Von der Bandbreiten planung zu den Bandbreiten der Planung - Controller Akademie
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Te chnologie & M ensch Von der Bandbreiten planung zu den Bandbreiten der Planung Ganz ohne den Menschen geht es dann doch nicht In diesem Beitrag soll der Begriff „Bandbreiten“ im Zusammenhang mit Planung mit einem neuen Verständnis betrachtet werden. Spontan denken die meisten dabei wahr- scheinlich an „Bandbreitenplanung“, also eine Planung, bei der für verschiedene Parameter definiert wird, welche Werte sie „von ... bis ...“ annehmen können. Dabei handelt es sich um eine Methode, mit der Unsicherheiten und Risiken im Rahmen einer Planung berücksichtigt werden. Es werden Best-, Worst- und Realistic-Cases kategorisiert oder sogar Erwartungswerte und Konfidenz intervalle mithilfe der Monte-Carlo- Simulation berechnet. Doch darum soll es im Folgenden nicht gehen. Vielmehr soll das Spektrum der bei der Unternehmensplanung Illustration —Kirill Smyslov/123rf.com betrachteten Aspekte dargestellt und breiter gefasst werden, als dies bei vielen Autoren derzeit der Fall ist, die sich vor allem auf Methoden- oder Softwarefragen fokussieren. Text — Guido Kleinhietpaß, Jens Ropers Re thinking Finan ce 2 . 2 02 1 April 2 02 1 39
Te chnologie & M ensch Unsicherheit und Unzufriedenheit mit dem hier bestehen große Differenzen zwischen den Planungsprozess nehmen weiter zu angedachten Arten der Verbesserung. Schließ- Die Welt wird immer volatiler, unsicherer und lich wird nicht selten berichtet, dass Mitarbeiter komplexer. Angetrieben durch die Digitalisierung und Manager die Planung gern abschaffen oder entstehen in rasender Geschwindigkeit neue deutlich „zurechtstutzen“ würden. Dies ist nicht Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistun- neu: Auf Jack Welch, CEO von General Electric, Guido Kleinhietpaß gen. Einige verschwinden genauso schnell wie- geht das legendändere, bereits vor Jahrzehnten ist Partner bei der CA der. Andere stabilisieren oder verändern sich. So geäußerte Zitat „The budget is the bane of corpo- Akademie AG und verantwortet die können Fehldeutungen und Fehlentscheidungen rate America“ zurück. Diesem Ausspruch folgten Themenwelt Accounting entstehen: Was gestern noch sinnvoll erschien, ist langjährige Diskussionen um Beyond Budgeting, & Finance. heute obsolet. Diese Entwicklung hat bereits viele Advanced Budgeting, Better Budgeting und wei- Schwerpunkte seiner Branchen erfasst. Um mit so einer VUCA-Welt tere hier nicht genannte Varianten. Trainertätigkeit sind alle (Volatility-Uncertainty-Complexity-Ambiguity) Fragen der Kosten- rechnung, integrierte umzugehen, erfordert es die Akzeptanz von Nur das Bemühen um Standardprozesse Businessplanung (Sze- Unschärfe, das Gehen von eher kleinen Schrit- UND der erfolgreiche Umgang mit narien, Treiberbasierung, ten mit regelmäßigen Korrekturen, eine offene Dynamik können nachhaltig erfolgreich sein Investitionsrechnung, Bi- lanz, GuV, CF-Statement, Fehler- und Feedback-Kultur sowie Wissen über Einigkeit scheint allerdings bei der Einschätzung Risiko), Rechnungslegung den Kontext und die Hypothesen, über mögliche zu herrschen, dass die zunehmende Dynamik der sowie Transferpreise. Als Wirkungsketten bzw. -netze. Dem gegenüber VUCA-Welt sich nicht in standardisierten Prozes- Consultant kümmert er sich in Firmen vor allem steht der „klassische Planungsprozess“, in dem sen allein abbilden lässt, die vollständige Abschaf- um die Neuausrichtung versucht wird, möglichst deterministische Aus- fung der Planung aber auch keine angemessene der Kostenrechnung und sagen über zukünftige Entwicklungen zu treffen, Lösung ist. Die Erfahrungen der Unternehmen, die der Planung. eine optimale Vorgehensweise festzulegen und es mit Beyond Budgeting versucht haben und zur das Handeln im Unternehmen dauerhaft danach Planung zurückkehrten, sind ein starkes Signal auszurichten und zu steuern. Eine Absicht, die für das Potenzial von Planung. Vielmehr braucht der heutigen Dynamik vieler Branchen bei Wei- es heutzutage Ambidextrie oder „Beidhändigkeit“, tem nicht gerecht wird. nämlich einerseits Struktur und Prozesse sowie andererseits einen ergänzenden Umgang mit Das bestätigen auch die Erfahrungen aus den Dynamik. Gerhard Wohland bezeichnet Unterneh- Seminaren der CA controller akademie, insbe- men, die auf die Herausforderungen der Zukunft sondere des „Planungs-Workshops“, in dem der vorbereitet sind, als dynamikrobust.1 Der robuste Jens Ropers Erfahrungsaustausch im Mittelpunkt steht. In Anteil beruht auf Wissen und Erfahrungen, die ist Partner bei der CA einer Gruppenarbeit geht es um die Frage, was über Regeln und Methoden in Prozesse einfließen. Akademie AG und verant- wortet die Themenwelt Controller und Manager an der Planung stört Wenn die Prozesse nicht mehr effizient ablaufen, Information Management und mit welchen Verbesserungsmaßnahmen werden sie auf Schwachstellen hin analysiert. und den Qualifizierungs- bereits positive Erfahrungen gemacht wurden. Eine Prozessverbesserung erfolgt dann meist auf pfad zum Change Agent. Dabei sind die Antworten zu den Störungen Basis von Benchmarks, Best-Practice-Beispielen Er berät Unternehmen üblicherweise wesentlich länger als die erfolg- oder internen Maßnahmen. Dabei wird davon bei der Entwicklung von Qualifizierungsstrategien reichen Verbesserungsideen. Die einen unter- ausgegangen, dass das den Prozess bestimmende im Rahmen der digitalen scheiden nicht zwischen Prognose und Planung, Umfeld nahezu vollständig erfasst und verstanden Transformation. Als die anderen bezweifeln den Nutzen generell, ist und ein neuer Sollprozess definiert werden Trainer führt er Seminare für Controller, Fach- und wieder andere stören sich an der langen Dauer, kann. Solche Prozesse können im Rahmen einer Führungskräfte durch die nächsten kritisieren die fehlenden Vorgaben, Planung eher leicht und vielleicht sogar automati- und unterstützt durch während einige ein zu striktes Top-down-Vor- siert berücksichtigt werden. Workshops, Beratung so- wie individuell gestaltete gehen bemängeln. Alle gemeinsam ärgern sich, Seminare Unternehmen wenn eine mühsam erstellte Planung kurz vor der Die VUCA-Welt kann dazu führen, dass soeben in Veränderungspro- Finalisierung von der obersten Führungsetage definierte Sollprozesse nicht mehr zur Ruhe zessen. kurzerhand in wesentlichen Punkten übersteuert kommen. Permanent muss angepasst und wird. Vielleicht finden sich auch manche Leser in adaptiert werden, wodurch nicht selten Chaos dieser längst nicht vollständigen Liste wieder. entsteht. In Wirklichkeit ist das der Versuch, Im Gespräch mit den Teilnehmern wird dann zunehmende Dynamik in Standardprozesse zu klar, dass zwar alle von Planung sprechen, aber zwingen. Genau das führt dazu, dass das Unter- der Umfang und die Detaillierung der Planung nehmen weder über effiziente Prozesse verfügt bei den Unternehmen genauso unterschiedlich sind wie das Vorgehen oder die Softwareunter- stützung. Die meisten Workshop-Teilnehmer 1 Vgl. Wohland, dynamikrobust, 2021, www.dynamikrobust.com wollen Planung anders durchführen; aber auch (Abruf: 02.02.2021). 40 Re thinking Finan ce 2 . 2 02 1 April 2 02 1
Te chnologie & M ensch Abbildung 1: Umfrage zu den nächsten Schritten zur Verbesserung der Planung Um meine Planung zu verbessern, möchte ich ... ... den Planungsprozess vereinfachen. 27% ... treiberbasiert planen. 24% ... eine Kombination aus allem. 24% ... auf Predicts setzen. 14% ... Monte-Carlo-Simulation testen. 11% noch mit Dynamik umgehen kann. Wesentlicher abhängig von Branche (z.B. ein Unternehmen der Erfolgsfaktor für den Umgang mit Dynamik ist öffentlichen Hand) und Marktsituation (z.B. ein die Erkenntnis, dass nicht mehr jede Aufgabe in Start-up). eindeutig definierte Prozessschritte, Arbeitsan- weisungen und organisatorische Zuständigkei- Der Fokus liegt meist auf der Suche nach ten gezwängt werden kann. Vielmehr braucht es Methoden zum Umgang mit Unsicherheit in einen gemeinsam getragenen Zielzustand, auf der Planung und deren Unterstützung mit den hingearbeitet wird. Dabei orientieren sich Technologie die Mitarbeiter an Prinzipien, die zu Leitplanken Selbst wenn sich Unternehmen ihres Dynamik werden, die den eigenen Entscheidungsspielraum robust-Mixes bewusst sind, suchen sie nach begreifbar machen. Bei der Problemlösung wer- Methoden, um die beschriebenen Defizite der den Werkzeuge auf ganz unterschiedliche Art Planung zu beheben. Eine Umfrage bei der Fach- und Weise zur Anwendung gebracht oder auch tagung Planung der CA controller akademie im kombiniert und es wird nicht nach bestimmten, Herbst 2020 zeigt die in Abbildung 1 3 dargestell- vordefinierten Lösungsmethoden vorgegangen. ten methodischen Präferenzen. Schließlich wird projektartiger in interdiszi- plinären Teams gearbeitet, als in funktional Tatsächlich war dabei eine Reihenfolge erkenn- organisierten Abteilungen dem Silodenken und bar, die – abhängig von der jeweiligen Ausgangs- isolierten Zielsetzungen nachzugehen. Wohland situation des Unternehmens – sinnvoll erscheint. beschreibt dies treffend mit dem Satz: „Die erfolg- Startpunkt wäre demnach die Vereinfachung reichen Denktraditionen für träge Märkte sind des Planungsprozesses und die Identifikation der heute keine Lösung, sondern das Problem!“ 2 wesentlichen Treiber des Unternehmenserfolgs, gefolgt von einer Bandbreitenplanung mit Best-/ Das gilt natürlich auch für die Unternehmens- Worst-Case-Betrachtungen sowie dem Einsatz planung. Die wesentliche Leistung besteht darin, von Predictive Analytics für standardisierbare unterscheiden zu können, an welcher Stelle stan- Prozesse und das Erkennen von Ursache-Wir- dardisierte Prozesse sinnvoll sind und wo es eine kungs-Zusammenhängen. Schließlich würde der Dynamik angepasste flexible Vorgehensweise die Monte-Carlo-Simulation eingesetzt werden, braucht. Darauf sollte auch die Art und Weise um Bandbreiten mit Erwartungswerten und der Planung angepasst werden. Das jeweilige Konfidenzintervallen zu versehen. Auf die Verhältnis zwischen Robustheit und Dynamik Details einzelner Methoden soll an dieser Stelle ist erfahrungsgemäß höchst individuell und nicht eingegangen werden. Vielmehr wird im 2 Wohland, dynamikrobust, 2021, www.dynamikrobust.com 3 Quelle: CA controller akademie, Unveröffentlichte Umfrage, durchge- (Abruf: 02.02.2021). führt bei der Fachtagung Planung, Herbst 2020. Re thinking Finan ce 2 . 2 02 1 April 2 02 1 41
Te chnologie & M ensch Folgenden kritisch beleuchtet, dass man sich oft des Internationalen Controller Vereins, „Planung auf eine vermeintliche Lösung fokussiert, indem ist Testhandeln – die gedankliche Vorwegnahme man meint, die mit der Planung verbundenen Pro- künftiger Ereignisse“ und das Budget als „Maß- bleme durch die Auswahl der richtigen Methode, nahmenplan, in Zahlen übersetzt“ betrachtet einer damit verbundenen Softwarelösung und und als Ideal zugrunde legt, dann muss einem die den Einsatz von Big Data und künstlicher Intelli- Realität Sorgen machen. Es lässt sich nämlich genz beheben zu können. nicht anordnen, dass Mitarbeiter gute Ideen mit- teilen, ein persönliches Interesse an der Qualität Die Unternehmenskultur und der Faktor der Planung bzw. den Maßnahmen haben und Mensch bleiben vielfach unberücksichtigt rückhaltlos mitarbeiten. Verhalten lässt sich Der Austausch mit den Seminarteilnehmern nur begrenzt durch Anordnung steuern. Wer macht immer wieder deutlich, dass viele Unter- ernsthaft daran interessiert ist, dass Mitarbeiter nehmen, unabhängig von der angestrebten Art ihr Bestes geben und mitteilen, sollte auch in der Verbesserung und den gewählten Methoden der Planung den Grundsatz verfolgen, dass die und Maßnahmen, nicht den gewünschten Erfolg Einstellung der Mitarbeiter der Schlüssel für erzielen. Interessanterweise gibt es eine allen Verbesserungen ist. Dieser Zusammenhang kann Fällen zugrunde liegende Gemeinsamkeit: Kei- im MOVE-Schema dargestellt werden. nes der Projekte zur Verbesserung der Planung scheiterte am Methodenwissen oder an der Soft- MOVE als breiter gefasster Ansatz wareunterstützung. Vielmehr sind es die mit der Das Akronym MOVE (vgl. Abbildung 2) steht methodischen Anpassung häufig verbundenen dafür, im Unternehmen etwas zu bewegen, also Veränderungen, die von den Menschen in der Veränderungen erfolgreich zu gestalten. Dies Organisation nicht mitgetragen werden, weil sie kann nur gelingen, wenn sowohl die Sache (die erfordern, sich von gewohnten Mustern zu lösen. Buchstaben „M“ und „O“) als auch der Mensch (wofür die Buchstaben „V“ und „E“ stehen) Der letzte Satz wird klarer, wenn wir uns auf die berücksichtigt werden. Dabei steht das „M“ für Metaebene begeben und uns dazu zwei Fragen die Methode. Hier geht es zum Beispiel um die stellen, die Peter Drucker bereits vor vielen Jah- Frage, wie es gelingen kann, den Aufwand der ren formuliert hat: Planung durch Vereinfachung zu verringern, durch treiberbasierte- oder Bandbreitenplanung ■ ■ Tun wir die richtigen Dinge? die Qualität zu verbessern oder mit dem Einsatz ■ ■ Tun wir die Dinge richtig? von Predictive Analytics Daten zur Planung und zum Forecasting zu nutzen. Das „O“ steht „Doing things right“ ist die Frage nach der für die Organisation, also die dazu notwendigen Effizienz und da spielt sicherlich die eingangs organisatorischen Veränderungen, wie beispiel- genannte IT-Unterstützung eine zentrale Rolle. weise den Aufbau einer neuen Abteilung oder von Jedoch – da dürfte Einigkeit bestehen – nützt es Kompetenzen zum Thema Advanced Analytics. nichts, mit großer Effizienz Dinge zu tun, die man „V“ steht für das Verhalten der Menschen. Welche besser unterlassen hätte. Also steht die Frage internen Verhaltensspielregeln müssen beachtet nach den richtigen Dingen, also der Effektivität werden, damit hohe Flexibilität in der Analyse, im Sinne von grundsätzlicher Wirksamkeit, an der Planung und dem Forecasting einerseits, erster Stelle. Das ist scheinbar die Methoden- sowie Datensicherheit und eine Single Source of frage. Unseres Erachtens ist es aber keineswegs Truth andererseits erreicht werden können? Wie so, dass Unternehmen, die moderne Methoden verhalten wir uns in Bezug auf Transparenz in der und gute IT-Unterstützung haben, dauerhaft Planung, insbesondere, wenn individuelle Ziele zufriedener sind als solche, die mit scheinbar und eine Incentivierung damit verbunden sind? alten Instrumenten arbeiten. Vielmehr zeigt sich, Das hängt wiederum von „E“, der Einstellung der dass neue Methoden, Tools und Instrumente nur Menschen zu den Dingen, ab. Ist diese vom Fokus kurzfristig zur Zufriedenheit beitragen. auf den eigenen Nutzen gerichtet, werden Verhal- tensregeln häufig umgangen. Der Kern von Effektivität ist – allen Lippenbe- kenntnissen zum Trotz – nicht Teil der allge- Im Kontext der Planung hätte dies z.B. geschönte meinen Diskussion um die Planung geworden: Planungswerte, Dateninkonsistenzen und nämlich die ernsthafte Einbeziehung der damit eine verfälschte Entscheidungsbasis der Mitarbeiter. Genau das ist aber der Kern gestal- Unternehmensplanung zur Folge. „M“ und „O“ tungsorientierter Eigenverantwortung. Wenn können zwar relativ schnell verändert werden, man die Idee von Albrecht Deyhle, dem Gründer die größte Wirkung auf einen erfolgreichen 42 Re thinking Finan ce 2 . 2 02 1 April 2 02 1
Te chnologie & M ensch Abbildung 2: MOVE-Schema: Beeinflussbarkeit und Wirksamkeit von Maßnahmen zur Veränderungen (eigene Darstellung) Beei eit nflus sbar samk keit Wirk Methode Organisation Verhalten Einstellungen SACHE MENSCH Transformationsprozess haben jedoch „V“ und Wodurch aber werden Dynamik und Komplexität „E“ und damit der Mensch. Häufig wird versucht, getrieben? Ein wesentlicher Treiber ist die zuneh- unerwünschtem Verhalten über die Systemseite mende Vernetzung unserer Welt – beruflich wie beizukommen und den Faktor Mensch über den privat. Schlagworte der letzten Jahre sind hier Einsatz von Technologie zu eliminieren. Da es beispielsweise Industrie 4.0, Mensch-Maschi- aber am Ende die Menschen im Unternehmen ne-Systeme, Plattformökonomie, Intenet of sind, die Entscheidungen treffen und umsetzen, Things (IoT), soziale Netzwerke, Globalisierung, ist das nicht nachhaltig erfolgreich. Auch wenn Smart Factory, Smart Home usw. Mit der Anzahl sich „M“ und „O“ leichter verändern lassen: Die der Elemente und der Anzahl der Beziehun- höhere Wirksamkeit entfaltet sich bei der Ein- gen in einem (Teil-)Netzwerk aber steigt die beziehung von „V“ und „E“. Das lässt zweierlei Anzahl der Ursache-Wirkungs-Beziehungen Rückschlüsse zu. Einerseits könnte es sein, dass exponentiell. Die „Vernetzung von Netzwerken“ nicht immer methodische Veränderungen erfor- untereinander verstärkt diese Entwicklung noch derlich sind, um die Planung zu verbessern, son- einmal extrem. Kleine Ursachen beeinflussen dern dass lediglich mehr Fokus auf „V“ und „E“ immer mehr Elemente und erzeugen schon gelegt werden muss. Zum anderen bedeutet dies, allein deshalb immer stärkere Wirkungen. Meist dass bei einer Anpassung der Planungsmethodik erreicht die Veränderung aufgrund zusätzlicher unbedingt auch der Faktor Mensch betrachtet Beziehungen wesentlich mehr Elemente in kür- werden muss. Wie die Komplexität der Planung, zerer Zeit als früher. Dynamik und Komplexität die Dynamik im jeweiligen Umfeld des Unterneh- steigen damit i.d.R. weit schneller an, als die mens und der Faktor Mensch zusammenhängen, menschliche Erfahrung Schritt halten kann. Es zeigen wir im folgenden Abschnitt. ist das Versagen der klassischen Vester-Matrix von Ursache-Wirkungs-Beziehungen in Bezug Der Mensch als Einflussfaktor der Planung auf das Gesamtbild. 5 Menschen können immer Im Verlauf der Diskussion über das richtige Pla- weniger neu hinzukommende Einflussfaktoren nungsmodell orientiert man sich nicht selten, wie des Umfelds erfassen, die entstehenden Bezie- Abbildung 3 4 zeigt, an den „äußeren Umständen“, hungen und Wechselwirkungen verarbeiten und z.B. an der Komplexität (Anzahl der relevanten bewerten. Dies kann in Abbildung 3 nicht darge- Sachverhalte) oder an der Dynamik (Häufigkeit stellt werden, denn es genügt nicht, einfach nur und Stärke, mit der sich die Sachverhalte im eine dritte Achse für den „Faktor Mensch“ in die Betrachtungszeitraum ändern). Abbildung zu integrieren. 4 Quelle: Weber/Lindner, Budgeting, 2003, S. 40. 5 Vgl. Pascher/Ropers/Zillmer, Controllers Toolbox, 3. Aufl. 2018. S. 211-226. Re thinking Finan ce 2 . 2 02 1 April 2 02 1 43
Te chnologie & M ensch Abbildung 3: Umfeldbedingungen sollen das Budgetierungskonzept bestimmen Dynamik Beyond hoch Budgeting „roter Bereich“ mittel Better Budgeting niedrig „grüner Bereich“ Klassische Budgetierung niedrig mittel hoch Komplexität Vielmehr ist das Cynefin-Modell 6 in abgewandel- Handlungsmuster, die im Zeitablauf verändert, ter Form in Abbildung 4 ein geeigneter Systema- kombiniert und letztlich selektiert werden tisierungsrahmen. („emergent practices“). In einer chaotischen Umwelt hingegen muss zunächst ausschließlich In einer einfachen Situation erkennt jeder Mensch schnell gehandelt, d.h. „gegengesteuert“ werden, das zugrunde liegende Muster und kann sofort ohne Zeit für Experimente zu haben („novel („best practice“) handeln und planen. In einer practice“). Die Wirkung der zunehmenden Ver- komplizierten Situation kann der Experte durch netzung ist deshalb mit dem durchgezogenen Analyse richtige Handlungsalternativen („good Pfeil eingezeichnet: Für die an der Planung practices“) erkennen und daraus eine Abwägung beteiligten Menschen ändert sich die Umwelt von von Vor- und Nachteilen in der Planung vorneh- „kompliziert“ zu „komplex“ und möglicherweise men. Beim Übergang zur komplexen Umwelt weiter zu „chaotisch“. Je nach Region, Branche braucht es die dargestellte Ambidextrie. Einfache oder Unternehmensgröße sind Unternehmen und Planungsfragen werden mit Standardprozessen Menschen bereits heute mehr oder weniger stark gelöst. Komplexe Probleme brauchen Versuch von dieser Entwicklung betroffen. und Irrtum. Es ergeben sich mehrere mögliche Scheinbar hängt auch im Cynefin-Modell die Art der Planung von der Umwelt, d.h. allein davon ab, 6 Vgl. Snowden/Boone, Harvard Business Review, November 2007, in welchem Quadranten sich das Unternehmen S. 69-76. und seine Mitarbeiter befinden. Im ersten Qua- 44 Re thinking Finan ce 2 . 2 02 1 April 2 02 1
Te chnologie & M ensch dranten finden sich die Varianten klassischer erkennbar an Formulierungen, wie z.B. „die Krise Planung, im zweiten Quadranten z.B. eine trei- wird irgendwann zu Ende sein“ oder „man wird berbasierte Planung, im dritten Quadranten z.B. immer xyz (= unsere Leistung) benötigen“. Kann Predictive Analytics oder die Monte-Carlo-Si- man sich den Tatsachen nicht mehr verschließen, mulation und im vierten Quadranten schließlich dann wird der Aufwand erhöht – nicht selten mit beispielsweise der Ersatz von Planung durch die „mehr vom bisherigen“. Die Planung soll rational alleinige Steuerung mittels Forecasts. Allerdings durchdrungen werden durch den Einsatz von wird dabei etwas übersehen, was sich in Verbin- mehr Mitarbeitern, mehr Rechenpower oder dung mit dem MOVE-Schema ergibt: Wie reagie- mehr (meist künstlicher) Intelligenz. ren Menschen auf die schleichende Entwertung ihres Wissens, auf den Verlust ihrer Kompetenz, An diesem Punkt steht unseres Erachtens Muster richtig zu erkennen und rationale Ent- momentan ein eher noch kleiner Teil der Unter- scheidungen zu treffen? Wie reagieren sie auf nehmen bei Planungsfragen. Predictive Ana- Kontrollverlust und Unsicherheit? Insbesondere: lytics oder Machine Learning sind kein Standard Wie verhalten sie sich beim Übergang vom zwei- in der Unternehmenswelt, insbesondere nicht im ten zum dritten Quadranten, von kompliziert zu Mittelstand. Insofern ist es spannend, sich heute komplex? bereits anzuschauen, wie Menschen sich verhal- ten, wenn auch durch immer mehr Aufwand keine Die Reaktionsmuster werden dabei nicht sel- rationale Entscheidung zu finden ist. Oder in ten wie folgt durchlaufen: Anfangs sind die einem Bild ausgedrückt: Auch z.B. das Lesen aller Planungsprobleme so gering, dass trotz aller Börsenratgeber wird keine sichere Kapitalanlage Schwächen die Planung nicht verändert wird: in Aktien ermöglichen. Dies ist teilweise schon „weiter so“ – erkennbar z.B. an den Formulierun- heute bei der strategischen Planung beobachtbar. gen „das muss man so (wie bisher) machen“ oder Es werden Teilaspekte betont, die man selber ver- „das ist trotz aller Schwächen immer noch die steht bzw. man tut so, als könne man einen Teil der beste Art und Weise, wie man es machen kann“. Wechselwirkungen (Beziehungen) ignorieren. Werden die Probleme größer, dann liegt es an Es findet eine Fokussierung auf wenige Aspekte allem, außer der Art und Weise, wie die Planung statt. Beispielsweise wird die Entscheidung für gemacht wird („Leugnen der Realität“). Dies ist den Markteintritt in ein Land allein auf der Basis Abbildung 4: Cynefin und Planung hohe Vernetzung viele Elemente, viele Beziehungen Wesentlichkeit klären alternative Prognosen bewerten pattern re ens be scenarios on e re na se sp lys s ro d sp e recognition a en d on p s kompliziert komplex ungeordnet 3 EMERGENT PRACTICE GOOD PRACTICE 2 geordnet 4 NOVEL PRACTICE BEST PRACTICE 1 Kenntnis der Elemente und Wirkungs- Strukturen d ze chaotisch simpel zusammenhänge erzeugen on ori re ate se sp g c en s ct d focus on sp e on re ens SOP‘s* a s stabilisation geringe Vernetzung *SOP‘s = Standard Operation Procedure‘s Re thinking Finan ce 2 . 2 02 1 April 2 02 1 45
Te chnologie & M ensch von BIP, Wirtschaftswachstum und Lohnkosten und genaueren Lösungen der Gruppe und sollte getroffen. De facto wird allerdings damit so getan, dann auch von allen getragen werden. Die als sei Planung kein komplexes, sondern nur ein Gruppenlösung muss sich im Zeitablauf weiter- kompliziertes Problem. Das Planungsproblem entwickeln, d.h. sie muss Lerneffekte über die ist scheinbar gelöst und das gute Gefühl, das Wirksamkeit neuer Handlungsmuster erzeugen. Menschen für ihre innere Stabilität benötigen, ist Das ist existenziell wichtig, um von dem dritten wiederhergestellt. Die Entscheidungsgrundlagen in den zweiten Quadranten in Abbildung 4, also sind dadurch zwar falsch, aber das wird erst von komplex wieder zu kompliziert zu gelangen Jahre später sichtbar. (gestrichelter Pfeil). Dabei werden Fehler pas- sieren, weil das Wissen noch nicht vorhanden Die Aspekte der Planung, die hoch vernetzt, aber ist, sondern erst noch erzeugt wird. Es braucht zugleich in ihren Wirkungszusammenhängen also eine Kultur im Umgang mit Fehlern und nicht überschaubar sind, sollten durch Intuition vorgelagert die Freiheit, dezentral zumindest gelöst werden. Intuitive Entscheidungen sind in kleinem Maß über die Verwendung von Res- weit schwieriger, als es der Name vermuten sourcen entscheiden zu dürfen. Dies gilt auch lässt. Sie setzen zuallererst voraus, dass die unterjährig agil, von der geplanten Verwendung Personen im Umgang mit Informations- bzw. abweichend, wenn es der Zielerreichung dient. Wahrnehmungsverzerrungen, sogenannten Biases, geschult sind. 7 Das meint explizit nicht Planung kann nicht alle Situationen vorweg- nur die Geschäftsführung, denn damit würde nehmen: In letzter Konsequenz ist dem Leitbild jede Planung und Entscheidung auf das doch (Vision & Mission) zu folgen. Ein solcher Ansatz rein zahlenmäßig geringe Fähigkeitspotenzial verlangt die Bereitschaft zu dezentralen Teil der Führungskräfte begrenzt. Auch wenn sich entscheidungen. Das ist keinesfalls ein Plädoyer gerade höhere Führungsetagen überproportio- für Beliebigkeit, sondern die Aufforderung an nal häufig der Illusion überlegener Fähigkeiten Führungskräfte zu exzellenter Moderation von hingeben („Overconfidence-Bias“), zeigen gut Planungsworkshops und zur Weiterentwicklung motivierte und geschulte Gruppen fast immer von Mitarbeitern und Teams. Erst wenn die bessere Planungsergebnisse. Schulungen lassen Mitglieder sich dem Team verpflichtet fühlen sich schnell organisieren („O“). Dauerhafte und eine Bindung an gemeinsame Werte und an Motivation aber hängt von der Einstellung („E“) ein gemeinsames Ziel haben, erst dann besteht ab und ist damit nur langsam beeinflussbar (vgl. ein Team. Die Frage „Wo wollen wir gemeinsam Abbildung 2). Sie bestimmt das Verhalten („V“). hin und was wollen wir erreichen?“ ist zugleich Oder, deutlicher formuliert: Selbst wenn hoch- die Kernfrage jeder Planung. Erst die Entschei- rangige Führungskräfte glauben, sie könnten dung über Maßnahmen (Wie) überführt Ziele in überlegene Planungen erstellen, so scheitert Bewegung. Selbst das ist aber in manchen Unter- der Versuch an der Komplexität und der Verän- nehmen ein Lippenbekenntnis, weil Planung mit derungsdynamik. Niemals können sie so viele der Zuteilung und Einhaltung von Finanzmitteln Faktoren berücksichtigen wie eine Gruppe. verwechselt wird. Häufig ist nicht der Maß- Darüber hinaus fehlt es zumeist an den erfor- nahmenplan die Basis für das Budget, sondern derlichen Detailkenntnissen. Allenfalls können die Höhe des Budgets bestimmt die möglichen sie sich auf wenige (vermeintliche) Haupttreiber Maßnahmen. Dies ist kein Bekenntnis gegen konzentrieren. Das wird dann mit Begriffen wie Finanzdisziplin (im Gegenteil), aber es ist doch „Wesentlichkeit“ oder „Überblick“ kaschiert. ein Unterschied zum vierten Quadranten erkenn- Richtigerweise sollten die Führungskräfte für bar, der „schnelle Krisenreaktion“ verlangt. Es die Planung die Mitarbeiter anleiten, so dass gibt viele Gründe, warum Unternehmen sich dort viele intuitive „Einzelwahrheiten“ im Kopf der herausbewegen sollten. jeweiligen Mitarbeiter zu einer gemeinsam geteilten „Wahrheit der Gruppe“ werden. Der Empfehlung Mitarbeiter muss also seine Detailkenntnis Um in Zukunft den Planungsprozess effektiv zu einbringen, um zu einem Planungsergebnis gestalten, ist es wichtig, die „Bandbreite“ der Pla- beizutragen, das mehr ist als die Summe der nung zu erweitern und ganzheitlich zu denken. Einzelkenntnisse. Die begrenzte Fähigkeit der Dazu müssen das Verhalten und die Einstellung einzelnen Personen führt zur umfassenderen der Menschen und die daraus resultierende Unternehmenskultur berücksichtigt werden und es genügt nicht, nur über Methoden und Prozesse 7 Vgl. grundlegend Kahneman, Schnelles Denken, langsames Denken, 19. oder gar die zur Planung verwendete Software zu Aufl. 2012. sprechen. Let’s MOVE! ■ 46 Re thinking Finan ce 2 . 2 02 1 April 2 02 1
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