Warum und wie gendern? - Handout zur gendergerechten Sprache - Fakultät für Erziehungswissenschaft
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Warum und wie gendern? Handout zur gendergerechten Sprache Drorit Lengyel & Liesa Rühlmann, Arbeitsgruppe DivER Immer wieder thematisieren wir den Umgang mit gendergerechter Sprache mit Studierenden in Seminaren, mit Doktorand*innen im Kolloquium und mit Kolleg*innen im Zuge von gemeinsa- men Publikationen. Dabei ist uns aufgefallen, dass gendergerechter Sprache mitunter ein gerin- ger Stellenwert beigemessen und ihre Notwendigkeit negiert wird. Etliche Personen fühlen sich zudem nicht gut über neuere Entwicklungen in diesem Feld informiert. Daher haben wir das Thema in unserem Gender – der englische Begriff, um die sozial Doktorand*innenkolloquium aufgegriffen hervorgebrachte und wirksame Konstruk- und mögliche Zielsetzungen, Inhalte und tion des Geschlechts zu benennen (im Ge- Schwerpunkte eines Handouts diskutiert. gensatz zum englischen sex, was das biolo- Mit diesem Produkt möchten wir kompakt gisch zugeschriebene Geschlecht meint), ist und übersichtlich relevante Informationen vor allem in Diskussionen um Sprache prä- hierzu bereitstellen mit dem Ziel, die Frage sent. Zwar verwenden immer mehr Perso- des angemessenen Umgangs mit genderge- nen gendergerechte Sprache, das generi- rechter Sprache für sich und mit anderen zu sche Maskulinum ist dennoch weit verbrei- reflektieren. tet. Konkret bedeutet dies, dass beispiels- weise häufig von Schülern und Lehrern ge- sprochen wird – in schriftlicher sowie vor al- Zum Warum: Weshalb gen- lem auch in mündlicher Form. Gemeint dergerechte Sprache wich- seien dann nicht nur männliche Personen, tig ist sondern Frauen und nicht-binäre Personen seien dann ebenfalls eingeschlossen, so „Sprache ist kein bloßes Kommunikations- häufig die Argumentation. Es sei demnach mittel, das auf neutrale Weise Informatio- einfacher, vermeintlich leser*innenfreundli- nen transportiert. Sprache ist immer eine cher und auch unproblematisch, die männli- konkrete Handlung. Über Sprache bzw. che Form zu nutzen. Einfacher mag dies Sprachhandlungen wird Wirklichkeit ge- sein, aber schließt das generische Maskuli- schaffen“ (AG Feministisch Sprachhandeln num wirklich alle Personen ein? Denken 2015, S. 7). Schüler*innen bspw. an Frauen, wenn von Ärzten und Anwälten die Rede ist?
Drorit Lengyel & Liesa Rühlmann 02 Arbeitsgruppe DivER, Fakultät für Erziehungswissenschaft, Universität Hamburg Zahlreiche sprachwissenschaftliche und Gendergerechte Sprache bedeutet, dass alle psychologische Studien zeigen, dass Spra- Geschlechter bedacht werden. Im Oktober che die Art und Weise beeinflusst, wie wir 2017 wurde die sogenannte Dritte Option die Welt wahrnehmen (vgl. u.a. Vervecken vom Bundesverfassungsgericht zur Angabe und Hannover 2015; Braun et. al. 2007). des Personenstandes beschlossen. Neben Demnach führt die Verwendung des generi- „männlich“ und „weiblich“ wird nun auch schen Maskulinums dazu, dass weibliche „divers“ anerkannt. Auch wenn hiermit noch und nicht-binäre Personen weniger sichtbar nicht alle Geschlechteridentitäten erfasst gemacht werden (vgl. Irmen und Linner werden, verdeutlicht diese rechtliche Ent- 2005). Sprache hat einen Einfluss darauf, scheidung, dass es wichtig ist, zu berück- wie wir uns die Welt vorstellen, beispiels- sichtigen, dass nicht alle Personen gemeint weise, welche Berufe wir als „typisch männ- und bedacht werden, wenn nur von Frauen lich“ und „typisch weiblich“ verstehen und und Männern gesprochen wird. Personen, für uns verwirklichbar scheinen. U.a. die die nicht-binär sind, d.h. im binären System Schule stellt demnach einen Ort dar, an dem von Mann und Frau nicht repräsentiert wer- Sprache stark beeinflusst, wie Schüler*innen den, sollten dementsprechend auch sprach- sich wahrnehmen und ihre Zukunftsvisio- lich bedacht werden. nen formen. Ein sensibler, gendergerechter Sprachge- Zum Wie: Auf welche Weise brauch trägt aktiv zur Gleichberechtigung kann gendergerechte Spra- der Geschlechter bei. Bereits 1995 wurden che umgesetzt werden? im Senatsbeschluss der Stadt Hamburg „Grundsätze für die Gleichbehandlung von „Gerechte Sprache allein schafft noch keine Frauen und Männern in der Rechts- und Ver- gerechte Welt. Aber indem wir sie verwen- waltungssprache“ formuliert. In der Gleich- den, zeigen wir, dass wir eine gerechte Welt stellungsrichtlinie für den Wissenschaftsbe- überhaupt wollen“ (Stefanowitsch 2018). reich der Universität Hamburg (2019) finden Es gibt nicht die allgemeingültige, korrekte, diese Berücksichtigung: „Eine geschlechter- nicht-diskriminierende Sprachform. Ob Sie gerechte Sprache, die Frauen und Männer das generische Maskulinum verwenden gleichermaßen berücksichtigt, ist in allen oder wie Sie gendergerechte Sprache nut- schriftlichen und mündlichen Äußerungen zen: In jedem Fall treffen Sie hierbei eine der Universitätsmitglieder und Angehörigen Entscheidung für oder gegen die Berücksich- zu berücksichtigen“ (S. 5). Es wird also be- tigung von Frauen und nicht-binären Perso- reits seit 25 Jahren von Mitgliedern der Uni- nen. Sie positionieren sich auf diese Weise – versität erwartet, dass sie mindestens auch ungewollt – zu einem Thema, das zu Frauen sprachlich bedenken und nicht ledig- einem Politikum geworden ist. Wie auch das lich das generische Maskulinum verwenden. Zitat des Linguisten Anatol Stefanowitsch 2021 wurde der Senatsbeschluss erweitert; ausdrückt: Mit Ihrer Wahl verdeutlichen Sie, nun wird dort auch auf das Gendern mit ob Ihnen eine (sprachlich) gerechte Welt Doppelpunkt oder Stern verwiesen (Ham- wichtig ist. Bei der Entscheidung, ob und wie burger Senat 2021). Sie gendern, sollten Sie sich bewusstma- chen, was es bedeutet, wenn Sie (nicht)
03 Drorit Lengyel & Liesa Rühlmann Arbeitsgruppe DivER, Fakultät für Erziehungswissenschaft, Universität Hamburg gendern und vor allem auch, aus welcher begründete Entscheidung treffen: Erklären Perspektive Sie diese Entscheidung fällen. In Sie also beim ersten Gendern (bspw. in der Hausarbeiten, Abschlussarbeiten und ande- Fußnote), warum Sie diese Variante gewählt ren Qualifikationsarbeiten sollten Sie eine haben! Varianten des Genderns Es gibt vielfältige Möglichkeiten der Berücksichtigung aller Geschlechter in der Sprache. Sie kön- nen kreativ neue Formen schaffen oder folgende Schreibungen wählen: Gender-Gap: Die Stabsstelle Gleichstellung (2020) hält fest, dass insbesondere diese vier Varianten Der Gender-Gap ist der Vorreiter des Gen- derzeit für Genderinklusivität stehen: der-Sternchens und wird inzwischen teil- weise als unpassend empfunden, da nicht- binäre Personen hier sprachlich nur als Gap, Geschlechtsneutrale Personen- oder zu Deutsch Lücke, auftauchen, bspw. Mitar- Funktionsbezeichnungen: beiter_innen. Bereits 1995 verweist der Hamburger Senat auf geschlechtsneutrale Formulierungen, Es gibt weitere gängige Varianten des wenn möglich, bspw. Studierende, Lehr- Genderns, die jedoch nicht alle Genderposi- kräfte und Mitarbeitende. tionierungen inkludieren: Gender-Doppelpunkt: Diese Form des Genderns ist eine weitere Schrägstrich oder Binnen-I: Variante, die nach dem Gender-Gap und In dieser Form wird die weibliche Form nur dem Gender-Sternchen entwickelt wurde. als ‚Anhängsel‘ berücksichtigt, nicht-binäre Der Doppelpunkt soll den Einbezug nicht-bi- Personen werden unsichtbar gemacht und närer Personen verdeutlichen, bspw. Mitar- nicht angesprochen. Nach dem Beschluss beiter:innen. Der Senatsbeschluss zur Ver- des Senats von 1995 soll diese Form nicht ge- waltungssprache von 1995 wurde 2021 er- nutzt werden, bspw. Autor/in oder Mitarbei- weitert und empfiehlt nun insbesondere terInnen. den Genderdoppelpunkt. Beidnennung: Gender-Asterisk oder Gender-Stern- Auf diese Weise werden Männer und Frauen chen: sichtbar gemacht. Auch hier werden nicht- Der Stern verdeutlicht, dass auch nicht-bi- binäre Personen jedoch ausgeschlossen, näre Personen bedacht werden, bspw. Do- bspw. Lehrerinnen und Lehrer. zent*innen. Auch die Nutzung dieser Vari- ante wird in der Erweiterung des Senats von 2021 als inklusiv und gendersensibel veror- tet.
Drorit Lengyel & Liesa Rühlmann 04 Arbeitsgruppe DivER, Fakultät für Erziehungswissenschaft, Universität Hamburg Abschließende Überlegun- 8). Dieser Argumentation anschließend ver- stehen wir die Verwendung gendergerech- gen ter Sprache nicht als Entscheidung gegen Zu berücksichtigen ist, dass der Rat für deut- das Rechtschreibregelwerk, sondern als Ent- sche Rechtschreibung, dessen Aufgabe es scheidung für eine Berücksichtigung aller ist, die rechtschreiblichen Entwicklungen zu Geschlechtsidentitäten. beobachten und Empfehlungen für das or- Wir möchten auch auf das bislang ungelöste thographische Regelwerk zu erarbeiten, die Problem hinweisen, dass mit Sonderzeichen per Beschluss staatlicher Stellen umgesetzt gegenderte Personenbezeichnungen nicht und für Schule und Verwaltung bindend vollständig barrierefrei sind und beim Vorle- sind, noch keine Vorschläge zur genderge- sen geschriebener Texte mittels Screenrea- rechten Sprache erarbeitet hat, welche die der unterschiedlich vorgelesen oder mitge- hier genannten neueren Formen aufgreifen. lesen werden können, bspw. „Kolleg Stern Er erkennt die Notwendigkeit einer gender- Innen“. Auch den zunehmend empfohle- gerechten Sprache jedoch an (Rat für deut- nen Gender-Doppelpunkt ordnet der Deut- sche Rechtschreibung 2018). Der Rat wird schen Blinden- und Sehbehindertenverband die Entwicklungen im Umgang mit den un- e.V. als problematisch ein, da es u.a. möglich terschiedlichen Schreibungen demnach ist, dass der Doppelpunkt als Satzende vor- weiter beobachten, bevor er Empfehlungen gelesen wird (DBSV 2019). ausspricht. Es gibt Kritik von unterschiedli- chen Sprachwissenschaftler*innen wie auch Welche Entscheidung Sie auch fällen: Es ist von der Gesellschaft für deutsche Sprache unseres Erachtens wichtig, die Auseinander- an den bislang vorgeschlagenen Formen, da setzung weiter zu führen und Geschlechter- sie die grammatische Korrektheit des positionierungen als ein Ausdruck gesell- Schriftlichen untergraben, wie es z.B. in die- schaftlichen Wandels im sprachlichen Aus- sem Satz bei „Sprachwissenschaftler*innen“ druck zu berücksichtigen. Auch Sprache der Fall ist. Dem gegenüber stehen Lingu- wandelt sich und dies nicht zum Selbst- ist*innen wie z.B. Anatol Stefanowitsch. Er zweck, sondern weil Lebensrealitäten dies plädiert dafür zu gendern, „da es eben auch erfordern. von sprachlichen Verfahren zur Gleichbe- (Überarbeitete Version 10/2021) handlung von Menschen handelt“ (2018, S. Empfehlungen Dokumentation „Wer hat Angst vorm Barrierefreie Broschüre der Stabsstelle Gleich- Genderwahn? Der Kulturkampf ums Ge- stellung & Abteilung 2 der UHH (2021): „Ge- schlecht“ (2019) schlechtergerechte Sprache an der Universität Hamburg Blogbeitrag von Heiko Kunert (2020): „Diskri- miniert das Gender-Sternchen blinde Men- schen?“
05 Drorit Lengyel & Liesa Rühlmann Arbeitsgruppe DivER, Fakultät für Erziehungswissenschaft, Universität Hamburg Quellenverzeichnis AG Feministisch Sprachhandeln (Hrsg.) Irmen, Lisa und Ute Linner (2005): Die Reprä- (2015): Was tun? Sprachhandeln – aber wie? sentation generisch maskuliner Personenbe- W_Ortungen statt Tatenlosigkeit! 2. Auflage. zeichnungen. Eine theoretische Integration Berlin. Aufrufbar unter http://feministisch- bisheriger Befunde. In: Zeitschrift für Psycho- sprachhandeln.org/wp-content/uploads/ logie, 213 (3), S. 167–175. 2015/10/sprachleitfaden_zweite_auf- Rat für deutsche Rechtschreibung (2018): lage_281015.pdf Empfehlungen zur „geschlechtergerechten Braun, Friederike, Susanne Oelkers, Karin Schreibung“. Beschluss des Rats für deutsche Rogalski, Janine Bosak und Sabine Sczesny Rechtschreibung vom 16. November 2018. (2007): „Aus Gründen der Verständlichkeit ...“ Aufrufbar unter https://www.rechtschreib- Der Einfluss generisch maskuliner und alter- rat.com/DOX/rfdr_PM_2018-11-16_Ge- nativer Personenbezeichnungen auf die kog- schlechtergerechte_Schreibung.pdf nitive Verarbeitung von Texten.“ In: Psycho- logische Rundschau 58 (3), S. 183–189. Stabsstelle Gleichstellung (2020): Geschlech- tergerechte Sprache an der Universität Ham- Der Präsident der Universität Hamburg. Refe- burg. Erarbeitet von einer Expert:innenkom- rat 31 – Qualität und Recht (Hrsg.) (2019): mission aus Mitgliedern verschiedener Fach- Gleichstellungsrichtlinie für den Wissen- richtungen der Universität Hamburg. Aufruf- schaftsbereich der Universität Hamburg. bar unter https://www.uni-ham- Amtliche Bekanntmachung Nr. 10 vom 7. Feb- burg.de/gleichstellung/download/empfeh- ruar 2019. Aufrufbar unter lung-geschlechtergerechte-sprache-2021.pdf https://www.uni-hamburg.de/fid/ gleichstellung-wissenschaft-uhh.pdf Stefanowitsch, Anatol. (2018): Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache Deutscher Blinden- und Sehbehindertenver- brauchen. 1. Auflage. Berlin: Duden. band e.V. (2019): Gendern. Aufrufbar unter https://www.dbsv.org/gendern.html#er- Vervecken, Dries und Bettina Hannover laeuterungen (2015): Yes I can! Effects of gender fair job de- scriptions on children’s perceptions of job Hamburger Senat (15.6.2021): Erweiterung des status, job difficulty, and vocational self-effi- Senatsbeschlusses zur Verwaltungssprache cacy. In: Social Psychology, 46 (2), S. 76–92. von 1995 um Gender-Stern und Gender-Dop- pelpunkt. Zusammenfassung und Link zum Dokument abrufbar unter https://www.ham- burg.de/bwfgb/15185602/geschlechtersen- sible-verwaltungssprache/
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