Wie eine "unsichtbare Hand" nach der "Allmende" greift - Eine Kritik der Property-Rights-Theorie

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     Wie eine „unsichtbare Hand“ nach der
               „Allmende“ greift –
     Eine Kritik der Property-Rights-Theorie
                                             Dirk Löhr

1    Der theoretische Hintergrund der                 produzierbare Güter ohne Möglichkeit der Eigen-
     Privatisierungskampagne                          tumszurechnung) das Marktversagensproblem in
                                                      Gestalt einer unzureichenden Produktion auf, das
a) Das Property-Rights-Paradigma                      auf die sog. ‚Trittbrettfahrerproblematik’ oder das
   ‚Privatisierung’ heißt das Zauberwort. Es be-      sog. ‚Gefangenendilemma’ zurückgeführt wird. Als
gegnet uns bei der Umgestaltung der kommuna-          eine der wichtigsten Ursachen für derartiges
len Daseinsvorsorge, bei der ‚Liberalisierung’ des    Marktversagen sehen die Neoinstitutionalisten
Energiemarktes, bei der Ausweitung des Regimes        eine unzureichende Spezifikation von Eigentums-
der geistigen Eigentumsrechte (Intellectual Pro-      rechten an: Soweit die Kosten des Ausschlusses
perty Rights, fortan: „IPR“) etc. Es sind vor         bzw. die Transaktionskosten nicht prohibitiv
allem dem Mainstream zugehörige Ökonomen,             hoch sind, plädieren die Neoinstitutionalisten
die diese wirtschaftspolitische Richtung propa-       daher für die Zuweisung und Spezifizierung von
gieren. ‚Privatisierung’ ist die Antwort auf Markt-   Eigentumsrechten. 3 Posner formulierte im Jahre
versagensphänomene bei ‚öffentlichen Gütern’          1972 hinsichtlich der Gestaltung von Verfügungs-
(z.B. Sicherheit, Wissen, Gesundheit) und sog.        rechten folgende Kriterien für eine effiziente
‚Allmendegütern’ (natürliche Ressourcen ohne          Wirtschaftsordnung: 4
genau zugewiesene Eigentumsrechte wie gene-            Universalität, wonach (unter idealen Bedin-
tische Ressourcen, Fischbestände etc.). 1             gungen) alle Mittel in irgendjemandes Eigentum
   Im Unterschied zu privaten Gütern bestehen         stehen sollten;
weder an öffentlichen Gütern noch an sog. ‚All-        Ausschließlichkeit (Exklusivität): Der Ausschluss
mendegütern’ eindeutig zugewiesene Eigentums-         anderer Wirtschaftssubjekte durch die Inhaber
rechte. Sog. ‚Allmendegüter’ unterscheiden sich       der Eigentumsrechte soll möglich sein und
von öffentlichen Gütern dadurch, dass sich – im        Übertragbarkeit (also Handelbarkeit).
Falle zusätzlicher Nachfrage – die Konsumenten           Der genannte Ansatz ist mittlerweile nicht nur
gegenseitig in ihrem Konsumnutzen beeinträch-         das leitende umweltökonomische Paradigma. Die
tigen (Rivalität). Außerdem sind sog. ‚Allmende-      Hoffung auf mehr Effizienz durch Privatisierung
güter’ zumeist viel schwieriger zu reproduzieren      durchdringt sukzessive auch andere Bereiche der
oder zu substituieren als öffentliche Güter. Seit     Wirtschaftspolitik immer mehr. Er findet sich von
Hardin hielt allerdings eine Begriffsverwirrung in    der Privatisierung der Wasserversorgung (auch in
die Ökonomie Einzug: Die von ihm als „Allmende-       Industrieländern wie Großbritannien) bis hin zur
tragödie“ bezeichnete Übernutzungsproblematik         Aufoktroyierung wirtschaftspolitischer Maßnah-
ist in Wirklichkeit eine des „Open access“. 2 Dem-    men durch die Weltbank gegenüber Staaten der
entsprechend ist auch die gängige Bezeichnung         Dritten Welt. 5
‚Allmendegüter’ irreführend. Andererseits hat sie        Wir wollen nachfolgend einen analytischen
sich eingebürgert, weswegen wir vorliegend von        Rahmen skizzieren, der (in den Zeilen) im Sinne
„sogenannten ‚Allmendegütern’“ sprechen wollen.       von Idealtypen Privateigentum, Gemeineigentum
Anders als bei den sog. ‚Allmendegütern’ taucht       und Öffentliche Güter betrachtet, ohne auf die
bei ‚klassischen’ öffentlichen Gütern (als re-        vielfältigen Zwischenformen einzugehen (auch

Zeitschrift für Sozialökonomie 155/2007
Dirk Löhr: Wie eine „unsichtbare Hand“ nach der „Allmende“ greift                                   13

nicht: staatliches Eigentum). 6 Gleichzeitig wird    schen hergestellten Gegenstände den des „Pro-
(in den Spalten) Keynes´ Differenzierung zwi-        duktionsrahmens“. 8 Die untenstehende Abbildung
schen Gegenständen aufgegriffen, die bei ent-        illustriert das Schema anhand von Beispielen.
sprechender Änderung der Nachfrage leichter          Die Lücke zwischen den Spalten weist darauf
oder schwerer reproduziert oder regeneriert (Kri-    hin, dass realiter eine Vielzahl von Zwischen-
terium der Produktionselastizität) bzw. ersetzt      formen existiert.
(Kriterium der Substitutionselastizität) werden         In Feld (5) sollen durch die Privatisierung die
können. 7 Der skizzierte Analyserahmen deckt         Grenzkosten der Nutzung auf das Maß be-
sich nicht vollkommen mit der Beschreibung von       schränkt werden, das mit dem gesellschaftlichen
Rivalität bzw. Nicht-Rivalität, skizziert aber       Grenznutzen korrespondiert. In Feld (6) sollen
wichtige angebotsseitige Elemente dieses zur         mittels der Privatisierung soziale und private

 Beispiele                Begrenzt / schwer ersetzbar –             Vermehrbar / leicht ersetzbar –
                          Verbrauch / Rivalität                     kein Verbrauch / keine
                          Shiva: „Schöpfungsrahmen“                 Rivalität
                                                                    Shiva: „Produktionsrahmen“

 Ausschließbarkeit:       (1) „Gegenständliche                      (2) „Normale Investitions-
 Privateigentum           Privilegien“: Z.B. Geld, Grund            güter“: Z.B. Maschinen
                          und Boden, Patente, Geld,
                          CO2-Zertifikate (!), handelbare
                          Wasserrechte, Schürfrechte,
                          Förderrechte etc.
                          Auch: Natürliche Monopole /
                          netzgebundene Monopole
                          Problem: Privilegien

 Bedingte                 (3) Common property                       (4) Common pool
 Ausschließbarkeit
 Gemeineigentum /
 Common pool

 Keine                    (5) sog. „Allmendegüter“:                 (6) „Öffentliche Güter“: Wissen,
 Ausschließbarkeit:       Fischbestände, Genetischer                Sicherheit
 Open Access /            Pool (?), Wasser etc.
 öffentliche Güter                                                  Problem: Unzureichende
                          Problem: Übernutzung                      Produktion
                          („Allmendetragödie“)

                               Abb. 1: Analyserahmen und Beispiele 9

Beschreibung von öffentlichen Gütern oft be-         Grenznutzen in Übereinstimmung gebracht und
mühten Kriteriums. Für Gegenstände, die nicht        dadurch ein Anreiz für eine entsprechend hohe
von Menschenhand geschaffen wurden, verwen-          Produktion ehedem öffentlicher Güter gegeben
den wir den von Vandana Shiva geprägten Be-          werden. Über die Zuweisung von Eigentums-
griff des „Schöpfungsrahmens“, für die von Men-      rechten werden die ehemaligen Allmendegüter

                                                                Zeitschrift für Sozialökonomie 155/2007
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bzw. öffentlichen Güter zu privaten Gütern ge-        klusiv, also unter monopolistischen Bedingung-
macht; es findet eine Überführung von Feld (5)        en, zu verwerten.13 Auch der Inhaber eines Pa-
bzw. (6) in Feld (1) statt. Die Gegenstände in        tentes wird dieses nur auslizensieren, wenn er
Feld (1) könnten in Anlehnung an die „Essential       eine adäquate Kompensation für den Verlust sei-
facility“-Doktrin 10 auch als „Essential facilities   ner monopolistischen Verwertungsoption erhält.
im weiteren Sinne“ bezeichnet werden.                  Der Erwerber eines Ausbeutungsrechts für ein
                                                      Ölfeld kauft die Möglichkeit, nicht aber die Ver-
b) Optionen                                           pflichtung, innerhalb eines gewissen Zeitraumes
   Nachfolgend thematisieren wir nur Investi-         (Laufzeit der Option) die Exploitation vorzuneh-
tionsgüter, nicht aber Konsumgüter. Die ehedem        men. Auch der Inhaber eines Wasserrechts zahlt
öffentlich zugänglichen, nun durch die Zuwei-         für die Option, aber nicht die Verpflichtung, das
sung von „Property rights“ privatisierten „gegen-     Wasser zu fördern und Bevölkerung wie Wirt-
ständlichen Privilegien“ in Feld (1) sind noch        schaft zu versorgen. Auch hier erfolgt die Auf-
durch weitere Eigenschaften gekennzeichnet: Es        gabe der Flexibilität nur gegen eine adäquate
handelt sich i.d.R. um zukünftige reale Inves-        Kompensation; etc.
titions- oder Desinvestitionsmöglichkeiten 11, die
in mehrere Entscheidungsstufen zerfallen, also        c) Exkurs: Natürliche Monopole / netzge-
Realoptionen.12 Wie bei Finanzoptionen liegt          bundene Monopole
auch hier im einfachsten Fall (vgl. Call-Option)         Während die o.a. „gegenständlichen Privile-
eine als Optionsprämienzahlung zu verstehende         gien“ im Wesentlichen durch die Rechtsordnung
– relativ überschaubare – Erstinvestition und         verliehen werden (Zuweisung von Ausschließ-
eine als Ausübungspreiszahlung zu interpretie-        barkeitsrechten), sind „natürliche Monopole“ auf
rende – kapitalintensive – Folgeinvestition vor.      besondere Kostenstrukturen zurückzuführen. Die-
Der hieraus erwachsende Flexibilitätsvorteil hat      se bedingt die charakteristische „Subadditivität“
einen eigenständigen Wert. Dieser Wert wird nur       der Kosten. Die Erstinvestition (z.B. Netz) ist
gegen eine entsprechende Kompensation aufge-          durch hohe Investitionskosten mit „Sunk costs-
geben:                                                Eigenschaften“ gekennzeichnet; der Betrieb bzw.
 Geld ist eine universale Option, Zugriff auf        die damit verbundenen Folgeinvestitionen sind
andere Aktiva bzw. das Sozialprodukt auszuüben,       relativ gering, die Arbeitskosten nahezu kon-
wenn die Gelegenheit günstig erscheint. Die           stant.14 Dies führt u.a. zu sinkenden Durch-
Laufzeit der Option ist nicht beschränkt. Ver-        schnittskosten, weswegen ein einziger Anbieter
zichtet der Geldbesitzer auf den mit der Liqui-       den Markt am effizientesten bedienen könnte.
dität einhergehenden Optionsvorteil, fordert er       Durch diese Charakteristika werden kaum über-
im Gegenzug eine Liquiditätsverzichtsprämie ein.      windbare Markteintrittsbarrieren geschaffen. 15
 Der Erwerb eines unbebauten Vorratsgrund-           Ähnlich wie bei Optionen gibt auch ein natür-
stücks gibt z.B. einem gewerblichen Investor          liches Monopol dem Inhaber die Möglichkeit,
die Chance (aber nicht die Pflicht!), bei guter       aber nicht die Pflicht, dieses der Nutzung zuzu-
wirtschaftlicher Entwicklung eine Betriebser-         führen (z.B. Schienennetz). Aus Raumgründen
weiterung vorzunehmen. Bei Bebauung eines             wird hier das Thema des natürlichen Monopols
Grundstücks begibt sich der Eigentümer aller          nicht weiter erörtert. Dem Verfasser war die Ein-
sonstigen Möglichkeiten. Viele Grundstückssach-       ordnung dieses Aspektes aber deswegen wichtig,
verständige und maßgebliche Stimmen in der            weil die freiwirtschaftliche Geld- und Boden-
Literatur belegen daher den Wert bebauten Grund       reform nicht nur eng als Geldtheorie, sondern
und Bodens mit einem Abschlag (für den Verlust        als eine gegen Monopole (in einem weiten Ver-
des strategischen Nutzens).                           ständnis) gerichtete Theorie verstanden werden
 Genauso erwirbt der Inhaber eines Patent-           kann.
rechts mit der Anmeldung das Recht, eine Er-
findung während der Laufzeit des Patentes ex-

Zeitschrift für Sozialökonomie 155/2007
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d)   Reduktionismus                                  Antikarov 17 ist mit sehr vielen Investitions-
   Die Neoklassik und ihr Nachfahre, die Property-   strategien ein Optionsnutzen verbunden. Der Ge-
Rights-Theorie haben eine Reihe von Gemein-          samtwert eines Projektes kalkuliert sich daher
samkeiten mit dem Marxismus. Beide differen-         aus dem („passiven“) Kapitalwert und einem
zieren unzureichend zwischen den verschiedenen       „Aufpreis“ für den strategischen Nutzen. Inso-
Vermögensgegenständen und den passenden              weit kann die Kalkulation eines Investments als
eigentumsrechtlichen Regimes:                        Option der allgemeine Fall der Investitions-
 Hinsichtlich der Felder (1) und (2) hatten die     rechnung interpretiert werden. Die Barwertkal-
klassischen Ökonomen noch mit der Unterschei-        kulation hingegen ist lediglich als ein Spezial-
dung zwischen Produktionsfaktoren Boden und          oder Randfall anzusehen, der sich bei vollkom-
Kapital (neben Arbeit) differenziert. Ausgehend      menem Fehlen strategischen Nutzens ergibt. Der
von der Neoklassik warf die ‚moderne’ Ökono-         strategische Nutzen kann bei der einen Inves-
mie Boden (Feld (1)) und Kapital (Feld (2))          tition höher, bei der anderen niedriger zu bewer-
dann in einen Topf. Moderne Lehrbücher der           ten sein, die (binäre) Frage nach „vorhanden“
Mikroökonomie und die entsprechenden Modelle         oder „nicht vorhanden“ wäre falsch gestellt.
sprechen nur noch von den Produktionsfaktoren        Optionen sind also ein ubiquitäres Phänomen;
Kapital und Arbeit. Damit werden jedoch ele-         sie tauchen an vielen Stellen des Wirtschafts-
mentare Unterschiede in den Wirkungsweisen in        lebens auf.
Feld (1) und (2) vernebelt: Taucht neue Nach-           Im einzelwirtschaftlichen Portfolio vermitteln
frage auf, führt dies zu Extragewinnen. Die          derartige Optionen vorteilhafte Möglichkeiten
Folge: In Feld (2) treten neue Anbieter in den       zur Absicherung gegen Unwägbarkeiten. Volks-
Markt ein, die Extragewinne werden am Ende auf       wirtschaftlich sind sie allerdings nicht immer so
ein ‚normales Maß’ herunterkonkurriert. In Feld      eindeutig vorteilhaft zu sehen. Optionen ge-
(1) hingegen kann es zu keinen Markteintritten       währen dem Inhaber die Möglichkeit der Verwer-
kommen. Es steigt lediglich die Rente an, die        tung (passiver Kapitalwert übersteigt den Wert
dem Eigentümer der Ressource zufällt. Die Folge:     des strategischen Nutzens) oder der Blockade
Es kommt nachhaltig zu einer Umverteilung. Die       (der Wert des strategischen Nutzens übersteigt
zeitgenössische Ökonomie begeht mit der unter-       den passiven Kapitalwert):
lassenen Unterscheidung zwischen vermehrbaren         Der Verwertungsfall ist bedenklich, wenn die
(Feld (2)) und unvermehrbaren (Feld (1)) Ge-         Verwertung unter monopolistischen Bedingungen
genständen in den Feldern (1) und (2) densel-        geschieht (aufgrund eines natürlichen Monopols,
ben Fehler wie Marx – allerdings mit umgekehr-       wie z.B. bei Netzbetreibern, oder aufgrund ei-
tem Vorzeichen.16 Das eine wie das andere ist je-    nes rechtlichen Monopols, wie z.B. bei Patent-
doch Ideologie, jeweils mit verheerenden sozia-      schutz).
len, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen.        Der Blockadefall ist bedenklich, wenn es sich
 Es drängt sich der Verdacht auf, dass diesel-      um ein Gut handelt, das kaum ersetzt und repro-
be Vermengung nun mit den Feldern (5) und (6)        duziert werden kann (s. oben). Anderen Wirt-
geschieht: In Feld (6) geht es um durch den          schaftssubjekten wird damit die Nutzung des
Menschen vermehrbare Güter und Dienstleis-           betreffenden Gegenstandes verwehrt.
tungen (z.B. Erfindungen), in Feld (5) aber um          Wichtig ist, dass bei Gegenständen in Feld
Entdeckungen (z.B. biogenetische Ressourcen).        (1) immer mehr oder weniger exklusive Verwer-
Beides soll mit Eigentumsrechten belegt und in       tungsmöglichkeiten bestehen. Der strategische
Feld (1) transferiert werden.                        Wert (bzw. der Blockademöglichkeit) ist darum
   Ein zweites analytisches Manko betrifft die       besonders hoch einzuschätzen.
fehlende Unterscheidung zwischen Gegenstän-             Letzteres, also eine bedenkliche Blockademög-
den, mit denen idealtypischerweise ein Options-      lichkeit, besteht z.B. beim Recht auf die Exploi-
nutzen einhergeht, und solchen, denen ein            tation (bergfreier) Bodenschätze und Rohstoffe,
solcher fehlt. Nach Auffassung von Copeland/         bei CO2-Zertifikaten, Geld (!) etc. – aber auch bei

                                                                Zeitschrift für Sozialökonomie 155/2007
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natürlichen Monopolen wie z.B. dem Eigentum          2   Privatisierung von sog.
an einem Strom- oder Schienennetz. Hingegen              „Allmendegütern“
stellen andere schwer vermehrbare Güter wie z.       2.1 Allokation / klassisches Beispiel:
B. Schmuck, Kunst, Diamanten etc. – oder ein             Grund und Boden
Eisenbahnwaggon – keinen Schlüssel (oder er-
sten Schritt) zu einer weitergehenden Investi-          Zur Begründung für die Zuweisung von Eigen-
tions- oder Marktstrategie dar. Ihnen haftet da-     tumsrechten wird die angeblich höhere Effizienz,
her auch kein strategischer Nutzen an 18, auch ist   also ein allokatives Argument herangezogen. So
eine Blockade ohne weitergehende negative            dient als ‚das’ klassische Beispiel ausgerechnet
Effekte. Einige der genannten Gegenstände ha-        die Zuweisung von Eigentumsrechten an Land.
ben keinen weiteren wirtschaftlichen Zweck als       Demsetz, einer der Exponenten der Property-
Investitionsgut; ihr Zweck erschöpft sich im         Rights-Theorie, benennt als Beispiel die Montag-
bloßen Besitz. Die betreffenden Gegenstände          nais-Indianer.20 Diese kannten zu Beginn des 18.
sind insoweit der Konsumsphäre zuzuordnen.           Jahrhunderts keine Jagdbeschränkungen. Obwohl
   Neoklassik und Neoinstitutionalismus taten        jeder so viel jagen konnte wie er wollte, kam es
von jeher so, als ob ein strategischer Wert (bzw.    wegen des großen Wildbestandes und der Nutz-
ein Wert des Wartenkönnens) nicht bestünde.          losigkeit einer übermäßigen Zahl erlegter Tiere
Blockademöglichkeiten wurden von vornherein          zu keinen Übernutzungsproblemen. Mit der Nach-
ausgeblendet. Gegen den Realoptionsansatz wur-       frage von Weißen nach Biberpelzen änderte sich
de speziell mit Blick auf den Grundstücksmarkt       dies: Die intensivere Jagd auf Biber führte zu
eingewendet, dass dieser sich nicht nach der         einem Sinken der Biberpopulation. Niemand rea-
Optionspreistheorie richten könne, weil diese        gierte jedoch mit einer Selbsteinschränkung –
seinen Akteuren zumeist gar nicht bekannt sei.       hatte er doch keine Gewähr dafür, dass die Mit-
Sotelo wendet gegen diese Kritik zutreffend ein,     glieder der Gemeinschaft seinem Beispiel folgen
dass ökonomische Gesetze nicht davon abhän-          (Trittbrettfahrerproblematik, Gefangenendilem-
gen, ob die individuellen Akteure sie kennen. Es     ma, sog. „Allmendetragödie“).
ist nicht einmal nötig, dass irgendjemand die           In ökonomischer Terminologie: Der Nutzen aus
ökonomischen Gesetzmäßigkeiten kennt. 19             dem einzelnen erlegten Tier kam dem Jäger zu-
   Nachfolgend wird das Gesagte sowohl unter         gute, die Kosten aus dem Bestandsrückgang
dem von den Ökonomen bevorzugten Aspekt der          lastete jedoch auf der Gemeinschaft (externe
Allokation, aber auch der Distribution betrach-      Kosten). ‚Gelöst’ wurde das Problem über die
tet. Andere Aspekte wie die Art und Begründung       Schaffung von Eigentumsrechten (Zuteilung der
der Zielfestlegung (was soll überhaupt erreicht      einzelnen Territorien auf die Familien). Man
werden?) sowie die Zielerreichung können aus         schaffte so individuelle Anreize, durch Rück-
Platzgründen nicht erörtert werden. Dabei wird       sichtnahme den Tierbestand langfristig zu pla-
in Abschnitt 2 zunächst die Privatisierung von       nen. Private und soziale Kosten und Nutzen wur-
Allmendegütern (Verschiebung aus Feld (5) in         den so in Übereinstimmung gebracht. Soweit
Feld (1)), danach diejenige von öffentlichen         Demsetz mit seiner ökonomischen Begründung
Gütern (Feld (6) nach Feld (1)) beispielhaft         der Privatisierung von sog. „Allmendegütern“.
beleuchtet. Ein besonderes Gewicht wird auf die      Die Sichtweise, dass spezifizierte (also eindeutig
Intellectual Property Rights gelegt. Betont sei      zugewiesene und exklusive) Eigentumsrechte die
jedoch, dass auch die Bereiche fossile Energie-      Effizienz der Wirtschaft grundsätzlich erhöhen
träger, Wasser, CO2-Zertifikate etc. von höchster    (Einschränkungen werden hinsichtlich der Infor-
Brisanz sind.                                        mations- und Transaktionskosten gemacht), hat
                                                     mittlerweile den Rang des herrschenden Para-
                                                     digmas der zeitgenössischen Wirtschaftswissen-
                                                     schaft errungen. Ein Paradigma wird am besten
                                                     zurückgewiesen, indem man seine innere Wider-

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sprüchlichkeit aufzeigt, ohne die Annahmen           noch kleinen – Kinder nahe dem Elternhaus re-
grundlegend zu modifizieren. Abgesehen davon,        servieren wollen etc. 22). Um die allokativen
dass die von Demsetz diskutierte Nutzung des         Konsequenzen darzustellen, nehmen wir einen –
Biberbestandes m.E. eher vom Recht zur Beja-         verglichen mit dem Alteigentümer – ‚besseren
gung und weniger vom Eigentum an Grund und           Wirt’ als Kaufinteressenten an. Es sei folgende
Boden abhängig ist (es handelte sich also auch       Datenlage unterstellt: Der effiziente Investor
hier um ein „Open access“-Problem – die Argu-        kann auf einem interessierenden Grundstück ab-
mentation von Demsetz ist insoweit verfehlt),        diskontierte Erträge mit einem Gegenwartswert
ist der Realoptionsansatz für die Zurückweisung      von 1.000 T € erwirtschaften. Die Kosten für
des neoklassisch-neoinstitutionalistischen Para-     die Errichtung des Gebäudes betragen 900 T €.
digmas besonders gut geeignet, da er sich inner-     Dementsprechend ergibt sich eine Zahlungsbe-
halb dieses Paradigmas bewegt. Wir sagten,           reitschaft für den Grund und Boden aus dem
Realoptionen seien ein ubiquitäres Phänomen.         Residuum (1.000 T € - 900 T €), also 100 T €.
Sie sind sowohl in Feld (1) wie in Feld (2) zu       Potentielle Konkurrenten können die Bewirt-
finden. Dennoch sind die Auswirkungen auf die        schaftung nicht effizienter vornehmen; die ab-
Wirtschaft in beiden Feldern vollkommen ver-         diskontierte Differentialrente im Wettbewerbs-
schieden:                                            gleichgewicht beträgt also 100 T €. Die Preis-
   In Feld (2), also bei reproduzierbaren Optio-     vorstellung des (bislang ineffizient wirtschaften-
nen, wird der strategische Nutzen vom Käufer         den, weil ‚hortenden’) Alteigentümers für den
ausdrücklich nachgefragt. Der Hersteller bzw.        Verkauf ist jedoch eine gänzlich andere: Dieser
Verkäufer hat auch entsprechende Kosten für die      möchte zuzüglich zu einem Entgelt für die ab-
Herstellung der strategischen Flexibilität. Ein      diskontierte Bodenrente (die obigen 100 T €)
Unternehmer zahlt beispielsweise beim Kauf ei-       noch eine Kompensation für den verloren gehen-
nes LKW angesichts zukünftiger Unsicherheiten        den strategischen Flexibilitätsnutzen (hier: wei-
über den Einsatz einen Aufpreis für ein Gestell,     tere 100 T €).23 Ethisch ist interessant, dass der
das ihm auch die Montage eines Krans ermög-          Verkäufer die innewohnende Flexibilität – an-
licht. Den hierfür aufgewendeten Kosten steht        ders als der Verkäufer in Feld (2) – nicht herge-
also ein zusätzlicher strategischer Flexibilitäts-   stellt hat. Sie fällt ihm aus den stofflichen und
nutzen gegenüber. Ohne diesen Flexibilitätsnut-      rechtlichen Eigenschaften ohne eigenes Zutun
zen hätte der Käufer die Investition in den LKW      und Kosten (als kapitalisierter und bewerteter
angesichts der Unsicherheiten hinsichtlich des       Nutzen) zu. 24
künftigen Einsatzes womöglich gar nicht getä-
tigt. Insoweit trägt der vom Verkäufer geschaf-
fene strategische Nutzen zur Erhöhung der Allo-
kationseffizienz (angesichts von Unsicherheit)
bei, sie ist quasi ‚Schmierstoff’ für die Wirt-
schaft.
   Ganz anders in Feld (1), was am Beispiel
Grund und Boden illustriert sei. Der Bodenwert
lässt sich – wenn den obigen Ausführungen ge-
folgt wird – eben nicht nur aus abdiskontierten
Differentialrenten erklären. 21 Vielmehr werden
‚Aufpreise’ für die strategische Flexibilität be-
zahlt, die für den Alteigentümer angesichts von
Unsicherheiten von Nutzen ist (weil z.B. Unter-
nehmen Vorratsgrundstücke zum Zwecke der Er-
weiterung im Falle eines günstigen Geschäfts-                Abb. 2: Optionale Struktur und
ganges oder Private einen Bauplatz für die –                unausgeschöpfte Tauschgewinne

                                                                Zeitschrift für Sozialökonomie 155/2007
18                                    Dirk Löhr: Wie eine „unsichtbare Hand“ nach der „Allmende“ greift

   Betrachten wir nun den Käufer: Dieser hat,        oder kaufen muss. Das sog. „Invarianztheorem“
da er die Option ausüben, also das Grundstück        von Coase, wonach das allokative Ergebnis unter
bebauen möchte, nicht den geringsten Nutzen          besonderen Umständen (die wie u.a. die Ab-
von der eingekauften Flexibilität! Er fragt –        wesenheit von Informations- und Transaktions-
anders als der Käufer in Feld (2) – die strate-      kosten ohnehin wirklichkeitsfremd sind) die
gische Flexibilitätseigenschaft nicht nach; er       Eingangsverteilung mit Eigentumsrechten keine
will ja eben nicht ‚abwarten und sehen’, son-        Auswirkung auf das allokative Ergebnis zeigt, ist
dern hat ein konkretes Investitionsprojekt vor       vor diesem Hintergrund nicht haltbar.27
Augen. Dennoch kann er den Grund und Boden              Während in Feld (2) die Flexibilität also
nicht ohne die für ihn nutzlose Flexibilitäts-       Schmierstoff für die Wirtschaft ist, kann man sie
eigenschaft bekommen. Die betreffenden Kosten        in Feld (1) – verglichen mit einem Zustand ohne
hierfür (hier: 100 T €) stellen nichts weiter als    diese Flexibilität – als ‚Sand im Getriebe’ be-
eine höhere Hürde für die Rentabilität der           zeichnen. Die Effizienzbehauptung kann über
Folgeinvestition dar: Mit der Investition (Be-       den Realoptionsansatz widerlegt werden.
bauung) geht der Wert der strategischen Flexi-
bilität zumindest temporär (für die Nutzungs-        2.2 Distribution / modernes Beispiel:
dauer des Gebäudes) verloren. Der Verlust be-            Genetische Ressourcen
läuft sich also im Beispiel auf ca. 100 T €, da
der – isoliert gesehen – bebaute Grund und Bo-          Ökonomen sind traditionellerweise nur auf
den weniger als das unbebaute Grundstück wert        Allokation und Effizienz fokussiert. Die Privati-
ist (hierbei handelt es sich um das unter            sierung von „Open sources“ ist jedoch nicht nur
Grundstückssachverständigen heiß diskutierte         aus allokativer (fehlende Effizienz), sondern
Problem der „Bodenwertdämpfung“).25 Der ‚bes-        auch aus distributiver Sicht problematisch. Wir
sere Wirt’ hat nach Investition ein Kapital i.H.     wollen dies anhand eines anderen Beispiels
v. 1.100 T € zu verzinsen; die Verzinsung muss       illustrieren: Der Patentierung biogenetischer
er jedoch aus einem Vermögensgegenwert von           Ressourcen. Gene – so Rifkin – sind ein ent-
nur 1.000 T € aufbringen. Der Investor wird nur      scheidender Rohstoff des biotechnologischen
dann keinen Schiffbruch erleiden, wenn er tat-       Zeitalters (ähnlich wie Öl für das Industrie-
sächlich mindestens um den Gegenwert von             zeitalter und Metalle für den Merkantilismus).28
100 T € besser (effizienter) als der Alteigentümer   Gene gehörten ursprünglich dem „Open access“-
wirtschaften, also die betreffende Rendite aus       Bereich (Feld (5)) an. Vor dem Hintergrund ih-
dem Grundstück ‚zusätzlich’ heraus ‚quetschen’       rer wachsenden Bedeutung wollten sich aber
kann.26 Macht der Effizienzvorteil des ‚besseren     große Agro- und Life science-Konzerne deren
Wirts’ weniger als 100 T € aus, wird er den Alt-     exklusive Kontrolle und den Zugang sichern. Der
eigentümer nicht aus seiner (ineffizienten) Nut-     institutionelle Mechanismus, über den diese
zung ablösen können. Die erhöhten Anforde-           neue „Landnahme“ erfolgte, war vor allem das
rungen an die Rentabilität stellen sich an die       Agreement on Trade-Related Aspects of Intel-
Investition übrigens unabhängig davon, ob der        lectual Property Rights („TRIPs“) 29 wie auch –
Erwerber mit Eigen- oder Fremdkapital arbeitet.      für Europa – die EU-Biopatentrichtlinie.30 Die
Auch für das Eigenkapital wird nämlich eine          Regeln des TRIPs wurden von einer Gruppe von
(kalkulatorische) Verzinsung gefordert.              13 Großkonzernen (u.a. Du Pont, Monsanto,
   In der obigen Analyse haben wir auf beson-        Bristol Myers, die sich zum Intellectual Property
dere Annahmen hinsichtlich Informations- und         Committee“ IPC zusammengeschlossen hatten 31)
Transaktionskosten, Gestalt der Präferenzen etc.     geschrieben. Es gelang dieser Interessengruppe
verzichtet. Vor diesem Hintergrund hat sich          nicht nur, das TRIPs-Abkommen auf die GATT-
jedoch herausgestellt, dass es einen großen          Verhandlungsliste zu setzen, sondern auch 96
Unterschied für den willigen Investor macht, ob      von 111 Verhandlungsmitgliedern zu stellen;
dieser das betreffende Grundstück geerbt hat         damit konnten sie auch großen Einfluss auf die

Zeitschrift für Sozialökonomie 155/2007
Dirk Löhr: Wie eine „unsichtbare Hand“ nach der „Allmende“ greift                                   19

Inhalte nehmen.32 Im Ergebnis wurde das Lobby-       ten, die biodiversitätsarmen Staaten hingegen
interesse von den betreffenden Regierungen           zu den reichsten der Welt.36 Mit der ausdrück-
unkritisch exekutiert. Im Rahmen der TRIPs-          lichen Zulassung der Patentierung genetischen
Verhandlungen war deutlich zu sehen, dass es         Materials und von Mikroorganismen setzt sich
den Protagonisten der Stärkung des IPR-Regimes       TRIPs in Gegensatz zum Biodiversitätsabkom-
mitnichten um „Effizienz“, sondern vielmehr um       men, wonach die Nutzung genetischer Ressour-
„Rent seeking“ ging. 33                              cen nur mit Zustimmung des Staates oder der
   Ausgangspunkt der Entwicklung waren die           einheimischen Bevölkerung unter Aushandelung
USA, wo Interessengruppen ab Ende der 1990er         eines Vorteilsausgleichs möglich ist. 37 Stattdes-
Jahre verstärkt darauf drängten, die Durchsetz-      sen generiert TRIPs (plus) über Lizenzzahlungen
barkeit des Regimes zu stärken sowie den ge-         einen Erlösstrom, der von den Entwicklungs-
genständlichen und zeitlichen Geltungsbereich        und Schwellenländern in die Industriestaaten
der IPR auch international (über TRIPs plus)         gerichtet ist. So verwundert es nicht, dass das
deutlich auszuweiten. Im Ergebnis wurden über        TRIPs-Abkommen auch bei den Globalisierungs-
das TRIPs-Abkommen die amerikanischen Vor-           kritikern ein prominentes Ziel ist. M.E. muss
stellungen über die Beschaffenheit der IPR und       auch das Bestreben, die Durchsetzbarkeit der
damit ein neuartiger Aneignungsmechanismus           IPR zu erhöhen, eng in Zusammenhang mit der
institutionalisiert. Die wichtigste Rolle hierbei    Ausweitung des räumlichen Geltungsbereiches
spielten Patente. Sie sind das am weitesten rei-     gesehen werden. Dies war im alten Regime geis-
chende „intellektuelle Eigentumsrecht“. Dieser       tiger Eigentumsrechte (der „World Intellectual
Aneignungsmechanismus, der – bezogen auf bio-        Property Organization“, WIPO) kaum möglich, so
genetische Ressourcen – nichts anderes als eine      dass vor den Globalisierungsschüben der letzten
neue Landnahme („Kolumbus´ zweite Ankunft” 34)       Jahrzehnte ein deutliches Nord-Süd-Gefälle bei
ist, funktioniert über das möglichst weitläufige,    den „Schutz“standards für geistige Eigentums-
oft unbemerkte Abstecken von Claims.                 rechte bestand. Letztlich über die Drohung mit
 Weitläufig ist das Regime in Beziehung auf         handelspolitischen Sanktionen gelang es dem
den Raum: Mit TRIPs wurde der räumliche Uni-         Triumvirat USA/Europa/Japan, die Mehrheit der
versalitätsanspruch des Property-Rights-Regimes      Entwicklungs- und Schwellenländer am Ende der
konkretisiert: Ein und dasselbe Regime von Ei-       Uruguay-Runde von ihrer ablehnenden Haltung
gentumsrechten soll möglichst über den gesam-        zu TRIPs abzubringen.
ten Globus hinweg gelten. Damit wurde gleich-         Weitläufig ist das Regime auch in gegenständ-
zeitig aber auch ein neuartiger Aneignungs-          licher Hinsicht: Wegen Art. 27 Abs. 1 des TRIPs-
mechanismus über die ganze Welt gespannt,            Abkommens können die WTO-Mitglieder keinen
„Open sources“ im globalen Maßstab „einge-           Technologiebereich (z.B. die pharmazeutische
zäunt“. Nur so konnte vom „grünen Gold“, der         Industrie, um die vor allem der Konflikt mit
Schlüsselressource des 21. Jahrhunderts Besitz       Entwicklungsländern ging, die den Zugang zu
ergriffen werden. Die allermeisten genetischen       Medikamenten einforderten) aus dem IPR-Re-
Ressourcen werden nämlich in der südlichen           gime ausschließen. 38 Ausdrücklich wird die Pa-
Erdhalbkugel verortet. U.a. ‚dank’ TRIPs ist aber    tentierbarkeit von genetischem Material und
mittlerweile der Löwenanteil an den Eigentums-       Mikroorganismen zugelassen (Art. 27 Abs. 3b
rechten hieran der nördlichen Hemisphäre zuzu-       des TRIPs-Abkommens). M.a.W. sind nicht nur
rechnen.35 Die neue Landnahme, die Aneignung         alle möglichen Verfahren, sondern auch Stoffe
des grünen Goldes im Rahmen von TRIPs er-            patentierbar. Insbesondere der Satz: „Was die
öffnet gleichsam eine neue Dimension in der          Natur schafft, kann nicht erfunden werden“ 39
Nord-Süd-Problematik. Diejenigen Staaten mit         gilt mit Blick auf die Biotechnologie nicht mehr.
dem größten Anteil biologischer Vielfalt (nur        So wird im „TRIPs-plus“-Abkommen – über das
sechs von diesen Staaten umfassen ca. 50 % der       TRIPs-Abkommen hinausgehend – die Patentier-
weltweiten Biodiversität) gehören zu den ärms-       barkeit von Pflanzensorten, biotechnologischen

                                                                Zeitschrift für Sozialökonomie 155/2007
20                                    Dirk Löhr: Wie eine „unsichtbare Hand“ nach der „Allmende“ greift

Erfindungen etc. ausdrücklich eingefordert. Das     rahmen“) m.E. deutlich überschritten: Es han-
ehedem geltende sog. „Stoffschutzverbot“ wird       delt sich um eine Aneignung („Landnahme“) von
außer Kraft gesetzt; beispielsweise verlangt die    Gegenständen aus Feld (5) (und eben nicht
EU-Biopatentrichtlinie 40 den Stoffschutz für       mehr – wie bei Erfindungen – um Ansprüche, die
DNA-Abschnitte (Gene). Die DNA-Abschnitte sind      in Feld (6) zu verorten sind). Der Eindruck (der
jedoch weit mehr als lediglich ein chemischer       Landnahme) verfestigt sich vor dem Hinter-
Stoff. Sie enthalten Informationen über die         grund, dass Art. 27 des TRIPs-Abkommens über
Bildung von Proteinen, die allenfalls teilweise     einen ganz zentralen Aspekt von Patentanmel-
bekannt sind. Ein Patentanmelder kann schwer-       dungen, nämlich die Erfindungshöhe, nichts aus-
lich voraussehen, welche biologischen Funktio-      sagt. Die Definitionsmacht hierüber liegt fak-
nen eine DNA-Sequenz außer der von ihm er-          tisch bei den mächtigen Wirtschaftsblöcken: Die
forschten sonst noch hat. Allerdings verlangt       EU und die USA halten die diesbezüglichen An-
weder TRIPs noch die EU-Biopatentrichtlinie         forderungen entsprechend niedrig bzw. nehmen
oder das US-Patentrecht vom Anmelder, (korres-      eine entsprechende Praxis ihrer Patentämter
pondierend mit dem absoluten Stoffschutz) alle      billigend in Kauf. 45 Dass die Grenze von Erfin-
Funktionen eines DNA-Abschnitts zu kennen.          dung und Entdeckung 46 nicht mehr sauber zu
Vielmehr muss in der Anmeldung nur eine der         ziehen ist, zeigt das Beispiel des Sequenzierens:
möglichen Funktionen abgedeckt werden (!). Das      Oftmals kann die geforderte Erfindungshöhe
Patent soll trotzdem alle, auch die noch uner-      durch diese Technologie erreicht werden, die ein
forschten Anwendungen (!) abdecken („absoluter      Gen erkennen und ‚lesen’ kann. Hierbei handelt
Stoffschutz“, vgl. Art. 27 Abs. 1 des TRIPs-Ab-     es sich um einen weitgehend automatisierten
kommens).41 „Eine Firma, die ein Patent auf ein     Vorgang. Es erscheint kurios (Roboter als „Er-
Gen im Zusammenhang mit einem diagnosti-            finder“ ?), dass solche automatisierten Verfahren
schen Verfahren erhält, (hat) auch die Rechte an    die Grundlage von „Erfindungen“ darstellen sol-
dem Gen, wenn damit eine in der Regel sehr          len.47
viel aufwändigere Therapie oder ein Arzneimittel     Schließlich ist das Regime auch in zeitlicher
entwickelt wird – ein wissenschaftlich wie wirt-    Hinsicht weitläufig, indem u.a. trotz immer kür-
schaftlich völlig unsinniges Monopolrecht, das      zer werdender Innovationszyklen in Art. 33 des
Forschung und Entwicklung sehr viel eher hemmt,     TRIPs-Abkommens eine Mindestlaufzeit von Pa-
als es sie fördern könnte.“ 42 Dem Anmelder wird    tenten von 20 Jahren gefordert wird.
also ein Anspruch hinsichtlich der unerforschten       Interessant ist jedoch auch, was explizit aus-
Bereiche zugestanden, ohne dass irgendeine er-      geschlossen wird: Patente müssen „gewerblich
finderische Leistung dahinter steht.43 Bekannt      anwendbar“ sein. Damit werden sämtliche – nicht
wurde u.a. das Beispiel des CCR5-Rezeptors, der     westlichen (z.B. indigenen) – Wissensgenerie-
eine wichtige Funktion beim Eindringen des          rungssysteme von den neu definierten Eigen-
AIDS-Virus in die Zelle hat. Nachdem sich viele     tumsansprüchen ausgeschlossen, die nicht un-
Wissenschaftler mit dem Rezeptor und hierauf        mittelbar auf Verwertbarkeit angelegt sind (sich
aufbauend mit möglichen therapeutischen An-         also nicht in die kapitalistische Logik einfü-
sätzen befasst hatten, stießen sie auf das Pa-      gen).48 Der oben angesprochene Reduktionismus
tent von Human Genome Sciences aus 1995 für         bewirkt damit auch die Ausgrenzung alternativer
die entsprechende Gensequenz (WO96/39437).          sozialer Formen des Zusammenlebens.
Obwohl in der Patentschrift keinerlei Verbin-          In dem Moment, wo zwischen Erfindung (Feld
dung zur HIV-Infektion auftaucht, verlangte Hu-     (6)) und Entdeckung (Feld (5)) nicht mehr klar
man Genome Sciences auch im Rahmen der              unterschieden wird, dient die Property-Rights-
AIDS-Forschung das Patent auf dieses Gen.44         Theorie nur noch als Rechtfertigung für den
   Mit dem weiten Abstecken derartiger „Claims“     modernen Aneignungs- und Monopolisierungs-
wird die Grenze zwischen Erfindung („Produk-        mechanismus, der auf das „Grüne Gold“ bezogen
tionsrahmen“) und Entdeckung („Schöpfungs-          unter dem Stichwort „Biopiraterie“ in der Lite-

Zeitschrift für Sozialökonomie 155/2007
Dirk Löhr: Wie eine „unsichtbare Hand“ nach der „Allmende“ greift                                   21

ratur schon eingehend beschrieben und disku-         geht es im Konflikt viel zu wenig um die Frage,
tiert wurde.49 Die Schieflage bei der Zurechnung     ob der Charakter als Common good nicht Zäune
von Eigentums- und damit auch den Zugangs-           jedweder Art im Grundsatz verbietet. Diskutiert
rechten 50 insbesondere am „grünen Gold“ ist         wird vielmehr, wer die Zäune ziehen darf.
insbesondere dann ein potentieller Auslöser für
Konflikte, wenn die bisherigen Nutzer vom Zu-        3    Privatisierung von ehedem
gang abgeschnitten werden.51                              öffentlichen Gütern
   Wegen der Parallelen zu den historischen Land-
nahmen und „Einfriedungen“ 52 können auch hin-          Die oben diskutierte Privatisierung biogene-
sichtlich des „geistigen Eigentums“ an biogene-      tischer Ressourcen über das Instrument des Pa-
tischen Ressourcen dieselben Bedenken vorge-         tentrechts ist eine Mogelpackung: Selbst wenn
bracht werden, wie sie seinerzeit von J. St. Mill    Gene „gemischt“ werden, wird kein Leben „ge-
sowie H. Gossen und L. Walras als Gründervätern      schaffen“, sondern nur existente biologische
der Neoklassik (!) 53 gegen die Einfriedung des      Prozesse moduliert. 56 Letztlich wird mit derarti-
ehemaligen Allmendegutes Grund und Boden ge-         gen ressourcenbasierten Patenten der Grat von
äußert wurden: „Wenn man von der Heiligkeit          der Erfindung (Feld (5)) zur Entdeckung (Feld (6))
des Eigentums spricht, so sollte man“ – Mill zu-     überschritten; neue Territorialansprüche werden
folge – „immer bedenken, dass dem Landeigen-         gesetzt. Dies bedeutet jedoch nicht etwa im
tum diese Heiligkeit nicht in demselben Grade        Umkehrschluss, dass Patente, die sich klar auf
zukommt. Kein Mensch hat das Land geschaf-           Feld (6) beziehen, unproblematisch wären. Wir
fen. ... Es ist das ursprüngliche Erbteil des ge-    wollen nachfolgend darstellen, dass es auch
samten Menschengeschlechts … Es ist für nie-         hierbei um einen ineffizienten und unsozialen
manden eine Bedrückung, ausgeschlossen zu            Aneignungsmechanismus bzw. um die Zuteilung
sein von dem, was andere hervorgebracht ha-          von Privilegien geht.
ben. Sie waren nicht verpflichtet, es für seinen
Gebrauch hervorzubringen, und er verliert nichts     3.1 Effizienz
dabei, dass er an Dingen keinen Anteil hat, wel-
che sonst überhaupt nicht vorhanden sein wür-           Hinsichtlich der Betrachtung des Patentrechts
den. Allein ist es eine Bedrückung, auf Erden        bietet sich eine Unterscheidung zwischen dem
geboren zu werden und alle Gaben der Natur           Erfindungs- und dem Verwertungsprozess an. Das
schon vorher in ausschließlichem Besitz genom-       Patentrecht bezieht sich lediglich auf den Ver-
men und keinen Raum für den neuen Ankömm-            wertungsprozess, soll aber – nach der sog. „An-
ling freigelassen zu finden.“ 54                     spornungstheorie“ 57 – den vorgelagerten Erfin-
   In der WTO-Konferenz in Seattle (1999) hatte      dungsprozess stimulieren. Zu diesem Zwecke
Kenia für die Gruppe der 43 afrikanischen WTO-       werden Privilegien bei der Verwertung der Er-
Mitglieder betont, dass in der Natur vorkommen-      findung in Gestalt temporärer Monopole ge-
de Substanzen und Prozesse Entdeckungen und          währt, die den Ansporn erzeugen sollen.
keine Erfindungen sind und daher zur Verhinde-          Bei Erfindungen handelt es sich um eine
rung von Biopiraterie von der Patentierbarkeit       Momentaufnahme aus einem kontinuierlich lau-
ausgenommen werden müssten. Wiederholt wur-          fenden, kumulativen und potentiell nicht zu
de diese Forderung in Doha; allerdings verfügen      einem Ende kommenden sozialen Prozess, wobei
die Entwicklungsländer nicht über die Ressour-       auch die kreativsten Innovatoren ihr Material
cen, jedes Patent, mit dem ihr „grünes Gold“ ge-     aus einem bislang allgemein zugänglichen Fun-
kapert wird, anzufechten.55                          dus („Wissensallmende“) beziehen.58 Isaac New-
   Andererseits muss mit Erstaunen betrachtet        ton: „If I have seen far, it is by standing on
werden, dass die betroffenen Entwicklungsländer      the shoulders of giants.“ 59 In den meisten Fäl-
sich bei ihrer Kritik zumeist in derselben Logik     len kombiniert der Neuerer lediglich bestimmte
wie die Usurpanten bewegen. Verkürzt gesagt,         Elemente und Bestandteile neu. Dabei ist oft

                                                                Zeitschrift für Sozialökonomie 155/2007
22                                    Dirk Löhr: Wie eine „unsichtbare Hand“ nach der „Allmende“ greift

sehr unklar, welche originäre Leistung ihm          (der u. a. Lungenentzündungen und Wundinfek-
wirklich zuzusprechen ist. 60 Schon von Polanyi     tionen hervorruft) gegen alle Antibiotika Auf-
wurde daher die Auffassung kritisiert, man könne    merksamkeit. Die unkontrollierte Ausbreitung
den wissenschaftlichen Fortschritt beliebig „zer-   des Bakteriums wurde befürchtet, ohne dass
hacken“ und sodann in Form von Eigentums-           wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen werden
rechten aussondern und verteilen. 61 Die künst-     konnten. Dafür wurden auch die Genom-Firmen
liche Fragmentierung des Wissensgenerierungs-       mit ihrer Geheimhaltungspolitik verantwortlich
prozesses fördert nicht etwa die unverzichtbare     gemacht. 68
Netzwerkbildung im Wissenschaftsbetrieb. Ganz          Die Konzernierungs- und Fusionsstrategien in
im Gegenteil isoliert und blockiert sie bewusst     vom Patentrecht geprägten Branchen wie der
die diversen „Synapsen des gesellschaftlichen       Pharma- oder der Chemieindustrie dienen teil-
Gehirns“. Wissenschaftler unterlassen den Aus-      weise auch dazu, die errichteten „Mauern des
tausch von Informationen, weil sie Angst haben,     Wissens“ niederzureißen. Über die Poolung von
der „Konkurrenz“ eventuell den entscheidenden       Patenten können u.a. kostentreibende Patent-
Vorsprung beim Rennen zum Patentamt in die          und Lizenzpyramiden vermieden werden. Ein
Hand zu geben. 62 Im Wettlauf um ein Patent for-    Mehr an Effizienz in der Generierung von Wissen
schen verschiedene Einrichtungen, Labore etc.       wird also dadurch erreicht, dass Lizenz- oder
ohne Austausch am selben Gegenstand vor sich        Patentinhaber samt ihren Patenten aufgekauft
hin, anstatt ihre Kräfte arbeitsteilig zu bündeln   werden. Die Konsequenz ist allerdings eine wei-
und sich gegenseitig zu befruchten. 63              tere Konzentration wirtschaftlicher und gesell-
   Der Wettlauf zum Patentamt dürfte in einer       schaftlicher Macht. Dies wiederum zeigt negative
Vielzahl von Fällen jedoch von ganz anderen         Rückwirkungen auf die Effizienz im Verwer-
Motiven getrieben sein, als dies die Anspor-        tungsbereich (s. unten).
nungstheorie oder auch der Neoinstitutionalis-         Schließlich werden knappe Forschungsressour-
mus unterstellt. Die Incentives für das gewerb-     cen auf technologische Second-best-Lösungen
liche Unternehmertum sind nicht dieselben, die      („Substitutionserfindungen“ 69) angesetzt, weil
auch im Bereich von Kultur und Wissenschaft         die First-best-Lösungen durch Patente blockiert
wirken. 64 So spielt im Wissenschaftsbetrieb die    sind. Das „Herumerfinden“ um ein Projekt wird
Reputation als Anreizmechanismus eine sehr          dabei nicht nur von der Konkurrenz, sondern
große Rolle. 65 Ansonsten könnten die Erfolge       auch von dem das Patent anmeldenden Unter-
öffentlich geförderter Forschung bildungsökono-     nehmen betrieben. Das Patent soll entweder sehr
misch kaum erklärt werden. Ungeachtet anderer       weit gefasst sein oder nach Patentierung der
Incentives arbeiten die öffentlich geförderten      ersten Lösung sollen alle nur möglichen Alter-
Forschungseinrichtungen durchaus effizient; des-    nativlösungen patentiert werden, auch wenn sie
wegen bemühen sich ja auch Privatunternehmen,       technisch minderwertig sind. Durch diese Stra-
an diese ‚anzudocken’ und auf deren Erkennt-        tegien sollen die Anstrengungen der Wettbe-
nisse besseren Zugriff zu bekommen. 66 Zu den       werber, um das ursprüngliche Patent „herumzu-
Voraussetzungen des reputationsgesteuerten Re-      erfinden“, blockiert werden.
gimes gehört allerdings auch der offene Zugang         Das Unbehagen wird bei Ansicht des Verwer-
zu Informationen. 67 Wissenschaft lebt davon,       tungsprozesses noch größer. Patente gewähren
dass auf bestehende Erkenntnisse zurückgegrif-      eine Option (keine Verpflichtung!), eine Erfin-
fen werden kann. Das IPR-Regime bewirkt je-         dung auf einen Zeitraum von maximal 20 Jah-
doch, dass Wissenschaftler oftmals den benötig-     ren exklusiv zu verwerten. Wohlfahrtsverluste
ten Zugriff auf Informationen nicht erlangen        können sich vor diesem Hintergrund einmal
können, weil diese ihnen vorenthalten werden        durch die strategische Zurückhaltung („Blocka-
oder weil die damit verbundenen Kosten nicht        de“) von Patenten ergeben. Mögliche Gründe:
tragbar sind. Beispielsweise erregte 1999 die       Befinden sich „Cash cows“ oder „Blockbuster“
Resistenz des Bakteriums Staphylococcus aureus      im Produktportfolio, würden diese durch die

Zeitschrift für Sozialökonomie 155/2007
Dirk Löhr: Wie eine „unsichtbare Hand“ nach der „Allmende“ greift                                   23

Konkurrenz der Innovation „kannibalisiert“. Auch     gehensweise ist daher nicht geeignet, um die
bei den vielfach aufgebauten „strategischen Pa-      privaten und sozialen Erträge in Übereinstim-
tentportfolios“ besteht oft nicht die Absicht, die   mung zu bringen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht
betreffenden Rechte selbstständig zu verwerten –     ist schließlich die Erhebung eines Preises für
Patente werden vielmehr als potentielle Tausch-      etwas, dessen Grenzkosten bei Null liegen, eine
oder Verhandlungsmasse z.B. für Überkreuzli-         Verschwendung von Ressourcen. 73 Um eine Vor-
zenzen gehalten. Dann wird das mit den betref-       stellung von der Dimension der Monopolgewinne
fenden Patenten ‚geschützte’ Wissen aber regel-      zu geben: Ca. 30 % des Arznei-Marktvolumens
mäßig nicht der Verwertbarkeit zugeführt.            bestehen aus Generika (Nachahmerpräparaten).74
   Wird das Patent hingegen verwertet (also die      Diese erreichen eine Gewinnmarge von ca. 7-10
Option ausgeübt), so geschieht dies unter mo-        Prozent. Für die patentgeschützten Produkte ist
nopolistischen Bedingungen. Häufig wird das Ar-      die Gewinnmarge hingegen ca. dreimal so hoch.75
gument bemüht, dass patentgeschützte Block-          Das temporäre Verwertungsmonopol führt über
buster wegen der Kosten der Forschung gerecht-       die künstliche Angebotsverknappung zu gesamt-
fertigt und notwendig seien. 70 Tatsächlich wei-     wirtschaftlichen Wohlfahrtsverlusten.
sen insbesondere die patentbasierten Industrien         Wohlfahrtsverluste entstehen noch aus einem
oftmals hohe Aufwendungen für Forschung und          weiteren Grund: Der hohe Aufwand für Forschung
Entwicklung auf. Teilweise handelt es sich um        und Entwicklung wird zu einem großen Teil durch
verkappte Marketingaufwendungen (so vor allem        Produkte generiert, die weniger den Präferenzen
in der Pharmaindustrie 71), teilweise sind die       der Konsumenten (z.B. genmanipulierte Pflan-
Aufwendungen ‚echt’ (insbesondere in der Gen-        zensorten und Nahrungsmittel) als den Rendite-
technologie). Zwar ergaben Untersuchungen,           forderungen der Aktionäre entsprechen.76 Ein
dass 2/3 aller Innovationen auch ohne Patent-        hoher Aufwand für Produkte, die die Konsumen-
schutz entstanden wären. 72 Das „fehlende Drit-      ten nicht wirklich wollen. Als „effizient“ kann
tel“ ist jedoch ein gewichtiger Grund gegen          auch dies wohl nicht bezeichnet werden.
eine ersatzlose Abschaffung des Patentrechtes.          Schließlich ist sowohl die Forschungs- wie
Die betreffenden Innovationen würden fehlen,         auch die Verwertungsphase mit Unsicherheit
wenn Erfinder der Verwertung ihrer Erfindungen       verbunden, die durch das Patentwesen nicht
unter Wettbewerbsbedingungen ohne weiteres           beseitigt werden kann:
ausgesetzt wären. Eine Preisgestaltung unter          Für die Forschungsphase etabliert das Patent-
den Bedingungen eines vollkommenen Wett-             wesen eine unsichere Nachfinanzierung im Falle
bewerbes würde es forschenden Unternehmen            des Erfolgs – im Falle des Misserfolgs lastet das
nämlich nicht erlauben, ihre Forschungsauf-          gesamte Risiko auf dem Forschenden. Der Fi-
wendungen wieder zu amortisieren. Eine wett-         nanzierungsmechanismus greift – eventuell (!) –
bewerbsgemäße Preisgestaltung erfordert näm-         erst dann, wenn die Forschung schon lange ab-
lich Grenzkostenpreise. Weil aber die Kosten für     geschlossen ist. Dem finanzschwachen mittel-
eine schon getätigte Erfindung im Zuge ihrer         ständischen Erfinder ist mit einem solchen Sy-
laufenden Verwertung gleich Null („sunk costs“)      stem aber gerade nicht gedient – er benötigte
sind, könnten die Erfindungskosten in einem          vielmehr eine Vorfinanzierung seiner Forschungs-
Wettbewerbsmarkt nicht über Grenzkosten-             arbeiten, auch auf die Gefahr von Misserfolgen
preise eingespielt werden. Ein (temporärer)          hin.
Monopolist kann den Gewinn durch eine künst-          Schließlich ist auf die Unsicherheit hinzuwei-
liche Verknappung des Angebots (hier: Eigen-         sen, die bei der Nutzung von Innovationen in
verwertung oder Lizenzvergabe) erhöhen und           der Verwertungsphase entstehen.77 Dies trifft
hierüber auch die Amortisation der Kosten er-        selbst bei eigenen Erfindungen zu – weiß ein
reichen. Allerdings wird der Zeitraum für das        Erfinder und Innovator doch nicht, ob er nicht
Verwertungsmonopol unabhängig von der Höhe           gerade ein Patentrecht verletzt und deswegen
der entstandenen Kosten festgelegt. Diese Vor-       finanziell zur Rechenschaft gezogen wird. Sicher-

                                                                Zeitschrift für Sozialökonomie 155/2007
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heit gibt allein der Verzicht auf die Nutzung       die Parallelimporte zu verhindern. Sie sahen
von Innovationen. Auch dies dürfte den Diffu-       ihren Patentschutz gefährdet und argumentier-
sionsprozess nicht gerade beschleunigen. Hierbei    ten, dass die südafrikanische Regierung gegen
handelt es sich insbesondere um ein Problem,        TRIPs bzw. das geltende WTO-Recht verstoßen
das mit der Patentierung von „Software“ einher-     würde. Auch die EU und die USA übten Druck auf
geht.78 Mit der Zahl der Patentanmeldungen stei-    Südafrika aus mit dem Ziel, dass SAMA zurückge-
gen also die Informations- bzw. Risikokosten für    nommen wird. Mit Blick auf die Milzbrand-Panik
die Forscher, um sich gegen die Verletzung be-      nach dem 11.9.2001 kamen die betreffenden
stehender Patente abzusichern.79                    Administrationen allerdings den Entwicklungs-
   Es sollte zu denken geben, wenn selbst Lan-      ländern auf der WTO-Konferenz vom 9. bis zum
des und Posner als wichtige Protagonisten des       13.11.2001 (Doha) entgegen (so hatten die USA
eingangs genannten Paradigmas der Property-         und Kanada mit Blick auf eine mögliche Notlage
Rights-Theorie zu dem Schluss kommen, dass die      im eigenen Lande schon die Außerkraftsetzung
Anreizwirkung von geistigen Eigentumsrechten        des Bayer-Patents für das Milzbrand-Medikament
auf Basis des gegenwärtigen Wissens nicht über-     Cipro erwogen. Bayer bot schließlich das Medi-
zeugend zu verteidigen ist. 80                      kament der US-Regierung für 1,89 US-$ anstatt
                                                    der handelsüblichen 4,50 US-$ an. Eine weitere
3.2 Soziale Schieflagen                             Verhandlungsrunde drückte Bayer auf unter 95
                                                    US-Cent; zur gleichen Zeit hatten indische Un-
   Der Ökonom klinkt sich bei der Diskussion der    ternehmen ein entsprechendes Generikum für
sozialen Konsequenzen seiner Entwürfe zumeist       unter 20 US-Cent angeboten 85).
aus der Diskussion aus. Über die IPR wird das          Mit zunehmender Distanz zu diesen Ereig-
ehedem öffentliche Gut „Wissen“ zu einem pri-       nissen wurde allerdings wieder vor allem von
vaten Gut gemacht. Das Exklusionsprinzip wird       der US-Pharmaindustrie ein entsprechender
eingeführt. Schieflagen in der Einkommens- und      Druck auf Länder aufgebaut, die eine Kontrolle
Vermögensverteilung führen im Verbund mit weit      der Arzneimittelpreise praktizieren.86 Ange-
über den Grenzkosten liegenden Monopolpreisen       sichts der Legitimationsdefizite des IPR-Re-
dazu, dass „Randkonsumenten“ vom Zugang zu          gimes vor allem vor dem Hintergrund der HIV-
den betreffenden Gütern ausgeschlossen werden.      Katastrophe wurden zwischenzeitig immer wie-
   Beispiel Pharmaindustrie: Zu den besagten        der Anstrengungen unternommen, die Preise
„Randkonsumenten“ zählt leider der größte Teil      für die betreffenden Medikamente zu senken.
der Menschheit. Für diesen stellt der Ausschluss-   Zuletzt geschah dies durch die Arzneimittel-
mechanismus oftmals eine existentielle Bedro-       hersteller Cipla und Matrix, initiiert durch Bill
hung dar. 81 So ist die Verwehrung des Zugangs      Clinton.87 Ein derartiges medienwirksam initiier-
zu kostengünstigen Medikamenten gegen HIV-          tes Entgegenkommen schafft zwar zeitweise ein
Infektionen in Ländern der Dritten Welt für         wenig Erleichterung, rüttelt aber nicht an den
eine Unzahl von Toten mit verantwortlich. 82 In     Grundfesten des Problems.
Südafrika waren in 2005 ca. 5,5 Mio. der ca. 46        Generell sind die Entwicklungsdiskrepanzen
Mio. Menschen mit dem HI-Virus infiziert. 83 Die    zwischen Süd und Nord nicht zuletzt auf Unter-
Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten        schiede im Zugang zum verfügbaren Wissen zu-
sollte über den „South African Medicines Act“       rückzuführen. 88 „What separates developed from
(SAMA) aus 1997 gewährleistet werden. Ange-         less developed countries, is not just a gap in
sichts der Kosten der „Triple-Therapie-Medika-      recources but a gap in knowledge …“ 89 Durch
mente“ von ca. 12.000 US-$ pro Person und Jahr      die Stärkung des Regimes geistiger Eigentums-
sollte der billigere Parallelimport von Pharma-     rechte wird die Zugangsmöglichkeit der Entwick-
Imitaten gegen AIDS84 ermöglichet werden. Noch      lungsländer zu diesem Fundus noch stärker
in 1997 klagten daraufhin 39 internationale         behindert.90 Die Globalisierung des IPR-Regimes
Pharmakonzerne gegen den Staat Südafrika, um        zementiert somit internationale Ungleichheit.

Zeitschrift für Sozialökonomie 155/2007
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