Was Sie über die Gesundheitsreform wissen sollten

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Was Sie über die Gesundheitsreform wissen sollten
RA Thomas Hessel

Die Änderung der Vorschriften über die gesetzliche Krankenversicherung zum
01.01.04, von Politikern als Gesundheitsreform-Gesetzespaket bezeichnet,
betrifft die in den gesetzlichen Krankenversicherungen Versicherten, und damit
über 90 % der Bevölkerung. Privat-Krankenkassen-Versicherte sind hiervon
nicht tangiert. Ob die Reformen auch für Beamte übernommen werden, war
bei Fertigstellung des Beitrags noch ungewiss, aber in Diskussion.

1) Ziel der Gesetzesreform
Die ansteigenden Kosten des Gesundheitswesens, die zur Hälfte von den
Arbeitnehmern und zur anderen Hälfte von den Arbeitgebern erbracht werden,
führten 2003 zu einem akuten Handlungsbedarf, weil ein Anstieg der
Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenversicherung, derzeit durchschnittlich
14,3 %, zu befürchten war.
Eine radikale Gesundheitsreform, die strukturell das seit über 130 Jahren
bestehende Sozialversicherungssystem verändert hätte, wurde, obwohl
andiskutiert, von den Regierungsparteien nicht beschlossen. Es verblieb bei
den althergebrachten Rezepten: entweder die gestiegenen Kosten durch
höhere Beiträge zu finanzieren oder durch Einsparungen aufzufangen und zu
senken. Die Bundesregierung entschloss sich, nicht zuletzt auch im
Gesamtzusammenhang mit der Agenda 2010, zu der Kürzungsvariante.
Mögliche Einsparungen lassen sich erzielen sowohl auf der Anbieterseite
(Ärzteschaft, Heilberufe insgesamt, Apotheken, Pharmaindustrie) als auch auf
der Verbraucherseite (Versicherte, Patienten). Erste Überlegungen der
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sahen sowohl Einsparungen auf der
Verbraucherseite vor – durch Eigenbeteiligungen für die Patienten – als
auch auf der Anbieterseite – durch Wettbewerb bei den einzelnen
Krankenkassen, den Ärzten und auch bei den Apotheken.
Da die zu ändernden Gesetze durch den Bundesrat zustimmungspflichtig sind
und dort die Opposition die Mehrheit hat, war die Bundesregierung
gezwungen, einen Kompromiss mit der Opposition auszuhandeln, damit die
Vorschläge Gesetzeskraft erlangen konnten. In langen Verhandlungsrunden,
die noch in aller Erinnerung sein dürften, einigten sich die Ministerin Ulla
Schmidt und der Verhandlungsführer der Opposition, der Gesundheitspolitiker
Seehofer, schließlich auf die Veränderungen, die dann auch ab dem 01.01.04
Gesetz wurden.

In diesem Kompromissvorschlag verblieb es bei der Belastung der
Verbraucher.
Nach Daten des Bundesgesundheitsministeriums sollen durch die neu
beschlossenen Gesetze 7,3 Mrd. € eingespart werden.
Die prognostizierte Senkung der Kassenbeiträge auf unter 14 % ist bislang
ausgeblieben, wobei die Krankenkassen schon jetzt verlauten lassen, dass die
Einsparungen durch das Gesundheitsreform-Paket gerade einmal helfen,
weitere notwendige Erhöhungen zu vermeiden. So steht zu befürchten, dass
eines der erklärten Ziele der Gesundheitsreform, nämlich die Senkung der
Kassenbeiträge, nicht erreicht werden wird.
2) Umsetzung der Reformziele

Die erhofften Einsparungen werden erzielt durch

• Zuzahlungen durch die Patienten für nahezu alle Versicherungsleistungen

• Streichung einiger der bisherigen Versicherungsleistungen:

  – Zahnersatz muss ab 01.01.05 selbst bezahlt werden. Es empfiehlt sich
    daher unbedingt der Abschluss einer Zusatzversicherung, entweder bei
    einem privaten Anbieter oder bei einer der gesetzlichen Krankenkassen.
  – Das Entbindungsgeld (Einmalzahlung 77 €) wurde ersatzlos gestrichen.

  – Das Sterbegeld wurde ersatzlos gestrichen.

Das Zuzahlungsmodell hat Unter- und Obergrenzen und eine ganze Reihe von
Ausnahme-Tatbeständen, bei denen es wiederum Ausnahmen gibt.

Grundsätzlich müssen alle Versicherten für jede Kassenleistung, sei es Arzt,
Krankenhaus, Gymnastik oder Apotheke, 10 % der Kosten zuzahlen.
Unterschiedlich ist, wie die Leistungseinheit definiert wird: einmal zeitlich (je
Tag, je Monat, je Quartal), ein anderes Mal je Stück, wieder ein andermal je
Verordnung oder Krankheitsfall (Indikation).
Diese 10 %-Regel wird durch zwei weitere Grenzen ergänzt: Die Zuzahlung
beträgt pro Leistungseinheit mindestens 5 €, höchstens 10 €. Liegen die
tatsächlichen Kosten unter 5 €, muss der ganze Preis selbst gezahlt werden.
Immer gilt für Zuzahlungen eine Höchstgrenze pro Jahr in Höhe von 2 % des
Bruttoeinkommens bzw. in Höhe von 1 % bei chronisch Kranken. Hier
wiederum die generelle Ausnahme: Kinder und Jugendliche bis zum Tag vor
dem 18. Geburtstag sind von allen Zuzahlungen befreit (außer bei Fahrt- und
Transportkosten).

Dies bedeutet für Sie als Patienten:

Sammeln Sie alle Quittungen über Praxisgebühren und Zuzahlungen.
Ist die Belastungsgrenze von 2 % des Bruttoeinkommens
(1 % bei chronisch Kranken) erreicht, können Sie bei Ihrer Krankenkasse für
das entsprechende Jahr die Befreiung von weiteren Zuzahlungen beantragen
(unter Vorlage der       Belege   und    der Lohnsteuerkarte bzw. des
Steuerbescheides).

3) Überblick über die wichtigsten Kassenleistungen

a) Praxisgebühr

Beim ersten Arztbesuch im Quartal wird von Patienten ab
18 Jahren prinzipiell eine einmalige Praxisgebühr in Höhe von
10 € verlangt. Sie muss in der Praxis bezahlt werden, der Arzt muss hierfür
eine Quittung ausstellen.
Diese Gebühr wird ebenfalls fällig beim ersten Zahnarztbesuch im Quartal.

Weitere Arztbesuche bleiben in diesem Quartal zuzahlungsfrei, auch Besuche
bei (Fach-)Ärzten, sofern für diese ein Überweisungsschein ausgestellt wurde.
Wurde keine Überweisung ausgestellt, muss die Praxisgebühr ein weiteres Mal
gezahlt werden.

Ausnahme:
Kinder bis 18 Jahre zahlen überhaupt keine Praxisgebühr.

Achtung bei Notfällen:

Grundsätzlich wird auch beim Notfallarzt (nicht aber beim Rettungswagen)
eine zusätzliche Praxisgebühr fällig, unbeschadet, ob schon eine Praxisgebühr
bezahlt wurde.
Ausgenommen sind hier sog. geplante Notversorgungen, z. B.:
– Erstversorgung am Freitag (eventuell mit Zahlung der Praxisgebühr) bei
   einem Allgemeinarzt oder Facharzt, geplante Nachsorge am Wochenende
   beim Notfallarzt: hier Überweisung vorlegen, es fällt keine Praxisgebühr an.
– Oder Erstversorgung bei einem Notfall am Wochenende (die Praxisgebühr
   wird fällig), die notwendige Nachbehandlung durch einen anderen Notfallarzt
   am selben Wochenende lässt die Praxisgebühr entfallen.
– Nach einer Notfallversorgung z. B. am Wochenende (Praxisgebühr fällig)
   behandelt ein Arzt im normalen Dienst weiter. Hier besteht noch Unklarheit,
   ob eine weitere Praxisgebühr bezahlt werden muss.

Praxisgebühr bei Psychotherapie:

Die Praxisgebühr wird, wenn keine Überweisung vorliegt, beim ersten Besuch
im Quartal, fällig. Der Psychologische Psychotherapeut fällt zwar unter die
Facharztgruppe, kann aber mangels gesetzlicher Bestimmungen nicht
"überweisen", so dass die Praxisgebühr beim Besuch eines anderen Arztes
erneut bezahlt werden muss.

b) Medikamente

Verschreibungspflichtige Medikamente sind zuzahlungspflichtig, es gilt jedoch
weiterhin eine Preisbindung.
Nicht verschreibungspflichtige Medikamente müssen in Zukunft von den
Patienten selbst bezahlt werden. Preisbindungen hierfür wurden jedoch
aufgehoben, so dass sich Preisvergleiche lohnen.

Ausnahmen gelten bei Verordnungen apothekenpflichtiger Medikamente für
Kinder unter 12 Jahren und für Jugendliche bis 18 Jahren mit
Entwicklungsstörungen. (Wie die Entwicklungsstörungen beim Kauf der
Medikamente nachgewiesen werden müssen, ist noch unklar, es dürfte wohl
die Bestätigung des behandelnden Arztes ausreichen.)
Weitere Ausnahme: Therapie-Standard-Medikamente bei schwerwiegenden
Erkrankungen, vom Arzt verordnet. Hier gilt eine Ausnahmeliste, erstellt vom
Bundesausschuss der Ärzte- und Krankenkassenvertreter. Die Liste war bei
Abschluss dieses Beitrags noch nicht erstellt, zu denken ist aber an die
Verschreibung von Aspirin nach Herzinfarkt oder Schlaganfall.

c) Krankenhausbehandlung

10 € Zuzahlung pro vollem stationärem Tag, höchstens 28 Tage im
Kalenderjahr.

d) Heilmittel

wie Massagen, Krankengymnastik, Bäder, aber auch Sprachtherapie:
Hier werden 10 € Zuzahlung je Verordnung fällig und
10 % Zuzahlung der Kosten. Es sind also zwei Zuzahlungen zu leisten!

e) Belastungsgrenze:

Zuzahlungen müssen bis zur Höhe von 2 % des Jahres-Bruttoeinkommens
bezahlt werden. Bei schwerwiegend chronisch Kranken liegt die Grenze bei
1 %.

• Als Bruttoeinkommen gelten alle Brutto-Einnahmen der in einem
gemeinsamen Haushalt lebenden gesetzlich versicherten Angehörigen,
abzüglich der Freibeträge für den Partner (für den 1. Angehörigen 4.347 €
Freibetrag, für jedes Kind 3.648 €).
• Wer schwerwiegend chronisch krank ist, zahlt höchstens 1 % seines
Bruttoeinkommens als Zuzahlung.
Als schwerwiegend chronische Krankheiten gelten grundsätzlich Leiden, die
wenigstens einmal ein Jahr lang mindestens zweimal pro Quartal ärztlich
behandelt wurden. Zusätzlich muss noch eines der folgenden Merkmale
vorliegen:
Zweimaliger stationärer Krankenhausaufenthalt in den letzten 2 Jahren wegen
dieser Krankheit oder mindestens Pflegestufe 2 oder ein Grad der
Schwerbehinderung oder Erwerbsunfähigkeit von mindestens 70 %. Diese
Definition wird um eine Anzahl konkreter Krankheits-Diagnosen erweitert.
Auch hier wird der sog. Bundesausschuss (siehe oben) eine Festlegung treffen.

• Sozialhilfeempfänger:
Es gelten die allgemeinen Regeln für Zuzahlung, die Belastungsgrenze liegt bei
2 % bzw. (für chronisch Kranke) bei 1 % des regionalen Regelsatzes für
Haushaltsvorstände (ca. 70 € bzw. 35 € im Jahr).
• Heimbewohner:
Auch für sie gelten die allgemeinen Regeln für die Zuzahlung. Wem als
Heimbewohner aber nur ein "Taschengeld" bleibt, muss monatlich nur 6 €
zuzahlen (bzw. 3 € bei chronischer Krankheit).
• Rentner:
Auch für sie gelten die allgemeinen Regeln für die Zuzahlung. Sie müssen
jetzt aber höhere Krankenkassenbeiträge zahlen, denn auf alle Zusatzrenten,
z. B. Betriebsrenten, wird nun der volle (statt wie bisher der halbe)
Beitragssatz erhoben. Vom 01.04.04 an müssen sämtliche Rentner zusätzlich
den vollen Beitragssatz zur Pflegeversicherung bezahlen.

f) Vorsorgeleistungen
wie z. B. die Krebsvorsorge, sind zuzahlungsfrei.

g) Brillen

Hier gibt es keine Kassenzuschüsse mehr.

Ausnahme: Sehhilfen für Kinder unter 18 Jahren und schwerstens
Sehbehinderte. Wer darunter zu verstehen ist, muss noch geklärt werden.

h) Quittungen

Quittungen über sonstige Gesundheitskosten, die nicht von der Krankenkasse
bezahlt werden, z. B. Brille, Fahrtkosten, etc. können bei der Steuererklärung
als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden.
Der Patient hat das Recht, vom Arzt, Zahnarzt oder Krankenhaus entweder am
Quartalsende oder nach jeder Behandlung eine sog. Patientenquittung zu
verlangen. Darauf müssen alle erbrachten und abgerechneten Leistungen in
verständlicher Form aufgeführt sein. Der Arzt darf hierfür 1 € zuzüglich
Versandkosten verlangen.

i) Fahrtkosten

Für Patientenfahrten ins Krankenhaus und Rettungstransporte gelten die
allgemeinen Regeln für Zuzahlungen. Auch Kinder unter 18 Jahren müssen
zuzahlen. Fahrten zur ambulanten Versorgung werden nur noch in
Ausnahmefällen bezahlt:
– Fahrten zu Dialyse
– Fahrten zur Chemo- oder Strahlentherapie
– Fahrten von schwerst Gehbehinderten (Rollstuhlfahrer, Amputierte)
– Fahrten von Blinden
– Fahrten von hilflos Betreuungsbedürftigen

Weitere Ausnahmen können die Krankenkassen auf Anfrage genehmigen.

j) Krankengeld

Von 2006 an zahlen die Arbeitgeber beim Krankengeld den Beitrag nicht mehr
hälftig  mit.  Die   Versicherten    müssen   0,5    Prozentpunkte    ihres
Bruttoeinkommens mehr für die Krankenversicherung bezahlen.

4) Fazit
Die Gesundheitsreform bringt einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand
für alle Beteiligten:
Die Patienten müssen Quittungen sammeln, auswerten und schließlich mit
einem Einkommensnachweis bei ihren Krankenkassen melden; die
Krankenkassen       müssen   finanzamtsähnlich   eine   Einkommensprüfung
durchführen; die Ärzte müssen die sog. Praxisgebühr kassieren, quittieren und
Buch führen.
Die Gesundheitsreform 2004 wird nicht die letzte bleiben, sie ist eine reine
Einsparungs-Reform. Notwendig wird sein, die Kosten durch strukturelle
Änderungen in den Griff zu bekommen. Die Diskussionen über die sog.
Bürgerversicherung (Einbezug auch der Beamten und Selbständigen sowie
aller Einkommensarten in das Krankenversicherungssystem) oder die sog.
Kopfpauschale ("gleiche Krankheitskosten für gleiche Behandlung"), also die
Abkoppelung der Krankenversicherung aus den Lohnnebenkosten mit einem
festen Betrag für die Krankenversicherung für alle Versicherten und
Absicherung von Härtefällen über Steueraufkommen, werden weitergehen.
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