Windenergienutzung und Artenschutz in Hessen - Unsere Verantwortung und Verpflichtung in der Energiewende
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Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung Windenergienutzung und Artenschutz in Hessen Unsere Verantwortung und Verpflichtung in der Energiewende: • Klimaschutz • Ressourcenschutz • Artenschutz Die erneuerbaren Energien dienen dem Klima-, Arten- und Ressourcenschutz. Sie sind ohne Alternative. Windenergie ist die wichtigste, kostengünstigste, und flächeneffektivste der erneuerbaren Energien. Um die Zahl der Anlagen möglichst gering zu halten, sind sie möglichst an ertragreichen Standorten und verbrauchsnah zu realisieren. Die potenziellen Gefährdungen von Vögeln und Fledermäusen durch Windkraftanlagen sind in der Fachliteratur gut dokumentiert. Sie sind weitgehend vermeidbar und bei der Planung von Windkraftanlagen zu berücksichtigen. Die Windkraftnutzung in Hessen darf und wird bedrohte Arten nicht substanziell gefährden. In Hessen kommen dabei hauptsächlich der Rotmilan, der Schwarzstorch und Fledermäuse in Betracht. Vergleichend sind positive und negative Bestandsentwicklungen nicht oder weniger windkraftempfindlicher Vogelarten aufschlussreich. 1. Zusammenfassung Der Rotmilan wird Schlagopfer von Windkraftanlagen, leidet aber in erster Linie unter Nahrungsmangel durch weniger Grünland und andere Veränderungen in der Landwirtschaft. Er verhungert eher, als dass er erschlagen wird. Durch richtige Standortwahl von Windenergieanlagen, z.B. im Wald und Artenhilfsmaßnahmen wie das Nabu-Projekt „Mäuse für den Milan“ kann seine Bestandsentwicklung gesichert und positiv beeinflusst werden. Der Schwarzstorch hat eine sehr positive Bestandsentwicklung. Er ist kein Schlagopfer von Windkraftanlagen aber besonders durch Hochspannungsleitungen gefährdet. Seiner Störempfindlichkeit v.a. in der Brutzeit muss durch Schutzmaßnahmen entsprochen werden. Artenhilfsmaßnahmen mit Schaffung von Flachgewässern und Feuchtgebieten wie durch die hessenENERGIE GmbH können seine Bestandsentwicklung sichern. Fledermäuse sind v.a. durch Zerstörungen ihrer Habitate und Umweltgifte bedroht. Ihr Schutz vor Windenergieanlagen kann durch Abschaltungen von Windkraftanlagen an windarmen, warmen und regenfreien Sommernächten gewährleistet werden. 1
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung Der Uhu hat eine sehr positive Bestandsentwicklung. Er ist nicht durch Windkraftanlagen gefährdet. Die seine Brut gefährdenden Störungen durch Freizeitaktivitäten, bes. Geocaching sind zu vermeiden. Viele, einmal häufige Vogelarten verzeichnen starke Bestandabnahmen durch allgemeine Umweltverschlechterungen, einige früher seltene Vogelarten verzeichnen z.T. durch Schutzmaßnahmen erfreuliche Bestandszunahmen. 2. Rotmilan Bestandsentwicklung Der Rotmilan ist in Hessen mit 1.300 bis 1.000 Brutpaaren vertreten, bei einem Bestand in Deutschland von 12.000 Brutpaaren, mit 28.000 Individuen und 20.000 - 25.000 Brutpaaren weltweit. Der Rotmilan ist von Windenergieanlagen (WEA) durch Kollision gefährdet. 190 Schlagopfer wurden in Deutschland, 9 in Hessen an WEA erfasst. „Die Herkunft der Daten ist sehr heterogen. Die Datenbank beinhaltet vor allem bei den Vögeln in hohem Maße Zufallsfunde und nur in begrenztem Umfang flossen Daten aus gezielten, stichprobenartigen oder auch im Rahmen von behördlicherseits festgelegten Begleituntersuchungen oder auch im Rahmen von Forschungsvorhaben systematisch betriebenen Nachsuchen ein.“1 Während für den Rückgang der Brutbestände in Ostdeutschland wendebedingte Veränderungen in der Landwirtschaft verantwortlich sind, sind die Ursachen für die negative Entwicklung in den alten Bundesländern nicht so einfach 2 erkennbar. „Innerhalb von Europa war der Rotmilanbestand vor 300-400 Jahren durch starke Rückgänge und Arealverluste gekennzeichnet. Innerhalb Deutschlands wurden erst in den 1950er Jahren eine Zunahme sowie Ausbreitung der Art beobachtet. In Ostdeutschland stieg der Bestand von 1980/82 bis 1990/91 um etwa 50 % (ABBO 2001, S. 161). Ab 1991 verzeichneten die Bestände dann wieder Rückgänge, so liegen die aktuellen Bestandszahlen 50 % niedriger als die von 1991. …Seit 1997 hält sich der Bestand des Rotmilans in Deutschland großräumig auf konstantem Niveau (MAMMEN 2005).“ 3 „Auf Monitoringflächen ließ sich bisher ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Populationsschwankungen und dem Aufbau von Windkraftanlagen noch nicht nachweisen, doch die höchsten Rotmilandichten wurden in windkraftfreien Gebieten beobachtet (RASRAN et al. 2010)“.4 „Folgende zentrale Rückgangsursachen sind zu nennen: • Zu geringer Bruterfolg und hoher Anteil nichtbrütender Paare infolge der intensiven Landnutzung mit rückläufigem Grünlandanteil 1 Tobias Dürr, Daten aus der zentralen Fundkartei der Staatlichen Vogelschutzwarte, Stand vom 7. 3. 2013 2 Artenhilfskonzept für den Rotmilan (Milvus milvus) in Hessen 3 DNR, Umwelt- und naturverträgliche Windenergienutzung in Deutschland (onshore) 4 Dürr, Langgemach, Informationen über Einflüsse der Windenergienutzung auf Vögel, Stand 18.12.2012 2
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung • Verluste infolge illegaler Verfolgung im Winterquartier und auf dem Zugweg“5 Gefährdungsursachen Die Gefährdungsursachen für den Rotmilan sind vielfältig:6 • Störungen am Brutplatz • Illegale Verfolgung im Winterquartier und auf dem Zugweg • Illegale Verfolgung in Hessen • Unzureichende Nahrungsgrundlage o Im Brutgebiet: Anteil Nichtbrüter und o Im Winterquartier7 • Windenergienutzung • Klimawandel • Freileitungen • Verkehrsverluste • Zunahme des Schwarzmilans Nahrungssituation Die Bestandsrückgänge seit dem Höhepunkt seiner Wiederverbreitung 1991 in Deutschland können zunächst auf eine Verschlechterung seiner Nahrungsgrundlage (Kapazität der Umwelt) zurückgeführt werden: Umbruch des Grünlandes und die frühere Vegetationsentwicklung, mehr Acker-, Mais- und Energiepflanzenanbau und weniger Brachland, v.a. wegen der Beendigung der Flächenstilllegungsprämien. Örtlich kann auch das abschnittsweise Abdecken von Restmülldeponien das Nahrungsangebot verknappen.8 „Der Rotmilan verhungert eher, als dass er erschlagen wird.“9 Nicht dokumentiert sind mögliche Verluste in den Überwinterungs-gebieten in Spanien, wo die Schindanger (Muladares) nach EU-Recht geschlossen werden mussten, die dem Rotmilan in Massen-ansammlungen wie Geiern als Nahrungsquelle dienten. Abb.10 5 Artenhilfskonzept für den Rotmilan (Milvus milvus) in Hessen 6 a.a.O. 7 Die Schließung der meisten Muladares (Schindanger) in Spanien infolge veränderter Hygienevorschriften hat mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer deutlichen Reduzierung der Nahrungsgrundlage im Winterquartier geführt. Artenhilfskonzept für den Rotmilan (Milvus milvus) in Hessen 8 z. B. Kreismülldeponie Werra-Meißner-Kreis 9 Hartmut Mai, Nabu Hessen, am 22. 3. 2013 in Gießen 10 Artenhilfskonzept für den Rotmilan (Milvus milvus) in Hessen 3
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung Eine zukünftige Gefährdung des Rotmilans wird in der Rotmilan Martin Krauß Klimaerwärmung gesehen, durch Auswirkungen des Klimawandels den der Rotmilan fast zwei Drittel seines heutigen Verbreitungs-gebietes verlieren und der Bestand entsprechend abnehmen wird, mit Verlagerung in das südliche Nordeuropa.11 Auf die Verbesserung der Nahrungssituation des Rotmilans hat der Nabu Hessen im außergerichtlichen Vergleich zur Rücknahme seiner Klage auf Stilllegung von 5 WEA gegen 500.000,-€ abgestellt. Aus der Präambel des Vergleichs: „Im Zuge der Energiewende kommt dem Ausbau der Windenergienutzung an Land eine zentrale Bedeutung zu. In Hessen kommt dabei der Vogelsbergkreis mit seinen herausragenden Voraussetzungen für die Windenergienutzung auch für einen weiteren Ausbau der Anlagenkapazität in Betracht, auch wenn heute schon ca. ein Drittel aller in Hessen betriebenen Windenergieanlagen im Gebiet des Vogelsbergkreises stehen. … Vor diesem Hintergrund ist anzustreben, dass der weitere Ausbau der Windenergie im Vogelsbergkreis auf Grundlage des geltenden Rechts und verbindlicher projektbezogener Gutachten mit einer möglichst wirkungsvollen Verbesserung der Lebensgrundlagen für diejenigen Tierarten einhergehen, für die im besonderen Maße Risiken durch den Ausbau der Windenergie gesehen werden. Es sollen Habitate geschaffen, gefördert, betreut und bewirtschaftet werden, die insbesondere dem Rotmilan als hochwertige und dauerhaft vor Beeinträchtigungen geschützte Lebens- und Jagdräume zur Verfügung stehen." Zu dem Zweck wurde das Rotmilanprojekt im Vogelsberg „Mäuse für den Milan“ der NABU-Stiftung gestartet.12 Habitat, Verhalten „Die vom Rotmilan bevorzugte Landschaft sollte offen und reich strukturiert sein sowie im Tiefland oder mittleren Bergland liegen. Seine Horste baut er vornehmlich in lichten Altholzbeständen oder Waldrandzonen, aber auch in Feldgehölze, Baumreihen oder auf Hochspannungsgittermasten. Felshorste finden sich im Süden des Verbreitungsgebietes, im Küstenbereich und auf Inseln. Er gilt als ausgesprochener Segelflieger und baut seine Horste deshalb auch auf von Thermik begünstigten Standorten. Die Horste können über mehrere Jahre genutzt werden, z.T. werden auch vorhandene Nester anderer Vögel genutzt. Er fliegt auf der Suche nach Nahrung oft mehrere Kilometer, die er vorzugsweise auf kurzrasigen Grünlandflächen, Ackerflächen (abgeerntet, frisch umgebrochen), Mülldeponien, Gewässern und Siedlungen sucht (MEBS U. SCHMIDT 2006) 11 DNR, Umwelt- und naturverträgliche Windenergienutzung in Deutschland (onshore) 12 http://hessen.nabu.de/projekte/rotmilan 4
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung … Da seine ursprünglich natürlichen Jagdhabitate in Deutschland und Mitteleuropa (Primärlebensräume) nicht mehr vorkommen, ist der Rotmilan ein typischer Kulturfolger, der auf solche Sekundärlebensräume grundsätzlich angewiesen ist. …Rotmilane jagen aus dem Suchflug heraus über offenem Gelände, über Flächen der Kulturlandschaft. Dazu legen sie weite Strecken meistens im Gleit- und Segelflug zurück. Die Beute in Form von Kleinsäugern (Mäuse, Hamster, Maulwürfe, Junghasen) oder kleinen bis mittelgroßen Vögeln, wird meist im Vorbeiflug blitzschnell ergriffen, ohne sich auf den Boden zu setzen. Daneben wird aus Aas und Fleischabfällen gefressen oder andere Vögel so bedrängt, dass sie ihre Beute fallen lassen, selten auch Fische. Zum Balzen oder Revierverteidigen vollführen Rotmilan spektakuläre Schleifensturzflüge (MEBS U. SCHMIDT 2006)." 13 Genutzte Höhenbereiche „Die von Rotmilanen genutzten Höhenbereiche über Grund sind von zentraler Bedeutung zur Einschätzung der Kollisionswahrscheinlichkeit. Sie ist um so geringer, je seltener sich Rotmilane, insbesondere während der Brutzeit, in der Höhenlage des Wirkbereichs von Windenergieanlagen, also dem Rotorbereich, aufhalten. In der Literatur sind für unterschiedliche Aktivitäten von Rotmilanen bei unterschiedlichen Autoren unterschiedliche Flughöhen angegeben. Während der Jagd nutzt der Rotmilan nach HÖTKER (zitiert in RAABEVERLAG 2005)451 den Luftraum in 20 bis 25 m Höhe über der Erdoberfläche. SCHELLER U. KÜSTERS (1999, zitiert in KORN U. STÜBING 2003) geben für Nahrungsflüge eine Höhe von 50 m im Mittel (Median) an. AEBISCHER (2009) beschreibt, dass der eigentliche Suchflug in Höhen unter 50 m stattfindet. DÜRR (zitiert in VG BERLIN 2008) gibt Flughöhen von 40 bis -80 m an. Bei der Balz werden Flughöhen bis zu 200 m erreicht (a.a.O., SCHELLER U. KÜSTERS). Für Spätsommer und Herbst geben SCHELLER U. KÜSTERS (a.a.O.) Höhen von bis zu 500 m an. GOTTSCHALK (1995, zitiert in KORN U. Stübing 2003) gibt für ziehende Rotmilane eine durchschnittliche Flughöhe von 100 bis 300 m an. Im August/September sowie im März/April erreichen Rotmilane Zughöhen bis zu 300 m (LANGE U. HILD 2003).“14 Größere Rotorhöhen Ein Meideverhalten gegenüber WEA wurde nicht festgestellt15, was zu dem Schlagrisiko führt. Kollisionswahrscheinlichkeit mit Windenergieanlagen Die überwiegende Zahl der 190 in Deutschland erfassten Schlagopfer an Windenergieanlagen16 dürfte von WEA im Offenland, dem Jagdgebiet des 13 DNR, Umwelt- und naturverträgliche Windenergienutzung in Deutschland (onshore) 14 a.a.O. 15 a.a.O. 5
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung Rotmilan stammen, da in den Bundesländern mit den meisten Schlagopfern nur wenige WEA im Wald aufgestellt wurden. In Hessen werden WEA dagegen 7 WKA Hohenahr künftig vorrangig auf den 2 Rotmilan-Horste Kein signifikantes Kollisionsrisiko bewaldeten, windreichen Höhen der Mittelgebirge geplant, an Standorten außerhalb des Jagdgebietes des Rotmilan. Die 1012 genehmigten und in Betrieb genommenen 7 WEA bei Hohenahr/Hohensolms zeigen, dass eine Standortplanung, mit Rotmilanhorsten in der Nähe ohne signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko möglich ist. Die Kollisionswahrscheinlichkeit ergibt nach spezifischen Untersuchungen und Berechnungen in Thüringen unter Berücksichtigung einer Dunkelziffer mit Faktor 10 „dass bei fünf WEA voraussichtlich alle 18 bzw. 9 Jahre ein Rotmilan im Windpark tödlich verunglückt. Während der Gesamtlaufzeit der Anlagenwerden also etwa zwei bis drei Rotmilane verunglücken. Da dann jeweils auch die Reproduktion eines Jahres des betroffenen Paares ausfällt, ist mit dem Verlust von 4,4 bis 6,6 Rotmilanen innerhalb von 20 Jahren zu rechnen. In dieser Zeit werden alleine in Thüringen 6.000 Rotmilane das vierte Lebensjahr erreichen und sich damit erstmals am Brutgeschehen in Deutschland beteiligen können. Insofern ist aufgrund der Reaktionsfähigkeit der Art sicher ausgeschlossen, dass die möglichen Kollisionsverluste eine Auswirkung auf die Bestandszahlen haben können. Die Art kann nicht nur hinreichend auf die Auswirkungen der Windenergie, sondern auch auf andere noch relevantere Todesursachen reagieren. Additive Wirkungen unterschiedlicher Todesursachen sind in einem dynamischen, mehrfach rückgekoppelten chaotischem System ausgeschlossen, da Wirkungen von Veränderungen Ausgangsvoraussetzungen beeinflussen.“17 BUND Hessen zum Schutz des Rotmilan18 „Der Rotmilan wird stärker als jede andere Vogelart, die in Hessen brütet, durch den Ausbau der Windenergie gefährdet. Da das Verbreitungsgebiet der Art i. W. auf Mitteleuropa begrenzt ist, hat Deutschland maßgebliche Verantwortung für das Überleben der Art. Hessen liegt innerhalb des deutschen Vorkommenszentrums, so dass auch wir uns dieser Verantwortung stellen müssen. Die in ganz Deutschland rückläufigen Bestände führen zu den heftigen Diskussionen im Zusammenhang mit dem Ausbau der Windenergie. Der Hinweis im Artenhilfskonzept der Staatlichen Vogelschutzwarte, dass der Rotmilan wohl auch durch die Klimaerwärmung und die frühere Vegetationsentwicklung des Grünlandes beeinträchtigt wird, wird dabei leider zumeist übersehen. Unter dem emotionalen Eindruck, den 16 Tobias Dürr, Daten aus der zentralen Fundkartei der Staatlichen Vogelschutzwarte, Stand vom 7. 3. 2013 17 DNR, Umwelt- und naturverträgliche Windenergienutzung in Deutschland (onshore) 18 Im Brief an MP Bouffier v.15. 2. 2013 6
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung Fotos von erschlagenen Rotmilanen vermitteln, gerät die wichtige Frage, wie wir das Überleben der Population sichern können, zu schnell aus dem Blickfeld. Der hessische Bestand pendelt seit einigen Jahren zwischen 1.300 und 1.000 Brutpaaren und befindet sich damit im „ungünstigen Erhaltungszustand“ nach Artikel 1 FFH-Richtlinie (vgl. HMUELV: Leitfaden für die artenschutzrechtliche Prüfung in Hessen, 2. Fassung vom Mai 2011). Flächendeckend ist der Rotmilan heute mit einer deutlich schlechteren Nahrungsgrundlage konfrontiert, so dass der Bruterfolg geringer ausfällt als früher und vermutlich kaum noch ausreicht, um den heutigen Bestand zu stabilisieren. Die Energiewende birgt in dieser Situation das potenzielle Risiko einer erhöhten Mortalität an der wachsenden Zahl der Windkraftanlagen und einer weiteren Verschlechterung des Nahrungsangebots durch die Ausweitung des Maisanbaus zur Biomasseproduktion. Wir plädieren deshalb nachdrücklich für Schutzmaßnahmen, die beide Aspekte - die mögliche erhöhte Mortalität und die Verschlechterung der Nahrungsgrundlage - in den Blick nehmen und schlagen folgende Maßnahmen vor: Lösungsvorschläge 1. Schutz des vorhandenen Grünlands in den EU-Vogelschutzgebiete, die für den Rotmilan ausgewiesen wurden, durch: • Verbot des Grünlandumbruchs • Verbot der Aufforstung von Grünland • Angebote zum Vertragsnaturschutz im Grünland gemäß dem im Artenhilfsprogramm beschriebenen Modul 2. Durchführung von FFH-Verträglichkeitsprüfungen für Biomasseanlagen in den EU-Vogelschutzgebieten, die für den Rotmilan ausgewiesen wurden (Begrenzung des Maisanbaus auf einen Umfang, der die Erhaltungsziele des Schutzgebietes nicht „erheblich beeinträchtigt“). 3. Neuanlage von Grünland mit Bewirtschaftungsvorgaben gemäß dem im Artenhilfsprogramm beschriebenen Modul über Nebenbestimmungen bei der Genehmigung von WEA; Finanzierung der Neuanlage durch die Mittel der Ausgleichsabgabe, die für den Bau von WEA erhoben wird.“ Einer WEA-Planung als entgegenstehend wird angesehen, dass: • „durch das nicht vorhandene Meideverhalten gegenüber WEA eine signifikante Erhöhung des Kollisionsrisikos nicht auszuschließen sei; • die Errichtung von WEA innerhalb der Tabuzone der Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (1.000 m) eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos für die Tiere darstelle, auch wenn die Art in den tierökologischen Abstandskriterien Brandenburgs (TAK) nicht aufgeführt ist; • gerade in einem Dichtezentrum der Verbreitung der Art der Verlust einzelner Tiere bereits nachteilige Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der lokalen Population hätte, die bereits aus einigen Brutpaaren bestünde; • gerade am Rand des Verbreitungsgebietes der Art Verluste einzelner Tiere bereits nachteilige Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der lokalen Population hätte, die bereits aus einem einzelnen Brutpaar bestünde und 7
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung • die geplanten WEA zwischen Horststandorten und standortstabilen Nahrungshabitaten wie elektrifizierten und nichtelektrifizierten Bahntrassen, Bundesfernstraßen, Kompostierungsanlagen und Sammelplätzen, Bodendeponien und Bodenentnahmeflächen lägen.“19 Der BUND Hessen befürwortet eine Untersuchung zur Windkraftnutzung und Artenschutz im hohen Vogelsberg. Die Untersuchung sollte festgestellte Verluste von Rotmilan, Schwarzstorch und hochfliegenden Fledermäuse darstellen und das Gefährdungsrisiko beim weiteren Ausbau der Windkraftnutzung beurteilen. … Die Untersuchung möglicher künftiger Gefährdungen sollte die Hinweise in den „Steckbriefen“ der ONB zum TRPEM bewerten und mögliche besondere Maßnahmen des Artenschutzes durch Habitatverbesserungen einbeziehen. 2. Schwarzstorch Kollisionsrisiko mit WEA Für den Schwarzstorch gibt es praktisch kein Kollisionsrisiko mit WEA. In Deutschland wurde nur ein einziger (in der Ursache umstrittener) Totfund festgestellt, der mit WEA in Verbindung gebracht wurde (im August 1998 in einem Windpark im Vogelsberg), dagegen in Deutschalnd 10 bis 30 an Hochspannungsleitungen (Stromschlag und Leitungsanflug).20 Bestandsentwicklung „Nachdem die Art vor wenigen Jahren in Deutschland nahezu ausgerottet war, hat sie sich in den letzten 25 Jahren sehr positiv entwickelt. In Folge der guten Wiederbesiedlung des ehemaligen Verbreitungsgebietes bzw. der Neuerschließung von Räumen Bestandsentwicklung des Schwarzstorchs in Deutschland bis 2008 (Mittelgebirgslandschaften) hat ihr Bestand bundesweit deutlich zugenommen. Dies ist sowohl auf die Einstellung der Bekämpfung, als auch auf gezielte Arten- und Biotopschutzmaßnahmen des Naturschutzes und der Forstverwaltungen zurückzuführen. Da der Schwarzstorch Gegenstand von erfolgreichen Naturschutzmaßnahmen war, ist der Kenntnisstand nicht nur hinsichtlich seiner Biologie, sondern auch bezogen auf seine Ökologie, insbesondere auf seine Lebensraumansprüche, sein Verhalten und seine Reaktionsfähigkeit hervorragend. …Schwarzstörche gelten als die am weitesten verbreitete Storchart, sein Hauptbrutareal erstreckt sich von Spanien, Teilen Frankreichs über Mitteleuropa, komplett Osteuropa quer durch Sibirien bis an deren Ostküste. 19 DNR, Umwelt- und naturverträgliche Windenergienutzung in Deutschland (onshore) 20 a.a.O. 8
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung …In Deutschland gilt der Schwarzstorch als ein sehr seltener Brutvogel mit einer Bestandsgröße von 500-530 Brutpaaren für 2005 (SÜDBECK et al. 2007), RHODE (2010) gibt bis zu 560 Brutpaare für 2008 an.“21 Verbreitung, Lebensraum und Lebensweise „Schwarzstörche brüten in ungestörten Wäldern, oftmals in unmittelbarer Nähe zu Fließgewässern oder Feuchtgebieten, Mooren und Teichen. Eine solche örtliche Nähe ist für eine erfolgreiche Jungenaufzucht, insbesondere für die ersten Versuche des selbständigen Nahrungserwerbs durch den Nachwuchs, unabdingbar. Ein hoher Laub- oder Mischwaldanteil mit unterholzreichen Altholzflächen mit Schneisen und Lichtungen, für den ungehinderten, aber gedeckten Anflug, ist häufig Voraussetzung für die Errichtung der Horste. Optimal ergänzt wird so ein Horstgebiet von nahegelegenen extensiv genutzten Feuchtwiesen. Als Horstbäume dienen vor allem Eichen, Buchen und Kiefern. Der Horst hat einen Durchmesser von 1,0m bis 1,2m und kann bis zu einer Tonne wiegen. Nach etwa drei bis vier Jahren wird oftmals der Horst, nicht aber das Revier aufgegeben. Wechselhorste liegen in Entfernungen zwischen einem und max. 20 Kilometern. Die Nahrung der Schwarzstörche ist vorwiegend tierisch und besteht primär aus Fischen, Amphibien, Wasserinsekten und deren Larven, teilweise kommen Kriechtiere, Kleinsäuger und Jungvögel hinzu. Ergänzt wird diese Nahrung von Pflanzen, meist Moose und Wasserpflanzen. Sie wird prioritär an schnellfließenden Bächen und Gräben mit klarem Wasser und kiesigem Grund, in deutlich geringerem Maß an Kleingewässern, in Mooren und nassen Wiesen in der Nähe des Horstes, vereinzelt in bis zu 20 Kilometer, regelmäßig in 6-12 km Entfernung vom Brutplatz erbeutet (JANSSEN et al. 2004552, ABBO 2001553). Die Größe des Gebietes, welches Brutpaare nutzen ist ausschließlich von der Qualität der Nahrungshabitate, genauer der Menge der verfügbaren Nahrung in Horstnähe, abhängig. Je weniger naturnah die Fließgewässer, je schlechter das Nahrungsangebot, desto größer das Revier. Suboptimale Lebensräume werden ausschließlich durch Gebietsausweitung, nicht jedoch durch Ausweichen auf ein anderes Nahrungsspektrum (wie bspw. beim Rotmilan) kompensiert.“22 Die überwiegende Zahl der Brutplätze (66,7%) ist jedoch nur bis zu drei Jahre in Folge besetzt.23 Empfindlichkeit allgemein „Im näheren Umfeld seines Horstes, speziell in der Brutphase, ist der Schwarzstorch allgemein sehr störungsempfindlich. Menschliche Störungen, insbesondere zu Beginn der Brutzeit, oder Veränderungen am Horststandort können die ansonsten ortstreuen Störche zur Aufgabe des Horstes veranlassen. Jegliche Arten von forstwirtschaftlicher Nutzung, bspw. Durchforstung, Rückearbeiten, Holzabfuhr, Aufarbeitung von Windbruch, Pflanzarbeiten, Wegebau, können zur Aufgabe 21 a.a.O. 22 a.a.O. 23 Artenhilfskonzept für den Schwarzstorch (Ciconia nigra) in Hessen 9
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung seines Horstes führen. Holzeinschlag in bis zu einem Kilometer Entfernung führt zum Verlassen des Horstes (DORNBUSCH &DORNBUSCH 1994555 in JANSSEN et al. 2004556). Auch jagdliche Nutzungen, z.B. die Jagd an sich, Bau von Jagdeinrichtungen, Unterhaltung von Kirrungen, zur Brutzeit im Umfeld des Horststandortes kann ähnliche Ergebnisse verursachen. Ähnliche Störungen verursachen des Weiteren Spaziergänger/Jogger, Radfahrer, Reiter und die damit verbundenen Erschließungsmaßnahmen wie Wegebau und Wegeinstandsetzungsmaßnahmen, sowie „Hobby-Flieger“ (Gleitschirm, Heißluftballon u.a.). Eine weitere nicht unbedeutende Ursache für die Aufgabe von Bruten können auch „Nestbesucher“/Naturbeobachter sein.“24 Empfindlichkeit gegenüber WEA „Zur Empfindlichkeit des Schwarzstorchs gegenüber den Wirkungen von Windenergieanlagen gibt es nur sehr wenige konkrete Hinweise in Form von speziellen Untersuchungen oder publizierten Beobachtungen. Dies liegt einerseits daran, dass Schwarzstörche überwiegend in größeren, ungestörten Wäldern brüten, anderseits an ihrer großen Scheu gegenüber dem Menschen, sodass Schwarzstorchbeobachtungen, gemessen an der Bestandsgröße, eher selten sind. …Speziell aus der Lebensweise des Schwarzstorches ist eine allgemein hohe Empfindlichkeit gegenüber jeglichen Störungen durch den Menschen ableitbar, die sich jedoch nicht auf technische Einrichtungen übertragen lässt. Vielmehr gibt es Hinweise, dass die Siedlungsnähe aufgesucht wird, wenn der Mensch in frühen Morgenstunden noch nicht präsent ist. Zudem werden Fischteichanlagen trotz entsprechender Abwehrmaßnahmen regelmäßig aufgesucht. Die direkte Störung durch Menschen betrifft einerseits die Errichtung und anderseits den Betrieb, insbesondere die Wartung von Windenergieanlagen, wobei gegebenenfalls neben der technischen Anlage an sich (s.o.), vor allem von der regelmäßigen menschlichen Präsenz eine Störung ausgehen kann. … Neben der immer noch stattfindenden illegalen Nachstellung durch Abschuss, mit Fallen, Gift oder durch das Sammeln von Eiern und neben Störungen durch wasser-, forst- bzw. fischereiwirtschaftliche Maßnahmen sowie durch die Jagdausübung und Freizeitnutzung der Wälder kommt es damit überproportional häufig zu Verlusten von Schwarzstörchen an Freileitungen durch Stromschlag und Anflug. Freileitungen stellen damit eine der großen Gefahren für den Schwarzstorch dar (JANSSEN et al. 2004). Ein unmittelbarer Vergleich von Freileitungsunfällen und Kollisionen mit WEA ist angemessen, da in beiden Fällen keine oder nur wenige systematische Erhebungen durchgeführt worden sind. Offensichtlich sind Unfälle an Freileitungen wesentlich häufiger als an WEA. Es zeigt sich aber auch, dass das Gefährdungspotential mit bestimmten Strukturen im Nahrungshabitat in direkter Verbindung steht. Solche Räume, in denen es zu besonderen Gefährdungen kommen kann, sind jedoch für die Errichtung von WEA meist vollständig ungeeignet. WEA könnten nur dann ein zusätzliches Gefährdungspotential 24 a.a.O. 10
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung verursachen, wenn sie an Hängen in Bereichen von Strukturen, die Thermik bzw. Aufwinde begünstigen, beispielsweise im Übergang von Acker- bzw. Grünland zu Wald, hangparallel errichtet würden. … In Räumen, in denen sich die örtlichen Bestände des Schwarzstorchs positiv entwickeln, die Lebensraumvoraussetzungen also gut sind, haben dort realisierte Windenergieprojekte im entsprechenden Abstand keine erkennbare Auswirkung auf die Bestandsentwicklung. Sie stehen somit einem guten Erhaltungszustand der Art nicht entgegen. Positive Einflüsse aus dem Lebensraum oder die Verhinderung der unmittelbaren Verfolgung oder anderer Störungen sind entwicklungsbestimmender als theoretisch herzuleitende oder vorstellbare nachteilige Wirkungen von WEA. Die nach absoluten Zahlen und im Verhältnis zu anderen Todesursachen, insbesondere dem Freileitungsanflug, seltenen Kollisionen von Störchen mit Windenergieanlagen haben nach den vorliegenden Untersuchungen bisher keine Auswirkung auf den Bestand im Umfeld der jeweiligen Windparks oder auf den Reproduktionserfolg dieses Bestands gehabt.“25 „Im Gebiet Vogelsberg (HE), das gern als Beispiel für positives Nebeneinander von Schwarzstörchen und Windkraft genannt wird, nahm der Brutbestand mit der schrittweisen Errichtung von 178 WEA von 14-15 BP auf 6-8 BP ab, ohne dass sich ein ursächlicher Zusammenhang beweisen lässt.“26 „Eine Info zum Schwarzstorch: zumindest im Vogelsberg sieht´s so aus, als ginge der Einbruch bei der Bestandsentwicklung weiter: nach meiner Info 2013 keine einzige erfolgreiche Brut. 2013 spielt sicher das Wetter mit, bei der Trendumkehr der Bestandsentwicklung dürfte m.E. aber die deutlich verschärfte Forstwirtschaft eine Rolle spielen.“27 25 a.a.O. 26 Dürr, Langgemach, Informationen über Einflüsse der Windenergienutzung auf Vögel, Stand 18.12.2012 27 Wolfgang Dennhöfer, 5.7. 2013 11
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung Artenhilfskonzept für Schwarzstorch im Vogelsberg durch HessenENERGIE GmbH BUND Hessen zum Schutz des Schwarzstorchs28 Die Staatliche Vogelschutzwarte hat u.a. bei der Tagung im Regierungspräsidium Kassel am 29.01.2013 berichtet, dass die Forstwirtschaft Auslöser für zahlreiche Konflikte bei der Planung von Windenergieanlagen ist. Störungen durch den regulären Forstbetrieb führen immer wieder zur Aufgabe der bestehenden Brutplätze, mit der Folge, dass die Tiere Horststandorte aufgeben. Solche Vertreibungen sind für die Art problematisch, weil die Art auf eine langjährige Brutplatztreue über Jahrzehnte eingerichtet ist, wie man sie auch vom Weißstorch kennt. Umsiedlungen sind problematisch, weil sie immer das Risiko der Revieraufgabe auslösen und der mittlere Bruterfolg auf neu begründeten Horsten geringer ist. Für den Ausbau der Windkraft bedeuten solche Umsiedlungen ein ständiges Planungsrisiko bei der Festlegung der Vorranggebiete und deutliche Verzögerung, ggf. auch das Ende eines bereits laufenden Planungs- und Genehmigungsverfahren. Die Naturschutz-Leitlinie von Hessen-Forst sieht vor, dass Horstbäume erhalten, der Waldcharakter im engen Horstbereich von 50 m durch reduzierten Einschlag gewahrt wird und im Radius von 300 m in der Zeit von Anfang März bis Ende August Störungen zu vermeiden sind. Die Praxis zeigt, dass dies nicht genügt. In Brandenburg gibt es zur Vermeidung solcher Probleme eine Horstschutzzone mit einem Radius von 100 Metern, in der die Bewirtschaftung im Regelfall vollständig ruht. 28 Im Brief an MP Bouffier v.15. 2. 2013 12
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung „Derzeit ist die Umsiedlungsrate der brütenden Paare allerdings recht hoch, so dass von den vermuteten etwa 100 Paaren nur 58 für den Zeitraum 2008 bis 2010 exakt dokumentiert werden konnten. Auch unter diesen Standorten befinden sich einige Horstplätze, die aktuell nicht besetzt sind.“ Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland: Artenschutzprogramm Schwarzstorch (24.02.2012 Abgestimmte und aktualisierte Fassung) Lösungsvorschlag BUND: Die Horststandorte werden in die Betriebskarten der Revierförster übertragen. Die forstliche Nutzung wird in einem Radius von 100 m um die Horste eingestellt und in einem Radius von 300 m wird der Waldcharkter durch reduzierten Einschlag gewahrt (Schonung und Entwicklung des Altholzes). 3. Fledermäuse Kollisionsgefahr an Windenergieanlagen „Die Anzahl von an WEA verunfallten Fledermäusen in den einzelnen Bundesländern ist sehr unterschiedlich, wobei vor allem die Untersuchungsintensität und das Vorhandensein einer entsprechenden Funddaten- Koordinationsstelle eine Rolle spielt. Entsprechend ist bislang kein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Anzahl installierter WEA und den dokumentierten Schlagopferzahlen herzustellen. Für Hessen liegen bisher (Stand: September 2010) mit lediglich zwei Nachweisen (je 1x Zwerg- und Rauhautfledermaus) die wenigsten Totfunde vor.“29 „Für jagende, umherstreifende oder ziehende Fledermäuse stellen die sich drehenden Rotoren von Windenergieanlagen Hindernisse dar, welche nicht immer sicher erkannt werden können, was insbesondere die sich mit hoher Geschwindigkeit bewegenden Flügelspitzen betrifft. Verschiedene Untersuchungen aus mehreren Bundesländern und auch internationale Studien belegen, dass vor allem Fledermausarten des Offenlandes sowie ziehende Arten als Schlagopfer unter Windenergieanlagen gefunden werden. Sowohl Meldungen über zufällig als auch im Rahmen besonderer Forschungsvorhaben und Monitoringuntersuchungen aufgefundene Schlagopfer werden durch die Staatliche Vogelschutzwarte Brandenburg in einer Schlagopferkartei gesammelt (DÜRRB)761. Die folgende Abbildung ist eine Auswertung dieser Schlagopferkartei (Stand 29.11.2011) mit Aufgliederung in die sieben am häufigsten gefundenen Fledermausarten und deren Anteile an den Schlagopfern. 29 ITN 2012 Konfliktanalyse zur Ausweisung von Windkraftvorranggebieten, Hessen 13
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung Die Dürr-Liste mit Stand 29.11.2011 zählt für Deutschland bisher 568 Schlagopferfunde des Großen Abendseglers auf, davon allein 357 in Brandenburg. Die überwiegende Zahl der Meldungen bezieht sich auf die Jahre 2003-10, also einen Zeitraum von acht Jahren, was einer durchschnittlichen Quote von 65 Schlagopfern / Jahr entspricht, in Brandenburg 41 Opfer / Jahr. …Für die hier relevanten Fledermausarten ist über den Zeitraum 2002 bis 2011 keine besondere Steigerung der Schlagopferzahlen festzustellen. …Unter Berücksichtigung der Populationsgröße und Fundhäufigkeit gelten die folgenden Fledermausarten als potenziell von Kollisionen betroffen (eingriffsrelevante Arten): Großer Abendsegler (Nyctalus noctula), Rauhautfledermaus (Pipistrellus nathusii), Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus), Kleiner Abendsegler (Nyctalus leisleri), Zweifarbfledermaus (Vespertilio murinus), Mückenfledermaus (Pipistrellus pygmaeus), Breitflügelfledermaus (Eptesicus serotinus) …In der Untersuchung über die Aktivität von Fledermäusen an Windkraftstandorten in der Agrarlandschaft Nordbrandenburgs (Göttsche u. Matthes) wurde mittels mehrerer Detektoren in unterschiedlichen Höhen und Richtungen herausgearbeitet, dass die Fledermausaktivitäten mit zunehmender Höhe stark abnehmen und in Gondelhöhe nur noch einen Bruchteil der Aktivitäten am Boden ausmachen, wobei sich artspezifisch unterschiedliche Verhältniszahlen ergeben (Abbildung). Insbesondere dürften die unterschiedlichen Windstärken und sonstigen Witterungsverhältnisse sowie die damit zusammenhängende räumliche Verteilung der Insekten dafür eine Rolle spielen. …Die Kollisionshäufigkeit ist grundsätzlich von der Aktivität von Fledermäusen in Gondelhöhe und insoweit indirekt von der Windgeschwindigkeit, dem Monat und der Jahreszeit (in absteigender Bedeutung) abhängig und zwischen den untersuchten Windparks und den einzelnen Anlagen sehr unterschiedlich.“30 Bei heutigen WEA mit Nabenhöhen von 140 m und mehr mit Rotordurchmessern von 80 bis 90 m verbleibt ein freier Luftraum von 98 m über Grund und von mindestens 68 m über den Baumwipfeln. In Hessen werden WEA künftig vorrangig auf den bewaldeten, windreichen Höhen der Mittelgebirge entstehen, während die Fledermäuse und Insekten eher die windärmeren Senken zwischen den Höhen aufsuchen. 30 DNR, Umwelt- und naturverträgliche Windenergienutzung in Deutschland (onshore) 14
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung Größere Rotorhöhen Nur acht bis zehn der etwa 25 in Deutschland lebenden Fledermausarten kollidierten an WEA. Fast 88% der im Rahmen eines Forschungsprojekts (BRINKMANN et al. 2011)767 gefundenen Kollisionsopfer gehören zu den vier Arten Rauhautfledermaus (31%), Großer Abendsegler (27%), Zwergfledermaus (21%) und Kleiner Abendsegler (9%). Nicht betroffen sind Gleaner, insbesondere die Arten der Gattung Myotis (0,2% der erfassten Rufe). Die Mehrheit der Kollisionen findet im Juli bis September statt. Im Jahr 2007 wurden 22 kollidierte Fledermäuse an 12 WEA (1,83 Totfunde pro Jahr und Anlage), im Jahr 2008 35 Kollisionsopfer an 18 WEA (1,94 Totfunde pro Jahr und Anlage) gefunden. Die Varianz der Totfunde liegt bei 0 bis 14 Tieren pro Anlage (a.a.O.). “31 Untersuchungen mit Detektorbegehungen ergaben, „dass 14 Fledermausarten, unter anderem der Große Abendsegler, die Zwergfledermaus, die Breitflügelfledermaus und die Fransenfledermaus, im unmittelbaren Umfeld der Anlagen festgestellt wurden. Da Fledermäuse ihren Sommerlebensraum in Abhängigkeit von kurzfristig veränderlichen Wetterbedingungen und sonstigen Einflüssen hoch variabel nutzen, ist aus solchen Erkenntnissen keine generelle, nachteilige Auswirkung von WEA auf den Lebensraum insgesamt, die Nahrungshabitate, die Art, die Population oder den örtlichen Bestand abzuleiten. …Bei näherer Auswertung der Datensammlung “Fledermausverluste an Windenergieanlagen” (DÜRR)763 wird deutlich, dass während des Heimzuges und während der Reproduktionszeit (im Sommerlebensraum) nur verhältnismäßig wenige Tiere verunglücken. Erst mit Auflösung der Wochenstuben bzw. dem Beginn des Herbstzuges, also von der dritten Dekade des Julis bis zur zweiten Dekade des Oktobers, steigt die Zahl der Verluste an (vgl. Abbildung 70). Daraus folgt, dass nur in einer bestimmten Zeitphase bzw. nur in einem Lebenszyklus eine relevante Kollisionswahrscheinlichkeit besteht. Etwa 90 % der Kollisionsopfer werden in diesem Zeitraum festgestellt. Welche Auswirkungen diese erhöhte Kollisionswahrscheinlichkeit auf die Art, die jeweilige Population oder den örtlichen Bestand im Umfeld des geplanten Vorhabens hat, ist weitgehend unbekannt. Hinweise auf nachteilige Auswirkungen fehlen. Bei einer Einzelbetrachtung der Arten ergeben sich weitere zeitliche Begrenzungen der Kollisionshäufigkeit …Als dem jeweiligen Vorhaben entgegenstehend wird angesehen, dass: • aufgrund des Artnachweises im Vorhabensgebiet und der Annahme eines artspezifisch erhöhten Kollisionsrisikos zumindest beim Großen Abendsegler das Tötungsverbot erfüllt sei; • von den Vorhaben verursachte massive Eingriffe in den Lebensraum der Fledermäuse, eine erhebliche Einflussnahme auf die Reproduktionen von Fledermausarten und das Kollisionsrisiko von Individuen der benachbarten Reproduktionsgebiete (umliegende Wälder) die Fledermauspopulationen erheblich nachteilig beeinflussten und den Erhaltungszustand der Arten verschlechterten und 31 a.a.O. 15
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung • zur Reproduktionszeit ein sehr hohes Kollisionsrisiko für die Lokalpopulation der Fledermäuse bestünde und für ziehende Tiere von einem weiteren erheblichen Kollisionsrisiko ausgegangen werden müsse“32 Fledermaus Fledermaus Habitate Habitate Kollisionsrisiko: Bestimmung, Zeiten, Verringerung, Abschaltung, Ertragsminderung33 Martin Krauß Martin Krauß 32 a.a.O. in Windparks in Sachsen 33 Dr. Robert Brinkmann, FrInaT GmbH, Anlagentechnik: „Welche technischen Möglichkeiten gibt es insbesondere im Hinblick auf Fledermäuse?“ Mainz, 28. 2. 2013 16
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung BUND Hessen zum Fledermausschutz Während die meisten Fledermausarten so niedrig fliegen, dass sie kaum durch Windenergieanlagen gefährdet werden, haben Windenergieanlagen bei höher fliegenden Arten z.T. hohe Mortalitätszahlen verursacht. Das Risiko lässt sich aber deutlich mindern, wenn Windenergieanlagen durch die kleinräumige Standortwahl und so genannte Fledermaus- Schnellabschaltungen ausgestattet werden.34 Z.B. keine signifikantes Tötungsrisiko durch Abschaltungen an windarmen (< 5m/s), regenfreien Nächten, zwischen Sonnenunter- und aufgang im Juni bis September. 4. Uhu in Hessen Ein aktuelles Artgutachten für den Uhu in Hessen beschreibt seine positive Bestandsentwicklung und Gefährdungen.35 Die Bestandsentwicklung des Uhus ist in Hessen wie in Bestandsentwicklung des Uhus in Deutschland wieder sehr Hessen von 1977 bis 2010 (Daten von BURBACH 2000, HG ON 2010, VSW) positiv, nachdem er durch Verfolgung und Pestizide (Aberglauben, Hüttenjagd als Lockvögel und Trophäenjagd, hohe Abschussprämie, Lebensraumverlust, Isolation, DDT) fast ausgerottet war. Die Bestandsentwicklung des Uhus in Hessen vollzog sich von 1977 nahe Null bis auf 180-220 im Jahr 2010. 34 Im Brief an MP Bouffier v.15. 2. 2013 35 PIETSCH, A. & M. HORMANN 2012: Artgutachten für den Uhu (Bubo bubo) in Hessen 17
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung Gefährdungen des Uhus und Störungen mit Brutabbruch, bzw. Brutverlust bestehen in erster Linie in Freizeitaktivitäten wie Geocaching und Klettern, Hochspannungsleitungen (Stromtod), Straßenverkehr, Weidezäunen, Steinbruchbetrieb und Verfüllungen der Steinbrüche.36 Neben natürlichen Faktoren wie Parasiten, Prädatoren, Konkurrenz zum Wanderfalken, schlechter Witterung oder Krankheiten zählen Gefährdungen durch den Menschen zu den häufigen Todesursachen von Uhus. … „Die größte Gefahr für den Uhu bilden Mittelspannungsmasten.“37 Der Uhu ist als windkraftempfindliche Art eingestuft. Uhu-Verluste an Windenergieanlagen wurden bis 2013 13 bei 1500 Brutpaaren (2007) in Deutschland festgestellt, keine davon in Hessen.38 Eine negative Auswirkung von Windenergieanlagen in der unmittelbaren Nähe zu Brut- und Jagdhabitaten auf die Population wird lediglich vermutet. „In Hessen wurden noch keine durch Windenergieanlagen getöteten Uhus gefunden.“39 „Aufgrund des weiten Verbreitungsgebiets des Uhus wurde er als 'least concern' von der IUCN eingestuft. Auch in Deutschland wird der Uhu nicht mehr als gefährdet in der Roten Liste geführt.“40 „Der ehemals ausgerottete Uhu hat sich in Hessen wieder fest etablieren können. Von einer ausreichend großen Population, die sich selbst erhalten kann, wird fest ausgegangen. Solange der Uhu nicht bejagt wird und 36 a.a.O. 37 a.a.O. 38 Daten aus der zentralen Fundkartei der Staatlichen Vogelschutzwarte im Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Brandenburg, zusammengestellt: Tobias Dürr; Stand vom: 07. März 2013 39 PIETSCH, A. & M. HORMANN 2012: Artgutachten für den Uhu (Bubo bubo) in Hessen 40 a.a.O. 18
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung genügend störungsfreie Bruthabitate zur Verfügung stehen, wird nicht von einem Bestandsrückgang ausgegangen. Die Sicherung der bestehenden Brutplätze stellt damit die wichtigste Schutzmaßnahme für den Erhalt des Uhus dar.“41 Dennoch sieht die LAG-VSW für die Planung von Windenergieanlagen vorsorglich eine Abstandsempfehlung von 1.000 m zu den Fortpflanzungsstätten des Uhus (Tabuzone) und einen Prüfbereich von 2.000 m vor, wobei im Einzelfall begründete, regionale Anpassungen vorgenommen werden können (in VSW & LUWG 2012). 6. Bestandsentwicklungen allgemeiner Vogelarten in Deutschland42 Rückgänge „häufiger“ Vogelarten (nicht oder weniger windkraftempfindliche Arten) Feldlerche, Heidelerche, Bluthänfling, Wachtel, Braunkehlchen, Rebhuhn, Kiebitz, Goldammer, Grauammer, Neuntöter, Mehlschwalben, Mauersegler, Sperlinge, Ortolan, Rotschwänze, Fasan, Star, (besonders Langstreckenzieher nach Afrika) Zunahmen „seltener“ Vogelarten, Wiederausbreitung (Eher windkraftempfindliche Arten. Z.T. Schutzprogramme, Zucht, Auswilderung, Einzelnestbetreuung) Fischadler, Seeadler, Kranich, Großtrappe, Wanderfalke, Wiesenweihe, Großer Brachvogel, Schwarzstorch, Kormoran, Grünspecht, Weißstorch, Uhu (dichteste Verbreitung des Weißstorchs bei größter Dichte von Windkraftanlagen, ähnlich Kranich) „Bei den Vögeln sind wir vergleichsweise gut über 41 a.a.O. 42 Martin Flade, Von der Energiewende zum Biodiversitäts-Desaster –zur Lage des Vogelschutzes in Deutschland 19
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung Bestandstrends informiert. Hier gibt es seit spätestens 1990 gesamtdeutsche Monitoringprogramme, die vom Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) auf der Basis ehrenamtlicher Kartierarbeit durchgeführt und seit acht Jahren durch Bundesmittel sowie eine Bund-Länder-Vereinbarung zum Monitoring unterstützt werden (Flade & Schwarz 2004, Wahl & Sudfeldt 2010, Sudfeldt et al. 2012). Die jetzt abgeschlossene Auswertung für den Zeitraum ab 1991 zeichnet für die 115 häufigsten deutschen Brutvogelarten ein dramatisches Bild: 23 im Gesamtraum signifikant zunehmenden Arten stehen 51 signifikant abnehmende Arten gegenüber! Bei den übrigen 41 Arten war der Bestand gleich bleibend oder fluktuierend (Flade et al. 2012). Das heißt, fast die Hälfte der Arten befindet sich im Rückgang! Besondere die Lage der Brutvögel der Agrarlandschaft hat sich dramatisch verschlechtert, und dies noch einmal verschärft durch die „Energie-Agrarwende“ um 2007. Diese wurde maßgeblich mitverursacht durch das Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) und den dadurch stark forcierten Bioenergiepflanzen-Anbau, vor allem von Mais (Flade & Schwarz 2011, DO-G & DDA 2011). Dies ging einher mit der Einstellung des Flächenstilllegungsprogrammes der EU im Herbst 2007 und dem sich daraus ergebenden drastischen Rückgang von Ackerbrachen, sowie in einigen Bundesländern auch dem anhaltenden Rückgang des Dauergrünlandes. Auf den weiträumigen Ackerbrachen, die Mitte der 1990er Jahre in Ostdeutschland zeitweise fast 20 % der Agrarfläche ausmachten (Abb. 1), konnten sich vor 2007 die Bestände gefährdeter Feldvögel wie Feldlerche Alauda arvensis, Wachtel Coturnix coturnix, Braunkehlchen Saxicola rubetra, Gold- und Grauammer Emberiza citrinella, E. calandra vielfach erholen (Flade & Schwarz 2011). Auf den intensiven Maisanbauflächen können Feldvögel nicht existieren, weil Hauptbearbeitungsgänge mitten in die Brutzeit fallen und sie später einfach nichts zu Fressen finden. Die Äcker werden vor der Maisansaat im April/Mai regelmäßig komplett mit dem Totalherbizid Roundup abgespritzt, umgebrochen und neu eingesät. Die jungen Maispflanzen wachsen extrem schnell und hoch auf, die Maisfelder werden in der Initialphase gehackt und später mit Pestiziden behandelt.“43 Abb. Bestände der Agrarvögel reagierten dramatisch. Von den 30 häufigsten Arten gibt es gerade vier, die ihre Bestände noch halten können (Jagdfasan Phasianus colchicus, 43 a.a.O. 20
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung Wiesenschafstelze Motacilla flava, Raben- und Nebelkrähe Corvus corone, C. cornix), alle übrigen Arten nehmen spätestens seit 2007 ab – einige schon langfristig (z. T. seit den 1970er Jahren), wie z. B. Bluthänfling Carduelis cannabina, Rebhuhn Perdix perdix und Kiebitz Vanellus vanellus, andere seit den späten 1990er Jahren, wie Feldlerche, Goldammer und Neuntöter Lanius collurio, und wieder andere, die von den Stilllegungen in Ostdeutschland besonders profitiert hatten, erst nach der Agrarwende um 2007. Zur letzten Gruppe gehören Wachtel, Heidelerche Lullula arborea, Grauammer und Ortolan Emberiza hortulana (die beiden letztgenannten Arten zeigten gegensätzliche Entwicklungen: in Westdeutschland kontinuierliche Abnahme, in Ostdeutschland und damit auch in der Gesamtbilanz für Deutschland zunächst bis ca. 2007 starke Zunahme, aktuell einsetzende Abnahme). Günstige Trends zeigen nur noch einige seltene Arten, deren Bruten einzeln aufwändig betreut (gegen Prädatoren gezäunt und gegen landwirtschaftliche Arbeiten geschützt, z. B. Wiesenweihe Circus pygargus und regional Großer Brachvogel Numenius arquata), bzw. deren Bestände zusätzlich durch Zucht und Auswilderung gestützt werden (Großtrappe). Doch kann der Naturschutz das tatsächlich als „Erfolg“ verbuchen, wenn in einer devastierten, übernutzten und biologisch verarmten Agrarlandschaft einzelne fast ausgestorbene Arten per Einzelnest-Betreuung gesichert werden, während die Vielfalt der (früheren) „Allerweltsarten“ zusehends verschwindet? Nichts gegen erfolgreichen Artenschutz, aber er kann zumindest in Politik und Öffentlichkeitswahrnehmung durchaus dazu führen, dass einzelne Arten aus dem Gesamtkontext herausgelöst werden und der Blick auf die Gesamtentwicklung verstellt wird. 21
Windkraft und Artenschutz in Hessen Martin Krauß BUND Hessen Juni 2013 Literaturauswertung Doch auch bei den anderen Vogelartengruppen sind die Entwicklungen wenig hoffnungsvoll. Während sich die Situation der Vogelarten der Gewässer und Feuchtgebiete noch relativ günstig darstellt (fünf Arten abnehmend, sieben Arten zunehmend, 13 Arten stabil), ist die Bilanz in den übrigen Lebensräumen negativ (Flade et al. 2012). So auch bei den Waldvögeln: Während sich bis vor einigen Jahren die Zu- und Abnahmen noch etwa die Waage hielten und das Gros der Arten seinen Bestand wenig veränderte (Flade & Schwarz 2004), ist hier eine Trendwende eingetreten (Flade & Schwarz 2010, Flade 2013). Aktuell (Stand der Auswertung 1991-2010) stehen 21 abnehmende Arten 13 zunehmenden Arten gegenüber, und nur 20 Arten zeigen seit 1991 keine signifikanten Bestandsveränderungen (Flade et al. 2012). Über die Ursachen dieser Wende gibt es nur Vermutungen: Neben Veränderungen in Intensität und Frequenz der Waldbaumfruktifikationen (für einige häufige Jahresvögel wie Meisen Parus spec., Buchfink Fringilla coelebs, Kleiber Sitta europaea und Buntspecht Dendrocopos major relevant) wird diese Entwicklung am ehesten als Folge der intensivierten forstlichen Nutzung angesehen, die durch die vermehrte Nutzung von Energieholz sowie die Umwandlung vieler Landesforstverwaltungen in stärker betriebswirtschaftlich ausgerichtete Landesforstbetriebe forciert wurde (Flade 2013). … Die am stärksten von Rückgängen betroffene Artengruppe überhaupt sind die typischen Arten der Städte und Dörfer – also die unmittelbaren Begleiter der Menschen wie Rauch- und Mehlschwalbe Hirundo rustica, Delichon urbicum, Mauersegler Apus apus, Sperlinge Passer domesticus. P. montanus, Rotschwänze Phoenicurus phoenicurus, P. ochruros usw. Hier haben 14 von 20 Arten signifikant abgenommen (Flade et al. 2012)! Besonders heftig sind die Bestandsrückgänge in Ostdeutschland. Dies nicht, weil hier die Lebensbedingungen für die Siedlungsvögel allgemein schlechter sind – sondern vielmehr, weil die „Fallhöhe“ größer ist. Sanierung, Versiegelung und Verdichtung der Innenstädte sowie Umwandlung der Dörfer von noch bäuerlich geprägten Siedlungen mit Gemüseanbau, Obstbaumgürtel und Kleintierhaltungen in saubere „Schlafstädte“ mit gepflasterten Bürgersteigen, kurzgemähten Rasenflächen und Koniferenausstellung aus dem Billigsortiment des nächsten Gartencenters, dazu Tierhaltungen nur noch in hermetisch abgeschirmten Großställen – dies alles hat in Westdeutschland bereits früher stattgefunden. In Ostdeutschland ist dieser Prozess noch in vollem Gange. Ganz besonders von starken Bestandsrückgängen betroffen sind auch die Langstreckenzieher, die ihre Überwinterungsgebiete südlich der Sahara haben. Dies weist darauf hin, dass die Veränderungen und Umwälzungen in Afrika durch Bevölkerungswachstum, zunehmend intensive agrarische Nutzung, Einsatz bei uns längst verbotener Pestizide, Überweidung und Dürren (in den letzten zehn bis zwanzig Jahren vermehrt in Ostafrika, nicht im westlichen Sahel), eventuell auch schon der Klimawandel, dramatische Auswirkungen auch auf die Lebensbedingungen unserer Zugvögel haben.“44 7. Illegale Vogeljagd Ein Fernsehbeitrag von report München dokumentierte das massenhafte, fast vollständige „Abfischen“ von Zugvögeln in bis zu dreifach gestaffelten Netzen an der ägyptischen Küste.45 Dazu kommt die als „traditionell“ geduldete Vogeljagd in Malta und Italien. 44 a.a.O. 45 http://www.br.de/fernsehen/das-erste/sendungen/report-muenchen/vogelmord-uebersicht-100.html http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/vogelschau/2103339 http://www.nabu.de/tiereundpflanzen/voegel/zugvoegel/jagd/aegypten/15708.html 22
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