VORABDRUCK 2 2021 - Jacobs Foundation
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2 2021 Februar 2021 VORABDRUCK Mentoring verbessert die Arbeitsmarktchancen von stark benachteiligten Jugendlichen Sven Resnjanskij, Jens Ruhose, Simon Wiederhold und Ludger Wößmann
FORSCHUNGSERGEBNISSE Sven Resnjanskij, Jens Ruhose, Simon Wiederhold und Ludger Wößmann* Mentoring verbessert die Arbeitsmarktchancen von stark benachteiligten Jugendlichen Nobelpreisträger James J. Heckman (2008) hat es IN KÜRZE den »accident of birth« – den Unfall oder Zufall der Geburt – genannt: Der familiäre Hintergrund wirkt sich stark auf die Lebenschancen von Kindern aus. Wie lassen sich die Arbeitsmarktchancen von Jugendlichen aus So kann es nach Berechnungen der OECD (2018) in stark benachteiligten Verhältnissen verbessern? Ein möglicher Deutschland sechs Generationen dauern, bis die Ansatz sind Mentoring-Programme, die den Jugendlichen eh- Nachkommen einer einkommensschwachen Familie renamtliche Student*innen zur Unterstützung an die Seite stel- das Durchschnittseinkommen erreichen. Unterschiede in der familiären Unterstützung sind ein wesentli- len. Aber helfen solche Programme wirklich? Dies empirisch zu cher Faktor für soziale Ungleichheit. Die familiären überprüfen, wird dadurch erschwert, dass sich in verfügbaren Umstände sind nicht selbst »verschuldet« und lie- Datensätzen keine überzeugende Kontrollgruppe ähnlich be- gen außerhalb der Kontrolle des Einzelnen. Deshalb nachteiligter Jugendlicher finden lässt, die Aussagen darüber wird diese Quelle von Ungleichheit, die mangelnde zulassen würde, wie sich die Jugendlichen ohne die Teilnahme Chancengleichheit, allgemein als ungerecht empfun- am Mentoring entwickelt hätten. Deshalb haben wir in einem den (vgl. Roemer 2008). Weltweit steigt die Besorgnis über die Persistenz von Ungleichheit über Generati- großen deutschen Mentoring-Programm, bei dem es mehr Be- onen hinweg (z.B. Black und Devereux 2011; Corak werber*innen als freie Plätze gab, das Los über die Teilnahme 2013; Autor 2014; Alvarendo et al. 2018). Nicht zuletzt entscheiden lassen. Durch die zufällige Einteilung bieten die durch technologische Entwicklungen, wie die Automa- Jugendlichen, die nicht in das Programm gelost wurden, eine tisierung, Computerisierung und Digitalisierung der überzeugende Kontrollgruppe für die Teilnehmenden. Wir fin- Wirtschaft, und durch die Globalisierung mit der In- den, dass das Mentoring-Programm einen Index der Arbeits- tegration der Schwellenländer in internationale Wert- schöpfungsketten ist die Ungleichheit der Chancen marktaussichten von Acht- und Neuntklässler*innen aus stark am Arbeitsmarkt für Menschen mit unterschiedlichen benachteiligten Verhältnissen ein Jahr nach Programmstart Qualifikationsniveaus gestiegen (z.B. Autor, Dorn und deutlich verbessert. Die positiven Effekte finden sich für alle Hanson 2015). Daher ist die Frage, wie man Jugend- drei Komponenten des Index, die kognitive (Mathematiknote), liche aus benachteiligten Verhältnissen unterstützen nicht-kognitive (Geduld und Sozialkompetenzen) und motivatio- und ihre Arbeitsmarktaussichten verbessern kann, nale (Arbeitsmarktorientierung) Aspekte messen. Für die stark heute wichtiger denn je. Gerade weil benachteiligten Jugendlichen die benachteiligten Jugendlichen übersteigen die zu erwartenden starke familiäre Unterstützung fehlt, die Kinder aus Einkommenserträge die Kosten des Programms um ein Vielfa- weniger benachteiligten Verhältnissen erhalten, sto- ches. Demgegenüber hat das Programm bei Jugendlichen aus ßen viele Unterstützungsmaßnahmen schnell an Gren- weniger benachteiligten familiären Verhältnissen keine positi- zen: Weder Schulen noch familienpolitische Maßnah- ven Effekte. Dies legt nahe, dass Mentoring gerade dort wirken men können die Eltern ersetzen oder grundlegend kann, wo es eingeschränkte familiäre Unterstützung ergänzt. verändern. Die empirische Forschung deutet darauf hin, dass Maßnahmen dann gute Erfolgschancen ha- ben, wenn sie eingeschränkte familiäre Unterstützung bereits im frühkindlichen Bereich kompensieren (z.B. zende Maßnahmen in Schulen oder auf dem Arbeits- Cunha et al. 2006; Almond, Currie und Duque 2018; markt haben sich hingegen als weitaus weniger erfolg- Garcia et al. 2019; Kosse et al. 2020). Später anset- reich bei der Unterstützung benachteiligter Jugendli- * Dr. Sven Resnjanskij: ifo Institut; Prof. Dr. Jens Ruhose: Christian- cher erwiesen (z.B. Cunha et al. 2006). Bislang noch Albrechts-Universität zu Kiel; Prof. Dr. Simon Wiederhold: Katholi- sche Universität Eichstätt-Ingolstadt; Prof. Dr. Ludger Wößmann: wenig erforscht sind allerdings Maßnahmen, die den Ludwig-Maximilians-Universität München und ifo Institut. benachteiligten Jugendlichen eine persönliche Unter- Details zu den hier berichteten Untersuchungen und Ergebnissen finden sich in Resnjanskij et al. (2021). Wir danken der Wübben stützung durch andere Erwachsene bieten. Stiftung, der Jacobs Stiftung, Porticus (durch den Stifterverband für Diesen Ansatz verfolgen zahlreiche Mento- die Deutsche Wissenschaft) und der Beauftragten der Bundes- regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration für finanzielle ring-Programme, die Jugendlichen aus benachtei- Unterstützung des Projekts. ligten Verhältnissen dadurch helfen wollen, dass sie ifo Schnelldienst vorab 2/2021 3. Februar 2021 1
FORSCHUNGSERGEBNISSE ihnen Mentor*innen zur Verfügung stellen. Diese sol- Orientierung geben und sie bei der Bewerbung auf len den Jugendlichen Unterstützung bieten, die ihr einen Ausbildungsplatz unterstützen.2 familiäres Umfeld nicht bereitstellen kann. In einem Das Programm ist als Franchise-System selbst- über mehrere Jahre angelegten Projekt haben wir verwalteter lokaler Vereine in den teilnehmenden Uni- untersucht, ob ein solches Mentoring-Programm die versitätsstädten organisiert. Diese sind für den Be- Arbeitsmarktchancen benachteiligter Jugendlicher trieb und die Organisation des Mentoring-Programms tatsächlich verbessern kann. Dazu haben wir in ei- verantwortlich. Die lokalen Vereine rekrutieren Uni- ner als Feldexperiment angelegten Studie die Teilneh- versitätsstudent*innen, die auf freiwilliger Basis als mer*innen eines großen deutschen Mentoring-Pro- Mentor*innen fungieren. Eine Dachorganisation, die gramms und eine entsprechende Kontrollgruppe an als gemeinnützige Holding organisiert ist, koordiniert zahlreichen Standorten in ganz Deutschland sowohl die Aktivitäten der Mentoring-Standorte und ist für vor Programmstart als auch ein Jahr danach befragt. strategische Entscheidungen über die zukünftige Der vorliegende Beitrag fasst die wichtigsten Ergeb- Ausrichtung des Gesamtprogramms verantwortlich. nisse unserer Evaluationsstudie zusammen. Die De- Die Holding bietet standardisierte Schulungen für die tails der Untersuchung und der Ergebnisse berichten Mentor*innen, Beratung der Mentor*innen über die wir in Resnjanskij et al. (2021). Gestaltung der Mentoring-Beziehung und Schulungen über die Organisation der lokalen Vereine an. Das Pro DAS MENTORING-PROGRAMM gramm stützt sich auf Finanzierung durch Stiftungen und andere soziale Investoren. Wir untersuchen die Wirksamkeit eines der größten 1:1-Mentoring-Programme für benachteiligte Ju- DIE HERANGEHENSWEISE DER UNTERSUCHUNG gendliche in Deutschland. Das Programm »Rock Your Life!« wurde 2008 von einer Gruppe von Universitäts- Eine empirische Untersuchung der Frage, ob das Men- student*innen ins Leben gerufen. Es wird in 42 Städ- toring-Programm die Arbeitsmarktaussichten der teil- ten in ganz Deutschland angeboten und hat seit sei- nehmenden Jugendlichen wirksam verbessert, steht ner Gründung mehr als 7 000 Mentoring-Beziehungen vor einer großen Herausforderung: Gerade weil sich aufgebaut (Rock Your Life! 2020).1 Das auf bis zu zwei das Programm an stark benachteiligte Jugendliche Jahre angelegte Programm richtet sich an Acht- und wendet, ist es sehr schwierig, in verfügbaren Daten- Neuntklässler*innen in Hauptschulen und vergleich- sätzen eine überzeugende Kontrollgruppe von ähnlich baren Schulformen in benachteiligten Stadtvierteln benachteiligten Jugendlichen zu finden, die nicht am und stellt ihnen Student*innen als ehrenamtliche Men- Programm teilgenommen haben. Aber eine solche tor*innen zur Seite. Kontrollgruppe wird benötigt, um festzustellen, wie Das Hauptziel des Programms besteht darin, ei- sich die Situation der am Programm teilnehmenden nen erfolgreichen Übergang von der Sekundarstufe I Jugendlichen ohne eine Teilnahme entwickelt hätte. in eine berufliche Ausbildung oder in die schulische Deshalb haben wir zur Evaluierung der Wirksam- Oberstufe zu gestalten. Um den Jugendlichen letztlich keit des Mentoring-Programms ein Feldexperiment ein erfolgreiches Berufsleben zu ermöglichen, beste- konzipiert und durchgeführt. Wann immer es an einem hen die Ziele der Mentoring-Beziehungen darin, Standort mehr Bewerber*innen als freie Plätze gab, haben wir das Los über die Teilnahme entscheiden ‒ die benachteiligten Jugendlichen bei der Ent- lassen.3 Unter ethischen Gesichtspunkten ist eine sol- wicklung ihrer individuellen Potenziale zu che zufällige Zuteilung der Programmteilnahme der unterstützen, fairste Weg, um die Bewerber*innen auf die freien ‒ ihr Selbstwertgefühl und Vertrauen in die eigenen Plätze aufzuteilen: Da es mehr interessierte Jugend- Fähigkeiten zu fördern und liche als freie Plätze gibt, wird es lediglich dem Zufall ‒ ihre schulische Situation zu verbessern und eine überlassen, wer am Programm teilnehmen darf und Auseinandersetzung mit der beruflichen Zukunft wer nicht. Die Bewerber*innen kannten dieses Vor- anzustoßen. gehen auch bereits aus ihrem schulischen Alltag. So kommt es regelmäßig vor, dass es bei Programmen Den Kern des Programms bilden regelmäßige Men- wie beispielsweise Schüleraustauschen mehr Inter- tor-Mentee-Treffen, die in einem zweiwöchigen Rhyth- essent*innen als freie Plätze gibt und die Teilnahme mus stattfinden sollen. Neben gemeinsamen Frei- entsprechend verlost wird. zeitaktivitäten wie Kino- und Zoobesuchen bestehen Auch aus Sicht der Forschung bietet die zufällige die Treffen auch darin, dass die Mentor*innen den Zuteilung der Programmteilnahme einen wesentlichen Mentees bei der Bewältigung von Stresssituationen 2 Die Mentoring-Beziehungen zwischen den Mentor*innen und den in der Schule oder Familie helfen, ihnen berufliche Jugendlichen werden während eines »Kick-Off-Trainings« gebildet. Ein »Job-Coach-Training« und ein »Dein-Weg-Training« bieten weite- re Qualifizierungsangebote. 1 3 Das Programm wird auch in zehn Städten in der Schweiz und in An Standorten, an denen es genügend freie Plätze für die Bewer- den Niederlanden angeboten. Weitere Informationen über das Men- ber*innen gab, haben alle Bewerber*innen am Programm teilge- toring-Programm sind unter https://rockyourlife.de und nommen. Diese nicht-zufälligen Teilnahmen werden im Rahmen der https://de.wikipedia.org/wiki/Rock_Your_Life verfügbar. hier berichteten Analysen nicht berücksichtigt. 2 ifo Schnelldienst vorab 2/2021 3. Februar 2021
FORSCHUNGSERGEBNISSE Vorteil: Durch die zufällige Einteilung ist bei entspre- bung wurde in jedem Standort die zufällige Zuteilung chend großen Fallzahlen sichergestellt, dass sich die der Programmteilnahme durchgeführt. Kurz darauf Teilnehmer*innen und Nicht-Teilnehmer*innen im startete jeweils das Programm. Auf das Programm Durchschnitt nicht unterscheiden. Dementsprechend selbst, seine einzelnen Elemente oder die Auswahl können wir zeigen, dass es in den zahlreichen Merk- der Schulen, Jugendlichen und Mentor*innen nahm malen, die wir vor der zufälligen Zuteilung erhoben unsere Evaluationsstudie keinerlei Einfluss. haben, in der Tat keine signifikanten Unterschiede Um die Auswirkungen des Mentoring-Programms zwischen den beiden Gruppen gibt: Die Nicht-Teil- auf die Arbeitsmarktaussichten zu evaluieren, haben nehmenden sind damit eine überzeugende Kontroll- wir die Jugendlichen etwa ein Jahr nach der Basis- gruppe für die Teilnehmenden. erhebung erneut befragt. Somit endete die Feldperi- Für die Randomisierung haben wir ein paarwei- ode für die zweite Kohorte im Juni 2019. Wir haben ses Matching-Design mit Rerandomisierung verwen- beträchtliche Anstrengungen unternommen, um die det, das im Vergleich zu einer einfachen oder strati- Teilnehmer*innen wieder zu erreichen. So haben un- fizierten Randomisierung zusätzliche Vorteile bietet sere Teammitglieder beispielsweise über 100 Reisen (z.B. Bruhn und McKenzie 2009; Imbens und Rubin zu den teilnehmenden Schulen durchgeführt, um die 2015). Auf Basis der von uns gesammelten Informa- Evaluationsstudie den Schulleitungen und Lehrkräf- tionen vor der Verlosung der Programmteilnahme ten zu erläutern, die Umfrage im schulischen Kon- bildet das Verfahren zunächst statistische »Zwillinge«, text durchzuführen und administrative Daten über die d.h. Paare von Bewerber*innen, die sich hinsichtlich Schulnoten zu sammeln. Durch diese Anstrengungen individueller Merkmale sehr ähnlich sind. Innerhalb haben wir eine außergewöhnlich hohe Wiederbefra- jedes Zwillingspaares wird dann zufällig eine Person gungsquote erzielt: Insgesamt haben wir für 98,7% der Teilnahme- und eine Person der Kontrollgruppe der Teilnehmer*innen (304 der 308 Jugendlichen) zugeordnet. Wir haben das Verfahren für jeden Stand- Informationen ein Jahr nach Programmbeginn. An ort separat durchgeführt, so dass wir Teilnahme- und unserer eigenen Wiederbefragung haben 94,5% der Kontrollgruppe immer innerhalb derselben lokalen Jugendlichen teilgenommen. Für 95,5% der Jugend- Umgebung vergleichen. Drei Viertel der »Zwillinge« lichen haben wir von den Schulen die Schulnoten aus haben sogar jeweils dieselbe Schulklasse besucht. den Zeugnissen erhalten. Wir haben die Studie in zwei aufeinanderfolgen- den Kohorten in zehn Städten in ganz Deutschland MESSUNG VON ARBEITSMARKTAUSSICHTEN UND durchgeführt.4 Insgesamt haben 308 Jugendliche in SOZIOÖKONOMISCHEM HINTERGRUND 19 Schulen an der Evaluationsstudie teilgenommen. Die Basisdatenerhebung vor dem jeweiligen Pro- Da die Teilnehmer*innen unserer Evaluation zum Zeit- grammbeginn fand zwischen Oktober 2016 und Mai punkt der Wiederbefragung ein Jahr nach Programm- 2017 an den verschiedenen Standorten der ersten start noch zur Schule gingen, konnten wir die tatsäch- Kohorte und ein Jahr später für die zweite Kohorte lich erzielten Arbeitsmarktergebnisse noch nicht beob- statt (vgl. Abb. 1).5 Unmittelbar nach der Basiserhe- achten. Deshalb haben wir drei Ergebniskomponenten definiert, die den langfristigen Arbeitsmarkterfolg von 4 Die zehn Städte sind Aachen, Berlin, Duisburg, Essen, Hamburg, Köln, Leipzig, Lübeck, Lüneburg und Mannheim. 5 Die erste Kohorte umfasst auch zwei Pilotstudien, die im Novem- ber 2015 und Juni 2016 durchgeführt wurden. Abb. 1 Zeitlicher Ablauf der Erhebungen Piloterhebungen 2016 2017 2018 2019 Haupterhebungen 10 11 12 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Kohorte 1 Kohorte 2 Basis- Teilnahmegruppe N = 110 N = 43 erhebungen Kontrollgruppe N = 111 N = 44 Kohorte 1 Kohorte 2 Erhebungen Teilnahmegruppe N = 109 N = 43 nach 1 Jahr Kontrollgruppe N = 110 N = 42 Anmerkungen: Die Abbildung zeigt die Datenerfassung und die Stichprobengrößen der Evaluationsstudie. Die Stichprobenzeiträume unterscheiden sich je nach Standort und Kohorte und sind bei den Piloterhebungen durch dunkelblaue Balken und bei den Haupterhebungen durch hellblaue Balken gekennzeichnet. Das Programm startete am jeweiligen Standort kurz nach der jeweiligen Basiserhebung. Quelle: Darstellung der Autoren auf Basis von Resnjanskij et al (2021). © ifo Institut ifo Schnelldienst vorab 2/2021 3. Februar 2021 3
FORSCHUNGSERGEBNISSE Jugendlichen gemäß der einschlägigen Arbeitsmarkt- nur unzureichend gegeben ist und dass somit das literatur und unseren eigenen Analysen repräsenta- Mentoring-Programm eine wertvolle Ergänzung dar- tiver deutscher Datensätze gut vorhersagen. Diese stellen kann. Bei der Analyse der Daten aus unse- drei Komponenten der Arbeitsmarktaussichten sind rer Basiserhebung hat sich jedoch gezeigt, dass am (1) die in der Schule erzielten Mathematiknoten als Programm durchaus auch Jugendliche mit günsti- kognitive Komponente, (2) Geduld und Sozialkompe- gerem sozioökonomischen Hintergrund teilnehmen. tenzen als nicht-kognitive Komponente und (3) die Dies hat damit zu tun, dass sich das Programm zwar Arbeitsmarktorientierung der Jugendlichen als moti- bemüht, Schulen in benachteiligten Stadtvierteln vationale Komponente (vgl. Resnjanskij et al. 2021 für anzusprechen, dass innerhalb dieser Schulen aber Details zu den konkreten Variablen, die den einzelnen keine Auswahl unter den interessierten Jugendlichen Komponenten zugrunde liegen). Wir kombinieren diese stattfindet, so dass auch Teilnehmer*innen aus we- drei Komponenten zu einem Gesamtindex der Arbeits- niger benachteiligten familiären Verhältnissen am marktaussichten, berichten aber auch Ergebnisse für Programm teilnehmen können. die drei Teilindizes. Um in unserer Analyse zwischen sehr stark be- Die Hauptzielgruppe des Mentoring-Programms nachteiligten und weniger stark benachteiligten Ju- sind Jugendliche aus stark benachteiligten Ver- gendlichen unterscheiden zu können, teilen wir sie hältnissen. Für diese Gruppe ist am ehesten zu er- anhand von Daten über die Anzahl der Bücher zu warten, dass eine Unterstützung des Elternhauses Hause – einem aussagekräftigen Maß für den sozialen, wirtschaftlichen und bildungsbezogenen Hintergrund Abb. 2 der Familien (z.B. Schütz, Ursprung und Wößmann Soziodemografische Merkmale der Teilnehmer*innen 2008) – in zwei etwa gleich große Gruppen ein: Ju- im Vergleich zur jugendlichen Gesamtbevölkerung gendliche mit höchstens 25 Büchern zu Hause (stark benachteiligter sozioökonomischer Hintergrund) a) Sozioökonomischer Hintergrund und Jugendliche mit mehr als 25 Büchern zu Hause Stark benachteiligt Stark benachteiligt (günstigerer sozioökonomischer Hintergrund) (vgl. Günstiger 77% 53% Günstiger Abb. 2a).6 Während in unserer Stichprobe 47% der 47% Teilnehmer*innen einen stark benachteiligten sozio 23% ökonomischen Hintergrund aufweisen, ist dieser An- teil in Deutschland insgesamt nur etwa halb so hoch Evaluationsteilnehmer*innen Deutschland (23%). Auf Basis dieser empirischen Befunde lässt sich bestätigen, dass es dem Mentoring-Programm b) Migrationshintergrund gelingt, die anvisierte Zielgruppe zu erreichen. Es Nicht-Migrant Nicht-Migrant zeigt sich aber auch, dass ein deutlicher Anteil der Migrant 72% Migrant 58% Programmteilnehmer*innen aus Jugendlichen mit 42% relativ günstigerem sozioökonomischen Hintergrund 28% besteht. Es wird sich zeigen, dass diese Einteilung der Programmteilnehmer*innen für die Ergebnisse von Evaluationsteilnehmer*innen Deutschland großer Bedeutung ist. c) Alleinerziehende Eltern Zur weiteren Charakterisierung vergleicht Ab- Beide Elternteile Beide Elternteile bildung 2 weitere soziodemografische Merkmale der anwesend anwesend Jugendlichen in unserer Evaluationsstichprobe mit 75% 86% Alleinerziehend Alleinerziehend denen einer für Jugendliche in Deutschland reprä- 25% sentativen Stichprobe (PISA-Studie 2012). Es fällt 14% auf, dass der Anteil der Jugendlichen mit Migrati- Evaluationsteilnehmer*innen onshintergrund unter den Evaluationsteilnehmer*in- Deutschland nen mit 58% mehr als doppelt so hoch ausfällt d) Geschlecht wie der deutsche Durchschnitt (28%). Jeder vierte Weiblich Weiblich Jugendliche in unserer Stichprobe lebt in einem Männlich Männlich alleinerziehenden Haushalt, verglichen mit 14% im 56% 50% deutschen Durchschnitt. Zudem sind weibliche Ju- 50% 44% gendliche (56%) in unserer Stichprobe leicht überre- präsentiert. Evaluationsteilnehmer*innen Deutschland Die Befragungsdaten verdeutlichen auch, dass es stark benachteiligten Jugendlichen häufig an el- Anmerkungen: Die Abbildung zeigt die Verteilung ausgewählter soziodemografischer Merkmale der Evaluationsteilnehmer*innen (links) und vergleicht diese mit einer repräsentativen Stichprobe der terlicher Unterstützung mangelt. Abbildung 3 zeigt jugendlichen Bevölkerung in Deutschland auf Basis von PISA (rechts). a) Stark benachteiligter sozioökonomischer Hintergrund: Jugendliche geben an, dass es bei ihnen zu Hause 6 höchstens 25 Bücher gibt. Analysen anhand eines umfassenderen Index des sozioökonomi- b) Migrationshintergrund: Jugendliche selbst oder ein Elternteil wurden im Ausland geboren. schen Hintergrunds, der Informationen über die Bücher zu Hause, c) Beide Elternteile anwesend: umfasst sowohl leibliche Eltern als auch Stiefeltern. den Bildungsabschluss der Eltern und den Arbeitsmarktstatus der Quelle: Darstellung der Autoren auf Basis von Resnjanskij et al. (2021). © ifo Institut Eltern kombiniert, kommen zu ganz ähnlichen Ergebnissen. 4 ifo Schnelldienst vorab 2/2021 3. Februar 2021
FORSCHUNGSERGEBNISSE den Anteil der Jugendlichen, die nur eine geringe Abb. 3 schulische Unterstützung durch ihre Eltern erfahren, Unterstützung durch die Eltern beim Lernen getrennt nach dem sozioökonomischen Hintergrund. Geringe Unterstützung Starke Unterstützung Sozioökonomischer Fast die Hälfte der stark benachteiligten Jugendlichen Hintergrund gibt an, in schulischen Dingen nur wenig von ihren Eltern unterstützt zu werden. Demgegenüber ist dies Stark benachteiligt 48 52 nur bei einem Drittel der weniger benachteiligten Ju- gendlichen der Fall. Schließlich zeigen sich auch bei den Maßen der Arbeitsmarktaussichten, die wir als Ergebnisvariablen unserer Evaluation verwenden, deutliche sozioöko- Günstiger 33 67 nomische Unterschiede (gemessen in der nicht am Programm teilnehmenden Kontrollgruppe). So verfü- gen stark benachteiligte Jugendliche über schlechtere 0 20 40 60 80 100 % Arbeitsmarktaussichten als Jugendliche mit günsti- Anmerkungen: Die Abbildung zeigt die Unterstützung durch die Eltern bei den Hausaufgaben und beim Lernen für die Schule für Jugendliche mit stark benachteiligtem und günstigerem sozioökonomischen gerem sozioökonomischen Hintergrund (vgl. Abb. 4). Hintergrund. Eine geringe Unterstützung liegt dann vor, wenn die Jugendlichen angeben, dass Insbesondere weisen sie deutlich schlechtere Mathe- ihre Eltern sie überhaupt nicht oder eher wenig unterstützen. Eine starke Unterstützung liegt vor, wenn die Jugendlichen angeben, dass ihre Eltern sie eher stark oder sehr stark unterstützen. matikleistungen und geringere Geduld und Sozial- Quelle: Darstellung der Autoren auf Basis von Resnjanskij et al. (2021). © ifo Institut kompetenzen auf. Im Folgenden untersuchen wir die Wirksamkeit des Mentoring-Programms dahingehend, Ein Gesamtbild der Wirksamkeit des Mentoring- ob es ihm gelingt, die benachteiligten Jugendlichen Programms ergibt sich, wenn wir den Index der Ar- so zu fördern, dass sich diese sozioökonomischen Un- beitsmarktaussichten betrachten. Es zeigt sich, dass terschiede verringern. die Jugendlichen aus stark benachteiligten Verhält nissen deutlich von der Teilnahme am Mentoring- DIE WICHTIGSTEN ERGEBNISSE Progr amm profitieren: Die Arbeitsmarktaussichten der stark benachteiligten Jugendlichen, die am Pro- Aufgrund der zufälligen Einteilung in Teilnahme- und gramm teilgenommen haben, liegen um mehr als eine Kontrollgruppe lässt sich der kausale Effekt der Teil- halbe Standardabweichung über denen der stark be- nahme am Mentoring-Programm sehr leicht berech- nachteiligten Jugendlichen, die nicht teilgenommen nen: Ein einfacher Vergleich der Mittelwerte der Ergeb- haben (vgl. Abb. 4). Damit schließt die Programm- nisvariablen zwischen den beiden Gruppen ein Jahr teilnahme die Lücke in den Arbeitsmarktaussich- nach Programmstart zeigt, ob sich die Arbeitsmarkt- ten zu den Jugendlichen mit günstigerem sozioöko aussichten der Jugendlichen durch die Programmteil- nomischen Hintergrund in unserer Stichprobe. Die nahme verbessert haben. Unser präferiertes Schätz- positiven Effekte finden sich für Mädchen und Jungen modell beinhaltet zusätzlich Kontrollvariablen für den gleichermaßen. Jugendliche aus stark benachteilig- Wert der jeweiligen Ergebnisvariable vor Programm- ten Verhältnissen profitieren also erheblich von dem start, weitere Kontrollvariablen über die Jugendlichen Programm. aus dem Basisfragebogen sowie fixe Effekte für Paare Auch für jede der drei Komponenten, die in den des Randomisierungs-Matchings; nichts davon ist aber Gesamtindex der Arbeitsmarktaussichten eingehen, für die Ergebnisse entscheidend. finden sich signifikant positive Effekte für die stark Abb. 4 Effekte des Mentoring-Programms auf die Arbeitsmarktaussichten von stark benachteiligten Jugendlichen Treatmenteffekt Sozioökonomischer Unterschied 0,56 Arbeitsmarktaussichten 0,48 0,29 Mathematiknote 0,55 0,44 Geduld und Sozialkompetenzen 0,39 0,29 Arbeitsmarktorientierung –0,08 –0,1 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 Standardabweichungen Anmerkungen: Die Abbildung zeigt den Effekt des Mentoring-Programms (»Treatmenteffekt«) auf den Index der Arbeitsmarktaussichten und auf seine drei Komponenten: (1) standardisierte Mathematiknote (mit umgekehrter Reihenfolge der Noten, so dass höhere Werte bessere Leistungen anzeigen); (2) Index von Geduld und Sozialkompetenzen; und (3) Index der Arbeitsmarktorientierung. Angegeben ist jeweils auch die Differenz in der jeweiligen Variable zwischen Jugendlichen mit stark benachteiligtem und günstigerem sozioökonomischen Hintergrund (sozioökonomischer Unterschied) in der nicht am Programm teilnehmenden Kontrollgruppe. Quelle: Darstellung der Autoren auf Basis von Resnjanskij et al. (2021). © ifo Institut ifo Schnelldienst vorab 2/2021 3. Februar 2021 5
FORSCHUNGSERGEBNISSE benachteiligten Jugendlichen. So verbessert sich die in der wir verschiedene Kanäle testen, die den Effekt Schulnote in Mathematik aufgrund der Programmteil- des Mentoring-Programms möglicherweise erklären nahme um 0,29 Standardabweichungen. Dieser Effekt können. Die Ergebnisse dieser Analyse zeigen, dass entspricht einer Verbesserung der Mathematiknote ein nennenswerter Anteil des positiven Effekts auf um durchschnittlich 0,42 Notenschritte und schließt die Arbeitsmarktaussichten stark benachteiligter Ju- damit mehr als die Hälfte des Unterschieds zu den gendlicher darauf zurückgeführt werden kann, dass Jugendlichen mit günstigerem sozioökonomischen das Programm Mentor*innen als Ansprechpersonen Hintergrund. Detailliertere Betrachtungen zeigen, dass bereitstellt, mit denen die Jugendlichen über ihre die Leistungen in der gesamten Notenverteilung an- Zukunft sprechen können. Die Mentor*innen erweisen steigen. Die Ergebnisse belegen, dass die Teilnahme sich außerdem als wichtige Ansprechpartner*innen am Programm die schulischen Leistungen von stark zur Informationsbeschaffung über die zukünftige Be benachteiligten Jugendlichen erhöht und sie damit rufswahl. Darüber hinaus steigern die Mentoring-Be- besser auf den Arbeitsmarkt vorbereitet. ziehungen die Einsicht bei den Mentees, dass Lernen Auch im nicht-kognitiven Bereich profitieren die in der Schule für einen späteren Beruf nützlich sein stark benachteiligten Jugendlichen vom Programm. kann. Ein Index, der Maße für Geduld und Sozialkompeten- Sozioökonomisch stark benachteiligte Mentees zen zusammenfasst, steigt durch die Programmteil- stimmen im Vergleich zu denen mit günstigerem so- nahme um 0,44 Standardabweichungen. Dabei steigt zioökonomischen Hintergrund auch eher der Aussage insbesondere die Geduld der Jugendlichen, die durch zu, dass das Mentoring sie in der Schule besser macht ihre Zukunftsorientierung und ihre Bereitschaft, Be- und auch bei Problemen außerhalb der Schule hilf- lohnungen auf die Zukunft zu verschieben, gemessen reich ist. Hingegen finden sich keine signifikanten wird. Sozialkompetenzen – gemessen als Prosozialität, Unterschiede zwischen den beiden sozioökonomi- Vertrauen und Selbstwirksamkeit – werden ebenfalls schen Gruppen im Hinblick auf die Häufigkeit oder positiv durch das Programm beeinflusst. Allerdings die Länge der Mentoring-Treffen. Auch zeigt sich nicht, fällt der Anstieg hier etwas geringer aus und kann dass das Programm die Unterstützung der Eltern bei statistisch nicht signifikant von null unterschieden den Hausaufgaben oder bezahlte Nachhilfestunden werden. ersetzen würde. Die Programmteilnahme hat bei Schließlich steigert die Teilnahme am Mento- den stark benachteiligten Jugendlichen auch keine ring-Programm auch die Arbeitsmarktorientierung Auswirkungen auf andere Aktivitäten innerhalb der der stark benachteiligten Jugendlichen um 0,29 Stan- Schule, wie z.B. das Engagement als Klassensprecher dardabweichungen. Dies ist insbesondere darauf zu- oder die Teilnahme an einer Theater-AG, oder außer- rückzuführen, dass der Anteil der Jugendlichen, die halb der Schule, wie z.B. die ehrenamtliche Tätigkeit angeben, dass sie nach der Schule eine Berufsaus im Verein. Ebenso wenig beeinflusst das Programm, bildung machen wollen, um 22 Prozentpunkte ansteigt wie viele Freunde die Jugendlichen haben oder wie (von 44% in der Kontrollgruppe auf 66% in der Teil- oft sie diese treffen. nahmegruppe). Die Fokussierung der Jugendlichen Demgegenüber könnte ein Grund dafür, dass auf eine gute und realistische berufliche Zukunft das Programm bei den weniger benachteiligten Ju nimmt durch die Programmteilnahme also deutlich gendlichen nicht wirkt, darin bestehen, dass die zu. Demgegenüber findet sich kein Effekt darauf, ob Mentor*innen diesen Jugendlichen über die bereits die Jugendlichen bereits genau wissen, was sie später vorhandene familiäre Unterstützung hinaus keine we- beruflich machen wollen. sentliche zusätzliche Hilfe zukommen lassen können. Die Teilnahme am Programm führt nicht nur zu Im Gegensatz zu den Jugendlichen aus stark benach- besseren Arbeitsmarktaussichten. Wir beobachten teiligten Verhältnissen berichten die Mentees aus we- ebenfalls einen positiven Effekt auf die allgemeine niger benachteiligten Elternhäusern nicht, dass ihnen Lebenszufriedenheit der stark benachteiligten Jugend- das Mentoring bei der Bewältigung von schulischen lichen. Damit spiegelt sich die Verbesserung der Ar- oder außerschulischen Problemen hilft. Hinzu kommt, beitsmarktaussichten auch in dem subjektiven Emp- dass sich die Mentor-Mentee-Gespräche häufiger um finden der Jugendlichen wider. Freizeitaktivitäten drehen, als dies bei den stark be- Im Gegensatz zu den stark benachteiligten Ju- nachteiligten Jugendlichen der Fall ist. Unsere Er gendlichen profitieren Jugendliche mit günstigerem gebnisse weisen auch darauf hin, dass die Teilnahme sozioökonomischen Hintergrund jedoch nicht von am Programm potenziell nützliche Aktivitäten der der Teilnahme am Programm. Wenn überhaupt sin- weniger benachteiligten Jugendlichen verdrängt. So ken deren Arbeitsmarktaussichten. Der Effekt ist je- führt das Programm dazu, dass die Jugendlichen mit doch statistisch nicht signifikant von null zu unter- günstigerem sozioökonomischen Hintergrund we- scheiden. niger an sozialen Aktivitäten innerhalb der Schule Mentoring scheint also vor allem für stark be- teilnehmen. nachteiligte Jugendliche, denen es besonders an fa- Das Mentoring-Programm erreicht auch einen miliärer Unterstützung mangelt, zu wirken. Dieses sehr großen Anteil von Jugendlichen mit Migra Bild manifestiert sich auch in einer weiteren Analyse, tionshintergrund. Bei mehr als der Hälfte (58%) 6 ifo Schnelldienst vorab 2/2021 3. Februar 2021
FORSCHUNGSERGEBNISSE der Teilnehmer*innen in der Evaluationsstudie ist Kosten des Programms ergibt sich ein Nutzen-Kos- entweder der Jugendliche selbst oder mindestens ten-Verhältnis von 15 zu 1 für die aktuelle Version des eines der Elternteile im Ausland geboren (vgl. Programms und von 31 zu 1 für ein Programm, das Abb. 2b). Schätzt man den Programmeffekt nur für sich auf Jugendliche aus stark benachteiligten Ver- die Teilnehmer*innen mit Migrationshintergrund, so hältnissen beschränkt. Auch wenn solche Abschätzun- ergibt sich ein signifikant positiver Effekt, der al- gen mit vielen Unwägbarkeiten behaftet sind, legt die lerdings etwas kleiner ausfällt als der Effekt in der Größenordnung nahe, dass die Kosten des Mentoring- Gruppe der Jugendlichen mit benachteiligtem so- Progr amms durch den generierten Arbeitsmarkt zioökonomischen Hintergrund. Berücksichtigt man nutzen mehr als ausgeglichen werden dürften. Migrations- und sozioökonomischen Hintergrund Dies wirft die Frage nach der Skalierbarkeit von gleichzeitig, so sind die Effekte ausschließlich durch Mentoring-Programmen auf. Dabei gibt es zwei As- den sozioökonomischen Hintergrund getrieben. Es pekte. Erstens deuten die starken Unterschiede der sind also in erster Linie Benachteiligungen aufgrund Auswirkungen nach dem sozioökonomischen Hinter- des sozioökonomischen Hintergrunds, und nicht auf- grund der Jugendlichen darauf hin, dass sich eine Aus- grund des Migrationshintergrunds, die das Mento- weitung des Programms auf diejenigen Jugendlichen ring-Programm ausgleicht. Allerdings ergibt sich für konzentrieren sollte, denen es wirklich an familiärer Migrant*innen der ersten Generation – d.h. Jugend- Unterstützung mangelt. Andere Jugendliche, die über liche, die selbst im Ausland geboren wurden – ein ein günstigeres familiäres Umfeld und ausreichende großer positiver Effekt der Teilnahme am Programm Unterstützung verfügen, scheinen vom Mentoring auf die Arbeitsmarktaussichten. nicht zu profitieren. Der positive Aspekt dabei ist, dass die Gruppe der Jugendlichen mit stark benachteilig- SCHLUSSBEMERKUNGEN tem sozioökonomischen Hintergrund per definitionem ohnehin die Hauptzielgruppe für Maßnahmen ist, die Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Mentoring-Pro darauf abzielen, die Persistenz von Ungleichheit zu gramme die zukünftigen Arbeitsmarktchancen stark verringern. benachteiligter Jugendlicher erheblich verbessern Zweitens sind sowohl das Programm als auch können. Für Jugendliche mit benachteiligtem sozio das Design unserer Untersuchung in mehrfacher Hin- ökonomischen Hintergrund erhöht das untersuchte sicht dazu geeignet, eine Skalierbarkeit über einen Mentoring-Programm, »Rock Your Life!«, die Arbeits- bestimmten Standort hinaus zu zeigen. Das Programm marktchancen insgesamt deutlich und kann die Lücke ist als landesweites Franchise mit einer kleinen zent in den Arbeitsmarktaussichten zu den Jugendlichen ralen Holding und überwiegend selbstverwalteten mit günstigerem sozioökonomischen Hintergrund lokalen Standorten organisiert. Es hat sich gezeigt, vollständig schließen. Alle drei Komponenten des dass das System in wenigen Jahren von einem auf Gesamtindex der Arbeitsmarktaussichten, die kogni- über 40 Standorte wachsen konnte. Darüber hinaus tive, nicht-kognitive und motivationale Aspekte mes- beschränkte sich unsere Untersuchung nicht auf ein sen, werden durch das Programm positiv beeinflusst. oder zwei ausgewählte Standorte, sondern wurde an Mentoring scheint also eine praktikable Möglichkeit zehn Standorten und 19 Schulen in ganz Deutschland zu sein, um die Aussichten stark benachteiligter Per- durchgeführt. Dies stellt sicher, dass die gefundenen sonen auch noch im Jugendalter zu erhöhen. Natür- Effekte nicht auf einen speziellen Standort zurückzu- lich können Mentor*innen niemals die Eltern erset- führen sind. Einschränkend muss aber berücksichtigt zen, und das ist auch nicht ihr Ziel. Sie scheinen aber werden, dass das Programm bisher auf Student*in- wichtige Elemente der familiären Unterstützung, die nen als Mentor*innen angewiesen ist und daher nur in vielen benachteiligten Jugendlichen fehlen, ausglei- Städten mit Universitäten durchgeführt wird. So kann chen zu können. die Evaluation nichts darüber aussagen, ob sich die Im Gegensatz dazu wirkt das Programm nicht bei Ergebnisse auf ländliche Gebiete ohne Hochschulen Jugendlichen mit günstigerem sozioökonomischen verallgemeinern lassen. Hintergrund. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, Unsere Untersuchung schätzt nicht nur erstmals dass es diesen Jugendlichen nicht in erster Linie an einen kausalen Effekt von Mentoring-Programmen auf zusätzlicher Unterstützung durch einen anderen Er- die Arbeitsmarktaussichten benachteiligter Jugendli- wachsenen mangelt. cher in Deutschland, sondern erweitert auch die Lite- Um die Größenordnung des Programmnutzens ratur zu Mentoring-Maßnahmen insgesamt. Trotz der im Verhältnis zu den Kosten grob abzuschätzen, ha- weiten Verbreitung von und dem großen Interesse an ben wir eine Kosten-Nutzen-Analyse durchgeführt. Mentoring-Programmen für Jugendliche gibt es über- Den Nutzen des Programms messen wir in Form der raschend wenig Belege für ihre kausale Wirkung auf lebenslangen Erträge auf dem Arbeitsmarkt, den die die Aussichten der Teilnehmer*innen auf dem Arbeits- stark benachteiligten Jugendlichen aufgrund ihrer ver- markt. Die jüngere experimentelle Forschung bezieht besserten Schulnoten (gemäß Berechnungen anhand sich vor allem auf umfassendere Unterstützungspro- entsprechender Arbeitsmarktdaten) erwarten dürfen. gramme, bei denen Mentoring als ein Element mit Aufgrund der großen Effekte und relativ niedrigen vielen anderen Elementen wie finanziellen Anreizen ifo Schnelldienst vorab 2/2021 3. Februar 2021 7
FORSCHUNGSERGEBNISSE für Teilnahme und Leistung, Nachhilfeunterricht und Corak, M. (2013), »Income Inequality, Equality of Opportunity, and Inter- generational Mobility«, Journal of Economic Perspectives 27(3), 79–102. zusätzlichen Bildungsangeboten kombiniert wird (z. B. Cunha, F., J. J. Heckman, L. Lochner und D. V. Masterov (2006), »Inter- Rodríguez-Planas 2012; Heller et al. 2017; Oreopoulos, preting the Evidence on Life Cycle Skill Formation«, in: E. A. Hanushek Brown und Lavecchia 2017; Lavecchia, Oreopoulos und F. Welch (Hrsg.), Handbook of the Economics of Education, Vol. 1, North Holland, Amsterdam, 697–812. und Brown 2020). Dies erschwert es, die Effekte einer DuBois, D. L., B. E. Holloway, J. C. Valentine und H. Cooper (2002), »Ef- bestimmten Komponente des Gesamtprogramms zu- fectiveness of Mentoring Programs for Youth: A Meta-Analytic Review«, zuordnen. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei dem American Journal of Community Psychology 30(2), 157–197. von uns untersuchten Programm um ein reines Mento- Eby, L. T., T. D. Allen, S. C. Evans, T. Ng und D. L. DuBois (2008), »Does Mentoring Matter? A Multidisciplinary Meta-Analysis Comparing Mento- ring-Programm, das es uns ermöglicht, die Wirksam- red and Non-Mentored Individuals«, Journal of Vocational Behavior 72(2), keit eines relativ unaufwändigen und kostengünstigen 254–267. Unterstützungsprogramms zu beurteilen. Garcia, J. L., J. J. Heckman, D. Ermini Leaf und M. José Prados (2019), »Quantifying the Life-Cycle Benefits of an Influential Early Childhood Die meisten verfügbaren Studien zu reinen Men- Program«, Journal of Political Economy, im Erscheinen. toring-Programmen sind nicht-experimenteller Na- Grossman, J. B. und J. P. Tierney (1998), »Does Mentoring Work? An Im- tur.7 Die relevanteste Ausnahme ist das experimen- pact Study of the Big Brothers Big Sisters Program«, Evaluation Review tell evaluierte Big-Brothers-Big-Sisters-Programm für 22(3), 403–426. 9- bis 16-jährige Kinder in den USA. In einer außer- Guryan, J., S. Christenson, A. Cureton, I. Lai, J. Ludwig, C. Schwarz, E. Shirey und M. C. Turner (2020), »The Effect of Mentoring on School schulischen Variante mit erwachsenen Mentor*innen Attendance and Academic Outcomes: A Randomized Evaluation of the wurde gezeigt, dass das Programm in der Lage ist, Check & Connect Program«, NBER Working Paper 27661, National Bu- reau of Economic Research, Cambridge, MA. Drogenmissbrauch und Schulabwesenheit zu redu Heckman, J. J. (2008), »Schools, Skills, and Synapses«, Economic Inquiry zieren sowie die familiären Beziehungen zu verbessern 46(3), 289–324. (Grossman und Tierney 1998). In einer innerschuli- Heller, S. B., A. K. Shah, J. Guryan, J. Ludwig, S. Mullainathan und schen Variante mit zumeist Schüler*innen als Men- H. A. Pollack (2017), »Thinking, Fast and Slow? Some Field Experiments to Reduce Crime and Dropout in Chicago«, Quarterly Journal of Econo- tor*innen wurde gezeigt, dass das Programm zwar mics 132(1), 1–54. die schulischen Leistungen verbessert hat, nicht aber Herrera, C., J. Baldwin Grossman, T. J. Kauh und J. McMaken (2011), Anstrengung, Selbstwertgefühl, familiäre Beziehungen »Mentoring in Schools: An Impact Study of Big Brothers Big Sisters School-Based Mentoring«, Child Development 82(1), 346–361. oder Problemverhalten (Herrera et al. 2011). Das Pro- Imbens, G. W. und D. B. Rubin (2015), Causal Inference for Statistics, gramm hatte jedoch generell nicht das erklärte Ziel, Social, and Biomedical Sciences: An Introduction, Cambridge University die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.8 Press, New York, NY. Die von uns untersuchten Auswirkungen von Mento- Kosse, F., T. Deckers, P. Pinger, H. Schildberg-Hörisch und A. Falk (2020), »The Formation of Prosociality: Causal Evidence on the Role of Social ring auf Arbeitsmarktaussichten sollten nicht nur aus Environment«, Journal of Political Economy 128(2), 434–467. volkswirtschaftlicher Sicht, sondern auch im Sinne Lavecchia, A. M., P. Oreopoulos und R. S. Brown (2020), »Long-Run Ef- des zukünftigen Wohlbefindens der benachteiligten fects from Comprehensive Student Support: Evidence from Pathways to Education«, American Economic Review: Insights 2(2), 209–224. Jugendlichen von zentralem Interesse sein. Insofern OECD (2018), A Broken Social Elevator? How to Promote Social Mobility, sind die Befunde, dass Mentoring die Arbeitsmarkt- OECD Publishing, Paris. aussichten von stark benachteiligten Jugendlichen Oreopoulos, P., R. S. Brown und A. M. Lavecchia (2017), »Pathways to positiv beeinflussen kann, sehr ermutigend, um be- Education: An Integrated Approach to Helping At-Risk High School Stu- dents«, Journal of Political Economy 125(4), 947–984. nachteiligten Jugendlichen effektiv zu helfen und die Resnjanskij, S., J. Ruhose, S. Wiederhold und L. Woessmann (2021), Chancengleichheit in der Gesellschaft zu verbessern. »Can Mentoring Alleviate Family Disadvantage in Adolescence? A Field Experiment to Improve Labor-Market Prospects«, CESifo Working Pa- per 8870, CESifo, München. LITERATUR Rhodes, J. E. (2008), »Improving Youth Mentoring Interventions Through Almond, D., J. Currie und V. Duque (2018), »Childhood Circumstan- Research-based Practice«, American Journal of Community Psychology ces and Adult Outcomes: Act II«, Journal of Economic Literature 56(4), 41(1–2), 35–42. 1360–1446. Rock Your Life! (2020), Jahresbericht 2019, Rock Your Life! gGmbH, Alvaredo, F., L. Chanel, T. Piketty, E. Saez und G. 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