26 2020 STIKO-EMPFEHLUNG ZUR GRUND-IMMUNISIERUNG MIT DEM 6-FACH-IMPFSTOFF DTAP-IPV-HIB-HEPB IM SÄUGLINGSALTER NACH DEM 2+1-IMPFSCHEMA - RKI
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AKTUELLE DATEN UND INFORMATIONEN ZU INFEKTIONSKRANKHEITEN UND PUBLIC HEALTH 26 Epidemiologisches 2020 Bulletin 25. Juni 2020 STIKO-Empfehlung zur Grund immunisierung mit dem 6-fach-Impfstoff DTaP-IPV-Hib-HepB im Säuglingsalter nach dem 2 +1-Impfschema
Epidemiologisches Bulletin 26 | 2020 25. Juni 2020 2 Inhalt Wissenschaftliche Begründung für die Empfehlung zur Grundimmunisierung gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Poliomyelitis, Haemophilus influenzae Typ b und Hepatitis B mit dem 6-fach-Impfstoff im Säuglingsalter nach dem 2+1-Impfschema 3 Seit 1994 wurde für die Sechsfachimpfung bei Säuglingen ein 3+1-Impfschema empfohlen. Nach der neuen STIKO-Empfehlung sollen Säuglinge die Sechsfachimpfung zukünftig nach dem 2+1-Schema erhalten, das Impfungen im Alter von 2, 4 und 11 Monaten vorsieht. Die bisherige zweite Impfstoffdosis im Alter von 3 Mo- naten entfällt. Dadurch wird ein Impftermin in den ersten vier Lebensmonaten eingespart. Nur Frühgeborene sollten weiter nach dem 3+1-Schema geimpft werden. Erfassung der SARS-CoV-2-Testzahlen in Deutschland (Update vom 25.6.2020) 22 Aktuelle Statistik meldepflichtiger Infektionskrankheiten 24 Impressum Herausgeber Allgmeine Hinweise/Nachdruck Robert Koch-Institut Die Ausgaben ab 1996 stehen im Internet zur Verfügung: Nordufer 20, 13353 Berlin www.rki.de/epidbull Telefon 030 18754 – 0 Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendigerweise Redaktion die Meinung des Robert Koch-Instituts wider. Dr. med. Jamela Seedat Telefon: 030 18754 – 23 24 Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons E-Mail: SeedatJ@rki.de Namensnennung 4.0 International Lizenz. Claudia Paape, Judith Petschelt E-Mail: EpiBull@rki.de ISSN 2569-5266 Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
Epidemiologisches Bulletin 26 | 2020 25. Juni 2020 3 Mitteilung der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut Wissenschaftliche Begründung für die Empfehlung zur Grundimmunisierung gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Poliomyelitis, Haemophilus influenzae Typ b und Hepatitis B mit dem 6-fach-Impfstoff im Säuglingsalter nach dem 2+1-Impfschema Seit fun ma KO Sec Aktualisierung der Empfehlung zur Grundimmunisie impfungen verwendet werden sollen, um die Zahl 2+1- rung gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Poliomyelitis, der Injektionen gering zu halten. Zu diesem Zeit- Alte Haemophilus influenzae Typ b und Hepatitis B im punkt waren Impfstoffe mit unterschiedlichen An- Die Säuglingsalter mit dem 6-fach-Impfstoff (DTaP-IPV- tigenkombinationen von Diphtherie (D), Tetanus Alte Hib-HepB) (T), azellulärer Pertussis (aP) und Haemophilus wird influenzae Typ B (Hib) bereits verfügbar oder in Vor- Leb bore Für die Impfung von reifgeborenen Säuglingen mit bereitung. Im Jahr 1998 wurde in Deutschland von ma einem 6-fach-Impfstoff (DTaP-IPV-Hib-HepB) zur oraler Polio-Vakzine (OPV) auf inaktivierte Polio- Grundimmunisierung gegen Diphtherie, Tetanus, Vakzine (IPV) umgestellt. Seit dem Jahr 2001 sind Pertussis, Poliomyelitis, Haemophilus influenzae 6-fach-Impfstoffe, die auch die Hepatitis B-(Hep B-) Typ b und Hepatitis B wird ein reduziertes Impf- Komponente enthalten, für das Säuglingsalter in schema empfohlen. Reifgeborene Säuglinge sollen Deutschland verfügbar. Bis heute sind die Impf- zukünftig mit 3 Impfstoffdosen nach dem 2+1-Schema stoffkomponenten für die empfohlene 6-fach-Imp- im Alter von 2, 4 und 11 Monaten geimpft werden. fung unverändert geblieben (DTaP-IPV-Hib-Hep B). Frühgeborene, die vor der vollendeten 37. Schwan- Für Monoimpfstoffe und Kombinationsimpfstoffe gerschaftswoche geboren sind, sollen weiterhin mit ohne die Pertussis-Komponente war laut Fachinfor- 4 Impfstoffdosen nach dem 3+1-Impfschema im mationen ein 2+1-Schema mit Impfungen im Alter Alter 2, 3, 4 und 11 Monaten geimpft werden. Säug- von 2 und 4 Monaten sowie einer weiteren Impfung linge, die bereits die 2. Impfstoffdosis vor dem Alter zum Abschluss der Grundimmunisierung im Alter von 4 Monaten erhalten haben, sollen nach dem von 11–14 Monaten empfohlen. Im Jahr 1994 wurde 3+1-Schema weitergeimpft werden. die azelluläre Pertussis-Komponente (aP) einge- führt und in die Kombinationsimpfstoffe integriert. Für die 6-fach-Impfung nach dem 2+1-Schema ste- Seither wird ein 3+1-Schema empfohlen. Das 3+1- hen zurzeit die folgenden Impfstoffe zur Verfü- Impfschema sieht Impfungen im Alter von 2, 3 und gung: Hexyon, Infanrix hexa und Vaxelis. Von den 4 Monaten sowie eine weitere Impfung zum Ab- 5-fach-Impfstoffen ist nur Infanrix-IPV + Hib für ein schluss der Grundimmunisierung im Alter von 2+1-Impfschema zugelassen. Die STIKO weist darauf- 11–14 Monaten vor. In einer Fußnote im Impfkalen- hin, dass ein rechtzeitiger Beginn der Impfserie und der wird angemerkt, dass für die HepB-, Hib- und das Einhalten der empfohlenen Impftermine für ei- IPV-Impfungen die Dosis im Alter von 3 Monaten nen sicheren Impfschutz besonders wichtig sind. bei Verwendung von Einzelimpfstoffen entfallen kann. Bei der Tetanus- und Diphtherie-Impfung wird diese Anmerkung nicht gemacht, da keine 1 Hintergrund Monoimpfstoffe in der DT-Formulierung für diese In den Empfehlungen der Ständigen Impfkommis- beiden Antigenkomponenten verfügbar sind und sion (STIKO) von 1997 (Epid Bull 15/1997) wird erst- die Td-Kombinationsimpfstoffe aufgrund ihrer An- mals explizit darauf hingewiesen, dass nach Mög- tigenkonzentration nicht für die Säuglingsimmuni- lichkeit Kombinationsimpfstoffe für Säuglings sierung geeignet sind.
Epidemiologisches Bulletin 26 | 2020 25. Juni 2020 4 Die historische Betrachtung zeigt, dass das 3+1- Tetanus, Pertussis, Poliomyelitis, Haemophilus influ- Schema einzig aufgrund der azellulären Pertussis- enzae Typ b und Hepatitis B mit dem 6-fach-Impf- Komponente eingeführt wurde, während für die an- stoff im Säuglingsalter nach dem 2+1-Impfschema deren Komponenten ein 2+1-Schema als ausreichend gehört ein Anhang, der weitere Informationen zu wirksam erachtet wurde. dem durchgeführten systematischen Review enthält und zum Download zur Verfügung steht. Eine Mo- Die STIKO hat eine Arbeitsgruppe beauftragt, die dellierung wurde für die Evaluation der Reduktion Evidenz für den Wirksamkeitsvergleich zwischen des Impfschemas nicht als notwendig erachtet. dem 3+1- und dem 2+1-Schema aufzuarbeiten, um zu prüfen, ob eine Reduktion der 6-fach-Impfung um eine Impfstoffdosis zu einem geringeren Schutz ge- 2 Epidemiologie gen Pertussis der Säuglinge bzw. Kleinkinder führt. Die aktuelle Epidemiologie der sechs impfpräventa- Ziele einer möglichen Reduktion der 6-fach-Impf- blen Erkrankungen, die mit dem 6-fach-Impfstoff stoffdosen wären, (i) den Impfplan zu vereinfachen, verhütet werden sollen, wird auf Basis der Melde (ii) die Fülle des Impfplans zu verringern und damit daten des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), bzw. wo (iii) eine bessere Umsetzung für Ärzte und Eltern diese nicht vorliegen auf Basis der Daten der Kran- zu ermöglichen, (iv) zeitgerechtes und vollständiges kenhausentlassungsdiagnose- und Todesursachen- Impfen zu vereinfachen, (v) eine Vereinheitlichung statistik des Statistischen Bundesamtes (www.gbe- europäischer Impfpläne herbeizuführen und ange- bund.de), beschrieben. sichts der immer wieder auftretenden Liefereng pässe zu (vi) einer Einsparung von Impfstoffen und 2.1 Tetanus deren Kosten beizutragen. Die Angleichung an das Für Tetanus gibt es aktuell keine IfSG-Meldepflicht 2+1-Impfschema für die Pneumokokken-Impfung, in Deutschland. Da die Krankheit nicht ansteckend das seit Sommer 2015 (Epid Bull 36/2015) von der ist, vermittelt die Impfung ausschließlich einen in- STIKO empfohlen ist, stellt darüber hinaus eine or- dividuellen Schutz. Daten zur Epidemiologie der Te- ganisatorische Vereinfachung und verbesserte Um- tanus in Deutschland liefert die Krankenhausentlas- setzbarkeit für Eltern und Ärzte dar. sungsdiagnose- und Todesursachenstatistik des Sta- tistischen Bundesamtes (www.gbe-bund.de). Die Auch wenn eine Umstellung des Impfschemas für routinemäßige Impfung gegen Tetanus im Säug- die anderen in den 6-fach-Impfstoffen enthaltenen lingsalter ist in den STIKO-Impfempfehlungen seit Antigene keine Rolle im Sinne einer verminderten 1976 aufgeführt. Im Zeitraum von 2000 – 2017 sind Wirksamkeit spielen sollte, wird nachfolgend die in der Statistik der Krankenhausentlassungsdiagno- aktuelle Epidemiologie aller sechs Erkrankungen in sen des Statistischen Bundesamtes 283 Tetanus-Fälle Deutschland dargestellt. Es wurde beschlossen, ei- (IC D-10: A33 [Tetanus neonatorum], A34 [Tetanus nen systematischen Review zur Wirksamkeit des während der Schwangerschaft, der Geburt und des reduzierten Impfschemas zum Schutz vor Pertussis Wochenbettes] und A35 [Sonstiger Tetanus]) aufge- im Vergleich zum bisher empfohlenen 3+1-Impf- führt. Davon ist mit 61 % der überwiegende Teil bei schema durchzuführen. In diesem Review sollte Personen im Alter ≥ 65 Jahren (n = 174) aufgetreten, insbesondere der Zeitraum im Alter von 5 – 11 Mona- 17 % bei 45 – 64-Jährigen (n = 48), 15 % (n = 43) bei den ten zwischen der 2. bzw. 3. Impfstoffdosis und der 15 – 44-Jährigen und 7 % (n = 18) bei den < 15-Jährigen. abschließenden Impfung nach weiteren 6 Monaten Darunter war ein Fall (2015) bei einem < 1-jährigen betrachtet werden. Da im systematischen Review Kind. Über den Impfstatus liegen keine Informatio deutlich wurde, dass in den identifizierten Studien nen vor. Im Zeitraum von 1998 – 2016 sind in der ausschließlich der Beobachtungszeitraum im Alter Todesursachenstatistik des Statistischen Bundes von 6 – 11 (bzw. 12) Monaten betrachtet wurde, ist die amtes 36 Todesfälle an Tetanus aufgeführt. Davon Fragestellung entsprechend angepasst worden. Zur sind 33 (92 %) bei ≥ 65-Jährigen aufgetreten; kein Fall wissenschaftlichen Begründung für die Empfeh- wurde bei unter 15-Jährigen gemeldet. Seit dem Jahr lung zur Grundimmunisierung gegen Diphtherie, 2000 wurden 0 – 2 Todesfälle jährlich gemeldet.
Epidemiologisches Bulletin 26 | 2020 25. Juni 2020 5 2.2 Diphtherie zurückzuführen, und zum anderen auf die zuneh- Die Diphtherie (Hauptverlaufsformen: respiratori- mende Verwendung des MALDI-TOF-MS-Verfahrens sche Diphtherie, Hautdiphtherie) wird klassischer- als Nachweismethode. So kommen auch Zufallsbe- weise durch Diphtherie-Toxin-produzierende Stäm- funde z. B. bei Hautinfektionen (z. T. auch mit meh- me von Corynebacterium (C.) diphtheriae oder selte- reren Erregern) zustande, bei denen zunächst kein ner C. ulcerans, nicht-sporulierende, unbekapselte, klinischer Diphtherieverdacht bestand. Da Daten grampositive Stäbchenbakterien, verursacht. Die zum Impfstatus (inkl. Anzahl und Zeitpunkt von zoonotische Spezies C. ulcerans ist dabei vorwiegend Impfungen) größtenteils nicht verfügbar sind, ist mit dem klinischen Bild der Hautdiphtherie assozi- unklar, ob auch eine mit dem Alter abnehmende iert, kann jedoch auch eine respiratorische Diphthe- Immunität in der Bevölkerung aufgrund versäum- rie verursachen. Das Diphtherie-Toxin ist verant- ter Auffrischimpfungen für Diphtheriefälle ursäch- wortlich für die Entstehung des klinischen Bildes lich sein könnte.3 der akuten Diphtherie. Die respiratorische Diphthe- rie manifestiert sich an Pharynx, Tonsillen, Larynx 2.3 Poliomyelitis und Nase. Die klassische Tonsillen-/Rachendiphthe- Polioviren, die Verursacher der Poliomyelitis, sind rie geht mit grau-weißen, blutig tingierten, fest haf- kleine, unbehüllte RNA-Viren, die dem Genus tenden Pseudomembranen einher, die sich bis zum Enterovirus und der Familie der Picornaviridae zuge- Kehlkopf ausbreiten können. Die Kehlkopfdiphthe- ordnet werden. Die Übertragung erfolgt vor allem rie, die vor allem bei Kindern vorkommt, tritt entwe- fäkal-oral über den Stuhl infizierter Menschen. Die der als Primäraffektion oder als Komplikation einer Mehrzahl der Polioinfektionen verlaufen asympto- Rachendiphtherie auf.1 Kleine Verletzungen oder matisch. Bei 4 – 8 % der Infizierten kommt es zu ei- Insektenstiche dienen als Eintrittspforte der Haut- ner selbstlimitierenden Gastroenteritis mit Fieber, oder Wunddiphtherie. Es entstehen Ulzerationen Übelkeit, Halsschmerzen, Myalgien und Kopf- mit schmierigen Belägen. Meist handelt es sich um schmerzen. Infiziert das Poliovirus jedoch Zellen Mischinfektionen mit Streptokokken und/oder Sta- des zentralen Nervensystems (ZNS), kommt es ent- phylokokken. Hautdiphtherie wird häufig in den weder zu einer nichtparalytischen (2 – 4 %) Polio Tropen oder Subtropen erworben, kann aber auch myelitis mit aseptischer Meningitis oder zu einer von Haustieren übertragen werden.1 paralytischen (0,1 – 1 %) Poliomyelitis mit motori- schen Paresen. Die motorische Schwäche tritt übli- Seit Beginn der 1960er Jahre gibt es eine Diphthe- cherweise asymmetrisch auf und kann Bein- (am rie-Impfempfehlung für Säuglinge in Deutschland. häufigsten), Arm-, Bauch-, Thorax- oder Augenmus- Seit Einführung der IfSG-Meldepflicht im Jahr 2001, keln betreffen. Typischerweise bilden sich die Läh- die auch Diphtherie umfasst, wurden in Deutsch- mungen teilweise, aber nicht vollständig zurück. land weder Fälle von Rachen- noch von Hautdiph Jahre oder Jahrzehnte nach der Erkrankung kann es therie bei Kindern im ersten Lebensjahr registriert. zu einer Zunahme der Paresen mit Muskelschwund Fälle von Rachendiphtherie sind in Deutschland kommen, dem sog. Postpolio-Syndrom. insgesamt sehr selten. Seit 2001 wurden zwei Ra- chendiphtheriefälle (je 1 Fall 2017 und 2018) unter Seit Anfang der 1960er Jahre wurden in beiden Tei- Erwachsenen mit unbekanntem, bzw. unvollstän len Deutschlands orale Polio-Lebendimpfstoffe ein- digem Impfstatus registriert. Beide Fälle hatten die gesetzt. Seit 1998 empfiehlt die STIKO die Impfung Infektion in Deutschland erworben.2, 3 In den Jahren mit einer inaktivierten Polio-Vakzine für alle Säug- 2002 – 2014 wurden jährlich 1 – 8 Fälle von Haut- linge.1 diphtherie registriert. In den Jahren 2015 – 2017 haben diese Fälle auf 9 – 14 pro Jahr, im Jahr 2018 Seit dem Jahr 2000 wurde in Deutschland kein kli- auf 25 zugenommen3 und im Jahr 2019 wurden nischer Fall einer Poliomyelitis mehr beobachtet. 15 Fälle gemeldet (noch nicht publizierte IfSG Mel- Zuletzt trat im Jahr 2000 bei einer erwachsenen dedaten, Robert Koch-Institut (RKI)). Dies ist zum Frau mit Antikörpermangelsyndrom, die 1998 mit einen auf die im Rahmen der IfSG-Novellierung aus- oralem Polio-Lebendimpfstoff geimpft worden war, geweitete Meldepflicht für toxinbildende C. ulcerans eine Poliomyelitis auf, die mit dem Impfvirus in Zu-
Epidemiologisches Bulletin 26 | 2020 25. Juni 2020 6 sammenhang gebracht wurde. Die letzte in Deutsch- auf perinatal erworbene Infektionen hin, die durch land erworbene Poliomyelitis durch ein Wildvirus die Impfung nicht verhindert werden konnten. wurde 1990 erfasst. Importierte Fälle (aus Ägypten und Indien) wurden zuletzt 1992 registriert.3 Von den 35 übermittelten Hepatitis-B-Erkrankun- gen bei Säuglingen aus dem Zeitraum 2010 – 2019 2.4 Hepatitis B (s. Abb. 2) waren 10 geimpft, 16 ungeimpft und bei Hepatitis B ist eine weltweit beim Menschen vor- 9 Fällen fehlten die Angaben zum Impfstatus. Un- kommende, durch Hepatitis-B-Viren ausgelöste Le- ter den geimpften Säuglingen waren 5 Kinder 1-mal berentzündung, die vorwiegend sexuell und durch geimpft, 3 Kinder 2-mal, ein Kind 6-mal und für 1 Kontakt mit kontaminiertem Blut oder anderen Kör- Kind fehlten die Angaben zum Impfstatus. Todes- perflüssigkeiten übertragen wird. Bei Infektion im fälle an Hepatitis B wurden bei Säuglingen nicht Erwachsenenalter heilt sie meistens aus, kann aber berichtet. in ca. 5 – 10 % der Fälle chronisch verlaufen und in eine Leberzirrhose oder ein Leberzellkarzinom 20 labordiagnostisch bei übergehen. Bei Erkrankungen im Säuglings- und 18 unbekannter Klinik Kleinkindalter ist das Risiko für einen chronischen labordiagnostisch bei 16 nicht erfüllter Klinik Verlauf mit bis zu 90 % deutlich höher. Seit 1995 klinisch-labordiagnostisch empfiehlt die STIKO die routinemäßige Hepatitis-B- 14 Impfung für Säuglinge. 12 Fallzahl 10 Bis 2014 waren nur klinisch-laborbestätige Hepati tis-B-Fälle nach dem IfSG meldepflichtig. Da jedoch 8 bei einer akuten Hepatitis-B-Infektion häufig keine 6 klinischen Symptome vorliegen, wurde die Melde- pflicht 2015 erweitert; seitdem erfüllen auch Fälle 4 die Referenzdefinition, wenn das klinische Bild 2 nicht erfüllt oder unbekannt ist. Diese Umstellung 0 bedingt hauptsächlich den seitdem beobachteten 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Anstieg der Meldezahlen (s. Abb. 1). Abb. 1 | Anzahl der jährlichen Hepatitis-B-Fälle bei < 5-Jährigen in Deutschland, 2010 – 2019 Bei den
Epidemiologisches Bulletin 26 | 2020 25. Juni 2020 7 2.5 Haemophilus influenzae Typ b 140 Bakterien (v. a. bekapselte) der Spezies Haemophilus influenzae verursachen invasive Erkrankungen wie 120 Meningitis, Epiglottitis, Sepsis, Phlegmonen, Arthri tis und Osteomyelitis. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion oder durch direkten Kon- 100 takt. H. influenzae können als bekapselte (Kapsel typen a – f) oder unbekapselte Typen auftreten. Die 80 Impfung richtet sich gegen den Kapseltyp b und wurde 1990 von der STIKO für Säuglinge und Kleinkinder empfohlen. Vor Einführung der Imp- 60 fung erkrankte in Deutschland etwa jedes 500. Kind in den ersten 5 Lebensjahren an einer invasiven 40 H.-influenzae-Typ-b-(Hib-)Infektion,4 danach gingen die Fallzahlen rapide zurück. Mit Inkrafttreten des 20 IfSG wurde das klinische Bild einer invasiven Infek- tion meldepflichtig, die durch den Nachweis von H. influenzae, unabhängig von dem verursachenden 0 0 1 2 3 4 Kapseltyp, im Blut oder Liquor diagnostiziert wer- Alter in Jahren den. 2016 wurde die Meldepflicht auf die labordia gnostisch nachgewiesenen Infektionen unabhängig nicht erhoben Kapseltyp a NTHI andere/sonstige Kapseltyp e Kapseltyp non-b vom klinischen Bild ausgeweitet. nicht ermittelbar Kapseltyp f Kapseltyp b Invasive H.-influenzae-Infektionen gehören heute Abb. 3 | Anzahl der Haemophilus-influenzae-Infektionen nach zu den seltenen meldepflichtigen Ereignissen. Im Alter in Jahren für die < 5-Jährigen in Deutschland inklusive der Typisierungsergebnisse (NTHI = Nicht typisierbare Zeitraum von 2010 – 2019 wurden insgesamt 5.477 Haemophilus influenzae), 2010 – 2019 invasive H.-influenzae-Erkrankungen an das RKI übermittelt. Der überwiegende Teil betraf Erwach- sene im Alter > 65 Jahren (3.681 Fälle; 67 %). Es tra- ten 312 (6 %) Erkrankungen bei Kindern im Alter 25 Typ b sonstige < 5 Jahren auf. Von den Erkrankungen bei < 5-jähri- gen Kindern entfielen 125 Fälle (40 %) auf Säuglinge 20 im Alter < 12 Monaten (s. Abb. 3). Für die Eingren- zung der Erkrankungen auf mögliche impfpräven- table Fälle sind die Typisierungsergebnisse uner- 15 lässlich. Die Zahl der Erkrankungen ohne Typisie- rungsergebnis ist in dem betrachteten Zeitraum Fallzahl von 59 % auf 32 % kontinuierlich zurückgegangen. 10 Bei den Säuglingen können 17 Fälle (14 %) dem Typ b zugeordnet werden (Hib), für 26 Fälle (21 %) fehlen allerdings die Angaben zum Serotyp (s. Abb. 4). Fast 5 zwei Drittel (59 %) der Hib-Fälle betraf Säuglinge im Alter < 6 Monaten. Es traten im Beobachtungszeit- raum 5 Hib-Erkrankungen bei geimpften Säuglin- 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 gen auf. Betroffen waren zwei 4 Monate alte, 1-mal Alter in Monaten geimpfte Kinder, ein 5 Monate altes Kind ohne An- Abb. 4 | Anzahl der Haemophilus-influenzae-Infektionen bei gabe zu den verabreichten Impfstoffdosen, ein Säuglingen nach Alter in Monaten in Deutschland für 3-mal geimpftes 9 Monate altes Kind und ein 11 Mo- Haemophilus-influenzae-Typ-b-Infektionen und sonstige Typen, 2010–2019 nate altes Kind ohne Angaben zu den verabreichten
Epidemiologisches Bulletin 26 | 2020 25. Juni 2020 8 Impfstoffdosen. Von den übrigen 12 Säuglingen wa- azelluläre Pertussis-Impfstoffe in Deutschland zu- ren 11 ungeimpft und bei einem Fall fehlten Anga- gelassen. Daraufhin wurden beide Impfstofftypen ben. Im Zeitraum von 2010 – 2019 sind 4 Säuglinge parallel verwendet, bis im Jahr 2000 vollständig an einer H.-influenzae-Infektion verstorben; keine zum alleinigen Gebrauch von azellulären Impfstof- Erkrankung war durch den Typ b verursacht. fen gewechselt wurde (STIKO Archiv, Tabelle). 2.6 Pertussis Seit 2013 besteht in Deutschland eine bundesweite Keuchhusten wird durch Bordetella pertussis verur- Meldepflicht für Keuchhusten (Pertussis) nach § 6 sacht, ein gramnegatives, bekapseltes, aerobes Stäb- (Verdacht, Erkrankung und Tod) und § 7 IfSG (la chenbakterium, das eine Vielzahl von Toxinen und bordiagnostischer Nachweis von B. pertussis sowie Virulenzfaktoren bildet. Bordetellen bedingen eine B. parapertussis). Mit einer jährlichen Inzidenz zwi- lokale Zerstörung der Atemwegsmukosa. Die Über- schen 11 und 20 Erkrankten pro 100.000 Einwohner tragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion (Husten, gehört Pertussis zu den zehn häufigsten Infektions- Niesen, Sprechen). Pertussis ist hoch kontagiös. Die krankheiten, für die derzeit Surveillancedaten im Erkrankung kann mehrere Wochen bis Monate an- Rahmen des IfSG erhoben werden. Pertussis ist dauern. Die typische Erstinfektion bei Ungeimpften eine Erkrankung, die überwiegend im Kindes- und verläuft in drei Stadien: Das Stadium catarrhale mit Jugendalter auftritt. Insbesondere Säuglinge erkran- erkältungsähnlichen Symptomen, das Stadium con- ken sehr häufig an Pertussis und zwar vornehmlich vulsivum mit den klassischen Symptomen der anfalls- in den ersten 6 Lebensmonaten (s. Abb. 5). Die weise auftretenden Hustenstöße (Stakkatohusten), ge- durchschnittliche jährliche Inzidenz im Zeitraum folgt von inspiratorischem Ziehen oder Erbrechen, 2014 – 2018 liegt in Deutschland bei 50 Pertussis- und das Stadium decrementi, während dessen es zum Fällen pro 100.000 Säuglinge (Lebensalter < 1 Jahr).11 allmählichen Abklingen der Hustenanfälle kommt. Eine Capture-Recapture-Studie bei Säuglingen zu Bei Säuglingen verläuft die Krankheit oftmals unty- Pertussis-Hospitalisierungen in Deutschland hat pisch: Im Stadium convulsivum können statt der zudem eine hohe Untererfassung der Surveillance- Hustenanfälle Luftschnappen, Würgen, hervortre- daten für Pertussis von 39 % für den Zeitraum tende Augen, Bradykardie, Apnoen, Zyanose oder 1.7.2013 – 30.6.2015 geschätzt.12 Erbrechen im Vordergrund stehen.5 Säuglinge haben das höchste Risiko für schwerwiegende Komplikati- Gemittelt über 6 Jahre (2014 – 2019) traten bei Säug- onen mit einem hohen Anteil an Hospitalisierun- lingen 444 Erkrankungen pro Jahr auf. 72,5 % die- gen. Die häufigste Komplikation einer Pertussis ser erkrankten Säuglinge waren ungeimpft und 44 % (10 % aller erkrankten Säuglinge) ist die Pneumonie der Geimpften mit Angabe der Anzahl der Dosen durch eine bakterielle Superinfektion. Als seltene hatten nur eine Impfung erhalten. Bei Säuglingen neurologische Komplikationen vor allem bei Säug- im Alter von < 3 Monaten, die aufgrund ihres Alters lingen können zerebrale Krampfanfälle und Enze noch ungeimpft waren oder laut STIKO Empfehlung phalopathien auftreten.6 Die Todesursache bei Säug- lediglich eine Dosis erhalten haben, also noch keinen lingen ist häufig eine Hyperleukozytose mit Lym- ausreichenden Impfschutz haben konnten, traten phozytose (bis zu 100.000 Zellen/mm3), durch die 30 – 186 Erkrankungen pro Jahr auf (im Mittel 109/ es zu einer schweren Hypoxämie und pulmonalen Jahr). Im Alter zwischen 3 und 11 Monaten, also nach Hypertension, gefolgt von akutem Organversagen der empfohlenen 2. bzw. 3. Dosis der Grundimmu kommt.11 nisierung und vor dem ersten Booster traten pro Jahr 131 – 388 (im Mittel 239) Erkrankungen auf. Tatsäch- Seit 1991 empfiehlt die STIKO eine Grundimmu lich hatten von den Säuglingen, die im Alter zwi- nisierung gegen Pertussis wieder als Standard schen 3 und 11 Monaten an Pertussis erkrankt wa- impfung für Säuglinge, nachdem sie 1974 wegen ren, 58 % keine und 23 % der Geimpften mit Angabe Sicherheitsbedenken der damaligen Ganzkeim- der Anzahl der Dosen nur eine Impfung e rhalten. Pertussis-Impfstoffe ausgesetzt worden war. Zu- Unter den 89 erkrankten Säuglingen im Alter von nächst wurde diese wieder mit einem Ganzkeim- mindestens 11 Monaten mit Angaben zu Impfungen Pertussis-Impfstoff durchgeführt. Ab 1994 wurden waren 66 % ungeimpft (IfSG-Meldedaten, RKI).
Epidemiologisches Bulletin 26 | 2020 25. Juni 2020 9 250 200 Pertussiserkrankungen 150 100 50 0 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 Lebensalter (Monate) zu Beginn der Pertussiserkrankung Abb. 5 | Verteilung der Pertussis in den ersten 48 Lebensmonaten. Abgebildet sind Fallzahlen nach IfSG für Erkrankte im Alter < 4 Jahren im Meldezeitraum 2014–2018, für die Erkrankungsbeginn und Geburtsdatum übermittelt wurden (n = 3.587). (IfSG Meldedaten, RKI) Im Säuglingsalter, besonders in den ersten 6 Le lich Säuglinge im Alter von < 4 Monaten. Seit Beginn bensmonaten, muss ein hoher Anteil erkrankter der Meldepflicht in Deutschland im Jahr 2013 wurden Säuglinge aufgrund der Schwere der Erkrankung 2 ungeimpfte Säuglinge im Alter von 2 und 4 Mona hospitalisiert werden (s. Abb. 6). Pertussis-bedingte ten als an Pertussis verstorben gemeldet (IfSG- Todesfälle im Kindesalter betreffen fast ausschließ- Meldedaten, RKI). 100% 90% Relativer Anteil an Hospitalisierungen (%) 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 Lebensalter (Monate) zu Beginn der Pertussiserkrankung Abb. 6 | Anteil der Hospitalisierung bei Pertussis-Erkrankten nach Lebensmonat für die ersten 48 Lebensmonate. Angaben zu Erkrankungsbeginn, Geburtsdatum und Krankenhausbehandlung wurden bei n = 3.138 Fällen im Alter < 4 Jahre im Meldezeit- raum 2014–2018 übermittelt (dunkelblau: Hospitalisierung wegen einer Pertussis; mittleres blau: Hospitalisierungsgrund unbekannt oder Angabe eines anderen Hospitalisierungsgrundes bei gleichzeitig bestehender Pertussis; hellblau: nicht hospitalisiert). (IfSG-Meldedaten, RKI)
Epidemiologisches Bulletin 26 | 2020 25. Juni 2020 10 3 Impfstoffzusammensetzung und Für die Identifizierung von Studien zur Effektivität zugelassene Impfschemata für die gegen Pertussis (Erkrankung, Hospitalisierung und DTaP-IPV-Hib-HepB-Impfungen im Tod) der beiden Impfschemata wurde eine systema- Säuglingsalter tische Literaturrecherche in EMBASE und Medline In Tabelle 1 sind die für die Grundimmunisierung durchgeführt. Die komplette Suchstrategie, das von Säuglingen in Deutschland zugelassenen Fließschema (Abb. 1 im Anhang) sowie die Ein- und 6-fach- und 5-fach-Impfstoffe, ihre Impfstoffzusam- Ausschlusskriterien (Tab. 2 im Anhang) sind im An- mensetzung und die empfohlenen Impfschemata hang dargestellt (letztes Suchdatum: 1. August 2019). aufgelistet. Zusätzlich wurden die Referenzlisten der einge- schlossenen Studien nach weiteren potenziell rele- vanten Studien durchsucht. Es wurden keine Ein- 4 Methodik des systematischen schränkungen hinsichtlich des Publikationsstatus Reviews zur Effektivität der Pertussis- und der Publikationssprache getroffen. Impfung mit 2 Impfstoffdosen im Vergleich zu 3 Impfstoffdosen im Das Screening der Titel, Abstracts und Volltexte auf Alter von 6 – 1112 Monaten relevante Publikationen wurde von zwei Wissen- Es wurde ein systematischer Review mit der Frage schaftlerinnen (SVB, JK) unabhängig voneinander durchgeführt, ob eine Impfung nach dem 3+1-Sche- durchgeführt. Alle Volltexte von Publikationen, die ma einen signifikant besseren Schutz vor Pertussis von mindestens einer der beiden Wissenschaftlerin- im Alter von 6 – 1112 Monaten vermittelt, als eine nen für wichtig erachtet wurden, wurden auf ihre Impfung nach dem 2+1-Schema (Differenz VE von Relevanz geprüft und dann ein Konsensus bezüg- 3+1 und 2+1). Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz lich des Einschlusses erreicht. Aus den die Ein- wurde mit Hilfe der GRADE-Methodik bewertet schlusskriterien erfüllenden Originalstudien wur- (GRADE-Tabelle im Anhang). den die relevanten Studiencharakteristika mittels standardisierter Extraktionsbögen durch zwei von- Die Studien, die in den Review eingeschlossen wur- einander unabhängige Untersucherinnen (SVB, JK) den, sollten folgende Kriterien erfüllen: erfasst. Zur Bewertung des Verzerrungsrisikos (Risk of Bias, RoB) in Beobachtungsstudien (sowohl Ko- ▶ Studiendesign: Beobachtungsstudien oder RCTs horten- als auch Fall-Kontroll-Studien) wurde das Robins-I-Tool verwendet.13 Das RoB wurde unab- ▶ Bericht von Vakzineeffektivitäten (VE) gegen hängig voneinander von zwei Wissenschaftlerinnen Pertussis für das 2+1- UND das 3+1-Schema (SVB, JK) bewertet und im Anschluss diskutiert. (paarweise gleiche Falldefinition und gleiche Adjustierung oder fehlende Adjustierung) Die Studienergebnisse wurden nicht durch Meta- Analysen zusammengefasst, da sich die Studien ▶ Betrachtung der Altersgruppe 6 – 1112 Monate designs der potenziell zu poolenden Studien unter- schieden und nicht einheitlich über adjustierte oder ▶ Ausschließliche oder überwiegende Verwendung unadjustierte Schätzer berichtet wurde. azellulärer Pertussis-Impfstoffe in den Studien Um die Zahl der zu erwartenden zusätzlichen Fälle ▶ Bericht zu mindestens einem der folgenden zu berechnen, wenn statt der Impfung nach dem klinischen Endpunkte: Pertussis jeglicher 3+1-Impfschema das 2+1-Schema benutzt wird, wur- Schwere, Pertussis-bedingte Hospitalisierung, de die Differenz zwischen den Punktschätzern für Pertussis-bedingter Tod. die VE zur Verhinderung einer Pertussis-bedingten Hospitalisierung sowie einer Pertussis-Erkrankung Die „PICO-Kriterien“ (Population, Intervention, Com jeglicher Schwere nach 2 und 3 Impfstoffdosen für parator und Outcomes) sind in Tabelle 1 im Anhang jede Studie gebildet und mit der durchschnittlichen zusammengefasst. Anzahl der in den Jahren 2014 – 2019 gemeldeten, 2- oder 3-mal geimpften Fälle im Alter von 5 – 11 Mo-
Epidemiologisches Bulletin 26 | 2020 25. Juni 2020 11 Impfalter und -schemata laut Fachinformation* Impfstoffname (Hersteller) Impfstoffzusammensetzung 3+1-Impfstoffdosen 2+1-Impfstoffdosen 6-fach-Impfstoffe (DTaP-IPV-Hib-HepB) Infanrix hexa (GSK) Diphtherie 30 I.E.; Tetanus 40 I.E; Ab dem Alter von 2 Monaten: Ab dem Alter von 2 Monaten: Impfabstand Pertussis: 3 Antigene 25/25/8 µg; GI mit 3 Dosen im Abstand von GI mit 2 Dosen im Abstand von des 2+1-Impf- Polio 3 Typen 40/8/32 Ag-Einheiten; mind. 4 Wochen; Auffrischimpfung mind. 8 Wochen; Auffrischimpfung schemas von Hepatitis B 10 µg; Hib 10 µg jeweils frühestens 6 Monate nach der jeweils frühestens 6 Monate nach der Infanrix hexa letzten Dosis zur GI; vorzugsweise letzten Dosis zur GI; vorzugsweise am 20.7.2020 zwischen dem vollendeten 11. und zwischen dem vollendeten 11. und korrigiert 13. Lebensmonat 13. Lebensmonat Hexyon (Sanofi Pasteur) Diphtherie 20 I.E.; Tetanus 40 I.E; Ab dem Alter von 6 Wochen: Ab dem Alter von 6 Wochen: Pertussis: 2 Antigene 25/25 µg; GI mit 3 Dosen im Abstand von GI mit 2 Dosen im Abstand von Polio 3 Typen 40/8/32 Ag-Einheiten; mind. 4 Wochen; Auffrischimpfung mind. 8 Wochen; Auffrischimpfung Hepatitis B 10 µg; Hib 12 µg frühestens 6 Monate nach der letzten jeweils frühestens 6 Monate nach der Dosis zur GI letzten Dosis zur GI Vaxelis (MSD) Diphtherie 20 I.E.; Tetanus 40 I.E; Ab dem Alter von 6 Wochen: Ab dem Alter von 6 Wochen: Pertussis: 5 Antigene 20/20/3/5/5 GI mit 3 Dosen im Abstand von GI mit 2 Dosen im Abstand von µg; Polio 3 Typen 40/8/32 Ag-Ein mind. 1 Monat; Auffrischimpfung mind. 1 Monat Auffrischimpfung heiten; Hepatitis B 10 µg; Hib 3 µg frühestens 6 Monate nach der letzten jeweils frühestens 6 Monate nach der Dosis zur GI letzten Dosis zur GI 5-fach-Impfstoffe (DTaP-IPV-Hib) Infanrix-IPV + Hib (GSK) Diphtherie 30 I.E.; Tetanus 40 I.E; Ab dem Alter von 2 Monaten: Ab dem Alter von 2 Monaten: Pertussis: 3 Antigene 25/25/8 µg; GI mit 3 Dosen im Abstand von GI mit 2 Dosen im Abstand von Polio 3 Typen 40/8/32 Ag-Einheiten; mind. 4 Wochen; Auffrischimpfung mind. 4 Wochen; Auffrischimpfung Hib 10 µg frühestens 6 Monate nach der letzten frühestens 6 Monate nach der letzten Dosis zur GI; vorzugsweise zwischen Dosis zur GI; vorzugsweise zwischen dem vollendeten 11. und 13. dem vollendeten 11. und 13. Lebensmonat Lebensmonat Pentavac (Sanofi Pasteur) Diphtherie 20 I.E.; Tetanus 40 I.E; Ab dem Alter von 2 Monaten: GI mit Nicht zugelassen Pertussis: 2 Antigene 25/25 µg; 3 Dosen im Abstand von jeweils 4 – 8 Polio 3 Typen 40/8/32 Ag-Einheiten; Wochen; Auffrischimpfung im Hib 12 µg zweiten Lebensjahr, 6 – 12 Monate nach der dritten Impfstoffgabe. GI: Grundimmunisierung; I.E.: internationale Einheiten Tab. 1 | In Deutschland zugelassene 6-fach- und 5-fach-Impfstoffe für die Grundimmunisierung im Säuglingsalter – Zusammensetzung, Impfalter und Impfschemata laut Fachinformation naten multipliziert. Diese Anzahl gemeldeter Fälle waren insgesamt 11.486 Säuglinge eingeschlossen, war zuvor mit einem Faktor von 1,39 multipliziert davon hatten 661 Pertussis-Fälle und 10.825 Kontrol- worden, um für die Untererfassung zu korrigieren. len bzw. Nicht-Fälle eine Impfung zum Schutz ge- Dieser Korrekturfaktor war in einer capture-recap- gen Pertussis erhalten. ture-Studie im Zeitraum vom 1.7.2013 – 30.6.201514 ermittelt worden. Das Verzerrungsrisiko wurde in allen drei Studien aufgrund von unzureichender16, 17 oder fehlender15 Adjustierung und dem daraus resultierenden Risiko 5 Ergebnisse des systematischen für Confounding als serious eingestuft. Es kann nicht Reviews zur Effektivität der Pertussis- ausgeschlossen werden, dass Confounder gleich Impfung mit 2 Impfstoffdosen im zeitig die Inanspruchnahme der Impfung und das Vergleich zu 3 Impfstoffdosen im Outcome (z. B. Pertussis) beeinflussen. Vorstellbar Alter von 6 – 1112 Monaten wäre dies für den sozio-ökonomischen S tatus, die Nach dem Screening von Titeln und Abstracts von Anzahl der Kinder in der Familie, Zigarettenrau- 1.918 Studien wurden 39 Volltextartikel evaluiert chen im Haushalt, etc. So könnte bspw. (siehe Fließschema (Abb. 2) im Anhang). Drei Stu- Zigarettenrauchen im Haushalt auf geringes Ge- dien, zwei Fall-Kontroll-Studien15, 16 und eine Kohor- sundheitsbewusstsein hinweisen, welches wieder- tenstudie17, erfüllten die Einschlusskriterien. Die um mit einer verminderten Inanspruchnahme von Studien wurden in Australien15, Deutschland17 und Impfungen (und damit einer geringen Wahrschein- Israel16 durchgeführt (Tab. 2). In diesen 3 Studien lichkeit für das Kind, geimpft zu werden) einher-
Epidemiologisches Bulletin 26 | 2020 25. Juni 2020 12 Definition der Anzahl Alter Studie Endpunkte Studiendesign Studienteilnehmer (Monate) Verwendete Impfstoffe Quinn et al., 2014; laborbestätigt: Fall-Kontroll-Studie: Meldefälle, Fälle: 528, 6 – 11 azelluärer Kombinationsimpf- Australien, ▶ Pertussis Alters-gematchte Kontrollen Kontrollen: 10.479 stoff (DTaP) 2005 – 200915 ▶ Hospitalisierung aus Impfregister; keine Adjustierung Zamir et al., 2015; klinische oder Fall-Kontroll-Studie: Meldefälle, Fälle: 70, 6 – 12# In den ersten 4 Jahren* Israel, laborbestätigte Alters- und Wohnort-gematchte Kontrollen: 210 Ganzkeimimpfstoff; in den 1998 – 201116 Pertussis Kontrollen aus Geburtenregister; folgenden 8 Jahren* azellulärer keine Angabe zur Adjustierung Kombinationsimpfstoff (DTaP–IPV–Hib) Juretzko et al., 2002; Hospitalisierung Kohortenstudie: Fälle über Fälle: 63, 6 – 11 90 % azellulärer Impfstoff Deutschland, aufgrund von ESPED-, Kontrollen über Bevölkerungs (nicht weiter spezifiziert) 1996–199817 klinischer od. Telefonsurvey; Screening- bezogene laborbestätigter Methode; Altersadjustierung Stichprobe: 136 Pertussis * Keine getrennte Darstellung der VE für beide Impfstoff-Perioden, aber laut Autoren wurde dies untersucht und kein signifikanter Unterschied gesehen. # Einschluss bei geringer Studienanzahl trotz Altersspanne bis 12 Monate DTaP: Diphtherie-Tetanus-azellulärer Pertussis-Impfstoff DTaP-IPV-Hib: Diphtherie-Tetanus-azellulärer Pertussis-inaktivierte Poliovakzine-Haemophilus influenzae-Impfstoff ESPED: Erhebungseinheit für seltene pädiatrische Erkrankungen Tab. 2 | Überblick zu den in den systematischen Review eingeschlossenen Studien zur Effektivität des 2+1- und des 3+1-Impf schemas zum Schutz vor Pertussis geht. Gleichzeitig könnte ein damit einhergehender Verhinderung einer Pertussis im Alter von schlechterer Allgemeinzustand des Kindes dessen 6 – 11 bzw. 6 – 12 Monaten Suszeptibilität für Pertussis (und damit seine Wahr- Über die Effektivität der Pertussis-Impfung zur Ver- scheinlichkeit, an Pertussis zu erkranken) erhöhen. hinderung von Pertussis im Alter von 6 – 11 bzw. Die VE würde damit überschätzt werden. Die Diffe- 6 – 12 Monaten berichteten die beiden eingeschlos- renz der VE der beiden Impfschemata dürfte aller- senen Fall-Kontroll-Studien15, 16 (s. Tab. 2). Während dings nicht beeinflusst werden, da diese sich paral- in der Studie von Quinn et al.15 alle Fälle laborbestä- lel verschieben sollten. Es ist daher anzunehmen, tigt w aren, traf dies nur für 78 % der Fälle in der Stu- dass das oben beschriebene Confounding sich weni- die von Zamir et al.16 zu. Die VE nach 2 Impfstoff- ger auf die Differenz der VE auswirken, als auf die dosen lag bei 81 % (95 % KI 74 – 86)15 und 89 % einzelnen VE. (95 % KI 70 – 96)16, die Effektivität nach 3 Impfstoff- dosen bei 84 % (95 % KI 79 – 87)15, bzw. 99 % (95 % Weiterhin waren in den Studien von Zamir et al.16 KI 86 – 100)16, wobei in beiden Studien die 95 %-Kon- und Juretzko et al.17 nicht alle Fälle laborbestätigt, fidenzintervalle zwischen der VE für 2 und für 3 woraus eine ungenaue Bestimmung der Endpunkte Impfstoffdosen überlappten. „Pertussis“, bzw. „Hospitalisierung aufgrund von Pertussis“ resultierte. Diese inakkurate Endpunkt- Verhinderung einer Pertussis-bedingten definition galt jedoch sowohl für geimpfte als auch Hospitalisierung im Alter von 6 – 11 Monaten für ungeimpfte Fälle. Da diese Mängel beide Grup- Über die VE der Pertussis-Impfung zur Verhin pen gleichermaßen betrafen, wurde das resultieren- derung von Pertussis-bedingten Hospitalisierungen de Biasrisiko als „moderat“ bewertet. In den betrof- im Alter von 6-11 Monaten berichteten zwei Stu fenen Studien könnte es dadurch zu einer Unter- dien15, 17 (s. Tab. 3). Während in der Studie von Quinn schätzung der VE gekommen sein. et al.15 alle Fälle laborbestätigt waren, war der Anteil an Fällen, die nur eine klinische Diagnose hatten, in Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz wurde für die der Studie von Juretzko et al.17 unklar. Die adjustier- Endpunkte Verhinderung von Pertussis und Pertus- ten Punktschätzer für die VE nach 2 Impfstoffdosen sis-bedingter Hospitalisierung als niedrig eingestuft lagen bei 92 % (95 % KI 85 – 96)17 und 81 % (95 % KI (siehe GRADE-Evidenzprofil im Anhang). 63 – 91)15, für 3 Impfstoffdosen bei 100 % (95 % KI 99 – 100)17 bzw. 85 % (95 % KI 75–91)15. Die 95 %-Kon- fidenzintervalle für die Punktschätzer für 2 und für
Epidemiologisches Bulletin 26 | 2020 25. Juni 2020 13 Pertussis-Fälle Nicht-Fälle/Kontrollen VE in % (95 % KI) 2 Dosen 3 Dosen 2 Dosen 3 Dosen 2 Dosen 3 Dosen Studie N n % n % N n % n % roh adj. roh adj. Verhinderung einer Pertussis (alle Fälle) Quinn15 528 70 13 295 55,9 10.479 1.698 16,2 7.991 76 81 84 (74 – 86) (79-87) Zamir16 70 16 23 20 28,6 210 53 25,2 136 65 89 99 (70 – 96) (86 – 100) Verhinderung einer Pertussis-bedingten Hospitalisierung Juretzko17 63# 8 12,7 1 1,6 136 25 18,4 97 71 92 100 (85–96) (99–100) Quinn15 117 16 13,7 59 50,4 2.337 416 17,8 1734 74,2 81 85 (63–91) (75–91) ** selbst berechnet mittels Screening-Methode (Kontrollen sind Befragte einer Bevölkerungsstudie); # Fälle mit unklarem Impfstatus wurden nicht berücksichtigt. Tab. 3 | Ergebnisse zur Vakzineeffektivität (VE) gegen Pertussis nach zwei bzw. drei Impfstoffdosen eines azellulären Pertussis- haltigen Kombinationsimpfstoffs im Alter von 6 – 11 (12 Monaten) 3 Impfstoffdosen in der Studie von Quinn et al. (15) 3 Impfstoffdosen lagen in der Studie von Quinn et überlappten vollständig. al.15 bei 4 % und in der Studie von Juretzko et al.17 bei 8 %. Im Vergleich zu einem 3+1-Dosen-Schema muss Berechnung erwarteter, zusätzlicher Fälle im demnach mit maximal einem zusätzlichen hospita- Alter von 6 – 11 bzw. 6 – 12 Monaten bei einem lisierten Pertussis-Fall alle zwei Jahre (11,4 × 0,04 Impfschemawechsel von 3 auf 2 Impfstoff (Quinn)) bzw. einem zusätzlichen hospitalisierten dosen zur Grundimmunisierung Pertussis-Fall pro Jahr (11,4 × 0,08 (Juretzko)) gerech- In den Jahren 2014 – 2019 wurden in Deutschland net werden, wenn nach dem 2+1-Impfschema durchschnittlich pro Jahr 115 Pertussis-Fälle bei geimpft wird. 6 – 12 Monate alten Säuglingen gemeldet, von denen 28,5 % 2-mal oder 3-mal geimpft waren; also bei An- Die Aussagekraft dieser Berechnungen ist dadurch nahme eines 2+1- bzw. 3+1-Impfschemas altersgerecht limitiert, dass nur 3 Studien die Einschlusskriterien geimpft waren. Unter Berücksichtigung der Unter erfüllten, alle diese Studien mit einem serious RoB erfassung (s. o.) und Anwendung des Korrekturfak- auf Grund von Confounding bewertet wurden und tors von 1,39 ergibt sich eine tatsächliche Zahl von die 95 %-Konfidenzintervalle für die VE nach 2 und 160 Pertussis-Fällen/Jahr. Unter diesen sind daher 3 Impfstoffdosen in zwei Studien überlappten. Zu- maximal 45,6 Fälle (28,5 % von 160 Fällen) altersge- sammenfassend lässt sich sagen, dass die Punkt- recht 2-mal oder 3-mal geimpft. Die Differenz zwi- schätzer für die VE der Pertussis-Impfung im Alter schen den Punktschätzern für die VE zur Verhinde- von 6 – 12 Monaten nach 2 Impfstoffdosen im Ver- rung von Pertussis nach 2 und 3 Impfstoffdosen lag gleich zu 3 Impfstoffdosen um 4 – 10 %-Punkte nie in der Studie von Zamir et al.16 bei 10 %. Im Ver- driger lagen. Bei einer Änderung des Impfschemas gleich zu einem 3+1-Dosen-Schema muss demnach von 3 auf 2 Impfstoffdosen muss mit etwa 5 zusätz- maximal mit 4,6 zusätzlichen Pertussis-Fällen lichen Pertussis-Fällen und einer zusätzlichen Hos- (45,6 × 0,1) pro Jahr gerechnet werden, wenn nach pitalisierung pro Jahr gerechnet werden. einem 2+1-Dosen-Schema geimpft wird. Die tatsächlich geschätzte Zahl der 2-mal oder 3-mal 6 Langzeitpersistenz der Pertussis-Ak- geimpften hospitalisierten Pertussis-Fälle im Alter Antwort bei Impfung nach dem von 6 – 12 Monaten betrug nach Anwendung des 2 + 1-Impfschema im Vergleich zum Korrekturfaktors im Durchschnitt 11,4 Hospitalisie- 3 + 1-Schema rungen pro Jahr. Die Differenzen zwischen den Zur Bestimmung der Seroprotektion nach Pertussis- Punktschätzern für die VE zur Verhinderung von Impfung existiert kein zuverlässiges serologisches Pertussis-bedingten Hospitalisierungen nach 2 und Korrelat. Mittels der Antikörper-Bestimmung gegen
Epidemiologisches Bulletin 26 | 2020 25. Juni 2020 14 die Impfantigene Pertussis-Toxoid (PT), Filamentö- 3+1-Schema geimpft worden waren und 80 % bzw. ses Hämagglutinin (FHA) und Pertactin (PRN) sind 70 % der Säuglinge, die nach dem 2+1-Schema daher nur Aussagen über eine erfolgte Serokon geimpft worden waren. version und über die Höhe der gemessenen Anti- körperkonzentration möglich, die das Ausmaß der Die Autoren schlussfolgern trotz niedrigerer Anti- Immunantwort einschätzen lassen. Es gibt mehrere körpertiter im Zeitraum zwischen der 2. und der Studien, die die Immunogenität gegenüber den abschließenden Impfung, die bei dem reduziertem Pertussis-Antigenen nach Anwendung eines 3+1- Impfschema bestehen, dass Säuglinge unabhängig Impfschemas und eines 2+1-Impfschemas zu ver- vom verwendeten Impfschema e ffektiv geschützt schiedenen Zeitpunkten vergleichen. sind. Carlsson et al. führten in Schweden zwischen No- In einer Follow-up-Studie wurden die Antikörper- vember 1994 und April 1996 eine offene randomi- Konzentrationen bei 180 (76 %) der vormals 236 sierte Phase-II-Studie zur Sicherheit und Immuno- eingeschlossenen Säuglinge im Abstand von 4,5 Jah- genität des 5-fach-Impfstoffs Pentavac (DTaP-IPV- ren zu den Voruntersuchungen erneut bestimmt.19 Hib) nach Verabreichung in zwei verschiedenen Ziel der Studie war es, die Persistenz der Antiköper Impfschemata durch.18 Der Impfstoff enthielt die nach Impfung im Säuglingsalter und vor Durchfüh- Pertussis-Antigene Pertussis-Toxoid (25 µg) und rung der abschließenden Impfung im Einschulalter Filamentöses Hämagglutinin (25 µg). 236 Säuglinge zu untersuchen. Zum Nachweis von Pertussis-spe- wurden entweder nach dem 3+1-Schema im Alter zifischen Ak wurden die gleichen Nachweisverfah- von 2, 4, 6 und 13 Monaten geimpft oder nach dem ren wie bei der Primärstudie verwendet. Von den reduzierten 2+1-Schema im Alter von 3, 5 und 12 Mo- 180 eingeschlossenen Probanden waren n = 92 nach naten. Beide Gruppen erhielten die letzte Dosis im dem 2+1-Impfschema und 88 nach dem 3+1-Schema Abstand von 7 Monaten nach der 2. bzw. 3 Impfung. geimpft worden. Zwischen den beiden Gruppen gab Antikörperbestimmungen gegen die verschiedenen es hinsichtlich der Ak gegen PT und FHA keine Impfantigene wurden vor Beginn der Impfserie, signifikanten Unterschiede. Gegen PT konnten nur nach den ersten 2 bzw. 3 Impfstoffdosen sowie vor bei 44 % der Probanden Ak mittels ELISA nachge- und nach der abschließenden Impfung durchge- wiesen werden, während im Neutralisationstest der führt. Die Antiköper gegen PT und FHA wurden im Anteil mit nachweisbaren Ak bei 99 % lag. Gegen ELISA bestimmt. In einem Subset von 76 Säuglin- FHA wurden bei 94 % AK nachgewiesen. Die Ergeb gen wurden neutralisierende Antikörper gegen PT nisse der Langzeitstudie bestätigen die Ergebnisse bestimmt. Säuglinge, die nach dem 3+1-Schema der Primärstudie und zeigen, dass es keine relevan- geimpft worden waren, hatten höhere geometrische ten Unterschiede bei den Ak-Konzentrationen gibt, Mitteltiter (GMT) gegen PT und FHA nach den ers- unabhängig davon, ob die Kinder nach einem 2+1- ten 3 Impfstoffdosen als Säuglinge nach 2 Dosen, oder 3+1-Impfschema geimpft worden waren. die nach dem 2+1-Schema geimpft wurden; dies traf ebenfalls für die Messung vor der abschließenden In einer weiteren Studie wurde der Langzeitschutz Impfung zu. Nach den abschließenden Impfungen der 6-fach-Impfung (Infanrix hexa) untersucht, bestanden jedoch keine GMT-Unterschiede zwi- wenn die Impfung nach dem reduzierten Impfsche- schen den beiden Impfschemata. Unabhängig vom ma (3, 5 und 11 – 12 Monate) verabreicht worden verwendeten Impfschema zeigten alle Säuglinge war.20 Es handelte sich um eine Phase-IV-Anschluss- eine Immunantwort nach den ersten 2 oder 3 Impf- studie, die in Schweden und Norwegen im Jahr 2011 stoffdosen und einen als schützend einzuschätzen- durchgeführt worden war. Von den n = 200 in der den Titer nach der abschließenden Impfung. In bei- Primärstudie eingeschlossenen Teilnehmern konn- den Gruppen betrug der Anteil mit einem mehr als ten n = 57 für eine Antikörperbestimmung im Alter 4-fachen Titeranstieg nach den ersten 2 oder 3 Impf- von 5 Jahren vor der Verabreichung des Vorschul- stoffdosen > 90 %. E inen 4 -fachenTiteranstieg nach boosters rekrutiert werden. Der häufigste Ausschluss der abschließenden Impfung gegen PT und FHA grund, der eine wiederholte Teilnahme unmöglich zeigten 92 % und 89 % der Säuglinge, die nach dem machte, war die bereits erfolgte Impfung im Vor-
Epidemiologisches Bulletin 26 | 2020 25. Juni 2020 15 schulalter. Antikörper gegen PT konnten bei 16 %, Impfzeitpunkte nach Alter gegen FHA bei 93 % und gegen Pertaktin (PRN) bei Land in Monaten 2+1 – Impfschema 30 % der Probanden nachgewiesen werden. Die Au- Dänemark 3, 5, 12 Monate toren stellen fest, dass die gemessene Seropositivität Finnland 3, 5, 12 Monate und die Höhe der nachgewiesenen Antikörperkon- Frankreich 2, 4, 11 Monate zentrationen mit den Ergebnissen vergleichbar sind, Island 3, 5, 12 Monate die in Studien gemessen wurden, die die Immun- Italien 3, 5, 11 Monate antwort nach dem 3+1-Schema untersucht haben.21, 22 Lichtenstein 2, 4, 12 Monate Norwegen 3, 5, 12 Monate Österreich 2, 4, 11 Monate 7 Wirkung des azellulären Impfstoffs Rumänien 2, 4, 11 Monate gegen die nasale Kolonisation mit Schweden 3, 5, 12 Monate Bordetella pertussis Schweiz 2, 4, 12 Monate Ergebnisse aus Challenge-Studien am Menschen Slowakei 2, 4, 10 Monate sind aufgrund ethischer und logistischer Probleme Slowenien 3, 5, 11 Monate (Gefahr einer schweren Erkrankung, fehlende ad- Spanien 2, 4, 11 Monate äquate Therapieoptionen nach Erkrankung und der Tschechien 3, 5, 11 – 13 Monate hohen Ansteckungsgefahr) nach Einführung der 3+1 – Impfschema azellulären Pertussis-Vakzine nicht leicht durch Belgien 2, 3, 4, 15 Monate zuführen. Durch die Entwicklung eines nicht-hu- Bulgarien 2, 3, 4, 16 Monate manen Primaten-Modells, das Pertussis in Pavianen Estland 3, 4 – 5, 6 Monate, 2 Jahre untersucht, konnten Studien zur Wirkung des azel- Griechenland 2, 4, 6, 12 Monate lulären Pertussis-Impfstoffs gegen die nasale Kolo- Kroatien 2, 4, 6, 15 – 18 Monate nisation durchgeführt werden.23 Paviane entwickeln Lettland 2, 4, 6, 12 – 15 Monate nach Infektion mit B. pertussis eine Erkrankung, die Litauen 2, 4, 6, 18 Monate dem beim Menschen auftretenden Keuchhusten Luxemburg 2, 3, 4, 13 Monate ähnlich ist. Dieses Tiermodell wurde von Warfel et al. Malta 2, 3, 4, 18 Monate genutzt, um die Wirkung des azellulären Impfstoffs Niederlande 2, 3, 4, 11 Monate auf die Kolonisation zu untersuchen. Die Analysen Portugal 2, 4, 6, 18 Monate Ungarn 2, 3, 4, 18 Monate zeigten, dass der ap-Impfstoff beim Pavian einen Zypern 2, 4, 6, 15 – 18 Monate sicheren Schutz vor einer schweren Erkrankung 3+0 Impfschema vermittelt. Die ap-Impfstoffe können jedoch die Be- 2, 4, 6 Monate; siedlung nach direkter Exposition oder natürlicher Irland 13 Monate: nur Hib Booster Übertragung nicht verhindern. Die Unfähigkeit der Vereinigtes Königreich und 8,12,16 Wochen; ap-Impfstoffe, die Kolonisation mit B. pertussis zu Republik Nordirland 12 Monate: nur Hib Booster verhindern und die schnell nachlassende Immuni- Quelle: https://vaccine – schedule.ecdc.europa.eu tät dieser Impfstoffe erklären die nach wie vor beob- Tab. 4 | Empfohlene Impfschemata der 6-fach-Impfung in achteten hohen Keuchhusten-Inzidenzen.23–25 anderen europäischen Ländern 8 Impfschemata der 6-fach-Impfung in 9 Umsetzung der 6-fach-Impfung bei anderen europäischen Ländern Kindern im Alter von < 24 Monaten in Die derzeit weltweit empfohlenen Impfschemata Deutschland unterscheiden sich hinsichtlich der Anzahl der Nach der neuen STIKO-Empfehlung sollen Säuglin- Impfstoffdosen, dem Impfbeginn und den Impf- ge die 6-fach-Impfung nach dem 2+1-Schema erhal- zeitpunkten. Nach den Angaben des ECDC (Stand ten, das Impfungen im Alter von 2, 4 und 11 Monaten März 2020) verwenden aktuell 13 europäische Län- vorsieht. Die bisherige 2. Impfstoffdosis im Alter der ein 3+1-Impfschema, 15 ein 2+1-Impfschema und von 3 Monaten entfällt. Die Impfserie soll vor dem 3 Länder ein anderes Schema (s. Tab. 4). 1. Geburtstag abgeschlossen sein.
Epidemiologisches Bulletin 26 | 2020 25. Juni 2020 16 Um einen sicheren Impfschutz zu vermitteln, ist es naten abgeschlossen ist. Das bedeutet, dass mehr bei diesem reduzierten Impfschema besonders als die Hälfte der Kinder ihre Impfungen nicht im wichtig, die einzelnen Impfungen zu den empfoh- empfohlenen Alter bekommen. Die Effektivität der lenen Zeitpunkten durchzuführen und das Impf- 6-fach-Impfung ist von der Einhaltung der Impfter- schema rechtzeitig abzuschließen. Für einen Über- mine abhängig. Um eine bessere Umsetzung zu er- blick über die zeitliche Umsetzung der bisherigen reichen, wurde der Impfzeitpunkt für den Ab- Impfempfehlung wurden die Abrechnungsdaten schluss der Impfserie auf einen Lebensmonat fest- der Kassenärztlichen Vereinigungen (RKI-Impfsur- gesetzt und nicht mehr als Intervall angegeben. Die veillance) analysiert. Da auch aktuell schon ein ge- STIKO rät der impfenden Ärzteschaft dringend, die ringer Teil der Säuglinge die 6-fach-Impfung nach Impfserie im Alter von 11 Monaten abzuschließen. dem reduzierten Schema erhält, wurden die Impf- Hierzu kann der Untersuchungstermin der U6 im zeitpunkte für beide Impfschemata analysiert. Alter von 10 – 12 Monaten genutzt werden. Eingeschlossen wurden Kinder, die 2014 geboren waren, über einen Zeitraum von 24 Monaten beob- 10 I mplementierung des reduzierten achtet werden konnten und bei denen die Impfzeit- 2+1-Impfschemas punkte für alle Impfstoffdosen eines 3+1-Schemas Reifgeborene Säuglinge sollen 3 Impfstoffdosen der oder eines 2+1-Schemas dokumentiert waren. In 6-fach-Impfung (DTaP-IPV-Hib-Hep B) im Alter von den Abbildungen 7 und 8 sind die Impfzeitpunkte 2, 4 und 11 Monaten erhalten. Zwischen den ersten für die abschließende 4. Impfstoffdosis eines beiden Impfungen soll ein Mindestabstand von 8 3+1-Impfschemas und die abschließende 3. Impf- Wochen liegen; zwischen der 2. und der 3. Impfstoff stoffdosis eines 2+1-Impfschemas aufgetragen. Es dosis ist ein Mindestabstand von 6 Monaten einzu fällt auf, dass die letzte Impfstoffdosis bei Kindern, halten. Der Impfstoff wird intramuskulär vorzugs- die nach dem reduzierten 2+1-Impfschema geimpft weise in den anterolateralen Bereich des Oberschen- werden, etwas früher verabreicht wird. Insgesamt kels injiziert. Die Impfungen der Impfserie können kann man jedoch feststellen, dass unabhängig vom zeitgleich mit den Impfungen gegen Pneumo Impfschema nur bei 42 % der Säuglinge die Impf- kokken an verschiedenen Körperstellen erfolgen. serie bis zum bisher empfohlenen Alter von 14 Mo- Während für die 1. Impfung im Alter von 2 Monaten 3. Impfstoffdosis (2+1) 4. Impfstoffdosis (3+1) 18 16 14 12 10 Anteil (%) 8 6 4 2 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 Lebensmonate Abb. 7 | Verteilung der Impfzeitpunkte für die 6-fach-Impfung in den ersten 24 Lebensmonaten für die abschließende 4. Impf stoffdosis des 3+1-Impfschemas und der 3. Impfstoffdosis des 2+1-Impfschemas im Geburtsjahrgang 2014 (Daten der RKI- Impfsurveillance)
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