Vor Ort - Ein Leben für Lepra Indien - FAIRMED

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Vor Ort - Ein Leben für Lepra Indien - FAIRMED
vor Ort
             Ausgabe Nr. 223 | August 2018

Indien

Ein Leben
für Lepra
Vor Ort - Ein Leben für Lepra Indien - FAIRMED
Inhalt                                                              Liebe Leserin, lieber Leser

                                                                         «Der Mensch ist sterblich, aber ein Mensch
 2 | EDITORIAL                                                           kann Unsterbliches erreichen.» Mit diesen Wor-
                                                                         ten hat sich Rao Venkateswara von uns ver-
 3 | NEWS                                                                abschiedet. Der Gründer des GRETNALTES-
     Spotlights                                                          Spitals in Guntur im Staat Andrha Pradesh in
                                                                         Süd-Indien ist kürzlich im Alter von 81 Jahren
 4 | SCHAUPLATZ                                                          gestorben. Er war derjenige, der mir das Leben
     Ein Leben für Lepra                                                 mit den Spätfolgen von Lepra anschaulich er-
                                               klären konnte. Seine Krankheit hat Rao Venkateswara aber nicht verzwei-
10 | LEAVE NO ONE BEHIND                       feln lassen, sie hat ihn motiviert. Bis an sein Lebensende hat er es sich
     Im Schatten des                           zur Aufgabe gemacht, sich für Leprakranke einzusetzen. Lesen Sie seine
     Wirtschaftswunders                        aussergewöhnliche Geschichte auf den Seiten 4 – 9.

12 | AKTUELL                                   Bleiben wir in Indien. In diesem Land mit einer zahlenmässig grossen
     Die FAIRMED-Projekte                      Mittelschicht sind wir seit einigen Jahren daran, ein lokales Fundraising
     2017 in Zahlen                            aufzubauen, welches die Projekte zukünftig unabhängig von Schweizer
                                               Unterstützung finanzieren soll. Noch ist die Unterstützung von Entwick-
14 | PERSÖNLICH                                lungsorganisationen wie FAIRMED aber nötig (Seiten 10/11).
     Empowerment!
                                               Auch unser neuer Stiftungsratspräsident Adrian Hehl und sein langjähri-
16 | IHR EINSATZ HILFT                         ger Vorgänger und heutiger Vizepräsident Rolf Lehmann haben in Indien
     Gönnerschaft, Spende                      miterlebt, wie der Einsatz von FAIRMED wirkt. Verfolgen Sie den Aus-
     oder Erbschaft                            tausch auf den Seiten 14/15.

                                               Niemand soll an einer heilbaren Krankheit leiden oder sterben. Dank Ihrer
                                               treuen und grosszügigen Unterstützung können die am meisten zurückge-
                                               lassenen Menschen ein gesundes und würdiges Leben führen – wie viele
                                               das im letzten Jahr waren, sehen Sie in der Graphik auf den Seiten 12/13.

                                               René Stäheli
                                               Geschäftsleiter FAIRMED

     Impressum

     Aarbergergasse 29
     Postfach, CH-3001 Bern
     Telefon +41 (0)31 311 77 97
     info@fairmed.ch
     www.fairmed.ch

     Redaktion: Saskia van Wijnkoop,
     Eleni Helbling, René Stäheli
     Fotos: Karin Scheidegger, Bart Vander
     Plaetse, Simon Huber, Simon Opladen,
     FAIRMED
     Gestaltung: graphicarts, Bern-Liebefeld
     Druck: Spühler Druck AG, Rüti ZH

     Vierteljährliches Magazin von FAIRMED.
     Abonnement in Spenden ab 5 Franken
     enthalten.

 2    EDITORIAL
Vor Ort - Ein Leben für Lepra Indien - FAIRMED
Ebola-Ausbruch in Zentralafrika
Durch den Ausbruch von Ebola in der Demokratischen Republik Kongo
droht auch den angrenzenden Gebieten in der Zentralafrikanischen
Republik Gefahr.

«Da wir als einzige Entwicklungs-     um präventive Massnahmen zu er-
organisation in Mongoumba, der        greifen, so Vander Plaetse weiter:
dem Epizentrum der Ebola am           «Wir verstärken das gemeinschaft-
nächsten gelegenen Sous-Prä-          liche medizinische Überwachungs-        Flut in Sri Lanka
fektur des Landes, tätig sind, hat    system und tragen logistisch und
uns die Zentralafrikanische Regie-    finanziell dazu bei, dass die Kom-      Zu den am schwersten vom Mon-
rung um sofortige Hilfe gebeten»,     munikation von Mongoumba in             sun-Regen betroffenen Regionen
erklärt FAIRMED-Programmleiter        die Hauptstadt Bangui besser und        in Sri Lanka gehören auch die
Dr. med. Bart Vander Plaetse. FAIR-   schneller funktionieren wird, sollten   Distrikte Puttalam und Ratna-
MED habe kurzfristig die nötigen      Ebola-Fälle vermutet werden.»           pura, in denen FAIRMED tätig ist.
finanziellen Mittel bereitgestellt,
                                                                              Neuesten Berichten der sri-lan-
                                                                              kischen Regierung zufolge star-
                                                                              ben bisher 24 Menschen und rund
                                                                              100 000 Menschen benötigten Hilfe.
                                                                              Allein in Puttalam mussten rund
                                                                              40 000 Menschen evakuiert und
                                                                              umgesiedelt werden. «Den Gesund-
                                                                              heitsmitarbeitenden fehlt die nötige
                                                                              Ausrüstung, um auch noch die rest-
                                                                              lichen Betroffenen zu erreichen», er-
                                                                              klärt Dr. Nayani Suriyarachchi, FAIR-
                                                                              MED-Landeskoordinatorin von Sri
                                                                              Lanka. FAIRMED unterstützte die
                                                                              Regierung mit einem Beitrag, der
                                                                              die Gesundheitsmitarbeitenden mit
                                                                              dem fehlenden Material ausrüstete.

Zwillinge Bart                        «Da es sich bei den Zwillingen von
                                      Romaric um sogenannte „falsche“
und Sybille                           Zwillinge, das heisst ein Mädchen
                                      und ein Junge handelt, schlagen
Die neugeborenen Zwillinge des        traditionellerweise Freunde oder
FAIRMED-Sicherheitsbeamten            Arbeitskollegen der Eltern die Na-
in der Zentralafrikanischen Re-       men vor», erzählt FAIRMED-Pro-
publik, Romaric, bekommen die         grammleiter Bart Vander Plaetse.
Vornamen Bart und Sybille und         «Da Sybille und ich im März, als die
werden damit nach dem FAIR-           Zwillinge geboren wurden, auf Pro-
MED-Programmleiter Bart Van-          jektbesuch in der Zentralafrikani-
der Plaetse und der Programm-         schen Republik waren, entschied
mitarbeiterin Sybille Imhof           sich das FAIRMED-Bangui-Team für
benannt.                              unsere Vornamen – was uns natür-
                                      lich sehr ehrt.»

                                                                                                           NEWS       3
Vor Ort - Ein Leben für Lepra Indien - FAIRMED
Ein Leben für
                 Lepra
                 Rao Venkateswara ist tot. Sein aussergewöhnliches Le-
                 ben und sein Engagement wirken aber noch immer. Rao
                 liess sich nicht in die Depression und ins soziale Abseits
                 treiben, obwohl er jahrelang erfolglos gegen seine Lepra-
                 Erkrankung und ihre schweren Folgen kämpfte. Nein, die
                 Krankheit wurde zum Motor seines Engagements, von dem
                 heute Tausende profitieren.

                 Indien im Jahr 1957: Zehn Jahre        Krise nach Lepra-Diagnose
                 sind vergangen, seit Indien die Un-    Der 20-jährige Rao Venkateswara
                 abhängigkeit erlangt hat. Das Land     lebt in Tenali, einer Stadt im Guntur-
                 steht aber erst am Anfang seiner       Distrikt im indischen Bundesstaat
                 wirtschaftlichen Entwicklung zu ei-    Andhra Pradesh an der Ostküste.
                 nem der wichtigsten Schwellenlän-      Rao ist ein intelligenter Mann mit viel
                 der. Im mehrheitlich bäuerlichen In-   Potenzial: «Ich hatte gerade das Han-
                 dien zieht der Traum von Reichtum,     delsdiplom abgeschlossen, gehörte
                 Zugang zu Ressourcen und sozialem      zu den Besten meines Jahrgangs.
                 Aufstieg im indischen Kastensystem     Als weisse Flecken auf meiner Haut
                 viele in die Städte.                   auftauchten und taub wurden, ging

4   SCHAUPLATZ
Vor Ort - Ein Leben für Lepra Indien - FAIRMED
ich zum Arzt. Die Diagnose: Lepra.» tete gerne und genoss die neue Ver- rigen Rao noch einmal die Hand hin:
Rao fällt in eine tiefe Depression. antwortung.» Seine Familie weiss in- Auf dem Weg in sein neues Ein-
Seinem Umfeld erzählt er nichts von zwischen, dass er Lepra hat. Seine siedlerleben kommt er mit einem
der Krankheit. Er weiss, wie die Ge- Frau, die er während des Studiums weitgereisten Mann ins Gespräch:
sellschaft Lepra-Patienten begeg- kennengelernt hat, unterstützt ihn, «Ich erklärte ihm den Grund meiner
net: «Ich wollte nicht ein Leben am     wo sie nur kann. Rao erlebt nur we- Reise. Daraufhin erzählte er mir von
Rand der Gesellschaft führen, lie- nig Diskriminierung: «Ich wurde einem Pilotprojekt, bei dem man mit
ber wollte ich ster-                                      stets von den Men- einer neuartigen Therapieform er-
ben», erzählt Rao               «Ich wollte               schen in meinem folgreich Lepra geheilt hatte», erin-
später. «Ende der                                         Umfeld akzeptiert nert sich Rao.
50er Jahre gab
                          unbedingt wieder                und von der Familie
es für Lepra noch         gesund       werden.»           unterstützt – auch Endlich geheilt!
keine wirksamen                                           als ich mich von ih- Der eigentlich lebensfreudige Rao
Heilmethoden. Zudem galten Le- nen abgewandt hatte», erklärte Rao ergreift die einmalige Gelegenheit:
pra-Kranke im strengen indischen        in einem Gespräch vor fünf Jahren. «Ich wollte es noch ein letztes Mal
Kastensystem als Unberührbare und                                                     versuchen, bevor ich mich endgültig
wurden gemieden.»                       Ein Wink des Schicksals                       in die Berge zurückzog.» Er nimmt
                                        Obwohl er von seiner Rolle als Leh- mit den Projektverantwortlichen
Am tiefsten Punkt seiner Depres- rer und Familienvater völlig verein- Kontakt auf. Anfangs noch skeptisch,
sion angekommen, erfährt Rao von        nahmt ist, wird der Drang nach Ge- beginnt er 1964 mit der Therapie.
der ayurvedischen Medizin, mit der nesung immer stärker. So trifft er die Fünf Jahre lang wird er mit dem An-
er sich während drei Monaten be- schwere Entscheidung, seine Fami- tibiotikum Dapson behandelt.
handeln lässt. Doch die Symptome        lie zu verlassen und sich ins 2400 km
verschlimmern sich: Weitere Haut- entfernte Himalaya-Gebirge zurück- In den Projektverantwortlichen fin-
stellen verfärben sich, er bekommt zuziehen. Rao steigt in den Zug ein, det er nicht nur kompetente Ge-
Augenprobleme und seine Füsse           überzeugt, dass der Weg der Götter sundheitsexperten, sondern auch
und Zehen verkrümmen sich. Das          der einzig richtige ist. Kaum hat die Freunde, die ihm nicht ein einziges
Bakterium frisst sich immer weiter Dampflokomotive Fahrt aufgenom- Mal das Gefühl geben, ein Lepra-
durch sein Nervengewebe: «Meine         men, streckt das Leben dem 25-jäh- Patient zu sein. Zudem erhält er
Finger hatten sich schon derart ver-
formt, dass ich mir nicht mal mehr
ohne fremde Hilfe das Hemd zuknöp-
                                                          Mit 20 Jahren wurde bei Rao Lepra diagnostiziert – doch den Mut
fen konnte.» Ein schwerer Schlag für                      verlor er nicht. Er nutzte seine persönliche Krankengeschichte, um
den bescheidenen und eigenständi-                         anderen zu helfen. So entstand GRETNALTES.
gen Akademiker. Fest entschlossen,­
eine Heilung zu finden, lässt sich Rao
von verschiedenen Ärzten untersu-
chen und versucht mit teilweise radi­
kalen Therapien zu genesen. 1962
beginnt er mit einer sechsmonatigen
Rohkost-Diät.

Arbeitsstelle trotz Lepra
Rao fühlt sich besser und findet
sogar eine Anstellung als Lehrer –
eine seltene Chance für einen Le-
pra-Kranken im Indien der 60er. Rao
weiss aber, dass die Krankheit noch
in seinem Körper und er nicht geheilt
ist: «Meine Tätigkeit als Lehrer gab
mir etwas Ablenkung. Ich unterrich-

                                                                                                                SCHAUPLATZ     5
Vor Ort - Ein Leben für Lepra Indien - FAIRMED
eine rekonstruktive Operation, die      Sie ist aber auch überwältigend: nis hält Rao bis zu seinem Tod fest.
ihn von den Folgebehinderungen          «Während ich unterrichtete, stan- Gemeinsam mit einem Freund, der
der Lepra befreit. Schliesslich gilt    den die Leute vor dem Klassenzim- gute Beziehungen zu europäischen
er 1969 als geheilt. Von der Krank-     mer Schlange, um sich von mir be- NGOs hat, gründet er den Ver-
heit bleiben ihm einige Narben, die     raten zu lassen. Mein Leben spielte ein «Greater Tenali Leprosy Treat-
ihn an seinen Weg zur Genesung          sich in zwei völlig                                 ment and Education
erinnern. Erst im Alter werden die      verschiedenen Wel-          «Niemand soll           Scheme    Society»,
Folgen der Lepra wieder belastend.      ten ab.» So entschei-                               kurz GRETNALTES.
                                        det sich Rao mit 33 je wieder so leiden Eine dieser NGOs ist
Wie Phönix aus der Asche                Jahren, die Dapson-             wie ich.»           FAIRMED, damals
Aus seiner Genesung schöpft Rao         Therapie in der Re-                                 noch unter dem Na-
neue Kraft. 1970 arbeitet er wieder     gion aktiv bekannt zu machen. Ge- men Leprahilfe Emmaus bekannt.
am College von Tenali. Mittlerweile     meinsam mit seinen Freunden vom Gemeinsam erbauen GRETNALTES
hat sich sein Fall herumgesprochen.     Pilotprojekt versorgt er zehn Jahre und FAIRMED im Dorf Morampudi
Die Menschen kommen aus der             lang Lepra-Patienten, während er des Distrikts Guntur 1981 ein Le-
ganzen Stadt, um seinen Rat auf-        weiterhin unterrichtet.               pra-Referenzspital und entwickeln
zusuchen. «Die Menschen sahen                                                 das regionale Früherkennungspro-
in ihm einen Mann, der über gro-        GRETNALTES wird geboren               gramm weiter. «Dank dieser Part-
sses Wissen über Lepra verfügte. Er     Das Jahr 1980 verspricht eine er- nerschaft ging meine Vision, allen
hatte die Gabe, den Menschen ihre       neute Wende im Leben von Rao: von Lepra betroffenen Menschen
Krankheit so zu erklären, dass sie      23 Jahre nach seiner Lepra-Diag- eine angemessene Behandlung zu
es auch verstanden. Sie vertrauten      nose wird ihm klar, dass er nicht ermöglichen, in Erfüllung», schreibt
ihm und im Gegenzug liess er nie-       länger gleichzeitig unterrichten und Rao in seinem letzten Aufruf an die
manden leer ausgehen», sagt Raos        Lepra-Beratungen machen kann. Beteiligten des Projekts.
Sohn Hemachandu Vagnara über            So widmet Rao sein Leben vollum-
seinen Vater.                           fänglich der Bekämpfung von Lepra: Seit 35 Jahren gemeinsam
                                        «Niemand, kein einziger Mensch, gegen Lepra
Seine neue Rolle als Vertrauter der     soll je wieder so leiden, wie ich Was mit simpler, aber wichtiger Tür-
Lepra-Kranken wächst ihm ans Herz.      es musste.» An diesem Bekennt- zu-Tür-Arbeit begann, entwickel­       te

Hand in Hand: In 35 Jahren konnten FAIRMED und GRETNALTES
gemeinsam rund 65 000 Behandlungen im Referenzspital in Morampudi
durchführen. Jedoch gibt es noch viele unentdeckte Fälle.
Vor Ort - Ein Leben für Lepra Indien - FAIRMED
Seit 2008 führt Raos Sohn Hemachandu den Verein GRETNALTES.
                                                       Er hat miterlebt, wie sein Vater sich für Lepra-Betroffene eingesetzt
                                                       hat und möchte das Projekt in Ehren seines Vaters so weiterführen.

sich zu etwas viel Grösserem:          rund 65 000 Behandlungen durch-
GRETNALTES wuchs zu einem Ort          geführt. Rao hat es sogar geschafft,
heran, an dem Lepra-Patienten und      eine offizielle Anerkennung für Le-
ihre Angehörigen nicht nur fachkun-    pra-Kranke durchzusetzen: Lepra-
dige Ärzte und kostenlose Behand-      Patienten erhalten nun monatlich
lungen fanden, sondern auch Men-       eine kleine IV-Rente, Lebensmittel-
schen, die sich für ihre Bedürfnisse   marken und kostenlose Buspässe.
und Rechte einsetzten. Bis heute ha-   Kurze Zeit später wird das Projekt
ben FAIRMED und GRETNALTES             durch eine Schule ergänzt. Dort er-
                                       halten die Kinder aus von Lepra be-
                                       troffenen Familien eine hochwertige
                                       Grundschulbildung.

                                       Seit 2008 leitet Raos Sohn Hema-
                                       chandu GRETNALTES. Er kennt das
                                       Projekt seit klein auf und hat die Ar-
                                       beit seines Vaters miterlebt. 2003
                                       versucht er seinen 66-jährigen Va-
                                       ter zu überzeugen, zu ihm nach Eng-
                                       land zu ziehen, damit er sich um ihn
                                       kümmern kann. Aber Rao will nicht.
                                       «Sein Pflichtgefühl war so stark, dass
                                       er sich nicht in der Lage sah, sich
                                       von GRETNALTES zu entfernen»,
                                       sagt Hemachandu. Er bewundere
                                       seinen Vater: «Ich empfand es als
                                       das einzig Richtige, das Erbe meines
                                       Vaters weiter zu tragen.» Und Rao
                                       ist stolz auf seinen Sohn: «Ich bin
                                       zutiefst gerührt, dass ich endlich die
                                       Person gefunden habe, nach der ich

                                                                                                            SCHAUPLATZ         7
Vor Ort - Ein Leben für Lepra Indien - FAIRMED
FAIRMEDs Wirkung 2017
                                                                                    Eckdaten des Projekts
                                           42                                       Begünstigte
                                Operationen                                         Direkte Begünstigte 2017        1548
                 für Menschen mit Lepra-bedingten                                   Indirekte Begünstigte 2017      3225
                        Behinderungen wurden im
                 GRETNALTES-Spital durchgeführt.
                                                                                    Budget des Projekts
                                                                                    2018                100 007 CHF

                      5302
                                                                                    Projektlaufzeit         2017 – 2020

      Behandlungen
    wurden im GRETNALTES-
         Spital durchgeführt.

                                                                                    3970
                           Guntur, Indien                                           staatliche Gesundheits-
                                                                                    mitarbeitende
                             133                                                    erhielten eine Weiterbildung in der
                                                                                    Früherkennung und Behandlung von
                                                                                    Lepra.
                           Kinder
      aus Lepra-betroffenen Familien
      haben ein Stipendium erhalten.
                                                                                    566
                                                                                    Lepra-Fälle
                                                                                    wurden durch das Früherkennungs­
                                                                                    programm neu entdeckt.
        Hilfe zur         Ausbildung     Medizinische
        Selbsthilfe       und Personal   Unterstützung

    so lange für meine Nachfolge ge-           erhalten werden muss. Was mit ei- sein Genesungsverlauf, dass Lepra
    sucht hatte. Und dass es mein Sohn         ner schrecklichen Diagnose begann, weder Todesurteil noch sozialer Ab-
    ist, ein Mensch aus der Mitte mei-         endete in etwas Wunderbarem, weil stieg heissen muss – aber nur, wenn
    nes Lebens, macht mich sehr glück-         mein Vater den                                           einem die Hand
    lich», schreibt Rao in seinem letz-        Mut und die            «Eine schreckliche                geboten wird.
    ten Aufruf.                                Selbstlosigkeit                                          In seinem Le-
                                               bewies, einer
                                                                     Diagnose endete in
                                                                                                        ben nahm Rao
    Unsterbliches erreicht                     Krankheit ent-      etwas Wunderbarem.» viele Rollen ein.
    Im April 2018 übermittelt Hema-            gegenzutreten,                                           In seiner Rolle
    chandu dem FAIRMED-Team in                 die bis heute noch viele in Indien als Aktivist für Lepra-Kranke blühte
    Bern die traurige Nachricht: Rao Ven-      plagt», schreibt Hemachandu.        er jedoch auf. «Ich gehe in Frieden»,
    kateswara ist im Alter von 81 Jah-                                             schreibt er in seinem letzten Auf-
    ren verstorben. «Er hinterlässt eine       Das Leben von Rao Venkateswara ruf, «der Mensch ist sterblich, aber
    gros­se Lücke, aber auch eine wun-         hätte ganz anders verlaufen können. ein Mensch kann Unsterbliches er-
    dervolle Errungenschaft, die weiter-       Selber an Lepra erkrankt, beweist reichen.»

8    SCHAUPLATZ
Vor Ort - Ein Leben für Lepra Indien - FAIRMED
GRETNALTES – Bildung und Behandlung
für Lepra-Betroffene in Guntur
In Zusammenarbeit mit GRETNALTES führt FAIRMED in der Guntur-Re-
gion Lepra-Früherkennungs-Programme durch und finanziert die Behand-
lungen von komplizierten Fällen im Lepra-Referenzspital. Im Einklang mit
dem staatlichen Leprabekämpfungs-Programm unterstützt FAIRMED die
Regierung bei der Schulung des staatlichen Gesundheitspersonals, der
Sensibilisierung der Bevölkerung und der Rehabilitation von Lepra-Betrof-
fenen. Der kostenpflichtige Unterricht an der GRETNALTES-Schule wird
von Kindern aus der ganzen Region besucht. Für Kinder aus Lepra-betrof-
fenen Familien stellt FAIRMED Stipendien zur Verfügung.
Vor Ort - Ein Leben für Lepra Indien - FAIRMED
Im Schatten des
                           Wirtschaftswunders
                           Indiens Wirtschaft wächst und wächst – gleichzeitig leben
                           im Schwellenland Indien so viele arme Menschen wie sonst
                           nirgends auf der Welt. Kann in diesem Land der Gegensät-
                           ze die Vison «Leave no one behind» eines Tages Realität
                           werden?

                           «Nach Jahrzehnten Wachstum ver-           kein Entwicklungsland mehr. In den
                           gessen die meisten von uns, dass          letzten siebzig Jahren ist das Wirt-
                           Indien bis heute eine der ärmsten         schaftswachstum im Land kontinu-
                           Nationen der Welt ist», warnte der        ierlich gestiegen, in den letzten zehn
                           indische Wirtschaftsnobelpreisträger      Jahren sogar um durchschnittlich­­
                           Amartya Sen im Interview mit «Der         7,3 Prozent pro Jahr. Ökonomen des
                           Spiegel». Tatsächlich ist Indien längst   britischen Centre for Business and

10   LEAVE NO ONE BEHIND
Economics Research (Cebr) pro-           Indien gezählt, und noch immer wird  Früherkennung und Prävention von
phezeiten Ende letztes Jahr, dass        die Krankheit bei zahlreichen Men-   Behinderungen durch Lepra. In Zu-
Indien in diesem Jahr zur fünftgröss-    schen zu spät erkannt, so dass sie   sammenarbeit mit lokalen Organi-
ten Wirtschaft weltweit anwachsen        lebenslänglich unter den Folgen von  sationen trägt FAIRMED in abgele-
wird. Gleichzeitig gibt es kein ande-    verstümmelten Gliedmassen leiden.    genen ländlichen Gebieten und in
res Land auf der Welt, in dem so viele                                        Slums der Millionenstädte zur Dia-
Menschen in Armut leben. Laut der        Krankheit als Zeichen von Armut gnose, Überwachung, Behandlung
World Bank kommen rund 300 Milli-        Besonders die Ärmsten, die auf en- und Wiedereingliederung von Le-
onen Menschen in Indien mit weni-        gem Raum, unter fatalen hygieni- pra-Betroffenen bei. Lepra gehört zu
ger als zwei Dollar pro Tag aus – das    schen Bedingungen                                   den vernachlässigten
ist jede oder jeder Fünfte im Land.      und ohne Zugang zu          «Jede fünfte            Tropenkrankheiten.
                                         medizinischer Ver-                                  Wo diese Krankhei-
Vom Fortschritt profitieren die          sorgung leben, sind        Person lebt in           ten auftreten, geht
Städte                                   gefährdet, sich mit     extremer Armut.» es den Menschen
Rund 80 Prozent der Armen leben          Lepra anzustecken.                                  am allerschlechtes-
in ländlichen Regionen, vom Wirt-        FAIRMED hat in den Anfängen ih- ten. Mit jedem Menschen, der von
schaftswachstum profitieren fast         rer Tätigkeit in Indien viele Lepra- einer oder mehreren vernachlässig-
ausschliesslich die Städte. Viele        Spitäler gebaut und unterhalten. ten Tropenkrankheiten geheilt wird,
Landbewohner versuchen ihr Glück         Heute verschieben sich die Pro- gelingt es, einen Menschen weniger
in der Stadt, wo sie meist in Elends-    gramme immer mehr in Richtung zurückzulassen.
vierteln hausen und mit ein paar Ru-
pien pro Tag überleben, indem sie
den Wohlstandsmüll der Besserver-
dienenden einsammeln und sortie-
                                                          Über 60 Prozent aller bekannten Lepra-Fälle stammen aus Indien.
ren. Den Schwächsten der Gesell-                          Deshalb fokussiert FAIRMED vor allem auf die Früherkennung
schaft wie Frauen, Kindern, älteren                       und Prävention von Behinderungen durch Lepra.
Menschen und Menschen mit Be-
hinderungen mangelt es an genü-
gender Ernährung, angemessenem
Wohnen, Bildung und medizinischer
Versorgung. Die staatlichen Unter-
stützungsprogramme scheitern oft
an bürokratischen Formalitäten:
Viele wissen nichts über die Pro-
gramme, verfügen über keinen Per-
sonalausweis, können die Hürden
bis zum Amt nicht allein nehmen. So
spielen die Programme von internati-
onalen Entwicklungsorganisationen
weiterhin eine grosse Rolle.

Fast sechzig Jahre Lepra-Arbeit
FAIRMED begann ihre Tätigkeit in
Indien bereits im Gründungsjahr
1959 noch unter dem Namen Aus-
sätzigenhilfe. Obwohl es heute wirk-
same antibiotische Behandlungs-
möglichkeiten gegen Lepra gibt, ist
die Krankheit noch längst nicht aus-
gerottet. Noch immer werden jähr-
lich am meisten neue Lepra-Fälle in

                                                                                                   LEAVE NO ONE BEHIND      11
Die FAIRMED-Projekte 2017
     in Zahlen

     Afrika
     Elfenbeinküste                            Kamerun                             Zentralafrikanische
                                                                                   Republik

                        57 717                            145 464                                  182 024

                        32 602                              86 247                                  89 923

                                 0                              1119                                 1221

                               66                                470                                  354

         So viele Menschen haben 2017 durch              So viele Patienten wurden 2017 via
         Prävention, Sensibilisierung und eine           FAIRMED medizinisch behandelt.
         ver­besserte Gesundheitsstruktur direkt
         oder indirekt von FAIRMED-Projekten
         profitiert.

         So viele neu mit Lepra oder anderen             So viele einheimische, qualifizierte
         vernachlässigten Tropenkrankheiten              Gesundheitsmitarbeitende und freiwi­
         angesteckte Patienten wurden von                lige Gesundheitshelferinnen und -helfer
         FAIRMED behandelt.                              wurden von FAIRMED aus­gebildet.

12   AKTUELL
Asien
  Indien                              Nepal                                Sri Lanka

                  118 943                             176 095                                 4354

                   17 881                              52 900                                     286

                     2354                                   202                                   343

                     6745                                 2777                                    525

In den sechs Ländern, in denen FAIRMED 2017 arbeitete, haben die vor Ort tätigen festangestell-
ten Mitarbei­te­rin­nen und Mitarbeiter gemeinsam mit den lokal ausgebildeten Gesundheits­
mitarbeiten­den für i­nsgesamt 684 597 Menschen Gesundheitsdienstleistungen erbracht.
279 839 Patienten wurden medizinisch behandelt, darunter 5239, die sich neu mit vernachläs-
sigten Tropenkrankheiten wie Lepra oder Buruli angesteckt haben.

Diese Hilfe ist nur dank unzähligen Menschen möglich, die sich mit uns engagieren.
Ganz herzlichen Dank darum an alle, die dazu beigetragen haben.

                                                                                                   AKTUELL   13
Empowerment!
                  23 Jahre hat der 63-jährige Rechtsanwalt und Notar Rolf Lehmann
                  den Stiftungsrat von FAIRMED geleitet. Neuer Stiftungsratspräsi-
                  dent ist Adrian Hehl, 56-jähriger Professor in Molekularbiologie. Rolf
                  Lehmann amtet neu als Vizepräsident.

                  FAIRMED vor Ort: Bereits seit 28       mals noch war, zu engagieren. Und
                  Jahren engagierst du dich im Stif-     dass ich das jetzt mehr als mein hal-
                  tungsrat von FAIRMED. Wie bist         bes Leben gemacht habe, zeigt, wie
                  du überhaupt zur Entwicklungs-         spannend diese Arbeit für mich ist.
                  organisation gekommen, Rolf?
                                                         Nun hast du das Präsidium an
                  Rolf Lehmann: Das Büro der Lepra-      Adrian Hehl weitergegeben.
                  hilfe, wie FAIRMED früher hiess, be-   Adrian, wie bist du zu FAIRMED
                  fand sich in den Achtziger Jahren an   gekommen?
                  der Berner Spitalgasse 9, im selben
                  Haus, in dem auch mein Büro gele- Adrian Hehl: Da mein Vater als Arzt
                  gen ist. Dort lernte ich im Lift den für die damalige Leprahilfe arbeitete,
                  damaligen Vereinspräsidenten Wal- haben wir als ganze Familie mit da-
                  ter Rosenfeld kennen.                               mals drei Kindern ei-
                  Da ich während sechs «Das Thema Dritte nige Jahre in Indien
                  Monaten Sri Lanka,                                  und der Türkei gelebt.
                  Indien und Nepal be-     Welt    interessierte      So war ich seit Kinds-
                  reist hatte und mich         mich sehr.»            beinen an sehr nah mit
                  das Thema dritte Welt                               FAIRMED verbunden.
                  sehr interessierte, beschloss ich, Nun bin ich seit etwas mehr als zehn
                  mich im Verein, der FAIRMED da- Jahren im Stiftungsrat dabei.

14   PERSÖNLICH
Was hat sich eurer Meinung nach        rische Richtung weiterentwickelt, so    giert die Mitarbeitenden sind, wie
am meisten verändert bei FAIR-         dass wir als Stiftungsräte näher am     eng und herzlich sie zusammenar-
MED in der Zeit, während der ihr       Geschehen sind und eher Einfluss        beiten und mit was für unglaubli-
dabei seid?                            nehmen können als das vorher der        chen Schwierigkeiten die Begüns-
Adrian Hehl: Unsere Themen von         Fall war. Mit dem Geschäftsleiter       tigten vor Ort zu kämpfen haben.
der Lepraarbeit zu Gesundheit für      treffe ich mich alle zwei Wochen zu
die Ärmsten auszuweiten und das        einer Sitzung, in der wir das Wich-     Adrian Hehl: Der Besuch vor Ort
Branding entsprechend zu gestal-       tigste besprechen.                      war der totale Reality Check und
ten, war anspruchsvoll. Dass wir nun                                           zeigte mir die Vielschichtigkeit der
auch von den Vereinten Nationen        In welche Richtung soll sich FAIR-      Problematik bei der Umsetzung der
und der DEZA als valide Programm-      MED eurer Meinung nach weiter           Projekte! Nicht nur die Gesundheits-
partner wahrgenommen werden,           entwickeln?                             versorgung und die Frage wie man
zeigt, dass diese Entwicklung er-                                              Kranke behandelt, ihnen bei Inva-
folgreich war und ist.               Adrian Hehl: Darauf gibt es ein           lidität wieder ein menschenwürdi-
                                     Wort zu antworten: Empowerment!           ges Leben und ihren Kindern eine
Rolf Lehmann: Und sie passierte Es gilt, die Menschen vor Ort zu be-           Schulbildung ermöglicht, beschäf-
nicht abrupt,                                           fähigen, ihre Si-      tigt die Menschen dort – manchmal
sondern      hat    «Die Menschen sollen tuation selbstän-                     geht es auch einfach um kaputte
sich ganz or-                                           dig und autonom        Dächer und die Wasserversorgung,
ganisch erge-     ihre  Situation   eigenständig        zu verändern, so       die nicht funktioniert.
ben. Bereits in       verändern können.»                dass wir als Ent-
meinem ersten                                           wicklungsorga-
FAIRMED-Jahr, 1990, war zum Bei- nisation grosse Projekte schliess-
spiel auch Tuberkulose ein Thema in lich in die Selbständigkeit entlassen
unseren Projekten.                   können.

Adrian Hehl: Festzuhalten ist auch,    Rolf Lehmann: Das deckt sich übri-
dass uns viele Spenderinnen und        gens eins zu eins mit der «Hilfe zur
Spender aus der Zeit der Leprahilfe    Selbsthilfe», der FAIRMED bereits in
auch treu geblieben sind, seit wir     ihren Anfängen vor fast sechzig Jah-
uns vom hauptsächlich auf Lepra fo-    ren verpflichtet war.
kussierten Verein zur Stiftung mit
dem Ziel, den Ärmsten einen Zu-        Adrian Hehl: Ja, diesen Unique Sel-
gang zu medizinischer Versorgung       ling Point wollen wir auch in Zukunft
zu ermöglichen, gewandelt haben.       behalten: Unser Nachhaltigkeitsprin-
Das Wagnis wurde zum Erfolg.           zip heisst, dass wir als Organisation
                                       immer auf einen Rückzug aus gut                Rolf Lehmann und Adrian Hehl
                                                                                      lernten FAIRMED noch unter
Was war bisher die grösste He-         laufenden Projekten hinarbeiten. Und           dem Namen Leprahilfe Emmaus
rausforderung für euch als Stif-       wenn wir dann nach dem Abschluss               Schweiz kennen. Als langjährige
tungsräte?                             der Projektlaufzeit zurücktreten,              Stiftungsratsmitglieder haben
                                                                                      sie an der Entwicklung zur heu-
                                       muss das Versprechen, dass auch                tigen Organisation massgeblich
Rolf Lehmann: Die stetige Weiter-      die Ärmsten eine gute Gesundheits-             mitgewirkt.
entwicklung des damaligen Lepra-       versorgung haben, eingelöst sein.
hilfswerks zur heutigen komplexen
Non-Profit-Organisation. Dazu ge-      Beide habt ihr in Indien FAIR-
hört insbesondere auch die stetige     MED-Projekte besucht. Was hat
Entwicklung unserer Ansprüche an       das bei euch ausgelöst?
die Projekte vor Ort.
                                       Rolf Lehmann: Beim Besuch von
Adrian Hehl: Wir haben die Organi-     FAIRMED-Projekten in Indien hat
sationsstruktur in eine unternehme-    mich sehr beeindruckt, wie enga-

                                                                                                          PERSÖNLICH    15
r en E  in s at z  f ür die
Sie machen unse                 e r s t  m ög li c h!
    s un dheit der Ä r ms t e n
G e

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