WIRTSCHAFTSSTRUKTUR IM RHEINISCHEN REVIER - STATUS QUO UND IMPLIKATIONEN EINER STÄRKENORIENTIERTEN WIRTSCHAFTSPOLITIK - status quo und ...
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WIRTSCHAFTSSTRUKTUR IM RHEINISCHEN REVIER STATUS QUO UND IMPLIKATIONEN EINER STÄRKENORIENTIERTEN WIRTSCHAFTSPOLITIK www.rheinisches-revier.de
WIRTSCHAFTSSTRUKTUR IM RHEINISCHEN REVIER - STATUS QUO UND IMPLIKATIONEN EINER STÄRKENORIENTIERTEN WIRTSCHAFTSPOLITIK Herausgeber: ZUKUNFTSAGENTUR RHEINISCHES REVIER GMBH Karl-Heinz-Beckurts-Straße 13, 52428 Jülich Telefon: 02461 690-180 www.rheinisches-revier.de | zukunftsagentur@rheinisches-revier.de Autoren: Dr. Alexander Opitz, Dr. Ron Brinitzer Gestaltung und Umsetzung: mc Group | World of Ideas | www.mcgroup.com Bildnachweise zum Foto-Mosaik auf der Titelseite: @iStock-488208568, 1266958681, 1248595508, 518368534 Druckauflage: 500 Stück Druckerei: SAXOPRINT GmbH | Enderstraße 92c, 01277 Dresden CO² -neutraler Druck auf FSC-zertifiziertem Papier Stand: 09/2021 Gefördert durch:
1 EINLEITUNG D as Rheinische Revier steht mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung und den weitreichenden Konsequenzen für die Wirtschaft vor einer Jahrhundertaufgabe. Mit dem Investitionsgesetz Kohleregionen stehen Mittel zur Bewältigung der Herausforderungen zur Verfügung, die wirksam und effizient verwendet werden sollen. Die gesetzlichen Vorgaben dafür sind eng gesteckt: Nach § 4 Investitionsgesetz Kohleregionen müssen die Maßnahmen insbesondere dem Erhalt und der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur dienen. Innerhalb dieses Rahmens verfolgen die Region und die Landesregierung von NRW eine klare Strategie, welche auf den vorhandenen Stärken der Region aufbaut.¹ Voraussetzung dafür ist ein Überblick über die Struktur der Wirtschaft, der Beschäftigung und der vielen Unternehmen im Revier. Nur so kann Unterstützung gezielt auf die Bedürfnisse der Region eingehen und der Strukturwandel erfolgreich gestaltet werden. Die folgende Abhandlung gibt anhand einer Vielzahl von Indikatoren einen Überblick über Beschäftigungsstruktur, Innovationsfähigkeit und Wertschöpfung. Insbesondere werden in Kapitel 3 die verschiedenen Wirtschaftszweige des Reviers betrachtet und Branchen von besonderer Wichtigkeit für die Region und ihre Menschen dargestellt. Basierend auf diesen „industriellen Leitbranchen“ und der stärkenorientierten Wirtschaftsförderung des Landes NRW ergeben sich abschließend verschiedene Implikationen für die Umsetzung des Strukturwandels und die Ausgestaltung von Förderprogrammen. Dieses Vorgehen bedingt, möglichst aktuelle Indikatoren und Wirtschaftsstrukturdaten zu Grunde zu legen. Insofern ist das vorliegende Dokument nicht als abschließend zu betrachten, sondern vielmehr als ein erster Aufschlag, der fortlaufend aktualisiert und ggf. ergänzt werden muss. ¹ Siehe hierzu auch Wirtschafts- und Strukturprogramm 1.1, Kapitel 1–4. 3
2 BESCHÄFTIGTE UND UNTERNEHMEN IM RHEINISCHEN REVIER: STATUS QUO Mönchen- gladbach Rhein-Kreis Kreis Heinsberg Neuss Rhein-Erft- Kreis Städteregion Kreis Aachen Düren Kreis Euskirchen D as Rheinische Braunkohlerevier im äußersten Südwesten von Nordrhein-Westfalen besteht aus den Kreisen Düren, Euskirchen, Heinsberg, dem Rhein-Erft-Kreis und dem Rhein-Kreis Neuss, der Städteregion Aachen und der Stadt Mönchengladbach.² Urbane Ballungsräume gehören genauso zum Revier wie ländliche Gegenden, eine innovative Forschungslandschaft ist ebenso zu finden wie weiträumige Agrar- oder Naturflächen. Seit Jahrhunderten ist das Rheinische Revier durch die Gewinnung, Verstromung und Veredlung der Braunkohle geprägt. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wirtschaftsstruktur so vielfältig ist wie die ganze Region. Das Rheinische Revier ist Heimat vieler kleiner und mittelständischer Unternehmen aus einer Vielzahl von Branchen. Hinzu kommt eine ausgeprägte Industriestruktur. Entsprechend unterscheiden sich die Kreise des Reviers hinsichtlich Beschäftigungsstruktur, Dynamik, Innovationsfähigkeit oder Wertschöpfung. In Abbildung 1 wird dies bereits deutlich. ² W ie im InvKG § 2 definiert. 4
Bruttowertschöpfung Entwicklung Bruttowert- In Mio. EUR 2018 schöpfung 2007-2018 Rheinisches Revier 75.094 +16.416(+28.0%) 140.8 140 134.0 132.0 130.0 130 128.7 128.0 126.8 120 126.0 122.6 120.3 110 100 90 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Rheinisches Revier Kreis Heinsberg Kreis Euskirchen Rhein-Erft-Kreis Kreis Düren Städteregion Aachen Rhein-Kreis Neuss Mönchengladbach Nordrhein-Westfalen Deutschland Abb. 1: Bruttowertschöpfung 2007 bis 2018 (Index 2007 = 100). Datenbasis: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des Bundes und der Länder (VGRdL), 2021 Insgesamt weist die Bruttowertschöpfung von 2007 bis 2018 einen deutlich positiven Trend auf und bleibt lediglich hinter dem Bundesschnitt zurück. Ein leichter Einbruch ist ganz zu Beginn des Betrachtungszeitraums in Folge der Finanzkrise zu beobachten. Ungeachtet des generellen Trends sind deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Kreisen erkennbar. Mit einem Gesamtwachstum von über 40 % sticht der Kreis Heinsberg heraus. Das geringste Wachstum der Bruttowertschöpfung ist im Rhein-Kreis Neuss und in Euskirchen zu finden. Hier betrug die Steigerung immerhin noch circa 20 %. Das Wachstum der Bruttowertschöpfung in den restlichen Kreisen bewegt sich zwischen 20 % und 30 %, was im Vergleich zu NRW zwar gut, im Vergleich zur Bundesrepublik jedoch ausbaufähig ist.³ Bei der Bewertung der Unterschiede in den Wachstumsraten ist zu beachten, dass das Ausgangsniveau je nach betrachtetem Kreis ebenfalls deutlich divergiert. Abbildung 2 stellt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf dar. Hier liegt der Rhein-Kreis Neuss als einziger Kreis über dem Durchschnitt in NRW – mit knapp 40.000 Euro fast auf dem Niveau von Deutschland. Auf den nächsten Plätzen, mit einem Bruttoinlandsprodukt von immerhin mehr als 30.000 Euro, kommen der Rhein-Erft-Kreis, die Städteregion Aachen und die Stadt Mönchengladbach. Es folgen die Kreise Düren, Euskirchen und Heinsberg. Insgesamt bildet das wirtschaftliche Ausgangsniveau ziemlich gut die Bruttowertschöpfung in inverser Form ab – im Einklang mit gängigen Wachstumstheorien. ³ NRW rangierte in den letzten Jahren regelmäßig im Mittelfeld. So ist die Bruttowertschöpfung seit 2015 in 7 anderen Bundesländern tatsächlich stärker gewachsen (Bruttoinlandsprodukt 2021). 5
45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 Deutschland Nordrhein- Mönchen- Rhein-Kreis Städteregion Kreis Rhein-Erft- Kreis Kreis Westfalen gladbach Neuss Aachen Düren Kreis Euskirchen Heinsberg Abb. 2: Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner in tausend Euro (2018). Datenbasis: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder. Die hohe Dynamik des Rheinischen Reviers wird besonders deutlich beim Blick auf die Beschäftigtenentwicklung seit 2007, wie in Abbildung 3 dargestellt. Diese stellt sich in großen Teilen analog dar zur Entwicklung der Bruttowertschöpfung in Abbildung 1. SV-Beschäftigte Entwicklung SV- 2019 Beschäftigte 2007-2019 145 Rheinisches Revier 832.517 +167.302(+25.2%) 141.9 140 135 130 127.3 126.5 125 125.2 124.5 120 123.5 122.5 115 122.2 120.5 110 105 100 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Rheinisches Revier Kreis Heinsberg Kreis Euskirchen Rhein-Erft-Kreis Kreis Düren Städteregion Aachen Rhein-Kreis Neuss Mönchengladbach Nordrhein-Westfalen Deutschland Abb. 3. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigtenentwicklung 2007–2019 (Index 2007 = 100). Datenbasis: Bundesagentur für Arbeit, 2021; Stand 30.06 des jeweiligen Jahres 6
Bei nur geringfügiger Veränderung der Gesamtbevölkerung stieg die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten seit 2007 kontinuierlich und stark an. Eine kurze Stagnation ist allenfalls in Folge der globalen Finanzkrise ab 2007 festzustellen. Im betrachteten Zeitraum sind revierweit insgesamt über 167.000 neue Arbeitsplätze hinzugekommen. Ungeachtet des allgemeinen, auch landesweit sehr positiven Trends entwickelten sich die Kreise unterschiedlich schnell. So wuchs im Kreis Heinsberg die Anzahl der Beschäftigten um mehr als 40 %, auch Euskirchen und Heinsberg schneiden überdurchschnittlich ab. Schlusslicht stellt der Rhein-Kreis Neuss dar, mit immerhin noch etwa 20 % Wachstum. Insgesamt liegt die Beschäftigtenentwicklung im Rheinischen Revier deutlich sowohl über dem Bundes- als auch über dem Landesdurchschnitt. Entsprechend war die Arbeitslosigkeit gering, mit einer Arbeitslosenquote von 7,4 % gegenüber 8,4 % in NRW im März 2021.⁴ Auf lokaler Ebene existieren gleichwohl große Unterschiede. Während im Kreis Heinsberg 5,8 % der Menschen ohne Beschäftigung sind, liegt die Arbeitslosenquote in Mönchengladbach mit 10,8 % fast doppelt so hoch. Auch die Wachstumsraten der Beschäftigtenentwicklung sollten ins Verhältnis zur Ausgangssituation gesetzt werden. Diese kommt unter anderem in der Arbeitsplatzdichte in Abbildung 4 zum Ausdruck. Sie ergibt sich aus den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Relation zur Einwohnerzahl. Auch hier sind deutliche Unterschiede zwischen den Kreisen des Reviers erkennbar. Zwei Dinge machen sich besonders bemerkbar. Zum einen sind dies die wichtigen Verkehrsachsen, welche die wirtschaftliche Aktivität einer Region signifikant beeinflussen können (vgl. Goetz 2011; Meersman & Nazemzadeh 2017). Schienen und Straßen durchziehen das Revier überwiegend von West nach Ost, während der Rhein als wichtigste europäische Wasserstraße den Norden und den Westen des Reviers erschließt. Weiterhin ist deutlich der Einfluss der Ballungszentren Köln, Düsseldorf, Aachen oder Mönchengladbach erkennbar. Die höchsten Werte der Arbeitsplatzdichte finden sich folgerichtig in der Städteregion Aachen und Mönchengladbach, gefolgt von den Kreisen Düren, Rhein-Kreis Neuss und Rhein-Erft-Kreis. Die Ballungszentren im und am Rande des Reviers bieten darüber hinaus absolut betrachtet sehr viele Arbeitsmöglichkeiten und ziehen daher viele Pendler aus den eher ländlich geprägten Kreisen an. Entsprechend ist der Anteil der Auspendler in Tagebaukreisen mit über 50 % außergewöhnlich hoch (IAB Nordrhein-Westfalen 2020, S. 12). ⁴ Verglichen mit ganz Deutschland ist die Beschäftigungssituation noch ausbaufähig. Hier lag die Arbeitslosenquote im März 2021 bei 6,2 % (Statistik der Bundesagentur für Arbeit). 7
35,8 21,9 38,4 18,5 Mönchengladbach Rhein-Kreis Neuss 35,4 Mönchen- 22,2 gladbach Kreis Heinsberg Rhein-Kreis Neuss Kreis Heinsberg 36,3 19,6 Rhein-Erft- Kreis Kreis Rhein-Erft-Kreis Düren Städteregion Aachen 37,7 20,8 Kreis Düren 37,6 21,0 Anteil SvB nach Altersklassen 2020 (in %) Kreis Euskirchen 33,8 23,6 Kreis Euskirchen Städteregion Aachen bis unter 30 Jahren 50 Jahre und älter Arbeitsplatzdichte 2019 (SvB je 100 EW) unter 30 30 bis 32 32 bis 34 über 34 Rheinisches Revier: 33,9 Abb. 4: Arbeitsplatzdichte: SV-Beschäftigte am Arbeitsort je 100 Einwohner; Datenbasis: Bundesagentur für Arbeit, 2021; Stand 30.06 des jeweiligen Jahres. Kartengrundlage: GeoBasis-DE BKG 2021. Eigene Darstellung Prognos 8
Die Bewohner des Rheinischen Reviers finden sich insgesamt also in einer vergleichsweise komfortablen Beschäftigungssituation wieder. Diese gilt für Beschäftigte aller Qualifikationsniveaus, wie in Abbildung 5 ersichtlich. Auch hier bestehen klare Unterschiede zwischen den Kreisen. Wenig überraschend ist der Anteil der Akademiker am Hochschulstandort Aachen besonders hoch (21,4 %), in städtisch geprägten Kreisen ebenfalls. Demgegenüber liegt er in den Kreisen Heinsberg und Euskirchen unter 10 %. In diesen beiden Kreisen sind dafür überdurchschnittlich viele Beschäftigte mit einem anerkannten Berufsabschluss zu finden. Es ist auffällig, dass gegenüber dem Landes- und Bundesdurchschnitt der Anteil der Beschäftigten ohne Berufsabschluss im gesamten Rheinischen Revier besonders hoch ist; entsprechend geringer ausgeprägt sind alle anderen beruflichen Qualifikationsniveaus. 100 9,5 11,0 12,8 12,9 9,3 11,7 14,2 11,4 12,3 11,9 90 16,8 15,6 21,4 9,1 8,9 14,6 80 12,9 14,0 13,0 12,2 65,1 62,1 70 61,4 59,0 58,9 59,0 59,1 58,7 58,2 53,7 60 50 40 30 20 10 15,4 14,0 15,6 16,3 15,0 14,4 16,8 15,3 12,3 14,4 0 Deutschland Nordrhein- Mönchen- Rhein- Städteregion Kreis Rhein-Erft- Kreis Kreis Rheinisches Westfalen gladbach Kreis Neuss Aachen Düren Kreis Euskirchen Heinsberg Revier ohne Berufsabschluss Anerkannter Berufsabschluss Akademischer Berufsabschluss Keine Angabe Abb. 5: SV-Beschäftigte nach Qualifikationsniveau in den Kreisen des Rheinischen Reviers 2019 in %. Datenbasis: Bundesagentur für Arbeit, 2021; Stand: 30.06.2019 9
Die Wirtschaft im Rheinischen Revier wird getragen von vielen Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen. In absoluten Zahlen überwiegen kleine und mittelständisch geprägte Betriebe, wie aus Abbildung 6 hervorgeht. So ist der Anteil an Unternehmen mit weniger als 10 Angestellten etwas höher als im Bundes- oder NRW-Durchschnitt. Dementsprechend sind im Rheinischen Revier größere und Großunternehmen seltener vertreten. Insgesamt entspricht die Verteilung der Beschäftigtengrößenklassen in etwa der Verteilung in Deutschland und in NRW. Auffällig sind die Abweichungen im Rhein-Kreis Neuss und im Kreis Euskirchen, die deutlich stärker von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) geprägt sind. 0,4 0,5 0,5 0,4 0,5 0,4 0,3 0,3 0,3 0,4 100 1,4 1,6 1,4 1,3 1,7 1,7 98 1,9 2,0 2,0 2,0 8,6 8,8 8,2 7,0 8,2 8,4 7,7 7,0 8,1 7,8 96 94 92 90 91,4 91,1 90,5 90,0 90,2 88 89,1 88,8 89,3 89,3 89,5 86 84 82 Deutschland Nordrhein- Mönchen- Rhein- Städteregion Kreis Rhein-Erft- Kreis Kreis Rheinisches Westfalen gladbach Kreis Neuss Aachen Düren Kreis Euskirchen Heinsberg Revier 0-9 10-49 50-249 250 und mehr Abb. 6: Anzahl der Unternehmen nach Beschäftigtengrößenklassen (KldB2010) 2018. Datenbasis: IT.NRW, 2021 Die Unterschiede in der Unternehmensstruktur spiegeln sich nicht zuletzt auch wider in Höhe und Zusammensetzung der aggregierten Umsätze wie in Abbildung 7 zu sehen. So ist der Anteil des Auslandsgeschäftes im Rhein-Kreis Neuss besonders groß und macht fast 60 % des Gesamtumsatzes aus – deutlich mehr als im Rest des Landes. Ebenfalls über Landes- und Bundesdurchschnitt liegen, wenn auch knapp, die Stadt Mönchengladbach und der Kreis Düren. Die Unternehmen in allen anderen Kreisen exportieren unterdurchschnittlich. Die grenznahe Lage der Kreise Heinsberg und der Städteregion Aachen schlägt sich erstaunlicherweise nicht signifikant in den vorliegenden Zahlen nieder. In Verbindung mit den Größenstrukturdaten lässt dies darauf schließen, dass die Wirtschaft im Rhein- Kreis Neuss stark von einigen wenigen, aber großen und international tätigen Konzernen geprägt wird. In dieser Hinsicht plausibel erscheinen auch Höhe und Art des Umsatzes der Unternehmen. 10
Auch absolut bestehen große Unterschiede bezüglich des Unternehmensumsatzes. Hier liegen der Rhein-Erft-Kreis, der Rhein-Kreis Neuss und die Städteregion Aachen vorne, Euskirchen besitzt eher wenige umsatzstarke Unternehmen. Setzt man den Umsatz ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl, ist die Reihenfolge nahezu unverändert, allerdings mit geringerem Abstand als bei absoluter Betrachtung.⁵ Umsatz Auslandsumsatz Rheinisches Revier 47.197% 46.4% Deutschland 1.948.034 48.5% NRW 357.840 44.3% 15000 13000 11.908 12.081 11000 10.120 9000 7.106 7000 59,7% 5000 4.562 4.328 4.024 3.541 3.402 59,7% 35,8% 3000 1.965 2.121 1.816 1.393 1000 48,8% 724 51,3% 40,9% 34,2% -1000 Mönchen- Rhein-Kreis Städteregion Kreis Düren Rhein-Erft- Rhein-Erft-Kreis Kreis Heinsberg gladbach Neuss Aachen Kreis Umsatz Auslandsumsatz Abb. 7: Umsatz und Auslandsumsatz 2018 ( Jahressummen) in Mio. EUR; Anteil des Auslandsumsatzes in %. Datenbasis: IT.NRW, 2021. Insgesamt ist das Rheinische Revier also durchaus international verflochten. Die Unternehmen erwirtschaften einen großen Teil ihres Umsatzes im Ausland, allerdings mit großen regionalen Unterschieden. Neben der Exportabhängigkeit einiger Kreise ist die bedeutende Rolle der energieintensiven Industrie in gerade diesen Kreisen zu nennen (Frontier 2018, S. 11 ff.). Hieraus ergibt sich ein gleich doppeltes Marktrisiko: Zum einen sind die hier ansässigen Unternehmen und Beschäftigten abhängig von der Auslandsnachfrage und damit von der Entwicklung der globalen Konjunktur und des internationalen Handels. Zum anderen haben Änderungen des Energiepreises in den genannten Kreisen besonders große Auswirkungen – mit entsprechenden Konsequenzen für Wertschöpfung und Beschäftigung im gesamten Revier. ⁵ Pro Einwohner schwankt der Umsatz zwischen knapp 11.000 und 26.000 Euro (Datenbasis: IT.NRW, 2021, eigene Berechnung). 11
Entw. * - 35,1 % 100 Entw. * - 46,9 % 110 Mönchengladbach Entw. * - 30,0 % Rhein-Kreis Neuss 91 Mönchen- gladbach Kreis Heinsberg Rhein-Kreis Neuss Kreis Heinsberg Entw. * - 44,4 % 135 Rhein-Erft- Kreis Rhein-Erft-Kreis Kreis Düren Städteregion Entw. * - 48,0 % Aachen 65 Kreis Düren Insolvenzen 2019 Entw. * (absolut) - 68,1 % 43 Entw. * 173 - 40,7 % Kreis Euskirchen Kreis Euskirchen Städteregion Aachen Gründungsintensität 2015-2018 unter 26 26 bis 30 30 bis 34 über 34 Rheinisches Revier: 30,6 Abb. 9: Gründungsintensität 2015-2018 (Unternehmensgründungen je 10.000 Erwerbsfähige**). Datenbasis: ZEW Mannheim, 2021 und IT.NRW, 2021. *Entwicklung der Insolvenzen 2007-2019 **Abweichende Definition von Erwerbsfähige des ZEW: 18- bis 65 Jährige; Kartengrundlage: GeoBasis- DE/BKG 2021. Eigene Darstellung Prognos 12
Für den Strukturwandel ist die Unternehmensdynamik entscheidend. Sie gibt Auskunft über Richtung und Stärke des Transformationsprozesses vor Ort in den Unternehmen (Bersch et al. 2016, S. 24). Die Unternehmensdynamik kommt unter anderem in den Unternehmensgründungen pro Erwerbsfähigem oder auch der Gründungsintensität zum Ausdruck. Abbildung 9 gibt einen Überblick, wo im Revier besonders viele (innovative wie nicht innovative) Unternehmen entstehen. Die Gründungsdynamik ist im Nordrevier besonders hoch. Die meisten Unternehmensgründungen pro Erwerbsfähigem finden in Mönchengladbach statt, gefolgt vom Kreis Heinsberg und dem Rhein-Kreis Neuss. Der Rhein-Erft-Kreis und die Städteregion Aachen liegen im Mittelfeld, was insbesondere im letzteren Fall überrascht angesichts des dortigen, vermeintlich besonders gründungsfreundlichen Hochschulumfeldes. Die Insolvenzen, sozusagen das inverse Pendant einer Gründung, sind in den letzten Jahren im Revier insgesamt rückläufig. Am geringsten sind die Insolvenzen in den Kreisen Euskirchen und Düren.⁶ Ansonsten sind die Zahlen recht ausgeglichen, mit Ausnahme der Städteregion Aachen, die revierweit vorne liegt. Trotz ihrer großen Bedeutung sind Gründungen nicht mit Innovationen gleichzusetzen. Nicht alle Gründungen sind innovative Einhörner – tatsächlich gewichtet die vorliegende Statistik jede Gründung jedoch gleich. Zur Beurteilung des Erfolgs des Strukturwandels ist künftig nicht zuletzt ein differenzierterer Einblick in die Unternehmensdynamik vonnöten, etwa hinschlich Gründungen und Schließungen in den einzelnen Sektoren oder der Wissensintensität einer Gründung. Die Umsetzung von Innovationen und deren Überführung in marktgängige Produkte ist zentral für den Erfolg des Strukturwandels im Rheinischen Revier. Gleichzeitig ist diese Innovationsfähigkeit nur schwer in Form aggregierter Daten oder spezifischer Indikatoren darstellbar. Innovative Ideen werden, wenn in irgendeiner Form nutzbar, meist als Patent geschützt. Patente kommen dem Innovationsbegriff daher schon recht nah. In Abbildung 10 sind Patentanmeldungen je 100.000 Erwerbstätige im Rheinischen Revier dargestellt. Es zeigt sich, dass das Innovationsniveau einer Gründung wie auch einer Region stark vom institutionellen, strukturellen und sonstigen wirtschaftlichen Umfeld abhängt. Insofern lässt sich das Patentgeschehen recht gut, jedoch nicht vollständig mit dem Vorhandensein von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Personal in Forschung und Entwicklung (FuE) erklären. Die Städteregion Aachen als bedeutender Hochschulstandort sticht folgerichtig hinsichtlich Patenten heraus – bei gleichzeitig sehr hohem FuE Personal. Auf noch immer recht hohem Niveau befinden sich der Kreis Düren und der Rhein-Erft-Kreis. Generell sinkt mit dem Vorhandensein von FuE Personal auch die Patentaktivität. Die Kreise Mönchengladbach, Heinsberg und Euskirchen erscheinen daher auch weniger innovativ, ungeachtet herausragender Einzelprojekte. ⁶ In diesen beiden Kreisen findet sich zudem die geringste Gründungsintensität. Eine solche negative Korrelation von Gründungen und Insolvenzenzahlen scheint im gesamten Rheinischen Revier zu bestehen. Diese in einen Gesamtzusammenhang zu stellen, ist allein aufgrund der vielen weiteren möglichen Einflussfaktoren (z.B. Art der Gründung/Insolvenz, Arbeitslosigkeit, Verwaltungskapazitäten) nur sehr schwer möglich. 13
Entw. * - 16,7 % Entw. * 354 + 37,2 % 1591 Mönchengladbach Entw. * + 131,7 % Rhein-Kreis Neuss Mönchen- 287 gladbach Kreis Heinsberg Rhein-Kreis Neuss Kreis Heinsberg Entw. * - 50,4 % 411 Rhein-Erft- Kreis Kreis Rhein-Erft-Kreis Düren Städteregion Entw. * + 0,3 % Aachen 449 Kreis Düren FuE-Personal 2017 Entw. * - 14,9 % 78 3632 Entw. * + 35,7 % Kreis Euskirchen Kreis Euskirchen Städteregion Aachen Patentintensität 2017 unter 80 80 bis 95 95 bis 110 über 110 Abb. 10: Patentanmeldungen je 100.000 Erwerbstätige 2017. Quelle: Patentatlas, 2021 und Stifterverband Wissenschaftsstatistik, 2021. * Entwicklung FuE-Personal 2007 bis 2017 in %. Kartengrundlage: GeoBasis-DE/BKG 2021. Eigene Darstellung Prognos 14
Eine umfassende Forschungsinfrastruktur scheint nicht die einzige Voraussetzung für eine hohe Patentaktivität zu sein. Der Rhein-Kreis Neuss beispielsweise, bisher kein eigener Hochschulstandort, weist ebenfalls überdurchschnittlich viele Patentanmeldungen auf. Dies kann im Zusammenhang mit den oben gemachten Aussagen zur Wirtschaftsstruktur des Rhein-Kreises Neuss stehen, der stark von großen, international tätigen Unternehmen geprägt zu sein scheint. Hier, wie insbesondere auch im Fall von Auftragsforschung, ist zu beachten, dass die Erbringung der eigentlichen Innovation und die Patentanmeldung nicht unbedingt am gleichen Ort erfolgen müssen. 15
3 SCHLÜSSELINDUSTRIEN IM RHEINISCHEN REVIER D ie Umsetzung von Innovationen gelingt dort besonders gut, wo auf bereits vorhandenen Strukturen und Kompetenzen aufgebaut werden kann. Eine genaue Kenntnis der regionalen Stärken ist daher für die Gestaltung des Strukturwandels unabdingbar. Insbesondere erscheint es sinnvoll, Branchen mit hervorragender Bedeutung für die Region zu kennen. Solche Schlüsselindustrien oder „industriellen Leitbranchen“ im Rheinischen Revier zu identifizieren, gestaltet sich angesichts der Vielzahl an Branchen und Unternehmen nicht unbedingt einfach. Zudem gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze und Darstellungsweisen zur Darstellung der regionalen Bedeutsamkeit eines bestimmten Wirtschaftszweiges. Im Folgenden werden zunächst diejenigen industriellen Branchen betrachtet, welche einen branchenspezifisch überdurchschnittlich hohen Beschäftigtenanteil aufweisen. Ein solcher impliziert zugleich, dass die entsprechende Branche hochgradig konzentriert und womöglich auch spezialisiert ist. Weiterhin gewährleistet ein hoher Beschäftigtenanteil in einem bestimmten Bereich eine hinreichend große Relevanz auch für weite Teile der Bevölkerung. Ein Indikator für die branchenspezifische Spezialisierung im Vergleich zum Bundesdurchschnitt ist der sogenannte Lokalisationsgrad oder Lokalisationsquotient (LQ). Im Fall einer überdurchschnittlich hohen regionalen Spezialisierung beträgt dessen Wert mehr als 1. Abbildung 11 zeigt die Lokalisationsquotienten der industriellen Branchen im Rheinischen Revier und gibt damit einen Gesamtüberblick über die Stärken und wirtschaftlichen Schwerpunkte der Region. Beschäftigungsentwicklung LQ: 2,9 im Rheinischen Revier Ver-/ LQ: 1,8 Entsorgung (16.670) Papier/Pappe Chemie (8.870) 1,4 (15.660) -20,7% Textilien/Leder (4.110) Gummi/Kunststoff Logistik (11.020) (55.500) Druckerzeugnisse/Datenträger (3.430) Ernährung/ -24,3% Beschäftigungsentwicklung Getränke 2007-2019 in % (17.930) 107,7% -21 -11 -1 9 120 29 39 49 59 0,9 Techn. Glas/Keramik Metall Baugewerbe Instandhaltung Lokalisationsgrad* (4.360) (24.940) (45.290) (4.370) Elektro Fahrzeugbau sonst. Waren (13.160) Forst-/ Landwirtschaft (5.460) (5.380) (4.710) Maschinenbau Telekomm./ IT Holz/Möbel (18.740) Anzahl dargestellter Branchen 19 (19.960) 75,9% (2.580) Beschäftigte in dargest. Branchen 282.130 LQ: 0,45 0,4 LQ: 0,2 Anteil an Beschäftigten insg. in % 33,9% Abb. 11: Branchenportfolio Rheinisches Revier 2007-2019. Quelle: Sonderauswertung BA, 2021, Stichtag 30.06. Eigene Berechnungen. *Der Lokalisationsgrad zeigt den branchenspezifischen Beschäftigtenanteil der Region im Bundesvergleich an. Im Bundesvergleich überdurchschnittlich spezialisierte Branchen der Region haben einen Lokalisationsgrad >1 16
Neben dem Lokalisationsquotienten auf der Ordinate ist das Wachstum der jeweiligen Beschäftigung seit 2007 auf der Abszisse abgebildet, so dass der Trend in der vergangenen Dekade deutlich wird. Darüber hinaus spiegelt sich die absolute Anzahl der Beschäftigten in der Größe der abgebildeten Kreise wider – je größer der Durchmesser, desto mehr Beschäftigte sind in der entsprechenden Branche tätig. Aus der Betrachtung dieses „Branchenportfolios“ lassen sich die überdurchschnittlich spezialisierten Wirtschaftszweige ablesen. In diesem Sinne können als Leitbranchen im Rheinischen Revier gelten: � Logistik mit 55.500 Beschäftigten � Ernährungs- und Getränkewirtschaft mit 17.930 Beschäftigten � Ver- und Entsorgung mit 16.670 Beschäftigten � Chemie mit 15.660 Beschäftigten � Gummi/Kunststoff mit 11.020 Beschäftigten � Papier/Pappe mit 8.870 Beschäftigten � Technische Instandhaltung mit 4.370 Beschäftigten � Textilien/Leder mit 4.110 Beschäftigten � Druckerzeugnisse mit 3.430 Beschäftigten Im Rheinischen Revier umfassen die aufgeführten Branchen knapp die Hälfte aller Beschäftigten in der Industrie, was deren große Bedeutung für die Region verdeutlicht.⁷ Wie in Kapitel 2 bereits dargelegt, ist die (Wirtschafts-)Struktur des Rheinischen Reviers allerdings überaus heterogen. Daher besteht die Gefahr, dass bei einer ausschließlich revierübergreifenden Betrachtung die lokale Relevanz einzelner Industriezweige unterschätzt wird. In manchen Kreisen können diese von erheblicher Bedeutung sein, was in den Lokalisationsquotienten im Branchenportfolio des ganzen Reviers nicht zum Ausdruck kommt. ⁷ Die Industrie als Ganzes stellt wiederum mehr als ein Drittel der gesamten Beschäftigung im Rheinischen Revier. 17
So bestehen große regionale Unterschiede hinsichtlich der Produktivität in verschiedenen Wirtschaftszweigen, wie in Abbildung 12 dargestellt ist.⁸ Besonders auffällig ist hier die unterschiedliche Bedeutung des Bergbaus und der Energiegewinnung: Die Bruttowertschöpfung je Arbeitsstunde in diesem Bereich ist im Rhein-Erft-Kreis, im Rhein- Kreis Neuss und in der Städteregion Aachen deutlich höher als in den anderen Kreisen, was im Wesentlichen den Kraftwerksstandorten geschuldet sein dürfte. Die restlichen Kreise bewegen sich auf dem Niveau von NRW, wo der Bergbau wohlgemerkt ebenfalls traditionell eine bedeutende Rolle spielt. In den vom Bergbau besonders geprägten Kreisen sind interessanterweise auch die Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe produktiver als im Landesschnitt, wenn auch in geringerem Maße. Diesen besonderen Stärken in Bergbau und Industrie stehen in den anderen Kreisen entsprechende Kompetenzen gegenüber, wenngleich die Unterschiede hinsichtlich der Produktivität in den restlichen Wirtschaftszweigen weniger stark ausgeprägt sind. Im Bereich der Finanz-, Versicherungs- und Unternehmensdienstleitungen sind der Rhein-Kreis Neuss und die Kreise Euskirchen und Heinsberg überdurchschnittlich produktiv. In der Landwirtschaft führen die Kreise Düren und Heinsberg die Statistik an. Der Rhein-Erft-Kreis ist besonders produktiv in „Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe, Information und Kommunikation“. Im Baugewerbe und den öffentlichen Dienstleistungen hingegen ist die Produktivität in allen Kreisen im Revier auf vergleichbarem Niveau. ⁸ Im Gegensatz zur Berichtung einzelner Branchen (entsprechen Gliederungsebene „Abteilungen“ in der Klassifikation der Wirtschaftszweige) sind Wirtschaftszweige hier der Übersicht halber in aggregierter Form dargestellt. 18
200 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 Kreis Kreis Kreis Rhein-Erft- Rhein-Kreis Städteregion Mönchen- NRW Düren Euskirchen Heinsberg Kreis Neuss Aachen gladbach Land - und Forstwirtschaft, Fischerei Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe, Information und Kommunikation Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden; Finanz-, Versicheurungs- und Unternehmensdiensleistungen; Energie und Wasserversorgung; Enstsorgung Grundsstük- und Wohnungswesen Baugewerbe Öffentliche und sonstige Dienstleister; Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte und Hauspersonal Weiterverabreitendes Gewerbe Abb. 12: Produktivität; Bruttowertschöpfung je Arbeitsstunde nach Wirtschaftszweig. Quelle: AK VGRdL Kreis Düren Kreis Heinsberg Rhein-Kreis Neuss 1% 3% 1% 3% 0% 10% 16% 23% 25% 20% 19% 24% 6% 9% 23% 4% 13% 26% 34% 17% 23% Kreis Euskirchen Rhein-Erft-Kreis Städteregion Aachen 1% 3% 1% 10% 0% 5% 18% 27% 21% 28% 20% 16% 7% 4% 21% 5% 23% 19% 18% 24% 29% Mönchengladbach NRW Land- und Forstwirtschaft 0% 4% 1% 4% Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden; 15% 23% Energie und Wasserversorgung; Entsorgung 27% 20% Weiterverabreitendes Gewerbe 5% 4% Baugewerbe Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe, Information und Kommunikation 22% 26% 27% 22% Finanz-, Versicherungs- und Unternehmensdiensleistungen; Grundstük- und Wohnungswesen Öffentliche und sonstige Dienstleister; Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte und Hauspersonal Abb. 13: Bruttowertschöpfungsanteile nach Wirtschaftszweig. Quelle: AK VGRdL 19
Auch hinsichtlich der Bruttowertschöpfung, dargestellt in Abbildung 13, zeigen sich deutliche Unterschiede in der Bedeutung der Wirtschaftszweige innerhalb des Reviers. Analog zu der bereits dargestellten sehr hohen Produktivität spielen Bergbau und Energiegewinnung auch bezüglich der Wertschöpfung eine außergewöhnlich wichtige Rolle. So ist der Anteil dieses Wirtschaftszweiges an der Gesamtwertschöpfung im Rhein-Kreis Neuss und im Rhein-Erft- Kreis circa 10 %, was sowohl die anderen Kreise als auch den Landesdurchschnitt deutlich übertrifft. Knapp unter dem Landesdurchschnitt liegen die Kreise Düren, Heinsberg und Euskirchen mit jeweils etwa 3 % Anteil. Die historisch bedingte, komplementäre Entwicklung von Bergbau, Energiegewinnung und verarbeitendem Gewerbe ist zumindest in Teilen noch gut sichtbar. Der Anteil von Letzterem an der Bruttowertschöpfung liegt im Rhein-Kreis Neuss bei knapp einem Viertel, in den meisten anderen Kreisen bei immerhin 20 %, was in etwa dem Schnitt des (Industrie-) Landes NRW entspricht. Geringer ist die Bedeutung des verarbeitenden Gewerbes im Rhein- Erft-Kreis (16 %) und in der Stadt Mönchengladbach (15 %). Der eher niedrige Wert in der ehemaligen Hochburg der Textilindustrie verdeutlicht noch einmal, welche weitreichenden Auswirkungen der Strukturwandel in einer Region haben kann. Die Anteile aller Dienstleistungen an der Bruttowertschöpfung stellen sich in entgegengesetzter Weise zu Bergbau und verarbeitendem Gewerbe dar. Erwähnenswert sind noch einige regionale Besonderheiten: So spielen „Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe, Information und Kommunikation“ eine besonders wichtige Rolle im Rhein- Erft-Kreis mit fast 30 %. „Finanz-, Versicherungs- und Unternehmensdienstleistungen; Grundstücks- und Wohnungswesen“ sind im Kreis Düren stark ausgeprägt. Das Baugewerbe im Kreis Heinsberg macht etwa 9 % der Wertschöpfung aus, mehr als doppelt so viel wie im Landesschnitt. Öffentliche Dienstleistungen und solche in Privathaushalten, im Bereich Erziehung oder Gesundheit sind in fast allen Kreisen des Reviers für etwa ein Viertel der Bruttowertschöpfung verantwortlich. Deutlich niedriger ist dieser Anteil nur im Rhein-Kreis Neuss und im Rhein- Erft-Kreis, wo sich die dominante Position des verarbeitenden Gewerbes bemerkbar macht. Land- und Forstwirtschaft und Fischerei spielen – wie in den meisten entwickelten Volkswirtschaften – auch im Rheinischen Revier eine eher untergeordnete Rolle. Der Anteil an der Bruttowertschöpfung beträgt höchstens 1 %, was auch dem Landeschnitt entspricht. Zur genauen Abbildung der regionalen Stärken und der sehr heterogenen Wirtschaftsstruktur im Rheinischen Revier werden im Folgenden die Lokalisationsquotienten (LQ) auf Kreisebene nochmals gesondert betrachtet. In Abbildung 14 sind die Top 5 der Lokalisationsquotienten derjenigen industriellen Branchen dargestellt, deren absolute Beschäftigtenzahl mehr als 500 Personen beträgt.⁹ ⁹ Diese Daten können aufgrund datenschutzrechtlicher Bestimmungen lückenhaft sein. Insbesondere wenn einzelne Unternehmen in einer speziellen Branche alleinig tätig sind, kann dies auf lokaler Ebene nicht abgebildet werden. So findet der Bereich „Kohlenbergbau“ der Abbildung zufolge im Rheinischen Revier überhaupt nicht statt. Auch die damit zusammenhängende Erbringung von Dienstleistungen lässt sich teilweise nicht zuordnen. 20
Die lokale Bedeutsamkeit einzelner Branchen wird darin gut verdeutlicht. So wird die äußerst hohe Relevanz der Papierindustrie im Kreis Düren erst deutlich bei der lokalen Betrachtung - der Lokalisationsquotienten liegt hier über 15.¹⁰ Immer noch stark, wenn auch nicht ganz in diesem Ausmaß, ist der Kreis Düren bei der Herstellung von Textilien. Im Kreis Heinsberg findet sich ein recht ausgeglichenes Bild der größeren Branchen, mit leichtem Schwerpunkt auf der Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln, von Gummi- und Kunststoffwaren waren sowie im Maschinenbau.¹¹ ¹⁰ G egenüber einem Wert von 2,9 für das gesamte Rheinische Revier. ¹¹ Die größte regionale Stärke des Kreises Heinsberg im Sinne dieser Statistik ist interessanterweise die Herstellung von Leder, Lederwaren und Schuhen. Hier liegt der LQ bei über 5, was den Kreis Heinsberg bei Betrachtung der anderen Kreise als unangefochtenes Zentrum dieses Industriezweiges im Rheinischen Revier erscheinen lässt. Da die absolute Beschäftigung allerdings deutlich unter 500 Personen liegt, ist diese Branche nicht in der Grafik abgebildet. 21
und Beseitigung von Abfällen; Rückgewinnung Kreis Düren Kreis Heinsberg 16,0 2,0 14,0 1,8 12,0 1,6 10,0 1,4 1,2 8,0 1,0 6,0 0,8 4,0 0,6 2,0 0,4 0,2 0,0 Herstellung Herstellung Sammlung, Herstellung Herstellung 0,0 Herstellung Herstellung Maschi- Sammlung, Herstellung von Papier, von Textilien Behandlung von Gummi- von chemischen von Nahrungs- von Gummi- nenbau Behandlung von Metaller- Pappe und und Beseitigung und Kunststoff- Erzeugnissen und und Kunststoff- und Beseitigung zeugnissen Waren daraus von Abfällen; waren Futtermitteln waren von Abfällen; Rückgewinnung Sammlung, Rückgewinnung Behandlung und Beseitigung von Abfällen; Rückgewinnung Kreis Euskirchen Rhein-Erft-Kreis 4,0 12,0 3,5 10,0 3,0 2,5 8,0 2,0 1,5 6,0 1,0 4,0 0,5 0,0 2,0 Herstellung Sammlung, Herstellung Herstellung Herstellung von chemischen Behandlung und von Nahrungs- von Glas und von Gummi- Erzeugnissen Beseitigung von und Futter- Glaswaren, Kera- und 0,0 Abfällen; mitteln mik, Verarbeitung Kunst- Herstellung Herstellung Herstellung Herstellung Herstellung Rückgewinnung von Steinen und stoffwaren von Papier, Pappe von chemischen von Nahrungs- von Gummi- von Metaller- Erden und Waren daraus Erzeugnissen und Futtermitteln und Kunststoff- zeugnissen waren 22
Städteregion Aachen Rhein-Kreis Neuss 2,0 5,0 1,8 4,5 1,6 4,0 1,4 3,5 1,2 3,0 1,0 2,5 0,8 2,0 0,6 1,5 0,4 1,0 0,2 0,5 0,0 0,0 Herstellung Herstellung Herstellung Herstellung Herstellung Metaller- Herstellung Herstellung Sammlung, Herstellung von sonstigen von Drucker- von Gummi- von Nahrungs- von Glas und zeugung und von von Papier, Behandlung von Gummi- Waren zeugnissen; und und Glaswaren, -bearbeitung chemischen Pappe und und Beseiti- und Vervielfältigung Kunststoff- Futtermitteln Keramik, Erzeugnissen Waren daraus gung von Kunststoff- von bespielten waren Verarbeitung Abfällen; waren Ton-, Bild- und von Steinen Rückgewinnung Datenträgern und Erden Stadt Mönchengladbach 6,0 1,8 1,6 1,2 0,8 0,4 0,0 Herstellung Herstellung Herstellung Herstellung Maschinenbau Abb. 14: Top 5 der Lokalisationsquotienten auf Kreisebene der von von von Drucker- von Bekleidung Textilien zeugnissen; elektrischen industriellen Branchen mit über 500 Beschäftigten. Branchen Vervielfältigung Ausrüs- von bespielten tungen ein Abteilungsebene in der Klassifikation der Wirtschaftszweige. Ton-, Bild- und Datenträgern Quelle: Sonderauswertung BA, 2021, eigene Berechnungen 23
Die Herstellung von Papier, Pappe und Waren daraus ist für den Kreis Euskirchen fast gleichermaßen wichtig wie für den Kreis Düren.¹² Im Rhein-Erft-Kreis ist nicht nur die Braunkohle, sondern auch die daraus hervorgegangene Herstellung von chemischen Erzeugnissen von großer Bedeutung mit einem LQ von 3,67. Weitere bedeutende Industrien sind das Recycling und die Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln.¹³ Ein ähnlich hoher Wert in diesem Bereich wird ansonsten nur im Rhein-Kreis Neuss erreicht. Hier sind zudem die Metallerzeugung- und -bearbeitung mit einem LQ von 4,29 und die Papierherstellung mit einem LQ von 2,38 besonders ausgeprägt. Auch Abfallwirtschaft und Kunststoffherstellung sind überproportional stark vertreten. Die traditionell bedeutsame Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln ist zwar ebenfalls überdurchschnittlich wichtig, fällt mit einem LQ von 1,19 aber knapp aus dem Ranking. Die Städteregion Aachen ist industriell geprägt durch die Herstellung von Druckerzeugnissen und von Gummi- und Kunststoffwaren, Nahrungs- und Futtermitteln oder Glas und Glaswaren.¹⁴ Die Stadt Mönchengladbach ist traditioneller Industriestandort, insbesondere der Textilindustrie. Die Herstellung von Textilien als auch von Bekleidung ist nach wie vor überdurchschnittlich relevant – trotz eines langen Strukturwandels in dieser Branche. Auch das Ergebnis dieses Prozesses lässt sich gut in den Daten ablesen: Die Lokalisationsquotienten in diversen Dienstleistungen für Unternehmen, aber auch im Sport oder im Verkehrsbereich sind besonders hoch. ¹² Relativ hoch ist der LQ auch im Bereich „Bibliotheken, Archive, Museen, botanische und zoologische Gärten“, der aber eher unternehmensfern geprägt ist. Weiterhin überdurchschnittlich rangieren hier Veterinärwesen und „Forstwirtschaft und Holzeinschlag“, was den eher ländlichen Charakter des Kreises unterstreicht. Als nicht industrielle Branchen mit zudem recht geringer Beschäftigtenenzahlen sind diese hier nicht aufgeführt. ¹³ Weiterhin macht sich die Nähe zur Medienstadt Köln bemerkbar, etwa im hohen Anteil der Filmproduktion, der Telekommunikation oder der „Erbringung von Dienstleistungen des Sports, der Unterhaltung und der Erholung“. ¹⁴ Darüber hinaus macht sich die Hochschule bemerkbar: zum einen direkt, etwa in einem hohen Beschäftigtenanteil in Forschung und Entwicklung. Zudem aber auch indirekt in Bereichen, die eng mit dem Hochschulstandort zusammenhängen, wie der Erbringung von Dienstleistungen der Informationstechnologie oder im Vorhandensein von Architektur- und Ingenieurbüros. Diese nicht industriellen Branchen sind hier nicht näher aufgeführt. 24
4 FAZIT W ie anhand der verschiedenen Indikatoren dargelegt, ist das Rheinische Revier in seiner Wirtschaftsstruktur sehr heterogen. Entsprechend ausgeprägt sind die Unterschiede in Branchen und in der Beschäftigtenstruktur. Gerade die Betrachtung der einzelnen Städte und Kreise macht weiterhin deutlich, wie sehr der Wohlstand des Reviers und seinen Bewohnern abhängt von einzelnen (Industrie-)Zweigen. Neben dem Bergbau prägen vor allem Industrien die Region, aber auch Landwirtwirt oder Handwerk sind vielfach präsent, ganz abgesehen von der renommierten Forschungslandschaft. Die wirtschaftliche Vielfalt ist eine gute Voraussetzung für einen erfolgreichen Strukturwandel. Es gilt, dieses umfassende Potential zu nutzen. Insbesondere gilt es, die Schlüsselindustrien, die für viele Menschen die Existenzgrundlage darstellen, zu stärken. Dies stellt nicht zuletzt auch eine politische Herausforderung dar, denn das bedeutet, dass nicht jede Fördermaßnahme jederzeit und in gleichem Maße allen Teilen des Reviers zugutekommen wird. Diese Tatsache allen Stakeholdern offen zu kommunizieren, wird entscheidend sein für die Akzeptanz und damit den Erfolg des Strukturwandels. Nur zusammen kann das Revier diese Herausforderung erfolgreich bewältigen. Auch die Unternehmensstruktur muss berücksichtigt werden. Zwar gibt es durchaus erfolgreiche Großunternehmen, doch vielfach ist die Unternehmenslandschaft klein und mittelständisch geprägt. Diese Tatsache impliziert, dass Förderprogramme unbürokratisch und niedrigschwellig gestaltet sein müssen. Kleine und mittelständische Unternehmen sind oft nicht in der Lage, komplizierte oder langwierige Förderverfahren zu durchlaufen. Dabei sind gerade diese Unternehmen besonders wertvoll für die Transformation des Rheinischen Reviers. Neben der Struktur der Unternehmen ist auch die Struktur der Beschäftigung zu berücksichtigen: Wie oben dargestellt, ist der Anteil derjenigen ohne Berufsabschluss im gesamten Rheinischen Revier besonders hoch im Vergleich mit Bund und Land. Hieraus folgen weitere sinnvolle Schwerpunkte einer bedarfsgerechten Förderung: Ausbildung, Fortbildung, Weiterbildung! Letztlich ergeben sich Implikationen für die Ausgestaltung einer zukünftig immer wichtiger werdenden Klimaschutzpolitik. Im Rheinischen Revier findet sich eine strukturelle Verbindung von export- und energieintensiven Industrien. Diese Verbindung birgt ein hohes Risiko, dass Wertschöpfung und Arbeitsplätze verloren gehen infolge regulatorischer und internationaler Entwicklungen. Diese besondere Exponiertheit des Reviers gilt es bei der Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu berücksichtigen. Denn eines ist jetzt bereits klar: Nur, wenn das Rheinische Revier innovative und leistungsstarke Industrieregion bleibt, kann es seinem Anspruch als Modellregion auch gerecht werden. Nur wenn Kohleausstieg und Prosperität Hand in Hand gehen, wird das Vorgehen weltweit Nachahmer finden und so einen entscheidenden Beitrag zum globalen Klimaschutz leisten können. 25
Quellen: � Frontier economics (2018). Die Bedeutung des Wertschöpfungsfaktors Energie in den Regionen Aachen, Köln und Mittlerer Niederrhein. Studie im Auftrag der IHK MNR. � IAB Nordrhein-Westfalen (2020). Die Braunkohlebranchen des Rheinischen Reviers und der Tagebaukreise. IAB-REGIONAL, Nürnberg. � Prognos (2021). Wirtschaft und Industrie im Rheinischen Revier. Status quo und Potenziale – Daten und Karten. Studie im Auftrag der Zukunftsagentur Rheinisches Revier � Bruttoinlandsprodukt (2021), Bruttowertschöpfung in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland 1991 bis 2020, Reihe 1, Länderergebnisse Band 1 � Goetz, A. R. (2011). The global economic crisis, investment in transport infrastructure, and economic development. Transportation and Economic Development Challenges, 53. � Meersman, H., & Nazemzadeh, M. (2017). The contribution of transport infrastructure to economic activity: The case of Belgium. Case Studies on Transport Policy, 5(2), 316-324. � Bersch, Johannes; Gottschalk, Sandra; Müller, Bettina; Wagner, Simona; Weiß, Anna (2016): Unternehmensdynamik in der Wissenswirtschaft in Deutschland 2014: Gründungen und Schließungen von Unternehmen, Gründungsdynamik in den Bundesländern, internationaler Vergleich, Akquisition von jungen Unternehmen als Innovationsstrategie, Studien zum deutschen Innovationssystem, No. 3-2016, Expertenkommission Forschung und Innovation(EFI), Berlin 26
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