Jugend und Kirche, Kirche und Jugend. Ein wechselseitig problematisch
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Basisartikel: Jugend und Kirche, Kirche und Jugend Jugend und Kirche, Kirche und Jugend. Ein wechselseitig problematisch gewordenes Verhältnis Von Michael N. Ebertz as Verhältnis von Jugend und Kirche zialgestalt vollzieht sich damit vor allem in schied zu den ausländischen, insbesondere D gilt inzwischen als wechselseitig „problematisch“, angesichts zahlrei- cher Indikatoren, die auf eine anhaltende und den nachwachsenden Generationen. Ihnen gegenüber vermögen die Vertreter der Kirche die Einhaltung der Kirchengebote, das von muslimischen Jugendlichen, für die „der Glaube an Gott“ eine weitaus höhere Wertig- keit besitzt – sogar für die westdeutschen fortwirkende Erosion kirchenkonformer ihnen selbst als „unerlässlich“ definierte Jugendlichen „von einem deutlicheren Rück- Orientierungen gerade auch unter den jünge- „Minimum an Gebetsgeist und an sittlichem gang der Religiosität ausgegangen werden“ ren Generationen von Kirchenmitgliedern Streben, im Wachstum der Liebe zu Gott und müsse. Der Gottesglaube rangiert in der Wer- hinweisen. „Jugend“ ist heute kein „Morato- dem Nächsten“, immer weniger zu „sichern“ tigkeit der heutigen Jugendlichen „unter fer- rium“, d.h. kein gesellschaftlicher Schon- und – vom sonntäglichen Kirchgang bis hin zur ner liefen“. Bereits die Ergebnisse eines me- Schutzraum im Anschluss an die Kindheit Jahresbeichte. Kirchliche Riten und Glau- thodisch diffizil ausgewerteten repräsentati- zur Einübung und Vorbereitung auf ein fest bensvorstellungen verlieren in der breiten ven Bamberger Jugendsurveys („Jungsein in gespurtes Erwachsenenleben mehr, sondern Mehrheit der Jugendlichen an normativer Deutschland“) von 1996 zeigen: Als irgend- ist – ähnlich wie dieses – „ein offener und Kraft, sinken in ihrer faktischen sozialen Ver- wie gottgläubig können in Ostdeutschland 30 gestaltbarer Lebensabschnitt“ geworden, wie bindlichkeit heutzutage nun endgültig vom Prozent und in Westdeutschland 60 Prozent die Autoren der neuesten Shell-Studie schrei- „Soll“ zum „Kann“, werden zu bloßen Postu- der jungen Leute eingeschätzt werden. Perso- ben. Die den Jugendlichen bevorstehenden laten. Die empirisch messbaren Dimensionen nale Gottesvorstellungen allerdings werden in Statuspassagen ins Berufsleben, Studium und von Kirchlichkeit, die ritualistische Dimen- Gesamtdeutschland nur noch von jedem in die eigene Partnerschaft und Familie sowie sion, die Überzeugungsdimension, die Di- dritten Jugendlichen geteilt und einem spezi- der Umgang mit Freizeit und Konsum sind mension des religiösen Wissens und die fisch christlichen Theismus hängt nicht ein- zu bewältigen in einer Situation „offener Dimension der religiösen Erfahrung weisen mal mehr jeder fünfte von ihnen an. Christ- Unverbindlichkeit, nämlich einer gehörigen in die gleiche Richtung: Jugendliche rangie- lich orientierte Jugendliche sind somit auch Portion Ungewissheit, wie es mit dem eige- ren an der Spitze eines Distanzierungstrends. in Westdeutschland zu einer Minderheit nen Leben ... wohl tatsächlich weitergehen Der hat freilich auch Erwachsene mehrheit- geworden. wird. Berechenbare und genau vorhersagbare lich erfasst, inzwischen sogar weite Kreise von Perspektiven sind dabei eher die Ausnahme Senioren und Seniorinnen. Jüngere Jahrgänge Die Signatur des Jugend-Kirche- als die Regel“. Steckt darin nicht auch eine unter den Kirchenmitgliedern weisen zudem Verhältnisses prinzipielle Chance dafür, dass die Frohe Bot- eine deutlich geringere gefühlsmäßige Ver- Versucht man aus der Gesamtschau der schaft, wie sie die Kirche zu verkündigen hat, bundenheit mit der Kirche auf und sie über- einschlägigen empirischen (Jugend-)Studien unter Jugendlichen wieder (vermehrt) eine wiegen auch unter den Austrittsbereiten. Ein- einige Hauptlinien des Jugend-Kirche-Ver- Chance erhält, zumal die Kirche selbst „auf schlägige Studien stimmen darin überein, hältnisses zu ermitteln, dann lässt sich dieses, der Suche nach ihrer Form“ (Rainer Bucher) dass heute und hierzulande insbesondere die so die hier vertretene These, auf die folgende und für viele Menschen ein „offener und Jugendlichen ab dem 17./18. Lebensjahr, so „S”-Signatur bringen. Die Signatur ist gestaltbarer“ Prozess geworden ist? Doch Werner Helsper, „jene Bevölkerungsgruppe zunächst die der gehen wir schrittweise vor. darstellen, die am deutlichsten durch Ferne ● Selektion und die des und Distanz gegenüber Kirche und Religion, ● Souveränitätswillens, mit einer Massive Kirchendistanz zumindest in institutionalisierter Form, ge- Tendenz zur Bereits für die 1980er Jahre musste auf der kennzeichnet sind und deutlich auf Distanz ● Selbstexpressivität und Basis der demoskopischen Umfrageforschung zur Kirche gehen“. Matthias Sellmann spricht ● Suche und der Neigung zum von Elisabeth Noelle-Neumann und Renate von einer „radikalen Marginalisierung des ● Synkretismus. Köcher festgestellt werden: „Die Bindung an christlichen Deutungsangebots“ unter den die Kirche ist gelockert, bei vielen, bei der heutigen Jugendlichen, die er sogar als Erben „Selektion“ meint ein religiöses Aus- Mehrheit der Jugend zerbrochen.” Die Ero- und Enkel des Nihilisten, Spötters, Lebens- wahlverhalten unter dem Vorzeichen des reli- sion auch und gerade spezifisch katholisch- philosophen und Romantikers Friedrich giösen „Souveränitätswillens“, also des je per- kirchlicher Normen und damit der fort- Nietzsche sieht. Auch die Shell-Studie 2002 sönlich geltenden Autonomieanspruchs schreitende Zerfall ihrer überkommenen So- kommt zu dem Schluss, dass – im Unter- gegenüber der kirchlichen Institution und 2
Basisartikel: Jugend und Kirche, Kirche und Jugend Tradition, sich als selbstbestimmte Sinnkon- Foto: MEV/K. Louis strukteure zu verhalten. Die dem Souveräni- tätswillen zu Grunde liegende Ich-Veranke- rung kommt in einem kaum mehr zu über- bietenden Glauben an sich selbst und dabei in folgenden Antworten auf die Frage (von Britta Mischer), woran man glaube, zum Ausdruck, wozu auch die Einstellung gehören kann, jeden Versuch der kirchlichen Beein- flussung als Eingriff in die inneren Angele- unterschiedlicher religiöser Traditionen, zeigt anderzusetzen, „eigenes Nachdenken“, „mit genheiten abzuwehren: „An mich – kurz und sich ebenfalls unter dem Vorzeichen des Freunden reden“ und „Musik hören“ als die bündig” (Tekn); „Höchstens an mich selbst Selbstbestimmungswillens, nämlich daran, mit Abstand wichtigsten Hilfen nennen. Auch oder an den Kult. Mit Religion habe ich aber dass sich immer mehr Jugendliche in der kirchlich engagierte Jugendliche nennen in überhaupt nichts zu tun, ich bin eher Realist” Lage sehen, in ihrem Glauben christliche und diesem Zusammenhang zuerst solche selbst- (Christian); „Ich glaube, dass Menschen ein nicht-christliche Elemente, etwa selbst wieder aktiven Formen der Hilfe, gefolgt vom Spa- Idealbild brauchen, an das sie sich halten kön- „zurechtgelegte“ Reinkarnationsvorstellun- zierengehen im Wald, Beten, Meditieren und nen, aber ich glaube nicht, dass es für mich gen, zu kombinieren. Ähnlich wie für Er- Tagebuchschreiben. Den Rat von Erwachse- relevant ist. Ich glaube, dass ich alles aus eige- wachsene gilt auch für sie: „Wer heute an die nen einzuholen, scheinen, so die Befunde ner Kraft schaffen kann. Ich glaube an mich Wiedergeburt glaubt, also daran, dass man in einer Studie im Auftrag des Bischöflichen und weiß, dass es kein Etwas gibt, das mir hilft, anderer Gestalt wieder auf die Welt kommt, Jugendamtes in Passau, die wenigsten der sondern dass ich mir selber helfen muss ... Mei- fühlt sich deshalb in keiner Weise gezwungen, kirchlich engagierten Jugendlichen zu pfle- ne Familie ist katholisch und buddhistisch. Das sich von den zentralen Glaubenssätzen des gen, und zu beichten jedenfalls kommt kei- ist kein Widerspruch. Ich fühle mich eher zum Christentums zu verabschieden. Es darf ver- nem in den Sinn. Buddhismus oder Taoismus hingezogen ... Was mutet werden, dass den meisten, die sich in Taoismus ist, muss jeder für sich selbst heraus- Deutschland zum Glauben an die Wiederge- Mit dem alle diese „S“ durchwirken- finden“ (Pui); „Ich glaube an mich selbst und burt bekennen, nicht klar ist, dass dieser den Souveränitätsglauben geht eine massive an das, was ich bewegen oder ändern kann. Ich Glaubenspunkt außerhalb des traditionellen Neigung zur Selbstinszenierung und Selbstex- glaube immer noch, weil ich naiv genug bin, an christlichen Glaubenskosmos angesiedelt ist. pressivität der Persönlichkeit einher, wodurch die Liebe, dass das Gute die Menschen ganz Denn immerhin: 55 Prozent von ihnen glau- sie vor anderen und mit anderen die eigene doll verbindet. Ich glaube nicht an einen Gott ben zugleich, dass Jesus Christus der Sohn Biographie erproben und austesten können. oder eine übergeordnete Instanz, Ich glaube Gottes ist, 36 Prozent glauben an Maria als Wie auch im Blick auf die anderen „S“ scheint auch nicht an Vater Staat ... Ich glaube an die Mutter Gottes, 27 Prozent glauben an die eine breite Kluft zwischen Jugendkultur und Nischen ... Eine Nische finden, heißt sich selbst Dreifaltigkeit Gottes ... All diese Glaubenssät- Kirchenkultur zu bestehen. „Wo gibt es in versorgen zu können“ (Hans Jörg). In seinem ze werden auch von denen, die an die Wie- unseren Pfarrgemeinden“, fragt Martin Lech- Portrait „Generation Golf” formuliert Florian dergeburt glauben, häufiger anerkannt als ner, „Orte, an denen Jugendliche allein oder Illies die Haltung und Relation der „Selek- vom Durchschnitt der Bevölkerung“ (IDA). gemeinsam ihre Religiosität ausdrücken kön- tion“ so: „Da wir uns alles so zurechtlegen, Dabei gilt weniger das Prinzip des Puzzles als nen, ohne gleich für irgendwelche kirchlichen bis es uns passt, haben wir auch ein flexibles dasjenige der Collage, das eben objektive bzw. Aktivitäten vereinnahmt zu werden? Welche Verhältnis zur Religion gefunden. Jeder intersubjektive Richtigkeitsbeurteilungen Expressionsmöglichkeiten von Religion kön- glaubt an das, was er für richtig hält ... Man ausschließt. Jugendliche heute fühlen sich nen Jugendliche entwickeln, ohne gleich ist katholisch, auch wenn man nicht an die kaum mehr einem großen gemeinsamen Anstoß zu erregen? ... Wenn Jugendliche im unbefleckte Empfängnis glaubt, man heiratet Sinnprojekt verpflichtet, sondern folgen ih- kirchlichen Ambiente keinen Ort ihres reli- kirchlich, weil man das irgendwie richtig fin- rem „individuellen Gesetz“ (Georg Simmel), giösen Ausdrucks finden, dann suchen sie det. Mit dem eigenen Sexualleben hat Reli- also dem selbst entwickelten und collagierten, sich ihn anderswo, was die zahlreichen religi- gion weder vor noch nach der Ehe zu tun, der freilich immer labilen, weil sozial auch nur ösen Subkulturen und Szenen beweisen“. Gottesdienst am Samstagabend oder Sonn- schwach bestätigten und kaum mehr ver- Und wenn sie im kirchlichen Ambiente keine tagsmorgen gilt als überflüssiges Ritual“. Wie bindlich verbindenden Wertesystem. Dem dauerhaften Chancen ihrer religiösen Aus- die neueste Shell-Studie zeigt, beurteilen korrespondiert ein geradezu „krasses Desin- drucksmöglichkeiten finden, dann fragen sie Jugendliche heute Werte in einem ganz prag- teresse an kognitiver Stimmigkeit des Religiö- diese in der Kirche eben nur punktuell nach – matischen Sinn danach, welche von ihnen sen“ (Matthias Sellmann) – etwa unter theo- aber immerhin: Eine situative, punktuelle und „ob sie ihnen im Leben nützlich und für logischem Vorzeichen. Es ist kein Zufall, dass Integration von Jugendlichen in die Kirche sie sinnvoll sind“. Was sich der Logik der Jugendliche, gefragt, wohin sie ihre Sinn- erscheint möglich. Sie hat die normative Inte- Pragmatisierung dieser sogenannten „Ego- „Suche“ lenken, um mit ihren existentiellen gration abgelöst, die allenfalls noch Minder- Taktiker“ nicht fügt, wird abgewertet. „Syn- Fragen und Problemen fertig zu werden oder heiten zulassen. kretismus“, also die Neigung zur Mischung sich mit Glaubens- und Sinnfragen ausein- 3
Basisartikel: Jugend und Kirche, Kirche und Jugend Neben den bereits genannten „5 S“ Jugendlichen von heute ebenfalls am Ende genannt: lustig, bunt, lebendig, aktuell, schön, müssen noch weitere „5 S“ als Grundzüge der der Relevanzhierarchie der Jugendlichen ran- fröhlich, geheimnisvoll und hilfreich. Kir- modernen Jugendkultur benannt werden, die gieren. chengemeinden können schon deshalb von das Spannungsfeld von Jugend und Kirche vielen Jugendlichen als „abstoßend“ erlebt bestimmen, nämlich: „Spannung“ oder „Spannungsschema“ werden, weil sie allein schon in ästhetischer ● Spontaneität, ist die begriffliche Klammer für ein eigensin- Hinsicht – bis in das Liedgut, das Liedtempo, ● Spannung und niges alltagsästhetisches Bezugsfeld der heuti- die Raum-, Fest-, Pfarrbrief- und Schaukas- ● Sinnlichkeit, gen Jugendkultur, welches insbesondere be- tengestaltung hinein – von ganz bestimmten ● Szenenbildung, stimmte Musikstile enthält, bestimmte Fern- Geschmacksgruppen Erwachsener „regiert“ ● Sexualität. seh- und Lektürepräferenzen, bestimmte werden und das Seelsorgepersonal kaum außerhäusliche Freizeitgewohnheiten. Im Zugang zu anderen als den eigenen Erlebnis- „Spontaneität“ kann als ein zentrales Vergleich mit den ästhetischen Erlebnismus- milieus hat. Kritisch fragt Martin Lechner: Merkmal der heutigen Jugendkultur verstan- tern der Erwachsenen zeigt sich, dass das „Definieren nicht auch in der Kirche die den werden – eine Haltung, die seitens der jugendliche Spannungsschema „nicht auf Erwachsenen, was an welchen Orten und Jugendlichen in der Kirche und in den kirch- Kontemplation, Reflexion und Ausleben eines Räumen zu tun und zu lassen ist? Wer hat die lichen Gemeinden nur selten gefunden oder verfeinerten Formsinns ausgerichtet“ ist, Definitionsmacht über die Musik in der Kir- vermutet wird. Dort herrscht nach ihrer Mei- „nicht auf Harmonie, Gemütlichkeit und che, über die gestaltungsoffenen Teile der nung häufig das Prinzip der Traditionalität Zufriedenheit“; sondern kennzeichnend sind Liturgie etc.? Sind nicht auch wir in der Kir- und Formalität, eine von den Erwachsenen Dynamik, starke Sinnlichkeit und Sinnesreize, che geneigt, die freien Plätze vor den Kirchen geprägte Programmie- „unabgeschlossene und manchmal auch das Kircheninnere kin- rung und Reguliert- Situationen, rhythmi- der- und jugendfrei zu halten, damit niemand heit, vor – bis in die Es gilt, sich auf die eigenen sche Akzentuierung, – schon gar nicht die frommen BeterInnen – Gottesdienste hinein. Stress, scharfe Kon- gestört werden? Ist es nicht auch für uns Selbst eine gottgläubi- Schätze zu besinnen, traste, Dissonanzen, naheliegender, Parkplätze als Jugendcafés ge Jugendliche wie Chancen zu sehen und sich schnellen Wechsel – oder Jugendplätze einzurichten?” Anderseits Janina (17 Jahre) sagt ästhetische Formen, knüpft die zeitgenössische Popkultur häufig (zu Britta Mischer): beflügeln zu lassen von den für welche sich Aus- bereits an Inhalten der christlichen Tradition „Ich bin katholisch immer noch vorhandenen drücke wie „power“, an (Beispiele sind Texte der „Toten Hosen“ erzogen, und ich glau- „action“, „drive“ ein- oder Xavier Naidoos), wenn auch in anderer be, dass Gott da oben positiven Erwartungen auch gebürgert haben”. – distanzierter, spielerischer, frecher, aber ist und über mich und gerade junger – nicht „Spannung“ meint, so offener und ehrlicher – Weise als die üblichen wacht. Früher bin ich Gerhard Schulze, kirchlichen Vermittlungsversuche, was oft in die Kirche gegan- nur rituell kirchennaher – einen „Zustand konti- Erwachsene des kirchlichen Harmonie- und gen, heute nicht mehr nuierlicher Stimula- Integrationsmilieus manchmal als blasphe- so viel ... Meine Mutter Menschen, dass man tion, als wäre man misch empfinden mögen. geht immer noch häu- nämlich „aus Kirche viel leicht unter Strom fig dorthin. Die Kirche gesetzt. Spannung die- Dieser Lebensstil der Jugendlichen, ist mir jedoch zu mehr machen könnte“. ser Art wird nicht auf- genauer gesagt: ihre Lebensstile werden häu- genormt, da kommt gebaut und gelöst, fig in unterschiedlichen „Szenen“ gepflegt, die mir Gott so vorgesetzt sondern ein- und aus- in den kirchlich geprägten Orten gar keine vor. Ich habe mein eigenes Bild von Gott.“ geschaltet“. Statt als „spannend“ und „sinn- Zugehörigkeitschance, schon gar keine Räu- Folgt man Martin Lechner, dann wird in der lich“ wird Kirche seitens vieler Jugendlicher me haben: ob „hedonistische Szenen“ (z.B. Kirche immer wieder versucht, die Kinder eher als langweilig und eintönig und somit als Techno, Junkies, Daily Soap), „Selbstverwirk- und Jugendlichen „mit einem religionspäda- unvereinbar mit ihrem ästhetischen Lebens- lichungsszenen“ (z.B. Graffiti, Skater oder gogischen oder einem pastoralen Anima- stil erlebt. Die enorme Bedeutung des Ästhe- Sportkletterer) oder sogenannte „Aufklä- tionsprogramm zu „beglücken“ ... Alles gut tischen in der modernen Erlebnisgesellschaft rungsszenen“ (z.B. Hardcore, Antifa und ausgedacht, aber die „Abreise“ lässt sich den- und der ästhetischen Kluft zwischen Jugend- Gothic). „Szenen“ sind posttraditionale, d.h. noch nicht verhindern, weil irgendwann das kultur und Kirchenkultur zeigt sich auch wählbare und abwählbare transitorische Ver- Programm einfach reicht“. Wie viele Untersu- daran, dass (katholische) Jugendliche, gefragt, gemeinschaftungsformen individualitätsbe- chungen zeigen, wird Kirche selbst von kir- welche Wörter „gut zum Gottesdienst pas- dachter Einzelner ohne herkömmliche Ver- chengemeindlichen Funktionsträgern mehr- sen“, am meisten nennen: altmodisch, lang- bindlichkeitszumutung, gleichwohl mit eige- heitlich „als zu starr und zu unbeweglich weilig, fromm, feierlich, kalt. Als Wörter, die nen thematischen – teilweise sogar auch „reli- erlebt“. „Althergebrachtes“ und „Konfor- nicht zu ihrer Gottesdiensterfahrung passen, giösen“ – Brennpunkten, Einstellungen und mität“ sind Momente, die in der von der neu- aber zum Ausdruck bringen, wie sie Gottes- Stilformen in der Selbstexpression (vgl. Hitz- esten Shell-Studie erfassten Werteskala der dienste wünschen, werden am häufigsten ler u.a.). „Mein Stil ist Schwarz“, sagt z.B. die 4
Basisartikel: Jugend und Kirche, Kirche und Jugend 18-jährige Nina in der Befragung von Britta bensläufe von überkommen Milieus und den anderen gesellschaftlichen Teilbereichen, Mischer.. „Ich kleide mich eigentlich nur Abhängigkeiten. Damit sind die Indivi- erschüttern die Selbstverständlichkeit und schwarz. Schon als Kind habe ich gerne schwar- duen einem kollektiven Prozess ausgelie- Verbindlichkeit kirchlicher Werte und Nor- ze Sachen getragen. Es hat aber auch mit der fert, der vielen nicht Lust, sondern Last men. Sie schwächen die Plausibilität des Musik zu tun, die ich höre. Ich höre nämlich bedeutet: dem Zwang zur Selbstherstel- kirchlichen Denkens, Fühlens und Handelns Black und Death Metal. Die ganze Szene trägt lung und Selbstgestaltung ihrer Biogra- fundamental. Über Familie, Kindergarten, Schwarz. Das liegt bestimmt daran, sich ein phie und damit auch ihrer moralischen, Schule und Fernsehen erfassen sie heute bisschen abzugrenzen, und sich aus der Masse sozialen und religiösen Maßstäbe, ohne Menschen bereits an den Wurzeln ihrer Bio- ein wenig hervorzuheben.“ dass Institutionen wie die Kirche diese graphie und betreffen Jugendliche insofern in Maßstäbe noch für alle verbindend ver- hohem Maße, als sie sich in einer Lebenspha- Fragt man, was jungen Menschen Sor- bindlich aufzuerlegen vermögen; dieser se befinden, in der entscheidende Weichen gen bereitet und was in der Kirche bzw. Tatbestand hängt wiederum mit der für ihre Lebensgeschichte gestellt werden und kirchlichen Jugendarbeit als Hilfestellung zu ● religiösen und kulturellen Pluralisierung, sie selbst sich aufgefordert sehen, diese Wei- kurz kommt, so wird mehrheitlich das The- der wachsenden Konkurrenzierung der chen selbst zu stellen. ma „Sexualität“ und Partnerschaft genannt – Angebote der Sinnstiftungen zusammen, selbst von denjenigen, die in der kirchlichen die damit die überkommenen kirchlichen Gesucht werden... Kinder- und Jugendarbeit Verantwortung Antworten entmonopolisieren und relati- Freilich stellt sich die Frage, wie eine Kir- tragen. „Die entscheidenden Bruchstelle der vieren, das heißt ihre gesellschaftliche Gel- che, wie die Gemeinden, wie die anderen For- Entfremdung“, so auch die katholische Wo- tung und Überzeugungskraft einschrän- men kirchlicher Sammlung und Sendung chenzeitung „Christ in der Gegenwart” (2002, ken, ja geradezu entwerten. An die Stelle auszusehen hätten, wenn sie die skizzierte Heft 44), „ist nach wie vor die Sexualität. kirchlicher Heils- und Überlebensverhei- Kluft zwischen Kirchen- und Jugendkultur Selbst wenn die Werte Treue, Partnerschaft, ßungen treten überbrücken wollen. Ehrlichkeit unter Jugendlichen (wieder) hoch dann – zumal auf Meine These lautet, in Kurs stehen, wollen sie in sexuellen Dingen dem Hintergrund dass die Zukunftsfä- nicht die Strenge einer biblischen Auffassung der Wohlstands- Es geht um den Aufbau und higkeit der Kommuni- und die Ansichten des Lehramtes gelten las- und Wohlfahrtsge- die Aktivierung sozialer kation der frohen Bot- sen. Alle Versuche, hier Brücken zu schlagen, sellschaft – klein- schaft in den nach- sind gescheitert. Selbst gut gemeinte Ge- kalibrige Erlebni- Beziehungsnetze als Träger wachsenden Genera- sprächsangebote und psychologisch-wissen- sangebote im der Neu-Kommunikation tionen auch und gera- schaftlich gut gemachte Texte wie zum Bei- Lebensabschnitt- de seitens der Verant- spiel das von Jugendbischof Franz Josef Bode format, freilich mit und Neu-Plausibilisierung wortlichen in der Kir- verantwortete Dokument zur Sexualität, blie- neuer – ästheti- kirchlicher Sinngehalte. che, der Haupt- und ben ohne nennenswerte Resonanz.“ scher – Vergemein- Ehrenamtlichen, ver- schaftungswir- Insbesondere müßte es langt, in einigen Berei- Gesellschaftlicher Kontext des kung, „Transzen- dabei darum gehen, sich auf chen umzulernen, Jugend-Kirche-Verhältnisses denzchen“ im umzudenken und Die hier skizzierte Signatur des Verhält- Diesseits lösen die Suche zu machen, tradi- „umzuhandeln“, ohne nisses von „Jugend und Kirche“ ist eingebet- Transzendenzen im tionell bereits vorgegebene damit schon die tet in einen umfassenden gesellschaftlichen Jenseits ab. Wahrheiten der eige- Modernisierungsprozeß, der sich als ein Momente der christlichen nen Tradition umzu- Geflecht von ineinandergreifenden Pluralisie- Durch diese Tradition mit der sinnlichen biegen und das Heilige rungsprozessen erkennen lässt: Prozesse, die sich ja zu verletzen. Dabei ist ● der strukturellen Pluralisierung der Le- auch in den binnen- Erlebnis- und Erfahrungs- weniger romantisie- bensbereiche, die – wie das Wirtschaftssys- kirchlichen Bereich tem, das politische System, das Bildungs- hineingedehnt haben, dimension zu durchdringen rend in die Vergangen- heit zu schauen und system, das Wissenschaftssystem, die Mas- wird der kirchliche und neu zu erschließen. der Mangel beklagen, senmedien oder auch das Straßenver- Einfluss erheblich sondern es gilt, sich kehrssystem – jeweils kirchenunabhängig reduziert – nicht nur auf die eigenen Schät- „Eigengesetzlichkeiten” (Max Weber) fol- auf Jugendliche, aber auch und vor allem die- ze zu besinnen, Chancen zu sehen und sich gen und dabei die überkommene Kirch- sen Generationen gegenüber, die nicht wie beflügeln zu lassen von den immer noch vor- lichkeit nicht mehr sozial bestätigen; die Generationen der Älteren noch konsisten- handenen positiven Erwartungen auch und ● der individuellen Pluralisierung, das heißt ter und nachhaltiger kirchlich sozialisiert und gerade junger – nicht nur rituell kirchenna- der Vervielfältigung und Überschneidung verwurzelt sind. Diese ineinandergreifenden her – Menschen, dass man nämlich „aus Kir- von sozialen Zugehörigkeiten der Einzel- Pluralisierungsprozesse verschieben die che viel mehr machen könnte“. Eine solche existenzen und der Freisetzung ihrer Le- Machtgewichte zwischen den Kirchen und erfrischende wie vielleicht überraschende 5
Basisartikel: Jugend und Kirche, Kirche und Jugend Es geht um den Aufbau und die Akti- Über die „Eventisierung“ des Religiösen – Foto: MEV/E. Seidl vierung sozialer Beziehungsnetze als Träger Am Beispiel der katholischen Weltjugend- der Neu-Kommunikation und Neu-Plausibi- tage, in: W. Gebhardt/R. Hitzler/M. Pfad- lisierung kirchlicher Sinngehalte. Insbesonde- hauer (Hg.): Events. Soziologie des Außerge- re müßte es dabei darum gehen, sich auf die wöhnlichen. Opladen 2000, 345-362. Suche zu machen, traditionell bereits vorge- - M.N. Ebertz, Aufbruch in der Kirche. gebene Momente der christlichen Tradition Anstöße für ein zukunftsfähiges Christen- mit der sinnlichen Erlebnis- und Erfahrungs- tum, Freiburg 2003. dimension zu durchdringen und neu zu er- - M. N. Ebertz/W. Nickolai, Mächtig-Ohn- schließen. Voraussetzung wäre, die Präsenz mächtig. Jugendliche im ländlichen Raum. Aussage, der in einer IKSE-„Befragung junger des kirchlichen Christentums zukünftig nicht Eine empirische Exploration, Konstanz Katholiken in Oberhausen“ immerhin mehr nur auf der institutionell-organistorischen 1999. als 80 Prozent (!) von ihnen ihre Zustim- sowie der kulturellen Ebene zu verankern, - W. Helsper, Jugend und Religion, in: mung gaben, bedeutet, sich mit den Jugend- sondern verstärkt auch und gerade auf der U. Sander/R. Vollbrecht, Jugend im 20. lichen – unter aktiver Partizipation der Ju- Individualebene, deren bisherige lebensweltli- Jahrhundert, Neuwied/Berlin 2000, 279- gendlichen – auf die Suche nach und in den che Stützen zur Tradierung des Glaubens, z.B. 314. gestaltungsoffenen Bereichen von Kirche zu in der Familie (Michael N. Ebertz), abhanden - R. Hitzler/T. Bucher/A. Niederbacher, machen und diese für Jugendliche neu zu gekommen sind. Wenn man nur nüchtern Leben in Szenen. Formen jugendlicher Ver- buchstabieren – in prinzipiell diakonischer zur Kenntnis nimmt, so Franz-Xaver Kauf- gemeinschaftung heute. Opladen 2001. und charismenorientierter, d.h. ressourcen- mann, „dass die gegenwärtigen Formen - IDA (Institut für Demoskopie Allensbach), orientierter Haltung. kirchlicher Seelsorge an den nachwachsenden Engel. Glaube und Erfahrung diesseits der Generationen weitgehend vorbeigehen“, wür- Esoterik, Allensbach 1997. Gesucht sind deshalb Räume (auch de man sich z. B. dem Gedanken öffnen, - IKSE (Institut für Kirchliche Sozialfor- Sakralräume), „dass es darauf ankäme, junge Menschen an schung des Bistums Essen), Aus der Kirche ● wo den „S“ so weit wie möglich Rechnung qualifizierte religiöse Erfahrungen heranzu- könnte man viel mehr machen. Ergebnisse getragen wird, d.h. Jugendliche in ihrem führen“, und „Aktivitäten mit Erlebniswert, einer Befragung junger Katholiken in So-und-nicht-anders-(geworden)-Sein wie z.B. Wallfahrten, gemeinsame Bauprojek- Oberhausen, Essen 2001. repräsentiert und respektiert werden te, soziale Engagements“ einen ganz anderen - F. Illies, Generation Golf. Eine Inspektion, ● wo die Vermittlung (Berührung, Anknüp- Stellenwert zuweisen. Freilich könnten, folgt 14. Auflage, Berlin 2000. fung) von christlicher Tradition und zeit- man einem „vertieften Verständnis religiöser - F.-X. Kaufmann, Wie überlebt das Christen- genössischer Jugendkultur mutig sondiert Erfahrung, derartige lebensweltliche „Erfah- tum?, Freiburg/Basel/Wien 2000. und experimentell erprobt werden kann rungen“ nur propädeutischen Charakter für - M. Lechner, Lebens- und Glaubensräume („Evangelisierung“), zumal die zeitgenös- das haben, was im christlichen Sinnen Glau- junger Menschen, in: H. Amann u.a. (Hg.), sische Popkultur nicht selten an Momen- benserfahrung meint“. Kundschafter des Volkes Gottes. Festschrift ten der christlichen Tradition anknüpft, für P. Roman Bleichstein SJ zum 70. Ge- ● und wo der Schutz der jungen Menschen Literatur in Auswahl burtstag, München 1998, 311-330. vor Erwachsenen ebenso gewährleistet ist - R. Bucher, Was kann katholische Schule - B. Mischer, Die Jüngeren. Mitschnitte aus wie der Schutz von Erwachsenen und heute noch leisten? Überlegungen zu den dem Leben der 13-30-Jährigen, Berlin ihren religiösen und ästhetischen Sitten aktuellen Schwierigkeiten und Chancen 2001. und Bräuchen. eines pastoralen Ortes, in: cpb 2001, Heft - E. Noelle-Neumann/R. Köcher, Die verletz- 2, 87-94. te Nation, Stuttgart 1987. Nötig sind deshalb geistliche Pfadfinder - Deutsche Shell (Hg.), Zwischen pragmati- - M. Sellmann, Jugend und Religion. Oder: (auch pastorale Streetworker), Zeiten und schem Idealismus und robustem Materia- Nietzsches Enkel, Nietzsches Erben, in: Zentren lismus, Frankfurt 2002. Jugend&Gesellschaft 2002, Heft 4,1-8. ● im Kontext der zeitgenössischen Jugend- - M. N. Ebertz, Erosion der Gnadenanstalt. - Rainer K. Silbereisen/Laszlo A.Vaskovics/ kulturen Zum Wandel der Sozialgestalt von Kirche, Jürgen Zinnecker, Jungsein in Deutschland. ● mit Gespräch, Kunst, Musik, Tanz und Frankfurt 1998. Jugendliche und junge Erwachsene 1991 Gebet, - M. N. Ebertz, „Heilige Familie“ – ein Aus- und 1996. Opladen 1996. ● situativ durch Projekte, Events – wie die laufmodell? Religiöse Kompetenz der Weltjugendtreffen von Taizé und die Welt- Familien in soziologischer Sicht, in: jugendtage des Papstes (vgl. Michael N. A. Biesinger/H. Bendel (Hg.), Gottesbezie- PD Prof. Dr. Michael N. Ebertz ist Soziolo- Ebertz) – und Gottesdienste auch zu hung in der Familie. Familienkatechetische ge, Theologe und Professor an der Katho- ungewöhnlichen Zeiten und an unge- Orientierungen von der Kindertaufe bis lischen Fachhochschule in Freiburg und wöhnlichen Orten. ins Jugendalter, Ostfildern 2000, 16-43. Privatdozent an der Universität Konstanz. - M. N. Ebertz, Transzendenz im Augenblick. 6
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