Was macht ZOOM mit uns? - Deutscher Werkbund
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Was macht ZOOM mit uns? 28.02.2021 – Illustrierte Kolumne von Emil Hädler a Seit fast einem Jahr sind wir im ZOOM-Modus, eröffnen Meetings als ZOOM-Client mit kryptischen exe-files oder treiben uns per meeting-ID und Kenncode im virtuellen Warteraum herum, bis der Host uns vorlässt. Wir versenden unlesbare Buchstaben- und Zahlenkolonnen, die uns den Beitritt zum Meeting gestatten. Mit Gruseln erinnere ich mich an den ersten Versuch eines öffentlichen ZOOM- Events der Urban Sketchers, der gleich gründlich in die Hose ging: der nicht ausreichend geschützte virtuelle Warteraum wurde von wenig begabten Porno-Darstellern gekapert, die ihre gewaltigen Schwänze in unsere Bildschirme hielten. Da verschlug´s so manchem die Sprache und es dauerte Minuten, bis die wieder virtuell hinaus geworfen waren. ZOOM kann durchaus traumatisieren. a Inzwischen sind die ZOOM-Regeln eingeübt. Corona hat uns dieses vorher wenig bekannte Instru- ment der Alltags-Kommunikation beschert wie weiland Graham Bell das Telefonieren. Dazu drehten wir die Wählscheibe oder – schon moderner – tippten in der Telefonzelle Tasten ein. Dafür haben wir Münzen eingeworfen. In alten Filmen sieht man das noch – doch wie erklären wir unseren Enkeln, was eine Telefonzelle war? Gelegentlich steht noch eine post-gelbe Box mit abgerundeten Ecken als öffentliche Tausch-Bücherei in einem Park herum. Es ging dabei wohl irgendwie um Kommunikation? Heute Skypen oder FaceTimen wir mit Bild, von Angesicht zu Angesicht. „Wir können uns nur Briefe schreiben, wir können uns leider nicht seh´n. Doch für zwei, die sich herzlich lieben, bleibt die Hoff- nung auf ein Wiederseh´n ...“ sang Greetje Kauffeld 1964. Schreibt jemand noch seitenlange Briefe? Mit zwei alten Freunden pflege ich diese Tradition, die sich beide dem WhatsApp und eMail verwei- gern. Ich schreibe auch noch Ansichtskarten - eine Marotte des Ü65ers. Gegen instagram und face- book haben sie keine Chance. Es werden auch keine Schönen mehr gedruckt. Auf Flohmärkten kaufe ich sie noch – ein aussterbendes Kulturgut.
a Mit den Urban Sketchers malen wir in Corona-Zeiten online, sitzen analog mit Skizzenbuch oder Aquarellpapier, mit Stiften und Farben vor dem Bildschirm, rufen GoogleEarth-Adressen auf und halten danach unsere Skizzenbücher in die ZOOM-Kamera – ein harter Aufprall im Anachronismus. Immerhin beherrschen die Sketchers das noch: mit Pinsel und Stift die Welt erkunden wie sie ist, in journalistischer Zeichenmanier. Einige zeichnen mit dem E-Stift auf dem Tablet. Doch was ist, wenn in Corona-Zeiten die sichtbar-echte Welt nur noch aus dem Blick vom Balkon besteht? Unter #uskathome gibt es gezeichnete Corona-Tagebücher rund um den Globus. Unser Projekt www.uskvictorhugo.de, die Rheinreise 2.0 auf der Spur von Victor Hugo, soll 2021 „in echt“ stattfin- den – auf SketchWalks entlang Stationen des Jahres 1840 und nach virtuellen Experimenten 2020. Aber wir treffen uns auf ZOOM im Orga-Team und bereiten das alles im virtuellen Raum vor. Was pas- siert da? Wie spielt sich das ab? Immer wieder vermassele ich so ein meeting, nehme den ver- abredeten Termin nicht so ernst wie eine „echte“ Verabredung.
Der Aufruf des virtuellen Treffens macht mich nervös, die Intensität ist hoch. Wir sitzen uns Gesicht zu Gesicht gegenüber. Wer spricht, poppt im Vollbild groß auf. Das Medium zwingt zum konzentrierten Dabei-Bleiben. Abschweifen geht nicht. Die Chat-Funktion meint nicht Geschwätz. Durch Bildfreigabe halten wir uns Dokumente vor die Nase, lesen Texte gemeinsam, verfolgen Zahlenkolonnen in Excel- Listen für Förderanträge. Es ist effizient, ganz zweifellos. Nach 1 ½ Stunden bin ich erledigt. Der Out- put ist hoch, der Netto-Zeiteinsatz gering, weil ohne An- und Abreise. Das Ende des Meetings kommt abrupt per Austritt-Button – kein Geplänkel oder Schwatz zwischen Tür und Angel, keine gemeinsame Sprechpause am Caféautomaten. „Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Steh´n“ sang 1974 Reinhard Mey. Da bietet der Bildschirm nur „ganz oder gar nicht“. Im Hin- tergrund blenden wir Fake-Aussichten ein, damit nicht ständig die Familie durchs Bild läuft. Hallo! Wo bist Du gerade? Mallorca? Warum nicht … Bei größeren Konferenzen, in „Webinaren“ – auch so eine krude Wortschöpfung – sehen wir uns in Briefmarkengröße stumm geschaltet. Einige schalten die Kamera aus. Dann steht da nur ein Name im grauen Feld und wir wissen: Dahinter schaut je- mand als Voyeur dem Geschehen zu: Wie ein Schlüsselloch-Besucher sieht der alles, wird aber nicht erkannt. Das erlaubt immerhin das Nase-Boh- ren vor dem Bildschirm und unerkanntes Aufs-Klo- Gehen. Wie gut, dass Karl Lagerfeld das nicht miterleben musste: „Wer Jogging-Hosen trägt, hat sein Leben nicht im Griff“, war seine Devise – von wegen! Pro- fessoren sitzen mit Schlips in der ZOOM-Vorlesung vor ihren Studenten. Wer weiß, was die unter der Tastatur anhaben? Ehemalige Kollegen berichten nach zwei Semestern virtuellem Vorlesungsbetrieb, sie hätten die neuen Studienjahrgänge noch nie „in echt“ gesehen. Ein solcher Student traf den Kollegen auf dem Wochenmarkt und war verblüfft, dass es das ZOOM-Gesicht auch „in echt“ gab. Was von all dem bleibt uns, wenn dieses Corona-Ge- spenst vorbei ist? Müssen wir nicht befürchten, dass auf gewisse „Effizienzen“ nicht mehr verzichtet werden soll? Der Zeitgewinn des Nicht-Reisens dürfte das Stresstempo im Arbeitsalltag erhöhen. Wen wundert´s, dass so mancher aus dem homeoffice zurück ins „echte“ Büro flüchtet – wo dann wie- der der Bildschirm wartet. Dort gibt´s immerhin die Cafémaschine und echte Kollegen. © Emil Hädler. Alle Rechte vorbehalten.
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