Wälder - 1 Ein audiovisuelles Projekt von Jonas Dippon und Hanna Hoffmann Herder-Förderpreis 2021
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’21 Kritische Wälder Ein audiovisuelles Projekt von Jonas Dippon und Hanna Hoffmann Herder-Förderpreis 2021 1
Kritische Wälder ’21 Inhalt Seite Das Projekt 02 _Abriss 03 03 _Der Entstehungsprozess 04 04 _Der Raum und die Umsetzung 05 05 _Gedanken zu Herder 06 06 _Prologus 08 07 _Da(s)Sein 09 08 _Wandlung/21 10 09 _Diese3 11 Umsetzung 10 _Die Musik 12 11 _Die Animationen 14 12 _Film stills 15 13 _Partitur „Kritische Wälder ´21“ 17 Anhang 14 _Über die Künstler*innen 26 15 _Wir Danken ... 28 16 _Kontakt 29 2
Abriss „Kritische Wälder ´21“ ist eine audiovisuelle künstlerische Arbeit der beiden Studierenden Jonas Dippon (Weimar) und Hanna Hoffmann (Würzburg). Die inhaltliche Konzeption des Projektes versucht, einige wesentliche Bezugspunkte des christlichen Glaubens auf der einen und einschlägige Ge- danken Johann Gottfried Herders auf der anderen Seite darzustellen, gegenüberzustellen, miteinander zu verbinden, ins Gespräch zu bringen und dadurch einen Ausblick zu schaffen. Der Ablauf der Arbeit sieht insgesamt vier programmatische „Stationen“ vor, die im Laufe einer Auf- bzw. Durchführung des Projektes durchschritten werden. Sie tragen die Titel: 1. Prologus 2. Da(s)Sein 3. Wandlung/21 4. Diese3 Kern jeder dieser vier Stationen bildet jeweils die Gegenüberstellung eines Bibelverses und eines dazu passenden Zitats oder Gedichts von Johann Gottfried Herder. Beispielhaft sei hier „Da(s)Sein“ angeführt: Bibel Herder (1. Korinther 13, 9-10) „Ein Traum, ein Traum ist unser Le- „Denn unser Wissen ist Stückwerk und ben auf Erden hier, Wie Schatten auf unser prophetisches Reden ist Stück- den Wogen schweben und schwinden wir. werk. Wenn aber kommen wird das Und messen unsre trägen Tritte nach Vollkommene, so wird das Stückwerk Raum und Zeit und sind (und wissen´s aufhören.“ nicht) in Mitte der Ewigkeit.“ Die Textvorlagen aus der Bibel (Luther Übersetzung, revidiert 2017) bil- den die inhaltliche Basis für die auditiven Anteile, sprich die Komposition „Kritische Wälder ´21“, die Textvorlagen aus Herders Feder dienen als Bezugspunkt für die visuellen Anteile des Projektes. Die Kombination beider Teile soll dann (wie im eingereichten Video zu sehen ist) in einer ca. 10-15 minütigen künstlerischen Darstellung, zugeschnitten auf die Räumlichkeit der Herderkirche Weimar und die Orgel selbiger Kirche erfolgen. Hierbei möchten wir uns die Möglichkeit offen halten, die gezeigte Durchführung in leicht abgewandelter Form auch als Live-Aufführung darbieten zu können. Hinweis: diese Seite soll nur als kurze Formerklärung dienen; die inhaltlichen Konzeptionen, Gedanken und alles Weitere wird in den folgenden Kapiteln ein- zeln beleuchtet. 3
Der Entstehungsprozess Das Projekt „Kritische Wälder ´21“ wurde für das Preisausschreiben des Herder-Förderpreises 2021 erstellt und durchgeführt. Die inhaltliche Vorga- be, Herders Leben und Wirken auf der Höhe der Zeit zu präsentieren und ins Gespräch zu bringen¹, reizte uns sofort. Johann Gottfried Herder, der ja selbst immer wieder zwischen den Fronten der Aufklärung und seinem eigenen Glauben stand, bzw. Zeit Lebens versuchte, beides zusammenzubringen, schien uns mit ebendiesen Gedanken eine wie maßgeschneiderte Basis, um darauf ein Projekt aufzubauen, das künstlerische Tradition und Moderne, althergebrachte Denkmuster und Weitblick unter dem zentralen Gedanken der Hoffnung, den wir in diesem Jahr wohl alle besonders gut brauchen können, zu bündeln. 2021 hat uns als Gesellschaft vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie an einigen Punkten schon zu substanziellen Fragen nach dem menschlichen Dasein, einer ganz speziell eingefärbten Theodizee-Frage, dem Miteinander und besonders der Hoffnung gebracht. Das Projekt „Kritische Wälder ’21“ soll genau diesen Fragen Platz bieten und zum Nachdenken anregen. Interessant in diesem Zusammenhang dürfte sein, dass die vollständige Konzeption, bzw. das Endergebnis beider Teile (visueller Anteil und auditi- ver Anteil) bis kurz vor Einspielung derselben dem jeweiligen Gegenüber verborgen blieb. Ziel war es, eine möglichst differenzierte Betrachtung auf die eigene inhaltliche Vorlage zu erlangen, ohne dabei zu sehr vom späteren Gegenpart beeinflusst zu sein. Auch darin sollte sich die zentrale Frage nach dem dualen Spannungsverhältnis Glaube Vernunft innerhalb der menschli- chen Existenz widerspiegeln. Im programmatischen Ablauf lassen sich die vier Stationen von zwei Richtungen her deuten und wurden aus selbigem Grund in dieser Form konzipiert: Das(S)ein, Wandlung/21 und Diese3 sollten einen klassischen dramaturgischen Dreischritt beschreiben, während Prologus als von diesen Stationen separier- ter Teil nur eröffnend wirkt. Gleichzeitig besteht allerdings ein inhaltlicher Bezug zwischen den Teilen Prologus, Das(S)ein und Wandlung/21, dem Diese3 ausgelagert ist und der im Kapitel „zur Musik“ noch näher besprochen werden soll. Im Kontext betrachtet bedeutet das nun, dass eine strukturelle Spie- gelung der Gesamtdramaturgie als Paraphrase auf den Visibilium-Inivisibilium- Zusammenhang möglich ist. Die äußerlich recht offensichtliche Struktur von 1 + 3 Teilen (visibilium) wird inhaltlich und bei Betrachtung „von der ande- ren Seite her“ zu 3 + 1 Teilen (invisibilium). Diese Verknüpfung sollte den Rückbezug zum wesentlichen Gedanken bilden, der uns schon zur Entscheidung verhalf, zwei unterschiedliche Methoden zur Darstellung und zwei unter- schiedliche inhaltliche Vorlagen zu verwenden, wie in Abs.2 beschrieben. ¹ Vergl. Kirchenkreis Weimar, Heder Förderpreis, Glaube und Erfahrung Christlicher Glaube ist erfahrbar. URL https://www.kirchenkreis-weimar.de/asset/KxHQVTqgSvCHdpWJW8hlKA/herderpreis-fly- er.pdf Stand: 12.06.2021 S. 2 4
Der Raum und die Umsetzung Das gesamte Projekt war von vornherein für den Raum Herderkirche Weimar, bzw. die Orgel der Herderkirche Weimar ausgelegt. Die Disposition des Instruments², die gewisse Klanglichkeiten erst ermöglichte, und – dazu pas- send – die guten akustischen Gegebenheiten des Raumes auf der einen Seite und die weißen Wandflächen, die als Projektionsflächen wunderbar geeignet schienen, sowie die reine Symbolträchtigkeit der Wirkungs- und Begräbnis- stätte Johann Gottfried Herders auf der anderen Seite bewogen uns zu dieser Entscheidung. Der allgegenwärtigen pandemischen Situation geschuldet stand zudem recht schnell fest, dass das Projekt in digitaler Form eingereicht werden sollte, obwohl es in seiner ursprünglichen Form als klassisches Auf- führungswerk gedacht war. Wir entschieden uns also dafür, zwei potenzielle „Varianten“ des Werkes mitzudenken. Die nun eingereichte Variante schränkt uns dabei insofern ein, als dass die dramaturgische Wirkung von Bild und Ton im Raum weniger effektvoll dargestellt werden kann, eröffnet uns aber auf der anderen Seite einige neue Möglichkeiten, mit bestimmten Animationen und digi- talen grafischen Inhalten umzugehen. Die „Live“ Variante im Gegenzug würde uns ebendiese Möglichkeiten in einem bestimmten Rahmen zwar einschränken, ließe sich aber dennoch effektvoll, am besten in der abgedunkelten Herderkirche (oder bei Nacht) darstellen. Im hier eingereichten Film wurden bestimmte Raumperspektiven, Ornamente, Pro- jektionsflächen u.a. bei Abendlicht von Hanna Hoffmann abgefilmt und mittels digitaler Nachbearbeitung mit Animationen versehen. Die Orgelmusik wurde von Jonas Dippon mit einem Großmembranmikrofon, das im Mittelgang der Kirche platziert wurde, eingespielt. Aus rein technischer Sicht würden bei einer Live-Aufführung, an unterschied- lichen Stellen der Kirche angebrachte Beamer und Lichtquellen zum Einsatz kommen (siehe z.B. Bild unten), während die Orgelmusik live erklingt. Im diesem Falle würden dem Publikum die jeweiligen Bibel- bzw. Herdertexte, die zu den Stationen gehören eingeblendet oder in Papierform vorgelegt. ² Vergl. hierzu: Dispositionen der verschiedenen Orgeln in der Weimarer Herderkirche von 1812 bis zur Gegenwart in der Orgeldatabase www.orgbase.nl. Aufgerufen am 6. August 2018. 5
Gedanken zu Herder Wie in der vorhergehenden Teilen bereits mehrfach erwähnt, stand bei der inhaltlichen Konzeption zunächst der Konflikt und/oder die Dualität zwischen christlichem Glauben und dem „vernünftig“ denkenden Menschen nach Bildern der Aufklärung im Zentrum. Diesen Konflikt, den speziell auch Herder in seinen jungen Studienjahren und während seines späteren Lebens und Wirkens als Theologe in Weimar, stetig umweht von kant´schen Düften, spürte und der in vielen seiner Zitate, Schriften und Gedichte³ sichtbar wird, tragen in einer wie auch immer gearteten Form wohl auch heute noch die meisten Menschen in sich. Die Sehnsucht nach Transzendenz, welche dem Menschsein immanent zu sein scheint, erfährt gerade im Zeitalter der Postmoderne große Wandlung. Der Suche nach der individuellen Spiritualität steht ein Progress der Abkehr vie- ler Menschen von christlichem Glauben im klassischen Sinne gegenüber. Das Projekt soll die Möglichkeit bieten, sich -unabhängig von gesellschaftlichem Status, theologischer Disposition oder spirituellem Zugang- diesen Gedanken frei hinzugeben. Der zweite wesentliche Gedanke entstand bei näherer Betrachtung von Herders Grabmal am Boden der Herderkirche. Der dargestellte Ouroboros, eine Schlange, die sich ringförmig windet und sich selbst in den Schwanz beißt, erinnerte uns in seiner Symbolik⁴⁵ an das berühmte Herderzitat „Alles ist in der Natur verbunden, ein Zustand strebt zum anderen und berei- tet ihn vor.“⁶ und damit daran, dass es einem vorbereitenden Zustand immanent sein muss, dass er nebst diesem Daseinszweck auch die Möglichkeit des Ausblicks bietet. Ein Ausblick, den Herder selbst schon zu Lebzeiten stets mit den Worten seines Wahlspruchs „Licht, Liebe, Leben“ einfärbte (auch zu sehen auf seiner Grabplatte) und den wir daher als unerschütterliche Hoffnung deuten möchten. Eine Hoffnung, beschrieben in „Licht, Liebe, Leben“ oder „Glaube, Liebe, Hoffnung“, die uns alle als menschliche Individuen durch unser Leben tragen kann und trägt. Diese Gedanken erachteten wir im Jahr 2021, in einer Zeit, in der einige, bisher als normal oder „gegeben“ erachtete gesellschaftliche Gefüge, Gewohn- heiten und Umstände innerhalb einer Pandemiesituation aus den Bahnen geworfen wurden, als sehr tröstlich. Die für uns täglich sichtbare Corona-Lethargie, ³ Vergl. Herder, Johann Gottfried: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 104-107. ⁴ Vergl. Sheppard, Harry: The Ouroboros and the unity of matter in alchemy. A study in origins. In: Ambix. Band 10, 1962, S. 83–96. ⁵ Vergl. auch Büttner, Frank; Gottdang Andrea: Einführung in die Ikonographie. Wege zur Deutung von Bildinhalten. 4. Aufl. München, C.H.Beck oHG, 2019, S. 133 ⁶ Herder, Johann Gottfried: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 2 Bände, Band 1, Berlin und Weimar 1965, S. 19 6
der viele Menschen nach über einem Jahr der Distanz anheim gefallen sind, einzelne Schicksale von besonders durch die wirtschaftlichen Folgen der Maß- nahmen Betroffenen krankheitsbedingte Verluste im Familien- oder Freundeskreis sowie die allgemein komplizierte Gesamtsituation veranlassten uns also, den spirituellen Konflikt mit sich selbst und dennoch Hoffnung und Trost in den Fokus zu setzen und die Möglichkeit zu bieten, sich, wenn auch nur für einige Minuten, seinen innersten Gedanken, dem ganz individuellen Hoffen und einem befreiten „Ausatmen“ hinzugeben. In diesem Sinne standen die jeweiligen Hauptthemen der vier Stationen recht schnell fest. „Das(S)ein“ sollte Bezug zur irdischen Existenz des Menschen nehmen, „Wandlung/21“ auf den Moment des Wechsels und des Übergangs (Offenbarung 21) hin zu „Diese3“, dem zentralen Hoffnungs- und Trostgedanken (Vergl. 1. Korinther 13, 13) führen. Entsprechend kamen zu diesen Stich- punkten viele verschiedene Bibeltexte und Texte von Herder infrage, dennoch entschieden wir uns nach langen Überlegungen, die u.a. den dramaturgischen Ablauf des Projekts und die inhaltlichen Zielsetzungen der jeweiligen Passagen mit einschlossen, schlussendlich für folgende Gegenüberstellung: 7
Prologus Bibel Herder (Johannes 1, 1-5) „Im Anfang war das Wort, und das Wort „Sein ewig Wort gebar und trägt sich war bei Gott, und Gott war das Wort. selbst, Entwickelt Alles, stets Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle vollendet, stärkt Und hebet Alles ohne Dinge sind durch dasselbe gemacht, Seiner Kraft Veränderung. Der Wesen und ohne dasselbe ist nichts gemacht, Abgrund, Fülle Des Daseins: kurz, Er was gemacht ist. In ihm war das ist´s, Er ist es gar.“⁷ Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat´s nicht ergriffen.“ ⁷ Herder, Johann Gottfried: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 104-107. 8
Da(s)Sein Bibel Herder (1. Korinther 13, 9-10) „Denn unser Wissen ist Stückwerk und „Ein Traum, ein Traum ist unser Leben unser prophetisches Reden ist Stück- Auf Erden hier. werk. Wenn aber kommen wird das Wie Schatten auf den Wogen schweben Vollkommene, so wird das Stückwerk Und schwinden wir aufhören“ Und messen unsre trägen Tritte Nach Raum und Zeit; Und sind (und wissen´s nicht) in Mitte Der Ewigkeit.“⁸ ⁸ Herder, Johann Gottfried: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 114-116. 9
Wandlung Bibel Herder (Offenbarung 21, 1 + 4) „Und ich sah einen neuen Himmel und „Nehmt die äußere Hülle weg und es eine neue Erde; denn der erste ist kein Tod in der Schöpfung. Jede Himmel und die erste Erde sind ver- Zerstörung ist Übergang zum höheren gangen, und das Meer ist nicht Leben.“⁹ mehr (…) und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein, denn das erste ist vergangen.“ ⁹ Herder, Johann Gottfried: Aus den Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Erster Theil, Gotha & Neu York, Verlag des bibliographischen Instituts, 1827 S. 79 10
Diese 3 Bibel Herder (1.Korinther 13, 13) „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, „Die zarten Bande, die das Weltall Liebe, diese drei. Aber die Liebe ist halten, die ewig rege, junge die größte unter ihnen.“ Sympathie, die Harmonie, nach der die Wesen brennen, wie willst du 'anders es, als Liebe nennen.“¹⁰ ¹⁰ Herder, Johann Gottfried: Parthenope, ein Seegemählde bei Neapel, erschienen in: Friedrich Schiller: Musen-Almanach für das Jahr 1796, 1. Auflage, Neustrelitz, Michaelis Verlag, 1796, S. 124-130 11
Die Musik Prologus: Die Musik des ersten Teils und damit das gesamte Projekt startet mit drei sich sehr langsam entwickelnden Tönen im leisesten Register des schwellbaren Oberwerks. Sie entwickeln sich aus dem nichts zum Dreiklang und verschwinden ganz am Ende wieder ebendort. Diese Dreiteiligkeit im Kleinen spiegelt sich auch in den größeren Zusammenhängen des Stücks, wie z.B. im Ablauf Drei- klang – Choral – Dreiklang oder in den drei weiterführenden Impulsen im Pedal oder im dreimaligen Auftreten des Dreiklangmotivs. Die Trinität dessen, der von Anfang an war, soll damit dargestellt werden. Den Kontrast bildet dabei allerdings der in der Mitte eingefügte Choralsatz auf die erste Zeile des Chorals „alle Menschen müssen sterben“, der in diesem Zusammenhang die irdi- sche, menschliche Welt symbolisiert und dennoch, wie es im Bibeltext steht, das Göttliche, bzw. das die göttliche Welt symbolisierende in keinster Weise annimmt „[…]und die Finsternis hat´s nicht ergriffen.“ (Johannes 1, 5)). Da(s)Sein: Die Musik des zweiten Satzes nimmt Bezug auf den Begriff „Stückwerk“ der Bibeltextvorgabe. Drei Elemente haben nur geringfügige Beziehung zueinan- der und sind unausgeglichen aufeinander abgestimmt. Element eins setzt sich aus den beiden Metronomen, 54 und 60 bpm schnell, die mit fortschreitender Zeit immer weiter auseinander driften und symbolisch für die menschliche Ver- gänglichkeit im Strom der Zeit stehen, zusammen. Element zwei ist die Fuge im Pedal, ein in der Aufführung bildliches Symbol für die Überheblichkeit des Menschen; ein artifizielles Konstrukt, gewissermaßen der musikalische „Turm- bau zu Babel“ der durch seine Ausführung im Pedal doch immer an den Boden „gebunden“ ist. Element drei bildet der extrem langsame Choralsatz, Symbol für das Gebet des Menschen. Dieser Choral ist der einzige der Bestandteile, der an keiner Stelle zerbricht; eine feste Bindung zu Gott und damit ein- zige Möglichkeit, wahres Leben zu erlangen („[…]niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ (Johannes 14, 6)). Der Satz basiert auf dem Choral „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ und setzt direkt Mensch und Gott in Beziehung zueinander. Wandlung/21: Wie auch bei den vorhergehenden Sätzen steht im Zentrum dieses Teils ein Choral bzw. Choralmotiv. Aus der Schlussharmonie des Da(s)Seins entwickelt sich plötzlich und ohne Vorwarnung ein akkordischer Spannungsaufbau. Das „Gebet“ endet und die Endzeit tritt ein. Sieben Signaltöne mit der großen 32’ Posaune im Pedal symbolisieren die 7 Posaunen der Johannesoffenbarung 12
und bringen gewissermaßen alles zum „Einsturz“, was zusätzlich durch die tonale Bindung an den Zielton C erreicht wird, da diese sieben Töne das Kopf- motiv des Chorals „Vater unser im Himmelreich“ beschreiben. Der achte Ton, Zielton C und damit Ziel des Daseins, des Gebets und damit der Hoffnung wird schlagartig anders registriert. Er bildet die Basis der „neuen Welt“ („Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde[…]“ (Offenbarung 21, 1), eine natürliche Obertonreihe, die sich langsam über diesem Ton in der Registrie- rung der drei Töne vom Beginn des ersten Satzes aufbaut. Eine gottliche, unum- stößliche Welt, in der das Menschengemachte nichts zählt und die perfekte, natürliche Harmonie herrscht. Gottes Reich als Klangvorstellung. Rückbezugs- punkt und damit dramaturgischen Bogen zum ersten Satz bildet nun die stückweise Auflösung der Harmonie, bis nur noch g`, c``und d`` liegen bleiben, die drei Töne des Beginns. Jetzt wurde die Göttlichkeit erkannt und kann Frieden und Hoffnung geben. Letzteres geschieht durch einen winzigen, kurzen Impuls, der gewissermaßen die „Auflösung“ des „Quartvorhalts“ bildet, der sich nun aus menschlicher Perspektive herauskristallisiert hat: wir sind immernoch Menschen und an das Menschsein gebunden, dennoch ergibt sich für uns eine Perspektive. Diese3: Aus dieser Binnenbeziehung der ersten drei Sätze (Choralbezug) ergibt sich nun die doppelte Perspektive oder der Visibilium-Invisibilium-Zusammenhang aller vier Sätze. Der äußerlichen Struktur des 1 + 3 (visibilium) steht inhaltlich gesehen eine 3 + 1 (invisibilium) Struktur gegenüber. Für den letzten Satz bedeutet dies insofern eine Sonderrolle, als dass nun ein im- provisatorischer Ausblick geschaffen werden muss. Glaube, Liebe und Hoffnung sind darzustellen, wobei Glaube und Hoffnung im vorliegenden Fall durch das Spiel mit Lingual- als Gegensatz zu Labialpfeifen dargestellt werden. Die Liebe jedoch, das größte und wichtigste Element unter diesen dreien, das Ele- ment das schlussendlich die ganze Welt miteinander verbindet und überall gegenwärtig ist, ohne dass wir es spüren, ist die Stille. Selbst die zurück- liegenden Sätze funktionieren nur über verbindende Momente der Stille. In diesem Sinne soll der vierte Satz, Diese3, durch eine Art „Negativ“-Abzug der vorangegangenen Musik einen Ausblick darauf schaffen, dass in unserem menschlichen Dasein eine alles verbindende Liebe (hier ist es die Stille) stets mitgeht und uns trägt, eine Liebe aufgrund derer wir hoffen dürfen. 13
Die Animationen Prologus: Der erste Teil der visuellen Interpretation beginnt mit einem flackernden Funke, von dem aus sich drei helle Strahlen ihren Weg durch die Dunkelheit bahnen. Diese drei Strahlen bilden das Rahmenelement der Animationen und tauchen über die ganzen vier Teile des Projektes immer wieder auf und er- füllen den Raum und die Animationen Stück für Stück mit Licht und Leben. Dabei geht alles Licht von dem einen selben Funke aus, dieser Bezug auf einen einzigen visuellen Punkt bezieht sich auf das Zitat: „Sein ewig Wort gebar und trägt sich selbst, Entwickelt Alles, stets vollendet, stärkt Und hebet Alles ohne Seiner Kraft Veränderung. Der Wesen Abgrund, Fülle Des Da- seins: kurz, Er ist´s, Er ist es gar..“ ¹¹ Da(s)Sein: Insbesondere auf die Stelle im Zitat Herders „Wie Schatten auf den Wogen schweben und schwinden wir“¹² bezieht sich der zweite Teil der Animationen. Die leichte Stofflichkeit der Kugel lässt die Struktur immer wieder in sich zusammenfallen als hätte sie nicht genügend Kraft. Das Wanken und Kämpfen, das jeder von uns in seinem Dasein kennt, Momente der Verzweiflung in schwierigen Zeiten stellen die Falten und Kollapse der instabilen Kugel dar. Doch unscheinbar immer mit dabei: Der Hoffnungsschimmer, dargestellt durch das grüne Licht, das die Szene erleuchtet. Ganz am Ende des zweiten Teils jedoch wird die Kugel vom ersten Strahl, der auf sie trifft stabilisiert und erfüllt. Wandlung/21: Der zweite Strahl löst eine Verwandlung aus. Die alte Erscheinung wird Stück für Stück abgelegt, zerfällt und verschwindet in der Dunkelheit. Es beginnt ein neuer Abschnitt, der Wendepunkt der Geschichte. Bezogen auf das Jahr 2021 (und 2020) möchte manch einer gern glauben und hoffen, dass eine „Katastrophe" etwas in den Menschen ablöst und Platz mach für neues, ein Licht aus dem tiefsten Inneren zum Vorschein bringt und uns Kraft gibt. Diese3: Zusammengehalten durch eine unsichtbare Kraft („Die zarten Bande, die das Weltall halten [...]“¹³) und im Schein eines hellen Lichtes, dreht sich das Leben weiter in seiner neuen Gestalt. Der letzte der drei Strahlen aus dem Prolog trifft auf die lebendige Kugel. In der Kraft der Vereinigung können Glaube, Liebe und Hoffnung nun den Raum bildlich erleuchten und bil- den so das große Finale des Projektes, das uns erfüllt mit hoffnungsvollen Gedanken zurücklässt. ¹¹ Herder, Johann Gottfried: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 104-107. ¹² Herder, Johann Gottfried: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 114-116. ¹³ Herder, Johann Gottfried: Parthenope, ein Seegemählde bei Neapel, erschienen in: Friedrich Schiller: Musen-Almanach für das Jahr 1796, 1. Auflage, Neustrelitz, Michaelis Verlag, 1796, S. 124-130 14
Film stills 2:35 2:40 4:25 6:40 8:28 8:38 15
Film stills 9:02 10:42 13:05 16
Partitur 17
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20
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Über die Künstler*innen Jonas Dippon wurde 1999 im hohenlohischen Crailsheim geboren. Erste Begegnungen mit der Musik hatte er bereits in jungen Jahren durch das Trompetenspiel. Kurz darauf erhielt er ersten Klavierunterricht und ab 2013 dann zusätzlich Orgelunter- richt bei den Bezirkskantoren Stefanie Pfender und Christoph Broer. Nach erfolgreichem Ablegen des Abiturs, unter anderem ausgezeichnet mit dem Paul Schempp - Preis für Religion, folgten zwei Studienjahre an der Berufs- fachschule für Musik in Bad Königshofen mit Orgel- und Orgelimprovisations- unterricht bei Stephan Adam, die er im Jahr 2019 mit der Kirchenmusik C-Prüfung und Auszeichnung abschloss. Seit 2019 studiert er evangelische Kirchenmusik in Weimar und ist seitdem Teil der Orgelklasse von Prof. Martin Sturm. Jonas Dippon ist Stipendiat des evangelischen Studienwerks Villigst. 26
Über die Künstler*innen Hanna Hoffmann wurde ebenfalls 1999 im hohenlohischen Crailsheim geboren. Nach erfolgreichem Ablegen des Abiturs, ausgezeichnet mit dem Preis der Deutschen Mathematiker-Vereinigung und dem schulinternen Preis für Bildende Kunst, folgte ein Semester Vollstudium an der Haller Akademie der Künste in Schwäbisch Hall, in dem sie sich in verschiedenen Kursen sowohl privat künst- lerisch als auch im Hinblick des bevorstehenden Studiums weiterentwickeln konnte. Seit 2018 studiert sie Kommunikationsdesign an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt und arbeitet seit März 2021 als wissen- schaftliche Mitarbeiterin im Steinbeis Forschungszentrum Design & Systeme in Würzburg. Ihr Studien- wie Arbeitsschwerpunkt liegt auf den interaktiven/ digitalen Medien. 27
Wir danken... ... ganz herzlich Johannes Kleinjung für seine Unterstützung, das Vertrauen und die Möglichkeit vor Ort in der Herderkirche in Weimar zu doch eher unkon- ventionellen Tages-/Nachtzeiten drehen und sein zu dürfen. Desweiteren Danken wir Prof. Martin Sturm für seine Beratung und Michael Stemmer für das Audio-Aufnahmegerät. 28
Kontakt Jonas Dippon Brühl 14 99423 Weimar 0172 2418 469 jonas.dippon@gmx.de Hanna Hoffmann Eichwaldstraße 6 74594 Kreßberg 0170 3277506 hanna_h@t-online.de 29
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