DIE ZUNEHMENDE BEDEUTUNG VON HPV IN DER HALS-NASEN-OHREN-HEILKUNDE
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Eingereicht von DIE ZUNEHMENDE Jakob Mayrhofer Angefertigt an der Klinik für Hals-Nasen- und BEDEUTUNG VON Ohren-Heilkunde - KUK, Med Campus III Beurteiler Prim. Dr. Paul Zwittag, HPV IN DER HALS- MBA, MSc Mitbetreuung Dr. Nikolaus Poier NASEN-OHREN- Datum September 2021 HEILKUNDE Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Dr. med. univ. im Masterstudium Humanmedizin JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Masterarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wört- lich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Masterarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Linz, September 2021 17. September 2021 2/62
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung .............................................................................................................................. 5 1.1. Begründung der Themenwahl, Fragestellung, Zielsetzung ................................................. 5 1.2. Humaner Papillomavirus (HPV) .......................................................................................... 5 1.3. HPV-assoziierte Tumore im Kopf-Hals-Bereich .................................................................. 6 1.4. Gegenüberstellung oraler und genitaler HPV-Infektionen ................................................... 7 1.5. HPV-Genotypen-Übereinstimmung ..................................................................................... 9 1.6. Risiko simultaner oraler und genitaler Infektion mit HPV ................................................... 11 1.7. Risiko einer oralen HPV-Infektion bei genitalen HPV-Läsionen......................................... 12 1.8. Risiko eines oralen HPV-Tumors bei genitalen HPV-Läsionen ......................................... 15 1.9. Lebensweise und orale HPV-Infektion .............................................................................. 19 1.10. HPV-Impfung als Schutz vor oraler HPV-Infektion ............................................................ 21 2. Methoden ........................................................................................................................... 25 2.1. Identifikation und Auswahl relevanter Studien................................................................... 25 2.2. Zusammenhang von oralen und genitalen HPV-Infektionen ............................................. 25 2.3. Zusammenhang oraler HPV-Infektion mit genitalen HPV-Läsionen .................................. 25 2.4. Zusammenhang oraler HPV-Tumore mit genitalen HPV-Läsionen ................................... 27 2.5. Auswirkung der Lebensweise auf orale HPV-Infektionen .................................................. 28 2.6. Auswirkung einer HPV-Impfung auf eine orale HPV-Infektion ........................................... 29 3. Ergebnisse.......................................................................................................................... 30 3.1. Zusammenhang von oralen und genitalen HPV-Infektionen ............................................. 30 3.2. Zusammenhang oraler HPV-Infektion mit genitalen HPV-Läsionen .................................. 31 3.3. Zusammenhang oraler HPV-Tumore mit genitalen HPV-Läsionen ................................... 34 3.4. Auswirkung der Lebensweise auf orale HPV-Infektionen .................................................. 38 3.5. Auswirkung einer HPV-Impfung auf eine orale HPV-Infektion ........................................... 42 4. Diskussion .......................................................................................................................... 44 5. Conclusio/Ausblick.............................................................................................................. 49 6. Zusammenfassung ............................................................................................................. 50 6.1. Hintergrund ....................................................................................................................... 50 6.2. Methoden ......................................................................................................................... 50 6.3. Ergebnisse........................................................................................................................ 51 6.4. Diskussion/Conclusio ........................................................................................................ 51 7. Abstract .............................................................................................................................. 52 7.1. Background ...................................................................................................................... 52 7.2. Methods............................................................................................................................ 52 17. September 2021 3/62
7.3. Results ............................................................................................................................. 53 7.4. Discussion/Conclusion ...................................................................................................... 53 8. Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................................... 54 9. Tabellenverzeichnis ............................................................................................................ 54 10. Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................ 55 11. Literaturverzeichnis............................................................................................................. 55 17. September 2021 4/62
1. Einleitung Nach Erläuterung der Motivation zum Schreiben dieser Arbeit werden allgemein anerkannte Eigenschaften von HPV beschrieben. Daraufhin wird eine Gegenüberstellung von genitalen und oralen HPV-Infektionen vorgenommen. Dies betrifft die Genotypen-Zusammensetzung bzw. Übereinstimmung an diesen beiden Orten und das Risiko einer oralen HPV-Infektion bei vor- handener genitaler Infektion mit HPV. Nun wird die Wahrscheinlichkeit für orale HPV-Infektionen bzw. die Entwicklung oropharyngea- ler Karzinome bei Frauen mit genitalen Läsionen erfasst. Schließlich werden noch Zusammenhänge einer gewissen Lebensweise (sexuelle Praktiken und Mundhygiene) sowie Effekte einer HPV-Impfung in Bezug auf orale HPV-Infektionen und Tumore im Oropharynx überprüft. 1.1. Begründung der Themenwahl, Fragestellung, Zielsetzung Diese Arbeit versucht unter anderem aufgrund steigender Fallzahlen HPV-assoziierter oropha- ryngealer Karzinome Erkenntnisse aus Studien zu gewinnen, um sich diese Entwicklung folglich erklären zu können. Ein Grund, der jenes Vorhaben erschwert, ist, dass diese Art der Tumore keine prämalignen Läsionen aufweisen und dadurch verlässliche Screening-Methoden fehlen. Damit nun dieses Problem teils umgangen wird, stellt man sich die Frage, ob eine zervikale (ge- nitale) HPV-Infektion bei Frauen eine orale Infektion mit HPV und in weiterer Folge ein HPV- assoziiertes oropharyngeales Karzinom begünstigen kann. Dazu wird genügend Evidenz aus der Literatur zusammengeführt, zum Nachweis, dass eine orale HPV-Infektion mit einer zervikalen HPV-Infektion in Zusammenhang steht. Außerdem soll hier veranschaulicht werden, dass Frauen, bei denen bereits höhergradige HPV- positive genitale Läsionen vorhanden sind, nicht nur ein höheres Risiko für eine zusätzliche HPV-Infektion im oralen Bereich im Vergleich zur Normalbevölkerung haben, sondern daraufhin auch mit höherer Wahrscheinlichkeit einen HPV-assoziierten oropharyngealen Tumor erwerben. Überdies werden in dieser Arbeit sexuelle Praktiken als mögliche Ursachen für orale HPV- Infektionen identifiziert. Abschließend möchte man herausfinden, ob eine HPV-Impfung Auswirkungen auf orale HPV- Infektionen zeigt. Möglicherweise vermag eine Impfung mit HPV sogar die steigenden Inziden- zen oropharyngealer Karzinome zu reduzieren. Deshalb wird auch diesen Aspekten durch eine Analyse von Studien zu diesen Themen nachgegangen. 1.2. Humaner Papillomavirus (HPV) Papillomaviren sind eine Virusart, die seit langem bekannt ist und einen 330 Millionen Jahre zurückliegenden Ursprung hat.(1) Der humane Papillomavirus (HPV) ist ein 55 Nanometer (nm) großer, ikosaederförmiger, nicht- umhüllter Virus mit zirkulärer doppelsträngiger DNA. Er hat eine hohe Affinität für Epithelzellen. Es gibt somit über 200 Genotypen, welche Haut und Schleimhäute befallen können.(2, 3) Infektionen mit HPV können viele verschiedene Muster der Manifestation zeigen - von asymp- tomatischer Infektion über gutartige Warzen, potentiell bösartige Läsionen oder intraepitheliale Neoplasien bis hin zu invasiven Karzinomen.(2) Bisher werden die HPV-Genotypen 16, 18, 31, 33, 35, 39, 45, 52 und 58 als Hauptrisikofaktoren für die Entwicklung eines Zervixkarzinoms anerkannt.(4) 17. September 2021 5/62
Jedoch können manche dieser am weitesten verbreiteten onkogenen HPV-Typen auch die Mundhöhle infizieren. Die Bildung potentiell bösartiger Läsionen (Lichen planus, Leukoplakie), kann folgen. Außerdem können diese Viren sogar häufig Plattenepithelkarzinome im oropha- ryngealen bzw. Kopf-Hals-Bereich verursachen, weswegen sie zunehmend in den Fokus der Hals-Nasen-Ohren (HNO) -Forschung rücken.(5, 6) Die Zusammensetzung der Genotypen bei asymptomatischer oraler HPV-Infektion ist ähnlich derjenigen bei genitaler Infektion mit HPV. HPV-16 stellt dabei den Genotyp mit dem höchsten onkogenen Potential dar und ist nicht nur Hauptverursacher bei einer Untergruppe von Plat- tenepithelkarzinomen im Bereich des Oropharynx, sondern unter Umständen auch hauptverant- wortlich für die mancherorts rasante Entwicklung dieser Tumore.(7) 1.3. HPV-assoziierte Tumore im Kopf-Hals-Bereich Tabak und Alkohol sind zwar weiterhin sehr wichtige Risikofaktoren für Plattenepithelkarzinome im Kopf-Hals-Bereich, vermutlich ist HPV aber für steigende Zahlen von oropharyngealen Tumo- ren verantwortlich. Denn humane Papillomaviren sind als kausale Ursache bei dieser Art der Untergruppe von Kopf-Hals-Tumoren (Oropharynx) bekannt.(8) Die Zahl der Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren und negativer Alkohol- und Tabakanamnese ist steigend, was auf HPV zurückgeführt wird. Betrachtet man ausschließlich Schweden, so sind in diesem Land die Fälle der HPV-positiven tonsillären Tumore von 23% (1970) auf 77% (2003) angestiegen.(9–13) Wie bereits oben erwähnt ist möglicherweise der Genotyp HPV-16 ein zunehmend wichtiger ätiologischer Faktor des oropharyngealen Plattenepithelkarzinoms.(5, 6) Deshalb wird vor allem dieser Genotyp in Bezug auf einen Zusammenhang mit oraler Karzino- genese untersucht. Zum Beispiel haben Cerasuolo et al. meist HPV-16 in zervikalen und oropharyngealen Tumoren detektiert.(14) Auch ist HPV-16 in 80-100% HPV-positiver oropharyngealer Tumore (bei zervikalen Tumoren in ca. 61% der Fälle) vorhanden, jedoch ist laut Cerasuolo et al. die Viruslast in oropharyngealen Plattenepithelkarzinomen deutlich geringer im Vergleich zu zervikalen Karzinomen.(14–16) Das bedeutet, dass sich die Expressionsprofile der viralen onkogenen mRNA unterscheiden. Für das Überleben von HPV und dessen Transformation sind die viralen onkogenen Proteine E6 und E7 essentiell, Sie sind imstande die Zellzyklusregulatoren p53 und das Retinoblastom- Protein (pRb) zu inaktivieren, Diese Proteine treten nach Cerasuolo et al. bei zervikalen Tumo- ren im Verhältnis zu oropharyngealen Karzinomen vermehrt auf, was unterschiedliche Mecha- nismen in der Karzinogenese dieser beiden Tumore aufzeigt.(14) Nichtsdestotrotz erhöht HPV wahrscheinlich das Auftreten und die Malignität von oropharyngea- len Tumoren, denn dieser Virus kann gehäuft in dysplastischem und karzinomatösem Epithel oraler Mundschleimhaut im Vergleich zu normaler Mucosa nachgewiesen werden.(17) Hinzu kommt, dass die HPV E7-mRNA laut einer Studie von Ke et al. in 90% der Patienten mit oralen Tumoren vorhanden ist. Dies zeigt, dass, neben Alkohol und Rauchen, die orale Infektion mit high-risk HPV-Genotypen ein signifikanter unabhängiger Risikofaktor für oropharyngeale Plattenepithelkarzinome ist.(18) Zu erwähnen ist auch, dass hohe Spiegel von HPV E6/E7 Antikörpern der Entwicklung von Krebs im oropharyngealen Bereich fast 10 Jahre vorausgehen können.(19) Eine HPV-Infektion ist aber wahrscheinlich nicht nur für die Entstehung eines oropharyngealen Tumors essentiell. Bei Patienten mit HPV-positiven Speichel oder Plasma ist nach einer Tumor- behandlung ein höheres Risiko für eine Rekurrenz des Tumors bzw. ein schlechteres Überleben zu beobachten.(20) 17. September 2021 6/62
Ein großes Problem stellt die frühzeitige Identifizierung oropharyngealer Tumore dar, denn bis dato gibt es kein adäquates System zur Detektion des Malignitätsgrads (grading) einer oralen epithelialen Dysplasie mit zumindest der gleichen Effektivität wie dies bei genitalen Läsionen der Fall ist.(21) Deshalb wird in dieser Arbeit das Risiko für Frauen mit zervikaler intraepithelialer Neoplasie (CIN) einen HPV-assoziierten Tumor im Kopf-Hals-Bereich zu entwickeln möglichst genau er- fasst, um dadurch auf diese Weise die oben beschriebene Problematik wenigstens zu minimie- ren. 1.4. Gegenüberstellung oraler und genitaler HPV-Infektionen Auch wenn die Prävalenz oraler HPV-Infektionen ein Zehntel bis zu einem Fünftel gegenüber zervikalen Infektionen mit HPV beträgt, so darf nicht übersehen werden, dass die Zahlen HPV- assoziierter oropharyngealer Tumore in den USA und einigen europäischen Staaten im Steigen begriffen sind, während sie für HPV-bedingte zervikale Karzinome sinken.(15, 16, 22–24) Verantwortlich für eine generell geringere Rate oraler HPV-Infektionen verglichen mit genitalen Infektionen mit HPV sind möglicherweise im Speichel vorkommende Enzyme (Lysozyme, Lakt- oferrin, sIgA und Zytokine) oder das stark verhornte Gewebe der Mundhöhle, das ein Eindringen des Virus erschwert.(25–27) Eine hervorzuhebende Gemeinsamkeit oraler und genitaler (zervikaler) Infektionen mit HPV ist, dass der Genotyp HPV-16 in beiden anatomischen Regionen am häufigsten vorkommt.(28–31) Dagegen ist laut einer National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES) Studie ein wichtiger Unterschied, dass HPV-Infektionen im genitalen Bereich mit höherem Alter sinken, während die HPV-Prävalenz auf oraler Seite bei einigen Bevölkerungen zwei Altersgipfel auf- weist (30-34 Jahre und 60-64 Jahre).(8, 32–36) Eine Studie von Brouwer et al. stellt dabei fest, dass es in der Altersgruppe der Frauen zwischen 18 und 24 Jahren die höchste HPV-Genotypen-Übereinstimmung zwischen oralen und zervika- len HPV-Typen gibt. Das legt den Verdacht nahe, dass in diesem Altersabschnitt eine Transmis- sion des Virus von genitaler auf die orale Seite geschieht, oder, dass diese Frauen von selbigem Sexualpartner beidseitig mit HPV infiziert werden. Die Tatsache, dass in dieser Studie der Anteil der HPV-Genotypen-Übereinstimmungen bei 14- bis 17-jährigen gering ist, mag an den abwei- chenden sexuellen Praktiken dieser Altersgruppe im Vergleich zur vorherigen Gruppe (der 18- bis 24 Jahre alten Frauen) liegen. Die Altersgruppe der 45- bis 50-jährigen zeigt wiederum hohe HPV-Infektionsraten und HPV-Typen-Übereinstimmung bezüglich oraler und genitaler Virus- Infektion, welche aufgrund eines, sich mit der Zeit ändernden Sexualverhaltens dieser Gruppe zustande gekommen sein können.(37) Diese Studie nimmt auch an, dass sich manche HPV-Genotypen tropisch verhalten, d.h. sie würden je nach Gewebe eine höhere bzw. niedrigere Infektionswahrscheinlichkeit aufweisen. Schwierig wird es aber herauszufinden, ob zum Beispiel der häufig an oraler und genitaler Seite gegenwärtige HPV-Genotyp 16 diesem Tropismus folgt, oder einfach nur eine hohe Prävalenz hat.(37) Ebenfalls kann diese Studie zeigen, dass eine Serokonversion häufiger bei Frauen als bei Män- nern mit genitalen HPV-Infektionen auftritt. Dies bedeutet möglicherweise, dass eine genitale Infektion eher Frauen vor einer gleichzeitigen oralen HPV-Infektion schützt. Somit sind Männer wohl potentiell anfälliger für eine HPV-Infektion im oralen Bereich.(37) In einer anderen Studie können die altersabhängigen Erkrankungsgipfel für eine orale Infektion mit HPV bei Frauen bestätigt werden.(38) 17. September 2021 7/62
Die höchsten Infektionsraten sind auch hier bei Jugendlichen, jungen Erwachsenen und bei post-menopausalen Frauen zu beobachten. Diese Studie erklärt sich dieses Phänomen eben- falls einerseits durch das sexuelle Verhalten jüngerer Altersgruppen. Andererseits weist sie auf die hormonelle Instabilität und reduzierte Immunabwehr bei Frauen nach der Menopause hin, wodurch es bei den älteren Frauen leichter zu einer oralen HPV-Infektion nach Autoinokulation kommen kann.(38) Außerdem stellen D΄souza et al. fest, dass eine HPV-Persistenz im oralen Bereich eher bei Pa- tientinnen vorkommt, die schon älter sind (> 44 a), rauchen, eine zervikale (genitale) Dysplasie haben oder eine antiretrovirale Therapie erhalten.(39) Weitere Studien finden neben zuvor erwähnten Faktoren heraus, dass eine Ko-Infektion mit Chlamydia trachomatis, als auch Herpes Simplex Virus, sowie die Einnahme von Hormonpräpa- raten oder Kontrazeptiva ebenso eine Persistenz der humanen Papillomaviren begünstigen können.(40–42) Nicht unerwähnt bleiben soll, dass Canadas et al. jedoch zu anderen Ergebnissen kommen. Hier werden HPV-Infektionen an verschiedenen körperlichen Regionen (Vulva, Vagina, Anus und Mundhöhle) bei 188 Sexarbeiterinnen erfasst. Es werden Proben an diesen anatomischen Be- reichen entnommen. Diese Proben werden anschließend mittels Polymerasekettenreaktion (PCR) auf HPV-DNA untersucht. Dabei zeigt sich zwar auch eine altersabhängige HPV- Prävalenz, hingegen nur für genitale HPV-Infektionen, nicht jedoch für HPV Infektionen der Mundschleimhaut.(43) Überdies kann hier im oralen Bereich nicht der Genotyp HPV-16, sondern HPV-6 am öftesten nachgewiesen werden. Des Weiteren findet diese Studie heraus, dass in der Mundhöhle die HPV-Genotypen mit niedrigem Risiko für HPV-assoziierte genitale Karzinome (low-risk-HPV) überwiegen, während es in analen und genitalen Regionen Hochrisiko-Genotypen (high-risk HPV) sind.(43) Die von den vorherigen beschriebenen Studien abweichenden Ergebnisse bezüglich Altersab- hängigkeit und häufiger HPV-Genotypen bei oraler HPV-Infektion mögen hier durch das unter- suchte Patientenkollektiv (Sexarbeiterinnen) entstanden sein.(43) Es folgt nun eine Tabelle mit Kenngrößen zu oraler und genitaler HPV-Infektion (Tabelle 1). genitale Infektion mit HPV orale Infektion mit HPV Prävalenz hoch niedrig Tendenz der Karzinomrate sinkend steigend* häufiger Hochrisiko-HPV-Genotyp 16 16 Infektionsrate bei hohem Alter sinkend steigend hohe Infektionsrate nach Alter 20-24a 30-34a und 60-64a Tabelle 1 Eine Gegenüberstellung genitaler und oraler HPV-Infektionen, *Daten aus US und Skandinavien (15, 16, 22–24) 17. September 2021 8/62
1.5. HPV-Genotypen-Übereinstimmung Einige der nachfolgenden Studien können zeigen, dass bei gleichzeitiger oraler und genitaler HPV-Infektion orale und genitale HPV-Typen selten übereinstimmen. Eine von Smith et al. 2004 publizierte Studie ist das erste hier angeführte Beispiel dafür. Sie untersucht gleichzeitig vorhandene HPV-Infektionen an unterschiedlichen anatomischen Stellen (Mundhöhle, Zervix) von 582 schwangeren Frauen. Dabei werden zur Evaluierung einer genita- len HPV-Infektion PAP-Abstriche und Plattenepithelzellen durch in Kochsalz (NaCl)-getunkte Tupfer gewonnen.(44) Zur Feststellung einer oralen HPV-Infektion werden von den Patientinnen selbst durchgeführte orale Spülungen verwendet. Zur Identifizierung von HPV-DNA in den Proben wird schließlich eine PCR mit den Primern MY09 und MY11 veranlasst. Da die HPV-Genotypen- Übereinstimmung an den verschiedenen anatomischen Regionen in dieser Studie also gering ausfällt, ist auf eine geringe Übertragungsfähigkeit durch Autoinokulation und Oralverkehr zu schließen. Jedoch können Messfehler, die durch Schwankungen der HPV-Spiegel in einem Indi- viduum entstehen, auch ein Grund sein.(44) Eine weitere Studie als Exemplar für geringe HPV-Genotypen-Übereinstimmung soll hier noch angeführt werden. In dieser Studie werden Frauen mit zytologisch auffälligem Befund im zervi- kalen Bereich auf HPV-Infektionen in anderen anatomischen Bereichen hin untersucht. Nach- dem Proben von diesen Frauen durch Dünnschichtzytologie (liquid-based cytology), zervikale Abstriche und orale Lavage gewonnen werden, werden diese auf das Vorkommen unterschiedli- cher HPV-Genotypen mittels PCR überprüft. Es kann zwar auch hier keine Übereistimmung von HPV-Genotypen zwischen zervikaler und oraler Seite gefunden werden, jedoch ist dieses Er- gebnis aufgrund der insgesamt geringen Zahl an HPV-positiven Frauen im oralen Bereich nicht sehr zuverlässig.(45) Zudem kommen Steinau et al. durch Betrachtung der NHANES-Datensätze zu dem Resultat, dass lediglich 6% bzw. 37,7% unter den Frauen eine totale bzw. teilweise HPV-Genotypen Übereinstimmung aufweisen, wenn sie oral und genital infiziert sind.(46) Schließlich veröffentlichen noch Matsushita et al. ähnliche Ergebnisse. Hier wird HPV-DNA be- stimmter Genotypen in oralen und genitalen Abstrichen mithilfe des Kurabo GeneSquare Microarray bzw. durch Sequenzierung von klonierten PCR-Produkten nachgewiesen. Insgesamt werden bei jeweils 6,1% bzw. 52,6% der getesteten Frauen HPV-Infektionen im oralen bzw. genitalen Bereich entdeckt, wobei auf oraler Seite hauptsächlich der HPV-56-Genotyp (58,3%) gefunden wird, während bei den HPV-positiven Frauen im zervikalen Bereich der am häufigsten entdeckte Genotyp HPV-52 (29,1%), gefolgt von HPV-16 (24,3%), ist. Dabei haben lediglich zwei der zwölf oral mit HPV infizierten Frauen HPV-Infektionen mit übereinstimmenden HPV- Genotypen im oralen und genitalen Bereich. Dies ist ein Hinweis dafür, dass eine orale HPV- Infektion unabhängig von einer zervikalen Infektion mit diesem Virus auftreten kann.(47) Zudem gibt es noch weitere Studien mit gleichen Resultaten (keine signifikante HPV- Genotypen-Übereinstimmung), welche in nachfolgender Tabelle 2 ersichtlich sind.(42, 48, 49) 17. September 2021 9/62
Studie oral und genital HPV- Probe erhalten 100% HPV- positiv durch Übereinstimmung (Anzahl Frauen) (Anzahl Frauen) Smith (2004) 6 orale Spülung 0 Fahkry (2006) 5 orale Spülung 0 Marais (2008) 17 Bürsten 0 Termine (2009) 2 Bürsten 0 Matsushita (2011) 6 Abstrich 2 Tabelle 2 Übereinstimmung von HPV-Genotypen an oraler und genitaler Region (42, 44, 47–49) Jedoch soll hier verdeutlicht werden, dass die Art der Probengewinnung (orale Spülung, Bürs- ten, Abstrich) und Lagerung selbstverständlich einen Einfluss auf das Ergebnis haben. So ist laut Matsushita et al. die orale Spülung bezüglich DNA-Ausbeute und deren Qualität anderen Techniken (z.B. Abstriche) etwas überlegen.(47) Da also lediglich eine der in Tabelle 2 angegebenen Studien eine hundertprozentig- übereinstimmende HPV-Genotypen-Zusammensetzung im genitalen und oralen Bereich bei nur zwei Probandinnen findet, darf folglich auf einen voneinander unabhängigen Infektionsmecha- nismus geschlossen werden. Dagegen soll hier aber auch folgendes bedacht werden. Eine Meta-Analyse von Termine et al. zu oraler HPV-Infektion bei Frauen mit einer zervikalen HPV-Infektion ergibt eine zusammenge- fasste Prävalenz von 18,1% und eine Übereinstimmungsrate der in diesen Bereichen nachge- wiesenen HPV-Genotypen von 27%. Diese Zahlen sind statistisch signifikant, was demnach sehr wohl für einen Zusammenhang zwischen einer zervikalen und einer oralen HPV-Infektion spricht.(29) Denn auch die in Tabelle 2 in zweiter Zeile aufgeführte Studie von Fahkry et al. kann zeigen, dass 37,8% der dort getesteten Frauen eine orale und genitale Infektion mit gleichen HPV- Genotypen haben und bei näherer Betrachtung dieser Studie kann man erkennen, dass es im- merhin 14 Patientinnen gibt, welche zumindest ein paar übereinstimmender HPV-Genotypen im oralen und genitalen Bereich aufweisen.(42) Nach einer weiteren Studie von Adamopoulou et al. können HPV-Infektionen im oralen und geni- talen Bereich mit zumindest einem in diesen Bereichen übereinstimmenden HPV-Genotyp mit- hilfe von verschachtelter (nested) PCR bei 32,6% der Frauen ermittelt werden.(28) Bei der nested PCR handelt es sich um eine modifizierte PCR. Hierbei dienen die PCR-Produkte des ersten Amplifikationszyklus als Ausgangsmaterial für den zweiten Zyklus. Diese Produkte sollen nun mit einem Primerpaar, welches an weiter innen gelegenen DNA-Abschnitten als das ursprüngliche Paar bindet, reagieren. Dadurch erhöht sich die Spezifität und in diesem Fall auch das Auffinden von HPV-Genotypen.(50) Abschließend sei noch ein Ergebnis der zuvor erwähnten Meta-Analyse von Termine et al. ge- nannt. Hier ist die Rate gleicher HPV-Typen in oralen und genitalen anatomischen Regionen bei HIV-positiven Frauen gegenüber HIV-negativen Probandinnen (15,6%) sogar dreimal so hoch (46,8%). Diese Tatsache weist also auf immunologische Einflüsse hin.(29) 17. September 2021 10/62
1.6. Risiko simultaner oraler und genitaler Infektion mit HPV Die im vorherigen Punkt (HPV-Genotypen-Übereinstimmung) genannte Meta-Analyse kommt auch zu dem Resultat, dass orale HPV-Infektionen signifikant häufiger bei Frauen mit zervikaler HPV-Infektion (16%) als bei Frauen ohne diese Infektion bzw. in der Grundgesamtheit beste- hen.(29) Dieses Ergebnis wird durch eine Studie von Steinau et al. bestätigt, die zeigt, dass die Prä- valenz der oralen HPV-Infektion bei Frauen mit genitaler HPV-Infektion fünfmal höher liegt (7% verglichen mit 1,4%). Jedoch ist hier die geringe Gesamtprävalenz (3,8%) oraler HPV- Infektionen zu beachten.(46) Eine Studie, die ebenfalls das Risiko für eine orale Infektion mit HPV bei genital mit HPV Infizier- ten prüft, wird an der italienischen Bevölkerung durchgeführt.(51) Hierbei werden Frauen zwischen 20 und 45 Jahren, welche zuvor nicht länger als sechs Monate zurückliegend beim Screening auf ein Zervixkarzinom mittels PAP-Abstrich histologisch auffällig sind, und ihre sexuellen männlichen Partner rekrutiert. Von diesen Personen werden zervikale Abstriche, orale Lavagen und Urinproben auf das Vorliegen von HPV-DNA mit PCR (MY09-11 und FAP59-64) überprüft.(51) Durch Sanger-Sequenzierung gelingt neben einer HPV-Genotypen-Bestimmung von insgesamt 182 HPV-Typen auch das Auffinden von Single Nucleotid Polymorphismen (SNP) -Varianten des gleichen HPV-Genotyps (z.B. HPV-16). Da Sanger-Sequenzierung keine Genotypen- Bestimmung ohne Klonierung in Proben mit multiplen HPV-Infektionen erlaubt, wird der Innoge- netics Line probe HPV Genotyping Extra II probe assay (INNO-LiPA) angewandt, der jedoch eine Genotypen-Bestimmung von lediglich 32 HPV-Typen und keine SNP- Variabilitätsbestimmung zulässt.(51) Die Verwendung dieser beiden unterschiedlichen Techniken (Sanger + INNO-LiPA) stellt eine Stärke dieser Arbeit dar.(51) Nachteile dieser Studie sind hingegen die geringe Anzahl an Studienteilnehmern und, dass die Studienergebnisse mit Daten aus Studien zur Normalbevölkerung verglichen werden anstatt eine Kontrollgruppe einzubeziehen.(51) Diese Studie fasst außerdem die Ergebnisse vorheriger Studien zusammen, die das Risiko einer gleichzeitigen oralen HPV-Infektion bei vorliegender genitaler Infektion mit HPV untersuchen. Sie berechnet eine Gesamtprävalenz (alle Staaten) von 18,3% für eine orale HPV-Infektion bei Frauen mit zervikaler HPV-Infektion.(51) Es zeigen sich deutliche Unterschiede bei der Betrachtung der Resultate einzelner Kontinente. In Europa sind beispielsweise nur 95 von 955 Frauen (10%) mit zervikaler HPV-Infektion auch auf oraler Seite HPV-positiv, wohingegen in Südamerika 188 von 424 zervikal mit HPV infizierte Frauen (44,3%) auch oral mit HPV infiziert sind.(51) Es ist hier zu bedenken, dass diese Resultate bezogen auf die Normalbevölkerung der Frauen ohne zervikale HPV-Infektion (2,5-9%) signifikant sind. Ebenfalls signifikant sind die Resultate bei den Männern.(51) Die zusammengefassten Daten ergeben, dass 14,5% der stabilen männlichen Sexualpartner von im genitalen Bereich HPV-positiven Frauen oropharyngeal mit HPV infiziert sind. Diese Stu- die kommt somit zu dem Ergebnis, dass 20,4% der Frauen mit genitaler HPV-Infektion und de- ren männliche Partner (30,7%) ein höheres Risiko einer zumindest subklinischen oralen HPV- Infektion haben. Dieses Ergebnis unterstützt demnach die These einer Transmission des Virus zwischen oraler und genitaler Seite.(51) 17. September 2021 11/62
Gründe für das Vorkommen des Virus im genitalen und oralen Bereich können eine genetische Prädisposition oder eine Immunschwäche sein, wenngleich eine Virustypen-Übereinstimmung in diesen anatomischen Regionen nicht obligat scheint.(51) Diese Unterschiede in der HPV-Genotypen-Verteilung bezüglich Oropharynx und Zervix sind eventuell Ausdruck unterschiedlicher Abwehrmechanismen der jeweiligen anatomischen Regi- on, des Individuums oder lokaler zellulärer Faktoren.(51) In einer anderen Studie werden zervikale Abstriche sowohl von HPV-positiven und HPV- negativen Frauen, sowie orale Abstriche und Lavagen von diesen Frauen und ihren sexuellen männlichen Partnern gewonnen. Die Detektion von 14 Hochrisiko (high-risk) -HPV-Genotypen erfolgt mit Cobas ® -PCR und Nukleinsäure-Hybridisierungs-Assay. Es wird eine geringe orale HPV-Infektionsrate (0,7%) bei Frauen mit einer HPV-Infektion im zer- vikalen Bereich festgestellt. Auch ergibt sich eine kleine orale HPV-Infektionsrate (1,1%) bei Männern mit zervikal HPV-positiven Partnerinnen.(52) Jedoch soll an dieser Stelle erwähnt werden, dass die oropharyngeale HPV-Infektionsrate laut früherer Studien stark variiert (0-50%).(53, 54) Ein Grund hierfür mag die spezielle anatomische Lage lymphatischen Gewebes am Zungen- grund und in den Tonsillen sein. Da HPV hauptsächlich tief in den tonsillären Krypten vorkommt, kann es sein, dass das Virus beim abstreichen/spülen nicht erfasst wird. Außerdem zeigt das Spülmedium (Natriumchlorid) eine zu geringe Fähigkeit HPV-DNA aus dem schützenden Bio- Film der tonsillären Krypten herauslösen zu können. Das heißt, dass die allgemein empfohlene Dauer des Spülens von 30-60 Sekunden mit diesem Medium vermutlich als zu kurz angesehen werden muss.(52) 1.7. Risiko einer oralen HPV-Infektion bei genitalen HPV-Läsionen Als Einleitung zu diesem Punkt soll die zuvor erwähnte Studie von Adamopoulou et al. herange- zogen werden. Bei dieser Studie werden HPV-Typen mittels herkömmlicher und nested PCR im Speichel und zervikalen Abstrichen miteinander verglichen. Mit der herkömmlichen PCR kann gezeigt werden, dass alle fünf Frauen, deren Speichel positiv auf HPV getestet wird, klinische Auffälligkeiten im zervikalen Bereich (Inflammation, Hyperkeratose, unklare Zellatypien bzw. zervikale intraeptheliale Neoplasien) haben. Mit der nested PCR findet man heraus, dass 17 von 19 Frauen (89,5%) mit HPV-positivem Speichel an diesen zervikalen Pathologien leiden.(28) Die gleichzeitige orale und genitale HPV-Infektion kann auf eine genetische Prädisposition oder eine unzureichende Immunantwort des Individuums zurückzuführen sein.(28) Die Annahme, dass ein geschwächtes Immunsystem als Ursache dafür verantwortlich ist wird durch obige Meta-Analyse, die eine höhere Rate an HPV-DNA im Speichel von HIV-infizierten Frauen findet, unterstützt.(29) Im Gegensatz dazu können jedoch Thorsteinsson et al. keinen möglichen Zusammenhang fest- stellen. Es werden hier orale HPV-Infektionsraten bei HIV-positiven Frauen aus ganz Dänemark geprüft.(55) Zum Erhalt der Ergebnisse werden bei den Frauen zervikale und anale Abstriche, sowie Abstri- che der Tonsillen und der hinteren Wand des Pharynx durchgeführt. Zur Ermittlung von HPV- DNA in den Proben wird der CLART HPV2 Test von Genomica (Madrid, Spanien) verwendet.(55) Bei diesen HIV-positiven Frauen, die eine zervikale HPV-Infektion haben, liegt die Prävalenz einer oralen HPV-Infektion bei 5,6% (Hochrisiko-HPV-Genotypen-Prävalenz: 3,7%) und ist da- her verglichen mit Daten vorhergehender Studien (20-45%) niedrig.(55, 56) 17. September 2021 12/62
Nichtsdestoweniger zeigt die Studie von Adamopoulou et al. eindrücklich, dass orale HPV- Infektionen häufiger bei Patientinnen mit genitalen HPV-Läsionen auftreten.(28) Diese Studie ist nicht die erste, die diese Entdeckung machen kann. Einige nun folgende Stu- dien kommen auch zu dieser Erkenntnis. So entdecken Giraldo et al. diese Gegebenheit bereits 2006. Es handelt sich hierbei um eine Fall-Kontroll-Studie, wobei 140 brasilianische Frauen (70 mit HPV-bedingten genitalen Läsionen und 70 Frauen, welche diese Läsionen nicht haben) eingeschlossen werden. Da manche Stu- dien eine höhere orale HPV-Infektionsrate bei genital mit HPV Infizierten finden können (siehe oben), schlägt diese Studie vor, dass der orale Bereich als ein extragenitaler Fokus mit der Mög- lichkeit wiederholter HPV-Infektionen fungiert.(30) Giraldo et al. entnehmen mithilfe von sterilen Tupfern Abstriche an Wangen und Gaumen und prüfen diese Proben durch PCR unter Verwendung der Primer (MY09 und MY11), welche die L1-Region des HPV-Genoms flankieren.(30) Es werden signifikant erhöhte Spiegel oraler HPV-DNA bei 26 Frauen mit HPV-infizierten genita- len Läsionen im Vergleich zu einer kleinen Gruppe von drei Frauen entdeckt, die diese Läsionen nicht haben.(30) Oralverkehr kann als eventueller Störfaktor (confounder) ausgeschlossen werden, da dieser in den beiden Gruppen mit 55,2% bzw. 53,1% annähernd gleich verteilt ist. Als mögliche Erklärun- gen hierfür bleiben neben einer Autoinokulation auch eine inadäquate Immunantwort.(30) Bei Marais et al. werden HIV-positive und HIV-negative südafrikanische Frauen, die unterschied- liche Grade einer zervikalen intraepithelialen Neoplasie aufweisen, auf das Vorliegen einer ora- len oder/und genitalen HPV-Infektion getestet.(48) Generell sind die HPV-Infektionsraten auf oraler gegenüber genitaler Seite geringer, jedoch fal- len die oralen und genitalen HPV-Infektionszahlen bei den HIV-Positiven im Unterschied zu den Frauen ohne HIV deutlich höher aus. Bei den HIV-Negativen ist die Rate an oraler HPV-Infektion bei Frauen mit einer CIN größer als bei Frauen ohne CIN (34,1% verglichen mit 10,5%).(48) Überdies zeigen laut einer anderen Studie HIV-negative Zahnarzt-Patientinnen ohne zervikale Neoplasie signifikant weniger orale Infektionen mit HPV als HIV-negative Frauen mit zervikaler Neoplasie.(57) In einer weiteren Studie von Sánchez-Vargas et al. wird die orale HPV-Infektionsrate bei Frauen mit zervikaler intraepithelialer Neoplasie (CIN) bestimmt.(58) 46 Patientinnen, welche Oralverkehr praktizieren, jedoch weder Alkohol noch Tabakprodukte konsumieren, sind inkludiert.(58) Dabei wird HPV-DNA mittels MY09/MY11 Primer in Wangen- und Gaumenabstrichen der Pro- bandinnen analysiert. Diese Methode der DNA-Bestimmung führt zu ähnlich genauen Ergebnis- sen wie nested PCR mit GP5+/GP6+ Primern mit einer Korrelation von 94%.(58) Bei den Proben aller Frauen in dieser Studie kann HPV-DNA nachgewiesen werden. Der Geno- typ HPV-16 ist in 35% der Fälle in der Schleimhaut der Wangen vorhanden und man kommt zu dem signifikanten Ergebnis, dass Frauen mit einer persistierenden genitalen HPV-Infektion mit dem Genotyp HPV-16 und daraus entstehenden hochgradigen Läsionen in diesem Bereich eher HPV-16-DNA auch im oralen Bereich aufweisen. Diese Tatsache soll besonders auch von Zahnärzten und Pathologen bedacht werden.(58) Denn wie zuvor angeführt, gehört HPV-16 zu den Hochrisiko-Typen (high-risk) und kann des- halb kanzerogen sein.(5, 6) Außerdem hängt die orale Infektionsrate auch von der untersuchten anatomischen Region ab. So zeigen sich 23% HPV-positiv in Wangenschleimhaut und 16% im Gaumenbereich.(58) 17. September 2021 13/62
Die Studie von Sánchez-Vargas et al. ist also ein weiteres Beispiel dafür, dass orale und genita- le Infektionen mit HPV nicht nur durch sexuelle Übertragung miteinander in Zusammenhang stehen, sondern, dass Autoinokulation womöglich mindestens eine ebenso große Rolle spielt.(58) Jene Studien, die anogenitale und orale HPV-Infektionen analysieren, finden indessen auch heraus, dass die Zahl der auf oraler Seite mit HPV Infizierten stets geringer ist als die der im anogenitalen Bereich mit HPV infizierten Personen.(42, 43, 53, 59) Die Studie von Marques et al. beschäftigt sich ebenfalls mit der Evaluation oropharyngealer HPV-Infektionen. Es werden hier Frauen mit zervikaler intraepithelialer Neoplasie (CIN) und in- vasiven zervikalen Karzinomen, als auch ihre sexuellen Partner in die Studie aufgenommen. Dafür werden insgesamt 65 Patientinnen und Patienten aus Brasilien untersucht, wobei das Verhältnis von Frauen zu Männern 2:1 beträgt.(60) Es können geringe oropharyngeale Infektionsraten bei diesen Frauen (2,3%) und ihren sexuel- len Partnern (13,6%) mittels nested PCR gezeigt werden. Diese Erkenntnis veranschaulicht je- doch, dass Männer gegenüber Frauen ein potentiell höheres Risiko einer oralen HPV-Infektion haben. Allerdings tritt in dieser Studie, unter Rücksichtnahme von sexuellem Verhalten als mög- lichen Störfaktor, kein Unterschied bezüglich oraler Infektion mit HPV bei Frauen mit einer CIN und Frauen ohne CIN auf.(60) Auch Woelber et al. können keinen Zusammenhang zwischen diagnostizierter hochgradiger intraepithelialer Neoplasie (CIN2 bzw. CIN3) und vermehrter oropharyngealer Infektion mit HPV ermitteln. Proben werden durch tonsilläre Abstriche und orale Lavage gewonnen. Trotz Verwen- dung zweier unterschiedlicher HPV-PCR-Tests wird hier eine relativ niedrige orale HPV- Infektionsrate (4,4%) bei genital HPV-positiven Frauen gefunden.(61) Diese Studie nennt auch Gründe, die zu dieser niedrigen Rate geführt haben können. Diese sind zum Beispiel schwankende Konzentrationen von HPV bei oralen HPV-Infektionen und keine Erfassung von HPV-Typen, die nicht mit genitaler Infektion assoziiert sind.(61) Ein weiterer Grund kann sein, dass das orale Milieu die Detektion von HPV eventuell durch er- höhte Elimination des Virus bzw. durch Abschwächung des HPV-Signals im Speichel erschwert. Es haben zwar drei Patientinnen dieser Studie auf oraler (tonsillärer) und genitaler Seite über- einstimmende HPV-Genotypen, hingegen ist diese geringe Zahl in keiner Weise beweisend für eine Autoinokulation.(61) Eine andere Querschnittsstudie gibt ähnliche Ergebnisse an. Nur in drei von 73 untersuchten Studienteilnehmerinnen (4,1%) kann HPV-DNA in deren Proben mithilfe der verwendeten Tests nachgewiesen werden. In dieser Studie wird das Auftreten von HPV in tonsillären Abstrichen und oraler Lavage von Frauen mit CIN3 überprüft.(62) Die HPV-DNA wird in tonsillären Abstrichen mithilfe zweier unterschiedlicher HPV-DNA- Nachweistests (PapilloCheck, Linear Array) gemessen, die auch bei der davor genannten Studie von Woelber et al. angewandt werden.(61, 62) Proben oraler Lavage werden auf das Vorliegen von HPV ausschließlich mit PapilloCheck un- tersucht. Mit beiden Nachweismethoden werden niedrige oropharyngeale Infektionsraten bei diesen Frauen bestätigt.(62) Grimm et al. weisen auch darauf hin, dass der Nachweis bestimmter HPV-Typen abhängig von der verwendeten Detektionsmethode ist. Die Detektionsraten für den kanzerogenen Genotyp 16, der bei Tumoren des Kopf-Hals-Bereichs wohl eine sehr wichtige Rolle spielt (vgl. Tabelle 1), sind jedoch bei beiden verwendeten Assays ähnlich.(62) 17. September 2021 14/62
Genauso wie bei der vorherigen Studie bestehen die Proben für die DNA-Testung hier ebenfalls aus tonsillären Abstrichen und oraler Spülung, weshalb angenommen werden darf, dass HPV- Infektionen am Zungengrund eventuell leicht übersehen werden.(61, 62) Wie bereits oben erwähnt, zeigt die Arbeit von Steinau et al. eine fünfmal häufigere orale HPV- Infektion bei zervikal HPV-positiven Frauen gegenüber zervikal HPV-negativen Frauen.(46) Sehnal et al. kommen auf eine kleinere Zahl mit maximal 2,7% in der Hochrisikogruppe, wozu man jene Patientinnen zählt, die bereits eine hochgradige zervikale intraepitheliale Läsion (CIN2+) haben.(63) Eine beidseitige HPV-Infektion (oral, genital) gibt es in 3% der Fälle in der Studie von Steinau et al., wohingegen Sehnal et al. höchstens 1,7% in der Hochrisikogruppe angeben. Die HPV- Genotypen stimmen zu 1,3 % bei Steinau et al. und zu maximal 1,7% (Hochrisikogruppe) bei Sehnal et al. überein.(46, 63) Bei Sehnal et al. sind fast alle Frauen, welche eine HPV-Infektion auf oraler und genitaler Seite haben, zumindest mit einem identischen HPV-Genotyp infiziert (5 von 6, entspricht 83%).(63) Der Genotyp HPV-16 kommt bei vier von sechs (67%) der Frauen vor. Insgesamt werden hier zehn Frauen positiv auf HPV im oralen Bereich getestet. Zwei dieser Frauen gehören zur Nied- rigrisikogruppe, wobei eine von ihnen keine zervikalen intraepithelialen Läsionen und die andere eine CIN1 hat. Die verbleibenden acht Frauen haben im besten Fall eine CIN2 (CIN2+), was ein beinahe zweifach höheres Risiko für Frauen mit höhergradigen zervikalen Läsionen gegenüber Frauen mit keinen bzw. geringen genitalen Auffälligkeiten (CIN1) ergibt.(63) Sehnal et al. schlagen deshalb vor, dass ein nachvollziehbarer Zusammenhang dafür besteht, dass Frauen mit hochgradigen zervikalen Läsionen vermehrt auch eine HPV-Infektion im oropharyngealen Bereich aufweisen. Jedoch ist noch unklar, ob eine zervikale HPV-Infektion völlig unabhängig von anderen Faktoren (wie zum Beispiel sexuelles Verhalten, Rauchen oder Immunschwäche) zu einer oralen Infektion mit HPV führt.(63) 1.8. Risiko eines oralen HPV-Tumors bei genitalen HPV-Läsionen Wie unter dem Punkt ʹHPV-Genotypen-Übereinstimmungʹ dargestellt, kommt es nur selten zu einer gleichzeitigen oralen sowie genitalen HPV-Infektion. Doch ist laut Sehnal et al. die Inzidenz von oralen HPV-Infektionen in der Gruppe der Patientinnen mit zervikalen HPV-Infektionen un- zweifelhaft höher als bei jenen, welche im Bereich der Zervix nicht mit HPV infiziert sind.(64) Weiters behauptet Sehnal et al., dass Frauen mit einem Karzinom im oralen Bereich höchst- wahrscheinlich auch ein höheres Risiko dafür haben an einem HPV-assoziierten genitalen Kar- zinom zu erkranken. Die in dieser Arbeit dargestellten höheren Zahlen von oralen HPV- Infektionen bei Frauen mit genitalen HPV-Infektionen zeigen klar, dass hier ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Infektionsarten besteht. Es ist durchaus denkbar, dass ein Infektionsort ein Reservoir darstellt, und somit eine erhöhte Chance für eine Autoinokulation entsteht. Auf der anderen Seite ist eine geschwächte Immunabwehr auch ein möglicher Grund für eine beidseiti- ge (orale und zervikale) Infektion.(64) Auch in diesem Punkt gilt es nun einige Studien aufzuzählen. Es werden hier folgend jene Stu- dien genannt, welche das Risiko der Entwicklung eines HPV-positiven oropharyngealen Tumors bei Frauen zeigen, die an einer zervikalen intraepithelialen Neoplasie (CIN) bzw. zervikalem Karzinom erkrankt sind. Die erste hier beschriebene Studie zu diesem Thema ist eine im Jahr 2008 von Balamurugan et al. veröffentlichte Arbeit. Diese Studie verwendet Daten des Surveillance, Epidemiology and End Results (SEER)-Programm. Dieses Programm deckt 14% der US-Bevölkerung ab. Daraus wer- den 23 509 Frauen mit zervikalen Karzinomen im Zeitraum von ca. fünf Jahren dahingehend 17. September 2021 15/62
beobachtet, ob sie öfter als es zu erwarten ist, einen Tumor im oropharyngealen Bereich erwer- ben.(65) Der Erwartungswert basiert auf Informationen aus dem SEER-Programm, bezugnehmend auf Alter und ethnische Herkunft der Patientin, sowie dem Jahr des Tumoraufkommens. Es wird hierbei ein bei Frauen erhöhtes Risiko für ein Oropharynxkarzinom nach Tumoren im Zervikalbe- reich festgestellt, jedoch ist das Ergebnis statistisch nicht signifikant.(65) Nach ca. fünf Jahren weisen 16 von 23 509 Frauen oropharyngeale Karzinome auf. Das bedeu- tet, dass diese Studie zu einer erhöhten standardisierten Inzidenzrate (SIR>1) für die spätere Entwicklung eines invasiven zervikalen Tumors bei Frauen mit oropharyngealen Karzinomen kommt, wenn auch dieses Ergebnis nicht signifikant ist.(65) Die Arbeit von Gaudet et al. bestimmt ebenfalls standardisierte Inzidenzraten, aber unter der Verwendung einer anderen Datenbank (British Columbia Cancer Agency Cervical Cancer Screening Programm). In einem Zeitrahmen von 1985 bis 2005 werden Daten von 54 320 Frau- en mit zervikaler intraepithelialer Neoplasie unterschiedlichen Grades eingeschlossen (CIN2 bzw. CIN3) und auf ein gehäuftes Vorliegen von HPV-assoziierten Kopf-Hals-Tumoren hin ana- lysiert.(66) Es kann somit eine, über die gesamte Studiendauer berechnete standardisierte Inzidenzrate (SIR) von 0,6 für Kopf-Hals-Tumoren bei CIN3 (SIR=0,47 bei CIN2) generiert werden.(66) Dieses Ergebnis deutet zwar auf keinen Zusammenhang zwischen CIN und oropharyngealen Tumoren hin, jedoch kann diese Studie ein statistisch signifikantes vermehrtes Auftreten von Kopf-Hals-Tumoren im Zeitraum von einem halben Jahr bis zu vier Jahren nach CIN2 bzw. hö- hergradiger CIN-Diagnose zeigen (SIR=3,0). Erwähnenswert ist hier auch, dass sich die Fallzahl der oropharyngealen Karzinome mit steigendem CIN-Grad bei diesen Frauen erhöht.(66) Eine im Vergleich zu den vorherigen Studien etwas anders aufgebaute Studie wird von Svahn et al. mit dänischen Bevölkerungsdaten realisiert. Es wird ein Verhältnis von Inzidenzraten (IRR) einer Kontrollgruppe (keine CIN) zu einer Gruppe von Frauen bestimmt, die die Diagnose einer CIN haben.(67) Für diese Kohortenstudie werden Daten von über 2 500 000 dänischen Frauen, die zwischen 1918 und 1990 geboren sind, gesammelt. Die Daten stammen aus dem Bevölkerungsregistrie- rungssystem Dänemarks, in welchem unter anderem alle personenbezogenen Gesundheitsda- ten aufscheinen.(67) Der Unterschied zu den beiden obigen Studien besteht darin, dass hier Frauen mit ausschließ- lich höhergradiger CIN (CIN3) mit Frauen, welche keine CIN haben, verglichen werden. Es kann also ein Risiko-Verhältnis (IRR) bestimmt werden.(65–67) Diese Studie findet ein signifikant erhöhtes Risiko für Kopf-Hals-Tumore bei Patientinnen mit zervikaler intraepithelialer Neoplasie höheren Grades (CIN3). Das Risiko fällt für Bereiche wie Zungengrund und Tonsillen, für die HPV einen Tropismus zeigt, höher aus als für Regionen, die weniger oft von HPV befallen werden, wie Nasenhöhle, Mittelohr und Nasennebenhöhlen. Die- ses erhöhte Risiko besteht auch noch 20 Jahre nach der Diagnose einer CIN3. Das höhere Risi- ko (IRR=2,49) existiert gleichfalls nach Ausschluss von Störfaktoren wie Geburtsdatum, erreich- tes Alter und Bildung.(67) Überdies kann die Studie zeigen, dass Orte wie Recessus piriformis, Naso- und Hypopharynx, von denen ursprünglich ein niedriges Risiko für HPV-assoziierte Kopf-Hals-Tumore angenom- men wird, doch auch ein erhöhtes Risiko haben (IRR=2,17). Die anatomische Nähe zu den Hochrisikostrukturen wird als Ursache angenommen.(67) 17. September 2021 16/62
Erklärungen für diese Ergebnisse können unter anderem sein, dass Frauen mit CIN3 anfälliger für die Folgen von HPV sind, oder, dass sie einen krankheitsfördernden Lebensstil, wie zum Beispiel verstärktes Rauchen, pflegen.(67) Darüber hinaus ist der große Patienten-Datensatz eine Stärke dieser Studie. Auch wird auf Fak- toren, die die Ergebnisse der Studie verfälschen können (sozioökonomischer Status, Rauchen) teilweise Rücksicht genommen.(67) Auch in der Studie von Eibisch et al. gibt es eine Kontrollgruppe, was bedeutet, dass Frauen, deren Anamnese bezüglich einer höhergradigen CIN (CIN3) bland ist, in die Studie inkludiert werden.(68) Es werden durch Auszüge aus einer niederländischen Datenbank (Dutch nationwide registry of histopathology and cytology) die Inzidenzraten (von 1990 bis 2015) von HPV-assoziierten oropharyngealen Tumoren bei jeweils 89 018 Frauen mit intrapethelialen Läsionen im Genitalbe- reich (CIN) und einer Kontrollgruppe (CIN-negativ) miteinander verglichen. Diese beiden Grup- pen weisen die gleiche Anzahl an Frauen auf.(68) Das Risikoverhältnis (IRR) liegt hier bei 5,51. Es kann daher ein erhöhtes Risiko für oropha- ryngeale Tumore bei CIN3 festgestellt werden, und dieses Risiko ist hier ebenfalls (wie davor bei Svahn et al. geschildert) noch 20 Jahre nach Diagnose einer CIN3 erhöht.(67, 68) 2019 untersucht Gazzaz et al. das Risiko für 372 Frauen mit Kopf-Hals-Tumoren ein zervikales Karzinom zu bekommen, indem er die standardisierte Inzidenzrate (SIR) unter Zuhilfenahme einer provinzialen Krebsdatenbank von Alberta (Kanada) errechnet.(69) Bei einem Großteil der hier bereits vorgestellten Studien (ausgenommen Svahn et al.) werden die Patientinnen nicht nach genauer Lokalisation des Tumors im Kopf-Hals-Bereich (wie z.B. Oropharynx, Mundhöhle und Larynx) in Subgruppen eingeteilt.(65–68) In der Studie von Gazzaz et al. werden nicht nur Subgruppen (Tonsillen, weicher Gaumen, hin- tere Rachenwand und Zungengrundmandeln) gebildet, sondern bei jedem Kopf-Hals-Tumor überprüft, ob dieser HPV-16-positiv ist.(69) Ergebnis dieser Studie, welches durch Datenbankanalyse im Zeitraum von 1997-2015 erhalten wird, ist, dass Frauen mit HPV-16 positiven Kopf-Hals-Tumoren ein im Vergleich zur Normalbe- völkerung, 25-fach höheres Risiko haben zusätzlich an einem zervikalen Karzinom zu erkran- ken.(69) Eine Einschränkung dieser Studie ist, dass die relevanten Parameter für die Entwicklung eines zervikalen Karzinoms oder Kopf-Hals-Tumors wie Immunschwäche und sexuelles Verhalten, welche als mögliche Störfaktoren (confounder) fungieren können, bei den Patientinnen nicht überprüft werden.(69) Christensen et al. wollen herausfinden, ob ein Zusammenhang zwischen HPV-assoziierten Kopf-Hals-Tumoren und hochgradigen zervikalen Dysplasien vorliegt.(70) Es werden dänische Frauen mit einer Kopf-Hals-Tumor-Diagnose zwischen den Jahren 2000 und 2014 identifiziert. Der Status einer zervikalen Dysplasie wird bei diesen Frauen unter Ver- wendung einer dänischen Registrierungsdatenbank für Pathologie erfasst. So kann man zwei Gruppen bilden - jene Patientinnen, welche keine zervikalen zellulären Abnormalitäten haben und jene Frauen mit zervikalen Dysplasien unterschiedlichen Ausmaßes, die dann noch einmal nach dem Grad der Neoplasie unterteilt werden.(70) Die Untersuchung an 417 Probandinnen ergibt, dass Frauen mit HPV-positiven Kopf-Hals- Tumoren eher zu schwerwiegenden genitalen Läsionen neigen als Frauen mit HPV-negativen Karzinomen im Kopf-Hals-Bereich.(70) Diese Studie kann also zeigen, dass für Frauen mit höhergradiger zervikaler Neoplasie ein 1.35- fach höheres Risiko besteht ein HPV-16 positives oropharyngeales Plattenepithelkarzinom zu 17. September 2021 17/62
entwickeln, verglichen mit Frauen, die keine bzw. geringe Pathologien im genitalen Bereich ha- ben. Jedoch ist dieses Ergebnis statistisch nicht signifikant. Ferner kommt es zu keinen signifi- kanten Unterschieden zwischen HPV-positiven und HPV-negativen Kopf-Hals-Tumor- Patientinnen, was das Vorhandensein von zervikalen Läsionen betrifft.(70) Mögliche Erklärungen hierfür sind, dass unterschiedliche HPV-Typen bei den jeweiligen Erkran- kungen (zervikale Karzinome, Kopf-Hals-Tumore) oder verschiedene virale onkogene Mecha- nismen eine Rolle spielen, da in einer anderen Studie eine geringe HPV-16 Genexpression bei Kopf-Hals-Tumoren im Vergleich zu einer hohen Expression bei zervikalen Tumoren festgestellt werden kann.(14, 70) Diese Studie findet allerdings auch heraus, dass in der Gruppe der HPV-positiven Kopf-Hals- Tumor-Patientinnen, die rauchen, zervikale Läsionen häufiger (24% vs. 5%) auftreten. Das kann bedeuten, dass Rauchen möglicherweise die Risiken einer HPV-Infektion erhöht.(70) Es liegt also der Verdacht nahe, dass immerhin Frauen mit diagnostizierter zervikaler in- traepithelialer Neoplasie höheren Grades (CIN3) ein erhöhtes Risiko für Plattenepithelkarzinome im oropharyngealen Bereich haben. Denn bei alleiniger Betrachtung der oben erwähnten Stu- dien aus Holland und Dänemark steigt das Risiko um das zwei-fünffache im Vergleich zur Nor- malbevölkerung.(67, 68) Zusätzlich wird ein abnormaler PAP-Abstrich öfter bei Frauen mit HPV-positiven Kopf-Hals- Tumoren im Vergleich mit Frauen, die ein HPV-negatives Karzinom in der Kopf-Hals-Region haben, erhoben, und zwar bevor bei ihnen ein oropharyngeales Karzinom entdeckt wird.(71) Einerseits kann dafür eine Dysregulation der Immunantwort bei diesen Frauen, welche zu insuf- fizienter Elimination des Virus führt, verantwortlich sein. Ein anderer Grund ist, dass diese Frau- en häufiger risikobehaftete Verhaltensweisen, wie zum Beispiel multiple Sexpartner oder Rau- chen, zeigen.(72, 73) Die letzte unter diesem Punkt vorgestellte Studie wird von Preti et al. durchgeführt, um heraus- zufinden, ob Frauen, die eine Behandlung aufgrund einer zervikalen intraepithelialen Neoplasie (CIN2 und CIN3) bekommen (Daten aus dem Department für chirurgische Wissenschaften der Universität von Turin), anfälliger für einen Sekundärtumor (z.B. im Oropharynx) sind.(74) Diese Studie berechnet wiederum eine standardisierte Inzidenzrate (SIR). 6 649 Frauen, welche in der Zeitspanne von 1992 bis 2016 aufgrund einer CIN im St. Anna Krankenhaus in Turin (Ita- lien) behandelt werden, können in die Studie aufgenommen werden, jedoch reduziert sich diese Zahl wegen fehlender Einschlusskriterien (z.B. Wechsel des Wohnorts) auf 3 184. Um bei die- sen Frauen während eines fünfjährigen Beobachtungszeitraums auftretende oropharyngeale Karzinome festzustellen, bedient man sich der Tumor-Datenbank von Piemont.(74) Dieser Review gibt auch eine anschauliche Zusammenfassung der Ergebnisse jener Studien, die über eine Berechnung einer standardisierten Inzidenzrate bzw. Inzidenzen-Verhältnis einen Zusammenhang zwischen gleichzeitigem Auftreten von CIN bzw. zervikalen Karzinomen und Kopf-Hals-Tumoren ausfindig machen können.(65–70, 74–78) Einige dieser Studien werden hier in dieser Arbeit schon an früherer Stelle erwähnt.(65–69) Die Mehrheit dieser Studien berichten eine erhöhte Rate an Kopf-Hals-Tumoren bei Patientin- nen mit CIN, wobei die letztgenannte Studie von Preti et al. die höchste standardisierte Inzidenz- rate aufweist (siehe Tabelle 15).(65, 67–69, 74–78) Das in der Studie von Preti et al. gewählte, weniger invasive Behandlungsschema der zervikalen Läsionen (Schlingenkonisation) oder eine insuffiziente Behandlung (übersehenes HPV- infiziertes Gewebe) können das Studienergebnis negativ beeinflusst haben. Außerdem gibt es hier aufgrund fehlender Daten keine Elimination des Störfaktors Rauchen.(74) 17. September 2021 18/62
Sie können auch lesen