Versteckte Geschichten - Die Mysterien, Symbolik und Vergangenheit der Prager Wahrzeichen - Prague City Tourism

 
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Versteckte Geschichten - Die Mysterien, Symbolik und Vergangenheit der Prager Wahrzeichen - Prague City Tourism
versteckte
Geschichten

 Die Mysterien,
 Symbolik und
 Vergangenheit
 der Prager
 Wahrzeichen
 prague.eu
Versteckte Geschichten - Die Mysterien, Symbolik und Vergangenheit der Prager Wahrzeichen - Prague City Tourism
INHALT                                                                       Zur Einführung
                                                                             Es ist kein besonders origineller Vergleich, aber Prag ist wie
Zur Einführung  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 1       ein Buch – ein Buch illustrierter Geschichten. Zum Nachteil der
                                                                             Geschichten (und der Leser) sind die Illustrationen so fesselnd,
Karlsbrücke  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 2    dass eine Reihe von Personen das Buch nur schnell durchblättert
                                                                             und sich kurz von der Menge an Linien, Formen und Farben auf
Der heilige Johannes Nepomuk  .  .  .  .  .  .  .  .  . 6
                                                                             jeder Seite verzaubern lässt. Danach stellen sie das Buch zurück ins
Altstädter Brückenturm  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 8              Regal und beginnen, ein Neues durchzusehen.

Die Prager Astronomen Tycho Brahe                                            Das, was den Orten Tiefe und den Illustrationen Sinn gibt, sind aber
                                                                             die Geschichten. Prag ist voll von ihnen. Man muss zugeben, dass
und Johannes Kepler  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 10
                                                                             die Geschichten oft keine fröhlichen sind, sondern derb oder sogar
Die Hinrichtung der 27 böhmischen Herren  .  . 12                            morbide, aber wir finden in ihnen auch Geheimnisse, Versessenheit,
                                                                             Leidenschaft. Ohne sie ist Prag nur eine Ansammlung bunter
Die hebräischen Uhren                                                        Häuser, gefälliger Ausblicke, Straßenbahnen und Bier. Das ist nicht
                                                                             wenig – was würden einige andere Städte dafür geben! – aber
des jüdischen Rathauses  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 14
                                                                             unsere Stadt ist viel mehr.
Agneskloster  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 16
                                                                             Der Sinn dieser Broschüre ist es, Ihnen zumindest einen kleinen
Haus zur Schwarzen Mutter Gottes  .  .  .  .  .  .  . 18                     Teil des Texts, der in Prag – in den hiesigen Pflastersteinen, den
                                                                             Fassaden, Statuen, Brücken und Türmen – eingeschrieben ist, zu
Nationaldenkmal am Vítkov  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 20                zeigen.

Nicholas Winton  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 24
Jan Palach  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 26
Atombunker im Hotel Jalta  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 28
Statue des Hl. Wenzel
in der Lucerna-Passage  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 30
Karlovo náměstí/Platz
und das Neustädter Rathaus  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 32
Krypta der Kirche St. Cyrill und Method  .  .  .  . 36
Emmauskloster  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 38
Vyšehrad  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 40
Portheimka  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 44
Kirche des Hl. Erzengels Michael  .  .  .  .  .  .  .  . 48                                                                        Ke Hradu Straße

Schloss Stern  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 50
                                                                             p Informationen über die einzelnen Objekte finden Sie auf der
Ballhaus im Königsgarten  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 52              Webseite w prague.eu.

                                                                             Die Texte in dieser Broschüre bedienen sich der Dutzenden
Atelier des František Bílek  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 54
                                                                             Publikationen, die wir hier aus Platzgründen nicht anführen können.
Zeitmaschine – Metronom  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 56                  Denjenigen, die mehr über die Geschichte(n) Prags erfahren wollen,
                                                                             empfehlen wir eine Stadtbesichtigung mit einem unserer zertifizierten
Rudolfsstollen  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 58      Reiseführer. Sie finden sie auf w prague.eu/reisefuhrer.

                                                                                                                              Zur Einführung      1
Versteckte Geschichten - Die Mysterien, Symbolik und Vergangenheit der Prager Wahrzeichen - Prague City Tourism
1
     Karlsbrücke (Karlův most)                                      in der Mitte: 1-3-5-7-9-7-5-3-1. So entsteht eine numerologische
                                                                    Pyramide mit der Neun an der Spitze, die nach numerologischer
                                                                    Tradition noble menschliche Ideale symbolisiert und den
q Prag 1 – Altstadt, Kleinseite                                     Reichtum der Seele anstelle von materiellen Gütern vorzieht. Eine
y k Staroměstská k Malostranské náměstí                             Erwähnung wert ist auch die Anordnung der Planeten im Moment
k Karlovy lázně                                                     der Grundsteinlegung der Karlsbrücke. Alle damals bekannten
Die Karlsbrücke, eines der bedeutendsten Symbole Prags,             Planeten waren am Horizont in der astrologisch passendsten
hat eine einzigartige Atmosphäre, die Sie am besten in den          Position angeordnet – es kam zu einer Konjunktion (d. h. zwei
Morgenstunden genießen, noch bevor die Souvenirverkäufer und        Körper sind sich auf der Himmelssphäre am nächsten) der
Touristen kommen. Der Stifter der Brücke, der römische Kaiser       Sonne mit Saturn, was nach der mittelalterlichen Astrologie als
und böhmische König Karl IV., war ein Gelehrter und christlicher    glücklichster Augenblick des ganzen Jahres galt.
Mystiker, dessen lebenslange Anstrengung es war, aus Prag das
spirituelle und kulturelle Zentrum Europas zu machen. Alle seine    Die Steinbrücke über die Moldau, die den Namen Karls erst im
urbanistischen und architektonischen Errungenschaften waren         Jahre 1870 erhielt, war viele Jahre lang nur mit einem Holzkreuz in
bis ins Detail durchdachte Bestandteile eines größeren Planes,      der Mitte geschmückt. Die Barockstatuen Heiliger wurden erst im
immer in Übereinstimmung mit spirituellen und esoterischen          17. Jahrhundert auf der Brücke platziert. Nicht Auszulassen unter
Prinzipien. Der Bau der Steinbrücke war keine Ausnahme. Nach        den Statuenverzierungen ist die Statue des Hl. Johannes Nepomuk,
astrologischen Berechnungen zusammen mit numerologischen            des tschechischen Heiligen, der gefoltert und von der Brücke in die
wurde für die Grundsteinlegung der Brücke das Datum des 9. Juli     Moldau geworfen wurde (siehe S. 6). An den Ort erinnert heute eine
1357 um 5 Uhr und 31 Minuten gewählt, das ein gutes Schicksal       Gedenktafel.
und ewiges Währen sicherstellen sollte. Die Ziffern des Jahres,
Tags, Monats, der Stunden und Minuten bilden ein Palindrom (eine    p Sie können mehr über die Geschichte der Brücke im Karlsbrücke
Zahlen- oder Buchstabenfolge, die sich von beiden Seiten gleich     Muzeum erfahren.w muzeumkarlovamostu.cz
liest), in diesem Fall eine Ziffernreihe von Primzahlen mit der 9

Ein Palindrom
findet man auch
am Altstädter
Brückenturm
(siehe S. 8) und am
Neustädter Rathaus
(siehe S. 32)

 2    Prag:versteckte Geschichten                                                                      Prag:versteckte Geschichten   3
Versteckte Geschichten - Die Mysterien, Symbolik und Vergangenheit der Prager Wahrzeichen - Prague City Tourism
4   Prag:versteckte Geschichten   Statue von Karl IV. am Křížovnické
                                          Prag:versteckte                      5
                                                                     náměstí/Platz
                                                             Geschichten
Versteckte Geschichten - Die Mysterien, Symbolik und Vergangenheit der Prager Wahrzeichen - Prague City Tourism
Der heilige Johannes
 2                                                                    nicht. Es heißt, dass er sich weigerte, das Beichtgeheimnis der

Nepomuk
                                                                      Ehefrau des Königs, Sophie, zu verletzen, aber es existiert auch
                                                                      eine Version, nach der er Opfer eines Machtkampfes zwischen
                                                                      dem König und dem Prager Erzbischof wurde, gegen den er sich
Statue: q Nordseite der Karlsbrücke, Prag 1 – Altstadt                weigerte auszusagen. Johannes‘ Körper schwemmte der Fluss etwa
y k Staroměstská                                                      einen Monat später in der Nähe des Agnesklosters an und nach
                                                                      der Legende glühten fünf Sterne um seinen Kopf, die sein Attribut
Grab mit Grabstein: q Veitsdom (katedrála sv. Víta),                  wurden und mit denen er gewöhnlich dargestellt wird. Johannes
Prag 1 – Hradčany k Pražský hrad                                      wurde noch zu Lebenszeiten von Wenzel IV. im Veitsdom auf der
Statuengruppe: Národní třída 8, Prag 1 – Neustadt                     Prager Burg bestattet. Sein Grab ist dank des mächtigen silbernen
k Národní divadlo                                                     Grabmals unübersehbar.

Statue auf der Karlsbrücke                                            Johannes wurde im Jahre 1729 auf Basis von vier anerkannten
                                                                      Wundern heiliggesprochen. Bekannt ist der Fund nicht verwesten
                                                                      organischen Materials in Johannes‘ Schädel, das für Johannes‘
                                                                      Zunge gehalten wurde – Beweis dafür, dass er das Beichtgeheimnis
                                                                      nicht brach. Später wurde jedoch festgestellt, dass es sich um einen
                                                                      Teil des Hirngewebes handelte. Dieses wird in der Kirche am Grünen
                                                                      Berg (kostel na Zelené Hoře) bei Žďár nad Sázavou aufbewahrt,
                                                                      die direkt als Reliquiar für die Zunge des Hl. Johannes Nepomuk
                                                                      errichtet wurde. Die auf die Liste des UNESCO Kulturerbes
                                                                      eingetragene Kirche ist ein Werk des genialen Barockarchitekten
                                                                      Jan Blažej Santini-Aichel. Die Symbolik der Zunge und der Sterne
                                                                      wiederholen sich im Kirchenbau viele Male.

                                                                      Johannes Nepomuk ist einer der tschechischen Landespatronen.
                                                                      Er ist auch Patron der Brücke, aller Leute des Wassers und
                                                                      sogar der italienischen Stadt Venedig und der venezianischen
                                                                      Gondoliere. Seine Statue auf der Karlsbrücke ist eines der Zentren
                                                                      des Nepomukkults und jedes Jahr am Vorabend des Feiertags
                                                                      dieses Heiligen am 15. Mai wird bei ihr in Anwesenheit des
                                                                      Prager Erzbischofs eine Andacht vollzogen. Mit den Feiern ist
Die Statue des tschechischen Landespatronen Johannes Nepomuk          ein Musikauftritt auf Booten auf der Moldau bei der Karlsbrücke
ist die bedeutendste und beliebteste Statue der Karlsbrücke.          verbunden.
Tagsüber kann man sie praktisch nicht verfehlen, weil sie
                                                                      Markierung des Orts, von dem aus
gewöhnlich von einer Menge an Touristen umringt ist, die geduldig
                                                                      Johannes Nepomuk in die Moldau geworfen wurde
auf die Chance warten, ihren Sockel zu berühren, in der Hoffnung,
dass ihnen dies Glück bringe. Genauso beliebt ist das Bronzekreuz,
das ein Stück weiter in Richtung der Altstadt in das Geländer der
Brücke eingesetzt ist, angeblich an dem Ort, von wo aus Johannes
Nepomuk nach seinem Tod in die Moldau geworfen wurde.

Johannes Nepomuk ist von allen tschechischen Heiligen auf der
Welt der beliebteste. Seine Geschichte sowie die Legende, die nach
seinem Märtyrertod entstand, sind allgemein gut bekannt. Lange
glaubte man, dass dieser Priester hingerichtet wurde, indem man
ihn in einem zugenähten Sack von der Karlsbrücke warf, weil er sich
beim Verhör weigerte zu sprechen. Bei der späteren Untersuchung
seiner Überreste zeigte sich allerdings, dass er an den Folgen
eines Schlags gegen den Kopf starb, noch bevor er ins Wasser
geworfen wurde, wahrscheinlich während der durch König Wenzel
IV. angeordneten Folter. Was genau Johannes sich weigerte zu
verraten und wofür ihn so eine Strafe ereilte, weiß man allerdings

 6     Prag:versteckte Geschichten                                                                          Prag:versteckte Geschichten   7
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  Altstädter Brückenturm                                               Deckenfresko repräsentiert wird. Am Fresko fesselt die Darstellung

(Staroměstská mostecká věž)
                                                                       des Eisvogels im Liebesknoten. Dasselbe Symbol wiederholt sich
                                                                       auch in der Skulpturenverzierung an der Fassade des Turms. Es
                                                                       handelt sich um das persönliche Zeichen des Königs Wenzel IV. und
q Karlsbrücke, Prag 1 – Altstadt                                       auch der Baderzunft. Nach der Legende half die Baderin Zuzana
y k Staroměstská                                                       dem König bei der Flucht aus der Gefangenschaft und danach
                                                                       entwickelte sich eine tiefere Gefühlsverbindung zwischen ihnen.
                                                                       Die weniger poetische Erklärung besagt, dass der Eisvogel im
                                                                       Liebesknoten nur das Bausymbol von Wenzel IV. ist und auch auf
                                                                       anderen Gebäuden im Land auftaucht. Von der „menschlichen und
                                                                       sündigen“ Statuenverzierung der irdischen Sphäre ist die heitere
                                                                       und leicht erotische Plastik des Ritters und der Ordensschwester,
                                                                       dessen Hand wir unter ihrem Rock finden, eine Erwähnung wert. Die
                                                                       unsittlichen Motive finden sich auch an weiteren Prager Türmen,
                                                                       zum Beispiel dem Pulverturm (Prašná brána).

                                                                       Etwas weiter oben, unter dem Sims des Turms finden wir weiters
                                                                       die Mondsphäre mit den Zeichen der Länder, die seinerzeit zu
                                                                       den Ländern der Tschechischen Krone gehörten. In der folgenden
                                                                       Sonnensphäre des Turms befinden sich Kaiser Karl IV. und König
                                                                       Wenzel IV. wie sie dem Heiligen Veit Tribut zollen. Der obere Teil des
                                                                       Turms gehört dann der Himmelssphäre. Aus dieser Kugel blicken
                                                                       die tschechischen Patronen Hl. Adalbert und Hl. Sigismund auf das
                                                                       Land herab. Wir sollten auch nicht die sogenannte magische Falle
                                                                       vergessen, die sich unter dem Dach des Turms befindet. Es handelt
                                                                       sich um ein Palindrom (siehe das Kapitel Neustädter Rathaus, S. 32
                                                                       und Karlsbrücke, S. 2), also einen Satz der sich von beiden Seiten
Das sogenannte Prag der hundert Türme spricht nicht nur mit            gleich liest. Die magische Formel lautet: SIGNA TE SIGNA TEMERE
seinen Palais, Kirchen und Statuen aus der Tiefe der Geschichte,       ME TANGIS ET ANGIS. ROMA TIBI SUBITO MOTIBUS IBIT AMOR.
sondern auch mit seinen Türmen. Einer der bemerkenswertesten           (Die Formel basiert auf der Legende vom Hl. Martin, der auf der
ist der Altstädter Brückenturm auf der Karlsbrücke. Der 47 Meter       Reise nach Rom vom Teufel auf die Probe gestellt wurde. Übersetzt:
hohe Turm aus dem 14. Jahrhundert ist mit vielen Symbolen              „Bekreuzige dich, bekreuzige dich, vergeblich berührst und quälst
„beschrieben”, die es wert sind, sie nach und nach zu finden. Auf      du mich. Rom, zu dir wird durch Bewegungen plötzlich die Liebe
den ersten Blick fasziniert die horizontale Gliederung des Turms       kommen.“). Die magische Falle sollte den Turm vor allem Bösen
in vier Teile, wobei jeder anders verziert ist und eine andere ideo-   schützen, genau wie auch bei dem Palindrom der Karlsbrücke und
logische Bedeutung hat. Der untere Teil heißt Erdsphäre, die vom       des Neustädter Rathauses.
gotischen Turmdurchgang und dem Netzgewölbe mit dem reichen

8     Prag:versteckte Geschichten                                                                          Prag:versteckte Geschichten    9
Versteckte Geschichten - Die Mysterien, Symbolik und Vergangenheit der Prager Wahrzeichen - Prague City Tourism
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  Die Prager Astronomen Tycho                                          dass die Trauerrede am Grab von Tycho Brahe in der Teynkirche

Brahe und Johannes Kepler
                                                                       von Jan Jessenius gehalten wurde, einem angesehenen Arzt und
                                                                       Rektor der Karlsuniversität, der zwanzig Jahre später einer der
                                                                       böhmischen Herren war, die am Altstädter Ring hingerichtet wurden
Grabstein von Tycho Brahe q Kirche der Jungfrau Maria                  (siehe das Kapitel Hinrichtung der böhmischen Herren, S. 12 ). Auf
vor dem Teyn (chrám Matky Boží před Týnem), Altstädter                 dem Grabstein ist der kaiserliche Hofastronom in Ritterkleidung
Ring (Staroměstské náměstí) y Staroměstská                             abgebildet, und dem scharfen Auge entgeht auch die Abbildung
                                                                       von Brahes künstlicher Nase nicht. Ihre Spitze verlor er nämlich
Statuengruppe q Parléřova 2, Prag 1 – Hradčany,                        bei einem Duell in Dänemark und seit damals verwendete er eine
k Pohořelec                                                            silber-goldene Prothese, die immer sorgfältig mit Spezialkleber
                                                                       befestigt war. An die beiden Größen erinnert in Prag heute auch
                                             © Kajano / Shutterstock
                                                                       eine gemeinsame Statuengruppe in Pohořelec vor dem Jan-Kepler-
                                                                       Gymnasium.

                                                                       Ein modernes
                                                                       Observatorium
                                                                       Tycho Brahes befand
                                                                       sich in Benátky nad
                                                                       Jizerou, wo ideale
                                                                       Bedingungen für die
In der imposanten Kirche der Jungfrau Maria vor dem Teyn               Beobachtung des
am Altstädter Ring befindet sich das Grab des bedeutenden              Sternenhimmels
dänischen Astronomen Tycho Brahe, der als der beste Kenner des         herrschten.
Sternenhimmels seiner Zeit angesehen wurde. Brahe kam auf
Einladung von Kaiser Rudolf II. im Jahr 1599 nach Prag und ein
wenig außerhalb von Prag ließ er sich ein modernes Observatorium
errichten, wo auch eine alchemistische Werkstätte nicht fehlte -
seine zweite große Leidenschaft nach der Astronomie. Ein Jahr
später traf Brahe auf einen weiteren Astronomen, Johannes Kepler.
In ihren Meinungen unterschieden sich die beiden Wissenschaftler,
trotzdem trug ihre Zusammenarbeit auch ihre Früchte. Brahe vertrat
die Ansicht, dass die Sonne sich um die Erde dreht, wobei sich die
anderen Planeten um die Sonne drehen. Im Gegensatz dazu neigte
sich Kepler der heliozentrischen Ordnung des Universums zu (der
Mittelpunkt des Universums ist die Sonne, um die sich die Planeten
drehen, siehe Kapitel Schloss Stern, S. 50). Erwähnenswert ist,         Der Grabstein Tycho Brahes in der Teynkirche

10    Prag:versteckte Geschichten                                                                               Prag:versteckte Geschichten   11
Versteckte Geschichten - Die Mysterien, Symbolik und Vergangenheit der Prager Wahrzeichen - Prague City Tourism
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 Die Hinrichtung                                              Auf der imposanten Fläche des Altstädter Rings befinden sich

der 27 böhmischen Herren
                                                              neben dem Rathausturm im Pflaster des Gehwegs 27 weiße Kreuze
                                                              mit eingezeichneten Jahreszahlen. Es handelt sich um Gedenken
                                                              an 27 böhmische Adelige und Bürgerliche, die an diesem Ort am 21.
Kreuze am Altstädter Ring                                     Juni 1621 hingerichtet wurden. Die Hinrichtung war ein Racheakt für
q Staroměstské náměstí, Prag 1 – Altstadt                     den böhmischen Ständeaufstand in den Jahren 1618-1620, im Laufe
y Staroměstská                                                dessen sich die böhmischen Adeligen offen gegen die herrschende
                                                              Habsburgerdynastie stellten; Kern des Konflikts waren sowohl
Poller vor dem Palais Liechtenstein (Lichtenštejnský palác)   politische als auch religiöse Unstimmigkeiten. Die widerspenstigen
q Malostranské náměstí 13, Prag 1 – Kleinseite                böhmischen Stände, großteils protestantischen Bekenntnisses,
k Malostranské náměstí                                        wurden nach einigen Konflikten durch das katholische Heer von
                                                              König Ferdinand II. von Habsburg in der Schlacht am Weißen
 Altstädter Ring                                              Berg im Jahre 1620 besiegt. Am Altstädter Ring wurden danach
                                                              bedeutende Vertreter des habsburgerfeindlichen Lagers aus den
                                                              Reihen der böhmischen Adeligen, Ritter und Bürger öffentlich
                                                              hingerichtet. (Einer der hingerichteten war auch der Rektor
                                                              der Karlsuniversität Jan Jessenius, der 20 Jahre zuvor die
                                                              Trauerrede am Grab von Tycho Brahe hielt, siehe Kapitel Die Prager
                                                              Astronomen, S. 10).

                                                              Auf die demonstrativ vollzogene Hinrichtung, die einen
                                                              vernichtenden Effekt auf den Rest der Bevölkerung hatte, folgte
                                                              eine harte Rekatholisierung und mit ihr verbunden eine Welle
                                                              der Emigration protestantisch denkender Gebildeter, Bürger und
                                                              Adeliger; die Länder Tschechiens kamen damals um einen großen
                                                              Teil ihrer Elite.

                                                              Zusammen mit den 27 Kreuzen am Altstädter Ring erinnern an
                                                              dieses tragische Ereignis der tschechischen Geschichte auch die
                                                              ungewöhnlichen figuralen Poller am Malostranské náměstí/Platz
                                                              vor dem Palais Liechtenstein – in dessen Mauern schließlich über
                                                              das Schicksal der böhmischen Herren entschieden worden war.
                                                              Die Metallpoller sind ein Werk des tschechischen Bildhauers Karel
                                                              Nepraš und wurden hier im Jahre 1993 installiert.

                                                              Malostranské náměstí/Platz

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 Die hebräischen Uhren                                                                  © Yurlick / Shutterstock

des jüdischen Rathauses
q Maiselova 18, Prag 1 – Altstadt
y Staroměstská k Právnická fakulta
Über Jahrhunderte hinweg wurde der Charakter Prags vom
Zusammenleben dreier Kulturen geprägt – der tschechischen,
der deutschen und der jüdischen. Vom damaligen jüdischen
Viertel ist nur der Torso bis in die heutige Zeit erhalten geblieben,
nichtsdestotrotz sind die Gebäude der Synagogen und die übrigen
Bauten ein aussagekräftiges Zeugnis der einstigen Bedeutung
der Prager jüdischen Gemeinschaft. Die ersten Erwähnungen
des jüdischen Rathauses werden auf das 16. Jahrhundert datiert.
Das Gebäude durchlief einige bauliche Adaptierungen, während
derer es auch einen Rokokoturm und zwei Uhren erhielt. Das
Ziffernblatt der ersten Uhr ist mit römischen Ziffern beschriftet
und die Zeit vergeht auf ihr so wie bekannt. Das zweite Ziffernblatt
hat seine Zeitangaben im hebräischen Alphabet eingezeichnet
und die Uhrzeiger gehen in die entgegengesetzte Richtung. Das
Prinzip ist dasselbe wie bei hebräischem Text, der von rechts nach
links gelesen wird. Der hebräische Buchstabe „Aleph“, der dem
numerischen Wert der Zahl 1 entspricht, befindet sich daher an
der Stelle, wo auf Uhren mit römischen Ziffern die Zahl 11 ist. Der
Buchstabe „Beth“ bezeichnet die Zahl 2 und steht auf der Position
der Zahl 10, usw. Die Uhren wurden in der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhundert angefertigt und es handelt sich um eine der ältesten
hebräischen Uhren in Europa.

                               Altneu-Synagoge vor dem jüdischen Rathaus

                  Eine Erwähnung wert ist die interessante Tatsache,
                  dass die Prager bzw. die tschechische jüdische
                  Gemeinde im Mittelalter zur Kommunikation
                  neben Hebräisch auch das sogenannte Knaaisch
                  (Leshon Knaan) verwendete, was Alttschechisch
                  umgeschrieben in hebräische Zeichen ist. Ein
                  ähnliches Sprachsystem betraf generell alle
                  slawischen Sprachen, wobei im Alttschechischen
                  die meisten schriftlichen Belege erhalten geblieben
                  sind. Fragen Sie Ihren Reiseführer im Jüdischen
                  Museum w jewishmuseum.cz
14    Prag:versteckte Geschichten                                          Prag:versteckte Geschichten      15
Versteckte Geschichten - Die Mysterien, Symbolik und Vergangenheit der Prager Wahrzeichen - Prague City Tourism
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  Agneskloster                                                        Das Kloster und die nahegelegene Kirche (kostel sv. Haštala) waren

(Anežský klášter)
                                                                      jahrhundertelang das Herz des heute bereits verschwundenen
                                                                      Armenviertels Na Františku, dessen ursprünglichen Charakter
                                                                      wir heute bei einem Spaziergang durch die engen Gassen, die es
q Anežská 12, Prag 1 – Altstadt                                       umgeben, nur erahnen können. Gerade die Kirche des Hl. Kastulus
k Dlouhá třída w ngprague.cz                                          (kostel sv. Haštala) war laut historischer Quellen einer der Orte, an
                                                                      dem sich Agnes’ Überreste befinden könnten. Eine archäologische
Am nördlichen Ende der Altstadt, abseits der Touristenströme
                                                                      Untersuchung, die hier im Jahre 2010 stattfand, widerlegte dies
nahe der Moldau, liegt einer der ältesten heiligen Orte der Stadt
                                                                      jedoch.
Prag, das historische Agneskloster. Es trägt den Namen der
Přemyslidenprinzessin Agnes, die es, inspiriert von den Ideen des
                                                                      Heutzutage ist das Kloster der Hl. Agnes Teil der Nationalgalerie
Hl. Franziskus und der Hl. Klara, in den Dreißigerjahren des 13.
                                                                      in Prag. Hier befinden sich phänomenale Sammlungen
Jahrhunderts zusammen mit ihrem Bruder, dem böhmischen König
                                                                      mittelalterlicher Kunst inklusive einer haptischen Exposition;
Wenzel I. gründete. Agnes Přemyslovna, die die erste Vorsteherin
                                                                      Sie finden hier auch eine Kindern gewidmete Route und eine
des Klosters war, war eine außergewöhnliche Persönlichkeit und
                                                                      spezielle bildnerische Werkstätte. Die Gebäude des Klosters, die
dank ihrer Frömmigkeit und großzügigen Wohltätigkeit wurde sie
                                                                      man – außer der Exposition – gratis besuchen kann, sind von
bereits zu Lebzeiten als Heilige verehrt. Im Laufe ihres Lebens
                                                                      einem Komplex charmanter Gärten umgeben. Diese werden jeden
wurde das Kloster zu einem bedeutenden geistlichen Zentrum.
                                                                      Sommer zum Schauplatz des Festivals Anežka Live!, das Vorträge,
Teil des Klosters war das Spital Na Františku, das vor allem als
                                                                      Workshops, Treffen, Filmvorführungen, Yogastunden und weitere
Zufluchtsort für die Armen diente, denen hier neben grundlegender
                                                                      Veranstaltungen beinhaltet.
Gesundheitsversorgung vor allem auch seelsorgerische Dienste,
inklusive dem Abnehmen der Beichte, der letzten Ölung und
einem christlichen Begräbnis, zur Verfügung gestellt wurden.
Außerdem wurde das Kloster auch als Königsgruft der Přemysliden
errichtet. Nach ihrem Tod im Jahr 1282 wurde Agnes in einem
einfachen Grab in der Jungfrau-Maria-Kapelle (kaple Panny
Marie) des Klosters begraben und ihre leiblichen Überreste,
denen wundersame Wirkungen zugeschrieben wurden, wurden
Gegenstand eines allgemeinen Kults. Der Legende nach wurden
sie später in eine Holztruhe gelegt, die die Franziskaner am Beginn
der Hussitenrevolution im 15. Jahrhundert forttrugen und an einem
unbekannten Ort versteckten. Nach einer alten Prophezeiung
beginnen in den Ländern Tschechiens glückliche Zeiten, wenn
Agnes’ Überreste gefunden werden.

Gärten des Agnesklosters

                                                                                                   Agneskloster – Kirche des Hl. Franz von Assisi

16    Prag:versteckte Geschichten                                                                         Prag:versteckte Geschichten          17
8
 Haus zur Schwarzen Mutter
Gottes (Dům U Černé Matky Boží)
q Celetná 43, Prag 1 – Altstadt
y náměstí Republiky w czkubismus.cz
Beim Betreten der Prager Altstadt an der Ecke der Celetná Straße
und des Obstmarktes (Ovocný trh) befindet sich ein unübersehbares
Gebäude im kubistischen Stil mit einer Statue der Schwarzen
Madonna mit Kind hinter einem goldenen Gitter, nach der es
benannt ist. Während das Haus in den Jahren 1911–1912 errichtet
wurde, wird die Madonnenstatue auf das 17. Jahrhundert datiert
und war laut historischen Quellen auch Teil des vorhergehenden
Gebäudes.

Das Phänomen der schwarzen Mütter Gottes ist bisher nicht
eindeutig geklärt, aber generell überwiegt die Meinung, dass es
sich um eine Anknüpfung an den heidnischen Kult der Mutter Erde
handelt (wo die schwarze Farbe das Geheimnis der jungfräulichen
Fruchtbarkeit der Erde symbolisiert) und die Ehrung der Göttinnen-
Mütter als solcher, für die der Kult der ägyptischen Göttin Isis,
die den Gott Hora im Arm hält, ein Beispiel ist. Eine Erwähnung       Das Haus zur Schwarzen
sicherlich wert ist, dass auf vielen Statuen von Isis und Statuen     Mutter Gottes ist das erste
der schwarzen Madonnen diese Inschrift steht: „Virgini pariturae“     kubistische Haus in Prag und
(Der Jungfrau, die niederkommen soll). Nach Europa wurde              wurde nach dem Entwurf des
dieser orientalische Kult wahrscheinlich von den Rittern des          berühmten tschechischen
Templerordens gebracht. Es ist scheinbar kein Zufall, dass die        Architekten Josef Gočár
Prager Schwarze Mutter Gottes direkt auf das gegenüberliegende        errichtet. Heute befindet
Haus/dům V Templu, den ehemaligen Prager Sitz des                     sich hier das Museum des
Templerordens, blickt.                                                tschechischen Kubismus und
                                                                      im ersten Stock das stylische
Die Originalstatue befindet sich in der Galerie der Hauptstadt Prag   Kaffeehaus Grand Café
im Objekt Haus zur Steinernen Glocke (Dům U Kamenného zvonu).         Orient.
w en.ghmp.cz/stone-bell-house                                                                                © Atmosphere1 / Shutterstock

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9
  Nationaldenkmal am Vítkov                                           Zweite Weltkrieg änderten jedoch bald alles. Das Denkmal wurde

(Národní památník na Vítkově)
                                                                      besetzt und auf Anweisung des Reichsprotektors versiegelt.

                                                                      Nach dem Kriegsende begannen die Reparaturen. Im Jahr 1948
q U Památníku 1900, Prag 3 – Žižkov                                   kamen in der Tschechoslowakei jedoch die Kommunisten an die
j U Památníku y Křižíkova w nm.cz                                     Macht und das neue Regime dachte sich einen neuen Zweck für
                                                                      das Denkmal aus – es sollte nach Moskauer Vorbild zu einem
Nur wenige Bauten schaffen es, so starkes Zeugnis über ihre Zeit
                                                                      Mausoleum für den ersten kommunistischen Präsidenten Klement
abzugeben wie das Nationaldenkmal am Vítkov. Die tschechische
                                                                      Gottwald werden. (Die Mumifizierung gelang jedoch trotz der
nationale Wiedergeburt im 19. Jahrhundert sehnte sich nach den
                                                                      Assistenz sowjetischer Experten nicht und Gottwald musste eilig
Mythen der nationalen Autonomie und das neu errichtete Prager
                                                                      begraben werden.) Heute bringt die Exposition Laboratorium der
Viertel Žižkov wurde zu einem großen Verweis auf die tschechische
                                                                      Macht in den unterirdischen Räumlichkeiten des Denkmals die
Vergangenheit. Die Žižkover Straßen wurden nach hussitischen
                                                                      dunklen Zeiten des Kommunismus näher.
Kriegsführern benannt, die Häuser mit ihren idealisierten Portraits
verziert. Die nahegelegene Anhöhe des Hügels Vítkov sollte ein
                                                                      Einen Besuch wert sind der imposante dreischiffige Marmorfestsaal
mächtiges Denkmal Jan Žižkas zieren, das ganz Prag dominieren
                                                                      im Art Deco Stil, das Kolumbarium sowie die Kapelle der Gefallenen.
würde.
                                                                      Im Jahr 1950 wurde vor dem Denkmal dann die Statue des legendären
                                                                      Kriegsführers Jan Žižka platziert, eine der größten Reiterstatuen auf
Das Nationaldenkmal, heute eine der Aussichtsdominanten Prags,
                                                                      der Welt; der Schweif des Pferdes alleine wiegt 400 kg.
wurde letztendlich auch zu Ehren der tschechoslowakischen
Legionäre aus dem 1. Weltkrieg und zur Feier der Entstehung der
                                                                      Heute befindet sich im Denkmal eine kriegshistorische Exposition
Tschechoslowakei gebaut. Im Jahr 1928 wurde der Grundstein
                                                                      des Nationalmuseums. Die Besucher haben gleichzeitig die
gelegt, das Gebäude wurde der Öffentlichkeit jedoch erst 1938
                                                                      Möglichkeit, bis ganz an die Spitze des Denkmals zu steigen, von wo
übergeben. Die Nazibesatzung der Tschechoslowakei und der
                                                                      aus sich ein 360-Grad-Ausblick auf das Panorama Prags bietet.

20    Prag:versteckte Geschichten                                                                                 © Atmosphere1
                                                                                                          Prag:versteckte                  21
                                                                                                                                / Shutterstock
                                                                                                                          Geschichten
22   Prag:versteckte Geschichten   Prag:versteckte Geschichten   23
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     Nicholas Winton                                                    des BCRC, Martin Blake, seinen Freund Nicholas Winton, nach
                                                                        Prag zu fahren und dem Prager Büro des BCRC zu helfen, die
                                                                        Kindertransporte zu organisieren. Für jedes Kind unter 17 Jahren
q Wilsonova 8, Prag 2 – Vinohrady                                       war eine Ersatzfamilie in Großbritannien und eine Kaution von 50
y k Hlavní nádraží                                                      Pfund nötig. Danach war es kein Problem mehr, ein britisches Visum
Zwei Denkmäler am Prager Hauptbahnhof erinnern an eine der              und eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Nach der Abfahrt
ergreifendsten Geschichten des Zweiten Weltkriegs. Sir Nicholas         aus Prag organisierte Winton diese Adoptionen bereits von London
Winton (1909–2015) war ein britischer Börsenmakler und                  aus. Neben seiner normalen Arbeit suchte er dort Ersatzfamilien,
humanitärer Helfer, der im Jahre 1939 669 großteils jüdische Kinder     erledigte die Adoptionen auf den Ämtern und erhielt Beiträge für
aus den okkupierten Gebieten der Tschechoslowakei vor dem               die Kautionen. In Prag sammelte der neue Leiter der Prager Filiale
Transport ins Konzentrationslager rettete, indem er die Zugfahrt ins    des BCRC Trevor Chadwick die notwendigen Dokumente von den
Vereinigte Königreich ermöglichte.                                      Eltern und holte die Ausreisegenehmigungen von den deutschen
                                                                        Besatzungsämtern ein, unter ständiger Überwachung durch die
                                         Statuengruppe am Bahnsteig 1   Gestapo.

                                                                        Winton und seinen Kollegen gelang es von März bis August
                                                                        1939 acht Transporte zu organisieren. Der letzte erfolgreiche
                                                                        Kindertransport wurde am 2. August 1939 durchgeführt, wodurch
                                                                        die Gesamtzahl der geretteten Kinder 669 erreichte. Nicholas
                                                                        Winton erachtete seine Tätigkeit als nichts Besonderes und sprach
                                                                        nach dem Krieg selbst nicht darüber. Erst im Jahre 1988 machte
                                                                        die Historikerin Elizabeth Maxwell sie öffentlich. Nicholas Winton
                                                                        wurde in die Sendung BBC That’s Life eingeladen, wo er erstmals
                                                                        seit dem Krieg dutzende der von ihm geretteten damaligen
                                                                        jüdischen Kinder traf.

                                                                        Die Statuen von Sir Nicholas Winton mit zwei Kindern befinden
                                                                        sich am 1. Bahnsteig des Hauptbahnhofs, ergänzt von einer
                                                                        Tafel: „Mit tiefer Dankbarkeit Sir Nicholas Winton und allen
                                                                        mitfühlenden Menschen gewidmet, die mit acht Zugtransporten
                                                                        nach Großbritannien im Jahre 1939 669 Kinder vor den Schrecken
                                                                        des Zweiten Weltkriegs retteten und als Denkmal den 15 131
                                                                        tschechoslowakischen in den Konzentrationslagern ermordeten
                                                                        Kindern“.

                                                                        Seit Mai 2017 ist in der Unterführung zu den Bahnsteigen eine
                                                                        weitere mit Sir Winton verbundene Erinnerung zu sehen. Das
                                                                        Denkmal Abschied, das sich drei der „Winton-Kinder“ ausdachten,
                                                                        gedenkt der Liebe und dem Entschluss der Eltern, deren schwierige
                                                                        Entscheidung, ihre Kinder ins Ungewisse zu schicken, deren Leben
                                                                        rettete. Das Denkmal besteht aus einer Replik einer Zugtür mit
                                                                        den Abdrücken von Händen von Kindern und Eltern. Gerade die
                                                                        Erinnerung an die Eltern und Kinder, die ihre Hände an das Glas der
                                                                        Türen drückten, ist für die Gedenkenden am stärksten.

Nach der Machtergreifung der Nazis entstanden einige
Organisationen, die den Verfolgten halfen, aus Deutschland und
den okkupierten Gebieten zu emigrieren. Eine davon war das
Britische Kommittee für Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei
(British Committee for Refugees from Czechoslovakia, BCRC).
Neben finanzieller Hilfe versuchten diese Organisationen, mit den
Ämtern der Staaten, welche bereit waren Flüchtlinge aufzunehmen,
zu verhandeln. Im Dezember 1938 bat einer der Mitarbeiter

24    Prag:versteckte Geschichten                                                                          Prag:versteckte Geschichten     25
                                                                                                                            Denkmal Abschied
11
     Jan Palach                                                           a Dům matky) zum Himmel, dessen Urheber der amerikanische
                                                                          Architekt mit tschechischen Wurzeln John Hejduk ist.

Denkmal Jan Palachs/Kreuz q Václavské náměstí, Gehweg                     Als Ort der letzten Ruhestätte Jan Palachs wurde ein Grab auf den
vor dem Brunnen des Nationalmuseums, Prag 1 – Neustadt                    Olšany-Friedhöfen ausgewählt, das zu einem wirklichen Pilgerort
y Muzeum                                                                  wurde. Dies gefiel allerdings der kommunistischen regierenden
Gedenktafel Jan Palachs q Philologische Fakultät                          Garnitur nicht, die Palachs Körper exhumierte, einäscherte und
                                                                          aus Prag heraustransportierte. Die feierliche Rückkehr auf die
der Karlsuniversität, náměstí Jana Palacha 2,
                                                                          Olšany-Friedhöfe erfolgte erst nach der Samtenen Revolution unter
Prag 1 – Altstadty k Staroměstská
                                                                          Teilnahme des Präsidenten der Republik Václav Havel. Die bronzene
Haus der Mutter und Haus des Sohnes (Dům matky a Dům                      Grabplatte ist ein Werk des bekannten tschechischen Bildhauers
syna) – Jan Palach Denkmal (památník Jana Palacha)                        Olbram Zoubek.
q Alšovo nábřeží, Prag 1 – Altstadt y k Staroměstská
Der Versuch, in der kommunistischen Tschechoslowakei einen
reformativen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ aufzubauen,
endete mit dem Einfall der Warschauer Truppen im August 1968.
                                                                          Das Grab Jan Palachs
Eine Reihe von Tschechoslowaken emigrierte, die, die blieben,
                                                                          befand sich nach dem
resignierten entweder, oder sie versuchten, mit dem neuen Regime
                                                                          Abtransport von den
auszukommen. Der zwanzigjährige Student Jan Palach konnte sich
                                                                          Olšany-Friedhöfen in
mit der zunehmenden Apathie der Gesellschaft nicht abfinden. Um
                                                                          Všetaty.
seine Mitbürger aufzurütteln, entschied er sich zu einer radikalen
Tat und am 16. Januar 1969 übergoss er sich nahe der Statue des
Hl. Wenzel am Wenzelsplatz mit Benzin und zündete sich an. An
den Folgen seiner Tat starb er einige Tage später. Seine drastische
Tat erschütterte die Gesellschaft und inspirierte letztendlich einen
Nachahmer, Jan Zajíc – den Strom der Geschichte umzukehren
schaffte er jedoch nicht.

                                           © Peter Zurek / Shutterstock

Palachs Name war bis ins Jahr 1989, als das kommunistische
Regime fiel, tabu. Heute erinnern in Prag gleich drei Denkmäler
an seine Tat. Ein Bronzekreuz im Pflaster des Gehwegs vor dem
Nationalmuseum kennzeichnet unauffällig den Ort, an dem sich
Palach verbrannte. Eine Gedenktafel mit der Totenmaske ist an der
Fassade der Philologischen Fakultät, wo Palach studierte, platziert;
der Platz trägt heute Palachs Namen. Und schließlich ragt ein paar
Schritte von hier das skulpturale metallene Doppelmahnmal mit
                                                                                   Haus des Sohnes und Haus der Mutter © LALS STOCK / Shutterstock
dem Namen Haus des Sohnes und Haus der Mutter (Dům syna

26    Prag:versteckte Geschichten                                                                              Prag:versteckte Geschichten      27
12
     Atombunker im Hotel Jalta
q Václavské náměstí 45, Prag 1 – Neustadt
y Muzeum, Můstek k Václavské náměstí
w hoteljalta.com
Der Wenzelsplatz war oft Zeuge dramatischer Augenblicke
der Geschichte. Im Mai 1945, direkt vor der Niederlage
Nazideutschlands, griffen Flugzeuge der Luftwaffe das Zentrum der
Stadt mit Brandbomben an. Nach dem Krieg sollten die zerstörten
Häuser in der Mitte des Wenzelsplatzes schnell mit Neubauten
ersetzt werden.

Eines davon entstand in den Jahren 1954 – 1958 und trat als
Luxushotel Jalta ins Bewusstsein der Prager. Der dekorativ
aufgefasste Bau fesselt vor allem mit seiner reichen Verkleidung
der Fassade. Sein Urheber, der Architekt Antonín Tenzer, hatte
seinerzeit einen bedeutenden Unterstützer in der Person des
kommunistischen Präsidenten Antonín Zápotocký. Der Politiker,
Steinmetz von Beruf, beteiligte sich letztendlich sogar an der
Auswahl des hochwertigsten Marmors und Travertins. Auch
die bildhauerische Verzierung wurde mit einer großen Portion
Geschmack geschaffen. Die Luxuseinrichtung inkludierte
die gläsernen Reliefs von Stanislav Libenský, elegante                    Museum des Kalten Kriegs © Jalta Boutique Hotel
Keramikverkleidung und handgegewebte Textilien.

Ein Detail, von dem die damalige Öffentlichkeit allerdings keine
Ahnung hatte, war der weitläufige unterirdische Atombunker für
die Vertreter der kommunistischen Macht. Er war für 250 Personen
bestimmt, mit einem Operationssaal, einem Wasserreservoir sowie
Räumlichkeiten für den Kriegsstab ausgestattet. Im Untergeschoss
war eine Abhöreinrichtung der Telefone der einzelnen Zimmer
installiert, um deren Betrieb sich die Geheimdienste „kümmerten“.
Heute befindet sich in diesem Teil des Hotels das Museum des
Kalten Kriegs.

                                                                          Museum des Kalten Kriegs © Jalta Boutique Hotel

28    Prag:versteckte Geschichten                © Jalta Boutique Hotel            Prag:versteckte Geschichten       29
13
  Statue des Hl. Wenzel                                                Diese – einst erste – Durchgangspassage in der Metropole wird

in der Lucerna-Passage
                                                                       seit dem Jahr 2000 von der provokativ aufgehängten Statue
                                                                       eines Mannes in Ritterrüstung, der rittlings auf dem Bauch eines
                                                                       toten Pferdes sitzt, geziert. Das Pferd wiederum ist an den
q Štěpánská 61, Prag 1 – Neustadt                                      gefesselten Hufen in der gläsernen Kuppel im zentralen Teil der
y Můstek k Václavské náměstí w lucerna.cz                              Passage aufgehängt. Die Skulptur des bekannten tschechischen
                                                                       Bildhauers David Černý ist ein eigentümliches Pendant zu einer
Das Palais Lucerna in direkter Nachbarschaft des Wenzelsplatzes
                                                                       anderen, deutlich älteren: Nur ein paar Meter von der Lucerna-
ist ein Beleg der beginnenden tschechischen Moderne, obgleich
                                                                       Passage befindet sich im oberen Teil des Wenzelsplatzes vor dem
sein eklektisches Design auch Spuren des späten Jugendstils
                                                                       Nationalmuseum ihre Vorlage – die ursprüngliche Reiterstatue des
trägt. Als es im Jahre 1921 fertiggestellt wurde, wurde es zu einem
                                                                       hl. Wenzel, des Patronen der Länder Tschechiens, von Josef Václav
der meistbesuchten Gesellschaftszentren der Stadt; bis heute
                                                                       Myslbek aus dem Jahr 1913. Interpretationen der Bedeutung der
finden wir einen eleganten Kinosaal, ein Kaffeehaus, einen großen
                                                                       Statue des Hl. Wenzel auf dem toten Pferd gibt es mehrere, aber
Gesellschaftssaal, der für Konzerte und Bälle genutzt wird, und eine
                                                                       bei der kritischen Auslegung sind sich die meisten von ihnen einig
Einkaufspassage mit einer bunten Mischung an Geschäften und
                                                                       – grob gesagt geht es um einen sarkastischen Kommentar zum
Boutiquen in dem Komplex.
                                                                       gesunkenen Verständnis des Nationalstolzes, wo von den einstigen
                                                                       Gedanken nur ein entleerter Pathos an Symbolen geblieben ist.

     In Prag sind viele
     provokative
     Skulpturen von
     David Černý verteilt.
     Versuchen Sie, sie
     alle zu finden?

30     Prag:versteckte Geschichten                                                                       Prag:versteckte Geschichten   31
Karlovo náměstí/Platz
14                                                                   Abraham Isaak opferte und in dessen Mitte der Salomonische

und Neustädter Rathaus
                                                                     Tempel stand, bildete sich in der Neustadt als Viehmarkt ab, der
                                                                     heutige Karlovo náměstí/Platz. Karl glaubte scheinbar aufrichtig,
                                                                     dass er und sein ältester Sohn und Nachfolger auf den römischen
q Karlovo náměstí 23, Prag 2 – Neustadt                              und tschechischen Thron Wenzel IV. die Wiederverkörperung eines
y k Karlovo náměstí k Novoměstská radnice                            anderen Vaters und Sohns waren, der israelischen Könige David und
w novomestskaradnice.cz                                              Salomon. Und David gründete zwar nach dem Alten Testament die
                                                                     Davidsstadt – das biblische Jerusalem, am Tempelberg kaufte er
                                                                     ein Grundstück und sammelte Material für den Bau eines Tempels,
                                                                     jedoch verbot Gott ihm den Bau eines Tempels, das durfte erst
                                                                     Salomon nach Davids Tod. Karl ließ deshalb in der Mitte des
                                                                     Viehmarkts nur einen Holzturm errichten, in dem er an Feiertagen
                                                                     die Kronjuwelen und wertvolle Reliquien ausstellte, z. B. die Dornen
                                                                     aus Christus‘ Krone oder die Lanze des Hl. Longinus (siehe das
                                                                     Kapitel Vyšehrad, S. 40). Karls Sohn Wenzel IV. ließ dann nach dem
                                                                     Tod seines Vaters anstelle des Turms eine achtseitige Kapelle
                                                                     errichten, welche den Platz bis ins 18. Jahrhundert beherrschte (sie
                                                                     ist u. a. auf einer Reihe von zeitgemäßen Kupferstichen abgebildet).
                                                                     Ein Modell der Kapelle kann im Museum der Hauptstadt Prags
                                                                     besichtigt werden w muzeumprahy.cz

                                                                     Das gotische Neustädter Rathaus dominiert dann die Nordseite des
                                                                     Platzes; das Gebäude hat eine bewegte Geschichte hinter sich –
                                                                     unter anderem kam es hier 1419 zur ersten Prager Defenestration
                                                                     (Defenestration ist der Akt des gewaltvollen aus dem Fenster
                                                                     Werfens eines großteils politischen Widersachers), der zum Beginn
                                                                     der Hussitenkriege führte, einem religiösen Konflikt, in dem sich
                                                                     eine spontan gebildete Armee böhmischer Hussiten und die Truppen
                                                                     des römischen Kaisers Sigismund, des Papstes und ihm loyaler
                                                                     europäischer Herrscher gegenüberstanden. Interessant ist, dass wir
                                                                     an der südlichen Rathausmauer dasselbe Palindrom finden, dass sich
                                                                     auch am Altstädter Brückenturm befindet (siehe S. 8). Das Rathaus
                                                                     können Sie heute besuchen; vom Rathausturm herrscht ein schöner
                                                                     Ausblick auf die Stadt. In der Umgebung finden wir auch einige
                                                                     bemerkenswerte Bauten, zum Beispiel die frühbarocke St. Ignaz-
                                                                     Kirche (kostel sv. Ignáce z Loyoly) an der Ecke zur Ječná Straße, die
                                                                     Kirche des Hl. Karl Borromäus (kostel sv. Karla Boromejského) mit
                                                                     dem Denkmal der Helden der Heydrichiade (S. 36) nahe zum Fluss
Der größte Prager Platz befindet sich im Viertel Neustadt,           und hinter der Südseite des Platzes dann der bemerkenswerten
abseits des Interesses des Massentourismus – es handelt sich         Komplex des Emmausklosters (Emauzský klášter) (S. 38).
aber um einen Ort mit interessanter Geschichte. Den Großteil
der Fläche des Platzes nimmt heutzutage ein weitläufiger Park
mit hochgewachsenen Bäumen, Blumenbeeten, Statuen und
Springbrunnen ein; besonders im heißen Sommer ist er ein
angenehmer Ort zum Innehalten und Entspannen.

Die Neustadt wurde von Kaiser Karl IV. im 14. Jahrhundert als Teil
seines grandiosen Plans zum Aufbau eines spirituellen Zentrums
Europas, des „neuen Jerusalems“ in Prag gegründet; und wirklich,
wenn wir die zeitgemäßen Pläne beider Städte vergleichen, sehen
wir, dass sie sich in mindestens 20 Punkten spiegelgleich sind.
Der spirituelle Schwerpunkt Jerusalems, das Plateau in der Form
eines unregelmäßigen Vierecks mit dem Namen Tempelberg, wo

32    Prag:versteckte Geschichten                                                                           Prag:versteckte
                                                                                    Aussicht auf den Karlsplatz              Geschichten
                                                                                                                vom Turm des Neustädter       33
                                                                                                                                        Rathauses
Blick auf die Neustadt vom Kupferstich Egidius Sadelers (etwa 1568-1625).
                                                  Die Kapelle zum Leib Christi war der Mittelpunkt des Platzes.

34   Prag:versteckte Geschichten                                     Prag:versteckte Geschichten           35
15
  Krypta der Kirche St. Cyrill                                                 und allen, die das Attentat (wenn auch nur angeblich) guthießen.

und Method (Krypta kostela
                                                                               Die Gemeinden Lidice und Ležáky wurden nur aufgrund des
                                                                               Verdachts der Hilfe für die Fallschirmspringer ausgelöscht.
sv. Cyrila a Metoděje)                                                         Beide Fallschirmspringer versteckten sich in der Zwischenzeit
                                                                               zusammen mit fünf weiteren Soldaten der Tschechoslowakischen
                                                                               selbständigen Brigade aus Großbritannien in der Kirche St. Cyrill
Nationaldenkmal für die Helden der Heydrichiade
                                                                               und Method.
(Národní památník heydrichiády)
q Resslova 9a, Prag 2 - Neustadt y k Karlovo náměstí                           Infolge des Verrats durch ein Mitglied der Gruppe entdeckten
w vhu.cz/muzea/ostatni-expozice/krypta                                         die SS- und Gestapo-Angehörigen den Unterschlupf jedoch,
                                                                               umzingelten die Kirche und ein Kampf entbrannte. Nach zwei
                                                                               Stunden, als die Angreifer das Hauptschiff der Kirche einnahmen,
                                                                               suchten die verbleibenden vier Soldaten Zuflucht in der Krypta.
                                                                               In das kleine Fenster zur Resslova-Straße, warfen die SS-Männer
                                                                               Tränengas- und Handgranaten, danach versuchten sie, die Krypta
                                                                               mit einem Rammbock zu durchstoßen und mit Wasser zu fluten. In
                                                                               der verzweifelten Situation nahmen sich die tschechoslowakischen
                                                                               Soldaten, denen bereits die Munition ausging, selbst das Leben.

                                                                               An diesem Ort entstand das Nationaldenkmal der Helden der
                                                                               Heydrichiade, welches aus der Kirche, der Krypta unter der Kirche
                                                                               und der dem Schicksal der Fallschirmspringer gewidmeten
                                                                               Exposition besteht. Basierend auf den Ereignissen der Heydrichiade
                                                                               wurde auch der britisch-tschechisch-französische Film Anthropoid
                                                                               (2016) gedreht.

                      Büsten der Fallschirmspringer in der Krypta der Kirche
                                          © Cristian Puscasu / Shutterstock

Die barocke orthodoxe Kirche St. Cyrill und Method nahe des
Karlovo náměstí/Platz ist nicht nur ein bemerkenswerter
Kirchenbau, sondern dank seiner Rolle in der modernen
tschechischen Geschichte auch einer der bedeutendsten Orte
Prags.

Am 15. 3. 1939 wurde das tschechische Gebiet von der deutschen
Armee besetzt; am folgenden Tag wurde das Protektorat Böhmen
und Mähren eingerichtet und es folgten sechs Jahre brutaler
Unterdrückung und Erniedrigung der tschechischen Nation. Die
schlimmste Zeit begann mit dem Antritt des Reichsprotektors
Reinhard Heydrich im Jahr 1941, der zu den mächtigsten Männern
Nazideutschlands gehörte und der im Protektorat das Standrecht
ausrief.

Die tschechoslowakische Exilregierung entschied daher über die
Notwendigkeit einer rasanten Antwort – einer Vergeltungsaktion,
deren Ziel ein Anschlag auf Heydrich war. Die Operation mit dem
Decknamen Anthropoid sollten Josef Gabčík und Jan Kubiš
durchführen, die für diese Aufgabe in Großbritannien speziell
ausgebildet wurden und mittels einer geheimen Luftlandung ins
Protektorat gelangten. Das Attentat wurde im Mai 1942 erfolgreich
durchgeführt. Die Rache war jedoch erdrückend: es folgten
Hinrichtungen von Widerstandskämpfern, ihren Mitarbeitern

36    Prag:versteckte Geschichten                                                                                Prag:versteckte Geschichten   37
16
  Emmauskloster                                                       701 Menschen, fast 1200 wurden verletzt und 183 Häuser sowie

(Emauzský klášter)
                                                                      historische Objekte wurden zerstört; an die 11 000 verloren ihr Dach
                                                                      über dem Kopf.

q Vyšehradská 49, Prag 2 - Neustadt                                   Schwer beschädigt wurde auch das Kloster bei den Slawen.
y Karlovo náměstí k Moráň w emauzy.cz                                 Das Kirchengewölbe brach zu zwei Dritteln ein, das Gebäude
                                                                      brannte aus und auch der Nordturm wurde komplett zerstört (eine
                                                                      Fotografie, die den Zustand des Klosters nach dem Luftangriff
                                                                      zeigt, können Sie im Kreuzgang des Klosters besichtigen).
                                                                      In den darauffolgenden Jahren kam es zu umfassenden
                                                                      Instandsetzungen. Eine der architektonischen Herausforderungen
                                                                      war die Fertigstellung der Stirnseite, die erneut zur Dominante des
                                                                      Neustädter Panoramas werden sollte. Im Architekturwettbewerb
                                                                      gewann das innovative Projekt des Architekten František Maria
                                                                      Černý, in dem sich zwei Betondreiecke mit vergoldeten Spitzen
                                                                      überschneiden. Bei genauerer Betrachtung können Sie ein
                                                                      kleines Detail bemerken – einer der Türme ist etwas kleiner und
                                                                      subtiler. Dieses Element ist bereits aus der mittelalterlichen
                                                                      Kirchenarchitektur übernommen. Der mächtigere Turm symbolisiert
                                                                      das männliche Prinzip, der Schmälere und etwas Kleinere hingegen
                                                                      das weibliche Prinzip. Der Bau wurde erst im Jahre 1968 vollendet.

In der Nähe des Karlovo náměstí/Platzes (siehe S. 32) ragen beim
Blick vom Fluss zwei unübersehbare schlanke Türme gen Himmel,
deren anmutige Geometrie sich von der horizontal orientierten
umliegenden Bebauung abhebt. Der moderne Charakter der Türme
ist umso interessanter, wenn man bedenkt, dass sie zu einem
mittelalterlichen Baukomplex gehören – dem Emmauskloster oder
Kloster bei den Slawen (Na Slovanech). Das Kloster, das im 14.
Jahrhundert von Kaiser Karl IV. gegründet wurde, war Teil eines                                                © Olga Kashubin / Shutterstock
Systems weiterer Sakralbauten, die im Grundriss der Neustadt die
Form eines Kreuzes bilden. Das Kloster sticht vor allem durch seine
Fresken aus den Sechzigerjahren des 14. Jahrhunderts hervor,
welche Szenen aus dem Alten und Neuen Testaments festhalten.

Das Prager architektonische Mosaik ist unter anderem auch
deswegen einzigartig, weil das von den Nazis besetzte Prag im
Gegensatz zu einer Reihe anderer europäischer Städte im zweiten
Weltkrieg praktisch nicht bombardiert wurde. Aber gänzlich
verschont wurde die Stadt nicht. Am 14. Februar 1945 wurde Prag
zum Ziel des Luftangriffs 62 amerikanischer Bombenflugzeuge,
die 250 Bomben über bewohnten Teilen der Stadt abwarfen.
Der Luftangriff wurde jedoch versehentlich durchgeführt;
beabsichtigtes Ziel war Dresden, jedoch verloren die Bomber, die
von der Basis in Großbritannien losgeflogen waren, im dichten
Nebel die Orientierung und auch die Navigation versagte. Leider
traf keine der Bomben die Industriefabriken, welche die Nazis
nutzen konnten. Während dieses Flächenbombardements starben

38    Prag:versteckte Geschichten                                                                        Prag:versteckte
                                                                                                                    DetailGeschichten     39
                                                                                                                           des Deckenfreskos
17
     Vyšehrad
y Vyšehrad k Výtoň w praha-vysehrad.cz
Auf den Felsen hoch über der Moldau erhebt sich Vyšehrad
mit der St.-Peter-und-Paul-Kirche (bazilika sv. Petra a Pavla)
majestätisch, ein nicht wegdenkbarer Bestandteil des Prager
Panoramas der rechten Uferseite. Vyšehrad bildet einen
gedanklichen Gegenpol zur Prager Burg, der Dominante des
gegenüberliegenden Ufers. Beide Orte verbindet die Tatsache,
dass sich an ihnen seinerzeit ein Herrschersitz befand. In Vyšehrad
gibt es allerdings nicht nur die Basilika zu sehen, sondern auch
einen Friedhof und eine gemeinsame Gruft der meistverdienten
Männer und Frauen der tschechischen Nation – den Slavín, eine
mächtige Ziegelbefestigung, in der sich auch eine eingemauerte
Kirche befindet, ein verzwicktes System unterirdischer Gänge, die
romanische Martinsrotunde (rotunda sv. Martina) und viele weitere,
im Park verteilte, Objekte.

St.-Peter-und-Paul-Kirche

                                                                                                                                 Teufelssäule

                                                                      Vyšehrad ist auch ein von vielen Legenden umwobener Ort; eine
                                                                      von ihnen ist die Legende von der Teufelssäule. Im Karlach-Park
                                                                      (Karlachový sady) hinter der Basilika liegt eine in drei Stücke
                                                                      zerbrochene, einfach verarbeitete schwarze Steinsäule. Im inneren
                                                                      Teil eines dieser Bruchstücke sind die Buchstaben S M M R I E M
                                                                      W teilweise lesbar, deren Bedeutung bis heute ungeklärt ist. Die
                                                                      Legende besagt, dass einer der hiesigen Priester aufgrund von
                                                                      persönlichen Vorteilen einen Pakt mit der Hölle einging. Mit der Zeit
                                                                      bereute er es jedoch, sich dem Teufel verschrieben zu haben und
                                                                      bat den Hl. Peter um Hilfe. Dieser hatte Mitleid mit dem Übeltäter
                                                                      und riet ihm, mit dem Teufel um seine Seele zu wetten, dass er die
                                                                      Messe früher abhalten würde, als der Teufel eine Säule aus dem
                                                                      Petersdom in Rom herbringen könnte. Der Teufel flog nach Rom
                                                                      los. Gleich aus der ersten Kirche, die er in Rom sah, riss er eine
                                                                      Säule und machte sich mit ihr auf den Weg zurück nach Prag. Der
                                                                      Hl. Peter griff jedoch ein und stieß ihn bei Venedig dreimal mit
                                                                      der Säule ins Meer. Den Teufel verzögerte er so sehr, dass dieser
                                                                      nicht rechtzeitig nach Vyšehrad flog und die Seele des Priesters

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so gerettet war. Der zornige Teufel schleuderte die Säule vor Wut
gegen die Kathedrale, in der sie dann lange Zeit in drei Stücke
gebrochen lag. Bemerkenswert ist, dass die ganze Legende in der
Wandmalerei in der Vyšehrader Basilika bildhaft dargestellt ist. Die
Teufelssäule in Prag wird auch in internationaler Literatur, die sich
mit Dämonologie beschäftigt, erwähnt. Hinzuzufügen ist, dass es
sich bei der römischen Kirche, aus der der Teufel eine Säule riss, um
die Basilica di Santa Maria di Trastevere handelt, in der bis heute
eine Säule fehlt.

Vyšehrad versteckt allerdings mehr Geheimnisse als nur die
Teufelssäule. In der Basilika ist ein Schulterblatt des Hl. Valentins,
des Schutzpatrons aller Verliebten. Hier befindet sich auch der
Sarkophag des Hl. Longinus, des römischen Soldaten, der laut
dem Evangelium bei der Kreuzigung eine Lanze in Jesus‘ Seite
gestochen haben soll. Vertikal aufgerichtete Steine, welche als
Vyšehrad-Menhire bezeichnet werden, aus fernen heidnischen
Zeiten. Noch heute finden Sie an einem von ihnen, am Hang bei der
Martinsrotunde, an großen keltischen Feiertagen Kerzen sowie mit                                     Martinsrotunde
keltischen Symbolen bemalte Kieselsteine.

42    Prag:versteckte Geschichten                                        Vyšehrader Weingärten Geschichten
                                                                             Prag:versteckte                     43
                                                                                               und Ausblick auf Prag
18
     Portheimka
q Štefánikova 12, Prag 5 – Smíchov
y k Anděl k Arbesovo náměstí
w museumportheimka.cz
Am linken Moldauufer in Smíchov, völlig abseits
der beliebten Touristentrassen, befindet sich in
direkter Nähe der Kirche des Hl. Wenzel (kostel
sv. Václava) das Lustschloss Portheimka. Von der
Seite der geschäftigen Štefánikova Straße wirkt
der Bau unauffällig, aber es reicht, ein paar Meter
weiterzugehen und von der anderen Seite ergibt sich
ein charmanter Ausblick auf die barocke Fassade,
den kleinen Innenhof mit Springbrunnen und den
Park mit hochgewachsenen Kastanienbäumen. Das
Lustschloss wurde hier Mitte des 18. Jahrhundert
von Kilián Ignác Dientzenhofer, einem gebürtigen
Prager und einem der bedeutendsten Architekten
seiner Zeit, errichtet, dessen Name z. B. mit der
St.-Nikolaus-Kirche (kostel sv. Mikuláše) am
Altstädter Ring oder der Fertigstellung der Kuppel
der St.-Nikolaus-Kirche auf der Kleinseite (kostel
sv. Mikuláše na Malé Straně) verbunden ist.

Die Sommerresidenz hat ihre Front in den Garten
gerichtet. Durch die reich verzierten französischen
Fenster steigt man auf den Balkon, der auf beiden
Seiten mit zwei Büsten verziert ist, den Allegorien
von Tag und Nacht. Diese verweisen in ihrer Idee auf
die antiken Gottheiten Apollo und Venus, die hier
Sonne und Mond repräsentieren, beziehungsweise
das männliche und weibliche Prinzip. Die
Platzierung der Büsten am Balkon ist nicht zufällig;
traditionell wird die rechte Seite dem männlichen
Aspekt zugeschrieben, der die Rationalität, das
Denken und die Aktivität repräsentiert, und die linke
Seite dem weiblichen Element, die Gefühle und
Schaffenskraft vertretend. Eine Kuriosität ist die
kleine Grotte (künstliche Höhle), welche in einem
der Fenster des Lustschlosses in Richtung des
Parks angelegt wurde, mit künstlichen Tropfsteinen
und ursprünglich auch mit einem Springbrunnen
versehen. Diese sollte als Nistort für Singvögel
dienen.
                                                        Der Hauptrepräsentationsbereich des
Im Lustschloss Portheimka befindet sich heute ein
                                                        Gebäudes ist der ovale Saal mit Freske im
Glasmuseum, das von der Stiftung Jan und Meda
                                                        Motiv von Bacchus Festen vom bedeutenden
Mládek verwaltet wird.
                                                        Barockmaler Václav Vavřinec Reiner, dessen
                                                        Schaffen viele Prager Kirchen schmückt.
                                                        Im ovalen Saal konzertierte sogar der junge
                                                        Antonín Dvořák.

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