WENN RASSISMUS AUS WORTEN SPRICHT - dtppp
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WECHSEL PERSPEKTIV V I T KEPSREP WENN RASSISMUS AUS WORTEN SPRICHT Fragen, Kontroversen, Perspektiven MATERIALIEN-N° 185
HALT INNI VORWORT Heike Taubert 02 Andreas Jantowski 04 Benjamin Bloch 08 EINLEITUNG Inhaltliche Kurzüberlegungen 10 Marina Chernivsky BEITRÄGE Wenn Rassismus aus Worten spricht 14 Susan Arndt »Ich spreche Deutsch, aber nicht sehr gut « 32 Lena Gorelik »WortGewalt« aus postkolonialer Perspektive 40 Susanne Heyn und Deborah Krieg Sprache und Identitätsentwicklung bei Kindern 42 Seyran Bostancı und Nele Kontzi Geschichte ist nicht Vergangenheit 46 Marina Chernivsky Kindsein ist kein Kinderspiel 52 ManuEla Ritz Zum kritischen Umgang mit Kinderbüchern 62 Annette Kübler VERZEICHNIS Workshops - Eine Übersicht 72 Tagungsreferent_innen 74 Impressum 76 ISSN N° 0944-8705 01
H EI K E TAUB E RT WORT VOR R OV Heike Taubert Sehr geehrte Damen und Herren, Rassismus hat viele Formen und Facetten: » Schokokuss « zu sagen, anstelle von » Zigeuner « Sprache ist eine davon. Deshalb mein Dank an » Sinti und Roma « kann dennoch nur der Anfang die Veranstalter_innen, dass Sie dieses Thema sein beim Abbau von (teils unbewusstem) gewählt haben. Wenn Rassismus aus Worten spricht Rassismus. Die jeweilige Gruppe muss grund- – diese Fachtagung kann und soll für den Zu- sätzlich besser und differenzierter wahrgenom- sammenhang von Sprache und Diskriminierung men werden. sensibilisieren, bestimmte Begriffe überhaupt Wo Rassismus herrscht, ist sicherlich nicht- [] wahrzunehmen. Denn in die Alltagssprache hat rassistische Sprache kaum möglich. Ebenso sich so manche Wendung eingeschlichen, die verändern neue Begriffe nicht gleich gesell- – wenngleich oft so nicht beabsichtigt – schlicht- schaftliche Rahmenbedingungen, sondern sind weg diskriminierend und rassistisch sein kann. im schlimmsten Fall lediglich eine neue Hülle Alle Bereiche des menschlichen Lebens für altes Denken. Andererseits wird durch die und der Wirklichkeit im Allgemeinen werden unreflektierte Weiterbenutzung von rassistischen durch Sprache strukturiert. Worte und Dinge Begriffen der bestehende Rassismus permanent sind für sich genommen diffuse Bereiche, reproduziert. Zudem kann die inhaltliche Ausein- die erst eine bestimmte Ordnung erhalten, indem andersetzung mit Sprache und Begriffen auch sie mit Begriffen, versehen in Artikulations- ein Ausgangspunkt sein, das eigene Denken zu prozessen, benannt werden. Begriffsbildung ist hinterfragen und zu ändern. Und genau das somit Ordnung und Aneignung der Wirklich- muss unser Ziel sein. keit. Hätten wir nur den Begriff » Baum «, Es gilt, in der kritischen Auseinandersetzung nicht aber den Begriff » Wald «, könnte man mit der eigenen Sprache die Wahrnehmung den » Wald vor lauter Bäumen nicht sehen«. zu schärfen. Junge Menschen müssen so zeitig Und Rassismus, Diskriminierung wiederum, wie möglich über den Zusammenhang von spüren wir manchmal nur deshalb nicht, Sprache und möglichem Rassismus, möglicher weil wir nicht hören, was wir sagen : Beispiel Diskriminierung aufgeklärt werden. Das beginnt » Schwarz « sehen, » Schwarz « fahren, bei gegenseitigem Respekt, gegenseitiger Ach- » Schwarz « arbeiten. tung. Es geht darum, sich selber in seiner Wort- Negative Eigenschaften werden in vielen wahl dem anderen gegenüber korrekt und fair Sprachen, einschließlich der deutschen, mit zu verhalten. Dazu leistet diese Fachtagung einen der schwarzen Farbe assoziiert. Weiß hingegen wichtigen Beitrag. ist grundsätzlich positiv besetzt, steht für das Unschuldige, Wahre, Gute, Reine. Denken wir nur an die » weiße Weste «. Das sollte man bedenken, wenn man Menschen als » Schwarze « [] bezeichnet. Der Verzicht auf das rassistische heike TaUBerT Wort » Neger « reicht also nicht aus. Wir dürfen Thüringer Ministerin für Soziales, es nicht bei dem bloßen Austausch von Worten Familie und Gesundheit belassen. Für eine reflektierte Sprache müssen alte Gewohnheiten abgelegt werden angesichts der langen Vergangenheit bestimmter Begriffe. Anstatt » Mohren- « oder » Negerkuss « nun 02 P E R S P E K T I V WEC HSEL W EN N R AS S I S M US AUS WO RT EN S P R I C H T 03
D R . AN D R EAS JANTOW S KI WORT Nicht zuletzt ist auch die Fremd- VOR R OV heitserfahrung in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Sie ist nicht allein durch die Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, kulturelle Vielfalt der Gegenwart, Lehrplanentwicklung und Medien sondern eben auch historisch bedingt, ob wir uns dessen immer Sehr geehrte Tagungsgäste, bewusst sind oder nicht. In der im Rahmen der Dekade Luther 2017 steht das prägt und wir uns überhaupt nicht mehr bewusst Auseinandersetzung mit beiden Themenjahr 2013 unter dem Titel Reformation sind, dass wir dessen Maßstäbe auch auf alle und Toleranz . Ein spannungsgeladener Titel, anderen Felder unserer Existenz übertragen. Aspekten wird die eigene Zeit- und der auch bezogen auf die heutige Tagung, beson- Was kann schon herauskommen, wenn die ders im Hinblick der reformatorischen Wir- Grundprinzipien des Denkens mit der Rationali- Kulturgebundenheit erfahrbar, kungen auf die deutsche Sprache und auf die von tät einer Einkaufsentscheidung gehandelt werden. Luther vier Jahre (1542) vor seinem Tod Ja, wenn es ideal zuginge und sich auf einem wird so zum wichtigen Bestandteil verfasste Schrift Von den Juden und ihren Lügen , Handelsplatz Käufer und Verkäufer gleicher- in den Fokus der Betrachtung nimmt. maßen gut auskennen, aus einem reichhaltigen der Identitätsfindung und kann Ermächtigung und Macht sowie Verständnis Denkangebot überall frei wählen könnten und und Respekt sind nur wenige der zum Teil erst nach sorgfältiger Abwägung gesammelter zur Entwicklung von Sprache ohne widersprüchlichen Aspekte, die Einfluss haben Informationen zur Entscheidung kommen. Wenn auf die Entstehung, Bedeutung, Funktion und sie dann ihre neu gewonnene Erkenntnis auch Rassismus beitragen. Wirkung von Worten. Deren Tragweite wird wort- und kenntnisreich vertreten, ohne zwang- einem erst richtig bewusst in der Auseinander- haften inneren Willen, andere von deren Vorteil setzung mit » Fremdem « und »Vertrautem «, überzeugen zu müssen. Dann kann man von besonders wenn der Blick zwischen Vergangen- einem unvoreingenommenen wirklichen Mei- heit und Gegenwart hin und her wandert. Ein nungsbildungsprozess ausgehen. solches Tun kann schön sein, aber auch Schmer- Was aber, wenn der Markt für Denkwaren zen bereiten, in jedem Fall ist es erhellend. nur äußerst dürftig bestückt, der Käufer unerfah- Sprache und Formulierungen sind Ausdruck ren ist und vom Verkäufer ausgenutzt wird, der unserer stets aktuellen widersprüchlichen Verhal- ihm eine Ideologie andreht, für die eine unbeque- mus münden, zeigen Worte von Ernst Moritz schichte, die man in solche Denkmuster einbauen tens- und Ausdrucksweisen, die in unterschiedli- me Abwägung von Argumenten angeblich nicht Arndt, zu denen er sich 1813 unter dem Titel : kann, weil sie vermeintlich höchste moralische cher Ausprägung und Zielrichtung immer wieder mehr nötig ist? Womöglich ist ja gerade diese Be- Über Volkshass verstieg : Werte verkörpern. So schreibt der große Kant zu beobachten sind. So ist es noch nicht lange her, quemlichkeit attraktiv, weil man sich keinen Bis in den innersten Kern vergiftet war das 1797 unter der Überschrift : Über das vermeintli- da spürten z.B. die Einwohner Griechenlands eigenen Standpunkt erarbeiten muss und nicht Teutsche von dem Fremden, die ernste Männlichkeit che Recht, aus Menschenliebe zu lügen beispielhaft : im Zuge der Finanzkrise plötzlich den General- der Unsicherheit ausgesetzt ist, eigene Überle- zu Ziererei, die hohe Wahrheit zu Schmeichelei, Wenn der Mörder uns fragt, ob ein fliehender Freund verdacht, sich nicht » bessern « zu wollen und gungen gegenüber anderen zu verteidigen. der grade Verstand zu schiefer Albernheit verdreht. in unser Haus geflohen sei, müssen wir dem Mörder einfach keine Steuern zu zahlen und das, obwohl Nun vielleicht kommt dieses » bessern wol- Das ist das unvermeidliche Schicksal eines Volkes, die Wahrheit sagen, auch wenn’s das Leben des Freun- ein überwiegender Teil der Bevölkerung die Last len « auch daher, dass man sich selbst überlegen das dem Fremden bis zur Vergessenheit des Eigenen des kosten sollte. Folgte man diesem Denkansatz, einschneidender Sparmaßnahmen zu schultern glaubt und es sich gut anfühlt. Und dieses nachgebuhlt hat. was würde dann aus dem grundlegenden Men- hat und sich zu recht fragt, warum sie alle zusam- Gefühl wird noch besser, wenn hinter dieser Und das schrieb er trotz seiner Welterfahren- schenrecht auf Asyl für politisch Verfolgte? men ohne eigene Schuld nun auch noch stig- Überhöhung auch noch gesellschaftliche heit und in Kenntnis der fundamentalen Ideen Nicht zuletzt ist auch die Fremdheitserfah- matisiert werden. Akzeptanz oder gar Macht steht, weil man dann der Aufklärung. Dass es nur ein kleiner Schritt ist, rung in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Warum ist die Versuchung so groß, andere die höchste Form der Zugehörigkeit spürt. bis die Abwertung der Nichtzugehörigen dann Sie ist nicht allein durch die kulturelle Vielfalt » bessern « zu wollen und sich so auch zu äußern? Wie schmal der Grad ist, wenn Freiheitsidea- auch noch befehlsmäßig erfolgt, wurde und wird der Gegenwart, sondern eben auch historisch be- Es könnte darin begründet sein, dass uns der le zur einseitigen Überhöhung von Zugehörigkeit oft erst zu spät erkannt. Und immer sind es dingt, ob wir uns dessen immer bewusst sind scheinbar allgegenwärtige Wettbewerb derartig mutieren und schließlich in blinden Nationalis- auch die Worte wichtiger Personen der Weltge- oder nicht. In der Auseinandersetzung mit beiden 04 P E R S P E K T I V WEC HSEL W EN N R AS S I S M US AUS WO RT EN S P R I C H T 05
VORWORT D R . AN D R EAS JANTOW S KI Aspekten wird die eigene Zeit- und Kulturge- Menschenrechtscharta. Nun wissen wir, dass die bundenheit erfahrbar, wird so zum wichtigen bestehenden globalen Institutionen nicht immer Bestandteil der Identitätsfindung und kann zur die Handlungsmacht haben, die sie nötig hätten, Entwicklung von Sprache ohne Rassismus um Missständen in der Welt wirksam begegnen beitragen. zu können. Gleichwohl ist diese Handlungs- So schreibt Fabienne Müller, Thüringer macht auch im Verfügungsraum jedes einzelnen Austauschschülerin in Argentinien, in der ge- Menschen angelegt - wenn er bereit ist - seine meinsamen Publikation von Thillm und Gedanken, seine Sprache und sein Verhalten [] Klassikstiftung Weimar mit dem Titel : Ich wollte einer korrigierenden Reflexion zu unterziehen. einfach mal raus. Interkulturuller Dialog gestern So entsteht die notwendige Sensibilität für die und heute folgende Worte : Ich hätte es nicht für langen Spuren der Vergangenheit, die Menschen möglich gehalten, einmal zusammen thailändisch heute noch treffen kann. Wie lässt sich diese zu kochen, französische Vokabeln zu üben, ameri- individuelle Handlungsmacht aktivieren? kanische Außenpolitik zu diskutieren, holländische Lassen sie mich an dieser Stelle Stéphane Kinderlieder zu singen und Schokolade aus Neu- Hessel selbst zitieren : » Wir müssen versuchen, seeland zu essen, während ich Fotos von Zeulenroda Gedanken nicht nur in Institutionen, sondern herum gebe. auch in die Köpfe der jungen Leute zu bringen. Um ihre Haltung ändern zu können, brauchen sie Auch wenn der frei gewählte (Bildungs-) Touris- Gedanken der Gelassenheit, der Nicht-Gewalt. mus nicht mit herausfordernden und grenz- Wir brauchen asketische Menschen, wie der liebe überschreitenden Migrations- sowie Fluchter- Sloterdijk immer wieder sagt. Wir brauchen fahrungen gleichgesetzt werden darf, würde ich Menschen, die genügend Vertrauen in sich selbst darauf hinweisen wollen, dass bei diesen Wor- haben und dabei wissen, dass die Institutionen ten von Fabienne nichts zu spüren ist davon, an- nur das sind, was sie gewollt haben.« Menschen, dere bessern zu wollen, vielmehr fühlt man, die bereit sind zu akzeptieren, dass ihre Sprache dass hier ganz unterschiedliche Menschen mit kein starres Medium, dass sie veränderbar, ihren ganz individuellen Biografien und Le- beweglich und lebendig ist, und dass sie andere benswelten suchend auf Augenhöhe sind. In so verletzten kann. einer Atmosphäre kann man auch in durch- Wenn diese Tagung nur einen kleinen Beitrag aus emotionaler Auseinandersetzung gemeinsam leistet, dass wir morgen, wenn wir in unseren nach besseren Wegen suchen, auch wenn die Institutionen zurück sind, der Wirkungsmäch- eigene Sprache ein verbindendes und gleich- tigkeit unserer Sprache bewusster geworden sind zeitig ein trennendes Element sein kann. und dies auch anderen vermitteln können, dann Und Fabiennes Worte sind so nahe an Chris- war es eine gelungene Tagung. toph Martin Wieland, einem der Vertreter des klassischen Weimar, und seiner Sicht des » wah- ren Kosmopoliten «, der » alle Völker als Zweige einer Familie und das Universum als Staat … [] vernünftiger Bürger « ansieht, die sich einig Dr. aNDreas JaNTOWski sind, … die Vollkommenheit des Ganzen zu Direktor Thillm | Bad Berka befördern.« In einer solchen Gedankenwelt hat Rassismus keine Chance und es ist Stéphane Hessel nicht genug zu danken, dass er in seiner Streitschrift Empört euch genau die Worte findet, um diesem Gedanken neue Kraft zu geben. Er wollte immer auch Regierungen, die sich ihrer » Weltregulierungsaufgabe « bewusst sind. Er selbst hat bei der Schaffung globaler Regel- werke mitgewirkt, so bekanntermaßen an der UN 06 P E R S P E K T I V WEC HSEL W EN N R AS S I S M US AUS WO RT EN S P R I C H T 07
BEN JAM I N B L OCH WORT VOR R OV ZWST Verehrte Tagungsteilnehmer_innen, liebe Partner_innen und Kolleg_innen, die ZWST ist seit vielen Jahren aktiv und setzt sich neben ihren sozialen Aufgaben auch für die Entwicklung einer gerechten und demokratischen Gesellschaft ein. Im Rahmen dieses Engagements entstand das Projekt Perspektivwechsel, das vor allem in Thüringen umgesetzt wird. Unterstützt durch Bund und Land ermöglicht das Modellpro- [] jekt Fort- und Weiterbildungen sowie Fachkon- ferenzen für Multiplikator_innen im Bereich der gesellschaftspolitisch orientierten Bildungs- und Sozialarbeit. Wir arbeiten in Städten, aber auch in ländlichen Regionen, und sind froh so viele engagierte und treue Partner für das gemeinsame Vorhaben vorweisen zu können. Die Arbeit des Projekts findet in der Regel hinter geschlossenen Türen statt. Wir bilden fort, beraten und begleiten Menschen und Projekte in ihrem Handeln gegen jede Art von Menschen- feindlichkeit und Intoleranz. Seit 2007 veranstal- ten wir einmal im Jahr eine Fachkonferenz, die sich an Lehrer_innen, Erzieher_innen, Sozialar- beiter_innen, Mitarbeiter_innen der Verwaltung, der Polizei, aber auch Studierende und wissen- schaftlich Tätige richtet und ihnen Raum für kollegialen Austausch, aber auch für wissenschaft- liche Reflexion und praxisnahe Analysen anbietet. Die diesjährige Fachtagung nimmt sich einem heiklen Thema an. Mit der Überschrift Wenn Rassismus aus Worten spricht wagt sich das Die ZWST bedankt sich bei allen Partnern und [] Tagungsteam an unbequeme Fragen der kriti- Unterstützern, die diese Fachkonferenz auch in BeNJaMiN BLOCh schen Reflexion über Sprache, Einstellungen, diesem Jahr ermöglicht haben. Wir danken dem Direktor ZWsT Frankfurt Normalität. Die Tagung balanciert im Span- Bundesprogramm Toleranz fördern - Kompetenz nungsfeld zwischen Bestandsaufnahme und Ver- stärken, dem Thüringer Sozialministerium und änderungsmotivation und trägt zum Sprechen dem Landesprogramm Denk bunt , dem Thüringer darüber bei, was sonst nur in den dafür bestimm- Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwick- ten Orten erörtert wird. Es fruchtet, denn viele lung und Medien (Thillm), der Sparkasse Finanz- beteiligen sich und sind bereit in kontroverse, gruppe Hessen Thüringen. Ein großes Danke- aber durchaus sinnvolle und ertragreiche Diskus- schön geht an die Tagungsreferent_innen sowie sionen einzusteigen und sie auch nach der Ta- an alle Mitarbeiter_innen und Kolleg_innen der gung weiterzuführen. ZWST und des Projekts Perspektivwechsel. 08 P E R S P E K T I V WEC HSEL W EN N R AS S I S M US AUS WO RT EN S P R I C H T 09
I N H ALT L I C H E K UR Z ÜBER L E GUNGE N Warum können wir sie nicht lassen, einsehen, ersetzen? LEITUNG Die Alltagsmacht rassistisch konnotierter Worte beginnt bei Vereinheitlichung, Verwendung historisch belegter EIN NIE Bezeichnungen, bei einseitiger Schuldzuweisung oder Kontextverdrehungen. Viele Begriffe sind auf den ersten Blick nicht zwingend beleidigend, aber sie treffen INHALTLICHE den Nerv derjenigen, an die diese Ansprachen gerichtet KURZÜBERLEGUNGEN sind. In diesem Zusammenhang ist nicht nur die Wortwahl an sich, sondern auch die Intention und die VON Auswirkung unseres Sprechens sehr bedeutsam. Marina Chernivsky Ähnlich wie der moderne Rassismus lässt sich ebenso die » Judenvoreingenommenheit « – der Antisemitismus Die Tagung hat viele und Vieles bewegt, – an der Sprache festhalten und erkennen. Nicht immer ich hätte nie gedacht, dass eine Tagung bei die ausgesprochenen Begriffe, vielmehr sprachliche mir so viele Gedanken und Reflexionen Entgleisungen und Ambivalenzen, zeigen den emotio- bewirken kann. Jetzt will ich mehr darüber nalen Gehalt der Sprache auf und scheinen nicht selten wissen und dringend nach weiteren Widerstände und Abwehrreaktionen hervorzurufen. Anhaltspunkten suchen. Teilnehmerin, Suhl So oft wird die rassistische Beschaffenheit unserer Sprache ignoriert, verharmlost, als unwichtig betrachtet. Und auch das Wissen darüber, dass es Menschen gibt, Sprache ist Ausdruck unserer inneren Welt, sie bewirkt die seit Jahrzehnten gegen diesen stigmatisierenden Gedanken, Gefühle und zieht Verhalten nach sich. Sprachgebrauch protestieren, überzeugt diejenigen Sprache stiftet Vertrauen, verbindet, aber sie schafft nicht, die eine ernsthafte Reflexion darüber verweigern. auch Distanz und legt unüberwindbare Grenzen fest. Genau hier macht sich der Unterschied zwischen Seit Jahren ist bekannt, dass etliche Wendungen des denjenigen, die (aus)sprechen und denen, über die » in alltäglichen Sprachgebrauchs diskriminierend sind, aber dieser Weise « gesprochen wird, bemerkbar. Dabei ist sie werden trotz aller Einwände immer noch verwendet. die » Sprecherperspektive « dominant, wenig empathisch, 10 P E R S P E K T I V WEC HSEL W EN N R AS S I S M US AUS WO RT EN S P R I C H T 11
E I NLE I TUNG I N H ALT L I C H E K UR Z ÜBER L E GUNGE N kann sich gut durchdachte Gegenargumente leisten. Mit der diesjährigen Fachtagung wollten wir eine Dis- Die Perspektive der Adressierten ist hingegen überwäl- kussion darüber anregen, wie rassistisch unsere Spra- tigt, wehrt sich gegen die Fremdbestimmung, setzt che ist und was wir in diesem Spannungsfeld bewirken sich für Korrektur ein. können. Gemeinsam mit unseren zahlreichen Tagungs- Bei Kritik an der Sprache fühlen sich viele Menschen gästen wollten wir die subtilen – für viele doch kaum schnell belehrt und gar persönlich angegriffen. Der- erkennbaren – Zwischenräume rassistischen Sprechens artige Reaktionsmuster entstehen zum Teil durch die erkunden, vertraute Artikulationsräume reflektieren fehlende Einsicht in die Notwendigkeit einer Kri- und mögliche konzeptionelle Neudeutungen überlegen. tik und die mangelnde Selbstverantwortung. Es ist in [ ] der Tat eine unbequeme Feststellung, dass vertraute [ ] Sprachgewohnheiten rassistische, antisemitische Marina Chernivsky Projektleiterin Bedeutungen transportieren können, die vielen nicht ZWST Perspektivwechsel bewusst sind. Aber diese Erkenntnis ist unbedingt erforderlich, damit wir handlungsfähig bleiben und Verantwortung übernehmen können, denn wir sind erst dann in der Lage etwas daran zu ändern, wenn wir anerkennen, dass unsere Sprachhandlungen nicht neu- tral sind, dass sie Menschen spalten und entfremden können. Der Einwand, dass sich erst unsere soziale Wirklichkeit verändern müsste, bevor sich die Sprache wandelt, ist eine bekannte Gegenargumentation. Wir denken aber, dass beides gleichzeitig wichtig ist. Der Verweis auf die Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderungen entbindet Menschen jedoch nicht von der individuellen Verantwortung für ihre Sprache und die Arbeit an ihren eigenen Einstellungen. 12 P E R S P E K T I V WEC HSEL W EN N R AS S I S M US AUS WO RT EN S P R I C H T 13
W EN N R AS S I S M US AUS WO RT EN S P R ICHT vom Eigenen haben und davon, dass etwa Deutsch- waren es, in Europa. Bei Rassismus als einem Glau- sein und Schwarzsein oder Deutschland und Islam ben daran, dass Menschen nach › Rassen ‹ unterteilt unvereinbar seien. Damit wird › fremd ‹ zur gefähr- werden könnten, handelt es sich um eine aus Euro- lichen Kategorie, weil sie ein bestimmtes Denken pa stammende Ideologie- und Machtstruktur. TRÄGE fortschreibt, dass Menschen, die als › fremd ‹ be- › Wann ‹ war das? Der Sexualforscher und Pub- zeichnet werden, tatsächlich › Fremde ‹ seien. lizist Magnus Hirschfeld verwendete als erster den Der Begriff › Fremdenfeindlichkeit ‹ reprodu- Begriff Rassismus für eine Lehre, die an die Exis- BEI I EB ziert rassistische Logiken, die in vereinfachenden tenz menschlicher › Rassen ‹ glaubt – und zwar in Lösungsansätzen münden, wie etwa, dass es aus- seinem 1933 /34 geschriebenen und 1938 postum reiche, dass sich › Fremde ‹ einfach besser › integ- veröffentlichten Werk › Racism ‹. Er wollte die na- rieren ‹ sollten – als würde es das Problem lösen, tionalsozialistische › Rassen ‹-Ideologie widerlegen. dass viele Weiße People of Colour ausgrenzen und › Rassentheorien ‹ wurden aber nicht vom National- diskriminieren.2 sozialismus erfunden und fanden mit ihm auch kein WENN RASSISMUS Oft werden wir an dieser Stelle hingewiesen, Ende. Das Konzept der › Rassen ‹ wird erstmalig im dass es sich um ein globales Phänomen handelt, ausgehenden 16. und frühen 17. Jahrhundert aus AUS WORTEN SPRICHT wenn eine › Kultur ‹ andere › Kulturen ‹ – auch dem Tier- und Pflanzenreich auf Menschen über- unter Instrumentalisierung von körperlichen Un- tragen, wo es heute übrigens auch umstritten ist. Ab terschieden – diskriminiert. Dem stimme ich zu, dem 16. Jahrhundert lässt sich der Gebrauch der Zum machtvollen Zusammenwirken von doch füge ich hinzu: Der Rassismus nimmt da- Vokabel › race ‹ (frz.) oder › race ‹ (engl.) mit eben Sprache und Diskriminierung 1 rin eine Sonderrolle ein. Kein anderes System der dieser Konnotation finden. Im Werk William Sha- Unterdrückung einer › Kultur ‹ durch eine andere kespeares etwa findet es sich in der Wende vom 16. hat strukturell wie diskursiv eine solch tiefgreifen- zum 17. Jh. bereits 18 Mal. Immanuel Kant wird VON de, nachhaltige und global weitreichende Agenda den Begriff 1775 ins Deutsche übertragen und von erschaffen wie der Rassismus. Warum das so ist, › Rassen ‹ sprechen. möchte ich in diesem Artikel ausführen. Dabei › Warum ‹ dann, zu diesem Zeitpunkt? 1492 ist [] Susan Arndt finde ich es unverzichtbar, hier zunächst meine das berühmt-berüchtigte Jahr, in dem Königin Isa- Dieser Artikel basiert auf einem Vortrag, der am Rassismusdefinition herzuleiten. Daran ansetzend bella den Kampf um die Vorherrschaft auf der iberi- 25.11.2013 in Weimar im Rah- möchte ich auf den › Racial Turn ‹ eingehen, um schen Halbinsel für die spanische Krone entschied. men der Fachtagung: Wenn Rassismus aus dann, in genealogischer Perspektive exemplarisch Es kam zur Zwangschristianisierung und Vertrei- Worten spricht gehalten EINFÜHRENDE ÜBERLEGUNGEN Koloss, der diese Spitze trägt, verkannt, bleibt Ras- nachzuzeichnen, welche Spuren der Rassismus bung von Juden und Jüdinnen. Moslems wurden wurde. Entgegen manch vorschneller Proklamationen ist sismus fast unbetrachtet. Wie die Titanic ist anti- in der weißen westlichen Wissensgesellschaft hin- ebenfalls vertrieben oder gezwungen, hohe Steuern Rassismus leider nicht Geschichte. Eigentlich ist rassistisches Wirken hier zum Kentern verurteilt. terlassen hat. Dabei werde ich, wie eben bereits zu zahlen, um ihren Glauben ausüben zu dürfen. [2] Bestenfalls wird postuliert, er so omnipräsent, dass es schwer ist, ihn zu über- Dieses Scheitern setzt bereits da ein, wo nicht geschehen, immer auch Referenzen einbauen, Diese wiederum gehörten zum Finanzpaket, das dass man › Fremde ‹ besser sehen – und doch wird er beharrlich wegerklärt. von Rassismus, sondern stattdessen von Ausländer- wie Sprache Rassismus transportiert, aber eben Columbus erhielt, um 1492 seine Reise antreten zu verstehen und ihnen gegenüber mehr Toleranz Dies sei dieses oder jenes, nicht aber rassistisch. oder Fremdenfeindlichkeit die Rede ist. Beide Be- auch widerspricht. Dieser Aspekt steht dann zu- können, die ihn statt nach Indien in die Amerikas ausüben sollte. Auch diese Wer einen Vorfall als rassistisch bezeichnet, wird griffe führen in die Irre. Suggerieren sie doch zum dem prominent im Zentrum des letzten Teils führte – was damals freilich noch ganz anders hieß. Aussage baut auf einem Raster auf, das klar zu häufig als hypersensibel oder zu › politisch kor- einen, dass es um Feindlichkeit geht – oder auch dieses Vortrags. Es heißt wiederum gemeinhin, er hätte Amerika benennen vermag, wer rekt ‹ abgetan. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft Hass, denn alternativ (ja synonym) finden auch Da es immer einer speziellen Methode bedarf, › entdeckt ‹. Wie aber kann man etwas entdecken, dazu gehört – und wer nicht. Dabei kommt jene neigt dazu, nicht über Rassismus zu reden. So ist › Ausländerhass ‹ bzw. › Fremdenhass ‹ diesbezüglich um über Rassismus zu sprechen, ohne ihn zu repro- was Menschen bereits bekannt ist? Denn die Ame- Beliebigkeit ins Spiel, Rassismus zum R-Wort geworden, zum Wort, das Gebrauch. Rassismus aber ist mehr als ein schnöder duzieren, habe ich mich entschlossen, rassistische rikas waren ja bewohnt; etwas, das sich durch Co- die bereits im, in der griechischen Antike kaum jemand in den Mund nehmen will. Selbst in Hass oder Feindlichkeit. Der Rassismus ist sogar Begriffe, die im Folgenden diskutiert werden, nicht lumbus Eintreffen und konkret auch sein Dazutun gebräuchlichen, Begriff rassismuskritischen weißen Kreisen wird das Wort dann am Werk, wenn vermeintlich wohlwollende zu zitieren. Ich habe sie in die Fußnoten verbannt, – von ihm verübten Landraub und Massaker an der ›Xenophobie ‹ angelegt ist, nämlich, dass eine Rassismus vorzugsweise ausgespart, wenn etwa von Komplimente über Haut, Haar oder Rhythmus wo sie mit Vorsicht gelesen werden können. Ich Bevölkerung – ändern sollte. Die Menschen, die er anthropologische Grund- › Anti-Ra-Arbeit ‹ gesprochen wird. ausgeteilt werden. Dieses Phänomen » positiven jedenfalls werde es vermeiden diese im Fließtext zu irrtümlich › I.‹ 3 nannte (ich frage mich, warum wir konstante existiere, die der Kultur der ander- Rassismus « zu nennen, ist fatal, denn was sollte erwähnen – und ich werde nicht sprachlos werden um seinen Irrtum wissen und doch noch immer en (fremden) nahezu Woher kommt das? an Rassismus positiv sein? Immer, wenn davon und immer dort, wo es passt, alternativ widerstän- das I-Wort gebrauchen); also, jene Menschen, die reflexhaft feindselig be- gegnet. Wie lässt sich das erklären? ausgegangen wird, dass Menschen nach › Rassen ‹ dige Begriffe verwenden. er irrtümlich mit diesem rassistischen Label ver- unterteilt werden können, stehen wir mitten im sah, wurden in den nachfolgenden Jahrhunderten [3] Ich sehe eine gewichtige Ursache darin, dass Ras- Rassismus. Deswegen ist es kontraproduktiv, wenn WAS IST RASSISMUS? genozidal vernichtet. Kaum zehn Prozent überleb- › Indianer ‹ sismus in Deutschland mit dem Nationalsozialis- Proteste gegen die sogenannten » Ausländer- und Wer, Wo, Wann, Warum und Wie sind nicht ten diesen Terror. Bartholomé de las Casas gehört mus gleichgesetzt wird – sowie mit jenen, die sich Fremdenfeindlichkeit « ausgerechnet diese Grund- nur typische Fragewörter an historische Quel- zu den ersten, die massive Kritik an dieser Gewalt bewusst in seine Tradition stellen. In diesem Sin- annahme unangefochten stehen lassen. Zum ande- len, sondern auch Grundfragen zur Erfassung üben. Es ist eine tragische Wende der Geschichte, ne ist der Rassismus ein Bündnis des Bösen, von ren geht es ja nicht darum, dass alle Ausländer_in- von Rassismus : Wer hat Rassismus wann, wo, dass es ausgerechnet dieser Streiter für Menschen- dem sich gutmeinende Weiße distanzieren. Das nen bedroht seien. Weiße Brit_innen etwa sind warum und wie erfunden? Aber auch : Wer pro- rechte für die › First Nations ‹ war (so ein zeitgemä- geschieht aber häufig ohne eine dezidierte Ausei- nicht betroffen, türkische Deutsche aber schon, fitiert vom Rassismus und wird durch ihn privi- ßer Begriff, der das I-Wort ersetzt), der dazu bei- nandersetzung damit, was der Rassismus eigent- obgleich sie gar keine Ausländer_innen sind, son- legiert – und wer nicht? trug, die Idee zu popularisieren, Afrikaner_innen lich ist. Dabei gerät ziemlich schnell außer Acht, dern deutsche Pässe und Geburtsorte besitzen. Als in die Amerikas zu verschleppen und zu versklaven. dass Rechtsextremismus und Nationalsozialismus › Fremde ‹ erscheinen sie allein jenen, die, aus einer Zunächst zum › Wer ‹ und › Wo ‹ beginnend mit der 1510 erfolgten die ersten Deportationen von Afri- nur die Spitze des Eisberges darstellen. Wird der weißen Perspektive heraus, eine klare Vorstellung Frage : » Wer hat Rassismus wo erfunden? « – Weiße kaner_innen in die Karibik. 14 P E R S P E K T I V WEC H SEL W EN N R AS S I S M US AUS WO RT EN S P R I C H T 15
BE I TRÄG E W EN N R AS S I S M US AUS WO RT EN S P R ICHT › Menschenrassen ‹ wurden er- Da diese Menschen nicht gezählt, sondern wie Vieh gewogen und in Lagern und auf Schiffen grausam gehörte zu deren täglichen Gewalt-Vergnügungen. Die horrende Sterberate wurde nicht einfach nur das als dem Weißsein inhärent verstanden wird, als vermeintlich naturgegebene Normalität hinge- [4] Ich spreche von den funden um zu postulieren, zusammengepfercht worden waren, gibt es keine genauen Zahlen darüber, wie viele Afrikaner_innen billigend in Kauf genommen, sondern von vornhe- rein einkalkuliert. So wurde der Atlantik Zeuge und stellt, und zwar um eigene Ansprüche auf Herr- schaft, Macht und Privilegien zu legitimieren und Amerikas und ver- meide es konsequent, von den USA als dass es zum einen Menschen insgesamt zu versklavten Menschen gemacht wur- den – ich spreche von versklavten Menschen, denn Schauplatz zahlloser Verbrechen und ein Massen- grab geschundener Körper und Seelen. zu sichern. Und jetzt zum › Wie ‹ : Wie vollzieht sich das Amerika zu sprechen, denn das würde ja bedeuten, die beiden gab, und zwar seien dies das Wort › Sklave ‹ verschleiert, dass diese Men- schen ja erst versklavt wurden; es blendet aus, dass Ich kann es nicht über mich bringen, dieses Ge- genau? Die britische Sozialanthropologin Mary Douglas betonte schon vor Jahrzehnten, jedes Se- Kontinente bestün- den nur aus den USA. die Weißen, und zum anderen Menschen dafür verantwortlich sind, dass Men- schen zu Sklaven gemacht werden. Historiker_in- waltverbrechen als › Sklavenhandel ‹ zu bezeichnen. Das Wort heute im Munde zu führen, scheint mir hen des menschlichen Körpers besitze eine soziale Dimension. Das bedeutet, ohne das Verlangen so- [5] Welche Kriterien an- die › Anderen ‹, die › nicht- nen gehen davon aus, dass zwischen dem frühen 16. Jahrhundert und 1867 bis zu 30 Millionen Afrika- die perfide Logik zu bestätigen, dass Menschen zu einer Ware werden können; außerdem blendet ziale Hierarchien und Grenzen herzustellen, be- stünde nicht das Interesse, körperliche Grenzen gelegt werden, um körperliche Unterschie- de zu zementieren, weiß ‹ waren und bestenfalls ner_innen von Europa versklavt wurden, wobei nur geschätzte 12 Millionen in den Amerikas ankamen.4 es aus, dass diese Menschen nicht schon immer › Sklaven ‹ waren, sondern erst versklavt wurden. zu erfinden. Dieses Prinzip liegt auch dem Ras- sismus zu Grunde. Im Zentrum der Ideologie des folgt keineswegs reiner Willkür. Vielmehr ist die betreffende Logik Fast-Menschen. Als kons- Millionen versklavter Afrikaner_innen starben be- reits auf dem Weg aus dem Landesinneren an die Ich spreche deswegen von europäischer Verskla- vung afrikanischer Menschen. Auch die in den Rassismus steht die Erfindung von körperlichen Unterschieden, die es erlauben, die Existenz von einem ökonomischen und politischen Macht- streben verpflichtet. truiertes Bindeglied zwischen Küsten, oft weil sie sich widersetzten und dabei verletzt oder getötet wurden. An den Küsten wur- USA gängigen Begriffe Black Holocaust oder Maafa (das Swahili Word für Desaster) sind angemessen. › Menschenrassen ‹ zu postulieren. Dabei werden aus einer Vielzahl möglicher körperlicher Merk- Entscheidend ist zudem, dass die so gewählten Unterschiede (und die Mensch und Tier wurden den Festungen gebaut, in denen die Verschleppten oft Monate lang in dunklen, kalten und feuchten Hinzu kommt, dass der Begriff der › Middle Passa- ge ‹ jene Grauen überdeckt, die die etwa zweimona- male einzelne herausgenommen und zu Bündeln geschnürt, die vermeintlich naturgegebene Anti- diesbezüglichen Kri- terien) als › natürlich gegebene ‹ Marker sie als so › anders ‹ konstruiert, Gruften buchstäblich gestapelt wurden. Krankhei- ten wüteten und kosteten Millionen Menschen das tigen Zwangsüberfahrten zwischen Afrika und den Amerikas ausmachten. thesen repräsentieren und angeblich relevante Un- terscheidungsmerkmale bilden.5 der Differenz erklärt werden, wodurch negiert wird, das sie dass es gerechtfertigt er- Leben. Diese grausamen Lebensbedingungen ha- ben gar nichts mit einem Schloss oder einer Burg Doch zurück zur Frage, warum die Europäer › Rassen ‹ erfanden : Genozid und Verschleppung, Eine der gewichtigsten solcher Grenzziehun- gen ist jene entlang von › Hautfarben ‹, die feder- menschengemacht und historisch gewor- den sind. schien, gegenüber Hunderten zu tun und doch werden diese Festungen oft im zynischen Kolonialjargon › slave castles ‹ genannt. Raub an Leben, Land und Reichtümern – all dies widersprach den Grundprinzipien von Humanis- führend für die Etablierung des Konzeptes › Men- schenrassen ‹ als Fundament des Rassismus war. Aus [6] Gesellschaften auf der gan- Denn es waren keine Schlösser, sondern Konzent- rationslager und sollten zumindest Festungen oder mus bis Aufklärung, also Freiheit und Demokratie, Gerechtigkeit und Gleichheit, Menschenrechten allen möglichen Nuancierungen zwischen rosa, oli- ve und diversen Beige- und Brauntönen › Weiße ‹, Ich spreche von den Seshadri-Crooks, Kalpana. Desiring Whiteness. zen Welt Gewalt auszuüben. Lager genannt werden. und -würde. Genaugenommen war dies auch nach damaligen Kriterien › böse ‹ – es sei denn, ja, und › Gelbe ‹, › Schwarze ‹ oder › Rote ‹ zu destillieren (wie es ja konkret geschah) bedarf eines Abstrak- A Lacanian Analysis of Race. London, New York: Routledge, 2000: 5. Geschätzte 18 Millionen Afrikaner_innen wurden das ist die perfide Grundlogik des Rassismus, bei tionsprozesses, der aus allen möglichen Schattie- durch schmale Pforten auf die Schiffe getrieben, den Kolonisierten und Versklavten handele es sich rungen von Haut die Farben schwarz, weiß, gelb die sie in die Amerikas bringen sollten. Dass diese gar nicht um Menschen. oder rot heraus zoomt. Im Kern bleibt festzuhalten : Pforten › gate of no return ‹ genannt werden, spie- Hier liegt des Pudels Kern. Aus diesem Grund Hautfarbe ist eine Erfindung des Rassismus oder, gelt wider, was die Afrikaner_innen erwartete. Heu- wurde aus dem Tier- und Pflanzenreich die Katego- um die Kulturwissenschaftlerin Kalpana Seshad- te wird davon gesprochen, dass möglicherweise rie › Rasse ‹ auf Menschen übertragen. › Menschen- ri-Crooks zu zitieren : »We believe in the factua- bis zu sechs Millionen Menschen bereits während rassen ‹ wurden erfunden um zu postulieren, dass lity of difference in order to see it « .6 Mit anderen dieser qualvollen Zwangsüberfahrt starben. Ge- es zum einen Menschen gab, und zwar seien dies Worten : Wir sehen › Hautfarben ‹, weil der Ras- brandmarkt wie Tiere und gewogen wie eine Ware die Weißen, und zum anderen die › Anderen ‹, die sismus dieses Sehen erfunden und in Wissen ver- wurden die Afrikaner_innen nackt und in Ketten › nicht-weiß ‹ waren und bestenfalls Fast-Menschen. wandelt hat. Natürlich tritt menschliche Haut in auf die Schiffe getrieben. Manche mussten sitzen, Als konstruiertes Bindeglied zwischen Mensch und unterschiedlichen Farbtönen auf. Natürlich könnte andere auf der Seite liegen. Sie wurden gezwun- Tier wurden sie als so › anders ‹ konstruiert, dass man Menschen so › anordnen ‹, dass ihr Teint immer gen inmitten von Urin, Fäkalien und Blut sowie es gerechtfertigt erschien, gegenüber Hunderten heller bzw. dunkler wird. Jedoch ist es ein Ding der Maden, Ratten, Bakterien und Viren zu überleben. Gesellschaften auf der ganzen Welt Gewalt auszu- Unmöglichkeit, eine klar benennbare Trennlinie zu Viele erkrankten und wurden oft noch lebend in üben. Die Botschaft war so simpel wie fatal. Es gibt ziehen und einen Farbteint zu benennen, der einen den Ozean geworfen. Andere flüchteten freiwillig › Menschenrassen ‹ und die › weiße Rasse ‹ sei allen Menschen › gerade noch ‹ bzw. › nicht mehr ‹ weiß in den Tod, manche schafften es, zu rebellieren und anderen › Rassen ‹ überlegen. Im (Gründungs-) oder Schwarz sein lässt. bezahlten dies mit Folter und Tod. Gewalt war die Kern geht es dem Rassismus um folgende These : Die so erfundenen Unterschiede werden als Sprache der weißen Besatzung, Vergewaltigung Die › weiße Rasse ‹ wird mitsamt des Christentums, vermeintlich natürlich gegebene körperliche 16 P E R S P E K T I V WEC HSEL W EN N R AS S I S M US AUS WO RT EN S P R I C H T 17
BE I TRÄG E W EN N R AS S I S M US AUS WO RT EN S P R ICHT [7] Unterschiede postuliert. Hat man erstmal diese Kampf um die Bedeutung von › Rasse ‹ zu führen, Memmi, Albert. Rassismus. Unterschiede konstruiert, so werden sie (wie der um sich diesen Begriff aus anti-rassistischer Sicht Frankfurt/M.: Europäi- sche Verlagsanstalt 1987 Schriftsteller und Rassismusforscher Albert Mem- anzueignen. Deswegen schlägt der deutsche Lite- (Erstveröffentlichung auf mi ausführt) interpretiert. Dazu werden ihnen raturwissenschaftler eine doppelte Denkbewegung Französisch 1982): 164-178. bestimmte soziale, kulturelle und religiöse Eigen- vor. Von › Rasse ‹ als biologischem Konstrukt führt [8] schaften und Verhaltensmuster zugeschrieben. Die sie weg und zwar hin zu Rasse als sozialer Positi- Vgl.: C'est très auf diese Weise hergestellten Unterschiede werden on. Er bezeichnet diese Denkbewegung als › racial exactement la réalité de la dann verallgemeinert, verabsolutiert, hierarchisiert turn ‹, und sie schließt ein, Rasse als kritische Wis- race. Cela n'existe pas. Cela produit pourtant des und ebenfalls – und zwar aus einer Machtposition senskategorie zu etablieren.9 morts. Guillaumin, heraus – als naturgegeben deklariert.7 Für mich beinhaltet der › racial turn ‹ auf einer Collette. Sexe, race et pra- tique du pouvoir. Paris: Dies war die Rezeptur, um Menschen nach zweiten Ebene zudem einen gewichtigen Perspek- Côté-femmes, 1992: 7. › Rassen ‹ zu klassifizieren – ein Unterfangen, das tivwechsel in der Rassismusforschung. Ihm hat dem europäischen Streben folgte, koloniale Ver- Toni Morrison 1992 mit ihrem Buch › Playing in [9] brechen an Millionen von People of Colour zu the Dark ‹ Gehör verschafft. Die afroamerikanische Raman, Shankar. The Racial Turn: › Race ‹, Post- rechtfertigen. Sie wurden als nicht-weiß und damit Nobelpreisträgerin weist darauf hin, dass Rassis- kolonialität, Literatur- unterlegen, dem Weißsein unterlegen, positioniert. musanalysen im weißen akademischen Mainstream wissenschaft,In: Miltos Pechlivanos, Stefan Rieger, Damit noch mal zurück zum › Wer ‹ : Wer wird von die Tendenz haben, allein über Schwarze und Peo- Wolfgang Struck und wem rassistisch diskriminiert? People of Colour ple of Colour zu sprechen. Dabei entstehe dann Michael Weitz (Hrsg.): Ein- führung in die Literatur- werden von Weißen rassistisch diskriminiert, bei schnell der Eindruck, Rassismus sei (allein) eine wissenschaft. Stuttgart einer entgegengesetzt angelegten Diskriminierung Angelegenheit von Schwarzen – und Weiße seien 1995, S. 241-255, hier 255. handelt es sich nicht um Rassismus. diesbezüglich » neutral «, so, als hätten sie damit [10] Das Gesagte resümierend komme ich zu (m)ei- nichts zu tun. Insofern es Weiße sind, die Rassis- Morrison, Toni. Playing in ner Definition : Rassismus ist der Glaube daran, mus erfunden haben, hält es Morrison für unver- the Dark.Whiteness and dass Menschen biologisch nach › Rassen ‹ unterteilt zichtbar, » die Auswirkung von Ideen rassischer the Literary Imagination. Cambridge, Mass.: werden können. Dabei verbindet sich das histori- Hierarchie, rassischer Ausgrenzung und rassischer Harvard UP 1992: 11. sche Interesse daran, diesen Mythos am Leben zu Verletzbarkeit und Verfügbarkeit auf Nichtschwar- erhalten mit der Macht, ihn global wirkmächtig ze zu untersuchen, die diese Ideen vertreten haben [11] und irreversibel zu machen. Bei Rassismus han- oder ihnen widerstanden, sie erkundeten oder sie Hooks, Bell. Representa- tions of Whiteness In: delt es sich um ein paneuropäisches Projekt der veränderten. « 10 Dies: Black Looks. Race and Erfindung von Menschen› rassen ‹, bei dem es im Representation. Boston: South End Press, 1992, Kern darum geht, Europa und das ihm einverleibte Morrison moniert, dass es unter Weißen oft als ge- S. 165-178; hier S. 167-168. Christentum als weiß und überlegen zu konstruie- neröse und liberale Geste gilt, nicht über › Rasse ‹ ren, um weiße Macht herzustellen und zu garantie- zu sprechen. Die Schriftstellerin nennt dieses oft ren. Weiße haben sich vermittels des Rassismus die als » colour-blindness « oder » myth of sameness « 11 Welt passförmig gemacht, um sie zu beherrschen. bezeichnete Handeln » evasion « bzw. Vermeidung. Rassismus ist daher white supremacy, eine weiße Sich nicht im System des Rassismus verorten zu [12] Herrschaftsform. Rassismus hat sich von jeher als müssen, ist jedoch ein Privileg, das der Rassismus Frankenberg, Ruth (Hrsg.). und im Orientalismus, Antisemitismus, Afrikanis- nur Weißen gibt – eine Option, die People of Color Displacing Whiteness. Essays in Social and Cultural mus und Antiziganismus ausdifferenziert. Diese nicht leben können. Wenn Weißsein ignoriert oder Criticism. Formen des Rassismus unterscheiden sich, weisen für das eigene Leben nicht relevant eingestuft wird, Durham, London 1997. aber eine gemeinsame strukturelle und diskursive werden zugleich auch die sozialen Positionen, Pri- Schnittmenge auf. vilegien, Hegemonien und Rhetoriken verleugnet, [13] Wachendorfer, Ursula. die daran gebunden sind. Weißsein behält dadurch Weiß-Sein in Deutschland. DER RACIAL TURN seinen Status als universaler, » unmarkierter Mar- Zur Unsichtbarkeit einer herrschenden Normalität.In: » Rassen gibt es nicht «, schreibt die feministische kierer « 12 und » unsichtbar herrschende Normali- Arndt, Susan (Hrsg.): Afrika Soziologin Collette Guillaumin, » und doch töten tät « 13 bei. Bilder. Studien zu Rassismus in Deutschland. Münster: sie «.8 Denn der Glaube, dass es › Rassen ‹ gäbe, Vor diesem Hintergrund ist das Ignorieren Unrast, 2001, S. 87-101. der Rassismus also, ist präsent, bis heute. Shankar von » Hautfarben «, so paradox das klingen mag, Raman glaubt daher, dass es notwendig ist, einen auch keine Lösung. Der Rassismus kategorisiert, 18 P E R S P E K T I V WEC HSEL W EN N R AS S I S M US AUS WO RT EN S P R I C H T 19
BE I TRÄG E W EN N R AS S I S M US AUS WO RT EN S P R ICHT [14] markiert und positioniert Menschen – u.a. mit Hil- v. Chr. zur Konstruktion einer kulturellen Diffe- Damit kommt Weißsein auch das Potenzial zu, rigkeiten verschränkten, lässt sich exemplarisch in [16] Frankenberg, Ruth (Hrsg.). fe von › Hautfarben ‹ – als Diskriminierte, Fremd- renz zwischen › Griechen ‹ und › Nicht-Griechen ‹, schön, tugendsam und vergeistlicht zu sein. Eine Wolfram von Eschenbachs Parzival aus dem frühen Der Begriff leitet sich her Displacing Whiteness. Es- aus barbarophonus und says in Social and Cultural markierte und Entmachtete oder eben als Diskri- von Ersteren zumeist als › Barbaren ‹ bezeichnet.16 solche Ambivalenz gab es bezüglich der Verortung 12. Jahrhundert nachvollziehen. damit den so genannten Criticism. Durham, London minierende, Markierende und Privilegierte des Um Kulturen geopolitisch zu verorten und zu von Schwarzen nicht. So bedeutet etwa Äthio- Parzival, Wolfram von Eschenbachs berühmter › Brr Brr Sprecher_in- 1997: v. nen ‹; hier dokumentiert Rassismus. Das passiert zumeist unabhängig vom hierarchisieren, spielten Klimatheorien eine ent- pier_innen, als griechische Vokabel zur Bezeich- Gralssucher, hatte einen Halbbruder namens Feire- sich die Perspektive der [15] individuellem Wollen und losgelöst davon, ob je- scheidende Rolle. Es ist dieses Paradigma, das die nung aller Afrikaner_innen, die keine Ägypter_in- fiz, gezeugt von ihrem gemeinsamen Vater Gahmu- Griech_innen, die andere Sprachen als die eigene Das Gewordensein, ge- mand Rassismus befürwortet oder ablehnt. Rassis- erste bekannte Theorie der Sklaverei rahmt, die nen sind, übersetzt : » Menschen mit verbrannten ret und Belacane, einer Königin, die wiederholt als nicht verstanden. genwärtige Wissen mus existiert und in seinem System stellt Weißsein, Aristoteles im 4. Jh. v. Chr. in Politeia entwickelt. Gesichtern «. Dies korreliert mit der These, dass Schwarze markiert wird. Die beiden verband » süe- und künftige Wirken von Weißsein als sozialer wie Ruth Frankenberg betont, eine » soziokultu- Aristoteles war als Lehrer Alexanders des Großen das heiße Klima Haar und Hirn dieser Menschen zer minne « [süße Liebe].20 Dies könnte die Auffas- [17] Position im Rassismus relle Währungseinheit « 14 dar, die privilegiert. Re- bestrebt, dessen Eroberungszüge sowie die griechi- ausgetrocknet habe und sie deswegen mental und sung bestätigen, dass › Hautfarben ‹ im Mittelalter Aristoteles. Politik. steht im Zentrum der München: dtv, 1984: I.6: Kritischen Weißseinsfor- lativierungen wie Verstärkungen der Macht und sche Ausgrenzungspraxis gegenüber den › Anderen ‹ kulturell unterlegen, ja, animalisch seien.19 noch nicht als symbolische Marker von Differenz 1254a, S. 52. schung. Weißsein wird Privilegien, die Weißsein in petto hat, ergeben sich philosophisch und politikberatend zu unterlegen. Dieses in der griechischen Antike akkumulierte galten. Doch nur zwei Verse später wird genau die- hier, und zwar innerhalb von Rasse als Analyse- daraus, dass sich Weißsein mit anderen Strukturka- So argumentiert er etwa, dass Sklaverei naturge- Wissen lässt sich (noch) nicht an die Kategorie der se › Ungleichheit ‹ als Vokabel aufgerufen, wenn es [18] kategorie und komple- tegorien wie etwa Sexualität, Geschlecht, Nationa- geben und gerecht sei. › Rasse ‹ binden. Und doch ist es eben dieses Wis- heißt : » ungelîch war doch ir zweier hût « 21 [doch Aristoteles. Politik. mentär zu Schwarzsein, München: dtv, 1984: I.4: zur kritischen Wissens- lität, Bildung, Religion, Mobilität oder Gesundheit Die Verbindung von Männlichem und Weib- sen, dass körperliche Unterschiede soziale, men- die Farbe ihrer beider Haut war verschieden]. Und 1254b, S. 54. kategorie. Sie findet An- verschränkt. Doch diese Relativierungen resultie- lichem sei ein für die Fortpflanzung unverzicht- tale und religiöse Differenzen transportieren und tatsächlich findet die » s[zß]werze « [das Schwarz- wendung in der Analy- ren nie in einem gänzlichen Verlust von Weißsein. bares naturgemäßes Streben. Analog dazu sei es damit Herrschaft und Sklaverei legitimierten, das sein] Belacanes aus der Erzählperspektive viel Be- [19] se gesellschaftlicher und Vgl.: Isaac, Benjamin. politischer Prozesse Auch wenn Weißsein damit dynamisch und flexibel der Lebenserhaltung wegen erforderlich, dass sich Theoreme bereitstellte, welche in den nachfolgen- achtung, wobei es dem Weißsein (von Parzival und The Invention of Racism in sowie deren sprachlicher, fiktionaler wie medialer ist, bedeutet das jedoch nicht, dass es individuellen einiges » gleich von Geburt an « trennt, » das eine den Jahrhunderten zur Formierung von › Rasse ‹ seiner Mutter Herzeloyde) gegenüber gestellt wird. Classical Antiquity. Princeton and Oxford: Repräsentation. Im Kern Spielräumen obliegt, das eigene Weißsein abzule- zum Dienen, das andere zum Herrschen. « 17 Da- als Instrumentarium der Klassifizierung von Men- Princeton University Press, geht es um die Frage: Wie haben Weißsein im gen. Als systemische Position ist Weißsein keine bei kommt er zu dem letztlich nicht unerwarteten schen führte. Das Sehen von › Hautfarbe ‹ war von Eschenbach 2004: 185, 226 – 251, 365. Besonderen und Rassis- Weltanschauung, sondern eine Machtposition und Schluss, dass die Griech_innen dazu auserwählt sei- Mit dem Erstarken des Christentums erhalten also geläufig. Welche Bedeutung aber kommt ihr [20] mus im Allgemeinen der europäischen Versklavung als solche ein kollektives Erbe des Rassismus und en, Nicht-Griech_innen zu versklaven. Das sei den antike › Hautfarbensymboliken ‹ eine neue Bedeu- in seinem Text zu? Eine Antwort findet sich in der Eschenbach, Wolfram von. afrikanischer Menschen auch am Werk, wenn Weiße es nicht bemerken Körpern auch eingeschrieben : » Die Natur hat die tung und Gewichtigkeit. Dabei kommt es zwischen Szene, in der Gahmuret (die schwangere) Belacane Parzival. I. 1-8. Stuttgart: und dem Kolonialismus Reclam, 2004 I.1 44 28. als ideologisches Schwert (wollen). Tendenz, auch die Körper der Freien und Sklaven der christlichen Farbsymbolik und Theoremen verlässt. Er versichert ihr, dass dies etwas mit ih- und Schild gedient? Es geht hierbei nicht um Schuldzuschreibun- verschieden zu gestalten, die einen kräftig für die von › Hautfarbe ‹ zu komplexen Synergieeffekten. rem » (Nicht-)Glauben « zu tun habe – nicht aber [21] Wie haben Rassismus und sein Kerntheorem Weiß- gen, wie einige oft glauben, wenn sie sich verärgert Beschaffung des Notwendigen, die anderen aufge- In der christlichen Religion gilt Weiß als Farbe mit ihrer » swerze «.22 Doch warum bringt er ihr Eschenbach, Wolfram von. Parzival. I. 1-8. Stuttgart: sein im Kolonialismus und persönlich diffamiert fühlen. Es geht darum, an- richtet und ungeeignet für derartige Verrichtungen, des Göttlichen und seiner Engel, des Himmli- Schwarzsein dann überhaupt zur Sprache? Ge- Reclam, 2004 I.1 44 30. darüber hinaus die Welt geprägt – diskursiv und zuerkennen, dass Rassismus – analog zum Patriar- doch brauchbar für das politische Leben. « 18 schen und seiner Transparenz, von Unschuld und nau dieses » es macht mir ja gar nichts aus, dass strukturell, in Vergangen- chat im Falle der Geschlechterkonzeptionen – ein Zwar wird › Hautfarbe ‹ in diesem Zusammen- Jungfräulichkeit. Schwarz verkörpert dagegen das du Schwarz bist «, zeigt, es ist bedeutsam – und [22] heit, Gegenwart und für die Zukunft? Wie kön- komplexes Netzwerk an Strukturen und Wissen hang nicht als primärer Marker von Differenz Monströse des Teufels und die Untiefen der Hölle zwar eben auch als symbolischer Ort für religiöse Vgl.: Eschenbach, Wolfram von. Parzival. I. 1-8. nen diese Diskurse und hervorgebracht hat, das uns – im globalen Maß- bemüht. Allerdings scheiden sich » Freie « und – und damit Sünde und Schande, Ungehorsam und Differenz. Während » swerze « eindeutig mit dem Stuttgart: Reclam, 2004: Strukturen benannt, her- ausgefordert und gewen- stab – sozialisiert und prägt. Dabei ist Wissen in » Barbaren « eben auch an der › Hautfarbe ‹. Das Schuld. Analog dazu wird weiß auch allgemein als verschränkt ist, was von Eschenbach als » Heiden- I.2 94 11-15. det werden? meiner Lesart weder absolut, wahr und unverän- griechische Wort für die › Hautfarbe ‹, andreíkelon, ist schön, rein und tugendsam konzipiert und Schwarz tum « bezeichnet und im Fall Belacanes als Islam derbar, sondern historisch gewachsen, von Macht wortgenau als » wie ein Mann « zu übersetzen. Das als Farbe des Hässlichen, Bösen und Unheils. Die zu lesen ist, erfolgen analoge Gleichsetzungen von formiert sowie dynamisch und subjektiv. 15 Dies soll bedeutet im Umkehrschluss auch, dass ein Mensch dieser Symbolik eingeschriebene Hierarchisierung Weißsein und Christentum nur indirekt. Herzelo- im Folgenden kursorisch mit Blick auf Aspekte der ohne andreíkelon kein Mensch sei. Wer andreíkelon macht es aus der Sicht des christlichen Europas ydes Hände werden als » linden handen wîz « [wei- europäischen Kultur- und Literaturgeschichte be- besitze, stehe klimatisch wie geographisch begrün- zu einem naheliegenden Schritt, › Hautfarben ‹ neu che, weiße Hände] und » lac der gotes vlîz« [ wahres trachtet werden. det im Zentrum und sei folgerichtig kulturell und aufzurastern. Zwar werden antike Klimatheorien Meisterwerk Gottes] beschrieben. Metaphorisch mental überlegen. Wer kein andreíkelon besitze, sei bemüht, doch nunmehr, um Weißsein, als Symbol wird ihr Weißsein, an die christliche Symbolik von EINE KURZE GESCHICHTE DES als Bewohner_in klimatischer und geographischer für das Christentum und seinen geopolitischen Ort, Licht anknüpfend, also darüber markiert, dass sie RASSISMUS-WISSENS Extreme › Barbar_in ‹, sprich geboren, um Sklav_in das metaphorische Europa, als überlegen zu positi- in Helligkeit erstrahlt. Als das Konzept der › Rassen ‹ aus dem Tier- und zu sein. Das betrifft Schwarze wie Weiße. Weißsein onieren – und zwar als Antithese zum Schwarzsein, Pflanzenreich im ausgehenden 16. Jahrhundert auf kommt dabei jedoch eine variable › Hautfarben ‹ po- das (regional) für den › Orient ‹ und /oder Afrika Wie bedeutsam die Differenz von › Hautfarben ‹ Menschen übertragen wird, geschieht dies in Rück- sition zu. Nicht nur › Perser_innen ‹ und Skythen steht sowie (religiös) für das Judentum, den Islam für von Eschenbachs Text ist, zeigt sich daran, dass griff auf Theoreme, die bereits in der Antike ihre sowie andere Bewohner_innen des extremen Nor- und andere nicht-christliche Religionen. Dass die das Kind, das Belacane, kurz nachdem Gahmu- Anfänge nehmen. Um Abgrenzungsprozesse zu dens hätten einen hellen Teint. Dieser gilt auch christliche Farbsymbolik Positionierungen von ret sie verlassen hat, zur Welt bringt, » zwiefar- legitimieren und im Kontext von Eroberungskrie- als charakteristisch für griechische Frauen und › Hautfarben ‹ prägte und sich diese wiederum mit ben « ist : » Haut « und » Haare « waren weiß und gen und Sklaverei kam es im 5. und 4. Jahrhundert Philosophen, deren Leben im Haus zentriert war. Markierungen von Religions- und Nationszugehö- schwarz gescheckt, heißt es, wie bei einer Elster. 20 P E R S P E K T I V WEC HSEL W EN N R AS S I S M US AUS WO RT EN S P R I C H T 21
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