Vor Ort - Knifflige Suche nach Lepra Sri Lanka - FAIRMED

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Vor Ort - Knifflige Suche nach Lepra Sri Lanka - FAIRMED
vor Ort
              Ausgabe Nr. 225 | März 2019

Sri Lanka

Knifflige Suche
nach Lepra
Vor Ort - Knifflige Suche nach Lepra Sri Lanka - FAIRMED
«Was mit leprakranken Menschen
geschieht, denen der Zugang zu
medi­zinischer Versorgung fehlt,
habe ich vor Jahren mit eigenen
Augen gesehen. Es hat bewirkt,
dass ich mich an der Seite von
FAIRMED für die Gesundheit der
Ärmsten engagiere. Denn die Ver-
nachlässigung von Kranken lässt
sich durch nichts rechtfertigen.»
Ruth Dreifuss, Alt-Bundesrätin
Vor Ort - Knifflige Suche nach Lepra Sri Lanka - FAIRMED
Inhalt                                                              Liebe Leserin, lieber Leser

                                                                    Dieses Jahr wird FAIRMED 60 Jahre alt. Gibt
 3 | EDITORIAL                                                      es Grund zu feiern, wenn es noch immer Ent-
                                                                    wicklungsorganisationen wie uns braucht?
 4 | SCHAUPLATZ                                                     Mahatma Gandhi wurde einst zur Eröffnungs-
     Knifflige Suche nach                                           feier einer Leprakolonie eingeladen. Er hat ab-
     Lepra                                                          gesagt mit den Worten: «Ladet mich ein, wenn
                                                                    sie geschlossen wird.» Wir haben also nichts zu
10 | LEAVE NO ONE BEHIND                                            feiern, aber einen Anlass, um kurz innezuhalten
     Der goldene Löwe mit den             und Ihnen für Ihre treue und grosszügige Unterstützung zu danken.
     zwei Gesichtern
                                          Im Zentrum unseres Magazins steht unsere Lepraarbeit in Sri Lanka, wo
12 | AKTUELL                              wir seit 1975 tätig sind und das Nationale Lepraprogramm mit aufgebaut
     Spurt vor dem Ziel                   haben. Sri Lanka ist indes hierzulande eher bekannt als Feriendestination
                                          oder durch die 50 000 Tamilen, von denen eine grosse Zahl vor den lang-
14 | PERSÖNLICH                           anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen srilankischen
     «Menschen zu lieben ist die          Regierungstruppen und den Tamil Tigers in die Schweiz geflüchtet sind.
     grösste Kunst»
                                          Sri Lanka gehört zu den Ländern der Welt mit einer der höchsten Raten
16 | GUTES TUN                            an Leprakranken. In der Nähe von Colombo steht das älteste Leprosorium
     Ihr Vermächtnis sichert              Asiens, in dem immer noch Lepra-Betroffene leben. Die Zahlen der Lepra
     unsere Zukunft                       sind bei weitem nicht mehr so dramatisch wie in den Siebziger Jahren, be-
                                          vor die Kombinationstherapie eingeführt wurde. Aktuell hat sich die Anzahl
                                          neu entdeckter Leprafälle in Sri Lanka auf einem Niveau von rund 2000
                                          pro Jahr eingependelt. Es gibt verschiedene Ursachen und es gibt Hoff-
                                          nung. Sicher ist, wenn man immer das Gleiche tut, erhält man die gleichen
                                          Resultate, deshalb sind neue Ansätze gefragt – der Herausforderung, diese
                                          Stagnation zu durchbrechen, gilt unser Einsatz.

                                          Ich danke Ihnen herzlich dafür, dass Sie es uns dabei unterstützen, auch
                                          den Ärmsten ein gesundes Leben zu ermöglichen und auch in Zukunft
                                          Schicksale zum Guten wenden zu können.

                                          Herzlichen Dank!

                                          René Stäheli
Impressum                                 Geschäftsleiter FAIRMED

Aarbergergasse 29
Postfach, CH-3001 Bern
Telefon +41 (0)31 311 77 97
info@fairmed.ch
www.fairmed.ch

Redaktion: Saskia van Wijnkoop,
Arno Meili, René Stäheli
Fotos: Nirvan De Zylva, Simon Opladen,
FAIRMED
Gestaltung: graphicarts, Bern-Liebefeld
Druck: Bruhin Spühler AG, Rüti ZH

Vierteljährliches Magazin von FAIRMED.
Abonnement in Spenden ab 5 Franken
enthalten.
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Knifflige Suche
                 nach Lepra
                 Gemeinsam mit der Regierung setzt FAIRMED in Sri Lanka
                 ein neueres Projekt um, welches der Ansteckung von Lepra
                 vorbeugt, aktiv nach neuen Leprafällen sucht und gegen Stig-
                 matisierung sowie Irrgauben ankämpft. Eine der Massnahmen
                 des Programms Leprosy Post-Exposure Prophylaxe LPEP sind
                 Untersuchungen auf Hautkrankheiten an Schulen, im Militär
                 und in privaten Haushalten in abgelegenen Dörfern.

                 Über einen schmalen Pfad durchque-      und – vielleicht – einen neuen Lepra-
                 ren wir zwei Reisfelder auf dem Weg     fall zu entdecken.
                 zu Fuss zum Tempelgelände des Dörf-
                 chens Imbulpe im Distrikt Ratnapura.    Pilzinfektion quer über die Brust
                 Das Plätschern des Bachs, dem wir       Frau Siriyalatha öffnet uns die Tür des
                 entlanggehen, die ländliche Idylle      ersten Hauses, an dem wir anklop-
                 und die Sicht auf die majestätischen,   fen. Nachdem wir unsere Absicht er-
                 prallgrünen Bergketten am Ende der      klärt haben, sie und ihren Ehemann auf
                 Horton Plains lassen uns andächtig      Hautauffälligkeiten zu untersuchen, bit-
                 und still werden – wir, das sind zwei   tet uns Frau Siriyalatha freundlich, uns
                 Teams, die je aus einer Gesundheits-    zu setzen. Wenig später werden sie
                 mitarbeiterin und einem Gesundheits-    und ihr Ehemann getrennt voneinander
                 mitarbeiter und einem Inspektor des     in verschiedenen Zimmern untersucht.
                 Gesundheitsministeriums bestehen.       Bei Herrn Siriyalatha wird eine gross-
                 Wir werden von Haus zu Haus gehen,      flächige Pilzinfektion diagnostiziert, die
                 um die Bewohner von Imbulpe auf         sich quer über die ganze Brustpartie
                 Hautauffälligkeiten zu untersuchen      ausbreitet. Wie konnte das so weit

4   SCHAUPLATZ
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kommen?, fragen wir uns. «Wir gehen sehr unfreundlich von einem ungedul-
nie zum Arzt, wenn wir Hautprobleme digen Arzt behandelt wurden, dem
haben», sagt Frau Siriya­latha. «Der es nicht schnell genug gehen konnte,
Weg bis zum nächsten Arzt ist uns die Kliniktür abzuschliessen und Fei-
viel zu weit – darum gehen wir höchs- erabend zu machen.»
tens in die nähergelegene Apotheke,
wenn wir ein gesundheitliches Prob- Für Frau Wimalarathne ist es da-
lem haben.» Frau Siriyalatha ist dank- her eine Erleichterung, zuhause un-
bar, dass ihr Mann nun die richtige tersucht zu werden: «Für uns ältere
Behandlung gegen seine Hautinfek- Menschen ist es ein Glück, wenn Sie
tion bekommt: «Ich bin sehr froh, dass zu uns nach Hause kommen, um un-
FAIRMED diese Tür-zu-Tür-Kampagne sere Haut zu untersuchen. So erhält
durchführt. So erhalten wir eine me- mein Mann nun die richtigen Medika-
dizinische Behandlung für die Krank- mente, bevor aus seinem Hautfleck
heiten, an denen wir                                        etwas Schlimme-
leiden.» Für den Tee, «Der Weg zur Klinik ist res wird.» Herrn
den uns Frau Siriya-                                        Wimalarathne be­-
latha noch anbieten             viel zu weit.»              kommt eine Über-
möchte, haben wir                                           weisung für die
leider keine Zeit. Wir müssen zum mobile Hautklinik, die an diesem
nächsten Haus.                            Tag beim Tempelgelände von Im-
                                          bulpe eingerichtet wurde. Ein Haut-
Auffälliger Hautfleck entdeckt?           arzt wird ihn genauer untersuchen
Wir werden beim nächsten Haus von und ihn, falls der Hautfleck sich als
Frau und Herr Wimalarathne herein- erstes Lepra-Anzeichen entpup-
gebeten. Herrn Wimalarathne spre- pen sollte, ans nationale Leprapro-
chen wir mit «Maama» an, was On- gramm weiterleiten. Dort würde er
kel heisst und in Sri Lanka die höfliche die wirksame Kombination aus ver-
Art ist, einen Mann anzusprechen, der schiedenen Antibiotika gegen Lepra
eine oder zwei Generationen älter ist erhalten, und ausserdem würden
als man selber. «Maama» ist gerade die Menschen, mit denen er regelmä-
dabei, getrocknetes Chili in mittel­ ssig in Kontakt ist, mit einer kleineren
grosse Jutesäcke zu packen, wäh- Dosis dieser Antibiotika vorbeugend
rend seine Frau den Staub vom Sofa gegen Lepra behandelt werden. So
wischt, damit wir uns setzen können. stellt FAIRMED sicher, dass sich Le-
Sehr rasch ist das ältere Paar – beide pra nicht weiter ausbreitet.             Oben: Das Ehepaar Wimalarathne
                                                                                empfängt uns im Wohnzimmer.
sind 69 – bereit, sich in getrennten                                            Unten: Herr Wimalarathne hat
Zimmern untersuchen zu lassen. Bei                                              einen verdächtigen Hautfleck am
                                                                                Arm.
Herrn Wimalarathne wird ein auffäl-
liger Hautfleck nahe seinem rechten
Ellbogen entdeckt. Er erhält einen Zet-
tel, der ihn zur mobilen Hautklinik über-
weist, die heute beim Tempel im Dorf
Imbulpe steht. Dort wird Herr Wima-
larathne genauer untersucht werden.
«Ist es ein erster Hautfleck, der durch
Lepra verursacht wurde?», fragen
wir uns. «Wir haben es aufgegeben,
zum Arzt zu gehen», erzählt uns Frau
Wimal­arathne. «Der Weg zur Klinik
war so weit, und dazu mussten wir
jedes Mal stundenlang warten, bis wir
an die Reihe kamen und dann noch
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Gegen Lepra ansingen
    In einer Schule der ländlichen und armen Region Elahera im Distrikt Polonnaruwa haben wir
    die Theatervorführung über Lepra und die anschliessende Untersuchung der Schülerinnen
    und Schüler besucht.

                                                             Nur wenige Eltern konnten in die Schule
                                                             ihrer Kinder kommen, um dem Theater und
                                                             der Hautuntersuchung beizuwohnen. In
                                                             den letzten Wochen hat es viel geregnet,
                                                             und bei Regen können die Töpfe-Macher
                                                             nicht arbeiten. In der regenfreien Zeit müs-
                                                             sen sie nun die verlorene Zeit aufholen.

      Das Schulhaus von Elahera steht mitten im
      Wald und ist aus grobem Lehm gebaut. Die
      Eltern der Schulkinder leben von der Pro-
      duktion von Lehmtöpfen und Geschirr. Die
      durchgehend sehr armen Handwerker
      arbeiten an der Grenze zur Legalität: Für
      ihre Holzöfen müssen sie verbotenerweise
      Bäume fällen. Sie müssen sich deshalb
      regelmässig im Wald verstecken.

                                                  Mädchen und Jungen werden in separaten
                                                  Gebäuden auf Anzeichen von Hautkrankhei-
                                                  ten untersucht. Verdacht auf Lepra besteht
                                                  bei einem Kind, dessen Personalien an das
                                                  nationale Lepra-Programm weitergeleitet
                                                  werden.

6   SCHAUPLATZ
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Das Theaterstück erzählt auf spielerische
Weise, wie Lepra angesteckt wird, wo-
ran man die Krankheit im Frühstadium er-
kennt und dass man mit einer frühzeitigen
Behandlung keine Folgeschäden erlei-
den muss. Die Schauspieler führen an sich
eine Hautuntersuchung mit einem Kugel-
                                             Die Schülerinnen und Schüler rufen laut-
schreiber durch. Sie sprechen über taube
                                             hals die Botschaften zu den ersten Anzei-
Stellen an den Gliedmassen.
                                             chen von Lepra nach, welche ihnen die
                                             Muppetpuppe im Theater vorspricht. Am
                                             Ende des Stücks singen alle gemeinsam
                                             ein Lied, in dem die wichtigsten Botschaf-
                                             ten des Stücks wiederholt werden.

FAIRMED-Landesverantwortliche Nayani
Suriyarachchi (zweite von rechts) über die
Stigmatisierung von Lepra in Sri Lanka:
«Das Problem sind Mythen, Missverständ-
nisse und Mangel an Wissen. Dies zu
überwinden, sind unermüdliche Sensibili-     Der 19-jährige Nirvan De Zylva ist von
sierung und Aufklärung nötig.»               FAIRMED Sri Lanka angestellt, um Fotos
                                             und Geschichten zu sammeln aus den
                                             Projekten. «FAIRMED gibt mir die Chance,
                                             der Welt zu zeigen, wie das zurückgezo-
                                             gene Leben im ländlichen Sri Lanka aus-
                                             sieht.

                                                                                     SCHAUPLATZ   7
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Was unser Einsatz bewirkt

                                                                                          252
                                                                                          Gesundheits-
                                                                                          mitarbeitende
                                     90                                                    erhielten eine Weiterbildung
           aktive Fallfindungen                                                            in der Früherkennung und
                                                                                           Behandlung von Lepra.
                wie Hautuntersuchungen an
               Schulen, in der Armee und in
               privaten Haushalten wurden

                                                    Sri Lanka
                               durchgeführt.

                                                                                                   241
                                                                                                   Lepra-Fälle
                                                 68               i                                wurden durch das Früh­-
                           Sensibilisierungs­                                                      er­kennungs­programm neu
                                                                                                   entdeckt und behandelt.
                               massnahmen
                            wie die Aufführungen eines
                            Lepra-Strassentheaters, das                                            Diese Zahlen beziehen sich auf die
                          Zusammenstellen von Lepra-                                               Programmaktivitäten FAIRMEDs
                                                                                                   der letzten 12 Monate in Sri Lanka.
                       Aufklärungsmaterial für Gesund-
                             heitsmitarbeitende und die
                           Produktion von Aufklärungs­                              Hilfe zur          Ausbildung          Medizinische
                          comics wurden durchgeführt.                               Selbsthilfe        und Personal        Unterstützung

    ­
         Was ist Lepra?
         Die Infektionskrankheit Lepra wird durch den Bazillus Mycobacterium Leprae ausgelöst. Der Bazillus
         vermehrt sich langsam, was zu einer Inkubationszeit von rund fünf Jahren führt. Es können bis zu 20 Jahre
         vergehen, ehe Symptome auftreten. Lepra greift Haut und Nerven der Infizierten an. Häufige erste Zeichen von
         Lepra sind taube Flecken. Diese sind schmerzlos und jucken nicht, daher werden sie oft nicht bemerkt oder als
         ungefährlich empfunden.

         Wenn die Krankheit unbehandelt fortschreitet, kommt es zu Nerven­
         schäden. Betroffene leiden an Taubheit in den Gliedmassen, insbesondere in
         Händen und Füssen. Der Gefühlsverlust bewirkt, dass Verletzungen nicht erkannt
         oder als unbedeutend empfunden werden. Offene Wunden und Infektionen sind
         die Folge. Im weiteren Krankheitsverlauf führen die beschädigten Nerven zu
         Blindheit und sichtbaren Entstellungen wie verstümmelten Nasen und Fingern.

         Mit Lepra steckt man sich durch Tröpfcheninfektion über Nase und Mund
         an, wenn man langen und engen Kontakt mit einer erkrankten Person hat. In
         vielen Ländern werden Betroffene aus Angst vor einer Ansteckung diskriminiert
         und aus der Gesellschaft und sogar aus ihren Familien verstossen.

8       SCHAUPLATZ
Vor Ort - Knifflige Suche nach Lepra Sri Lanka - FAIRMED
Einsatz für Lepra-Betroffene
in Sri Lanka
Das Projekt
In Zusammenarbeit mit der Regierung treibt FAIRMED die Bekämpfung
von Lepra und ihrer Folgen voran. Im Zentrum des Projekts stehen die
Stärkung des Gesundheitssystems und die Verbesserung des Gesund-
heitsangebots für Lepra-betroffene Menschen. Neben Programmen zur
Früherkennung, aktiver Fallfindung und Diagnose wird das Gesundheits­
personal in den Kliniken und im Aussendienst auf die Diagnose und
Behandlung von Lepra geschult. Unter Einbezug der risikoreichen Ge-
meinschaften werden mithilfe von Sensibilisierungsprogrammen das Ver-
ständnis sowie die Eigenverantwortung der Bevölkerung in Bezug auf die
gesundheitliche Situation von Lepra-Betroffenen gefördert.

Begünstigte
Die Distrikte Ratnapura, Polonnaruwa und die Gemeinde von Colombo
umfassen zusammen über zwei Millionen Einwohner und gehören zu den
Regionen mit den meisten neu registrierten Lepra-Fällen. Die Hauptbe-
günstigten sind die von Lepra betroffenen Menschen in diesen Gebieten.
Zudem profitieren deren Familienangehörige und die gesamte Gemeinde
vom Projekt durch Sensibilisierungsprogramme zur Früherkennung und
Behandlung von Lepra sowie vom verbesserten Gesundheitsangebot.
Vor Ort - Knifflige Suche nach Lepra Sri Lanka - FAIRMED
Der goldene Löwe
mit den zwei Gesichtern
Sri Lanka ist ein aufstrebendes Schwellenland, dessen Wirtschaft in den letzten zehn Jahren
im Schnitt um über fünf Prozent gewachsen ist. Doch nicht die gesamte Bevölkerung profi-
tierte vom Aufschwung nach dem Ende des Bürgerkriegs. In einigen ländlichen Gebieten sind
Armut, Arbeitslosigkeit und Kriegstraumata noch immer bittere Realität.

Eine Reise durch Sri Lanka gleicht ei-  die nachhaltigen Entwicklungsziele der    alle Einwohner und Einwohnerinnen
ner Reise durch die Zeit. In der Haupt- Vereinten Nationen unter dem Motto        des Inselstaates in gleichem Masse
stadt Colombo im Südwesten des Lan-     «Leave no one behind» noch nicht er-      vom wirtschaftlichen Aufschwung der
des zieren riesige Leuchtreklamen und   reicht sind.                              Nachkriegsjahre profitieren konnten.
schicke Designerläden die gut asphal-
tierten Strassen. Gegessen wird in      Zwar leben gemäss einem Bericht           «Tief vernarbter Frieden»
trendigen Restaurants und den gän-      der Weltbank nur 1,9 Prozent der 22       Insbesondere in einigen ländlichen
gigen globalen Fastfood-Ketten. Ver-    Millionen Menschen in extremer Ar-        Gebieten – wo der Grossteil der ar-
lässt man die Metro-                                  mut (mit weniger als        men Bevölkerung lebt – findet man
pole und reist Richtung      «Fast die Hälfte         1,90 US-Dollar täglich)     einen hohen Anteil an arbeitslo-
Norden, ändert sich                                   und Entwicklungs-In-        sen jungen Menschen ohne höhe-
dieses Bild kontinuier- der Bevölkerung lebt dikatoren wie die Al-                ren Schulabschluss. Zudem lässt sich
lich. Hochhäuser wei-            in Armut.»           phabetisierungsrate         eine Konzentration der armen Be-
chen Holzhütten mit                                   oder die Lebenserwar-       völkerung in der nördlichen und der
Wellblechdächern, hippe Supermärkte     tung sind seit dem Ende des Bürger-       östlichen Provinz des Landes beob-
kleinen Gemüseshops und gut befahr-     kriegs 2009 stark gestiegen. Der Le-      achten. «Die acht Distrikte, aus de-
bare Autobahnen schmalen Strassen       bensstandard ist aber weiterhin tief:     nen sich diese beiden Provinzen zu-
aus Sand. Während der Reise vom         45 Prozent der Bevölkerung schlagen       sammensetzen, haben einige der
Grossstadtdschungel in den richtigen    sich mit weniger als fünf Dollar am Tag   höchsten Armutsraten des Landes»,
Dschungel wird klar, dass in Sri Lanka  durch. Dies zeigt deutlich, dass nicht    schreiben O’Donnell, Razaak, Kostner

In ländlichen Regionen leben insbesondere
viele junge Frauen ohne Arbeit.
und Perumpillai-Essex in ihrem Buch
«Shadows of Conflict in Northern and
Eastern Sri Lanka». Der Grund: Diese
Provinzen sind besonders stark vom
beinahe drei Jahrzehnte dauernden
Bürgerkrieg betroffen. Der Krieg hat
dabei weitreichende Schäden an der
Infrastruktur der Gebiete verursacht
und zu einem Zusammenbruch des
Agrarsektors und zu einem langsa-
men Wachstum der Industrie und der              Rund drei Millionen               Etwa 50 000 Sri Lanker
Privat­wirtschaft geführt.                      Personen aus Sri Lanka            leben in der Schweiz*
                                                leben heute im Ausland*
Zwar wurde die zerstörte Infrastruk-
tur seit Kriegsende teilweise wie-
der aufgebaut, die beiden Provinzen
leisten aber weiterhin einen tiefen
Anteil am nationalen Bruttoinlands-
produkt. «Unter der hohen Arbeits-
losigkeit in den Gebieten leiden ins-
besondere junge Menschen und
Frauen», schreiben die Autoren wei-
ter. Daneben habe sich gezeigt, dass
viele Trauma-Symptome wie Alkoho-
lismus und eine hohe Suizidrate zu              Die Anzahl der Todesopfer         Der Krieg dauerte
beobachten seien.                               wird auf 80 000 bis               26 Jahre, von
In einem Artikel für die «New York
                                                100 000 geschätzt                 1983 bis 2009
Times» schreibt Reporter Mujib Mashal
                                                                                             *aktuelle Zahlen von Amnesty
von einer Bevölkerung in einem «tief
vernarbten Frieden», von der landes-
weit etwa 10 Prozent an einer Form Instabilität der Regierungen. Erst im
von psychischen Beeinträchtigungen November des letzten Jahres wurde
leiden, davon fast 800 000 an De­ das Land von politischen Unruhen er-
pressionen. «Un-                                           schüttert und Pre-
tersuchungen deu-                                          mierminister Ranil
ten darauf hin,
                         «Jeder Zehnte leidet              Wickremesinghe
dass diese Zahlen an einer kriegsbedingten seines Amtes ent-
in den nördlichen
                       psychischen Störung.» hoben. Sollte hier
Gebieten noch viel                                         keine Ruhe einkeh-
schlimmer sind. Er-                                        ren, ist das rasante
hebungen im Nordosten gegen Ende Wachstum stark gefährdet.
des Krieges fanden posttraumatische
Belastungsstörungen bei beinahe Und wie stellt sich FAIRMED die Zu-
30 Prozent aller Kinder», so Mashal.   kunft in Sri Lanka vor? «Da die Zivilge-
                                       sellschaft weit entwickelt ist und der
FAIRMED Sri Lanka als eigen-           Mittelstand zunehmend wächst, den-
ständige NGO?                          ken wir über FAIRMED Sri Lanka als
Dabei handelt es sich aber nur um eigenständige NGO in Sri Lanka nach.
eine von vielen Herausforderungen, Möglicherweise ist in Zukunft eine lo-
die der südasiatische Staat in Zukunft kale NGO finanziert aus lokalen Mitteln
meistern muss. Eine hohe Hürde, die möglich», beschreibt Geschäftsführer
es zu überwinden gibt, ist dabei die René Stäheli die ambitionierten Pläne.

                                                                                            LEAVE NO ONE BEHIND             11
Spurt vor dem Ziel
                                       Lepra gilt in Sri Lanka als eliminiert, weil die Zahl der jährli-
                                       chen Neuansteckungen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung
                                       des Landes unter dem Wert liegen, welchen die WHO als
                                       relevant ansieht. Aber noch immer werden in Sri Lanka pro
                                       Jahr rund 2000 Leprafälle registriert. Dr. Marc Bonenberger
                                       ist Programmverantwortlicher für FAIRMEDs Aktivitäten in
                                       Sri Lanka und Nepal und erklärt, welches die letzten Schritte
                                       sind, bis Sri Lanka hoffentlich frei von Lepra sein wird.

                                       FAIRMED vor Ort: Unser junger              tig therapiert und die nicht weiterge-
                                       lokaler Journalist vor Ort hat nie-        geben werden muss, wenn man die
                                       manden gefunden, der über seine            Kontaktpersonen des Patienten vor-
                                       Lepra-Erkrankung reden wollte.             beugend behandelt.
                                       Erstaunt dich das?
                                                                                  Damit wären wir bei der Anste-
                                       Dr. Marc Bonenberger: Nein, das            ckungsprävention, welche das
                                       erstaunt mich überhaupt nicht! Wir         Programm LPEP*, das FAIRMED
                                       sind schon länger auf der Suche nach       seit 2015 in Sri Lanka umsetzt,
                                       einem Champion, der aufsteht und           verfolgt. Was haben wir mit LPEP
                                       öffentlich sagt: Schaut her, ich hatte     seitdem erreicht?
                                       Lepra und stehe dazu!                      LPEP ist eine Machbarkeitsstudie,
                                                                                  die in acht Ländern, in denen Lepra
                                       Die Stigmatisierung der Krankheit          noch vorkommt, durchgeführt wird.
                                       ist zu gross.                              In den anderen Teilnehmerländern
     Dr. Marc Bonenberger ist der      Ja, Lepra ist ein regelrechtes Tabu.       wird im Fall einer entdeckten Lepra-
     Programmverantwortliche für die   Wenn herauskommt, dass in der Nach-        Erkrankung allen Personen, die mit
     FAIRMED-Projekte in Sri Lanka     barschaft jemand an Lepra leidet, wird     dem Lepra-Patienten in Kontakt wa-
     und Nepal.                        die ganze Familie gemieden.                ren, präventiv eine Einmaldosis des
                                                                                  Antibiotikums Rifampicin verabreicht –
                                       Darum müssen wir in der Lepraar-           nicht nur den Angehörigen, sondern
                                       beit hier sehr vorsichtig vorgehen.        auch Nachbarn und teilweise auch an-
                                       Genau. Um Lepra in Sri Lanka ganz          deren regelmässigen sozialen Kontak-
                                       zu eliminieren, setzen wir bei der         ten des Patienten. Das ist in Sri Lanka
                                       aktiven Fallfindung und der Sensibili-     undenkbar: Da können wir allerhöchs-
                                       sierung an. Aktiv Fälle finden tun wir,    tens die Familie präventiv behandeln,
                                       wenn wir von Haus zu Haus gehen,           da sich die Patienten auf keinen Fall
                                       um offiziell allgemein nach Hautkrank-     vor ihren Nachbarn outen wollen.
                                       heiten zu suchen, ohne direkt von Le-
                                       pra zu sprechen. Das machen wir auch       Ist damit LPEP, von dem man sich
                                       bei Untersuchungen in Schulen, Ge-         so viel erhoffte, in Sri Lanka ge-
                                       fängnissen, beim Militär und in Hautkli-   scheitert?
                                       niken. Sensibilisieren tun wir, wenn wir   Nein! LPEP ist ja die erste Innovation
                                       zum Beispiel Strassentheater veran-        in der Lepraarbeit seit über zehn Jah-
                                       stalten, bei denen die Krankheit Lepra     ren, und sie funktioniert tatsächlich
                                       erklärt wird als eine Krankheit wie alle   gut. Dank LPEP wurde die aktive Fall-
                                       anderen auch, die keine Folgeschäden       findung wieder aufgenommen, und
                                       haben muss, wenn man sie rechtzei-         dürfen wir den Zahlen glauben, ist

12    AKTUELL
Der 45-jährige Seina lebt seit 30 Jahren im Manthiu Leprosy Hospital,
                                                            einem Leprosorium. Seina hat durch Lepra mehrere Zehen verloren.

die Zahl der neu gefundenen Lepra-         reits Folgeschäden der Krankheit erlit-     Wie können wir Lepra in
fälle in Sri Lanka letztes Jahr erstmals   ten haben: So stellen wir s­ icher, dass    Sri Lanka ganz eliminieren?
seit Jahren ganz leicht gesunken. Das      die Betroffenen Thera­pie und Hilfsmit-     Indem wir kontinuierlich Fälle finden
könnte – vielleicht – auch das Resul-      tel wie Gehstöcke oder Spezialschuhe        und sensibilisieren! Dass Sri Lanka
tat unserer Arbeit und dem LPEP-Pro-       erhalten.                                   eine Insel ist, macht eine Ausrottung
gramm sein.                                                                            der Krankheit rein geographisch wahr-
                                         Die WHO hat sich zum Ziel ge-                 scheinlicher als in anderen Ländern.
Welche Rolle spielt FAIRMED in           setzt, Lepra bis 2020 ausgerottet             Die letzte Meile vor der Ausrottung
Sri Lanka?                               zu haben. Das müsste ja auch die              ist die aufwändigste und teuerste –
Wären wir nicht in Sri Lanka tätig, gäbe Regierung Sri Lankas zur Kenntnis             ein einziger Leprafall kostet einer Stu-
es kaum jemand, der etwas gegen nehmen.                                                die aus Indien zufolge rund 500 Dollar.
Lepra unternehmen würde. Obwohl Sri Lanka kämpft gegen Dengue.                         Aber da wir uns das Motto «Leave no
das Gesundheitssys-                                      Wenn die Krankheit            one behind» auf die Fahne geschrie-
tem in Sri Lanka gut                                     ausbricht, konzent-           ben haben, geben wir nicht auf, bevor
ist, wird dem Thema      «Wir     geben   nicht   auf,   rieren sich alle Kräfte       auch die letzten Leprafälle in Sri Lanka
Lepra nicht die Auf-      bis die letzten Fälle darauf – ähnlich, wie                  entdeckt und geheilt sind.
merksamkeit gewid-                                       man es in zentralafri-
met, die es bräuchte,
                               geheilt sind.»            kanischen Staaten im
                                                                                       *Leprosy Post-Exposure Prophylaxis

um eines Tages vom                                       Zusammenhang mit
Tisch zu sein. Viele Pflegefachleute in Ebola kennt. Und das Ziel der WHO,
Sri Lanka wissen nicht einmal, dass es Lepra bis 2020 ausgerottet zu haben,
Lepra in ihrem Land noch gibt. Des- ist nicht realistisch. Es wurde 2016 ge-
halb bilden wir ja auch Personal in die- setzt, und wer die Inkubationszeit von
sem Gebiet weiter. Und wir sind da- Lepra kennt – zwei bis vier, manchmal
ran, mit einem Spital ein Angebot für aber auch bis zu 18 Jahre! – weiss,
Lepra-Patienten zu erarbeiten, die be- dass das nicht funktionieren kann.

                                                                                                                            AKTUELL   13
«Menschen zu lieben
                               ist die grösste Kunst»
                               Der weltberühmte französische Fotograf und Umweltaktivist Yann
                               Arthus-Bertrand hat seine Fotos FAIRMED kostenlos für Sensibilisie-
                               rungskampagnen zur Verfügung gestellt. Endlich ist es uns gelungen,
                               den 73-Jährigen persönlich kennenzulernen und ihm für sein Vertrauen
                               und seine Grosszügigkeit zu danken – eine Begegnung voller Witz und
                               Überraschungen.

                               Es ist erst Mitte Dezember, also Von den Aborigines lernen
                               noch vor dem Einfall des ganz gro- Yann Arthus Bertrand eröffnet die Aus-
                               ssen Schnees diesen Winter – aber stellung mit den Worten: «Es ist eine
                               das Dorf Lens unterhalb von Crans- grosse Ehre für mich, meine Arbeit
                               Montana zeigt sich bereits winter- in der Fondation Opale auszustellen,
                               lich angeschneit. Im Kunstzentrum die sich der Kunst der Aborigines wid-
                               «Fondation Opale» wird die Retro- met. Diese zeitgenössischen Künst-
     Yann Arthus-Bertrand
     ist rund um den Erdball   spektive «Legacy» zum                                 ler verleihen ihren Wer-
     berühmt geworden          Werk des französischen «Je mehr man gibt, ken eine Spiritualität,
     durch seine Fotoserie     Fotografen Yann Arthus-­                              die mich seit jeher faszi-
     «Die Erde von oben».
                               Bertrand eröffnet. 230
                                                              desto mehr             niert. Ihre liebevolle, re-
                               von ihm ausgewählte         bekommt man.» spektvolle Auffassung
                               Fotografien sowie sein                                vom Leben um sie he-
                               Film «Human» laden dazu ein, uns Ge- rum ist genau das, was der Mensch-
                               danken über die Entwicklung unseres heit fehlt, um die Umweltprobleme zu
                               Planeten und die Zukunft seiner Be- verstehen, die uns heute Sorgen be-
                               wohner zu machen. Die Ausstellung reiten. Sie sind Verfolgte unserer Zivi-
                               geht Hand in Hand mit der ersten Ein- lisation und ihre Situation zeigt besser
                               zelausstellung des australischen Abo- als alles andere unsere Weigerung, un-
                               rigine-Künstlers Robert Fieldings.    sere auf unserem Wachstumsglauben

14    PERSÖNLICH
basierende Lebensweise zu verste-          Zentralafrikanischen Republik. Yann
hen, die uns in eine ungewisse Welt        Arthus-Bertrand selber engagiert
führt, die mir Angst macht.»               sich gemeinsam mit der Organisation
                                           «Badao» für Waisenhäuser im zentral­
Kunst als Weckruf                          afrikanischen Land Kongo-Brazzaville
Bei der Führung durch die Ausstel-         und fördert mit seiner eigenen Stif-
lung ist der australische Künstler ab-     tung «Goodplanet» weltweit Umwelt-
wesend, und Yann Arthus Bertrand           schutz und nachhaltige Entwicklung.
kommentiert ausgewählte Fotogra-
fien aus seiner eigenen Sammlung.          Die Ausstellung «Legacy» in der
Dabei bemerkt er: «Mir ist der päda-       Fondation Opale in Lens/VS läuft
gogische Aspekt meiner Bilder wich-        noch bis am 31. März 2019.
tiger als der künstlerische.» Wie wir      www.fondationopale.ch
das genau zu verstehen hätten, fra-        www.goodplanet.org
gen wir ihn. «Wir brauchen doch keine
Kunst in unserem Alltag. Unsere Auf-
gabe ist es, die Zivilisation zu retten,
zum Beispiel durch Kunst. Van Gogh
hat einmal gesagt: Es gibt kein grö-
sseres Kunstwerk auf der Welt als die
Menschen zu lieben. Das gefällt mir
sehr gut.»
                                             Am Ende der Welt
Engagement in Afrika und                     fehlt es an allem.
weltweit
Dass Yann Arthus Bertrand FAIRMED
seine Bilder kostenlos zur Verfügung
gestellt hat, erklärt er folgenderma-
ssen: «Ich bin sicher, dass Sie daraus
etwas Gutes machen. Ich verliere ja
dabei auch kein Geld. Und ich glaube
daran: Je mehr man gibt, desto mehr
bekommt man.» Am Engagement von
FAIRMED beeindruckt ihn besonders
die Zusammenarbeit mit den indige-
nen Baka und Aka in Kamerun und der
                                             Ausser an uns.
                                                    Gesundheit für die Ärmsten: fairmed.ch

                                                                                             PERSÖNLICH   15
Investieren Sie in die Zukunft.
Ihr Vermächtnis rettet Leben.

                                        Benachteiligte Menschen in Asien und Afrika
                                        können auch in Zukunft ein gesundes Leben
                                        führen – dank Ihrem Vermächtnis. Sie tun über
Wir beraten Sie gerne:                  Ihr Leben hinaus Gutes, indem Sie FAIRMED
Paul Tschurtschenthaler, Fundraising,   in Ihrem Testament berücksichtigen.
Tel. 031 310 55 67,
paul.tschurtschenthaler@fairmed.ch,
www.fairmed.ch/spenden/legate-und-      Herzlichen Dank für Ihr Vertrauen!
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