich für mich meine Mutter aus-                30   ne vage Beschreibung, wie mein Vater vor 15 Jah-
     findig gemacht und ihr einen Brief von mir ge-                     ren ausgesehen hat. Er ist vor meiner Geburt ab-
10   schickt. Die Antwort kam nach einem halben                         gehauen. In der Grundschule mussten wir mal be-
     Jahr. Ohne Foto, nur eine halbe Seite lang. Dass                   schreiben, was wir von unseren Eltern geerbt ha-
     ich ihr ihr Leben lassen soll, und sie lässt mir                   ben. Die Größe oder so was. Was sollte ich sagen?
     meins. Dass sie nichts mit mir zu tun haben will.             35   Ich kann mir meinen Vater nur vorstellen. Meine
     Sie hat noch eine Beschreibung von sich und                        Adoptionseltern meinten, er wäre irisch. Ich glau-
15   meinem Vater aufgeschrieben. Deprimierend.                         be, dass er vielleicht ein netter Mann ist und in Ir-
     Dann habe ich's bei meinen Großeltern probiert.                    land lebt. Vielleicht lebt er noch in Navan, der
     Ich weiß ja den Namen meiner Mutter und dass                       Stadt, in der er mal gewohnt haben soll.
     sie in der Umgebung wohnen. Aus dem Telefon-                  40   Es geht nicht darum, dass ich mir mein Leben bei
     buch habe ich ihre Nummer gesucht. Sie waren                       meinen leiblichen Eltern besser vorstelle. Ich
20   sauer, weil ich mich gemeldet hatte. Dass sie                      möchte aber wissen, warum mein Vater damals
     nichts mit mir zu tun haben wollen, haben sie ge-                  abgehauen ist. Ob ich meine Sturheit und Trotz-
     sagt. Und aufgelegt. Bleibt also nur mein Vater.                   köpfigkeit von ihm habe. Meine Eltern wollen
                                                                                                                           5
Deutsch Textheft: Wege zum Glück                                                         Lernstandserhebungen NRW 2004

45   mir, wenn ich 18 bin, eine Reise schenken. Dann                      tern, an meinen Freunden und der Schule. Ich
     will ich nach Irland. Ich hab sogar bei Gewinn-                      wäre nie dafür, das herzugeben. Und wenn ich
     spielen mitgemacht, bei denen man Irland-Reisen                 55   ihn finden würde und er auch nichts von mir wis-
     gewinnen kann. Dass ich dorthin will, hängt                          sen wollte? Wäre ich traurig. Wenn er keinen
     schon mit meinem Vater zusammen. Gäbe es ei-                         Kontakt will, soll er auch einen Grund nennen.
50   ne Liste, was ich mir am meisten wünsche, dann                       Denn nur gesagt zu bekommen: 'Das ist dein Le-
     stünde ganz vorne: Vater finden. Dafür würde                         ben, das ist mein Leben' – das macht schon sehr
     ich aber nichts opfern. Ich hänge an meinen El-                 60   nachdenklich.“

     Freudenreich, Laura: Glück in Irland. In: Jetzt (Süddeutsche Zeitung) v. 13.05.2002

     Fremd
     Ingrid Gündisch (16 Jahre)

     Meine Familie ist intakt, in der Schule bin ich re-                  Allmählich kam ich mir bei dieser Frau wie in
     lativ gut, meine Freunde sind erträglich, ich habe                   einer Beschäftigungstherapie vor. Ich verließ die
     kaum Feinde, es geht mir gut. Ich könnte nicht                       Praxis immer mit äußerst schlechter Laune.
     behaupten, dass ich mich liebe. Ich bin mir selbst
                                                                          Aber eines Tages geschah das Wunder: Irgend-
 5   fremd geworden, habe mich verändert. Alle sa-
                                                                     40   wie hatte meine Zunge sich anders im Mund ge-
     gen das, ich selbst hätte es kaum gemerkt.
                                                                          dreht, und ich konnte das S richtig aussprechen.
     Angefangen hat alles damit, dass ich ein letztes                     Ich war glücklich.
     Mal versuchen wollte, meinen Sprachfehler zu
     korrigieren. Zugegeben, nach acht Jahren Be-                         Nach einigen Wochen bat mich die Logopädin,
10   handlung bei mehreren Logopädinnen glaubte                           mein neues S in den täglichen Sprachgebrauch
     ich nicht mehr an Erfolg. Der Gang in die Praxis                45   einzubauen, und damit begann mein Problem:
     wurde für mich immer mehr zur Routine, und die                       Um richtig zu artikulieren, musste ich langsamer
     Frau, die dort regelmäßig auf mich wartete,                          sprechen, und ich bekam immer mehr das Gefühl
     konnte ich nicht gerade gut leiden. Sie hatte eine                   zu stottern. Ich musste dauernd an das neue S
15   Art, mich zu behandeln, als hätte ich nicht nur                      denken. Meine ganze Unbefangenheit im Um-
     einen s-Fehler, sondern auch eine geistige Be-                  50   gang mit der gesprochenen Sprache ging mir ver-
     hinderung. Diese neue und letzte Logopädin for-                      loren. Es war plötzlich notwendig geworden,
     derte mich öfters auf, während ich meine Übun-                       vorher zu überlegen, was ich sagen wollte, um
     gen machte, auch etwas zu malen. Sie legte mir                       mich dann, während des Sprechens, ganz auf den
20   ein Blatt Papier und ein paar Buntstifte auf den                     neuen Laut konzentrieren zu können. Und das
     Tisch und sah mich erwartungsvoll an. „Fühl                     55   fiel mir sehr schwer. Ich kam mir unbeholfen
     dich ganz frei“, sagte sie aufmunternd, als sie                      vor, ich hatte das Gefühl, von allen ungeduldig
     mein Zögern bemerkte. Das bewirkte bei mir a-                        angestarrt zu werden, ich bekam Angst vor dem
     ber genau das Gegenteil. „Ich male nie auf Be-                       Sprechen. Wenn ich den Mund aufmachte, be-
25   fehl“, sagte ich zu ihr in einem so aggressiven                      gann ich zu schwitzen, ich fühlte, wie mir das
     Ton, dass sie mir gleich versicherte, dass es nur               60   Blut in den Kopf stieg. Ich begann, mir das Spre-
     ein Vorschlag ohne Bedeutung gewesen sei. Ich                        chen abzugewöhnen.
     müsse natürlich nicht zeichnen. Daraufhin setzte                     Meine Schwester, die den ungewohnten Laut
     ich lustlos meine Zungenübungen fort.                                bemerkte, sagte mir gleich, ich würde neuerdings
30   In der nächsten Stunde bat mich meine Logopädin,                     den Mund verziehen, und meine Freundin mein-
     ihr doch von meinem Tagesprogramm etwas zu er-                  65   te, ich solle sofort „damit“ aufhören, es klänge
     zählen und dabei auf das S zu achten. Ich berichtete                 schrecklich. Es passe nicht zu mir, ich solle doch
     lange. Zum Schluss fragte sie mich, ob ich nicht zu                  nicht versuchen, mich auf diese Weise zu verän-
     viel unternehme. Ich sagte „Nein“ und verabschie-                    dern. Nur meine Logopädin versicherte mir, der
35   dete mich.                                                           s-Laut sei vollkommen richtig.
     6
Lernstandserhebungen NRW 2004                                                               Deutsch Textheft: Wege zum Glück

70   Ich nahm meiner Freundin und meiner Schwester                           fremd geworden, ich kannte mich nicht mehr. Ich
     die Bemerkungen übel, aber ich sprach mit ihnen                85       saß in meiner Klasse und fühlte mich im Stich
     nicht darüber. Es war auch schon zu spät.                               gelassen, ich hatte niemanden, der sich um mich
                                                                             kümmerte. Meine Angst überwinden konnte ich
     Ich hatte das Gefühl, das alte S vollkommen ver-
                                                                             nicht. Ich zog mich zurück. Ich hatte es verlernt,
     lernt zu haben, und so konnte ich nur noch stot-
                                                                             auf andere zuzugehen. Bei jedem Geräusch zuck-
75   tern. Sogar das Vorlesen hatte ich ganz verlernt.
                                                                    90       te ich zusammen. Wenn mich jemand ansah,
     Im Unterricht meldete ich mich überhaupt nicht
                                                                             wich ich dem Blick aus. Ich saß meistens still in
     mehr, ich zog mich zurück und vermied es, in
                                                                             meinem Zimmer. Natürlich wusste ich, dass das
     den Pausen zu sprechen. Dauernd rannte ich aufs
                                                                             meine Schuld war, aber ich hoffte doch auf Hilfe.
     Klo oder hantierte mit meinen Sachen herum, um
                                                                             Ich beobachtete mich wie eine Fremde und war
80   nicht angesprochen zu werden. Ich hatte Angst.
                                                                    95       fassungslos. Ich beschloss auf das Reden für
     Aber das Schlimmste war, dass ich mich selbst
                                                                             immer zu verzichten.
     ständig beobachtete. Was für ein lächerlich elen-
     des Geschöpf ich geworden war. Ich war mir                              Seit damals schweige ich.

     Aus: Treffen junger Autoren (Hg.): Unter der Steinhaut. Anrich: Kevelaer 1994, S. 80 – 82

                                                                                   Aufhebung
                                                                                          Erich Fried

                                                                                         Sein Unglück
                                                                                       ausatmen können

         Copyright nicht erteilt                                                         tief ausatmen
                                                                                      so dass man wieder
                                                                         5              einatmen kann
                                                                               Und vielleicht auch sein Unglück
                                                                                         sagen können
                                                                                           in Worten
                                                                                    in wirklichen Worten
                                                                        10          die zusammenhängen
                                                                                       und Sinn haben
                                                                                   und die man selbst noch
                                                                                        verstehen kann
                                                                                   und die vielleicht sogar
                                                                        15        irgendwer sonst versteht
                                                                                    oder verstehen könnte
                                                                                      Und weinen können
                                                                                        Das wäre schon
                                                                                          fast wieder
                                                                        20                   Glück

                                                                 aus:         Beunruhigen © 1984, NA 1987. Verlag Klaus Wagen-
                                                                              bach Berlin

                                                                                                                                 7
Deutsch Textheft: Wege zum Glück                                                            Lernstandserhebungen NRW 2004

     Was ist Glück?
     Ergebnis einer Blitzumfrage bei Kindern, Erwachsenen, Autoren und Autorinnen –
     die kursiv geschriebenen Texte stammen von Kindern.

                                                     Wenn man etwas gewinnt. Den Augenblick genießen. Ein
                                                     Traum, den ich einfangen möchte. Den Vollmond sehen.
                                                     Etwas Schönes, das ganz plötzlich kommt. Der Zwang, im-
                                                     mer wieder zeichnen zu müssen. Wenn man ein vierblättri-
                                                  5 ges Kleeblatt findet. Konzentration. Die Fahrradprüfung
                                                     bestehen. Eine Vogelfeder finden. Wenn man im Wasser
                                                     nicht untergeht. Gegen den Stamm meiner Lieblingsbuche
                                                     gelehnt weit über mir den Himmel wissen und fühlen, wie
                                                     lebendig ich bin. Wenn man Geld findet. Um 3 Uhr verges-
                                                 10 sen zu haben, dass es vor einer Stunde 2 Uhr war und in ei-
                                                     ner Stunde 4 Uhr sein wird. Wenn man eine 6 im Lotto hat.
                                                     Die Vorstellung, dass wir eines Tages die Bilder, Zeichen
                                                     und Signale der Natur wieder verstehen können – und damit
                                                     uns. Wenn man alles so hinkriegt, wie man es will. Wenn
                                                 15 sich die Seele wie ein Zimmer mit Licht füllt. Wenn man
                                                     etwas Besonderes geschafft hat, was man sonst nicht
      Chinesisches Glückzeichen                     schafft. Die Seele baumeln lassen. Wenn man etwas ge-
                                                    schenkt bekommt. Ein Frühlingsmorgen und ein Gänse-
     blümchen. Wenn man gute Noten hat. Dass jemand da ist, der mich liebt. Wenn ich Geburtstag habe. Dass
20   es mir immer besser geht, als es mir gehen könnte. Wenn man den Bus nicht verpasst. Dort zu leben, wo
     kein Hass ist. Ein Haustier haben. Der berühmte Augenblick, den man anhalten möchte. Wenn man denkt,
     man kriegt Ärger und kriegt keinen. Wenn mir nichts passiert. Wenn man neue Freunde findet. Atme tief
     ein und aus (dreimal täglich), sprich: „Das ist das Glück“ und zeige dabei auf irgendetwas: einen Bissen
     Brot, dein Bett, eine Shampooflasche, das Geräusch des Regens, das Pochen in deiner Brust. Wenn man
25   lernt, sich selbst besser kennen zu lernen. Plötzliches Strahlen der Seele. Wenn Carolin Schluss macht mit
     Achim und wieder mit mir anfängt. Glück ist, wenn ich am Samstagmorgen auf den Markt gehen kann und
     mit einer Tasche voll Salat, Broccoli, Erbsen, Erdbeeren, Zopfbrot, Fisch, Oliven und einem großen Blu-
     menstrauß in der Hand wiederkomme. Wenn ich was Schönes geschenkt bekomme. Wenn man einen
     Glückspfennig findet. Die Zeit vergessen. Hitzefrei. Seelenverwandte zu finden, zu lieben und geliebt zu
30   werden. Wenn man eine Katze hat. Gemeinsam da zu sein. Etwas finden, was ich nicht weiß. Plötzliches
     Lob. Eltern haben. Geboren sein. Der Zustand, in dem man die Welt umarmt, sich selbst gratuliert und
     dem Schicksal dankt. Wenn kein Krieg ist. Wenn ich leben kann, wie ich es mir wünsche. Wenn die Sonne
     scheint und ich in den See gehen kann. Wenn man 120 Jahre alt ist. Wenn ich krank bin und nicht in die
     Schule muss. Innere Ruhe. Im Tor gut sein. Draußen den Regen hören. Sich verlaufen haben und den Weg
35   wiederfinden. ES (für den Augenblick) zu haben. Wenn ich schnell einschlafe. Auf der Wiese liegen und
     nichts denken und den Frühling riechen. Wenn die Frau Brehm da ist. Wenn ich reich bin. Sich wohl füh-
     len. Wenn ich was finde. Harmonisches Zusammenleben. Wenn einem unerwartet etwas Gutes passiert.
     Ein guter Arbeitsplatz. Wenn ich mit meiner Freundin in die gleiche Klasse komme. Plötzlich ein Kuss von
     dir. Glück ist Glück und nichts anderes.

     Aus: Was ist Glück? (Umfrage). In: Gelberg, H.J.: Glück. Jahrbuch für Kinderliteratur. Weinheim: Beltz 1994

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Lernstandserhebungen NRW 2004   Deutsch Textheft: Wege zum Glück

 Copyright nicht erteilt

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Deutsch Textheft: Wege zum Glück                                                              Lernstandserhebungen NRW 2004

     „Die Deutschen werden dann um
     mindestens 5 Punkte glücklicher sein!“
     Aus einem Interview mit David Halpern. Das Interview wurde geführt von Carsten Jasner.

     David Halpern ist „Glücksberater“. Er lehrt Sozial- und Politikwissenschaften in Cambridge, Oxford und
     Harvard. Er ist auch politischer Berater des britischen Premierministers. Halpern wertet Studien über
     Glücksforschung aus um zu ermitteln, was die Politik und die Menschen tun können, um glücklicher zu
     werden.

     Hallo, Mr. Halpern, sind Sie glücklich?                               Ihren ganzen Tag versauen. Faktoren wir Re-
     Sagen wir, ich bin zufrieden.                                         spekt, Liebenswürdigkeit oder Anteilnahme müs-
     Es wäre hilfreich, in Mexiko oder Puerto Rico zu                      sen höher bewertet werden. Oder nehmen wir
     leben. Dort leben die glücklichsten Menschen                     40   den Sport. Die meisten gehen allein ins Fitness-
 5   der Welt.                                                             Studio, um sich für den Job zu stählen. Gesünder
                                                                           wäre es, in einem Team mit Freunden Fußball
     Was wird aus denen von uns, die nicht aus-
                                                                           oder Handball zu spielen. Das Ehrenamt ist et-
     wandern wollen?
                                                                           was aus der Mode gekommen, dabei müsste der
     So schlecht geht es Ihnen gar nicht. Immerhin 80
                                                                      45   freiwillige Einsatz im Verein oder in der Nach-
     Prozent der Deutschen sagen, sie seien mit ihrem
                                                                           barschaft viel höher bewertet werden.
10   Leben einigermaßen zufrieden. Allerdings ist nur
     jeder Fünfte bei Ihnen wirklich glücklich. La-                        Demnach sähe der
     teinamerika zeigt, dass wir unser Glück nicht al-                     Bürger mit den
     lein im Wirtschaftswachstum suchen sollten.                           besten Glücksaus-
                                                                      50   sichten so aus: Er
     Aber es schadet doch nicht?
                                                                           hat einen netten
15   Sicher, im internationalen Vergleich sind wohl-
                                                                           Job, der ihm ein
     habende Nationen grundsätzlich besser dran als
                                                                           ausreichendes
     arme. Aber von einem bestimmten Lebensstan-
                                                                           Einkommen be-
     dard an steigt die Zufriedenheit nicht mehr au-
                                                                      55   schert, er ist verheiratet, hat zwei Kinder, spielt
     tomatisch mit dem Einkommen.
                                                                           einmal die Woche mit Freunden Fußball und
20   Was ist wichtiger als Einkommen?                                      ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr.
     Arbeit. Die muss nicht wahnsinnig gut bezahlt                         Und er sollte alle ein, zwei Wochen in die Kirche
     sein, Hauptsache, jeder hat welche. Der negative                      gehen. Gläubige Menschen sind zufriedener.
     Effekt von Arbeitslosigkeit ist um ein Vielfaches
                                                                      60   Kennen Sie irgendeinen Politiker, der von die-
     stärker als der positive eines steigenden Ein-
                                                                           sen Theorien überzeugt ist?
25   kommens. Das erleben wir in der momentanen
     Wirtschaftskrise. Selbst die, die noch einen Ar-                      Eine ganze Menge. Ich denke, in einigen Jahren
     beitsplatz haben, werden unzufrieden, weil sie                        werden Regierungen die Lebenszufriedenheit der
     darum fürchten.                                                       Bevölkerung als Maßstab für ihre Entscheidungen
                                                                      65   nutzen. Die Abendnachrichten werden uns Statis-
     Würde es uns helfen, nur noch zu tun, was                             tiken präsentieren, wonach der Glücksfaktor in
30   uns Spaß macht?                                                       Großbritannien gerade um zwei Punkte gestiegen
     Nein, entscheidend für unsere Lebenszufrieden-                        ist, während er in Deutschland fällt.
     heit sind Freunde, Familie und, vor allem, Ver-
     trauen. Und die Bedeutung eines guten Mitein-                         Glauben Sie wirklich?
     anders wird unterschätzt. Wenn Ihnen jemand                      70   Kleiner Scherz. Nein, ich bin sicher, die Deut-
35   auf der Straße unfreundlich begegnet, hat das ei-                     schen werden dann um mindestens fünf Punkte
     nen gewaltigen Einfluss auf Ihre Laune, es kann                       glücklicher sein.

     Halpern, David: Was für ein Glück. (Interview, Auszüge). In: Die Zeit Nr. 52 (17.12.2003), S. 53 f.

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Lernstandserhebungen NRW 2004                                              Deutsch Textheft: Wege zum Glück

     Eine Bücherliste zum Thema „Glück“
     Stefan Klein: Die Glücksformel. Oder: Wie die guten Gefühle entstehen.
     Reinbek: Rowohlt 2002
     Für ein glückliches Leben tun wir alles – und schlittern dabei von einem Unglück ins
     nächste. Die Probleme beginnen bereits bei der Definition: Bislang wusste keiner ge-
 5   nau, was Glück eigentlich ist. Selbst die Philosophie, die der Frage seit Tausenden von
     Jahren nachgeht, hat bis heute nur Antworten voller Widersprüche geben können. Jetzt
     aber haben sich die Hirnforscher auf die Suche nach den Gefühlen gemacht. Erstmals
     lassen sich Empfindungen messen.

10   Andreas Steinhöfel: Der mechanische Prinz. Hamburg: Carlsen 2003
     Er war, so scheint es ihm, von Anfang an das egalste Kind der Welt, das traurigste, das
     sprachloseste. Dann, eines Morgens vor der U-Bahn, erhält Max von einem einarmigen Bett-
     ler ein unglaubliches Geschenk – ein goldenes Ticket, mit dem er an Orte reisen kann, wo
     nur wenige hinkommen: die Refugien. Nur dort kann Max sich seiner Traurigkeit stellen,
15   nur dort kann er sein Leben verändern und sein Herz retten.

     Alexa Hennig von Lange: „Ich habe einfach Glück“. Reinbek: Rowohlt 2002
     Lelle und Cotsch heißen die beiden Mädchen von 15 und 16 Jahren, die es zu Hause in
     der Siedlung aushalten müssen. Mama sorgt sich sehr um die beiden Schwestern, die
20   auf diese Fürsorge gern verzichten würden. Dann würde Lelle wahrscheinlich auch
     wieder essen. Papa Berni gießt im Büro seine Pflanzen und liest den Brief nicht, den
     Cotsch ihm vor zwei Jahren geschrieben hat – über sie und ihn und die ganze Familie.
     „Papa ist ein Arschloch!“ sagt Cotsch. Lelle ist da diplomatischer. Mama rennt mit ih-
     ren Problemen zu ihrer Nachbarin Rita. Cotsch sagt, die beiden haben ein intimes
25   Verhältnis, und findet das eklig. Aber zum Glück für Lelle gibt es Arthur, der wie
     einst Pippi Langstrumpf allein in dem Haus nebenan wohnt…

     Sergio Bambaren: Der träumende Delphin. Eine magische Reise zu dir selbst.
     Stuttgart: Piper 1999
30   Der junge Delphin Daniel Alexander ist ein Träumer, der ganz fest an die perfekte Welle
     glaubt. Eines Tages verlässt er das sichere Riff seiner Artgenossen und macht sich auf die
     selbstbestimmte Suche nach dem richtigen Leben. Diese wunderbare Geschichte über per-
     sönlichen Mut und überwundene Ängste hat, wie einst „Die Möwe Jonathan“, unzählige
     Leser auf der ganzen Welt angerührt und begeistert.
35
     Miriam Pressler: Wenn das Glück kommt, muss man ihm einen Stuhl
     hinstellen. Weinheim: Beltz 1998
     Das Glück kam bisher nur selten zu Halinka. Halinka ist zwölf und lebt seit Jahren
     im Heim. Was vor dieser Zeit war, erzählt sie nicht. Halinka hat keine Freundin und
40   will auch keine. Am liebsten ist sie allein in ihrem wunderbaren Versteck auf dem
     Speicher. Dort schreibt sie all die Sprüche und Sätze auf, die ihr durch den Kopf
     gehen. Dann hat Fräulein Urban, die Heimleiterin, die verrückte Idee, alle Mädchen
     für das Müttergenesungswerk sammeln zu lassen. Halinka möchte unbedingt Sam-
     melkönigin werden. Vielleicht kann sie dann wieder ihre geliebte Tante Lou besu-
45   chen. Aber das ist nur der Anfang der Geschichte, die von Halinka, ihren Gefühlen
     und ihren Sehnsüchten erzählt. Halinka weiß: Wenn das Glück kommt, dann muss
     man ihm einen Stuhl hinstellen. Und darauf wartet sie.

                                                                                                             11
Deutsch Textheft: Wege zum Glück                                               Lernstandserhebungen NRW 2004

     Copyright nicht erteilt

    Sehnsucht
    Georg Heym
    Wie glänzend die Höhen sich dehnen
    Weit in die blaue Ferne.
    Zu ihnen fliegt mein Sehnen
    Hin zu dem Morgensterne.

5   Wohl hinter ihnen sich breitet
    Der lachende Weg zum Glück
    Das endlos dahinten sich weitet.
    Ich finde ihn nicht zurück.                        Blauer Schmetterling
    Heym, Georg: Sehnsucht. In: Sander, Gabriele:      Hermann Hesse
    Blaue Gedichte. Stuttgart: Reclam 2001. S. 59
                                                      Flügelt ein kleiner blauer
                                                      Falter vom Wind geweht,
                                                      Ein perlmutterner Schauer,
                                                      Glitzert, flimmert, vergeht.
                                                    5 So mit Augenblicksblinken,
                                                      So im Vorüberwehn
                                                      Sah ich das Glück mir winken,
                                                      Glitzern, flimmern, vergehn.

                                                       Hesse, Hermann: Blauer Schmetterling. In: Sander, Gabriele:
                                                       Blaue Gedichte. Stuttgart: Reclam 2001. S. 82

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Lernstandserhebungen NRW 2004                                                Deutsch Textheft: Wege zum Glück

     Glücksrezepte
     Welche Menschen sind glücklich?

     Glückliche Menschen …                                     Reiche Menschen sind nicht glücklicher als der
     • haben ihr Leben selbst in der Hand, das heißt           Durchschnitt. Lediglich für sehr arme Menschen
       auch, dass sie meinen, ihr eigenes Glück (und           sind Geld und Glück gekoppelt.
       auch ihr Unglück) selbst herbeiführen zu können;
 5   • schaffen die Balance zwischen Anspannung                Intelligenz und körperliche Schönheit machen
       und Entspannung;                                   35   nicht glücklich, d. h. Kluge und Schöne sind
     • schaffen die Balance zwischen dem, was sie              nicht glücklicher als der Durchschnitt.
       haben und dem, was sie wollen; zwischen
       Möglichkeiten und Ansprüchen;                           Menschen sind (lt. Glücksforscher Mihaly Csiks-
10   • sind kreativ und neugierig;                             zentmihalyi) glücklich beim Essen, Reden, bei
     • leben und nehmen die Freuden des Lebens                 Geselligkeit, beim Sex, wenn sie Hobbys nach-
       einfach mit;                                       40   gehen, Sport machen oder ins Kino gehen. Neu-
     • erleben (lt. Glücksforscher Ed Diener) häufig           trale Gefühle haben sie beim Ausruhen, bei der
       positive Ereignisse; dabei ist die Häufigkeit           Körperpflege und beim Fernsehen. Keine
15     und nicht die Intensität entscheidend. Es               Glücksge-
       scheint besser, sich bei vielen kleinen Anläs-          fühle sind      Copyright nicht erteilt
       sen wohl zu fühlen und sich zu freuen, statt       45   da, wenn sie
       auf das „große Glück“ zu warten;                        dem Beruf
     • investieren in ihre sozialen Beziehungen, sie           nachgehen,
20     bekommen Unterstützung von Freunden und
                                                               Lernen oder Hausarbeit machen. Neben den Ak-
       der Familie. Außerdem glauben sie, dass ande-
                                                               tivitäten, die Glücksgefühle auslösen, fand
       re Menschen sie schätzen und mögen (egal ob
                                                          50   Csikszentmihalyi noch Aktivitäten, die ein weite-
       das der Wahrheit entspricht);
                                                               res erstrebenswertes Gefühl auslösen, das dem
     • sind eher extrovertiert, optimistisch und haben
25     ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl. Diese Ei-            Glück sehr verwandt ist und nach seiner Mei-
       genschaften sind teilweise genetisch bedingt.           nung am besten mit dem Begriff Flow zu be-
       Ebenso gilt: Die Anfälligkeit für negative Ge-          zeichnen ist. Flow entsteht bei Geselligkeit, Re-
       fühle ist teilweise erblich bedingt, allerdings    55   den, Sex, Hobbys nachgehen, Sport machen, ins
       wird die Fähigkeit zum Glückserleben nicht              Kino gehen, dem Beruf nachgehen, Lernen und
30     vererbt, sondern lässt sich erlernen.                   Autofahren – generell bei Aktivitäten, die weder
                                                               über- noch unterfordern. Flow entsteht nicht bei
                                                               Ausruhen oder Fernsehen.

     http://www.gluecksarchiv.de/inhalt/glueck.htm

                                                                                                               13
Deutsch Textheft: Wege zum Glück                                                      Lernstandserhebungen NRW 2004

     Was Kinder glücklich macht
     Kinder aus ärmeren Familien sind häufiger traurig als ihre Altersgenossen
     aus der gehobenen Schicht.

     Wären in Deutschland Kinder an der Macht, müsste wohl niemand sein Zimmer aufräumen oder zur Un-
     zeit – also viel zu früh – schlafen gehen. Und zehn Prozent der Minderjährigen hätten weniger Beulen – so
     viele werden von ihren Eltern geschlagen.

     Hamburg – Die Geburtenzahlen sind rückläufig,                20   barn, die sich durch Kinderlärm gestört fühlen“,
     die Deutschen sterben aus. Aber ist die Bundes-                   sagt die Meinungsforscherin.
     republik deswegen ein kinderfeindliches Land?
                                                                       Allerdings mahnt sie auch: „Vielen Erwachse-
     Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts
                                                                       nen sind Kinder fremd geworden.“ Weite Teile
 5   für Demoskopie in Allensbach, hält diese Mei-
                                                                                                der      Gesellschaft
                                                                                             25 hätten    zu wenig
                                                                                                Kontakt zu Kindern
                                                                                                und seien daher mit
                                                                                                deren Lebenswirk-
                                                                                                lichkeit und ihrer
                                                                                             30 besonderen       Per-
                                                                                                spektive zu wenig
                                                                                                vertraut.
                                                                                                   Mehr als die Hälfte
                                                                                                   der Befragten (56
                                                                                               35 Prozent) ist der An-
                                                                                                   sicht, dass Politiker
                                                                                                   nicht an Kinder den-
                                                                                                   ken. Entscheidend
                                                                                                   für die Zufriedenheit
                                                                                               40 der Kinder ist das
                                                                                                   soziale Umfeld: Kin-
                                                                                                   der aus ärmeren Fa-
     nung für überzogen. Bestärkt wird sie durch eine                  milien sind häufiger traurig als ihre Altersgenos-
     Studie des Instituts. Danach ist die Mehrheit der                 sen aus der gehobenen Schicht. Gleichzeitig sind
     Kinder in Deutschland zufrieden: Die meisten                 45   Kinder in Ostdeutschland weniger glücklich als
     der 81 Befragten zwischen sechs und zwölf Jah-                    im Westen. Während 41 Prozent der westdeut-
10   ren genießen ihre Kindheit, fühlen sich von den                   schen Kinder sich als sehr fröhlich bezeichnen,
     Erwachsenen gemocht und beschreiben zu 86                         sind es im Osten nur 23 Prozent.
     Prozent ihren Gemütszustand als fröhlich oder
     sehr fröhlich.                                                    Häufigste Streitpunkte mit den Eltern: die Ord-
                                                                  50   nung im Zimmer (67 Prozent), Schlafenszeit (58
     Ein Drittel der Sechs- bis Zwölfjährigen glaubt                   Prozent) und Fernsehzeiten (43 Prozent). Häu-
15   allerdings, dass Erwachsene Kinder nicht so gern                  figste Bestrafung der Eltern sind Fernsehverbote
     mögen. 72 Prozent der Kinder sagten, sie hätten                   (37 Prozent). Zehn Prozent der Kinder werden
     nur selten den Eindruck, dass sie Erwachsenen                     geschlagen. Die Befragung wurde im Auftrag
     auf die Nerven gingen. „Die große Mehrheit der               55   von „Ein Herz für Kinder“, der Hilfsaktion der
     Kinder kennt aus eigener Erfahrung keine Nach-                    „Bild“-Zeitung, durchgeführt.

     http://www.kinder-stark-machen.de/kinder-stark-machen.e/848_artikel.htm

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Lernstandserhebungen NRW 2004                                                         Deutsch Textheft: Wege zum Glück

     HAPPY – THALAMUS
     Gerhard Roth, Philosoph und Biologe, ist Leiter des Instituts für Hirnforschung an
     der Universität Bremen.
     Glück im Kopf. Beachte: Du kannst nur überleben, wenn du nicht zu oft glücklich bist. Dasselbe Glück er-
     lebst du nie zweimal und Arbeit lohnt sich.

     Versuchen Sie, sich an die glücklichsten Momen-                    glücklich war? Ich erhielt einen Preis, und fast
     te in Ihrem Leben zu erinnern! Es wird Ihnen                       tausend Menschen applaudierten minutenlang.
     nicht auf Anhieb gelingen. Die furchtbarsten Au-                   Da war ich überwältigt. Dieser rauschhafte Au-
     genblicke dagegen haben Sie sofort vor Augen,                 45   genblick, den unser Gehirn für uns bereithält,
 5   die brennen sich ein. Aus biologischer Sicht gibt                  entlohnt für alles. Für diese kurzen und seltenen
     es gute Gründe, warum das so ist. Ich beschäftige                  Momente trainieren und ackern wir oft jahrelang
     mich bei meiner Arbeit vor allem mit der Entste-                   und nehmen viel Frust auf uns. Je länger wir für
     hung von negativen Gefühlen und wie sie unser                      etwas gekämpft haben, desto stärker ist das
     Leben bestimmen. Dabei lerne ich viel über das                50   Glück, das wir empfinden. Das liegt daran, dass
10   Glück. Warum wir so selten glücklich sind und                      es im Gehirn einen Bewertungsapparat gibt, der
     so oft in Furcht? Ganz einfach. Weil die Furcht                    feststellt, wie sehr wir die Belohnung verdient
     für das Überleben wichtiger ist als das Glück. Ob                  haben. Je mehr, umso glücklicher.
     wir glücklich sind oder unglücklich - wir leben
                                                                        Glück kann man auch mit Drogen hervorrufen.
     trotzdem. Wenn wir aber bei Rot über eine Stra-
                                                                   55   Das Drogenglück kann so stark sein wie zehn
15   ße laufen, weil wir keine Furcht haben, werden
                                                                        Nobelpreise oder zehn Olympiasiege auf einmal -
     wir womöglich überfahren. Glück hat die unan-
                                                                        und das ist problematisch. Denn wenn man ein
     genehme Eigenschaft, dass es die Furcht und den
                                                                        solches Gefühl einmal erlebt hat, hat man eine
     Realitätssinn verdrängt. Deshalb sind die Stoffe,
                                                                        neue Vorstellung von Glück, die ohne Drogen
     die im Gehirn ein Glücksgefühl auslösen, viel
                                                                   60   nicht zu erreichen ist. Außerdem stellt das Gehirn
20   kurzlebiger als die, die uns in Furcht versetzen.
                                                                        fest, dass die Belohnung nicht verdient war. Es
     Wir sind nur lebensfähig, wenn wir nicht zu oft
                                                                        reagiert dann wie ein verwöhntes Kind, es will
     glücklich sind. Die Tragik unserer Existenz.
                                                                        die Belohnung immer wieder, ohne etwas dafür
     Chemisch gesehen sind die Stoffe, die in einem                     tun zu müssen. Nach häufigerem Konsum ruft
     Teil des Gehirns freigesetzt werden, Drogen wie               65   die Droge aber kein Glück mehr hervor, sondern
25   Ecstasy sehr ähnlich. Die Ausschüttung dieser                      betäubt nur noch das Unwohlsein. Auch eine tra-
     Stoffe kann man bei Testpersonen verfolgen. So                     gische Eigenschaft des Glücks: Es ist in dersel-
     gesehen ist Glück messbar. Je mehr hirneigene                      ben Form auf Dauer selbst mit Drogen nicht wie-
     Opiate ausgeschüttet werden, desto glücklicher                     derholbar. Wir sehnen uns ja alle nach vergange-
     sind wir. Das ist bei jedem gesunden Menschen                 70   nem Glück. Das Gehirn merkt sich jedoch, wenn
30   gleich. Leider ist dieser Zustand auch rein che-                   wir ein Glücksgefühl schon mal hatten. Beim
     misch nur von kurzer Dauer. Was den Einzelnen                      zweiten Mal ist es nicht mehr so stark. Auch da-
     einmal glücklich machen soll, bildet sich schon                    für gibt es einen biologischen Grund. Unser Un-
     früh in der Kindheit aus. Manche Kinder klam-                      bewusstes treibt uns so dazu, neue Dinge zu pro-
     mern sich an die Mutter, sind ängstlich, die ande-            75   bieren: neue Beziehungen zu haben, neue Berge
35   ren krabbeln herum, können gar nicht genug un-                     zu besteigen, neue Welten zu erforschen. Der
     terwegs sein. So findet der eine später sein Glück                 Mensch ist so verbreitet auf diesem Planeten,
     eher im stillen Kämmerchen, der andere in der                      weil er sehnsüchtig ist, immer auf der Suche.
     weiten Welt. Der eine kriegt den Kick bei der                      Auch aus diesem Grunde gibt es wohl kein end-
     Eroberung einer Frau oder eines Mannes, ein an-               80   gültiges Glück. Denn wenn es das geben würde,
40   derer beim Gewinn eines Nobelpreises oder bei                      würden wir wahrscheinlich gar nichts mehr ma-
     einem Olympiasieg. Das letzte Mal, als ich                         chen und aussterben.

     Roth, Gerhard: Happy – Thalamus In: Jetzt (Süddeutsche Zeitung) v. 13.05.2002

                                                                                                                        15
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