Wissenschaftliche Begründung für die Empfehlung der Pertussisimpfung mit einem Tdap-Kombinationsimpfstoff in der Schwangerschaft
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Epidemiologisches Bulletin 13 | 2020 26. März 2020 3 Wissenschaftliche Begründung für die Empfehlung der Pertussisimpfung mit einem Tdap-Kombinationsimpfstoff in der Schwangerschaft Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat auf ihrer linge unter 2 Monaten den höchsten Anteil von 95. Sitzung am 4. März 2020 die Empfehlung der schweren und letalen Verläufen aufweisen.3 In ver- Pertussisimpfung mit einem Tdap-Kombinations- schiedenen Studien wurde gezeigt, dass bei der impfstoff in der Schwangerschaft beschlossen. Hier- Mehrzahl schwangerer Frauen in westlichen Län- zu erfolgten Diskussionen auf mehreren Sitzungen, dern die Pertussis-spezifischen Antikörperkonzen- wobei auch Stellungnahmen des Gemeinsamen trationen sehr niedrig sind, so dass ein Schutz ihrer Bundesausschusses (G-BA), der obersten Gesund- Neugeborenen vor Pertussis durch diaplazentare heitsbehörden der Bundesländer sowie betroffener Antikörperübertragung in den ersten Lebensmona- Fachgesellschaften Berücksichtigung fanden. ten sehr unwahrscheinlich ist.4-7 Eine Impfung wäh- rend der Schwangerschaft führt dagegen zu hohen Antikörperkonzentrationen bei der werdenden Mut- Empfehlung ter und dem Neugeborenen.8,9 Die STIKO hat die Die STIKO empfiehlt die Impfung gegen Pertussis Arbeitsgruppe Pertussis beauftragt, die Evidenz für für schwangere Frauen zu Beginn des 3. Trimenons. die Sicherheit und Effektivität der Impfung Schwan- Bei erhöhter Wahrscheinlichkeit für eine Früh- gerer zum Schutz der Säuglinge in den ersten Le- geburt sollte die Impfung ins 2. Trimenon vorgezogen bensmonaten zu bewerten, sowie Fragen nach der werden. Die Impfung soll unabhängig vom Abstand Immunogenität bei Schwangeren, dem optimalen zu vorher verabreichten Pertussisimpfungen und in Impfzeitpunkt, der Auswirkungen auf die Immuno- jeder Schwangerschaft erfolgen. genität der Säuglingsimpfungen im ersten Lebens- jahr (sog. Blunting) und der Notwendigkeit von Fol- Das Ziel der Pertussisimpfung in der Schwanger- geimpfungen bei jeder weiteren Schwangerschaft schaft ist die Reduzierung von Erkrankungen, Hos- zu klären. pitalisierungen und Todesfällen durch Infektionen mit Bordetella pertussis bei Neugeborenen und jun- gen Säuglingen. 2. Öffentliches Interesse Es besteht ein öffentliches Interesse an der Pertussis- Tabellen und Abbildungen zu diesem Dokument impfung in der Schwangerschaft, da durch die Imp- finden Sie im Anhang unter www.rki.de/pertussis_ fung schwere Krankheits- und Todesfälle unter Säug- Tdap_13_20. lingen verhindert werden, die in den ersten Lebens- wochen noch nicht selbst geimpft werden können. Wissenschaftliche Begründung 3. Erreger 1. Einleitung und Fragestellungen Bordetella pertussis ist ein gramnegatives, unbewegli- Die Krankheitslast durch Pertussis bleibt trotz ho- ches, bekapseltes, aerobes Stäbchen,10-12 das eine her Impfquoten bei Kindern weltweit beträchtlich.1 Vielzahl von Toxinen und Virulenzfaktoren bildet, Besonders gefährdet sind Säuglinge, bei denen die wie z. B. Pertussis-Toxin (PT), filamentöses Hämag- Infektion zu Apnoen, Pneumonien, Otitiden, En- glutinin (FHA), Trachea-Zytotoxin, Pertactin, hitze- zephalopathien und bedingt durch eine extreme labiles Toxin und Adenylatzyklase-Hämolysin. Auf Lymphozytose, auch zu Lungenhochdruck führen der Oberfläche des Bakteriums befinden sich äußere kann.2 Säuglinge unter 6 Monaten haben das höchste Membranproteine, Fimbrien sowie Lipopolysaccha- Risiko für Krankheitskomplikationen, wobei Säug- ride, deren Bestandteile für die Impfstoffentwick-
Epidemiologisches Bulletin 13 | 2020 26. März 2020 4 lung verwendet werden können (z. B. Fimbrien Ag- Begleitsymptome. Auch bei Säuglingen verläuft die glutinogene 2 & 3). Die Vermehrung der Bordetellen Krankheit oftmals untypisch:2 Zwar beginnt sie eben- erfolgt auf dem zilientragenden Epithel der Atem- falls häufig mit Schnupfen, Niesen und leichtem Hus- wegsschleimhäute. Sie verursachen dort eine lokale ten. Im Stadium convulsivum können statt der Hus- Zerstörung der Mukosa. Einige der Toxine verschlech- tenanfälle jedoch Luftschnappen, Würgen, hervortre- tern zusätzlich lokal die Abwehrkräfte und verursa- tende Augen, Bradykardie, Apnoen, Zyanose oder Er- chen Schäden des tracheobronchialen Epithels.13 brechen im Vordergrund stehen. Säuglinge haben das höchste Risiko für schwerwiegende Komplikationen Bordetella (B.) pertussis ist der hauptsächliche Erre- mit einem hohen Anteil an Hospitalisierungen. ger des Keuchhustens. Seltener können Infektionen mit B. parapertussis, B. bronchiseptica oder B. holmesii Die häufigste Komplikation einer Pertussis ist die ebenfalls zu einem keuchhustenähnlichen Krank- Pneumonie, die zumeist durch Sekundärinfektion heitsbild führen, das aber meist leichter und kürzer mit anderen bakteriellen Erregern, insbesondere als bei einer Erkrankung durch B. pertussis verläuft. Pneumokokken oder nicht bekapselten Haemophilus influenzae verursacht wird.20 Sie tritt bei 10 % aller Pertussis ist hoch kontagiös (Kontagositätsindex: erkrankten Säuglinge und bei 4 – 9 % erkrankter 90 %).13 Die Übertragung erfolgt durch Tröpfchen- Personen ab 50 Jahren auf, bei älteren Kindern und infektion (Husten, Niesen, Sprechen) durch engen jüngeren Erwachsenen ist diese Komplikation deut- Kontakt mit einer infektiösen Person innerhalb ei- lich seltener.19 Weitere Komplikationen sind Otitis nes Abstandes von ca. 1 Meter.14 Die Inkubationszeit media, Sinusitis, hustenbedingte Inkontinenz, Her- beträgt meist 9 – 10 Tage (Spanne: 6 – 20 Tage).14 Ein nien, Rippenfrakturen sowie subkonjunktivale oder anhaltendes Trägertum von Bordetellen im Nasen- selten sogar zerebrale Blutungen.21-23 Als seltene rachenraum wurde nicht beschrieben, gelegentlich neurologische Komplikationen vor allem bei Säug- wurde jedoch B. pertussis im Nasenrachenraum bei lingen können zerebrale Krampfanfälle und En- asymptomatischen Personen im Umfeld von er- zephalopathien auftreten.2,19,24,25 Die Todesursache krankten Säuglingen oder bei Ausbrüchen – darunter bei Säuglingen ist häufig eine Hyperleukozytose mit 26 auch bei gegen Pertussis Geimpften – nachgewie- ≥ 30.000, teilweise sogar > 100.000/mm3, durch sen 15-17 oder eine serologische Evidenz für eine kürz- die es zu einer schweren Hypoxämie und pulmonalen lich erfolgte Infektion gefunden.17,18 Hypertension, gefolgt von akutem Organversagen kommt.2,20 4. Krankheitsbild Pertussis kann mehrere Wochen bis Monate andau- 5. Pertussisimpfstatus in ern. Die typische Erstinfektion bei Ungeimpften ver- Deutschland läuft in drei Stadien:19,20 Das Stadium catarrhale dau- Derzeit empfiehlt die STIKO eine Grundimmunisie- ert meist 1 – 2 Wochen (Spanne: 5 – 21 Tage) und ist rung gegen Pertussis mit vier Impfdosen im Alter durch erkältungsähnliche Symptome, wie Schnup- von zwei, drei, vier und 11 – 14 Monaten.27 Auffrisch- fen und leichten Husten, meist jedoch ohne oder impfungen werden im Vorschul- und Jugend- nur mit mäßigem Fieber gekennzeichnet. Es folgt alter empfohlen sowie einmalig bei der nächsten fäl- das Stadium convulsivum (Dauer 4 – 6 Wochen) mit ligen Tetanus-Diphtherie-Auffrischungsimpfung den klassischen Symptomen der anfallsweise auftre- im Erwachsenenalter. Ein sehr hoher Anteil (94,2 %) tenden Hustenstöße (Stakkatohusten), gefolgt von aller Kinder hat zum Zeitpunkt der Einschulung inspiratorischem Ziehen. Schließlich kommt es im eine Grundimmunisierung gegen Pertussis erhal- Stadium decrementi (Dauer 6 – 10 Wochen) zum all- ten.28 Die Vervollständigung der Grundimmunisie- mählichen Abklingen der Hustenanfälle. rung erfolgt jedoch häufig später als von der STIKO empfohlen. So lag der Anteil der Kinder im Alter Bei Jugendlichen und Erwachsenen sowie bei von 24 Monaten, die eine vollständige Grundimmu- geimpften Kindern verläuft Pertussis häufig ledig- nisierung erhalten hatten, im Jahr 2011 lediglich bei lich als lang dauernder Husten ohne die klassischen ca. 80 %.29 Auch der empfohlene Vorschulbooster
Epidemiologisches Bulletin 13 | 2020 26. März 2020 5 war zum Zeitpunkt der Einschulungsuntersuchun- tung der bundesweiten Surveillancedaten Fälle mit gen nur bei einem kleinen Anteil der Kinder erfolgt B. parapertussis ausgeschlossen. – z. B. in Niedersachsen nur bei 10,7 % im Jahr 2017.30 Die 10-Jahres-Impfquote (2007 – 2016) für Pertussis-Inzidenz im zeitlichen Verlauf eine azelluläre Pertussis-(ap-)haltige Impfung bei Die Anzahl der Pertussisfälle zeigte im zeitlichen Erwachsenen lag bei 32,4 %.31 Verlauf der letzten zwei Dekaden starke zyklische Schwankungen in Ostdeutschland mit Gipfeln im Abstand von jeweils circa fünf Jahren (s. Abb. 1). Die- 6. Epidemiologie der Pertussis in ses Muster wird ebenfalls in anderen westlichen Deutschland Ländern mit hohen Impfquoten bei Kindern und Seit Ende März 2013 besteht in Deutschland eine Jugendlichen beschrieben.32,33 Mit einer jährlichen bundesweite Meldepflicht für Keuchhusten (Pertus- Inzidenz zwischen 10 und 40 Erkrankten pro 100.000 sis) nach § 6 (Verdacht, Erkrankung und Tod) und Einwohner gehört Pertussis zu den sechs häufigsten § 7 Infektionsschutzgesetz (IfSG) (labordiagnosti- Infektionskrankheiten, für die derzeit Surveillance- scher Nachweis von B. pertussis sowie B. parapertussis). daten im Rahmen des IfSG erhoben werden. Vor dieser bundesweiten Meldepflicht wurden seit 2002 nur aus den fünf östlichen Bundesländern Alters- und geschlechterspezifische Pertussisinzidenz (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Im Säuglingsalter erkranken Jungen etwas häufiger Sachsen-Anhalt und Thüringen) nach Landesver- als Mädchen. In allen anderen Altersklassen werden ordnungen gemeldete Fälle von Pertussis an das mehr Erkrankungen bei Frauen bzw. Mädchen, und Robert Koch-Institut (RKI) übermittelt. Da nur somit auch bei Frauen im gebärfähigen Alter, im B. pertussis impfpräventabel ist, wurden (im Hin- Vergleich zu Männern bzw. Jungen übermittelt. Der blick auf eine Impfempfehlung) bei der Auswer- geschlechterspezifische Unterschied beträgt 30 %, gemittelt über alle Altersklassen. Jährliche Inzidenz (pro 100.000 Einw.) 40,0 30,0 20,0 10,0 0,0 Wochenjahr Abb. 1 | Jährliche Inzidenz der an das RKI übermittelten Pertussisfälle im Zeitraum 2002 – 2018. Grau gepunktete Linie: östliche Bundesländer; hellblau gepunktete Linie: westliche Bundesländer; blaue Linie: alle 16 Bundesländer zusammen (Wochenjahr: 1. bis 52. oder 53. Kalenderwoche)
Epidemiologisches Bulletin 13 | 2020 26. März 2020 6 Durchschnittliche Inzidenz (nach Alterklasse/100.000 Einw.) Kinder- und Jugendimpfung Erwachsenenimpfung (einmalig) 60 enge Haushaltskontakte eines Neugeborenen (alle 10 Jahre) 50 Frauen im gebärfähigen Alter (alle 10 Jahre) Personal im Gesundheitswesen und in Gemeinschaftseinrichtungen (alle 10 Jahre) 40 30 20 10 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70+ Lebensalter (Jahre) Abb. 2 | Durchschnittliche jährliche Inzidenz von Pertussis nach Lebensalter und Geschlecht (dunkelblaue Balken: männlich; hellblaue Balken: weiblich), nach IfSG im Zeitraum 2014 – 2018. Dargestellt sind zudem die derzeit (Stand August 2019) gültigen Impfempfehlungen für Pertussis (Standardimpfungen: durch- gehender Pfeil; Indikationsimpfungen: gepunkteter Pfeil; berufliche Indikationsimpfung: gestrichelter Pfeil) Pertussis tritt überwiegend im Kindes- und Ju- Trotz der bestehenden Impfempfehlungen erkran- gendalter auf, wird aber auch bei Erwachsenen häu- ken insbesondere Säuglinge sehr häufig an Pertussis fig diagnostiziert (s. Abb. 2). Erkrankte Personen sind und zwar vornehmlich in den ersten sechs Lebens- ein wichtiges Reservoir für die Übertragung von monaten (s. Abb. 3). Dies zeigt den dringlichen Be- B. pertussis auf deren Kontakte. Um die allgemeine darf, insbesondere bei jungen Säuglingen für einen Krankheitslast durch Pertussis zu reduzieren, gibt es besseren Schutz vor einer Pertussis zu sorgen. Die in Deutschland für alle Altersgruppen ab dem Alter durchschnittliche jährliche Inzidenz im Zeitraum von 2 Monaten Impfempfehlungen mit dem Ziel, ei- 2014 – 2018 liegt in Deutschland bei 50 Pertussis- nen Gemeinschaftsschutz aufzubauen. fällen pro 100.000 Säuglinge (Lebensalter < 1 Jahr). Relativer Anteil an Hospitalisierungen (%) (n =3.138) 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 0 6 12 18 24 30 36 42 Lebensalter (Monate) zu Beginn der Pertussiserkrankung Abb. 3 | Anteil der Hospitalisierung bei Pertussiserkrankten in den ersten 48 Lebensmonaten. Angaben zu Erkrankungsbeginn, Geburtsdatum und Krankenhausbehandlung wurden bei n = 3.138 Fällen im Alter < 4 Jahre im Meldezeitraum 2014 – 2018 übermittelt (blau: Hospitalisierung wegen einer Pertussis; dunkelgrau: Hospitalisierungsgrund unbekannt oder Angabe eines anderen Hospitalisierungsgrundes bei gleichzeitig bestehender Pertussis; hellgrau: nicht hospitalisiert).
Epidemiologisches Bulletin 13 | 2020 26. März 2020 7 Eine Capture-Recapture-Studie bei Säuglingen zu Ganzkeim-Pertussisimpfstoffe werden seit dem Pertussis-Hospitalisierungen in Deutschland hat Jahr 2000 in Deutschland nicht mehr verwendet. eine Untererfassung der Surveillancedaten für Per- tussis von 39 % für den Zeitraum 1.7.2013 – 30.6.2015 Für die Impfstoffe Covaxis und Repevax wurde kürz- geschätzt.34 Die Untererfassung war mit 40 % in lich die Zulassung auf das 2. und 3. Trimenon der den westlichen Bundesländern deutlich höher als in Schwangerschaft erweitert und für Boostrix und den östlichen Bundesländern mit 21 %. Eine Erklä- Boostrix-Polio liegt eine Zulassungserweiterung für rung für diesen Unterschied könnte in der schon den Einsatz im 3. Trimenon vor. TdaP-Immun ist länger bestehenden Meldepflicht in den östlichen nicht explizit für eine Anwendung in der Schwan- Bundesländern liegen. gerschaft zugelassen. Krankheitslast bei Säuglingen im Alter ≤ 3 Monaten Die über fünf Jahre (2014 – 2018) gemittelten Inzi- 8. Systematische Literaturübersicht denzen einer Pertussis und einer Pertussis-beding- zur Sicherheit und Effektivität der ten Hospitalisierung in Deutschland bei Säuglingen Impfung mit Pertussis-haltigen im Alter von ≤ 3 Monaten lagen bei 80,1/100.000 Impfstoffen in der Schwangerschaft (Erkrankung) bzw. 50,4/100.000 (Hospitalisierung) 8.1. Methodik und für das Hochinzidenzjahr 2017 sogar bei Zu den Fragestellungen nach der Wirksamkeit und 110,5/100.000 bzw. 75,0/100.000 (IfSG-Meldedaten, Sicherheit der Pertussisimpfung schwangerer Frau- RKI, Datenstand 3. Januar 2019). Nach den Daten en standen zu Beginn der Literaturrecherche 6 sys- der Capture-Recapture-Studie.34 muss davon ausge- tematische Reviews zur Verfügung.3,35-39 Allerdings gangen werden, dass die Meldezahlen eine deutliche waren mehrere kürzlich publizierte Studien noch Unterschätzung darstellen. Addiert man zu den In- nicht eingeschlossen. Nicht alle Reviews adressier- zidenzen aus den Meldezahlen die in dieser Studie ten das komplette Spektrum klinisch relevanter Ef- ermittelten 39 % hinzu, liegen die durchschnittlichen fektivitäts- und Sicherheitsendpunkte für Mutter Inzidenzen für eine Pertussis und eine Pertussis- und Kind. Außerdem wurden in den etwas älteren bedingte Hospitalisierung während der ersten drei Reviews nicht die inzwischen empfohlenen metho- Lebensmonate bei 111,3 bzw. 70,1/100.000 Säuglin- dischen Werkzeuge zur Bewertung des Risk of Bias gen für den Zeitraum 2014 – 2018. (RoB) und der Evidenzqualität verwendet. Diese lie- fern wichtige Informationen zur Entscheidungsfin- Todesfälle dung der STIKO. Es wurde deshalb ein neuer syste- Pertussis-bedingte Todesfälle im Kindesalter betref- matischer Review zur Sicherheit und Effektivität fen fast ausschließlich Säuglinge im Alter von < 4 nach der Methodik der Grading of Recommendations Monaten.2 Seit Beginn der Meldepflicht in Deutsch- Assessment, Development and Evaluation (GRADE) land wurden zwei Säuglinge im Alter von zwei und working group erarbeitet mit einer eigenen Bewer- vier Monaten als an Pertussis verstorben gemeldet tung des RoB der eingeschlossenen Studien.40 (Meldedaten, RKI). Cherry et al. berichten von einer deutlich höheren Letalitätsrate von 5 % bei Säuglin- Die „PICO-Kriterien“ (Population, Intervention, Com- gen im Alter von ≤ 3 Monaten, die wegen ihrer Per- parator und Outcomes) wurden wie folgt definiert: tussis in den USA hospitalisiert waren.26 Als Population wurden schwangere Frauen und ihre Säuglinge definiert. Die Intervention besteht aus ei- ner azellulären Pertussis-haltigen Impfung in der 7. Impfung Schwangerschaft (Tdap oder Tdap-IPV); der Compa- 7.1. Verfügbare Impfstoffe rator (Vergleichsintervention) besteht für Sicher- In Deutschland sind seit Mitte der 90er Jahre meh- heitsendpunkte aus einer Placebo-Impfung, keiner rere Impfstoffe mit azellulärer Pertussiskomponente Impfung, einer Tetanus-Impfung oder einer Teta- für Erwachsene zugelassen (s. Tab. 1 des Anhangs nus-Diphtherie-Impfung. Für Effektivitätsendpunkte mit weiteren Erläuterungen zu den Impfstoffen). konnten auch andere Impfstoffe (z. B. Influenza- impfung) als Vergleichsintervention eingesetzt wor-
Epidemiologisches Bulletin 13 | 2020 26. März 2020 8 den sein. Mögliche Outcomes (Endpunkte) wurden Kohorten- als auch Fall-Kontroll-Studien) wurde das von der Arbeitsgruppe nach ihrer Wichtigkeit für Robins-I-Tool 42 verwendet. Das RoB wurde immer die Entscheidungsfindung anhand einer Skala von von mindestens zwei Wissenschaftlern (TH, SVB, 1 – 9 bewertet (s. Tab. 2 im Anhang). Als kritisch WH) bewertet und im Konsensverfahren konzer- bzw. wichtig wurden Endpunkte mit einer Bewer- tiert. Studienrelevante Daten sowie die Daten zu tung von 7 – 9 bzw. 4 – 6 eingestuft. den „kritischen“ und „wichtigen“ Sicherheitsend- punkten wurden ebenfalls von mindestens zwei Es wurde eine sehr breite Suchstrategie angewendet, Wissenschaftlern systematisch erfasst, abgeglichen die die Literatur zur Sicherheit und Effektivität und und in Übersichtstabellen zusammengefasst. darüber hinaus zu den u. g. weiteren Fragestellun- gen erfassen sollte (s. Anhang). Es wurde nach Pu- Die Studienergebnisse zur Sicherheit und Wirk- blikationen in EMBASE (Excerpta Medica dataBASE) samkeit wurden nicht durch Meta-Analysen zusam- und Medline im Publikationszeitraum vom mengefasst, da die Endpunkte in den verschiedenen 1.1.2010 – 26.2.2018 gesucht. Am 10.1.2019 wurde Studien entweder nicht vergleichbar definiert waren diese Suche noch einmal mit einem überlappenden und sich die Studiendesigns von potenziell zu poo- Einschlussdatum zur ersten Suche in PubMed wie- lenden Studien unterschieden. Zudem wäre nur ein derholt. Des Weiteren wurde nach Studien in Clinical Pooling nicht adjustierter Daten möglich gewesen, Trials.gov, Cochrane Data base of clinical trials und da sich die Confounder-Sets, für die adjustiert wurde, OpenGray gesucht. in den verschiedenen Studien unterschieden. Wie unten weiter ausgeführt, wurde das RoB trotz Ad- Als geeignet für die Bewertung von Effektivitäts- justierung für Confounder in den meisten Studien und Sicherheitsendpunkten galten randomisierte als hoch eingeschätzt. Daher hätte ein Pooling ohne kontrollierte Studien (RCT), quasi-experimentelle Adjustierung keinen Mehrwert erzielt. Studien, nicht-randomisierte Studien (einschließ- lich before and after Studien, prospektive und retro- Anschließend wurden die Daten zur Erstellung ei- spektive Kohortenstudien, Fall-Kontroll-Studien) nes Grading of Recommendations Assessment, Develop- und analytische Querschnittstudien. Die Studien- ment and Evaluation (GRADE)-Evidenzprofils in die teilnehmer der Interventionsgruppe mussten eine Computer-Software GRADEprofiler (Version 3.6) Pertussis-haltige Impfung erhalten haben. Für Ef- eingelesen, die auch für die Berechnung der Risiko- fektivitätsendpunkte mussten die Studienteilneh- differenzen genutzt wurde. mer der Vergleichsgruppe Placebo, keine Impfung oder eine andere nicht-Pertussis-haltige Impfung Die Qualität der Evidenz wurde mit Hilfe der erhalten haben. Für Sicherheitsendpunkte wurden GRADE-Methodik ermittelt (s. Tab. 3 im Anhang). als Vergleichsgruppen mit Placebo oder anderen Te- Studienergebnisse zu weiteren, nicht als kritisch oder tanus-haltigen, nicht jedoch Influenzaimpfstoffen wichtig gewerteten Endpunkten wurden mittels nar- geimpfte Personen verwendet. rativer (nicht systematischer) Reviews adressiert. Das Screening der Titel, Abstracts und Volltexte auf Weitere Fragestellungen zur Immunantwort bei relevante Publikationen wurde von zwei Wissen- schwangeren Frauen und bei Säuglingen nach den schaftlern (WH & SVB) unabhängig voneinander Routineimpfungen (Blunting), sowie der Notwen- durchgeführt. Alle Volltexte von Publikationen, die digkeit bzw. Sicherheit einer Impfung in jeder von mindestens einem der beiden Wissenschaftler Schwangerschaft, zur Impfstrategie, zur Implemen- für wichtig erachtet wurden, wurden auf ihre Rele- tierung und zur Kosteneffektivität in anderen Län- vanz geprüft und dann ein Konsensus bezüglich des dern wurden mittels orientierender Literaturrecher- Einschlusses erreicht. chen untersucht. Zur Bewertung des RoB wurde das Cochrane risk of Die Literatursuche am 26.2.2018 ergab 1.002, die Wie- bias tool 41 für RCT verwendet (s. Tab. 8 a und b im derholung am 10.1.2019 nochmals 271 neue Treffer. Anhang). Für nicht-randomisierte Studien (sowohl Nach dem Titel- und Abstract-Screening wurden
Epidemiologisches Bulletin 13 | 2020 26. März 2020 9 199 Volltextartikel durchgesehen (s. Abb. 1 des An- Die 11 nicht-randomisierten Studien, die für Sicher- hangs). 177 Studien erfüllten nicht die Einschluss- heitsendpunkte relevant waren, wurden bezüglich kriterien für das systematische Review; sie sind mit des RoB alle als serious (n = 8) oder sogar critical kurzer Begründung zu ihrem Ausschluss im online (n = 3) eingestuft (s. Tab. 8a im Anhang). Haupt- Anhang aufgeführt (s. Tab. 4 im Anhang). Wo sie gründe für diese Bewertung waren Confounding, dennoch unterstützende Evidenz liefern, wird in Selektionsbias und unpräzise Endpunktdefinitio- den entsprechenden Textabschnitten weiter auf sie nen. Bei keiner Studie konnte residuales Confoun- eingegangen. ding ausgeschlossen werden. In den meisten Studi- en wurden Hinweise auf einen healthy vaccinee bias 8.2. Ergebnisse der Literaturrecherche zur gesehen. Vorbestehende Komorbiditäten (z. B. arte- Sicherheit azellulärer Pertussis-haltiger rieller Hypertonus,48,51,55 Herzerkrankungen,51 Dia- Impfstoffe in der Schwangerschaft betes mellitus,48,55 pulmonale Erkrankungen 48,51) Vierzehn Studien erfüllten die engeren Einschluss- und Überweisungen zur Hochrisiko-Schwangeren- kriterien für die Bewertung von akuten schwanger- betreuung 55 waren häufiger bei ungeimpften als bei schafts-, perinatalen oder säuglingsbezogenen Si- geimpften Frauen. Zusätzlich war auch die Inan- cherheitsendpunkten, darunter 3 RCT 43-45 und 11 spruchnahme von Gesundheitsmaßnahmen unter- nicht-randomisierte Studien.46-56 Die Studien wur- schiedlich zwischen geimpften und ungeimpften den in Belgien, Großbritannien, Kanada, Neusee- Frauen: Tdap-geimpfte Frauen hatten eine höhere land, Vietnam, und den USA durchgeführt (s. Tab. Influenzaimpfquote,46,50,53,57 mehr Ultraschallunter- 5a im Anhang). In diesen 14 Studien waren insge- suchungen 53,57 während der Schwangerschaft und samt ca. 1,4 Millionen schwangere Frauen einge- mehr und früher beginnende Schwangerschaftsvor- schlossen, davon erhielten 199.846 eine Pertus- sorgeuntersuchungen,46,51,53,55 als ungeimpfte Frau- sis-haltige Impfung. Dabei ist berücksichtigt, dass en. Die Unterschiede bei den Schwangerschaftsvor- sich die Studienpopulationen der vier Vaccine Safety sorgeuntersuchungen waren meist statistisch signi- Datalink Studien aus den USA 47,48,51,52 überlappten. fikant.46,51,55 In allen Studien handelte es sich um Impfungen mit einem azellulären Tdap- oder Tdap-IPV-Impf- In zwei Studien 51,58 wurde ein großer Anteil (74 bzw. stoff; Vergleichsgruppen wurden mit Placebo oder 79 %) der initial identifizierten Studienteilneh- gar nicht geimpft, mit Ausnahme zweier RCT, in de- merinnen von den Analysen ausgeschlossen, z. B. nen die Vergleichsgruppe mit einem Tetanusimpf- Frauen mit nicht durchgehendem Versicherungs- stoff geimpft worden war.43,45 schutz oder mit Mehrlingsschwangerschaften, Tot- oder Frühgeburten in der Anamnese. Dies schränkte 8.2.1. Risk of Bias in Studien zur Sicherheit die Möglichkeit einer Verallgemeinerung der Stu- azellulärer Pertussis-haltiger Impfstoffe in dienergebnisse erheblich ein. Der Ausschluss von der Schwangerschaft Schwangerschaften, die in einer Totgeburt oder ei- Das RoB wurde für einen RCT als high 43 und für die nem Abort endeten, führte möglicherweise zu ei- beiden anderen als low 44,45 eingestuft (s. Tab. 8 a im nem Selektionsbias, da sowohl die Impfung als Anhang). In den RCT von Munoz et al.44 und Halpe- auch das antizipierte negative Outcome (z. B. eine rin et al.45 war der Impfadministrator nicht verblin- angeborene Fehlbildung) Ursachen für eine Totge- det. Die im vorliegenden Review verwendeten End- burt bzw. einen Abort sein können. punkte „Fieber > 38°C”, „Frühgeburt“ und „Fehlbil- dungen” für Munoz et al.44 und „Frühgeburt“ und Fünf Studien basierten auf Abrechnungsda- „Präeklampsie und Eklampsie“ für Halperin et al.45 ten,47,48,51,53,58 bei denen möglicherweise schwerwie- sollten hiervon nicht beeinflusst worden sein. Die gendere Diagnosen bevorzugt kodiert wurden. In Fallzahl aller 3 RCT war für die Bewertung der Im- diesen Studien wurden Sicherheitsendpunkte basie- munantwort auf die Impfung in der Schwanger- rend auf ICD-Kodierungen definiert. Dies stellt schaft ausgelegt und hatte demzufolge unzurei- wahrscheinlich eine relevante Biasquelle für End- chende Teilnehmerzahlen für die Bewertung von punkte dar, die sehr variabel definiert werden kön- seltenen Sicherheitsendpunkten. nen, wie z. B. Amnioninfektionssyndrom (AIS),
Epidemiologisches Bulletin 13 | 2020 26. März 2020 10 aber weniger für „objektive“ Endpunkte wie die Auf- Unter Berücksichtigung dieser Überschneidung nahme auf eine Neugeborenenintensivstation. Auch wurde insgesamt eine Population von 855.546 Mut- in Studien, die auf der Durchsicht von Krankenak- ter-Kind-Paaren in unsere Bewertung eingeschlos- ten beruhten,46,49 wurden keine standardisierten sen. Unter diesen traten insgesamt 682 Pertussis- Falldefinitionen verwendet, z. B. nach den Vorgaben fälle bei Säuglingen im Alter von < 3 Monate (davon der Brighton Collaboration.59 Allerdings dürfte eine 257 im Alter < 2 Monate) auf. Unter den 682 Pertus- diesbezügliche Fehlklassifizierung von Diagnosen sisfällen waren 84 (12 %), deren Mütter während der nicht differentiell sein. Schließlich wurde in den Schwangerschaft einen azellulären Tdap- oder Td- Studien, die auf Patientenakten 46,49,54,55 und zum Teil ap-IPV-Impfstoff erhalten hatten. Die Zahl der auch jenen, die auf Abrechnungsdaten 47,48,51,57,58 oder Nicht-Erkrankten musste für die Kohortenstudie administrativen Gesundheitsdaten 50,56 basierten, von Amirthalingam et al.61 geschätzt werden, da hier häufig von den Autoren auf die Möglichkeit einer die Impfeffektivität anhand der Screeningmethode Fehlklassifizierung des Impfstatus oder der End- berechnet worden war. Von den insgesamt einge- punkte hingewiesen. So reichte das Fehlen der Do- schlossenen 854.864 nicht Erkrankten (Kontrollper- kumentation einer Impfung oder einer Diagnose in sonen in Fall-Kontroll-Studien und Nicht-Erkrankte den Krankenakten/Daten für die Klassifizierung als in Kohortenstudien) waren 205.919 (24 %) Mütter ungeimpft. Eine Fehlklassifizierung des Impfstatus während der Schwangerschaft mit einem azellulä- würde in aller Regel bedeuten, dass ein Teil der als ren Tdap- oder Tdap-IPV-Impfstoff geimpft worden. nicht geimpft eingestuften Frauen möglicherweise doch eine Impfung bekommen haben könnte; dies 8.3.1. Risk of Bias in Studien zur Effektivität würde zu einer Unterschätzung von möglichen Zu- azellulärer Pertussis-haltiger Impfstoffe in sammenhängen mit den Endpunkten führen. Ein der Schwangerschaft derartiges Risiko könnte in den auf Krankenhausak- Die RoB-Bewertung der Studien zur Effektivität fiel ten basierenden Studien 46,49,54,55 höher sein als in insgesamt deutlich positiver aus als die der Studien Studien, die auf großen Krankenversicherungs- zur Sicherheit der Impfung (s. Tab. 8b im Anhang). datenbasen beruhten 47,48,51,57,58 (s. Tab. 8a im Anhang). Insbesondere wurde das Risiko für Bias in classifica- tion of interventions, Bias due to deviations from inten- Für die eingeschlossenen Frauen und Säuglinge war ded interventions, Bias in measurement of outcomes die Vollständigkeit der erhobenen Daten meist und Bias in selection of reported results fast durchweg hoch. Anhaltspunkte für selektives Berichten von als niedrig eingeschätzt. Dennoch wurde in der Ge- Ergebnissen lagen nur selten vor. samtbewertung das RoB bei 5 von 8 Studien als serious eingestuft 60,61,63,65,67 und nur bei 3 Studien als 8.3. Ergebnisse der Literaturrecherche zur moderate.62,64,66 Die Hauptgründe für diese Bewer- Effektivität azellulärer Pertussis-haltiger tung waren Selektionsbias und ungenaue End- Impfstoffe in der Schwangerschaft punktdefinitionen. Unsere Einschlusskriterien für die Bewertung der Impfeffektivität erfüllten acht Originalstudien, vier Die beiden Studien von Amirthalingam et al.60,61 be- Kohorten- 60-63 und vier Fall-Kontroll-Studien 64-67 dienten sich der Screeningmethode für die Berech- (s. Tab. 5b im Anhang). nung der Impfeffektivität und konnten daher nur für Alter und Zeitintervall adjustieren. Die Studienpopulation der erstveröffentlichten Ko- hortenstudie von Amirthalingam et al.60 und die Po- Residuales Confounding musste auch für alle ande- pulation der Fall-Kontroll-Studie von Dabrera et al.65 ren Studien angenommen werden, da häufig die sind zu einem großen Teil in der zweiten Kohorten- Adjustierung für Confounder ungenügend war. Da- studie von Amirthalingam et al.61 enthalten, die eine her und weil es Anzeichen dafür gab, dass geimpfte Aktualisierung der Daten aus der ersten Studie dar- Frauen ein besseres Gesundheitsprofil hatten als stellt (persönliche Kommunikation mit G. Dabrera, ungeimpfte, erscheint ein healthy vaccinee bias als 17.10.2018). sehr wahrscheinlich (z. B. häufigere Influenzaimp- fungen und Ultraschalluntersuchungen in der
Epidemiologisches Bulletin 13 | 2020 26. März 2020 11 Schwangerschaft bei geimpften Frauen,63 Zigaretten- Die Definitionen von Fieber waren sehr unter- raucher im Haushalt häufiger bei ungeimpften64,66). schiedlich (selbstberichtetes bis behandlungsbe- Dieser führt möglicherweise zu einer Überschät- dürftiges Fieber), ebenso der Beobachtungszeit- zung der Vakzineeffektivität (VE) in diesen Studien. raum (3 Tage nach Impfung bis die gesamte Schwan- gerschaft). Es wurden Fieberraten zwischen 0,03 % Die Fall-Kontroll-Studie von Skoff et al.67 erhielt und 3 % angegeben und Fieber trat häufiger unter ebenfalls eine Gesamtbewertung serious RoB, da geimpften als unter ungeimpften Schwangeren auf. zwei Drittel der initial identifizierten Studienpopu- Im RCT von Munoz et al.44 hatte 1/33 (3 %) der lation aus verschiedenen Gründen ausgeschlossen schwangeren Frauen Fieber > 38 °C innerhalb von 7 und zudem deutliche Hinweise auf einen Selekti- Tagen nach der Impfung, während dies auf 0/15 onsbias gesehen wurden (der Bildungsgrad und die (0 %) der Placebo-geimpften schwangeren Frauen geografische Verteilung der eingeschlossenen Per- zutraf. Allerdings war Fieber in dieser Studie bei sonen unterschieden sich signifikant von den aus- schwangeren Frauen nach Tdap-Impfung nicht sig- geschlossenen Personen). Die häufigsten Gründe nifikant häufiger als bei nichtschwangeren für den Studienausschluss waren Nicht-Erreichbar- Tdap-geimpften Frauen. Hoang et al.43 berichteten von keit und ein fehlendes Einverständnis der Mütter. einem Fall von Fieber innerhalb eines Tages nach Möglicherweise hatten diese Personen auch insge- Tdap-Impfung bei 52 geimpften Frauen (1,9 %) versus samt ein ungünstigeres Gesundheitsverhalten mit keinem Fieberfall in der Kontrollgruppe (n = 48). niedrigerer Inanspruchnahme von Impfungen in der Schwangerschaft. In einer kleinen prospektiven Kohortenstudie von Maertens et al.54 wurde bei 1/57 geimpften Schwan- Die aktuellste Kohortenstudie aus den USA 63 wurde geren und bei 0/42 nicht-geimpften schwangeren mit einem serious RoB bewertet, da keine klare Fall- Kontrollen über das Auftreten von Fieber (nicht nä- definition mit Laborkriterien vorlag und der Anteil her definiert) berichtet. In einer retrospektiven Ko- der laborbestätigten Fälle in den Untergruppen hortenstudie von Kharbanda et al.52 basierend auf nicht bekannt war. Daten des Vaccine Safety Datalink wurde behand- lungsbedürftiges Fieber innerhalb von 3 Tagen nach 8.4. Sicherheit azellulärer Pertussis- der Impfung bei 0,03 % beobachtet, im Vergleich zu haltiger Impfstoffe in der 0,006 % bei nichtgeimpften schwangeren Frauen. Schwangerschaft Im Folgenden werden die Ergebnisse der identifi- Fieber ist eine bekannte unerwünschte Wirkung der zierten Studien für die Sicherheitsendpunkte kurz Tdap-Impfung, die in vergleichbarer 44,53,68 oder ge- dargestellt. In drei RCT 43-45 und einer nicht-rando- ringerer Häufigkeit 53,69 bei schwangeren Frauen im misierten Studie 56 wurde nur Adacel (entspricht Co- Vergleich zu nicht schwangeren auftritt. Die Spann- vaxis) verwendet, in zwei Studien nur Boostrix,50,54 weite der berichteten Fieberraten in den einge- in einer Studie Adacel und Boostrix 55 und in der bri- schlossenen Studien ist durch die unterschiedlichen tischen Studie Repevax.49 In den meisten Studien Definitionen erklärbar (selbstberichtetes Fieber aus den USA wurde der verwendete Impfstoff nicht versus von Gesundheitspersonal gemessenes Fieber angegeben.46-48,51-52,57 Es ist anzunehmen, dass beide versus ärztlich behandeltes Fieber). Basierend auf der in den USA verfügbaren Impfstoffe (Adacel und der größten Kohortenstudie, die Angaben zu be- Boostrix) zur Anwendung kamen. Eine robuste handlungsbedürftigem Fieber berichtete,52 berech- impfstoffspezifische Analyse war nicht möglich. neten wir, dass mit lediglich sechs zusätzlichen Fie- berereignissen pro 100.000 geimpfter schwangerer 8.4.1. Akute systemische unerwünschte Frauen gerechnet werden muss, verglichen mit kei- Ereignisse ner Impfung (absolute Risikodifferenz zwischen Fieber geimpften und ungeimpften Frauen mit GRADE Die Häufigkeit von Fieber nach einer Tdap-Impfung profiler software berechnet). in der Schwangerschaft berichteten vier 43,44,52,54 der eingeschlossenen Studien (s. Tab. 6 im Anhang).
Epidemiologisches Bulletin 13 | 2020 26. März 2020 12 Weitere akute unerwünschte Ereignisse alle Effektschätzer in diesen Studien lagen unter 1,0. Weitere akute unerwünschte Ereignisse (adverse Totgeburten traten in 0 – 0,3 % bzw. 0,1 – 0,9 % der events = AE) wurden von uns nicht systematisch be- Schwangerschaften von Tdap- oder Tdap-IPV- wertet; jedoch wurden aus keiner der identifizierten geimpften bzw. ungeimpften Frauen auf. Studien Signale für schwerwiegende AE berichtet. Neonatale Todesfälle In einem RCT war das Auftreten von leichtem, loka- Nur 2 Studien berichteten zu neonatalen Todesfäl- lem Schmerz oder Muskelschmerz innerhalb von len;49,55 in beiden wurden nur wenige Todesfälle be- 48 Stunden nach der Tdap-Impfung im Vergleich obachtet ohne signifikanten Unterschied hinsichtlich zur Placebo-Gruppe erhöht (8/90 [9 %] vs. 5/81 des Impfstatus der Mutter (s. Tab. 6 im Anhang). [6%]).70 In einem anderem RCT waren ausgeprägte Muskelschmerzen häufiger nach Tdap- als nach Frühgeburt Td-Impfung beobachtet worden (4,4 % vs. 0 %; In 10 der eingeschlossenen Studien wurde die Häu- p = 0,014).45 Munoz et al.44 berichteten diesbezüglich figkeit von Frühgeburten untersucht (s. Tab. 6 im jedoch keine Unterschiede. Fortner et al.68 berichte- Anhang). Meist wurde dies definiert als eine Geburt ten über häufigeres Auftreten von moderaten oder vor der 37. Schwangerschaftswoche (SSW); bei schweren lokalen Schmerzen bzw. Unwohlsein DeSilva et al.47 konnte der Anteil nur für Geburten nach Tdap-Impfung Schwangerer im Vergleich zu vor der 34. SSW berechnet werden. In den drei nichtschwangeren Frauen (17,9 % vs. 11,1 %, p = 0,03 RCT 43-45 traten nur wenige Frühgeburten auf; die bzw. 10,4 % vs. 4,9 %, p = 0,03). Häufigkeit unterschied sich nicht zwischen Frauen, die eine Tdap- bzw. Placebo-, Tetanus- oder Td-Imp- Kharbanda et al.52 berichteten keine Unterschiede fung erhalten hatten. In allen nicht-randomisierten bezüglich des Auftretens behandlungsbedürftiger Studien war das Risiko für eine Frühgeburt höher allergischer Reaktionen oder Krampfanfälle in den bei nicht Tdap-geimpften Frauen, und dies meist si- 3 Tagen nach der Impfung bei schwangeren Frauen gnifikant oder knapp signifikant, auch in Analysen, (n = 53.885) verglichen mit nichtgeimpften schwan- die für potenzielle Confounder adjustiert waren (s. geren Frauen (n = 109. 253). Ebenfalls konnte inner- Tab. 6 im Anhang). Bei Layton et al.53 traf dies aller- halb von 42 Tagen nach der Tdap-Impfung kein Un- dings nur für Frauen zu, die im empfohlenen Zeit- terschied im Auftreten behandlungsbedürftiger intervall von 27. – 36. SSW geimpft wurden. Frauen, neurologischer Ereignisse (neurovegetative Störun- die vor der 27. SSW geimpft wurden, hatten ein signi- gen, Erkrankungen der Hirnnerven, degenerative/ fikant höheres Risiko für Frühgeburten als nicht demyelinisierende Erkrankungen des zentralen Tdap-geimpfte Frauen. Ein geringerer Anteil an Früh- Nervensystems (ZNS), periphere Neuropathien, geburten unter den Geimpften könnte ein Indiz für Guillain-Barré-Syndrom, Meningoenzephalitiden, einen healthy vaccinee bias sein. Bewegungsstörungen, Lähmungen, spinozerebellä- re Erkrankungen), Proteinurie oder venöser Throm- Niedriges Geburtsgewicht boembolien beobachtet werden.52 Niedriges Geburtsgewicht (low birth weight (LBW; < 2.500 g) oder very low birth weight (VLBW; < 1.500 g) 8.4.2. Schwangerschafts- und peri-/neonatale wurde explizit in nur 3 Studien untersucht. unerwünschte Ereignisse Donegan et al.49 berichteten zum Endpunkt Totgeburt intrauterine growth retardation/LBW, Berensen 46 un- In den drei RCT wurde nur über eine einzige Totge- tersuchten LBW und VLBW getrennt, und Griffin et burt berichtet, die in der Kontrollgruppe (Teta- al.50 untersuchten den Endpunkt „fetale Wachstums- nus-Impfung) in der Studie von Hoang et al.43 auf- restriktion“. Es wurde in keiner dieser Studien ein trat. In keiner der 4 nicht-randomisierten Studi- Zusammenhang mit einer Pertussis-haltigen Imp- en,46,49,55,56 die zu diesem Endpunkt berichteten, wur- fung in der Schwangerschaft und den beschriebe- de ein signifikanter Zusammenhang zwischen einer nen Geburtsgewichtsendpunkten beobachtet. Pertussis-haltigen Impfung in der Schwangerschaft und Totgeburten beobachtet (s. Tab. 6 im Anhang);
Epidemiologisches Bulletin 13 | 2020 26. März 2020 13 Fehlbildungen beobachteten ein geringfügig aber signifikant selte- Die Definition und Erfassung von Fehlbildungen neres Auftreten von Präeklampsie und Eklampsie variierte ebenfalls stark unter den 7 Studien, die bei ab der 27. SSW geimpften Frauen im Vergleich hierzu berichteten. Zwei RCT berichteten zu Fehl- zu nicht geimpften (RR: 0,96; KI: 0,94 – 0,99). Bei bildungen: von Hoang et al.43 wurden keine Fehlbil- Griffin et al.50 traf dies für den Endpunkt „schwere dungen in den ersten 30 Lebenstagen beobachtet, Präeklampsie“ zu (RR: 0,61; KI: 0,39 – 0,94). während Munoz et al.,44 die alle Säuglinge bis zum Alter von 13 Monaten beobachteten, eine Nierenbe- Amnioninfektionssyndrom (AIS) ckenerweiterung bei einem Säugling einer mit Tdap Zum Endpunkt AIS liegen Ergebnisse aus sechs geimpften Mutter und eine kardiale Fehlbildung bei nicht-randomisierten Studien vor 46,47,50,51,53,55 (s. Tab. 2 Säuglingen von ungeimpften Müttern berichteten. 6 im Anhang). Alle Studien berichteten über ein er- In den 5 Beobachtungsstudien mit Angaben zu höhtes Risiko für AIS bei Frauen, die eine Tdap-Imp- Fehlbildungen 46,48,54-56 wurden verschiedene Fehlbil- fung ab der 27. SSW erhalten hatten (s. Tab. 6 im An- dungen auf unterschiedliche Art (meist über Dia- hang). In den vier größten Studien, die zwischen gnose-Codes) ermittelt. In drei Studien wurden diese 8.178 und 123.780 geimpfte Frauen einschlossen, Endpunkte in der Krankenakte des Klinikaufent- wurde der Endpunkt mittels ICD-Codes aus großen halts zur Geburt erfasst:46,55,56 Maertens et al.54 analy- elektronischen Datenbanken erhoben.47,50,51,53 Nur Be- sierten Endpunkte in den ersten 30 Lebenstagen renson et al.46 verwendeten eine detaillierte klinische und DeSilva 48 im ersten Lebensjahr. In keiner dieser Falldefinition zur Identifizierung von AIS aus elektro- Studien wurde ein Zusammenhang mit einer Per- nischen Krankenakten. Eine Studie 55 gab keine End- tussis-haltigen Impfung in der Schwangerschaft be- punktdefinition an. Das relative Risiko für ein AIS lag obachtet, auch nicht in der Studie von DeSilva et al, zwischen 1,04 (95 % KI: 0,98 – 1,11) und 1,53 (95 % KI: in der ein möglicher Zusammenhang bei Frauen 0,80 – 2,90). Drei Studien ermittelten einen statis- untersucht wurde, die im 1. Trimenon mit Tdap tisch signifikant erhöhten Effektschätzer.47,51,53 geimpft worden waren.48 Layton et al.53 untersuchten das Risiko zusätzlich in Sepsis beim Neugeborenen einer Subgruppe von schwangeren Frauen, die alle Zu einer Sepsis beim Neugeborenen innerhalb der gegen Influenza geimpft worden waren. Dies sollte ersten 30 Tage nach der Geburt berichteten Layton die Analyse auf eine Gruppe einschränken, die ho- et al.,53 allerdings unterschieden die Autoren nicht mogener hinsichtlich des Inanspruchnahmeverhal- zwischen einer early-onset und late-onset Sepsis. Un- tens von gesundheitlichen Versorgungsmaßnah- abhängig vom Zeitpunkt der Impfung wurde bei Neu- men war und insgesamt ein niedrigeres Risiko für geborenen geimpfter Mütter seltener eine Sepsis ko- Schwangerschaftskomplikationen hatte. In diesem diert als bei Neugeborenen ungeimpfter Mütter. Kollektiv war der Zusammenhang zwischen Tdap-Impfung und AIS schwächer und nicht mehr Aufnahme auf einer Neugeborenen Intensivstation signifikant: Das propensitiy score adjustierte RR bei (Neo-ITS) zwischen der 27. und 36. SSW gegen Influenza Zu diesem Endpunkt berichteten Layton et al.53 (in geimpften Frauen lag bei 1,05; 95 % KI: 0,99 – 1,10 ver- den 30 Tagen nach Geburt) und Berenson et al.46 sus 1,14; 95 % KI: 1,10 – 1,18 in der gesamten Kohorte. (kein Zeitraum angegeben). In beiden Studien war das Risiko für eine Neo-ITS-Aufnahme für Neuge- Beim AIS können die fetalen Membranen, die Am- borene geimpfter Mütter etwas geringer als für die nionhöhle, das Fruchtwasser und die Plazenta von ungeimpfter Mütter. Der Unterschied war jedoch je- der Inflammation betroffen sein. Ein AIS wird weils nicht signifikant. meist ausgelöst durch aufsteigende bakterielle In- fektionen.71,72 Es kann zu jeder Zeit während der Präeklampsie und Eklampsie Schwangerschaft oder Geburt auftreten und kann In den 6 Studien 45,49,51,54 die zu Präeklampsie/Ek- Ursache 71 oder Folge 72 eines vorzeitigen Blasen- lampsie berichteten, war dieser Endpunkt hetero- sprunges sein. Das AIS ist entweder durch klinische gen definiert (s. Tab. 6 im Anhang). Layton et al.53 Kriterien,71,73 mikrobiologische oder histologische
Epidemiologisches Bulletin 13 | 2020 26. März 2020 14 Befunde 72 oder eine Kombination aus diesen Fakto- fallsgruppe von 220 Frauen mit Kranken- ren definiert. Ein klinisch relevantes AIS ist eine haus-ICD-Codes für AIS in der elektronischen häufige Ursache von Frühgeburten und kann zu Krankenakte aus. Ein „wahrscheinliches AIS“ war neonataler Sepsis führen.72 In den USA wird ein kli- definiert als der ICD-9-Code 658.41 in Kombination nisch und/oder histologisch nachweisbares AIS bei mit mindestens zwei klinischen Zeichen (mütterli- 40 – 70 % aller Frühgeburten und bei 1 – 13 % aller zeit- che oder fetale Tachykardie, Fundus-Druckschmerz, gerechten Geburten diagnostiziert.72 Aus immunolo- purulentes oder übel riechendes Fruchtwasser). gischer Perspektive erscheint es plausibel, dass eine Basierend auf dieser Definition berechneten die Au- Impfung in der Schwangerschaft einen inflamma- toren einen positiv-prädiktiven Wert (PPW) für ein torischen Prozess triggern kann. Während der „wahrscheinliches AIS“ für den entsprechenden Schwangerschaft durchläuft das mütterliche Im- ICD-Code von nur 50 %. Kharbanda et al. hatten ein munsystem Veränderungen hinsichtlich seiner Ak- adjustiertes Relatives Risiko (RR) für ein AIS von tivität: Das 1. Trimenon ist von einer lokalen Inflam- 1,19 (95 % KI: 1,13 – 1,26) für alle geimpften Frauen mation geprägt, die die tumorähnliche Einnistung und 1,11 (95 % KI: 1,03 – 1,21) für Frauen, die in der des Feten begleitet. Im 2. Trimenon überwiegt die 27. – 36. SSW geimpft worden waren, im Vergleich Immuntoleranz und im 3. Trimenon herrschen in- zu nicht-geimpften Frauen geschätzt.51 Wandten die flammatorische Signale vor, die letztlich die Geburt Autoren den errechneten PPW auf die Gesamtstu- induzieren.74 Die Tdap-Impfung ist lediglich einer dienpopulation an, so blieb der Zusammenhang von unzähligen Stimuli, die während der Schwan- zwischen einem AIS und der Tdap-Impfung statis- gerschaft auf das mütterliche Immunsystem wir- tisch signifikant. Dies war nicht der Fall, wenn nur ken. Wir haben keine Kenntnis von publizierten Frauen einbezogen wurden, die zwischen der 27. Studien, die die Konsequenzen einer Immunstimu- und 36. SSW geimpft worden waren (p = 0,07). lation durch eine Impfung bei trächtigen Tieren un- tersucht haben. Wir beobachteten in fast allen Studien einen ausge- prägten healthy vaccinee bias als Confounder, unab- Wenn es in den eingeschlossenen Studien einen hängig vom Studiendesign. Dies könnte eine Erklä- kausalen Zusammenhang durch einen noch unbe- rung dafür sein, dass ein geringeres Risiko für das kannten immunologischen Mechanismus zwischen Auftreten von möglichen Folgen eines AIS ermit- der Tdap-Impfung und dem AIS geben sollte, wür- telt/gefunden wurde und dass das häufigere Diag- den wir ein erhöhtes Risiko für Frühgeburtlichkeit nostizieren und Kodieren eines AIS möglicherweise oder neonatale Sepsis bei Neugeboenen auf eine bessere prä- und perinatale Versorgung Tdap-Geimpfter erwarten. Das Gegenteil ist der Fall: und engmaschigere Überwachung von geimpften Die Autoren von sieben Studien,46,47,50,51,53,55,56 ein- Frauen (Detektionsbias) zurückzuführen ist. schließlich der Studien, die eine signifikante Asso- ziation zwischen Tdap-Impfung und AIS zeig- Eine weitere, mögliche Erklärung für die Assoziati- ten,47,51,53 berichteten eine niedrigere Frühgeburten- on zwischen einer Tdap-Impfung in der Schwanger- rate bei geimpften im Vergleich zu nicht geimpften schaft und dem Auftreten eines AIS könnte Con- Schwangeren. Zudem war das Risiko für eine Auf- founding mit Periduralanästhesie (PDA) sein. Ba- nahme der Neugeborenen auf eine Intensivstati- sierend auf einer Sekundäranalyse von Daten aus on 46,53 und für eine neonatale Sepsis 18 niedriger bei einem RCT berichteten Abramovici et al.75 eine sta- Kindern geimpfter Mütter im Vergleich zu denen tistisch signifikante Assoziation zwischen der An- ungeimpfter Mütter. wendung einer PDA und einem AIS, definiert als Fieber in Kombination mit einer ärztlichen Diagnose, Unter der Annahme, dass ICD-Codes aus elektroni- derzufolge eine antibiotische Therapie erforderlich schen Datenbanken die klinische, mikrobiologische war. In dieser Studie wurden bei 70 % der Patientin- oder histopathologische Diagnose eines AIS nur un- nen mit klinischem AIS, bei denen eine Plazenta- genügend abbilden, nahmen Kharbanda et al.51 eine histologie durchgeführt wurde (64 %), akute, ent- Validierung dieses Endpunkts mittels einer Sub- zündliche Veränderungen in der Plazenta gefun- gruppenanalyse vor. Die Autoren wählten eine Zu- den. Eine Plazentakultur wurde nicht veranlasst.
Epidemiologisches Bulletin 13 | 2020 26. März 2020 15 In der Kohortenstudie von Maertens et al.54 erhielten Care Daten beruhenden Studie keinen Zusammen- 70 % der geimpften und 57 % der ungeimpften hang zwischen einer Tdap-Impfung in der Schwan- Frauen eine PDA. In der Subgruppenanalyse von gerschaft und postpartalen Blutungen. In weiteren Kharbanda et al.51 hatten 95 % der 220 Frauen eine Studien wurden diese Endpunkte nicht untersucht. PDA bekommen und 91 % erhielten eine antibioti- sche Behandlung (alle 220 Frauen waren Tdap- Entwicklung und Gesundheit des Kindes im ersten geimpft).51 Allerdings waren diese Informationen bzw. bis zum 5. Lebensjahr nicht für die gesamte Studienpopulation erhältlich. In 5 Studien wurden Säuglinge von Müttern, die in Eine PDA geht häufig mit einem protrahierten Ge- der Schwangerschaft mit bzw. nicht mit Tdap burtsverlauf und maternalem Fieber einher.76,77 Dies geimpft worden waren, im ersten bzw. bis zum führt oftmals zu einer prophylaktischen antibioti- 5. Lebensjahr hinsichtlich Gesundheitsindikatoren schen Therapie.77 Transitorisches mütterliches Fie- oder ihrer Entwicklung beobachtet.44,56,78,79 Shakib et ber ohne klaren Fokus könnte daher als AIS ver- al.56 haben in ihrer gematchten retrospektiven Ko- schlüsselt werden,75 was zu einer „Überkodierung“ hortenstudie Häufigkeiten von Diagnosen für eine dieser Diagnose bei Frauen mit PDA führen könnte. Reihe von komplexen chronischen Erkrankungen im 1. Lebensjahr untersucht: Die Häufigkeit bei Da geimpfte Frauen in drei Studien, in denen eine Säuglingen der geimpften Mütter war mit 3,6 % signifikante Assoziation zwischen einer Tdap-Imp- (95 % KI: 0,8 – 10,2%) niedriger als mit 10,4 % fung und einem AIS gezeigt wurde, eine bessere (95 % KI: 7,2 – 14,4 %) bei Säuglingen nicht geimpf- pränatale Versorgung erhalten hatten als ungeimpfte ter Mütter. Im sehr kleinen RCT von Munoz et al.44 Frauen (früher begonnene und häufigere Vorsor- wurden weder Unterschiede in den ersten 13 Le- geuntersuchungen 51und häufigere Ultraschallun- bensmonaten bei Gewicht, Länge und Kopfumfang tersuchungen)40, ist es denkbar, dass sie auch häufi- festgestellt, noch hinsichtlich des Erreichens von ger eine PDA in Anspruch genommen hatten, als Entwicklungsmeilensteinen (definiert nach der Bay- ungeimpfte Frauen. Leider wurden Raten für die ley-III Skala für Kleinkindentwicklung [Psych- PDA-Inanspruchnahme in keiner der Studien un- Corp]). Maertens et al.80 beobachteten in ihrer klei- tersucht, die einen statistischen Zusammenhang nen retrospektiven Kohortenstudie keinen Unter- zwischen dem AIS und der Tdap-Impfung festge- schied im Risiko für eine Hospitalisierung in den stellt hatten. ersten 15 – 16 Lebensmonaten. Sukumaran et al.79 be- obachteten in einer großen Fall-Kontroll-Studie im Weitere Endpunkte Rahmen des Vaccine Safety Datalink keinen signi- Vorzeitiger Blasensprung und postpartale Blutungen fikanten Unterschied im Risiko für Hospitalisie- Layton et al.53 hatten in ihrer Studie basierend auf rungen (adjustiertes Odds Ratio [aOR] = 0,94; ICD-Codes ein gering erhöhtes Risiko für vorzeiti- 95 % KI: 0,88 – 1,01) und Tod (aOR = 0,44, 95 % KI: gen Blasensprung (adjustiertes RR für Tdap in der 0,17 – 1,13) im ersten Lebensjahr in Bezug auf den Tdap- 27. – 36. SSW: 1,03; 95 % KI: 1,00 – 1,06 und für Tdap Impfstatus der Mutter. Schließlich haben Becerra- vor der 27. SSW: 1,08; 95 % KI: 1,02 – 1,15) und für Culqui et al.78 die Häufigkeit einer Diagnose des Au- postpartale Blutungen (adjustiertes RR für Tdap in tism Spectrum Disorders (ASD) bei Kindern von Müt- der 27. – 36. SSW: 1,23; 95 % KI: 1,18 – 1,28) beobach- tern, die in der Schwangerschaft mit Tdap geimpft tet. Diese Zusammenhänge waren schwächer, wenn worden waren, mit Kindern ungeimpfter Mütter bis nur Frauen einbezogen wurden, die während der zum Alter von 5 Jahren verglichen. In der nichtad- Schwangerschaft auch gegen Influenza geimpft justierten Cox Regression wurde kein Unterschied worden waren, blieben jedoch signifikant (adjustier- nach dem Impfstatus der Mutter beobachtet; nach tes RR für vorzeitigen Blasensprung nach Tdap-Imp- Adjustierung hatten Kinder von geimpften Müttern fung in der 27. – 36. SSW = 1,11; 95 % KI: 1,03 – 1,20 ein signifikant niedrigeres Risiko, an ASD zu er- und für postpartale Blutung nach Tdap-Impfung in kranken (0,85; 95 % KI: 0,77 – 0,5). Auch wenn die der 27. – 36. SSW = 1,09; 95 % KI: 1,03 – 1,16 bzw. Diagnosen in den elektronischen Krankenakten Tdap-Impfung < 27. SSW = 1,18; 95 % KI: 1,07 – 1,30). nicht weiter validiert wurden, erscheint es nach die- Donegan et al.49 beobachteten in ihrer auf Primary ser Studie, die mit einem moderaten RoB bewertet
Epidemiologisches Bulletin 13 | 2020 26. März 2020 16 wurde, sehr unwahrscheinlich, dass eine Tdap-Imp- gleich zu Frauen, die vor mehr als 5 Jahren zuletzt fung in der Schwangerschaft das Risiko für Autismus geimpft worden waren. Allerdings hatte die Studie erhöht. für die Endpunkte Fieber, lokale und allergische Re- aktionen nicht ausreichend Power. Wanlapakorn et Fazit Sicherheit al.82 beobachteten ebenfalls keine signifikanten Un- Für zwei Sicherheitsendpunkte wurden höhere re- terschiede bezüglich der Häufigkeit des Auftretens lative Risiken für Tdap-geimpfte Frauen beobachtet von low grade fever nach Tdap zwischen 181 Frauen, als für ungeimpfte: mütterliches Fieber nach der die in den letzten 5 Jahren eine T-haltige Impfung Impfung und AIS. Es ist mit sechs zusätzlichen Fie- bekommen hatten (5,5 %), darunter 98 Frauen, die berfällen pro 100.000 geimpfter Frauen zu rechnen. in der laufenden Schwangerschaft mindestens eine In sechs Studien wurde ein geringfügig und teilweise T-haltige Impfung erhalten hatten, und 189 Frauen, statistisch signifikant erhöhtes Risiko für ein AIS die keine solche Impfung in den letzten 5 Jahren be- nach Tdap-Impfung ermittelt. Allerdings wurden in kommen hatten (4,8 %). Auch lokale Schmerzen keiner dieser sechs Studien negative klinische Fol- wurden in dieser Studie nicht in unterschiedlicher gen einer Tdap-Impfung für den Schwangerschafts- Häufigkeit zwischen diesen beiden Gruppen berich- verlauf oder das Neugeborene beobachtet, die übli- tet (13,4 % vs. 14,4 %). Die Autoren adjustierten je- cherweise mit einem AIS assoziiert sind. Dies lässt doch nicht für mögliche Unterschiede zwischen den vermuten, dass die in diesen Studien kodierte Stu- beiden Gruppen. Regan et al.83 befragten Frauen, die diendiagnose AIS die normalerweise anhand vielfäl- größtenteils im 3. Trimenon mit Tdap geimpft wur- tiger klinischer Symptome oder anhand pathologi- den, zu AE in den 7 Tagen danach und verglichen scher Befunde gestellte Diagnose eines klinisch re- Frauen mit vor 3 – 4 Jahren erfolgter Tdap-Impfung levanten AIS nicht korrekt abbildete. Ein healthy vac- im Rahmen eines Kokon-Impfprogramms mit Frau- cinee bias spielt möglicherweise für die differentielle en, die vorher noch nie mit Tdap geimpft worden Häufigkeit der Kodierung bei geimpften Frauen waren. Es fand sich kein nennenswerter Unter- eine Rolle. schied in der Fieberrate (2,9 % vs. 2,3 %). Der Anteil von Frauen mit jeglicher AE war unter den 70 be- Zusammengefasst zeigt die Studienlage, dass die reits vorher Tdap-geimpften Frauen jedoch signifi- Tdap-Impfung in der Schwangerschaft sicher ist. kant höher: Von diesen suchten 3/70 (2,9 %) einen Arzt wegen eines AE auf, während dies nur für 8.4.3. Häufigkeit von unerwünschten Ereignissen 26/2.693 (1,0 %) der erstmalig mit Tdap geimpften in Abhängigkeit vom Abstand zu einer Schwangeren zutraf (OR = 4,59; 95 % KI: 1,36 – 15,55). früheren Tdap- oder T-haltigen Impfung Fortner et al.68 verglichen 198 schwangere Frauen, In vier Studien wurde untersucht, ob akute uner- die bereits Tdap erhalten hatten (98 in den letzten wünschte Ereignisse nach Tdap-Impfung in der 1 – 5 Jahren) mit 103, die erstmalig in der Schwanger- Schwangerschaft häufiger waren, wenn die schaft mit Tdap geimpft wurden, und fanden keine Tdap-Impfung in der Schwangerschaft nach kürze- signifikanten Unterschiede bzgl. akuter AE. In keiner rem Abstand zu einer Tetanus-haltigen Impfung ap- der 3 Studien,55,81,82 die das Auftreten von schwanger- pliziert wurde (es ist davon auszugehen, dass die schafts- oder perinatalen Endpunkten in Bezug auf Tetanuskomponente den am stärksten immunoge- frühere Tetanus-haltige Impfungen untersucht ha- nen Bestandteil der Impfung darstellt). Sukumuran ben, traten diese häufiger bei Frauen auf, die vor kür- et al.81 berichteten keine Unterschiede in der Häu- zerem Tetanus-haltige Impfungen erhalten hatten. figkeit des Auftretens von medically attended Fieber, lokalen und allergischen Reaktionen zwischen Frau- en, die in den letzten 2 Jahren bzw. in den letzten 2 – 5 Jahren Tdap bekommen hatten, jeweils im Ver-
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