Zeitschrift für Archäologie, Geschichte, Kultur und Naturkunde der Mittelsteiermark 17. Jahrgang, Heft 1/2020 - Hengist Archäologie

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Zeitschrift für Archäologie, Geschichte, Kultur und Naturkunde der Mittelsteiermark 17. Jahrgang, Heft 1/2020 - Hengist Archäologie
Verkaufspreis EUR 3,-

Zeitschrift für Archäologie, Geschichte, Kultur und Naturkunde der Mittelsteiermark   17. Jahrgang, Heft 1/2020
Zeitschrift für Archäologie, Geschichte, Kultur und Naturkunde der Mittelsteiermark 17. Jahrgang, Heft 1/2020 - Hengist Archäologie
Neuzeitliche Keramik aus Wildon
                                  Aus den obersten, mit dem Bagger            Auf einen nahe der Grabungsstelle an-
    Produkte eines                entfernten Erdschichten konnten einige      sässigen Hafner weisen die Randfrag-

örtlichen Hafners?                neuzeitliche Keramikfragmente
                                  geborgen werden, die hier nun näher
                                                                              mente Abb. 1/02, 03 und 04 sowie
                                                                              Abb. 2/07 und 12. Bei ihnen handelt es
                                  vorgestellt werden sollen.                  sich um Becher- oder Napfkacheln2 ,
          Johanna Kraschitzer
                                  Es handelt sich zum Großteil um             wie sie in Kachelöfen Verwendung
                                  unglasierte, auf der schnell drehenden      fanden. Allerdings sind diese Stücke
    Wie im Hengist-Magazin
                                  Töpferscheibe hergestellte Ware, nur        – wenn auch zerscherbt – neuwertig,
  3/2019 berichtet, wurde im
                                  zwei Stücke sind glasiert, und in einem     das heißt sie waren nie in einem Ofen
   Zuge des großangelegten
                                  Fall handelt es sich um das Boden-          verbaut. Das Randstück Abb. 1/03 und
          Bauvorhabens Neue
                                  fragment eines Porzellantellers oder        das Bodenstück 04 könnten zur selben
   Mittelschule in Wildon im
                                  einer Schüssel. Die Wandfragmente           Kachel gehören, die Randfragmente
 Frühjahr/Frühsommer 2019
                                  sind nicht näher bestimmbar, aber die       Abb. 1/02 und Abb. 2/07 unterscheiden
          eine archäologische
                                  Rand-, Wand- und Bodenstücke wur-           sich leicht in der Farbe. Trotzdem wirkt
         Ausgrabung auf dem
                                  den zeichnerisch erfasst.                   das Material so ähnlich, dass nichts
         denkmalgeschützten
                                  Für gewöhnlich sind im keramischen          gegen eine Produktion in derselben
   Grundstück durchgeführt.
                                  Fundmaterial Töpfe nicht nur häufig,        Werkstatt sprechen würde. Eventuell
 Sie erbrachte den Nachweis
                                  sondern sie sind oft auch gut zeitlich zu   wurden die Kacheln beim Brand be-
     der intensiven Nutzung
                                  bestimmen. Im Fall der neuzeitlichen        schädigt oder aus anderen Gründen
 dieses Areals seit mehreren
                                  Keramik aus der Ausgrabung Neue             verworfen und als Schutt entsorgt.
   Jahrtausenden, insbeson-
                                  Mittelschule in Wildon liegen nur drei      Die Annahme eines Hafners in unmit-
dere durch ein dicht belegtes
                                  Randfragmente von Töpfen vor (Abb.          telbarer Nähe wird unterstützt durch
        Gräberfeld der späten
                                  1/01, Abb. 2/09 und 10), bei Abb. 2/11      das Fragment eines Akanthusblattes
         Urnenfelder- und der
                                  scheint es sich um das Randfragment         aus Keramik aus demselben Fundum-
   Hallstattzeit (ca. 950/920
                                  einer Schüssel zu handeln, Abb. 1/05        stand (Abb. 1/06; 3). Derartiges Laub-
         bis 600 v. Chr.) sowie
                                  ist das Bodenfragment einer Schüssel        werk war seit der Renaissance ein
           spätlatènezeitliche
                                  oder eines großen Topfes.                   beliebter Dekor, der auch gerne auf
Siedlungsstrukturen aus den
                                  Die Stücke Abb. 1/01 und Abb. 2/10          Ofenkacheln verwendet wurde. Es
       letzten Jahrhunderten
                                  können nur als „nach 1500“ datiert          handelt sich um ein aufwändig gestal-
            vor Christi Geburt.
                                  werden, das Randfragment Abb. 2/09          tetes, gelapptes Blatt, wahrscheinlich
                                  lässt sich aber verlässlich in das          von einer Bekrönungskachel. Hochwer-
                                  18. Jahrhundert stellen. Direkte Ver-       tige Kachelöfen des 17. und vor allem
                                  gleiche in Form und Material finden         des 18. und 19. Jahrhunderts waren zu
                                  sich im Material der Ausgrabung eines       einem überwiegenden Teil aus glasier-
                                  Bauernhauses in Trahütten (Bezirk           ten Ofenkacheln gesetzt, auch für das
                                  Deutschlandsberg), das vor 1824/25          Fragment aus Wildon würde man eine
                                  abgekommen sein muss.1 Das Rand-            Glasur erwarten. Wahrscheinlich han-
                                  fragment einer Schüssel (Abb. 2/10) ist     delt es sich aber um ein Halbfertigpro-
                                  im 17. Jahrhundert oder später entstan-     dukt, einen Schrühbrand 3, der erst im
                                  den, das außen grün und innen hell-         nächsten Arbeitsschritt glasiert wor-
                                  orange glasierte Bodenfragment Abb.         den wäre. Datiert werden kann es nur
                                  1/05 stammt aus dem 17. oder 18. Jahr-      grob ins 18. oder 19. Jahrhundert. Vom
                                  hundert. Zu einem weißen Porzellan-         Material her unterscheidet sich das
                                  teller oder einer ebensolchen Schale        Akanthusblatt ganz deutlich von den
                                  gehört das Bodenfragment Abb. 2/10.         Becherkacheln, es ist stark mit gro-
                                  Da das Stück undekoriert ist und es         ben Karbonatpartikeln gemagert. Die
                                  sich um eine Standardform handelt,          Tonmatrix selbst und die vereinzelten
                                  kann es nicht genauer als ins 18. Jahr-     ziegelroten Tongerölle sind hingegen
                                  hundert oder später datiert werden.         sehr ähnlich. Prinzipiell ist es nicht
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Neuzeitliche Keramik aus Wildon

                                                                                   Abb. 1: NMS Wildon,
                                                                                   Keramik 01-06.

                                          Die Hafner zu Wildon
                                                                                   1 GLÖCKNER, 762, Abb. 1082,
unüblich, dass für unterschiedliche
                                                                                   1083, 1085 und 1086.
Erzeugnisse auch unterschiedliche Ma-
                                                                                   2 Die Unterscheidung Becher- zu
gerungsarten bzw. -mengen verwendet       Die in Wildon ansässigen bürgerlichen
                                          Hafner mussten der Herrschaft Ober-      Napfkacheln ist nur über die Verhält-
wurden. Im Umkreis von Töpferwerk-
                                                                                   nisse von Mündungsdurchmesser
stätten finden sich oft in großer Zahl    wildon nach Ausweis eines Urbars von
                                                                                   zur Höhe möglich und kann deshalb
die Abfälle der Produktion. Besonders     1624 alljährlich eine bestimmte Abgabe   bei den vorliegenden Stücken nicht
der Brennvorgang war ein heikler          entrichten, vermutlich für die Nutzung   durchgeführt werden
Schritt, mit einer gewissen Fehlerquote   der in Unterhaus gelegenen Lehmvor-      (HEEGE, 214, 235.).
war zu rechnen.                           kommen nahe dem heute noch beste-        3 HANDBUCH 2010, 18.

                                                                                                                Seite 3
Neuzeitliche Keramik aus Wildon

              Abb. 2: Wildon, NMS.
                    Keramik 07-12.

      Abb. 3: Fragment einer Kachell
          mit Akanthusblatt. M. 1:1.

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Neuzeitliche Keramik aus Wildon

                                                                                        .
henden „Ziegelstadel“ oder im sog.         Hauptplatz 68, auf dem ebenfalls das         Quellen und Literatur:
„Hafnerbach“, einem Seitenarm der          Hafnergewerbe im Grundbuch verankert
                                                                                            Stmk. Landesarchiv: Urbar von
Kainach. 1662 ist in Wildon der Sitz       war und das 1859 im Besitz von Franz             1624 und Bürgerrolle 1703 im
einer Hafnerzunft genannt, und in          Füger (auch Fieger) stand. Hier hatte            Spezialarchiv Wildon. – Histo-
diesem Jahr erhielten die hiesigen         1703 der uns schon bekannte Hans                 rische Grundbücher des Marktes
                                                                                            Wildon. – Repräsentation und

                                                                                        .
Hafner auch eine eigene Handwerks-         König und um 1760 Peter Fünster ihren            Kammer 1751-XII-113.
ordnung. Diese wurde 1706 und 1720         Hafnerbrennofen betrieben.                       Gudrun GLÖCKNER, KG Tra-
vom Landesfürsten bestätigt sowie          Zur Zeit Maria Theresias bestand ver-            hütten. Fundberichte aus
1746 erneuert. Zeitweilig – zumindest
1672 – waren die Wildoner Hafner der
Zunft in Mureck zugeordnet, die steiri-
                                           mutlich im heutigen Haus Hauptplatz
                                           74 (derzeit Apotheke) noch die Hafnerei
                                           des Michael Gepp, sie brannte aber
                                                                                        .   Österreich 39 (2000), 760–763.
                                                                                            Christoph GUTJAHR/Maria
                                                                                            MANDL, Notgrabung „Neue
                                                                                            Mittelschule Wildon“ (2019).
sche Hauptlade der Hafnerzunft befand      1751 ab. Als ihm der Marktrichter da-            Ein Erstbericht, Hengist Magazin
sich in Graz.4
Für das 18. Jahrhundert sind zwei
bürgerliche Hafner im Markt Wildon
                                           raufhin einen Sammelbrief ausstellte,
                                           damit er für den Wiederaufbau Geld
                                           auftreiben könne, erhielt der Magistrat
                                                                                        .   3/2019, 6–11.
                                                                                            Ingeborg GAISBAUER,
                                                                                            Christoph GUTJAHR,
                                                                                            Hajnalka HEROLD,
namentlich bekannt, ihr Gewerbe            für diese Eigenmächtigkeit von der               Nikolaus HOFER,
lässt sich bestimmten Häusern zu-          landesfürstlichen Provinzialbehörde              Elfriede Hannelore HUBER,
ordnen. Die Bürgerrolle von 1703           eine Geldstrafe von sechs Gulden aufge-          Alice KALTENBERGER,
(Abb. 4) nennt die Hafner Paul Gepp        brummt. Danach ist in diesem Haus von            Johanna KRASCHITZER,
                                                                                            Karin KÜHTREIBER,
und Hanns König, von denen ersterer        keinem Hafnergewerbe die Rede mehr.6             Manfred LEHNER,
1708/09 seine Herdsteuer in der dritten                                                     Gabriele SCHARRER-LIŠKA,
Klasse, letzterer in der vierten Klasse                                                     Harald STADLER und
                                                                                            Kinga TARCSAY, Handbuch zur
der „ganz armen Leute“ zahlte. Ihre        4 WAIDACHER, 145.
                                           5                                                Terminologie der mittelalterlichen
Bürgerhäuser samt Werkstätten lagen          WAIDACHER 1963, 145.
                                           6 Die historischen Angaben zu den Wildoner
                                                                                            und neuzeitlichen Keramik in
im Bereich des Marktplatzes (heute                                                          Österreich. Fundberichte aus
                                           Hafnern stammen, sofern nicht anders ange-       Österreich, Materialheft Reihe A,

                                                                                        .
Hauptplatz) von Wildon. Paul Gepp
                                           merkt, von Gernot Peter Obersteiner.             Sonderheft 12 (Wien 2010).
besaß das heutige Haus Hauptplatz
                                                                                            Eva Roth HEEGE, Ofenkeramik
51, gelegen nahe dem seinerzeitigen                                                         und Kachelofen. Typologie,
Rathaus. Gepps auf seiner Liegen-                                                           Terminologie und Rekonstruktion,
schaft grundbücherlich eingetragene                                                         Schweizer Beiträge zur Kultur-
                                                                                            geschichte und Archäologie des

                                                                                        .
„Grünhafnergerechtigkeit“ wurde
                                                                                            Mittelalters 39 (Basel 2012).
unter seinen Nachkommen um 1780            Abb. 4: Ausschnitt aus der Bürgerrolle           Friedrich WAIDACHER,
auf jenes Haus übertragen, das heute       von 1703 mit Nennung des Hafners Paul Gepp       Gefäßhafnerei im Bundesland
die Nummer Hauptplatz 84 trägt und         (letzte Zeile). StLA                             Steiermark vom 16. bis zum
wo die Familie Gepp bis Mitte des 19.                                                       20. Jahrhundert, Diss. Graz 1963.
Jahrhunderts Hafnerware herstellte.
Gegen Franz Gepp brachte im Jahr
1814 der Maurermeister Anton Fieger
beim Kreisamt in Graz Klage ein; der
Hafner hatte einen neuen Brennofen
von einem Störer – einem Handwerker,
der bei überhaupt keiner oder zumindest
bei keiner hiesigen Zunft eingeschrieben
war – bauen lassen, wodurch dem
ehrbaren Maurermeister das Geschäft
entgangen war.5 Womöglich waren es
Nachkommen des Maurermeisters, die
Jahre später in Wildon selbst als Hafner
tätig waren, nämlich im heutigen Haus
                                                                                                                       Seite 5
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