Vorlesung "Staatsrecht I" Nr. 6: Der Bundespräsident - Prof. Dr. Dagmar Richter INP PAN Warszawa - Universität ...

Die Seite wird erstellt Frank Kraus
 
WEITER LESEN
Vorlesung "Staatsrecht I" Nr. 6: Der Bundespräsident - Prof. Dr. Dagmar Richter INP PAN Warszawa - Universität ...
Prof. Dr. Dagmar Richter
                         INP PAN Warszawa
Institut für Rechtswissenschaften der Polnischen Akademie der Wissenschaften
                             d.richter@inp.pan.pl

              Universität des Saarlandes, WS 2014/15
                     Vorlesung „Staatsrecht I“
                    Nr. 6: Der Bundespräsident
Vorlesung "Staatsrecht I" Nr. 6: Der Bundespräsident - Prof. Dr. Dagmar Richter INP PAN Warszawa - Universität ...
Reichspräsident
→ vom Volk gewählt (Art. 41 WRV 1919)!
→ Oberbefehl über die Reichswehr (Art. 47 WRV);
→ Befugnis, Reichsgesetze der Volksabstimmung zu unterwerfen (Art. 73
   WRV);
→ Befugnis, Reichstag aufzulösen (Art. 25 WRV);
→ Notverordnungsrecht (Art. 48 WRV).
WRV installierte Präsidialsystem: Regierung ist nicht nur vom Parlament,
sondern auch vom unmittelbar gewählten Präsidenten abhängig (↔ GG:
parlamentarisches Regierungssystem: BReg ist nur vom BT abhängig).

                                                                           2
Vorlesung "Staatsrecht I" Nr. 6: Der Bundespräsident - Prof. Dr. Dagmar Richter INP PAN Warszawa - Universität ...
Art. 54 GG (i.V.m. BPräsWahlG):
 Wahl durch Bundesversammlung (= oberstes Bundesorgan, i.d.R. alle 5
  Jahre präsent); Einberufung durch BT-Präsident (Art. 54 IV 2 GG).
  Zusammensetzung: eine Hälfte aus (allen) BT-Abgeordneten, andere
  Hälfte aus den Ländern (Art. 54 III, VII GG).
 Länderhälfte: Wahl durch die Landtage aufgrund Verhältniswahl (Art. 54
  III GG): zumeist LT-Abgeordnete, aber auch Repräsentanten der Zivilgesell-
  schaft.
 Größe der Kontingente der einzelnen Bundesländer hängt von Bevölke-
  rungszahl ab (§ 2 BPräsWahlG).
 Wahlgänge Nrn. 1 und 2: absolute Mehrheit erforderlich; Wahlgang Nr. 3:
  relative Mehrheit reicht (Art. 54 VI GG).
 Annahme der Wahl; Vereidigung vor BT und BR (Art. 56 GG).

Keine direkte Wahl des BPräs durch das Volk! (Anders z.B. WRV, heutiges
Österreich).                                                               3
Vorlesung "Staatsrecht I" Nr. 6: Der Bundespräsident - Prof. Dr. Dagmar Richter INP PAN Warszawa - Universität ...
15. Bundesversammlung 2012 (Wahl von Joachim Gauck):
→ insgesamt 1.240 Mitglieder: 620 Bundestagsabgeordnete und 620 von den
Landesparlamenten bestimmte Mitglieder.

Die Bundesversammlung tritt im Plenarsaal des
Bundestages zusammen (18.3.2012).
© DBT/photothek

                                                                          4
Vorlesung "Staatsrecht I" Nr. 6: Der Bundespräsident - Prof. Dr. Dagmar Richter INP PAN Warszawa - Universität ...
Wählbarkeits-       Deutsche Staatsangehörigkeit, Wahlrecht zum BT,
Voraussetzungen:    40. Lebensjahr vollendet (Art. 54 I 2 GG).
Amtsdauer:          5 Jahre; einmalige Wiederwahl möglich (Art. 54 II GG).
Protokoll. Rang:    „Erster Mann“ im Staat. Vertreter des BPräs: BR-
                    Präsident.
Inkompatibilität:   keine Parlamentsangehörigkeit, „Berufs- und Gewerbe-
                    verbot“, keine Unternehmensleitung, kein Aufsichts-
                    ratsmandat (Art. 55 GG).
                    Siehe BVerfGE 89, 359 ff. – Herzog.
Immunität:          Art. 60 IV GG → Schutz vor Strafverfolgung.
Präsidentenanklage: Einzige Möglichkeit vorzeitiger Absetzung! Art. 61
                    GG, §§ 49 ff. BVerfGG erfordern vorsätzliche Rechts-
                    verletzung in amtlicher Funktion.

                                                                             5
Vorlesung "Staatsrecht I" Nr. 6: Der Bundespräsident - Prof. Dr. Dagmar Richter INP PAN Warszawa - Universität ...
Allgemein: Repräsentationsfunktion nach innen und außen; Verkörperung der
            Einheit des Landes: Integrationsfunktion; Reservefunktion.
Im Speziellen:
 „Staatsnotar“: Ausfertigung und Verkündung von Bundesgesetzen (Art. 82 GG)
     → Prüfungsrecht des BPräs?
 Ernennung und Entlassung von Amtsträgern (Art. 63 II 2, 64 I, 60 I GG)
     → Prüfungsrecht des BPräs?
 Auflösung des Bundestages (Art. 63 IV, 68 I GG)
     → Eigene Ermessensentscheidung.
 Wahlvorschlag BKanzler (Art. 63 I GG).
 Begnadigungsrecht (Art. 60 II, 96 V GG)
     → Justiziabilität?
   Völkerrechtliche Vertretung und Gesandtschaftsangelegenheiten (Art. 59 I GG);
   Ordensrecht des Bundes.
   Genehmigung der GO-BReg (Art. 65 S. 4 GG);
   Erklärung des Gesetzgebungsnotstands (Art. 81 I GG);
   Erklärung des Verteidigungsfalles etc. (Art. 115a, h, l GG).
                                                                                6
Reservefunktion:
→ BPräs tritt bei Funktionsschwächen im Zusammenwirken der anderen
   Staatsorgane bzw. in der Staatsleitung aus seiner primär repräsentativen
   Rolle heraus und übernimmt Reservefunktion.

Im Einzelnen:
 Entscheidung, ob Minderheitskanzler oder BT-Auflösung (Art. 63 IV GG);
 Entscheidung, ob BT-Auflösung nach gescheiterter Vertrauensfrage
  (Art. 68 GG);
 Entscheidung über Erklärung des Gesetzgebungsnotstands (Art. 81 I GG).

Besonderheit: BPräs trifft hier eine eigene inhaltliche Entscheidung.

                                                                              7
Art. 58 GG:
   „Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten bedürfen zu ihrer
   Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den
   zuständigen Bundesminister. Dies gilt nicht für die Ernennung und Entlas-
   sung des Bundeskanzlers, die Auflösung des Bundestages gemäß Artikel
   63 und das Ersuchen gemäß Artikel 69 Abs. 3.“

Grund: BT kann BPräs nicht wie BK zur Verantwortung ziehen. Mit Gegen-
zeichnung übernimmt BK politische Verantwortung gegenüber Parlament.

                                                                               8
Art. 58 GG: „Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten bedürfen zu
ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den
zuständigen Bundesminister. Das gilt nicht für ...“

Begriffe:
 „Anordnungen“: Exekutivakte des BPräs mit Außenwirkung;
 „Verfügungen“: Akte mit Rechtswirkung gegenüber                anderen
   Verfassungsorganen.
 Keine Anordnungen bzw. Verfügungen:
   Akte, die nicht auf Rechtsfolge gerichtet, z.B. Reden und
      Auslandsreisen (str.!);
   Unterlassungen, z.B. Weigerung des BPräs, Vertrag zu ratifizieren.
 „Gegenzeichnung“ (i.d.R. „Vorzeichnung“): Regierung bekundet, dass
  präsidiale Akte ihrem Willen entsprechen und sie die politische
  (parlamentarische) Verantwortung übernimmt.
                                                                         9
Gegenzeichnungsfreie Handlungen:
 Bezeichnete Handlungen des Art. 58 S. 2 GG (Ernennung und Entlassung
  des Bundeskanzlers, Auflösung des BT gem. Art. 63 GG und Ersuchen um
  Geschäftsführung gem. Art. 69 III GG).
  Grund: Gegenzeichnungsfähige Regierung ist nicht mehr im Amt oder
  Gegenzeichnung macht keinen Sinn.
 Gibt es ungeschriebene gegenzeichnungsfreie Handlungen? H.M.: ja, im
  Einzelnen str.:
     Kanzlervorschlag (Art. 63 I, 115 h II GG);
     Einberufung des BT (Art. 39 III GG);
     Rücktritt des BPräs;
     Anrufung des BVerfG (Art. 93 I Nr. 1 GG).
    Allein aus der Reservefunktion folgt nicht schon die Gegenzeichnungs-
    freiheit! Bsp.: Art. 68 GG.
                                                                       10
Beispielsfall:
Russland lädt BPräs Gauck offiziell zu den Olympischen Spielen
nach Sotschi ein. Dieser lehnt dankend ab und löst damit
Verärgerung aus. Der Sprecher der BReg spricht von einer „rein
privaten Entscheidung des Herrn Bundespräsidenten“.
Durfte der BPräs absagen?

                                                             11
Zusammenhänge:
 Je enger „Anordnungen und Verfügungen“ interpretiert werden und je
  mehr gegenzeichnungsfreie Bereiche anerkannt werden, umso selbst-
  ständiger kann BPräs agieren.
 Je selbstständiger BPräs agiert, umso größer die Gefahr, in Bereiche der
  anderen Staatsorgane hineinzuregieren.
 Soweit Art. 58 GG nicht greift, ist BPräs kraft des Grundsatzes der
  Organtreue zur Rücksichtnahme auf andere Staatsorgane verpflichtet.
 Der Grundsatz der Organtreue modifiziert lediglich die Art und Weise
  der Kompetenzausübung, kann aber verfassungsrechtliche Kompe-
  tenzen weder erweitern noch verkürzen!

                                                                        12
Fallbeispiel (BVerfG, 2 BvE 4/13, Urt. v. 10.6.2014):
BPräs Gauck wurde im Aug. 2013 in einer Veranstaltung mit Berufsschülern
in Berlin (Motto: „22.09.2013 – Deine Stimme zählt!“) auf die Aktivitäten
der NPD angesprochen. Auf Fragen antwortete er u.A.:
   „… aber wir brauchen da Bürger, die auf die Straße gehen, die den Spinnern ihre
   Grenzen aufweisen und die sagen ‚bis hierher und nicht weiter‘. …“
   „… Wir können die Partei verbieten, aber die Spinner und die Ideologen und die
   Fanatiker, die haben wir dann nicht aus der Welt geschafft. …“
Die NPD fühlt sich im Vorfeld der BT-Wahl im Recht auf Chancengleichheit
der Parteien verletzt und erhebt Organklage (Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 63 ff.
BVerfGG).
Hat der BPräs das GG verletzt?

                                                                                13
Leitsätze zur Lösung:
 BPräs hat Aufgabe der Integration des Gemeinwesens, repräsentiert Staat und
  Volk nach innen und außen, verkörpert Einheit des Staates.
 Art und Weise der Erfüllung dieser Aufgabe entscheidet BPräs autonom →
  grundsätzlich weiter Gestaltungsspielraum.
 Grenzen: Bindung des BPräs an Verfassung und Gesetze (Art. 1 III, 20 III GG), hier
  an Prinzip der Chancengleichheit der Parteien (Art. 21 I GG, im Kontext von
  Wahlen i.V.m. Art. 38 I bzw. Art. 28 I GG).
 Aus „verfassungsrechtlichen Erwartungen an das Amt“ und „der gefestigten
  Verfassungstradition folgt Pflicht zur Wahrung „eine[r] gewisse[n] Distanz zu
  Zielen und Aktivitäten von politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen“.
 Damit ist nicht die Vorstellung eines „politisch indifferenten Amtswalters“
  verbunden. Zulässig: zugespitzte Wortwahl, nicht mehr zulässig: „Schmähkritik“.
 Inwieweit Amtsinhaber sich am „Leitbild des neutralen Bundespräsidenten“
  orientiert, unterliegt nicht gerichtlicher Überprüfung.
 Aber: Politische Parteien dürfen nicht rechtsschutzlos bleiben, soweit es ihr Recht
  auf Chancengleichheit betrifft.
                                                                                    14
Art. 59 Abs. 1 GG:
   Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. Er schließt
   im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten. Er
   beglaubigt und empfängt die Gesandten.
  →    Satz 1: Grundregel; Sätze 2 und 3: spezielle Anwendungsfelder.
  →    Sätze 2 und 3 sind als Spezialregelungen mit Beispielscharakter
       vorrangig anzuwenden; Satz 1 besitzt Auffangfunktion.

Art. 58 GG:
   Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten bedürfen
   zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler
   oder durch den zuständigen Bundesminister. Dies gilt nicht für …

                                                                    15
Art. 59 Abs. 1 GG:
   Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. Er schließt im
   Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten. Er
   beglaubigt und empfängt die Gesandten.

Art. 45 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung 1919:
   Der Reichspräsident vertritt das Reich völkerrechtlich. Er schließt im
   Namen des Reichs Bündnisse und andere Verträge mit auswärtigen
   Mächten. Er beglaubigt und empfängt die Gesandten.

Art. 11 Abs. 1 Reichsverfassung 1871:
   [1] Das Präsidium des Bundes steht dem Könige von Preußen zu,
   welcher den Namen Deutscher Kaiser führt. Der Kaiser hat das Reich
   völkerrechtlich zu vertreten, im Namen des Reichs Krieg zu erklären
   und Frieden zu schließen, Bündnisse und andere Verträge mit fremden
   Staaten einzugehen, Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen.

                                                                       16
Regel:    Im staatlichen Recht müssen Verbandskompetenz und
          Organkompetenz unterschieden werden! →
Verbandskompetenz: Bund oder Länder zuständig?
  Art. 32 GG (allgemein).
  Art. 73 I 1 i.V.m. Art. 71 GG (Gesetzgebung); Art. 87 I GG (Verwaltung
     [„Auswärtiger Dienst“]).
Organkompetenz: Welches Staatsorgan ist zuständig?
  Art. 59 I GG: Wer vertritt den Bund nach außen (im völkerrechtlichen
     Verkehr)?
     → Anwendung des Art. 59 I GG setzt Verbandskompetenz des Bundes
     voraus!
  Art. 59 II GG: Welche völkerrechtlichen Verträge bedürfen für Umsetzung in
     innerstaatliches Recht („Vollzug“) der Mitwirkung der gesetzgebenden
     Körperschaften (BT und BR)?
Spezialregelungen für die Übertragung von Hoheitsrechten:
  Art. 23 GG (Übertragung an Europäische Union; Sonderregeln, z.B. → BPräs
      vertritt nicht im EU-Rat!);
  Art. 24 GG (Übertragung in sonstigen Fällen).
                                                                           17
Regel:     Völkerrecht und Landesrecht regeln die völkerrechtliche Vertre-
           tungsmacht mit jeweils eigenen Normen →
(1) Welche Anforderungen stellt das innerstaatliche Recht (z.B. Art. 58, 59 GG) für
    die Wahrnehmung „auswärtiger Gewalt“?
(2) Was gilt nach Völkerrecht?
Kann sich Deutschland gegenüber anderen Staaten auf grundgesetzliche Schranken
berufen (z.B. „BPräs war nicht zuständig.“)?
→ nein (betr. Beispiel)! Siehe Art. 46 Wiener Übereinkommen über das Recht der
    Verträge („Wiener Vertragsrechtskonvention“ [WVK] 1969):
     (1) Ein Staat kann sich nicht darauf berufen, dass seine Zustimmung, durch einen
     Vertrag gebunden zu sein, unter Verletzung einer Bestimmung seines
     innerstaatlichen Rechts über die Zuständigkeit zum Abschluss von Verträgen
     ausgedrückt wurde und daher ungültig sei, sofern nicht die Verletzung
     offenkundig war und eine innerstaatliche Rechtsvorschrift von grundlegender
     Bedeutung betraf. (2) …
Ist Völkerrecht aus staatsrechtlicher Sicht irrelevant?
→ nein: Es gilt der verfassungsrechtliche Grundsatz des völkerrechtsfreundlichen
Verhaltens! Deutsches Recht ist möglichst so zu interpretieren, dass
Völkerrechtsverstoß ausgeschlossen wird.                                       18
Völkerrechtlich
→ Art. 7 II WVK: „Kraft ihres Amtes werden, ohne ein Vollmacht vorlegen zu müssen,
als Vertreter ihres Staates angesehen (a) Staatsoberhäupter, Regierungschefs und
Außenminister zur Vornahme aller sich auf den Abschluss eines Vertrags beziehenden
Handlungen.“
Innerstaatlich
→ Art. 59 I GG erfährt Begrenzungen aus:
    Erfordernis der Gegenzeichnung (nur) bei „Anordnungen“ und
        „Verfügungen“ (Art. 58 GG);
    Kompetenzzuweisungen an andere Staatsorgane: Richtlinienkompetenz der
        BKanzlerin (Art. 65 I 1 GG) und Ressortzuständigkeit des Außenministers
        (Art. 65 I 2 GG);
    Pflicht zur Organtreue: Rücksichtnahme auf andere Staatsorgane im
        Interesse der optimalen Funktionsfähigkeit aller Organe und des
        Staatsganzen.

Regel:   Völkerrechtliche Handlungsmacht des BPräs (Art. 7 II WVK) reicht über
         innerstaatliche Befugnisse hinaus! Völkerrechtliche Bindung tritt u.U. auch
         bei verfassungswidrigem Handeln ein (Art. 46 WVK)!
                                                                                  19
Vertretungsmacht des BPräs ist beschränkt, denn
   Art. 59 I GG ist im Kontext der übrigen GG-Vorschriften zur auswärtigen
    Gewalt zu interpretieren (Stellung der BReg: Folie zuvor; Stellung von BT und
    BR: Art. 59 II GG; Stellung des BVerfG: Art. 93 GG).
   Demokratieprinzip verlagert inhaltliche Entscheidungsmacht auf BReg, denn:
    BReg unterliegt parlamentarischer Verantwortung (Art. 67 f. GG), BPräs
    nicht.
Daraus folgt:
 Operative Funktion der auswärtigen Gewalt liegt bei BReg: BKanzlerin (Art. 65
    I 1 GG) und Außenminister (Art. 65 I 2 GG) bestimmen primär den Inhalt der
    Außenpolitik (materielle Prärogative).
    Vgl. BVerfGE 68, 1, 85 f.; 90, 286, 358.

   BPräs verbleibt notarielle Funktion, er ist primär „Kundgabe-Organ“ (formelle
    Prärogative), kein „Vertreter“ i.S.v. § 164 BGB!
    Str.: Kann der BPräs die Mitwirkung unter Hinweis auf Verfassungs- oder
    Völkerrechtswidrigkeit versagen? → Vgl. Diskussion zu Art. 82 GG.
                                                                               20
Was bedeutet „primäre“ inhaltliche Zuständigkeit der BReg – „primäre“
formelle/ notarielle Zuständigkeit des BPräs?
 BReg und BPräs sind auf Zusammenarbeit angewiesen:
        inhaltliche Prärogative der BReg sichert demokratische Verantwortung für die
         Außenpolitik;
        formelle Prärogative sichert einheitliches Auftreten Deutschlands nach
         außen.

   Aber: Keine trennscharfe Abgrenzung zwischen inhaltlicher Gestaltungsmacht
    (BReg) und bloßer Förmlichkeitsmacht (BPräs)! Denn:
        Delegation der Befugnisse von BPräs auf BReg möglich und üblich (s.u.)!
        BPräs bedarf nur für bestimmte Erklärungen (s.u.) der Genehmigung der
         BReg (Art. 58 GG) → Spielräume für inhaltliche Akzente seitens BPräs in den
         Grenzen der Organtreue.

Regel:    Der BPräs besitzt keine Kompetenz zur eigenständigen Gestaltung
          der Außenpolitik, beherrscht aber den formell-notariellen Bereich
          und besitzt gewisse Spielräume im inhaltlichen Bereich .        21
„Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich.“
Normzweck:
→ BPräs verkörpert Einheit des Staates nach außen. Deutschland spricht „mit
  einer Stimme“ gegenüber der Völkergemeinschaft.

Begriffliches:
→ „Völkerrechtlich“: nicht nur rechtserhebliches, sondern jede Art hoheitlichen
    (staatsspezifischen) Handelns im völkerrechtlichen Verkehr, etwa:
    Anerkennung einer Regierung
        z.B. Anerkennung des Libyschen Übergangsrats 2011;
       Abgabe „politischer Erklärungen“ gegenüber anderen VR-Subjekten
        z.B. Erklärung zur NSA-Affäre: „…Die Bundeskanzlerin hat heute mit Präsident
        Obama telefoniert. Sie machte deutlich, dass sie solche Praktiken, …,
        unmissverständlich missbilligt und als völlig inakzeptabel ansieht. …“
        (Presseerklärung BReg 23.10.13). BK gibt hier anstelle des BPräs Erklärung ab.
       Aber NICHT: Privatwirtschaftliches Handeln
        z.B. Kauf eines Grundstücks für Botschaftsbau (→ kein „hoheitliches“ Handeln; das
        kann auch jede Privatperson!).
                                                                                       22
„Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten.“
(Art. 59 Abs. 1 Satz 2 GG)
   „Verträge“: Alle völkerrechtlichen Übereinkünfte, durch die eine bestehende
    Rechtslage verändert wird, nicht nur „Verträge“!
   „Auswärtige Staaten“: Alle Völkerrechtssubjekte (z.B.                  Internationale
    Organisationen, Heiliger Stuhl, IKRK), nicht nur „Staaten“.
   „Er schließt …“ Problem: völkerrechtlicher Vertragsschluss ist mehrstufig
    (Art. 9-16 WVK).
     Heute h.M.: Dem BPräs vorbehalten ist die Vornahme aller auf den
         Abschluss des Vertrages gerichteter Erklärungen, insbes. der Ratifikation
        (→ völkerrechtlich verbindliche Erklärung, dass Deutschland den Vertrag als bindend
        anerkennt [Art. 14 WVK]).
       M.M.: Art. 59 I 2 GG umfasst nur die Kompetenz zur Vornahme der
        Ratifikation. Argument: Staatspraxis → BPräs ratifiziert (allenfalls),
        Annahme des Textes und Unterzeichnung i.d.R. durch Verhandlungsführer,
        Außenminister, BKanzlerin.

Beachte: Auch bei Art. 59 I Satz 2 gilt Art. 58 GG (Gegenzeichnung)!                     23
Élysée-Vertrag (D – F) vom 22.1.1963:

                                        24
„Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten.“
(Art. 59 Abs. 1 Satz 2 GG)
Staatspraxis:
→ Völkerrechtliche Verträge werden zumeist von Mitgliedern der BReg oder von
hohen Beamten des AA unterzeichnet.
Erklärung:
•    Der BPräs kann alle Befugnisse aus Art. 59 I GG delegieren, d.h. Abschluss-
     vollmacht erteilen.
•    Bevollmächtigung kann auch stillschweigend/ konkludent (etwa im Rahmen
     eingeübter Staatspraxis [“constitutional convention“]) erfolgen.
•    Bevollmächtigung bedarf der Gegenzeichnung (Art. 58 GG). Aber: Ersuchen des
     AA an BPräs, Vollmacht zu erteilen, gilt als Gegenzeichnung!
•    Da Art. 59 I GG dem BPräs die (formell-notarielle) Hauptverantwortung zuweist,
     kann er die Abschlussbefugnis zurückholen bzw. Delegation widerrufen.

Regel: Trotz eingeübter Praktiken der Delegation hat die BReg keinen Anspruch
       auf Vornahme der „außenpolitischen Routinetätigkeit“ (a.A. Stern).
                                                                                 25
Art. 59 I Satz 3 GG: „Er be-
glaubigt und empfängt die
Gesandten.“

Botschafterin Kaja Tael (Est-
land) und BPräs Joachim Gauck
nach der Akkreditierung am
4.9.2012 (Foto: Bundespresse-
amt).

                                26
„Er beglaubigt und empfängt die Gesandten.“ (Art. 59 Abs. 1 Satz 3 GG)
   „Gesandte“ : mindestens die ersten beiden „Gesandten-Klassen“ nach Art. 14 I
    lit. a und b Wiener Diplomatenübereinkommen (WÜD 1961), d.h.
        Missionschefs/-innen (Art. 14 I lit. a WÜD) und
        bestimmte weitere hohe Gesandte (Art. 14 I lit. b WÜD);
    Die „dritte Klasse“ (Art. 14 I lit. c WÜD) übernehmen BKanzleramt bzw. AA.
    Verfassungsrechtlicher Begriff „Gesandter“ ≠ völkerrechtlicher Begriff (vgl. Art. 14 WÜD)!
   „Beglaubigt“: Förmliche Erklärung gegenüber Empfangsstaat, dass bestimmte
    Person zur Vertretung befugt ist, d.h. Beglaubigungsschreiben des BPräs
    betreffend deutsches diplomatisches Personal zur Übergabe im Empfangsstaat.
   „Empfängt“: Empfang hochrangiger ausländischer Gesandter zur Entgegen-
    nahme deren Beglaubigungsschreibens (Akkreditierung).

Achtung! Missionschefs/-innen bedürfen vor Überreichung des Beglaubigungs-
schreibens im Empfangsstaat des Agrément (Art. 4 II WÜD). Agrément erteilt die
BReg, BPräs erklärt es nach außen.

                                                                                                 27
Fall:
Die BReg bemüht sich seit Jahren,
Deutsch als Amtssprache der EU wie-
der stärker zu verankern. Bei einem
Besuch des EU-Parlaments in Straß-
burg schreibt der damalige BPräs
Wulff 2010 in das Gästebuch:

“Best wishes for the European
Parliament for the future in
the 21th century!“

Verletzte er damit das Grundgesetz?

                                      28
Ist eine Norm wie Art. 59 I GG in einer Welt, in der sich die
Unterschiede zwischen „innen“ und „außen“ zunehmend
auflösen, die internationalisiert und europäisiert ist und in
der nahezu alle Staatsorgane Außenkontakte pflegen
(„Pluralisierung des Außenauftritts“), noch sinnvoll?

                                                                29
Sie können auch lesen