Wohlbefinden und Mediennutzung Heranwachsender in der Coronakrise

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FORSCHUNGSDOKUMENTATION

Wohlbefinden und Mediennutzung
Heranwachsender in der Coronakrise
WAS WIR BISLANG AUS DER INTERNATIONALEN FORSCHUNG WISSEN
Heike vom Orde

Der Artikel bietet einen Überblick          einer Quarantäne auftreten können                         ders bei Jungen und jungen Männern
zu ausgewählten Forschungser-               (Wang et al., 2020, S. 946). So wird in                   sowie Befragten mit niedriger Schulbil-
gebnissen über die psychischen              ersten Publikationen bereits von einer                    dung ist mit negativen Auswirkungen
Auswirkungen der Pandemie auf               »COVID-19-Generation« gesprochen,                         auf ihre psychische Gesundheit zu
Kinder und Jugendliche sowie deren          die noch lange an den Folgen dieser Kri-                  rechnen. Eine andere Studie aus China
Mediennutzungsverhalten während             se zu leiden haben könnte, wobei solche                   kommt zu dem Schluss, dass jüngeres
des Lockdown.                               allgemeinen Zuschreibungen, die ledig-                    Alter ein Risikofaktor in der Krise sein
                                            lich auf einer Alterskohorte basieren,                    kann, um Ängste und Depressionen
In diesen unsicheren wie heraus-            vorsichtig zu bewerten sind (Rudolph &                    zu entwickeln (Huang & Zhao, 2020).
fordernden Zeiten sind wir alle von         Zacher, 2020). Im Folgenden wird eine
gravierenden Einschränkungen und            Auswahl an bislang vorliegenden inter-                    Angst und Stress in der Familie
Veränderungen in unserem Alltag be-         nationalen Forschungsergebnissen zu
troffen. Zu den besonders vulnerablen       diesem Themenkreis referiert.                             Eine Forsa-Studie (2020) im Auftrag
Personengruppen in der Coronakrise           Lee, Joyce (2020). Mental health effects of school
                                                                                                      der Organisation Save the Child-
gehören neben den Älteren und den            closures during COVID-19. The Lancet Child and           ren befragte Anfang April 2020 in
                                             Adolescent Health, 14. April 2020. Verfügbar unter:
chronisch Kranken auch die Kinder und        https://www.thelancet.com/pdfs/journals/lanchi/­
                                                                                                      Deutschland 500 Eltern von Kindern
Jugendlichen. Wissenschaftler*innen          PIIS2352-4642(20)30109-7.pdf [19.5.20]                   und Jugendlichen zwischen 8 und
gehen davon aus, dass das krisenbe-          Wang, Guanghai et al. (2020). Mitigate the effects of    17 Jahren sowie 502 Kinder online zu
                                             home confinement on children during the COVID-19
dingte Social Distancing, die Schließung     outbreak. The Lancet, 21. März 2020, 395(10228), 945-    ihrem Familienleben während des
von Schulen und Kindertagesstätten,          947. Verfügbar unter: https://www.thelancet.com/pdfs/    Lockdown. Die Heranwachsenden
                                             journals/lancet/PIIS0140-6736(20)30547-X.pdf [19.5.20]
die häufigere Nutzung von Bildschirm-                                                                 geben vor allem – und auch deutlich
                                             Saxena, Rakhi & Saxena, Shailendra (2020). Preparing
medien sowie innerfamiliäre Stressfak-       children for pandemics. In Shailendra Saxena (Hrsg.),    häufiger als ihre Eltern – an, dass sie
toren negative Auswirkungen auf ihr          Coronavirus Disease 2019 (COVID-19): Epidemiology,       ihre Freund*innen vermissen (76 %) und
                                             Pathogenesis, Diagnosis, and Therapeutics (S. 187-
subjektives Wohlbefinden und ihre psy-       198). Singapore: Springer.                               dass ihnen langweilig ist (59 %). Der weit
chische Gesundheit haben können (Lee,        Rudolph, Cort & Zacher, Hannes (im Erscheinen). »The     überwiegenden Mehrheit (92 %) fällt
2020; Wang et al., 2020). Ein klar struk-    COVID-19 Generation«: A Cautionary Note. Work, Aging     es (sehr) leicht, mit ihren Eltern über
                                             and Retirement, 2020, 1-7.
turierter Alltag, der gerade bei Kindern                                                              das Coronavirus zu sprechen, und auch
die Resilienz fördern kann, ist oft nicht                                                             die Eltern empfinden das Thema im
mehr gegeben und der Mikrokosmos            HERANWACHSENDE, FAMILIE                                   Gespräch mit ihrem Nachwuchs nicht
der Familie ist einer starken Zerreiß-      UND WOHLBEFINDEN IN DER                                   als schwierig (ebd., S. 15). Alarmierend
probe ausgesetzt. Darüber hinaus sind       COVID-19-KRISE                                            ist nach Meinung der Autor*innen
Kinder »keen observers«: Sie nehmen                                                                   jedoch, dass sich jedes zehnte Kind
die Angst, Unsicherheit und Belastung       Eine Studie aus China (Liang et al., 2020)                allein und unwohl fühlt und jedes
im Verhalten ihrer Umgebung aufmerk-        untersuchte 2 Wochen nach Ausbruch                        fünfte Kind sich darum sorgt, dass es in
sam wahr und müssen damit umgehen           der Epidemie dort die psychische                          seiner Familie zunehmend Streit geben
(Saxena & Saxena, 2020, S. 190).            Gesundheit von 14- bis 35-Jährigen in                     könnte (ebd., S. 12). Die abgefragten
Studien, die vor der COVID-19-Pande-        einer Online-Befragung (n=584). 40,4 %                    Ängste von Eltern und Kindern ähneln
mie durchgeführt wurden, verweisen          der Befragten gaben an, unter menta-                      sich stark (ebd., S. 12 ff.): Am meisten
auf mögliche Auswirkungen auf die           len Problemen zu leiden, und 14,4 %                       Sorgen bereitet den Eltern, dass ein/e
psychische Gesundheit von Heran-            zeigten Symptome posttraumatischer                        Freund*in oder ein Familienmitglied
wachsenden, die während und nach            Belastungsstörungen (PTSD). Beson-                        krank werden könnte (63 %) bzw. dass

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die Arbeitslosigkeit steigt (59 %). Ein                                         wahrgenommener Traurigkeit, Frus-                der jeweiligen Bevölkerung (Travaglino
Drittel der Eltern befürchtet, dass ihr                                         tration sowie einer Hyperaktivität               et al., 2020). Dabei zeigte sich, dass die
Kind den Anschluss in der Schule ver-                                           bei ihren Kindern. Insbesondere die              Sorgen um die Schulbildung der Kinder
liert; 29 % machen sich Sorgen, dass                                            Mütter, die im Homeoffice arbeiten,              sowie das Zusammenleben mit ihnen
sie selbst krank werden könnten. Auch                                           fühlen sich belastet, während Mütter,            ein mittlerer Stressfaktor im Vergleich
unter den Kindern befürchten 71 %,                                              die außer Haus arbeiten, weniger unter           zu den von den Erwachsenen mehr
dass jemand, den sie kennen, krank                                              der Situation leiden (Di Giorgio et al.,         gefürchteten wirtschaftlichen und
werden könnte. Ähnlich häufig wie die                                           2020, S. 19).                                    gesundheitlichen Auswirkungen sind.
Eltern sorgen sich Kinder darum, dass                                                                                            Eine internationale Studie mit einem
sie den Anschluss in der Schule verlieren                                       Wohlbefinden und existenzielle                   Sample von 101 Heranwachsenden zwi-
(33 %) oder selbst erkranken könnten                                                                                             schen 8 und 18 Jahren aus 13 Ländern1
                                                                                Sorgen
(32 %). Eine weitere international                                                                                               ergab, dass sich die Lebensbedingungen
angelegte Studie (USA, Deutschland,                                             1.143 Eltern aus Spanien und Italien             der Befragten teilweise massiv negativ
Finnland, Spanien und Großbritannien)                                           mit Kindern zwischen 3 und 18 Jahren             verändert haben (World Vision, 2020).
von Save the Children (2020) kommt zu                                           gaben in einer Fragebogenerhebung                71 % der befragten Kinder und Jugendli-
einem weit höheren Angstniveau bei                                              über die mentalen Auswirkungen                   chen gaben an, sich isoliert und allein zu
den dort befragten Heranwachsenden                                              der Coronapandemie in ihrer Familie              fühlen (ebd., S. 17). Zudem leiden viele
(n=6.000): So entwickelt insgesamt                                              Auskunft (Orgilés et al., 2020). 85,7 %          unter wachsender Armut und unzurei-
eines von 4 befragten Kindern, die von                                          der Eltern stellen Veränderungen im              chender Essensversorgung (ebd., S. 21).
Corona-Maßnahmen betroffen sind,                                                emotionalen Wohlbefinden ihres Kin-              Als besonders belastend empfinden
deshalb Angstgefühle. In der deutschen                                          des fest. Am häufigsten werden dabei             viele der befragten Kinder und Jugend-
Stichprobe (Forsa, 2020, S. 3) sind es nur                                      Konzentrationsstörungen, Langeweile,             lichen die Ungewissheit über Dauer und
7 % der befragten Heranwachsenden,                                              Reizbarkeit, Nervosität und Einsamkeit           Ausmaß der Krise. Die Lernbedingungen
was darauf hinweisen könnte, dass in                                            von ihnen genannt. Die Kinder und Ju-            sind sehr erschwert, da die Schulen ge-
Deutschland die Angst vor dem Virus                                             gendlichen verbrachten mehr Zeit mit             schlossen sind und Homeschooling gar
bei Kindern nicht so stark ausgeprägt                                           Bildschirmmedien, waren körperlich               nicht oder nur unzureichend stattfinden
ist wie in anderen (zumeist stärker                                             weniger aktiv und schliefen länger in            kann (ebd., S. 18).
betroffenen) Ländern.                                                           der Quarantäne. Ein Drittel der Eltern
Eltern von Vorschulkindern fühlen                                               fühlt sich von der Situation (sehr) ge-          Sozioökonomische Unterschie-
sich nach einer deutschen Studie (Uni-                                          stresst. Eine vergleichende europäische
                                                                                                                                 de und der Blick in die Zukunft
versität Erfurt et al., 2020) wegen der                                         Studie (n=75.570) untersuchte zwi-
fehlenden außer­häuslichen Kinderbe-                                            schen Ende März und Mitte April 2020             Dass die Krise auch sozioökonomische
treuung gestresst. Dabei gibt rund die                                          das Stresslevel von über 18-Jährigen in          Ungleichheiten widerspiegelt, zeigen
Hälfte der befragten Mütter auf einem
gleichbleibend hohen Niveau von Ende
März bis Ende April 2020 an, die Situa-
tion als belastend zu empfinden. Mitte
Mai ging das Belastungsempfinden
bei Familien mit älteren Kindern von
44,9 % auf 38,0 % zurück, während es
bei Müttern und Vätern mit jüngeren
Kindern von 55,3 % auf zuletzt 58,3 %
anstieg. Eine italienische Studie, die
Anfang April 2020 das Wohlbefinden
                                             Quelle: Langmeyer et al. 2020, S. 23

von Müttern und ihren Vorschulkin-
dern (2 bis 5 Jahre alt) untersuchte,
kam ebenfalls zu dem Schluss, dass
die restriktiven Ausgangsbeschrän-
kungen und fehlende außerhäusliche
Betreuung zu einem substanziellen                                               Abb. 1: Auf die Frage »Wie kommt Ihr Kind mit der aktuellen Situation zurecht?« zeigten
Zusammenbruch der täglichen Rou-                                                sich deutliche Unterschiede hinsichtlich der sozioökonomischen Lage der befragten
tinen und mehr Stress in den Familien                                           Haushalte, Angaben in Prozent (Stand: 4. Mai 2020)
führen. Die Mütter berichten von

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                                                                                            aus Österreich        youth mental health. Psychiatric Quarterly, 21. April
                                                                                                                  2020. Verfügbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/
                                                                                            (n=1. 0 0 0)          pubmed/32319041 [19.5.20]
                                                                                            untersuchte           Huang, Yeen & Zhao, Ning (2020). Mental health bur-
                                                                                            vom 25. März.         den for the public affected by the COVID-19 outbreak
                                                                                                                  in China: Who will be the high-risk group? Psychology,
                                                                                            bis zum 8. Ap-        Health & Medicine, 14. April 2020. Verfügbar unter:
                                                                                            ril 2020, wie         https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/13548
                                                                                                                  506.2020.1754438 [19.5.20]
                                                                                            Jugendliche           Forsa (2020). Familienleben während der Corona-
                                                                                            und junge             Krise. 9. April 2020. Berlin: forsa Politik- und Sozial-
                                                                                                                  forschung.
                                                                                            Erwachsene
                                                                                                                   Save the Children (2020). Umfrage zeigt: Kinder ent-
                                                                                            ihre Zukunft           wickeln wegen der Corona-Maßnahmen Angstgefüh-
                                                                                            nach der Co-           le. Pressemitteilung, 11. Mai 2020. Verfügbar unter:
                                                                                                                  ­https://www.savethechildren.de/news/umfrage-zeigt-
                                                                                            ronapandemie           kinder-entwickeln-wegen-der-corona-massnahmen-
                                                                                            e ins chät z e n .     angstgefuehle [19.5.20]
                                                                                            Ein Drittel           Universität Erfurt et al. (2020). COVID-19 Snapshot
                                                                                                                  Monitoring (COSMO). 15. Mai 2020. Version 11-01.
                                                                                            der befragten         Verfügbar unter: https://projekte.uni-erfurt.de/­
                                                                                            16- bis 29-Jäh-       cosmo2020/cosmo-analysis.html [19.5.20]

                                                                                            rigen stimmte         Di Giorgio, Elisa et al. (2020). The interplay between
                                                                                                                  mothers’ and children behavioral and psychological
                                                                                            der Aussage
Quelle: JIMplus 2020

                                                                                                                  factors during COVID-19: an Italian study. PsyArXiv,
                                                                                            zu, dass ihr          30. April 2020. Verfügbar unter: https://psyarxiv.com/
                                                                                                                  dqk7h/ [19.5.20]
                                                                                            Blick auf die
                                                                                                                  Orgilés, Mireia et al. (2020). Immediate psychological
                       Abb. 2: Deutsche Jugendliche bevorzugen YouTube und Wikipedia als
                                                                                            Zukunft sich          effects of the COVID-19 quarantine in youth from Italy
                       mediale Lernangebote während des Lockdown, Angaben in Prozent,       aufgrund der          and Spain. PsyArXiv, 21. April 2020. Verfügbar unter:
                                                                                                                  https://psyarxiv.com/5bpfz/ [19.5.20]
                       n=1.002                                                              Coronaepi-
                                                                                                                  Travaglino, Giovanni, Lieberoth, Andreas & Coll Mar-
                                                                                            demie und             tín, Tao (2020). How is the COVID19 Pandemic affect­
                                                                                            deren Folgen          ing Europeans’ lives? A report of the COVIDiSTRESS
                                                                                                                  global survey. Report on data collection March 30th
                                                                                            verdüstert            - April 20th.
                       die Befunde einer Studie des Deutschen (T-Factory, 2020, S. 5). Besonders                  World Vision (Ed.) (2020). Children’s voices in times of
                                                                                                                  COVID-19. Continued child activism in the face of per-
                       Jugendinstituts (Langmeyer et al., 2020). unter 20-Jährige sowie Jugendliche               sonal challenges. World Vision International. Verfügbar
                       Jedes dritte untersuchte Kind zwi- mit niedriger und mittlerer Bil-                        unter: https://www.worldvision.de/sites/­worldvision.
                                                                                                                  de/files/pdf/WV_report_childrens_voices_in%20
                       schen 3 und 15 Jahren hatte demnach dung blicken pessimistisch in ihre                     times_of_COVID-19%20Final.pdf [19.5.20]
                       Schwierigkeiten, mit der Coronakrise Zukunft (ebd., S. 6). Rund 40 % der                   Langmeyer, Alexandra et al. (2020). Kindsein in Zeiten
                       zurechtzukommen. Generell berichten Befragten befürchten, dass der Staat                   von Corona. Erste Ergebnisse zum veränderten Alltag
                                                                                                                  und zum Wohlbefinden von Kindern. München: Deut-
                       deutlich mehr Eltern mit geringem die Einschränkungen während der                          sches Jugendinstitut.
                       oder mittlerem Bildungsabschluss von Coronakrise missbrauchen könnte,                      T-Factory (2020). Jugendwertestudie 2020. Der
                       Problemen ihrer Kinder hinsichtlich um Freiheitsrechte danach einzu-                       Corona-Report. Vienna: T-Factory Trendagentur &
                                                                                                                  jugendkultur.at, Institut für Jugendkulturforschung
                       der Bewältigung der Coronakrise als schränken (ebd., S. 12). An der Spit-                  und Kulturvermittlung, April 2020.
                       Eltern mit hohen Abschlüssen (ebd., ze der Befürchtungen steht jedoch
                       S. 22 ff.). Auch die finanzielle Situation die Angst vor einer aufziehenden
                       in den Familien spielt offenbar eine globalen Wirtschaftskrise (66,7 %).                  MEDIENNUTZUNGSVERHAL-
                       Rolle: Eltern mit einer angespannten Nach der Furcht vor dem Tod eines/                   TEN HERANWACHSENDER
                       finanziellen Situation schätzten die Be- einer nahen Angehörigen folgt an                 WÄHREND DES LOCKDOWN
                       lastung für ihre Kinder deutlich höher dritter Stelle die Furcht vor der Ein-
                       ein als diejenigen, die ihre finanzielle schränkung der Bewegungsfreiheit.                Medien spielen in der Pandemie eine
                       Lage positiver beurteilen. Eine beeng- Bei den befragten 16- bis 19-Jäh-                  besondere Rolle für Heranwachsende:
                       te Wohnsituation kann ebenfalls ein rigen befürchten über 50 %, dass                      Zum einen dienen sie als Lerntool,
                       Stressfaktor in der Krise sein (Abb. 1). sich ihr Schulabschluss verzögern                Kommunikationsmittel und Informa-
                       Insgesamt sehen die Autor*innen die könnte (ebd., S. 16). Obwohl sich                     tionsquelle zum Krisengeschehen, zum
                       Einsamkeit während des Lockdown als die Angst vor Ansteckung bei dieser                   anderen werden sie zur Ablenkung
                       ein großes Problem an: Mehr als jedes Altersgruppe in Grenzen hält, ist die               oder zur (mehr oder weniger kreativen)
                       vierte Kind erlebte in dieser Situation Bereitschaft zum Social Distancing                Stressbewältigung in der Krise einge-
                       nach Einschätzung seiner Eltern auch mit rund zwei Dritteln der Befragten                 setzt (siehe auch vom Orde und Götz &
                       Gefühle der Einsamkeit (ebd., S. 25).          sehr groß (ebd., S. 10).                   Mendel in dieser Ausgabe).

                       16                          33/2020/1
FORSCHUNGSDOKUMENTATION

Homeschooling und Medien                                                      S. 55 f.). Der Mangel dieser Fähigkeiten         dem Vereinigten Königreich (Ofcom,
                                                                              ist nach Meinung der Autoren auf das             2020) bestätigte die Wichtigkeit des
Dabei wird der von Eltern genannte                                            Fehlen von Entwicklungsmöglichkeiten             Fernsehens als Wissensquelle bei den
Stressfaktor Homeschooling laut den                                           zurückzuführen, die diese Heranwach-             befragten 12- bis 15-Jährigen (n=500).
Ergebnissen einer deutschen Studie                                            senden in sozioökonomisch benachtei-             Auch hier waren Familienmitglieder
von den befragten Schüler*innen                                               ligten Familien oftmals nicht ausreichend        die wichtigste und glaubwürdigste
(n=1.002) eher entspannt gesehen                                              vorfinden. Zudem hatten untersuchte              Quelle der Information. Dabei gaben
(mpfs, 2020). Mehr als die Hälfte der 12-                                     Schüler*innen, die 25 Stunden und mehr           mehr als die Hälfte der Jugendlichen
bis 19-Jährigen erhalten ihre Schulauf-                                       pro Woche Computerspiele spielten                an, oftmals Schwierigkeiten bei der
gaben per E-Mail, wobei 30 % angeben,                                         und fernsahen, signifikant häufiger das          Unterscheidung zwischen falschen und
nach der Schul­schließung kaum noch                                           Gefühl, während des Lockdown in den              vertrauenswürdigen Medieninforma-
Kontakt mit ihren Lehrer*innen gehabt                                         »Ferien« zu sein (ebd., S. 41).                  tionen zum Infektionsgeschehen zu
zu haben. Die älteren Schüler*innen                                                                                            haben (ebd., S. 2).
arbeiten häufiger mit ihrer Klasse in                                         Allgemeine Mediennutzung                         Eine Studie aus Österreich (T-Factory,
einer Cloud, nutzen Videokonferenzen                                                                                           2020, S. 17) bestätigte ebenfalls die hohe
                                                                              und Informationsquellen
oder Online-Chats als Wege der Kom-                                                                                            Relevanz von Fernsehinformationen für
munikation (ebd., S. 7). YouTube und                                          Eine Studie aus dem Vereinigten König-           Jugendliche in der COVID-19-Krise. Eine
Wikipedia stehen ganz oben auf der                                            reich konnte gleichfalls eine Zunahme            Elternbefragung in der Europäischen
Liste genutzter medialer Lernangebote                                         der Mediennutzung bei Heranwach-                 Union, dem Vereinigten Königreich und
und auch Dokus und Wissenssendun-                                             senden im April 2020 im Vergleich zu             den USA (Tonies.com, 2020) zwischen
gen werden von den Jugendlichen zum                                           den Vorjahren feststellen (Dubit, 2020).         dem 21. April und dem 10. Mai 2020
Lernen verwendet (ebd., S. 13, Abb. 2).                                       Bei älteren Kindern nimmt die Nutzung            ergab hinsichtlich der zunehmenden
Die am häufigsten genutzten Geräte                                            von gestreamten TV-Inhalten zu, wäh-             Nutzung von Bildschirmmedien von
zu Lernzwecken sind das Handy und                                             rend Vorschulkinder mehr lineares TV             Kindern unter 18 Jahren ein ähnliches
der PC bzw. der Laptop (ebd., S. 14).                                         sehen (ebd., S. 10). Es ist eine signifikan-     Bild: Zwei Drittel der Eltern geben an,
Die Jugendlichen geben an, häufiger                                           te Zunahme der Nutzung von TikTok                dass ihre Kinder mehr Zeit mit Medien
als vor der Coronakrise Medien in ih-                                         (50 %) und Messenger Kids (45 %) im              verbringen. Außerdem beobachtet fast
rer Freizeit zu nutzen, neben YouTube                                         Vergleich zum Vorjahr festzustellen. Das         die Hälfte der Befragten eine zuneh-
werden hier auch Streamingdienste und                                         Fernsehen als Informationsquelle zum             mende Ängstlichkeit und/oder Trau-
das Fernsehen genannt (ebd., S. 20).                                          Pandemiegeschehen spielt eine wich-              rigkeit bei ihren Kindern. Die Nutzung
Während zu Freund*innen vor allem                                             tige Rolle: 33 % der 11- bis 15-Jährigen         von Medien als Coping-Strategie bei
über WhatsApp Kontakt gehalten wird,                                          geben an, das Fernsehen, Radio oder              Heranwachsenden scheint also länder­
werden ältere Verwandte mit dem Te-                                           Webseiten von Nachrichtenanbietern               übergreifend verbreitet zu sein.
lefon kontaktiert (ebd., S. 22 und 26).                                       dafür zu nutzen (ebd., S. 20). Über alle         Eine international vergleichende Stu-
Eine Studie mit 8.344 Schüler*innen                                           Altersgruppen hinweg sind jedoch die             die (Reuters Institute, 2020) kommt
aus Deutschland, Österreich und der                                           Eltern die wichtigsten Ansprechpartner           zu dem Ergebnis, dass Instagram bei
Schweiz zwischen 6 und 20 Jahren                                              in der Krise. Eine weitere Studie aus            den 18- bis 24-Jährigen eine wichtige
untersuchte, wie sich häusliche Res-
sourcen (etwa die Medienausstattung
und die elterliche Unterstützung) auf
die Emotionen, den Lernaufwand und
den -erfolg der Heranwachsenden im
Homeschooling auswirken (Huber &
Helm, 2020). Die Autoren kommen zu
dem Ergebnis, dass Kinder und Jugendli-
che mit niedrigen häuslichen Ressourcen
                                            Quelle: Reuters Institute, 2020

in Zeiten der Schulschließungen nicht
primär aufgrund fehlender technischer
Ausstattung oder fehlender elterlicher
Unterstützung zurückbleiben, sondern
aufgrund fehlender Fähigkeiten zum                                            Abb. 3: Instagram ist in zahlreichen Ländern für junge Menschen eine wichtige Informations-
selbstgesteuerten Lernen und zur Selbst­                                      quelle zum Pandemiegeschehen
organisation des Tagesablaufs (ebd.,

                                                                                                                               33/2020/1                                    17
FORSCHUNGSDOKUMENTATION

Informa­tionsquelle in dieser Krisenzeit               zu digitalen Angeboten haben, sind                             unter: https://www.ofcom.org.uk/__data/assets/
darstellt (Abb. 3). In Argentinien etwa                junge Menschen laut den Autor*innen                            pdf_ file/0027/195345/covid-19-news-consumption-
                                                                                                                      children-12-15-report.pdf [19.5.20]
spielen Celebritys und Influencer*innen                besser informiert und unterstützen ihre
                                                                                                                      Tonies.com (2020). Survey: Change in children’s screen
mit ihren Videopostings und Kom-                       Gemeinden als Multiplikator*innen                              time during Covid-19. Mai 2020. Verfügbar unter:
mentaren eine große Rolle im Pande-                    (World Vision, 2020, S. 22). Ein Großteil                      https://datawire.press/wp-content/uploads/Boxine/
                                                                                                                      ScreenTime.pdf [6.7.20]
miealltag ihrer Follower*innen (ebd.,                  der Befragten gibt an, eigene Netzwer-                         Reuters Institute (Hrsg.) (2020). Navigating the ‘info-
S. 12). Eine international vergleichende               ke in sozialen Medien zu nutzen, um                            demic’: how people in six countries access and rate
                                                                                                                      news and information about coronavirus. April 2020.
Studie (USA, Vereinigtes Königreich                    Informationen über das Virus und den                           Verfügbar unter: https://reutersinstitute.politics.ox.ac.
und Spanien) zum Onlineverhalten                       richtigen Umgang damit zu verbreiten.                          uk/sites/default/files/2020-04/Navigating%20the%20
                                                                                                                      Coronavirus%20Infodemic%20FINAL.pdf [6.7.20]
von 4- bis 15-Jährigen spricht von                     In Ländern mit mangelhafter Internet­
                                                                                                                      Qustodio (2020). Qustodio 2020 annual report
einem »COVID-Effekt« hinsichtlich                      infrastruktur wie Sierra Leone nutzen                          on children’s digital habits. Connected more than
einer deutlich ansteigenden Nutzung                    die befragten Heranwachsenden vor                              ever. Apps and digital natives: the new normal.
                                                                                                                      Verfügbar unter: https://qweb.cdn.prismic.io/qweb/
von YouTube und Social-Media-Apps                      allem Mobiltelefone zur Verbreitung                            f5057b93-3d28-4fd2-be2e-d040b897f82d_ADR_en_
während des Lockdown (Qustodio,                        von pandemiebezogenen Informa-                                 Qustodio+2020+report.pdf [6.7.20]
2020). So verbrachten Kinder und                       tionen. Kinder in Flüchtlingslagern                            Mazwi, Nicola et al. (2020). Psycho-social experiences
                                                                                                                      of youths during the COVID-19 lockdown: Insights from
Jugendliche in den USA im März 2020                    und in Gegenden ohne Internet- oder                            Harare, Zimbabwe. Business Excellence and Manage-
97 Minuten pro Tag mit der Nutzung                     Mobilfunkzugang schlagen laut den                              ment, 10(1), 46-59.

von YouTube, während es im Mai 2019                    Autor*innen vor, dass lokale Radio-                            Karijo, Evalin et al. (2020). Knowledge, attitudes,
                                                                                                                      practices, and the effects of COVID-19 on health seek­
nur 57 Minuten waren (ebd., S. 11). He-                stationen intensiver über Corona                               ing behaviors among young people in Kenya. Health
ranwachsende in Spanien verbrachten                    und entsprechende Maßnahmen                                    Economics & Outcomes Research. Vorabdruck. Verfüg-
                                                                                                                      bar unter: https://www.researchsquare.com/article/
während der Krise 24 % mehr Zeit auf                   berichten sollen (ebd., S. 25). Dies ist                       rs-34861/v1 [6.7.20]
Instagram und 18 % mehr auf TikTok                     eine wichtige Anregung vonseiten der
als im Februar 2020 (ebd., S. 16).                     jungen Generation, damit sich aus der
                                                                                                                      ANMERKUNG
Studien aus Simbabwe und Kenia (Ma-                    »Pandemic« nicht auch noch die von
zwi et al., 2020; Karijo, 2020) betonen                der WHO befürchtete »Infodemic«                                1
                                                                                                                          Albanien, Bangladesch, Bosnien und Herzegowina,
ebenfalls die große Bedeutung der sozi-                entwickelt.                                                        Brasilien, Demokratische Republik Kongo, Mali, Mon-
                                                                                                                          golei, Nicaragua, Peru, Philippinen, Rumänien, Sierra
alen Medien als Kommunikations- und                                                                                       Leone und aus Syrien geflüchtete Kinder, die in einem
                                                         Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest
Informationsmedien für Heranwach-                        (mpfs) (Hrsg.) (2020). JIM plus 2020. Lernen und Freizeit
                                                                                                                          Lager an der syrisch-türkischen Grenze leben

sende in der Coronakrise. Dabei stellen                  in der Corona-Krise. Stuttgart: mpfs.
die Verfügbarkeit des Internets und die                  Huber, Stephan Gerhard & Helm, Christoph (2020).             DIE AUTORIN
                                                         Lernen in Zeiten der Corona-Pandemie. Die Rolle fami-
Kosten oftmals Probleme und Heraus-                      liärer Merkmale für das Lernen von Schüler*innen. Be-
forderungen für junge Menschen aus                       funde vom Schul-Barometer in Deutschland, Österreich
                                                         und der Schweiz. In Detlef Fickermann & Benjamin             Heike vom Orde,
Afrika dar (Mazwi et al., S. 56 f.).                     Edelstein (Hrsg.), »Langsam vermisse ich die Schule          Dipl.-Bibl., M. A.,
In der oben genannten Studie von                         …«. Schule während und nach der Corona-Pandemie
                                                                                                                      ist für die wissen-
                                                         (S. 37-60). Münster: Waxmann.
World Vision (2020) informieren sich                                                                                  schaftliche Litera-
                                                         Dubit (2020). Kids and media in the time of corona. Un-
die befragten Kinder und Jugendlichen                    veröffentlichter Bericht, 24. April 2020. London: Dubit.     turdokumentation
ebenfalls vorwiegend im Internet über                    Ofcom (2020). Covid-19 news and information: 12-             des IZI verantwort-
das Coronavirus. Da viele Erwachsene                     15 year old children’s news consumption and at-
                                                                                                                      lich.
                                                         titudes. 12. Mai 2020. London: Ofcom. Verfügbar
häufig nur eingeschränkteren Zugang

                                                                          IMPRESSUM

Herausgeber: Internationales Zentralinstitut           Satz: Text+Design Jutta Cram,                                 Anschrift der Redaktion:
für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) beim       Spicherer Straße 26, 86157 Augsburg,                          Internationales Zentralinstitut für das Jugend-
Bayerischen Rundfunk                                   www.textplusdesign.de                                         und Bildungsfernsehen (IZI)
                                                       Druck: Druckerei Joh. Walch GmbH & Co. KG,                    Rundfunkplatz 1, D-80335 München
Redaktion: Dr. Maya Götz, Birgit Kinateder,            Im Gries 6, D-86179 Augsburg                                  Telefon: 089/5900-42991, Fax: 089/5900-42379
Heike vom Orde                                         ISSN (Print) 0943-4755                                        Internet: http://www.izi.de
Übersetzungen: Textwork Translations, Eva Maslanka     ISSN (Online) 2199-918X                                       E-Mail: IZI@br.de

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