Wälder - 1 Ein audiovisuelles Projekt von Jonas Dippon und Hanna Hoffmann Herder-Förderpreis 2021

Die Seite wird erstellt Hein-Peter Geiger
 
WEITER LESEN
Wälder - 1 Ein audiovisuelles Projekt von Jonas Dippon und Hanna Hoffmann Herder-Förderpreis 2021
’21
Kritische
Wälder

               Ein audiovisuelles
                     Projekt von
                Jonas Dippon und
                  Hanna Hoffmann

         Herder-Förderpreis 2021
     1
Wälder - 1 Ein audiovisuelles Projekt von Jonas Dippon und Hanna Hoffmann Herder-Förderpreis 2021
Kritische Wälder ’21

Inhalt
                                        Seite
Das Projekt

02   _Abriss                              03

03   _Der Entstehungsprozess              04

04   _Der Raum und die Umsetzung          05

05   _Gedanken zu Herder                  06

06   _Prologus                            08
07   _Da(s)Sein                           09
08   _Wandlung/21                         10
09   _Diese3                              11

Umsetzung

10   _Die Musik                           12

11   _Die Animationen                     14

12   _Film stills                         15

13   _Partitur „Kritische Wälder ´21“     17

Anhang

14   _Über die Künstler*innen             26

15   _Wir Danken ...                      28

16   _Kontakt                             29

                                   2
Wälder - 1 Ein audiovisuelles Projekt von Jonas Dippon und Hanna Hoffmann Herder-Förderpreis 2021
Abriss

„Kritische Wälder ´21“ ist eine audiovisuelle künstlerische Arbeit der
beiden Studierenden Jonas Dippon (Weimar) und Hanna Hoffmann (Würzburg).
Die inhaltliche Konzeption des Projektes versucht, einige wesentliche
Bezugspunkte des christlichen Glaubens auf der einen und einschlägige Ge-
danken Johann Gottfried Herders auf der anderen Seite darzustellen,
gegenüberzustellen, miteinander zu verbinden, ins Gespräch zu bringen und
dadurch einen Ausblick zu schaffen.
Der Ablauf der Arbeit sieht insgesamt vier programmatische „Stationen“ vor,
die im Laufe einer Auf- bzw. Durchführung des Projektes durchschritten
werden. Sie tragen die Titel:

        1.   Prologus
        2.   Da(s)Sein
        3.   Wandlung/21
        4.   Diese3

Kern jeder dieser vier Stationen bildet jeweils die Gegenüberstellung eines
Bibelverses und eines dazu passenden Zitats oder Gedichts von Johann
Gottfried Herder. Beispielhaft sei hier „Da(s)Sein“ angeführt:

Bibel                                      Herder

(1. Korinther 13, 9-10)                    „Ein Traum, ein Traum ist unser Le-
„Denn unser Wissen ist Stückwerk und       ben auf Erden hier, Wie Schatten auf
unser prophetisches Reden ist Stück-       den Wogen schweben und schwinden wir.
werk. Wenn aber kommen wird das            Und messen unsre trägen Tritte nach
Vollkommene, so wird das Stückwerk         Raum und Zeit und sind (und wissen´s
aufhören.“                                 nicht) in Mitte der Ewigkeit.“

Die Textvorlagen aus der Bibel (Luther Übersetzung, revidiert 2017) bil-
den die inhaltliche Basis für die auditiven Anteile, sprich die Komposition
„Kritische Wälder ´21“, die Textvorlagen aus Herders Feder dienen als
Bezugspunkt für die visuellen Anteile des Projektes.

Die Kombination beider Teile soll dann (wie im eingereichten Video zu sehen
ist) in einer ca. 10-15 minütigen künstlerischen Darstellung, zugeschnitten
auf die Räumlichkeit der Herderkirche Weimar und die Orgel selbiger Kirche
erfolgen. Hierbei möchten wir uns die Möglichkeit offen halten, die gezeigte
Durchführung in leicht abgewandelter Form auch als Live-Aufführung darbieten
zu können.

Hinweis: diese Seite soll nur als kurze Formerklärung dienen; die inhaltlichen
Konzeptionen, Gedanken und alles Weitere wird in den folgenden Kapiteln ein-
zeln beleuchtet.

                                       3
Wälder - 1 Ein audiovisuelles Projekt von Jonas Dippon und Hanna Hoffmann Herder-Förderpreis 2021
Der Entstehungsprozess

Das Projekt „Kritische Wälder ´21“ wurde für das Preisausschreiben des
Herder-Förderpreises 2021 erstellt und durchgeführt. Die inhaltliche Vorga-
be, Herders Leben und Wirken auf der Höhe der Zeit zu präsentieren und ins
Gespräch zu bringen¹, reizte uns sofort.
Johann Gottfried Herder, der ja selbst immer wieder zwischen den Fronten
der Aufklärung und seinem eigenen Glauben stand, bzw. Zeit Lebens versuchte,
beides zusammenzubringen, schien uns mit ebendiesen Gedanken eine wie
maßgeschneiderte Basis, um darauf ein Projekt aufzubauen, das künstlerische
Tradition und Moderne, althergebrachte Denkmuster und Weitblick unter dem
zentralen Gedanken der Hoffnung, den wir in diesem Jahr wohl alle besonders
gut brauchen können, zu bündeln. 2021 hat uns als Gesellschaft vor dem
Hintergrund der Corona-Pandemie an einigen Punkten schon zu substanziellen
Fragen nach dem menschlichen Dasein, einer ganz speziell eingefärbten
Theodizee-Frage, dem Miteinander und besonders der Hoffnung gebracht. Das
Projekt „Kritische Wälder ’21“ soll genau diesen Fragen Platz bieten und
zum Nachdenken anregen.

Interessant in diesem Zusammenhang dürfte sein, dass die vollständige
Konzeption, bzw. das Endergebnis beider Teile (visueller Anteil und auditi-
ver Anteil) bis kurz vor Einspielung derselben dem jeweiligen Gegenüber
verborgen blieb. Ziel war es, eine möglichst differenzierte Betrachtung auf
die eigene inhaltliche Vorlage zu erlangen, ohne dabei zu sehr vom späteren
Gegenpart beeinflusst zu sein. Auch darin sollte sich die zentrale Frage nach
dem dualen Spannungsverhältnis Glaube  Vernunft innerhalb der menschli-
chen Existenz widerspiegeln.

Im programmatischen Ablauf lassen sich die vier Stationen von zwei Richtungen
her deuten und wurden aus selbigem Grund in dieser Form konzipiert:
Das(S)ein, Wandlung/21 und Diese3 sollten einen klassischen dramaturgischen
Dreischritt beschreiben, während Prologus als von diesen Stationen separier-
ter Teil nur eröffnend wirkt. Gleichzeitig besteht allerdings ein inhaltlicher
Bezug zwischen den Teilen Prologus, Das(S)ein und Wandlung/21, dem Diese3
ausgelagert ist und der im Kapitel „zur Musik“ noch näher besprochen werden
soll. Im Kontext betrachtet bedeutet das nun, dass eine strukturelle Spie-
gelung der Gesamtdramaturgie als Paraphrase auf den Visibilium-Inivisibilium-
Zusammenhang möglich ist. Die äußerlich recht offensichtliche Struktur von
1 + 3 Teilen (visibilium) wird inhaltlich und bei Betrachtung „von der ande-
ren Seite her“ zu 3 + 1 Teilen (invisibilium). Diese Verknüpfung sollte den
Rückbezug zum wesentlichen Gedanken bilden, der uns schon zur Entscheidung
verhalf, zwei unterschiedliche Methoden zur Darstellung und zwei unter-
schiedliche inhaltliche Vorlagen zu verwenden, wie in Abs.2 beschrieben.

¹ Vergl. Kirchenkreis Weimar, Heder Förderpreis, Glaube und Erfahrung Christlicher Glaube ist
erfahrbar. URL https://www.kirchenkreis-weimar.de/asset/KxHQVTqgSvCHdpWJW8hlKA/herderpreis-fly-
er.pdf Stand: 12.06.2021 S. 2

                                              4
Wälder - 1 Ein audiovisuelles Projekt von Jonas Dippon und Hanna Hoffmann Herder-Förderpreis 2021
Der Raum und
die Umsetzung
Das gesamte Projekt war von vornherein für den Raum Herderkirche Weimar,
bzw. die Orgel der Herderkirche Weimar ausgelegt. Die Disposition des
Instruments², die gewisse Klanglichkeiten erst ermöglichte, und – dazu pas-
send – die guten akustischen Gegebenheiten des Raumes auf der einen Seite
und die weißen Wandflächen, die als Projektionsflächen wunderbar geeignet
schienen, sowie die reine Symbolträchtigkeit der Wirkungs- und Begräbnis-
stätte Johann Gottfried Herders auf der anderen Seite bewogen uns zu dieser
Entscheidung. Der allgegenwärtigen pandemischen Situation geschuldet stand
zudem recht schnell fest, dass das Projekt in digitaler Form eingereicht
werden sollte, obwohl es in seiner ursprünglichen Form als klassisches Auf-
führungswerk gedacht war. Wir entschieden uns also dafür, zwei potenzielle
„Varianten“ des Werkes mitzudenken. Die nun eingereichte Variante schränkt uns
dabei insofern ein, als dass die dramaturgische Wirkung von Bild und Ton im
Raum weniger effektvoll dargestellt werden kann, eröffnet uns aber auf der
anderen Seite einige neue Möglichkeiten, mit bestimmten Animationen und digi-
talen grafischen Inhalten umzugehen. Die „Live“ Variante im Gegenzug würde uns
ebendiese Möglichkeiten in einem bestimmten Rahmen zwar einschränken, ließe
sich aber dennoch effektvoll, am besten in der abgedunkelten Herderkirche
(oder bei Nacht) darstellen.

Im hier eingereichten Film wurden bestimmte Raumperspektiven, Ornamente, Pro-
jektionsflächen u.a. bei Abendlicht von Hanna Hoffmann abgefilmt und mittels
digitaler Nachbearbeitung mit Animationen versehen. Die Orgelmusik wurde
von Jonas Dippon mit einem Großmembranmikrofon, das im Mittelgang der Kirche
platziert wurde, eingespielt.

Aus rein technischer Sicht würden bei einer Live-Aufführung, an unterschied-
lichen Stellen der Kirche angebrachte Beamer und Lichtquellen zum Einsatz
kommen (siehe z.B. Bild unten), während die Orgelmusik live erklingt.
Im diesem Falle würden dem Publikum die jeweiligen Bibel- bzw. Herdertexte,
die zu den Stationen gehören eingeblendet oder in Papierform vorgelegt.

² Vergl. hierzu: Dispositionen der verschiedenen Orgeln in der Weimarer Herderkirche von 1812
bis zur Gegenwart in der Orgeldatabase www.orgbase.nl. Aufgerufen am 6. August 2018.

                                              5
Wälder - 1 Ein audiovisuelles Projekt von Jonas Dippon und Hanna Hoffmann Herder-Förderpreis 2021
Gedanken zu Herder

Wie in der vorhergehenden Teilen bereits mehrfach erwähnt, stand bei der
inhaltlichen Konzeption zunächst der Konflikt und/oder die Dualität zwischen
christlichem Glauben und dem „vernünftig“ denkenden Menschen nach Bildern
der Aufklärung im Zentrum. Diesen Konflikt, den speziell auch Herder in seinen
jungen Studienjahren und während seines späteren Lebens und Wirkens als
Theologe in Weimar, stetig umweht von kant´schen Düften, spürte und der in
vielen seiner Zitate, Schriften und Gedichte³ sichtbar wird, tragen in einer
wie auch immer gearteten Form wohl auch heute noch die meisten Menschen in
sich. Die Sehnsucht nach Transzendenz, welche dem Menschsein immanent zu sein
scheint, erfährt gerade im Zeitalter der Postmoderne große Wandlung. Der
Suche nach der individuellen Spiritualität steht ein Progress der Abkehr vie-
ler Menschen von christlichem Glauben im klassischen Sinne gegenüber. Das
Projekt soll die Möglichkeit bieten, sich -unabhängig von gesellschaftlichem
Status, theologischer Disposition oder spirituellem Zugang- diesen Gedanken
frei hinzugeben.

Der zweite wesentliche Gedanke entstand bei näherer Betrachtung von Herders
Grabmal am Boden der Herderkirche. Der dargestellte Ouroboros, eine Schlange,
die sich ringförmig windet und sich selbst in den Schwanz beißt, erinnerte uns
in seiner Symbolik⁴⁵ an das berühmte Herderzitat

„Alles ist in der Natur verbunden, ein Zustand strebt zum anderen und berei-
tet ihn vor.“⁶

und damit daran, dass es einem vorbereitenden Zustand immanent sein muss,
dass er nebst diesem Daseinszweck auch die Möglichkeit des Ausblicks bietet.
Ein Ausblick, den Herder selbst schon zu Lebzeiten stets mit den Worten
seines Wahlspruchs „Licht, Liebe, Leben“ einfärbte (auch zu sehen auf seiner
Grabplatte) und den wir daher als unerschütterliche Hoffnung deuten möchten.
Eine Hoffnung, beschrieben in „Licht, Liebe, Leben“ oder „Glaube, Liebe,
Hoffnung“, die uns alle als menschliche Individuen durch unser Leben tragen
kann und trägt.

Diese Gedanken erachteten wir im Jahr 2021, in einer Zeit, in der einige,
bisher als normal oder „gegeben“ erachtete gesellschaftliche Gefüge, Gewohn-
heiten und Umstände innerhalb einer Pandemiesituation aus den Bahnen geworfen
wurden, als sehr tröstlich. Die für uns täglich sichtbare Corona-Lethargie,

³ Vergl. Herder, Johann Gottfried: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 104-107.
⁴ Vergl. Sheppard, Harry: The Ouroboros and the unity of matter in alchemy. A study in origins.
  In: Ambix. Band 10, 1962, S. 83–96.
⁵ Vergl. auch Büttner, Frank; Gottdang Andrea: Einführung in die Ikonographie. Wege zur Deutung
  von Bildinhalten. 4. Aufl. München, C.H.Beck oHG, 2019, S. 133
⁶ Herder, Johann Gottfried: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 2 Bände, Band 1,
  Berlin und Weimar 1965, S. 19

                                               6
Wälder - 1 Ein audiovisuelles Projekt von Jonas Dippon und Hanna Hoffmann Herder-Förderpreis 2021
der viele Menschen nach über einem Jahr der Distanz anheim gefallen sind,
einzelne Schicksale von besonders durch die wirtschaftlichen Folgen der Maß-
nahmen Betroffenen krankheitsbedingte Verluste im Familien- oder Freundeskreis
sowie die allgemein komplizierte Gesamtsituation veranlassten uns also, den
spirituellen Konflikt mit sich selbst und dennoch Hoffnung und Trost in den
Fokus zu setzen und die Möglichkeit zu bieten, sich, wenn auch nur für
einige Minuten, seinen innersten Gedanken, dem ganz individuellen Hoffen und
einem befreiten „Ausatmen“ hinzugeben.

In diesem Sinne standen die jeweiligen Hauptthemen der vier Stationen recht
schnell fest. „Das(S)ein“ sollte Bezug zur irdischen Existenz des Menschen
nehmen, „Wandlung/21“ auf den Moment des Wechsels und des Übergangs
(Offenbarung 21) hin zu „Diese3“, dem zentralen Hoffnungs- und Trostgedanken
(Vergl. 1. Korinther 13, 13) führen. Entsprechend kamen zu diesen Stich-
punkten viele verschiedene Bibeltexte und Texte von Herder infrage, dennoch
entschieden wir uns nach langen Überlegungen, die u.a. den dramaturgischen
Ablauf des Projekts und die inhaltlichen Zielsetzungen der jeweiligen Passagen
mit einschlossen, schlussendlich für folgende Gegenüberstellung:

                                      7
Wälder - 1 Ein audiovisuelles Projekt von Jonas Dippon und Hanna Hoffmann Herder-Förderpreis 2021
Prologus
Bibel                                             Herder

(Johannes 1, 1-5)

„Im Anfang war das Wort, und das Wort             „Sein ewig Wort gebar und trägt sich
war bei Gott, und Gott war das Wort.              selbst, Entwickelt Alles, stets
Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle             vollendet, stärkt Und hebet Alles ohne
Dinge sind durch dasselbe gemacht,                Seiner Kraft Veränderung. Der Wesen
und ohne dasselbe ist nichts gemacht,             Abgrund, Fülle Des Daseins: kurz, Er
was gemacht ist. In ihm war das                   ist´s, Er ist es gar.“⁷
Leben und das Leben war das Licht der
Menschen. Und das Licht scheint in
der Finsternis, und die Finsternis
hat´s nicht ergriffen.“

⁷ Herder, Johann Gottfried: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 104-107.

                                              8
Wälder - 1 Ein audiovisuelles Projekt von Jonas Dippon und Hanna Hoffmann Herder-Förderpreis 2021
Da(s)Sein
Bibel                                             Herder

(1. Korinther 13, 9-10)

„Denn unser Wissen ist Stückwerk und              „Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
unser prophetisches Reden ist Stück-                Auf Erden hier.
werk. Wenn aber kommen wird das                   Wie Schatten auf den Wogen schweben
Vollkommene, so wird das Stückwerk                  Und schwinden wir
aufhören“                                         Und messen unsre trägen Tritte
                                                    Nach Raum und Zeit;
                                                  Und sind (und wissen´s nicht) in Mitte
                                                    Der Ewigkeit.“⁸

⁸ Herder, Johann Gottfried: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 114-116.

                                              9
Wälder - 1 Ein audiovisuelles Projekt von Jonas Dippon und Hanna Hoffmann Herder-Förderpreis 2021
Wandlung
Bibel                                            Herder

(Offenbarung 21, 1 + 4)

 „Und ich sah einen neuen Himmel und             „Nehmt die äußere Hülle weg und es
eine neue Erde; denn der erste                   ist kein Tod in der Schöpfung. Jede
Himmel und die erste Erde sind ver-              Zerstörung ist Übergang zum höheren
gangen, und das Meer ist nicht                   Leben.“⁹
mehr (…) und Gott wird abwischen alle
Tränen von ihren Augen, und der Tod
wird nicht mehr sein, noch Leid noch
Geschrei, noch Schmerz wird mehr
sein, denn das erste ist vergangen.“

⁹ Herder, Johann Gottfried: Aus den Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Erster
Theil, Gotha & Neu York, Verlag des bibliographischen Instituts, 1827 S. 79

                                              10
Diese 3

Bibel                                            Herder

(1.Korinther 13, 13)

„Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung,              „Die zarten Bande, die das Weltall
Liebe, diese drei. Aber die Liebe ist            halten, die ewig rege, junge
die größte unter ihnen.“                         Sympathie, die Harmonie, nach der
                                                 die Wesen brennen, wie willst du
                                                 'anders es, als Liebe nennen.“¹⁰

¹⁰ Herder, Johann Gottfried: Parthenope, ein Seegemählde bei Neapel, erschienen in: Friedrich
Schiller: Musen-Almanach für das Jahr 1796, 1. Auflage, Neustrelitz, Michaelis Verlag, 1796,
S. 124-130

                                             11
Die Musik

Prologus:

Die Musik des ersten Teils und damit das gesamte Projekt startet mit drei
sich sehr langsam entwickelnden Tönen im leisesten Register des schwellbaren
Oberwerks. Sie entwickeln sich aus dem nichts zum Dreiklang und verschwinden
ganz am Ende wieder ebendort. Diese Dreiteiligkeit im Kleinen spiegelt sich
auch in den größeren Zusammenhängen des Stücks, wie z.B. im Ablauf Drei-
klang – Choral – Dreiklang oder in den drei weiterführenden Impulsen im Pedal
oder im dreimaligen Auftreten des Dreiklangmotivs. Die Trinität dessen, der
von Anfang an war, soll damit dargestellt werden. Den Kontrast bildet dabei
allerdings der in der Mitte eingefügte Choralsatz auf die erste Zeile des
Chorals „alle Menschen müssen sterben“, der in diesem Zusammenhang die irdi-
sche, menschliche Welt symbolisiert und dennoch, wie es im Bibeltext steht,
das Göttliche, bzw. das die göttliche Welt symbolisierende in keinster Weise
annimmt „[…]und die Finsternis hat´s nicht ergriffen.“ (Johannes 1, 5)).

Da(s)Sein:

Die Musik des zweiten Satzes nimmt Bezug auf den Begriff „Stückwerk“ der
Bibeltextvorgabe. Drei Elemente haben nur geringfügige Beziehung zueinan-
der und sind unausgeglichen aufeinander abgestimmt. Element eins setzt sich
aus den beiden Metronomen, 54 und 60 bpm schnell, die mit fortschreitender
Zeit immer weiter auseinander driften und symbolisch für die menschliche Ver-
gänglichkeit im Strom der Zeit stehen, zusammen. Element zwei ist die Fuge im
Pedal, ein in der Aufführung bildliches Symbol für die Überheblichkeit des
Menschen; ein artifizielles Konstrukt, gewissermaßen der musikalische „Turm-
bau zu Babel“ der durch seine Ausführung im Pedal doch immer an den Boden
„gebunden“ ist. Element drei bildet der extrem langsame Choralsatz, Symbol
für das Gebet des Menschen. Dieser Choral ist der einzige der Bestandteile,
der an keiner Stelle zerbricht; eine feste Bindung zu Gott und damit ein-
zige Möglichkeit, wahres Leben zu erlangen („[…]niemand kommt zum Vater denn
durch mich.“ (Johannes 14, 6)). Der Satz basiert auf dem Choral „Lobe den
Herren, den mächtigen König der Ehren“ und setzt direkt Mensch und Gott in
Beziehung zueinander.

Wandlung/21:

Wie auch bei den vorhergehenden Sätzen steht im Zentrum dieses Teils ein
Choral bzw. Choralmotiv. Aus der Schlussharmonie des Da(s)Seins entwickelt
sich plötzlich und ohne Vorwarnung ein akkordischer Spannungsaufbau. Das
„Gebet“ endet und die Endzeit tritt ein. Sieben Signaltöne mit der großen
32’ Posaune im Pedal symbolisieren die 7 Posaunen der Johannesoffenbarung

                                     12
und bringen gewissermaßen alles zum „Einsturz“, was zusätzlich durch die
tonale Bindung an den Zielton C erreicht wird, da diese sieben Töne das Kopf-
motiv des Chorals „Vater unser im Himmelreich“ beschreiben. Der achte Ton,
Zielton C und damit Ziel des Daseins, des Gebets und damit der Hoffnung wird
schlagartig anders registriert. Er bildet die Basis der „neuen Welt“ („Und
ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde[…]“ (Offenbarung 21, 1), eine
natürliche Obertonreihe, die sich langsam über diesem Ton in der Registrie-
rung der drei Töne vom Beginn des ersten Satzes aufbaut. Eine gottliche, unum-
stößliche Welt, in der das Menschengemachte nichts zählt und die perfekte,
natürliche Harmonie herrscht. Gottes Reich als Klangvorstellung. Rückbezugs-
punkt und damit dramaturgischen Bogen zum ersten Satz bildet nun die
stückweise Auflösung der Harmonie, bis nur noch g`, c``und d`` liegen bleiben,
die drei Töne des Beginns. Jetzt wurde die Göttlichkeit erkannt und kann
Frieden und Hoffnung geben. Letzteres geschieht durch einen winzigen, kurzen
Impuls, der gewissermaßen die „Auflösung“ des „Quartvorhalts“ bildet, der
sich nun aus menschlicher Perspektive herauskristallisiert hat: wir sind
immernoch Menschen und an das Menschsein gebunden, dennoch ergibt sich für
uns eine Perspektive.

Diese3:

Aus dieser Binnenbeziehung der ersten drei Sätze (Choralbezug) ergibt sich
nun die doppelte Perspektive oder der Visibilium-Invisibilium-Zusammenhang
aller vier Sätze. Der äußerlichen Struktur des 1 + 3 (visibilium) steht
inhaltlich gesehen eine 3 + 1 (invisibilium) Struktur gegenüber. Für den
letzten Satz bedeutet dies insofern eine Sonderrolle, als dass nun ein im-
provisatorischer Ausblick geschaffen werden muss. Glaube, Liebe und Hoffnung
sind darzustellen, wobei Glaube und Hoffnung im vorliegenden Fall durch das
Spiel mit Lingual- als Gegensatz zu Labialpfeifen dargestellt werden. Die
Liebe jedoch, das größte und wichtigste Element unter diesen dreien, das Ele-
ment das schlussendlich die ganze Welt miteinander verbindet und überall
gegenwärtig ist, ohne dass wir es spüren, ist die Stille. Selbst die zurück-
liegenden Sätze funktionieren nur über verbindende Momente der Stille. In
diesem Sinne soll der vierte Satz, Diese3, durch eine Art „Negativ“-Abzug
der vorangegangenen Musik einen Ausblick darauf schaffen, dass in unserem
menschlichen Dasein eine alles verbindende Liebe (hier ist es die Stille)
stets mitgeht und uns trägt, eine Liebe aufgrund derer wir hoffen dürfen.

                                     13
Die Animationen
Prologus:

Der erste Teil der visuellen Interpretation beginnt mit einem flackernden
Funke, von dem aus sich drei helle Strahlen ihren Weg durch die Dunkelheit
bahnen. Diese drei Strahlen bilden das Rahmenelement der Animationen und
tauchen über die ganzen vier Teile des Projektes immer wieder auf und er-
füllen den Raum und die Animationen Stück für Stück mit Licht und Leben.
Dabei geht alles Licht von dem einen selben Funke aus, dieser Bezug auf
einen einzigen visuellen Punkt bezieht sich auf das Zitat: „Sein ewig Wort
gebar und trägt sich selbst, Entwickelt Alles, stets vollendet, stärkt Und
hebet Alles ohne Seiner Kraft Veränderung. Der Wesen Abgrund, Fülle Des Da-
seins: kurz, Er ist´s, Er ist es gar..“ ¹¹

Da(s)Sein:
Insbesondere auf die Stelle im Zitat Herders „Wie Schatten auf den Wogen
schweben und schwinden wir“¹² bezieht sich der zweite Teil der Animationen.
Die leichte Stofflichkeit der Kugel lässt die Struktur immer wieder in sich
zusammenfallen als hätte sie nicht genügend Kraft. Das Wanken und Kämpfen,
das jeder von uns in seinem Dasein kennt, Momente der Verzweiflung in
schwierigen Zeiten stellen die Falten und Kollapse der instabilen Kugel dar.
Doch unscheinbar immer mit dabei: Der Hoffnungsschimmer, dargestellt durch
das grüne Licht, das die Szene erleuchtet. Ganz am Ende des zweiten Teils
jedoch wird die Kugel vom ersten Strahl, der auf sie trifft stabilisiert
und erfüllt.

Wandlung/21:

Der zweite Strahl löst eine Verwandlung aus. Die alte Erscheinung wird Stück
für Stück abgelegt, zerfällt und verschwindet in der Dunkelheit. Es beginnt
ein neuer Abschnitt, der Wendepunkt der Geschichte. Bezogen auf das Jahr
2021 (und 2020) möchte manch einer gern glauben und hoffen, dass eine
„Katastrophe" etwas in den Menschen ablöst und Platz mach für neues, ein
Licht aus dem tiefsten Inneren zum Vorschein bringt und uns Kraft gibt.

Diese3:

Zusammengehalten durch eine unsichtbare Kraft („Die zarten Bande, die das
Weltall halten [...]“¹³) und im Schein eines hellen Lichtes, dreht
sich das Leben weiter in seiner neuen Gestalt. Der letzte der drei Strahlen
aus dem Prolog trifft auf die lebendige Kugel. In der Kraft der Vereinigung
können Glaube, Liebe und Hoffnung nun den Raum bildlich erleuchten und bil-
den so das große Finale des Projektes, das uns erfüllt mit hoffnungsvollen
Gedanken zurücklässt.

¹¹ Herder, Johann Gottfried:   Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 104-107.
¹² Herder, Johann Gottfried:   Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 114-116.
¹³ Herder, Johann Gottfried:   Parthenope, ein Seegemählde bei Neapel, erschienen in: Friedrich
Schiller: Musen-Almanach für   das Jahr 1796, 1. Auflage, Neustrelitz, Michaelis Verlag, 1796,
S. 124-130

                                               14
Film stills

2:35           2:40

4:25           6:40

8:28           8:38

              15
Film stills

9:02           10:42

13:05

              16
Partitur

           17
18
19
20
21
22
23
24
25
Über die Künstler*innen

Jonas Dippon

wurde 1999 im hohenlohischen Crailsheim geboren. Erste Begegnungen mit der
Musik hatte er bereits in jungen Jahren durch das Trompetenspiel. Kurz darauf
erhielt er ersten Klavierunterricht und ab 2013 dann zusätzlich Orgelunter-
richt bei den Bezirkskantoren Stefanie Pfender und Christoph Broer.

Nach erfolgreichem Ablegen des Abiturs, unter anderem ausgezeichnet mit dem
Paul Schempp - Preis für Religion, folgten zwei Studienjahre an der Berufs-
fachschule für Musik in Bad Königshofen mit Orgel- und Orgelimprovisations-
unterricht bei Stephan Adam, die er im Jahr 2019 mit der Kirchenmusik
C-Prüfung und Auszeichnung abschloss.

Seit 2019 studiert er evangelische Kirchenmusik in Weimar und ist seitdem
Teil der Orgelklasse von Prof. Martin Sturm. Jonas Dippon ist Stipendiat des
evangelischen Studienwerks Villigst.

                                     26
Über die Künstler*innen

Hanna Hoffmann

wurde ebenfalls 1999 im hohenlohischen Crailsheim geboren.

Nach erfolgreichem Ablegen des Abiturs, ausgezeichnet mit dem Preis der
Deutschen Mathematiker-Vereinigung und dem schulinternen Preis für Bildende
Kunst, folgte ein Semester Vollstudium an der Haller Akademie der Künste in
Schwäbisch Hall, in dem sie sich in verschiedenen Kursen sowohl privat künst-
lerisch als auch im Hinblick des bevorstehenden Studiums weiterentwickeln
konnte.

Seit 2018 studiert sie Kommunikationsdesign an der Hochschule für angewandte
Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt und arbeitet seit März 2021 als wissen-
schaftliche Mitarbeiterin im Steinbeis Forschungszentrum Design & Systeme in
Würzburg. Ihr Studien- wie Arbeitsschwerpunkt liegt auf den interaktiven/
digitalen Medien.

                                     27
Wir danken...

... ganz herzlich Johannes Kleinjung für seine Unterstützung, das Vertrauen
und die Möglichkeit vor Ort in der Herderkirche in Weimar zu doch eher unkon-
ventionellen Tages-/Nachtzeiten drehen und sein zu dürfen.

Desweiteren Danken wir Prof. Martin Sturm für seine Beratung und Michael
Stemmer für das Audio-Aufnahmegerät.

                                     28
Kontakt

Jonas Dippon
Brühl 14
99423 Weimar

0172 2418 469
jonas.dippon@gmx.de

Hanna Hoffmann
Eichwaldstraße 6
74594 Kreßberg

0170 3277506
hanna_h@t-online.de

                      29
Sie können auch lesen