Vorwahlanalyse zur Bürgerschaftswahl in Bremen 2015

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Vorwahlanalyse zur Bürgerschaftswahl in Bremen 2015
Vorwahlanalyse
   zur Bürgerschaftswahl in Bremen 2015

                 Prof. Dr. Lothar Probst
           Institut für Politikwissenschaft an
                 der Universität Bremen
Arbeitsbereich Wahl-, Parteien- und Partizipationsforschung

                        Adresse:

InIIS, Unicom/Mary-Somerville-Str. 7, 28359 Bremen
                 Tel. 0421 218-67408
      E-Mail: lothar.probst@iniis.uni-bremen.de
                 www.lotharprobst.de

                  Bremen, April 2015
Vorwahlanalyse zur Bürgerschaftswahl in Bremen 2015
Lothar Probst, Universität Bremen

Impressum

Vorwahlanalyse zur Bürgerschaftswahl 2015
Prof. Dr. Lothar Probst
Institut für Politikwissenschaft (FB 8)
Universität Bremen

Verantwortlich:
Prof. Dr. Lothar Probst
Institut für Politikwissenschaft (FB 8)
Postfach 330440, 28334 Bremen

Erscheinungsdatum: 04/2015

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Lothar Probst, Universität Bremen

Inhaltsverzeichnis	
  

VORBEMERKUNG	
                                                                                            4	
  

1.	
  BESONDERHEITEN	
  VON	
  WAHLEN	
  IN	
  BREMEN	
                                                   4	
  

2.	
  DAS	
  WAHLSYSTEM	
                                                                                 5	
  

3.	
  DIE	
  ENTWICKLUNG	
  DES	
  BREMER	
  PARTEIENSYSTEMS	
                                            7	
  

4.	
  DIE	
  POLITISCHE	
  AUSGANGSLAGE	
  VOR	
  DER	
  WAHL	
                                           8	
  

5.	
  WIRTSCHAFTLICHE,	
  FINANZIELLE	
  UND	
  SOZIALE	
  RAHMENBEDINGUNGEN	
  	
  

IM	
  VORFELD	
  DER	
  WAHL	
                                                                          11	
  

6.	
  WAHLKAMPFTHEMEN	
                                                                                 16	
  

7.	
  DIE	
  PARTEIEN	
  UND	
  IHRE	
  WAHLKAMPFSTRATEGIEN	
                                           18	
  

                                                             3
Lothar Probst, Universität Bremen

Vorbemerkung

Die Bürgerschaftswahlen in Hamburg und Bremen sind die einzigen Landtagswahlen in die-
sem Jahr. Das erhöht die öffentliche Aufmerksamkeit, obwohl die Bürgerschaftswahl im
kleinsten Bundesland außerhalb Bremens traditionell nur auf ein geringes Interesse stößt.
Die meisten politischen Beobachter gehen ohnehin davon aus, dass sich an der jetzigen
Regierungskoalition aus SPD und Grünen nichts ändern wird. Deshalb richtet sich das Inte-
resse nach dem Ausgang der Hamburger Bürgerschaftswahl vor allem auf das Abschneiden
der CDU und auf die Frage, ob FDP und AfD auch in Bremen über die Fünfprozenthürde
kommen. Vor diesem Hintergrund werden in der folgenden Vorwahlanalyse zunächst die
Besonderheiten von Wahlen in Bremen und die Grundzüge des Wahlsystem kurz umrissen,
dann die Entwicklung des Bremer Parteiensystems und die politische Ausgangslage skizziert
sowie die finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen vor der Wahl be-
schrieben. Es folgt eine Analyse der voraussichtlichen Wahlkampfthemen und der Wahl-
kampfstrategien der Parteien. Die Vorwahlanalyse ist nicht mit einer Prognose über den
Wahlausgang zu verwechseln.

1. Besonderheiten von Wahlen in Bremen

Wahlen im Bundesland Bremen weisen einige Besonderheiten auf:

§   Es gilt das Prinzip der verbundenen Kommunal- und Landtagswahl. So entscheiden die
     im Wahlbereich Bremen abgegebenen Stimmen zugleich über die Zusammensetzung
     der Bremischen Stadtbürgerschaft, dem Kommunalparlament der Stadt Bremen. Dabei
     ist die Anzahl der Abgeordneten aus dem Wahlbereich Bremen im Landtag und in der
     Stadtbürgerschaft (67) identisch. Seitdem 1995 das kommunale Wahlrecht für EU-
     Ausländer zur Bremischen Stadtbürgerschaft eingeführt wurde, kann es passieren, dass
     die aus dem Wahlbereich Bremen gewählten Abgeordneten für die Bremische
     Bürgerschaft (Landtag) nicht zu hundert Prozent identisch mit den gewählten
     Abgeordneten der Bremischen Stadtbürgerschaft sind. Wenn eine Partei von dem
     kommunalen Wahlrecht für EU-Ausländer überproportional profitiert, stehen ihr unter
     Umständen mehr Sitze in der Stadtbürgerschaft als im Landtag zu.

§   Auch in Bremerhaven sind Kommunal- und Landtagswahl in der Regel aneinander
     gekoppelt, wenngleich es sich dabei um zwei unterschiedliche, eigene Wahlgänge
     handelt. Zwischen 1947 und 1991 wurde das Bremerhavener Kommunalparlament, die
     Stadtverordnetenversammlung, zeitgleich mit der Bremischen Bürgerschaft (Landtag)
     gewählt. Aufgrund einer vorgezogenen Neuwahl der Bremischen Bürgerschaft im Jahr
     1995 fielen die folgenden Wahltermine zur Bürgerschaftswahl und zur Stadtverord-
     netenversammlung in Bremerhaven aber auseinander. Erst seit der Bürgerschaftswahl
     2007 werden die Bremische Bürgerschaft und die Bremerhavener Stadtverordneten-
     versammlung wieder am selben Tag gewählt.

§   Aufgrund seiner Konstituierung als Zwei-Städte-Staat gibt es im kleinsten Bundesland
     die zwei voneinander unabhängigen Wahlbereiche Bremen und Bremerhaven, in denen
     jeweils getrennt die Fünfprozenthürde für den Einzug von Parteien bzw. Wählerver-

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Lothar Probst, Universität Bremen

    einigungen in das Landesparlament gilt. Diese Besonderheit des Wahlrechts kann sich
    entscheidend auf das Wahlergebnis und die Sitzverteilung in der Bürgerschaft
    auswirken. Aufgrund der voneinander getrennten Wahlbereiche haben kleine Parteien
    und Wählervereinigungen in Bremerhaven bei einer geringen Wahlbeteiligung sehr gute
    Chancen, zumindest einen Sitz im Landesparlament zu erobern.

2. Das Wahlsystem

Seit der Bürgerschaftswahl 2011 wird in Bremen – aufgrund eines Volksbegehrens – nach
einem neuen Wahlsystem gewählt. Es handelt sich dabei nach wie vor um ein Verhältnis-
wahlsystem mit Fünfprozentsperrklausel, aber da jeder Wähler fünf Stimmen bei Bedarf be-
liebig panaschieren (verteilen) oder kumulieren (anhäufeln) kann, stehen ihm viele Möglich-
keiten der Stimmenabgabe zur Verfügung (der Wähler kann zum Beispiel alle fünf Stimmen
für eine Parteiliste abgeben oder die Stimmen auf mehrere Parteien verteilen). Ein erklärtes
Ziel des Wahlsystems ist es, den Wählern mehr Einfluss auf die Auswahl der Abgeordneten
einzuräumen. Dadurch, dass die Stimmen z.B. auch auf Kandidaten kumuliert werden kön-
nen, die von den Parteien auf weniger aussichtsreichen Listenplätzen nominiert wurden, wird
die Listenreihenfolge der Kandidaten verändert. Dass dieser Effekt tatsächlich eintritt, hat die
Bürgerschaftswahl 2011 nachdrücklich bewiesen. Bei allen Parteien kam es zu Verschie-
bungen auf den Listen der Parteien, und es wurden Kandidatinnen und Kandidaten in die
Bürgerschaft gewählt, die nach dem alten Wahlrecht keine Chance gehabt hätten. Beson-
ders ausgeprägt war der Effekt bei der SPD, bei der die Hälfte aller Mandate über die Perso-
nenstimmen vergeben wurde und mehrere Kandidatinnen und Kandidaten sich von hinteren
Listenplätzen weit nach vorne schieben konnten. Im Vorfeld der letzten Wahl hatten einige
Kandidatinnen und Kandidaten diesen Effekt bereits antizipiert und gezielt eigene Wahlkam-
pagnen initiiert, um damit möglichst viele Personenstimmen zu gewinnen (siehe dazu auch
die im Auftrag der Bürgerschaft erstellte Untersuchung des AWaPP „Bürgerschaftskandida-
tur zwischen persönlichem Einsatz und Parteienwahlkampf“ von Jan-Hendrik Kamlage, Juli
2012).

Es ist davon auszugehen, dass bei der bevorstehenden Bürgerschaftswahl noch stärker als
beim letzten Mal Kandidatinnen und Kandidaten auf unsicheren oder relativ aussichtslosen
Listenplätzen durch einen eigenen, auf ihre Person zugeschnittenen Wahlkampf versuchen
werden, doch noch ein Mandat zu erzielen. In einigen Fällen haben die Parteien bereits auf
die Erfahrungen mit dem neuen Wahlsystem reagiert, indem sie Kandidatinnen und Kandida-
ten, die beim letzten Mal relativ viele Personenstimmen erhalten haben, bei dieser Wahl auf
sicheren Listenplätzen nominiert haben. Das trifft bei der SPD z.B. auf Sükrü Senkal und
Arno Gottschalk sowie bei der CDU auf Claas Rohmeyer zu.

Die ersten Erfahrungen mit dem neuen Wahlsystem haben allerdings einige Schönheitsfeh-
ler und Schwächen offengelegt. So vermittelt das System dem Wähler den falschen Ein-
druck, dass er mit seinen fünf Stimmen Kandidatinnen und Kandidaten gewissermaßen di-
rekt in die Bürgerschaft wählen kann. Tatsächlich aber verdanken die meisten Kandidatinnen
und Kandidaten einer Partei, die ein Personenmandat erhalten haben, dieses gar nicht in
erster Linie den persönlich für sie abgegebenen Stimmen, sondern den Personenstimmen,
die für

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Lothar Probst, Universität Bremen

   •   die jeweiligen Spitzenkandidaten,
   •   für alle erfolgreichen Listenkandidaten auf einer Liste,
   •   für alle nicht erfolgreichen Kandidaten auf einer Liste

abgegeben wurden. Diese Fremdverwertungseffekt von Personenstimmen hat dazu geführt,
dass bei der letzten Bürgerschaftswahl zum Teil Kandidaten, die gerade einmal 1.200 Stim-
men bekommen haben (das entspricht ca. 240 Wählerinnen und Wählern, die diesem Kan-
didaten ihre fünf Stimmen gegeben haben), über ein Personenmandat in die Bürgerschaft
eingezogen sind. Im Extremfall können für einen bestimmten Kandidaten abgegebene Per-
sonenstimmen sogar dazu führen, dass er ein sonst sicheres Listenmandat verfehlt. Das
Wahlsystem gaukelt also den Wählern nur vor, dass es in ihrer Hand liegt, welche Kandida-
tinnen und Kandidaten mir ihrer Personenstimme in die Bürgerschaft einziehen.

Das neue Wahlsystem wirkt sich außerdem negativ auf die Zahl der Ungültigwähler aus. Im
langjährigen Mittel schwankte die Zahl der Ungültigwähler bei Bürgerschaftswahlen in der
Regel um ein Prozent, bei der letzten Bürgerschaftswahl stieg sie auf 3,3 Prozent an. Prob-
lematisch ist vor allem die Ungleichverteilung der ungültigen Stimmen in verschiedenen Orts-
teilen Bremens. In Stimmbezirken mit sozialen Problemlagen und einer hohen Anzahl von
Hartz IV-Empfängern mit eher bildungsferner Bevölkerungsschicht lag die Zahl der Ungül-
tigwähler bei der letzten Bürgerschaftswahl um mehr als das Dreifache höher als in gutbür-
gerlichen Stadtteilen (siehe Tabelle 1). Dieser Effekt war in erster Linie darauf zurückzufüh-
ren, dass überdurchschnittlich viele Wähler in diesen Stimmbezirken mehr als fünf Stimmen
angekreuzt haben. Dadurch wurde der Stimmzettel ungültig. Offensichtlich hatten sie
Schwierigkeiten, das Wahlrecht zu verstehen.

Tabelle 1: Anzahl der ungültigen Stimmen in ausgewählten Ortsteilen Bremens im Verhältnis
zur Anzahl der Hartz IV-Empfänger
Stimmbezirk                    Anzahl der ungültigen        Anteil der Hartz IV-
                                Stimmen (in Prozent)              Empfänger (in Prozent)
Tenever                         5,1                               39,5
Neue Vahr-Südost                5,5                               29,3
Bürgerpark                      1,5                               3,2
Radio Bremen                    1,5                               7,8
Quelle: Statistisches Landesamt Bremen (Wahlergebnisse und Strukturindikatoren in den
Ortsteilen der Stadt Bremen

Dass im Vorfeld der Bürgerschaftswahl überlegt wurde, ob man auch in solchen Fällen die
Stimmabgabe für gültig erklärt, solange die Wählerabsicht eindeutig „erkennbar sei“, ist mehr
als problematisch, weil sie den jeweiligen Wahlvorständen beim Auszählen der Stimmzettel
einen erheblichen Interpretationsspielraum eröffnen würde. Stattdessen scheint es geboten
zu sein, über eine Reform des Wahlsystems nachzudenken, um die jetzigen Schwächen und
Probleme zu beheben.

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Lothar Probst, Universität Bremen

3. Die Entwicklung des Bremer Parteiensystems

Das Bremer Parteiensystem zeichnet sich in den letzten Legislaturperioden durch eine äu-
ßerst volatile Entwicklung aus. Bei den Bürgerschaftswahlen 1999 und 2003 schafften es nur
SPD, CDU und Grüne, in Fraktionsstärke in die Bürgerschaft einzuziehen. 2003 gelang es
darüber hinaus jeweils der FDP und der DVU, über den Wahlbereich Bremerhaven ein Ab-
geordnetenmandat zu erzielen. 2007 kam es dann zu einer deutlichen Fragmentierung des
Parteiensystems, weil außer SPD, CDU und Grünen auch die LINKE und die FDP erfolgreich
waren und jeweils Fraktionen in der Bürgerschaft bilden konnten. Außerdem erlangten so-
wohl die DVU als auch die Wählervereinigung Bürger in Wut (BIW) über den Wahlbereich
Bremerhaven jeweils ein Mandat. Bei der Bürgerschaftswahl 2011 zogen nur SPD, CDU,
Grüne und LINKE in die Bürgerschaft ein, weil die FDP deutlich an der Fünfprozenthürde
scheiterte. Die Wählervereinigung BIW errang erneut ein Mandat über den Wahlbereich
Bremerhaven, während die Piraten, die bei dieser Wahl zum ersten Mal antraten, mit 1,9
Prozent der Stimmenanteile weit abgeschlagen landeten.

Die parteipolitische Zusammensetzung des Parlaments hat sich vor diesem Hintergrund in
den letzten 15 Jahren mehrfach verändert. Es hat sich im Kern ein Vierparteienparlament mit
einer starken linken Mehrheit herausgebildet. Diese Mehrheit ist seit der Bürgerschaftswahl
1995 kontinuierlich gewachsen. Bei der Bürgerschaftswahl 2011 erreichten SPD, Grüne und
LINKE zusammen einen Stimmenanteil von 66,7 Prozent. Der Anteil der Stimmen für Partei-
en im klassisch bürgerlichen und im rechtskonservativen Spektrum könnte zwar bei der be-
vorstehenden Bürgerschaftswahl wachsen, ohne sich jedoch in einer neuen parteipolitischen
Zusammensetzung der Bürgerschaft niederzuschlagen, falls es weder die FDP noch die zum
ersten Mal antretende Alternative für Deutschland (AfD) schaffen, die Fünfprozenthürde zu
überspringen.

Tabelle 2: Wahlergebnisse bei den Bürgerschaftswahlen, Europa- und Bundestagswahlen
seit 2009 in Bremen
Wahl                 SPD         CDU       Grüne       LINKE       FDP       AfD
Bürgerschaftswahl      36,7        25,6         16,5        8,4         6,0            -
2007
Europawahl             34,4        22,4         17,6        9,6         3,3            -
2009
Bundestagswahl         30,3        23,9         15,4       14,3         10,6           -
2009
Bürgerschaftswahl      38,6        20,4         22,5        5,6         2,4            -
2011
Bundestagswahl         35,6        29,3         12,1       10,1         3,4           3,7
2013
Europawahl             34,4        22,4         17,6        9,6         3,3           5,8
2014
Eigene Darstellung nach Angaben des Statistischen Landesamtes Bremen

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Lothar Probst, Universität Bremen

4. Die politische Ausgangslage vor der Wahl

SPD und Grüne: Mehrheit nicht in Gefahr

Seit 2007 wird das Bundesland Bremen von einer rot-grünen Koalition regiert. Bei der Bür-
gerschaftswahl 2011 konnten SPD und Grüne ihren Stimmen- und Sitzvorsprung in der Bre-
mischen Bürgerschaft noch ausbauen und eine Zweidrittelmehrheit der Sitze erringen. Die
Oppositionsparteien CDU, FDP und LINKE büßten dagegen 2011 Stimmen ein. Die FDP fiel
sogar deutlich unter die Fünfprozenthürde.

Die aus den letzten Monaten vorliegenden Umfragen signalisieren erneut eine deutliche
Mehrheit für die beiden Koalitionsparteien SPD und Grüne. Die Oppositionsparteien CDU
und LINKE konnten sich zwar, folgt man diesen Umfragen, auf höherem Niveau wieder stabi-
lisieren, sind aber weit davon entfernt, die rot-grüne Mehrheit zu gefährden. Obwohl die bei-
den Regierungsparteien in der laufenden Legislaturperiode ihre Konflikte offener und zum
Teil härter ausgetragen haben als in der Legislaturperiode 2007 bis 2011, haben sie im Vor-
feld der Bürgerschaftswahl ein klares Bekenntnis zur Fortführung der Koalition abgegeben.

Abbildung 1: Umfragen von Emnid (14.2.2014) und der Forschungsgruppe Wahlen (6.4.2014)

 45
              40
 40      37
                                  n   Forschungsgruppe Wahlen 6.4.2014
 35
                          28
                                       Emnid 14.2.2014
 30
 25
                     21
 20                              1716
 15
                                              9 8
 10
                                                                         5
   5                                                       3                 3

   0
          SPD         CDU         Grüne       Linke        FDP            AfD
Eigene Darstellung

Latente Unzufriedenheit, aber keine Wechselstimmung

Die Sparpolitik des Senats, die durch die Vorgaben der Schuldenbremse diktiert wird, engt
die politischen Handlungsspielräume der rot-grünen Koalition auf verschiedenen Politikfel-
dern ein. Sie hat zwar zu latenter Unzufriedenheit in Teilen der Bremer Bevölkerung beige-
tragen, aber bisher nicht zu einer wahrnehmbaren Wechselstimmung geführt. Vor diesem

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Lothar Probst, Universität Bremen

Hintergrund ist die Wiederwahl einer Koalition aus SPD und Grünen das wahrscheinlichste
Szenario. Allerdings werden sich die Gewichte zwischen SPD und Grünen nach der Bürger-
schaftswahl voraussichtlich wieder stärker zugunsten der SPD verschieben. Dafür gibt es
mehrere Gründe: Zum einen muss das Wahlergebnis für die Grünen von 22,5 Prozent bei
der Bürgerschaftswahl 2011 angesichts der damaligen Katastrophe im Atomkraftwerk
Fukushima als Ausnahme angesehen werden, das kaum wieder zu erreichen ist. Zum ande-
ren stand die SPD in der vergangenen Legislaturperiode weniger im Fokus der öffentlichen
Kritik als die Grünen, die besonders im Bereich der Verkehrspolitik die Bremer Gesellschaft
polarisiert haben. Des Weiteren kann die SPD mit Bürgermeister Jens Böhrnsen einen Spit-
zenkandidaten ins Rennen schicken, der aufgrund seiner ruhigen, besonnenen und integrie-
renden Art äußerst populär und beliebt ist. Auch der Spitzenkandidatin der Grünen, Karoline
Linnert, wird durchaus eine kompetente und solide Finanzpolitik zugebilligt, aber als Finanz-
senatorin ist sie oft Zielscheibe der Kritik am Sparkurs des Senats. Darüber hinaus ist Fi-
nanzpolitik im Haushaltsnotlagenland Bremen nicht unbedingt eine grünes „Gewinnerthema“.
Wie die bisherigen Umfragen zeigen, dürften die Grünen vor diesem Hintergrund wieder auf
ein „normales“ Wahlergebnis zwischen 15 und 18 Prozent zurückfallen.

CDU und Linke – konsolidiert, aber ohne Machtoption

Die CDU, die sich vor der letzten Bürgerschaftswahl als heillos zerstritten präsentiert hat,
konnte sich inzwischen zwar innerparteilich wieder stabilisieren, leidet aber immer noch an
Richtungsauseinandersetzungen und konnte sich erst nach mehreren Anläufen auf die Bun-
destagsabgeordnete Elisabeth Motschmann als Spitzenkandidatin einigen. Sie ist zwar eine
erfahrene und respektable Kandidatin, steht aber als eigentlich konservative Frontfrau vor
der schwierigen Aufgabe, die CDU einerseits als moderne Großstadtpartei zu repräsentieren
und andererseits mit eher traditionellen Positionen die AfD auf Abstand zu halten – ein
schwieriger Spagat. Hinzu kommt, dass die CDU zwischen 1995 und 2007 in einer Großen
Koalition Bremen mitregierte und Schwierigkeiten hat, der Öffentlichkeit zu vermitteln, warum
es mit der CDU in der Regierung für Bremen besser werden sollte. Ein weiteres Manko ist für
die CDU, dass die rot-grüne Koalition zwar durchaus koalitionsinterne Differenzen aufweist,
aber dennoch für einen Frontalangriff zu wenig Angriffsfläche bietet. Für die CDU wäre es
vor diesem Hintergrund schon ein Erfolg, wenn sie wieder zweitstärkste Kraft in der Bürger-
schaft wird. Dieses Ziel ist nicht nur realistisch, sondern auch wahrscheinlich. Die CDU hat
Zuwachspotenzial, dürfte aber hinter dem ausgegebenen Ziel 25 plus x zurückbleiben. Ein
Desaster wie bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg droht ihr in Bremen nicht, weil dort die
politischen Konstellationen anders waren. Vom erklärten Ziel, mit der SPD wieder eine Gro-
ße Koalition zu bilden, ist die Bremer CDU aber weit entfernt.

Die Linke war vor der Bürgerschaftswahl 2007 ebenfalls zerstritten und konnte nur knapp
wieder in die Bürgerschaft einziehen. Seitdem hat sie sich unter der Führung ihrer Fraktions-
vorsitzenden Kristina Vogt konsolidieren und als konstruktive Oppositionspartei neben der
CDU profilieren können. In der Bürgerschaft hat sie manchmal mit der rot-grünen Koalition
gestimmt und manchmal gemeinsam mit der CDU die Koalition attackiert. Als linke Oppositi-
on greift sie den Senat wegen seiner Sparpolitik an und konzentriert ihren Wahlkampf auf
die Stadtteile mit einer hohen Armutsquote. Bei der Bundestagswahl 2013 hat die LINKE mit
10,1 Prozent in Bremen eines ihrer besten Ergebnisse in den westdeutschen Bundesländern

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Lothar Probst, Universität Bremen

erzielen können. Die LINKE wird vor diesem Hintergrund mit Sicherheit wieder in die Bürger-
schaft einziehen und ein deutlich besseres Ergebnis als 2011 erzielen.

FDP und AfD: Fünfprozenthürde im Visier, aber nicht sicher

Nach ihrem desaströsen Wahlergebnis von nur noch 2,4 Prozent hat die Bremer FDP nach
der letzten Bürgerschaftswahl in der Bremer Landespolitik so gut wie keine Rolle mehr ge-
spielt. Mit dem Wahlerfolg aus Hamburg im Rücken möchte die FDP ihre bundesweite Wie-
derauferstehung mit einem Wahlerfolg in Bremen fortsetzen. Die Blaupause dafür liefert der
Hamburger Wahlkampf, der ganz auf die Spitzenkandidatin Katja Suding ausgerichtet war.
Die Bremer Spitzenkandidatin Lencke Steiner ist zwar politisch ein unbeschriebenes Blatt in
Bremen, aber mit einer „frechen“ und am Hamburger Wahlkampf orientierten professionellen
Marketingstrategie, in deren Mittelpunkt eine Wahlplakatkampagne steht, will sich die FDP in
Bremer neue Wähler erschließen. Jung, wirtschaftsfreundlich und dynamisch – diese Bot-
schaft soll von der Spitzenkandidatin ausgehen. Ob das Konzept aufgeht, ist allerdings alles
andere als sicher. Im Gegensatz zu Hamburg, wo die FDP bereits in der Bürgerschaft vertre-
ten war, kommt die FDP in Bremen von ganz unten. In Bremen werden bürgerliche Wähler,
anders als in Hamburg, auch kaum darauf hoffen, dass Jens Böhrnsen mit der FDP eine
Koalition eingeht, sollte sie über fünf Prozent kommen. Insofern ist keinesfalls sicher, dass
die FDP den Wiedereinzug in die Bürgerschaft schafft.

Das gilt auch für die AfD. Weder ihr Spitzenkandidat, Christian Schäfer, noch die anderen
Kandidaten auf der AfD-Liste sind bisher in Bremen politisch aufgefallen – anders als in
Hamburg, wo bundesweit bekannte Politiker der AfD wie Bernd Lucke und Olaf Henkel das
Gesicht der AfD prägen. In ihrem Wahlkampf orientiert sich die Bremer AfD vor allem am
nationalkonservativen Flügel der Partei und versucht, mit Themen wie Zuwanderung, Asyl
und Islam bei den Wählern zu punkten. Dafür spricht auch, dass sie zu ihren Wahlkampfver-
anstaltungen vor allem Repräsentanten dieses Flügels wie Alexander Gauland und Beatrix
von Storch einlädt und sich auf solche Brennpunkte konzentriert, in denen der Flüchtlingszu-
strom für Unruhe bei der Bevölkerung gesorgt hat. Offensichtlich spielt bei der Wahl-
kampforientierung der Bremer AfD auch die Konkurrenz mit dem Bremer Wählervereinigung
Bürger in Wut (BIW) eine wichtige Rolle, da die programmatischen Positionen zwischen BIW
und AfD weitgehend deckungsgleich sind, wenn man die Wahlprogramme vergleicht.

Bürger in Wut (BIW) und Alternative für Deutschland (AfD): Konkurrenten im rechtskonserva-
tiven Lager

Der Wählervereinigung Bürger in Wut (BIW) mit ihrem Vorsitzenden Jan Timke ist es seit
2007 gelungen, sich im Wahlbereich Bremerhaven einen festen Platz im Parteiensystem zu
erobern. In der laufenden Legislaturperiode hat die Wählervereinigung ihr Aktionsfeld außer-
dem in Richtung Bremen-Nord erweitert – u.a. durch einen Überläufer, der aus der SPD-
Bürgerschaftsfraktion ausgeschlossen wurde. Dort macht BIW vor allem Stimmung gegen
Flüchtlinge. Außerdem umwirbt sie Wähler mit dem Thema „Kriminalitätsbekämpfung“. Inso-
fern versuchen sowohl AfD als auch BIW, aus dem gleichen Wählerreservoir zu schöpfen.
Es könnte also paradoxerweise trotz eines Stimmenzuwachses im rechtskonservativen La-
ger (mit flüssigem Übergang zu rechtspopulistischen Parolen) passieren, dass sich AfD und
BIW wechselseitig Stimmen wegnehmen und an der Fünfprozenthürde in Bremen scheitern.
                                             10
Lothar Probst, Universität Bremen

Das schließt nicht aus, dass Jan Timke erneut über den Wahlbereich Bremerhaven ein Bür-
gerschaftsmandat erlangt.

Kleinstparteien wie die Tierschutzpartei, die Piraten und die PARTEI werden mit dem Aus-
gang der Bürgerschaftswahl mit Sicherheit nichts zu tun haben, wenngleich die PARTEI mit
ihrem Spaßwahlkampf („Walfang in Bremen-Nord“) für die eine oder andere heitere Note
sorgen dürfte. Die NPD, die nur im Wahlbereich Bremerhaven antritt, wird ebenfalls keine
nennenswerte Rolle spielen.

5. Wirtschaftliche, finanzielle und soziale Rahmenbedingungen im Vorfeld der Wahl

Bremen ist ein Bundesland der extremen Gegensätze. Es ist das Bundesland mit der höchs-
ten Verschuldung pro Einwohner, der höchsten Quote an Sozialhilfeempfängern im Verhält-
nis zur Einwohnerzahl, der höchsten Armutsquote unter Jugendlichen, einer der geringsten
Wahlbeteiligungen in ganz Deutschland und mit Schülern, die bei PISA-Studien regelmäßig
auf dem letzten Platz landen. Diesem sich öffentlich festgesetzten Negativbild lässt sich ein
anderes entgegensetzen: Bremen ist der fünftgrößte Industriestandort in Deutschland mit
hochmodernen und zukunftsorientierten Industriezweigen. Wesentliche Teile der ISS-
Raumfahrtstation werden hier von hochspezialisierten Firmen gebaut; wichtige Teile der Air-
bus-Flotte werden in Bremen entwickelt, geprüft und hergestellt; Mercedes-Benz unterhält in
Bremen eines der modernsten PKW-Herstellungswerke in Europa mit mehr als 12.500 Be-
schäftigten – es ist weltweit das zweitgrößte PKW-Werk des Konzerns; in Bremerhaven be-
findet sich der größte Umschlagterminal für Auto-Im- und -exporte in Europa. Schließlich hat
Bremen nach Hamburg – bezogen auf seine Einwohnerzahl – die meisten Millionäre in
Deutschland, eine mit mehr als 300 Millionen Euro staatlich und privat geförderte Privatuni-
versität sowie eine staatliche Universität, die es unter die 11 Exzellenzuniversitäten in
Deutschland geschafft hat. Außerdem ist Bremen eine wachsende Stadt.

Die ausgeprägten Gegensätze betreffen auch die beiden Teile des Bundeslandes. Bremer-
haven ist hinter der wirtschaftlichen Entwicklung in Bremen deutlich zurückgeblieben, wenn-
gleich durch gezielte Infrastrukturprojekte im touristischen Bereich wie das Auswanderermuse-
um und das Klimahaus sowie durch die Fertigstellung des Containerterminals 4 in den letzten
Jahren wirtschaftliche Impulse gesetzt wurden. Der geplante Bau eines Offshore-Terminals für
die Installation von Windenergieanlagen konnte dagegen bisher nicht realisiert werden.

Die oben geschilderten Gegensätze in Bremen lassen sich auch in Zahlen darstellen. Trotz
der in die Landesverfassung aufgenommenen Schuldenbremse und der Sparanstrengungen
des Senats, die zu einer Verlangsamung der Neuverschuldung beigetragen haben, ist die
Staatsverschuldung unausweichlich weiterhin gestiegen und hat Ende 2014 ein Rekordni-
veau von über 20 Mrd. Euro erreicht (siehe Abbildung 2 auf der folgenden Seite).

                                             11
Lothar Probst, Universität Bremen

Abbildung 2

Grafik: Jahresbericht des Landesrechnungshofs Bremen 2013, S. 22 (für die Jahre 2013 und
2014 stand im Jahresbericht 2014 keine Grafik zur Verfügung).

Die Pro-Kopf-Verschuldung in Bremen ist am höchsten unter allen Bundesländern und liegt
seit Anfang 2015 über 30.000 Euro, wie die folgende Grafik (nur Stadtstaatenvergleich) zeigt.

Abbildung 3:

Grafik: Jahresbericht des Landesrechnungshofs 2014, S. 26.

                                             12
Lothar Probst, Universität Bremen

Ein weiterer Indikator für die prekäre Finanzsituation Bremens ist die Zins-Steuer-Quote, aus
der hervorgeht, wie hoch der Anteil der Zinsausgaben an den Steuereinnahmen ist. Im Jahr
2010 betrug dieser Anteil fast 25 Prozent. Er ist zwar in den Folgejahren auf etwas unter 20
Prozent gesunken, aber verharrt auf diesem Niveau. Das bedeutet, dass jeder fünfte einge-
nommene Steuer-Euro in die Zinsausgaben fließt. Auch hier schneidet Bremen im Vergleich
mit den anderen Stadtstaaten am schlechtesten ab.

Abbildung 4:

Grafik: Jahresbericht des Landesrechnungshofs 2014, S. 27.

An der „extremen Haushaltsnotlage“ (Landesrechnungshof) Bremens hat auch die mit dem
Bund und den anderen Ländern vereinbarte Konsolidierungshilfe in Höhe von jährlich 300
Millionen Euro nichts Grundsätzliches geändert, zumal diese an die Einhaltung von Auflagen
geknüpft ist und Bremen nur wenig finanziellen Handlungsspielraum bietet. Bremen konnte
diese Auflagen bisher nur deshalb einhalten, weil es aufgrund der Zinslage Kredite zu extrem
günstigen Bedingungen aufnehmen kann und durch die allgemein gute Konjunkturentwick-
lung zusätzliche Steuereinnahmen zu verzeichnen waren. Dennoch gibt es erhebliche Haus-
haltsrisiken. Über dem Haushaltsansatz liegende Lohnerhöhungen für die Beschäftigten des
Öffentlichen Dienstes und die Beamten, die Verteuerung von Großprojekten wie dem Bau
des neuen Zentralkrankenhause St. Jürgen-Straße, der Ausfall von geplanten Einnahmen
der Bremer Landesbank, das Risiko des Ausfalls von Landesbürgschaften (u.a. für die Ja-
cobs University), Zusatzausgaben für die Unterbringung von Flüchtlingen sowie die staatli-
che Finanzierung wichtiger Infrastrukturprojekte wie dem Offshore-Terminal in Bremerhaven
oder die dringend notwendige Ersatzbeschaffung von Straßenbahnen sind unkalkulierbare
Hypotheken für die zukünftige Haushaltsentwicklung – von einem Konjunktureinbruch oder
Zinserhöhungen ganz abgesehen. In jedem Fall ist der durch die Einhaltung der Schulden-
bremse verpflichtende Abbau der Neuverschuldung bis zum Jahr 2020 eine enorme Heraus-
forderung, zumal den Möglichkeiten des Senats, in den nächsten Jahren den Haushalt durch
eigene Anstrengungen zu sanieren, enge Grenzen gesetzt sind. Die Investitionsquote wurde

                                             13
Lothar Probst, Universität Bremen

bereits heruntergefahren, und der weitere Abbau von Personal im öffentlichen Dienst gefähr-
det die öffentliche Daseinsfürsorge.

Im Kontrast zu prekären Haushaltssituation steht die wirtschaftliche Entwicklung Bremens.
Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 und 2009 konnte sich die Bremer Wirtschaft
deutlich erholen. 2013 hat die Wirtschaftskraft das Niveau des Krisenjahres 2009 um 16,3
Prozent übertroffen (Statistisches Landesamt, Bremen in Zahlen 2014). Bei der Wirtschafts-
kraft, gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner, liegt Bremen hinter Hamburg auf
dem zweiten Platz.

Abbildung 5: Wirtschaftskraft 2013 nach Bundesländern (in Euro)

         60.000	
     53.611	
  
         50.000	
                  43.085	
  
                                                38.490	
     38.429	
     37.472	
  
         40.000	
                                                                      33.621	
     31.834	
  
         30.000	
  
         20.000	
  
         10.000	
  
              0	
  

Eigene Darstellung (Quelle: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Bundesländer,
Berechnungsstand August 2013), Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen je Einwohner.

Auch bei den Bruttolöhnen und -gehältern pro Arbeitnehmer belegt Bremen einen der vorde-
ren Plätze. In den vergangenen Jahren konnte darüber hinaus der Export von Waren aus
Bremen mehrfach Zuwächse verzeichnen. 59 Prozent des Gesamtumsatzes Bremer Betrie-
be entfiel 2013 auf den Export. Die Umsätze in den für die Bremische Wirtschaft wichtigen
Industriezweigen Raumfahrt-, Straßenfahrzeug-, Schienenfahrzeug- und Schiffbau stiegen
im Jahr 2014 um 6,5 Prozent (Quelle: Statistisches Landesamt Bremen, Februar 2015) Eben-
so haben sich die Hafenwirtschaft und die Logistikbranche gut entwickelt. In verschiedenen
Studien wurde des Weiteren das Innovationspotenzial der Bremer Wirtschaft hervorgehoben.
In jedem Fall hat Bremen seit den 1990er-Jahren erfolgreich einen Strukturwandel seiner Wirt-
schaft eingeleitet, der jetzt Früchte trägt. Diese Einschätzung teilt auch die Handelskammer
Bremen. In ihrem Jahresbericht 2014 werden die Erfolgsaussichten der Bremer Wirtschaft
grundsätzlich positiv beurteilt, soweit die Politik die richtigen Weichenstellungen vornimmt.

Die positive Bilanz in der wirtschaftlichen Entwicklung, die sich oft in statistischen Durch-
schnittswerten darstellt, kann jedoch nicht über die soziale Schieflage in Bremen hinwegtäu-
schen. Vor allem bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit konnten trotz der wirtschaftlichen
Aufwärtsentwicklung bisher keine nachhaltigen Erfolge erzielt werden, obwohl die Zahl der
Erwerbstätigen im Jahr 2014 leicht gestiegen ist. Mit einer Arbeitslosenquote von 11,1 Pro-
zent im März 2015 hat Bremen nicht nur die zweithöchste Arbeitslosigkeit unter allen Bun-
                                                              14
Lothar Probst, Universität Bremen

desländern, sondern zuletzt ist die Arbeitslosigkeit gegenüber den Vormonaten sogar leicht
gestiegen. Bremerhaven (13,9 Prozent) hat zusammen mit Gelsenkirchen eine der höchsten
Arbeitslosenquoten unter allen deutschen Großstädten.

Abbildung 6:

Grafik: Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Bremen-Niedersachsen (27. November 2014)

Ein strukturelles Problem ist dabei die hohe Langzeitarbeitslosigkeit. 2012 fielen Im Jahres-
durchschnitt 43,9 Prozent aller Arbeitslosen in Bremen in diese Kategorie (Datenquelle: Sta-
tistik der Bundesagentur für Arbeit, Februar 2013). Entsprechend hoch ist die Anzahl derje-
nigen, die entweder Leistungen aus der Grundsicherung beziehen oder Empfänger von So-
zialleistungen nach dem SGB II (Hartz IV-Empfänger) sind. Laut Entwurf des Armuts- und
Reichtumsberichts des Bremer Senats von 2015 sind 23,1 Prozent der Bremer Bevölkerung
armutsgefährdet.

Abbildung 7:
Strukturentwicklung der Arbeitslosigkeit in Bremen

                                             15
Lothar Probst, Universität Bremen

Die hohe Arbeitslosigkeit ist einer der Gründe, warum Bremen eine sozial gespaltene Stadt
ist, in der reiche Stadtviertel mit einkommens- und bildungsstarker Wohnbevölkerung sol-
chen mit einer ausgeprägten Armutsentwicklung gegenüberstehen. In diesen Stadtvierteln
akkumulieren sich Armutsmerkmale wie Langzeitarbeitslosigkeit, niedrige Bildungsabschlüs-
se, höhere Kindersterblichkeit, höhere Anfälligkeit für Krankheiten, niedrigere Lebenserwar-
tung und Überschuldung (vgl. Entwurf des Zweiten Armuts- und Reichtumsberichts des Bre-
mer Senats von 2015). Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Mannes liegt im Stadt-
teil Gröpelingen neun Jahre unter der eines Mannes im Stadtteil Schwachhausen.

Die soziale Spaltung der Stadt wirkt sich in politischer Hinsicht auch auf das Wahlverhalten
aus. Es gibt eine eindeutige Korrelation zwischen der sozialen Lage und der Wahlbeteili-
gung. In Bremen lässt sich dieser Zusammenhang am Beispiel der Entwicklung der Wahlbe-
teiligung in verschiedenen Stadtteilen nachvollziehen. Exemplarisch ist die Schere zwischen
der Wahlbeteiligung im statushohen Stadtteil Schwachhausen und im statusniedrigen Stadt-
teil Tenever (gemessen an Sozialindikatoren wie Einkommen, Bildung, Arbeitslosigkeit, An-
zahl der Empfänger von Leistungen nach dem SGB II). In Schwachhausen war die Wahlbe-
teiligung bei der Bürgerschaftswahl 2011 fast doppelt so hoch wie in Tenever (siehe Tabelle
3). Diese Entwicklung folgt einem langfristigen Trend, der sich bereits seit Anfang der
1990er-Jahre abzuzeichnen begann und sich im Laufe der Zeit noch verstärkt hat.

Tabelle 3: Wahlbeteiligung bei den letzten beiden Bürgerschaftswahlen in Tenever und
Schwachhausen (in Prozent)

           Ortsteil / Stadtteil     Wahlbeteiligung          Wahlbeteiligung
                                   Bürgerschaftswahl        Bürgerschaftswahl
                                         2007                     2011

           Tenever                         40,7                    38,2
           Schwachhausen                   71,9                    74,3
Eigene Darstellung (Quelle: Wahlatlas des Statistischen Landesamtes Bremen)

6. Wahlkampfthemen

In der Parteien- und Wahlforschung wird seit Langem über den Einfluss von bundespoliti-
schen Themen und Ereignissen auf Landtagswahlen diskutiert. In einigen Fällen ist es zwar
zur Überlagerung regionaler Wahlkampfthemen durch bundesweite Streitthemen gekommen,
aber ein genereller Einfluss konnte nicht festgestellt werden. Auch bei der bevorstehenden
Bürgerschaftswahl dürften bundespolitische Themen kaum einen Einfluss auf die Wahlent-
scheidung ausüben – eventuell mit einer Ausnahme. Das bundesweite Thema „Terrorismus-
bekämpfung“ und Gefährdung durch salafistische Gewalttäter hat durch den (teilweise ver-
unglückten) Antiterroreinsatz der Bremer Polizei Ende Februar 2015 auch in Bremen eine
hohe Sichtbarkeit und Aktualität erlangt. Die massive öffentliche Präsenz der Polizei dürfte
dazu beigetragen haben, dass sich bereits vorhandene Ängste vor islamistischer Gewalt in
Teilen der Bevölkerung verstärkt haben. Der bisherige Wahlkampf zeigt, dass einige Partei-
en dieses Thema gezielt aufgreifen werden. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Wäh-

                                            16
Lothar Probst, Universität Bremen

ler und Wählerinnen sich in erster Linie an den landespolitischen Themen und Problemen bei
ihrer Wahlentscheidung orientieren werden. Die Themen, die dabei besonders im Vorder-
grund stehen werden, sind entweder „Dauerbrenner“ der Bremer Politik oder haben sich erst
in den letzten Monaten herauskristallisiert. Dabei spiegelt die folgende Aufzählung keine
Rangordnung wider, sondern bildet nur die Bandbreite der Themen ab, die für die Wähler
und den Wahlkampf der Parteien voraussichtlich besonders wichtig sind.

   •   Ein wichtiger Themenkomplex ist die soziale Spaltung Bremens. Bis auf die FDP
       thematisieren alle Parteien dieses Problem, wenn auch in unterschiedlicher Intensität.
       In diesen Themenkomplex fallen die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit sowie die damit
       verbundenen Armutsprobleme in den Stadtteilen, in denen sich der Lebensstandard
       sowie die Bevölkerungs- und Einkommensentwicklung immer weiter von den besser
       situierten Stadtteilen entfernen. Gerade in diesen Wohngebieten haben die Bürger
       und Bürgerinnen oft den Eindruck, dass sich niemand für sie interessiert und einsetzt.
       Der soziale Themenkomplex umfasst des Weiteren Kürzungsmaßnahmen im Bereich
       der gesamten sozialen Infrastruktur, die von der Sparpolitik des Senats diktiert wer-
       den.

   •   Ein klassisches Thema der Landespolitik ist die Bildungspolitik, weil sie in der Ver-
       antwortung der Länder liegt. Sie wird auch im laufenden Wahlkampf eine wichtige
       Rolle spielen. Schon im Laufe der Legislaturperiode hat es mehrfach Protestaktionen
       von Schülern und Lehrern gegeben, die sich gegen die Schulpolitik des Bremer Se-
       nats richteten. Von den Oppositionsparteien wurde in den letzten Wochen des Weite-
       ren der hohe Unterrichtsausfall an Bremer Schulen verstärkt thematisiert, um den
       vorhandenen Unmut, der auch von Elternvertretern formuliert wird, im Wahlkampf zu
       politisieren. Auf den Wahlplakaten von CDU und FDP sind die Bildungspolitik und der
       Unterrichtsausfall ein zentrales Thema.

   •   Ein Konfliktthema mit langer Tradition ist die Verkehrspolitik in Bremen. Vonseiten der
       CDU und FDP, aber auch von der Handelskammer wird vor allem der grüne Umwelt-
       senator immer wieder für seine „wirtschaftsfeindliche“ Verkehrspolitik kritisiert. In je-
       dem Fall handelt es sich um ein polarisierendes Thema, dass eine gewisse politische
       Sprengkraft hat und die Öffentlichkeit in Gegner und Befürworter einer anderen Ver-
       kehrspolitik spaltet. In diesem Zusammenhang spielen auch lokale Konflikte wie die
       Trassenführung der A 281 eine Rolle.

   •   Obwohl die in der Bürgerschaft vertretenen Parteien (mit Ausnahme der Vertreter von
       BIW) das Thema „Flüchtlinge“ bisher bewusst klein gehalten haben, bewegt es ohne
       Frage die Bürgerinnen und Bürger in Bremen. Mehrfach kam es in verschiedenen
       Stadtteilen zu Protestversammlungen, auf denen die Unterbringung von Flüchtlingen
       hochkontrovers diskutiert bzw. abgelehnt wurde. Das Thema birgt viel politischen
       Zündstoff und verbindet sich gerade in den statusniedrigen Stadtteilen mit bereits
       vorhandenen Ausgrenzungserfahrungen. AfD und BIW werden auf jeden Fall das
       Thema schüren, um damit Protestwähler zu umwerben.

                                              17
Lothar Probst, Universität Bremen

   •   Eng mit dem Thema Flüchtlinge, Zuwanderer und Asyl ist das Thema „Kriminalitäts-
       bekämpfung“ verbunden. Die erst jüngst vorgestellte Kriminalstatistik hat sogar, nach
       Jahren des Rückgangs, wieder einen Anstieg der Kriminalität offenbart. Beschaf-
       fungskriminalität im Zusammenhang mit Drogenkonsum, Wohnungseinbrüche und
       Gewaltkriminalität schaffen ein Klima der Verunsicherung, das durch statistische Er-
       hebungen nur unzureichend abgebildet wird. In Teilen der Bevölkerung trägt dies zu
       einer subjektiv empfundenen Bedrohung bei und mischt sich teilweise mit latent vor-
       handenen ausländerkritischen Einstellungen, in der Annahme, dass die Zunahme der
       Kriminalität vor allem auf Zuwanderung zurückgeht.

   •   Die Verschuldung Bremens und die Sparpolitik des Senats werden auf unterschiedli-
       che Weise im Wahlkampf eine Rolle spielen. Während die CDU dem Senat mangeln-
       den Sparwillen vorwirft und auf die Haushaltsrisiken, u.a. durch die Mehrausgaben
       beim Klinikbau St. Jürgen-Straße, hinweist, kritisiert die linke Opposition die Sparpoli-
       tik und fordert ein Abrücken von der Schuldenbremse. Im Hintergrund steht dabei die
       Frage, ob und wie Bremen seine Selbstständigkeit als Bundesland angesichts der
       immensen Verschuldung behaupten kann. Zu diesem kontroversen Themenkomplex
       gehört auch die Auseinandersetzung darüber, welche neuen wirtschaftlichen Impulse
       Bremen braucht.

   •   Es gibt eine Reihe weiterer Themen, die politisch zwar umstritten sind (z.B. die Be-
       reitstellung von Kita-Plätzen sowie die Höhe der Kita-Gebühren oder auch die Kür-
       zungsmaßnahmen bei den Hochschulen des Landes), aber voraussichtlich eine we-
       niger bedeutende Rolle im Wahlkampf spielen werden.

Die Wichtigkeit, die den hier skizzierten Themen von den Wählern beigemessen wird, hängt
natürlich auch von der sozialen Situation, der Bildung, dem Geschlecht und dem Alter eines
Wählers ab. Einige der genannten Themen entfalten eventuell erst in der heißen Wahl-
kampfphase nach der Osterpause ihre polarisierende und mobilisierende Wirkung.

7. Die Parteien und ihre Wahlkampfstrategien

SPD

Außerhalb Bremens fragt man sich immer wieder, wie es dazu kommt, dass die SPD seit
nunmehr fast 70 Jahren unangefochten Führungspartei in Bremen ist. Tatsächlich ist die
Stellung der SPD im Bremer Parteiensystem einzigartig. Folgende Punkte können als Zei-
chen ihrer hegemonialen Stellung gewertet werden:

   •   Sie stellt seit 1946 ununterbrochen den Bürgermeister (zugleich Präsident des Se-
       nats),
   •   erzielte in 9 von 18 Legislaturperioden eine absolute Mehrheit der Mandate,
   •   bestimmt seit dieser Zeit die Interaktionsbeziehungen zwischen den Parteien,
   •   erreicht Wählerschichten, die normalerweise eher zu konkurrierenden Volkspartei
       CDU tendieren,

                                              18
Lothar Probst, Universität Bremen

      •     ist seit 1946 bei allen danach folgenden Bürgerschafts-, Bundestags- und Europa-
            wahlen stärkste Partei in Bremen geworden.

Die starke Position der SPD lässt sich teilweise durch strukturelle Faktoren erklären. Sie
konnte sich schon früh in der seit den 1950er- und 1960er-Jahren gewachsenen Sozialstruk-
tur Bremens mit einer hohen Anzahl von gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten im
industriellen Sektor sowie einem stark besetzten öffentlichen Dienst erfolgreich verwurzeln.
Ebenso wichtig waren prägende und weit über Bremen hinaus bekannte politische Persön-
lichkeiten wie Wilhelm Kaisen, Hans Koschnick und Henning Scherf, die jeweils der SPD den
Stempel der „Bremen-Partei“ aufdrücken konnten. Das von Wilhelm Kaisen in den 1950er-
Jahren begründete Bündnis aus Arbeiter- und Kaufmannschaft sorgte dafür, dass die SPD
schon vor dem Godesberger Programm Züge einer echten Volkspartei in Bremen annahm.

Seit Anfang der 1990er-Jahre hat die SPD ihre absoluten Mehrheiten eingebüßt und hohe
Stimmenverluste erlitten. Der Rückgang ihrer Wahlergebnisse korrelierte sehr stark mit dem
Rückgang der Wahlbeteiligung – ein Hinweis darauf, dass die SPD gerade in ihren klassi-
schen Hochburgen Wähler, die in die Wahlenthaltung gegangen sind, verloren hat. Sie ist
zwar immer noch die dominante, aber nicht mehr die hegemoniale Volkspartei Bremens. Seit
1991 war sie bei jeder Wahl auf mindestens einen Koalitionspartner angewiesen. Henning
Scherf gelang es zwar, die SPD wieder auf Wahlergebnisse um die 40 Prozent zurückzufüh-
ren, aber seit 1999 bewegt sie sich in einem Korridor zwischen 35 und 43 Prozent. Auch bei
der kommenden Bürgerschaftswahl wird sich daran voraussichtlich nichts Grundlegendes
ändern.

Abbildung 8: Wahlergebnisse der SPD bei Bürgerschaftswahlen in Bremen 1946 bis 2011 (in
Prozent)
 60                            54,9 54,7        55,3
                                                                   51,3 50,5
                        47,8                           48,8 49,4
 50                                        46
          41,7                                                                               42,6 42,3
                 39,1                                                          38,8                             38,6
 40                                                                                                      36,7
                                                                                      33,4

 30

 20

 10

  0
           1947 1951 1955 1959 1963 1967 1971 1975 1979 1983 1987 1991 1995 1999 2003 2007 2011

Eigene Darstellung (Quelle: Daten des Landeswahlleiters Bremen)

Zu den Stärken, die die SPD in den Wahlkampf werfen kann, gehört vor allem der Spitzen-
kandidat Jens Böhrnsen, der mit seiner Beliebtheit bei großen Teilen der Bremer Bevölke-
rung nahtlos an die Popularität von Hans Koschnick und Henning Scherf anknüpfen kann.

                                                            19
Lothar Probst, Universität Bremen

Vor allem seine unaufgeregte, solide und hanseatische Art, mit der auch auf den Wahlplaka-
ten der SPD geworben wird, kommt nicht nur in der eigenen Partei, sondern auch bei den
Wählern gut an. Bei der letzten Bürgerschaftswahl hat er mit 145.000 Personenstimmen die
mit großem Abstand höchste Stimmenzahl aller Kandidatinnen und Kandidaten erhalten. Die
Opposition und Teile der Medien werfen ihm immer wieder Führungsschwäche vor. Tatsäch-
lich versucht Jens Böhrnsen eher hinter den Kulissen einen Konsens zu stiften als ein
Machtwort zu sprechen, aber im richtigen Moment weiß er sehr wohl, eine Richtung vorzu-
geben. Als vor einigen Wochen die Situation mit kriminell gewordenen unbegleiteten jugend-
lichen Flüchtlingen eskalierte, zog er die Notbremse und mahnte öffentlich eine sichere Un-
terbringung dieser Jugendlichen zum Schutz der Allgemeinheit an. Auch gegenüber dem
grünen Koalitionspartner hat er in der Öffentlichkeit mehrfach betont, dass Bremen eine Au-
tostadt ist und Wirtschaftsverkehre nicht unangemessen eingeschränkt werden dürfen. Zu
dieser Haltung passt, dass die SPD keinen rot-grünen, sondern einen sozialdemokratischen
Wahlkampf führen will.

Die SPD wird also – vor allem in der Endphase des Wahlkampfes – eine auf den Spitzen-
kandidaten zugeschnittene Personalisierungsstrategie verfolgen. Inhaltlich wird sie an die
Wahlkampfstrategie von Olaf Scholz anknüpfen und deutlich machen, dass eine vernünftige
Wirtschafts- und Sozialpolitik zusammengehören. Für eine pragmatische Wirtschaftspolitik
steht u.a. der Kurs von Wirtschaftssenator Martin Güntner, der auch von den Vertretern der
Bremer Wirtschaft als Gesprächspartner ernst genommen wird. Im Wahlprogramm der SPD
nimmt die Stärkung des Wirtschaftsstandortes Bremen einen wichtigen Platz ein. Ein Bau-
stein ist für die SPD in diesem Zusammenhang auch die Weservertiefung, ein klarer Dissens-
punkt zum grünen Koalitionspartner, der die Weservertiefung ablehnt. Die zweite Säule des
Wahlkampfes sind soziale Themen und Forderungen, mit denen die SPD ihren Markenkern
pflegen kann: Gegen „Dumpinglöhne und prekäre Beschäftigung“, für die Förderung von
sozialer Teilhabe, für eine soziale Stadtentwicklung u.a. durch mehr sozialen Wohnungsbau
sowie eine „gute Bildung für alle“ und den Ausbau von Ganztagsschulen. Junge Wähler wer-
den mit einer Ausbildungsgarantie ab dem Jahr 2015/2016 umworben. Außerdem verspricht
die SPD, in den nächsten Jahren jährlich 17 Millionen Euro in Bildung und Wissenschaft zu
investieren.

Obwohl die SPD als führende Regierungspartei wegen der finanziellen und sozialen Proble-
me Bremens sowohl von der CDU als auch von der LINKEN in der vergangenen Legislatur-
periode, u.a. auch im Rahmen eines Untersuchungsausschusses zum Bau des Klinikums
Mitte, immer wieder attackiert wurde und in Teilen der Gesellschaft die Unzufriedenheit mit
der Politik des rot-grünen Senats gewachsen ist, hat man den Eindruck, dass diese Kritik
weitgehend an der SPD abprallt. Allerdings gerät die Bildungspolitik, die von einer sozialde-
mokratischen Senatorin verantwortet wird, immer mehr in den Strudel des Wahlkampfes und
könnte zu einem Problem für die SPD werden, zumal auch Elternverbände den Unterrichts-
ausfall kritisieren. Auch die bisherige Wahlplakatkampagne der SPD fällt hinter die Mitbe-
werber zurück. Vor diesem Hintergrund könnte die avisierte Steigerung des Wahlergebnis-
ses in Richtung 40 Prozent, die vor einigen Monaten noch durchaus im Bereich des Mögli-
chen lag, auf der Zielgeraden noch scheitern.

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Lothar Probst, Universität Bremen

Bündnis 90/Die Grünen

Bei der letzten Bürgerschaftswahl konnten die Grünen mit 22,5 Prozent der Stimmenanteile
eines der besten Wahlergebnisse in der Geschichte der gesamten grünen Partei einfahren.
Ein wichtiger Faktor war die Atomkatastrophe von Fukushima, die den Grünen bei den Land-
tagswahlen 2011 einen deutlichen Schub verlieh. Dabei konnten die Grünen zum ersten Mal
in Wählergruppen verstoßen, die in der Regel eher grünabstinent sind. Das gute Wahlergeb-
nis war aber nicht nur auf den Fukushima-Effekt, sondern auch auf die Anerkennung der
Arbeit der Grünen in der Legislaturperiode 2007 bis 2011 zurückzuführen. Die grüne Spit-
zenkandidatin Karoline Linnert, die das Finanzressort übernommen hatte, konnte sich einen
guten Ruf erarbeiten und wurde von der Mehrheit der Wähler im Vorfeld der letzten Bürger-
schaftswahl gut bewertet (Wahlanalyse von Infratest dimap 2011). Es gab zwar Kritik vonsei-
ten der CDU-Opposition am damaligen grünen Umweltsenator Reinhard Loske, aber gleich-
zeitig hatten die Grünen für ihr Wählerspektrum im Bereich der Umwelt- und Verkehrspolitik
einige Akzente setzen können.

Vor der anstehenden Bürgerschaftswahl stellt sich die Situation für die Grünen anders dar.
Während sie sich 2011 bundesweit auf einem Höhenflug befanden, fehlt nach der verlorenen
Bundestagswahl 2013 nicht nur der bundesweite Schub, sondern auch in Bremen mussten
die Grünen im Laufe der Legislaturperiode Federn lassen. Vor allem die aus dem grünen
Umwelt- und Verkehrsressort betriebene Politik stieß bei der CDU-Opposition, der Handels-
kammer und Teilen der Öffentlichkeit auf massive Kritik. Selbst innerhalb der grünen Partei
waren der Kurs und das Kommunikationsverhalten des grünen Umweltsenators Joachim
Lohse nicht immer unumstritten (dafür spricht auch, dass der einflussreiche Fraktionsvorsit-
zende Matthias Güldner und nicht Senator Joachim Lohse auf Platz 2 der Landesliste der
Grünen gewählt wurde). Tatsächlich ist die Verkehrspolitik seit Langem ein vermintes und
hochpolarisiertes Feld in der Bremer Politik. Während die Anstrengungen Bremens, auf die-
sem Gebiet Fortschritte im Sinne einer klimagerechten Politik und einer besseren Lebens-
qualität für die Bevölkerung zu erzielen, zuletzt von der EU-Kommission sogar mit einem
Preis für eine nachhaltige städtische Verkehrsplanung gewürdigt wurden, empören sich Teile
der Öffentlichkeit über den Ausbau von Fahrradstraßen. Dass die Förderung des Fahrrad-
verkehrs und der Ausbau des ÖPNV in der Bremer Bevölkerung durchaus auf Sympathie
stoßen, zeigt eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag der CDU. Dort äußer-
ten ca. 53 Prozent der Befragten, dass mehr für den Radverkehr getan werden müsste, 49
Prozent befürworteten außerdem eine bessere Förderung des ÖPNV (Umfrage der For-
schungsgruppe Wahlen im Auftrag der Bremer CDU vom 6.4.2014). Das mediale und politi-
sche Meinungsklima in dieser Frage und die Wünsche der Bevölkerung sind in dieser Frage
also nicht unbedingt deckungsgleich.

Dennoch fällt auf, dass sich die öffentliche und mediale Kritik in der laufenden Legislaturperi-
ode vor allem auf die Vertreter der Grünen im Senat konzentriert hat. So geriet auch die grü-
ne Sozialsenatorin Anja Stahmann mehrfach in die Schusslinie. Beim Ausbau der Kita-Plätze
für unter Dreijährige, bei der Erhöhung der Kita-Gebühren und der Unterbringung von Flücht-
lingen gab es eine Reihe von Pannen, die bei den Betroffenen zu Unmut führten. Die grüne
Finanzsenatorin und Spitzenkandidatin Karoline Linnert, die sich bereits durch umstrittene
Äußerungen im Zusammenhang mit der Besoldungserhöhung von Beamten des höheren
Dienstes unbeliebt gemacht hatte, musste zwar eine Niederlage hinnehmen, als sich der
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Lothar Probst, Universität Bremen

Senat nach einem Urteil des Landesverfassungsgerichts Nordrhein-Westfalen, das sich auf
einen ähnlichen Entschluss der dortigen rot-grünen Regierung bezog, gezwungen sah, seine
Entscheidung zu revidieren, ging aber dennoch relativ glimpflich aus der Kritik an ihrer Amts-
führung hervor. Auch der Versuch der CDU-Opposition, ihr im Rahmen des Untersuchungs-
ausschusses zum Klinikbau St. Jürgen Straße Fehlentscheidungen zum finanziellen Nachteil
Bremens nachzuweisen, verpuffte ohne größere Wirkung. Dennoch ist das Thema Finanzpo-
litik kein wirkliches Mobilisierungsthema für den grünen Wahlkampf. Nur acht Prozent der
Bremer wiesen in der o.a. Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen den Grünen Kompeten-
zen in diesem Bereich zu. Als Finanzsenatorin im „extremen Haushaltsnotlagenland“ kann
Karoline Linnert letzten Endes nur den Mangel verwalten. Die durch die Schuldenbremse
vorgegebene Sparpolitik engt die Handlungsspielräume zunehmend ein und hinterlässt Spu-
ren in vielen Bereichen der Gesellschaft, in denen entweder mehr Personal oder mehr Inves-
titionen in die öffentliche Infrastruktur dringend notwendig wären.

Für die öffentliche Wahrnehmung der Grünen ist schließlich das Verhältnis zum Koalitions-
partner nicht unerheblich. Im Laufe der Legislaturperiode kam es mehrfach zu öffentlich aus-
getragenen Konflikten zwischen den beiden Koalitionsparteien, aus denen die SPD in der
Regel besser herausgekommen ist als die Grünen. In einigen Fällen verstand es die SPD,
den Unmut über Entscheidungen der Koalition, etwa in der Bildungspolitik, auf den grünen
Koalitionspartner zu lenken, insbesondere wenn es um die gemeinsam gefassten Beschlüs-
se zur Haushaltssanierung ging.

Unter dem Strich ist der politische Ausgangssituation für die Grünen also wesentlich ungüns-
tiger als vor der letzten Bürgerschaftswahl. Gemessen an dem Ausnahmeergebnis von 2011
können sie nur verlieren. Die Frage wird sein, wie hoch die Verluste ausfallen. Obwohl Bre-
men zu den grünen Hochburgen zählt und die Partei hier nicht nur im alternativen Milieu,
sondern auch in bürgerlichen Stadtvierteln gut verankert ist, dürfte das Wahlergebnis dieses
Mal eher um die 15 Prozent pendeln. Die Grünen versuchen mit einer Wahlkampfstrategie,
die weniger auf die Fortsetzung der rot-grünen Koalition als auf die Hervorhebung der eige-
nen Inhalte zielt, die abzusehenden Verluste zu begrenzen. Mit dem Slogan „Ganz klar grün“
soll die Eigenständigkeit der Grünen betont und ihr ökologischer Markenkern hervorgehoben
werden. Stärker als in der Vergangenheit setzen die Grünen dabei auch auf Großwandwahl-
plakate, die die Präsenz im Stadtbild erhöhen. Sie fallen zwar auf, kommen aber inhaltlich
recht „pädagogisch“ daher („Nachgedacht für gute Luft“, „Platz gemacht für jedes Kind“).
Personalisierung spielt traditionell bei den Grünen, die sich in erster Linie als Programm- und
Themenpartei verstehen, eine geringere Rolle als bei den Volksparteien und bietet sich auch
in diesem Wahlkampf nicht als Alternative an. Wahlplakate mit der Spitzenkandidatin Karoli-
ne Linnert ergänzen allenfalls die inhaltliche Wahlkampagne, stehen aber nicht im Zentrum.

Im Hinblick auf den wahrscheinlichen Wahlausgang kann man davon ausgehen, dass sich
die Gewichte zwischen SPD und Grünen in der nächsten Koalition wieder zugunsten der
SPD verschieben werden. Das wird sich auch in der Ressortverteilung niederschlagen.
Schon nach der letzten Wahl hatte der Verlust des Sozialressorts an die Grünen für Unmut in
der SPD gesorgt. Insofern wird die SPD mit Sicherheit dieses Ressort wieder für sich rekla-
mieren. Gleichwohl wäre es bei einer Neuauflage der rot-grünen Koalition das erste Mal in
der Geschichte der Grünen, dass ein Landesverband drei Mal hintereinander als Regie-
rungspartner bestätigt wird.
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