Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechts-konvention - Heiner Bielefeldt
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Essay Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechts- konvention Heiner Bielefeldt
Impressum Der Autor Deutsches Institut für Menschenrechte Prof. Dr. Heiner Bielefeldt ist Direktor German Institute for Human Rights des Deutschen Instituts für Menschen- Zimmerstr. 26/27 rechte. D-10969 Berlin Phone (+49) (0)30 – 259 359 0 Fax (+49) (0)30 – 259 359 59 info@institut-fuer-menschenrechte.de www.institut-fuer-menschenrechte.de Gestaltung: iserundschmidt Kreativagentur für PublicRelations GmbH Bonn – Berlin Essay No. 5 3. aktualisierte und erweiterte Auflage Juni 2009 ISBN 978-3-937714-81-3 (PDF-Version) © 2009 Deutsches Institut für Menschenrechte Alle Rechte vorbehalten Gedruckt auf 100 % Altpapier
Essay Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechts- konvention Heiner Bielefeldt
Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention Menschenrechtskonventionen dienen dem zite abzielt. Sie gibt zugleich auch wichtige „Empowerment“ der Menschen. Sie leisten Impulse für eine Weiterentwicklung des inter- dies, indem sie Ansprüche auf Selbstbe- nationalen Menschenrechtsschutzes. Darüber stimmung, Diskriminierungsfreiheit und hinaus hat die Konvention gesamtgesell- gleichberechtigte gesellschaftliche Teil- schaftliche Bedeutung, insofern sie deutlich habe formulieren, sie rechtsverbindlich ver- macht, dass die Anerkennung von Behinde- ankern und mit möglichst wirksamen rung als Bestandteil menschlichen Lebens Durchsetzungsinstrumenten verknüpfen. und Zusammenlebens zur Humanisierung der Gesellschaft beiträgt. In keiner internationalen Menschenrechts- konvention kommt dieser Empowerment- Ansatz so prägnant zum Tragen wie in der Bewusstsein der Würde Konvention über die Rechte von Personen mit Behinderungen, die im Dezember 2006 von Voraussetzung jedes menschenrechtlichen den Vereinten Nationen verabschiedet wor- Empowerment ist das Bewusstsein der den ist (im Folgenden die „Konvention“).1 Die Menschenwürde – der eigenen Würde und Konvention signalisiert nicht nur eine Abkehr der Würde der anderen. Alle UN-Men- von einer Behindertenpolitik, die primär auf schenrechtskonventionen, also auch die Fürsorge und Ausgleich vermeintlicher Defi- Behindertenrechtskonvention, bekräftigen 1 Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat mit der Resolution vom 13.12.2006 den Text der Menschenrechtskonvention über die Rechte von Personen mit Behinderungen zur Ratifikation freigegeben. Bundestag und Bundesrat haben dem Ratifikationsgesetz Ende 2008 zugestimmt. Seit dem 26. März 2009 ist die Konvention für die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich verbindlich. Die Konvention und die den Entstehungsprozess betreffenden Dokumente können im Internet unter www.un.org/esa/socdev/ enable/ abgerufen werden. Zur Entstehungsgeschichte der Konvention siehe auch Theresia Degener, Menschenrechtsschutz für behinderte Menschen, in: Vereinte Nationen 3/2006, S. 104-110. 4
Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention in ihren Präambeln den inneren Zusammen- ten die Rede, insofern dieser Begriff an hang zwischen der „Anerkennung der inhä- entscheidenden Stellen des Konventions- renten Würde“ und den „gleichen und textes immer wieder aufgegriffen wird. unveräußerlichen Rechten aller Mitglieder Hinzu kommt, dass die Würde – sehr viel der menschlichen Familie“.2 Auf diese Weise direkter als in anderen Menschenrechts- wird zunächst festgehalten, dass die Men- konventionen – auch als Gegenstand not- schenwürde (wie immer sie in der religiös, wendiger Bewusstseinsbildung angespro- weltanschaulich und kulturell pluralisti- chen wird. Vor allem die Betroffenen selbst schen Weltgesellschaft ansonsten inter- sollen in der Lage sein, ein Bewusstsein ihrer pretiert werden mag) den tragenden Grund eigenen Würde („sense of dignity“) auszu- der menschenrechtlichen Gleichheit, d.h. bilden.5 Da Selbstachtung indessen ohne die des Prinzips der Nicht-Diskriminierung, bildet. Erfahrung sozialer Achtung durch andere Außerdem wird im Blick auf die Menschen- kaum entstehen kann, richtet sich der An- würde der herausgehobene Stellenwert der spruch der Bewusstseinsbildung letztlich Menschenrechte als „unveräußerlicher“ an die Gesellschaft im Ganzen. Dement- Rechte einsichtig: Es handelt sich um grund- sprechend nimmt die Behindertenrechts- legende Rechtspositionen, die von der konvention die Staaten in die Pflicht, breit Gesellschaft nicht nach Ermessen zuerkannt angelegte Programme gesellschaftlicher (und ggf. auch verweigert oder wieder Aufklärung und Bildung zu entwickeln.6 aberkannt) werden können, sondern jedem Menschen aufgrund seiner Menschen- Das Bewusstsein eigener Würde hängt würde unbedingt geschuldet sind.3 nicht nur an der inneren Einstellung der Menschen, sondern wird auch bedingt Der Begriff der Menschenwürde ist für den durch gesellschaftliche Strukturen von Aus- Menschenrechtsansatz von schlechthin grenzung und Diskriminierung, die die alltäg- fundamentaler Bedeutung.4 In der Behinder- liche Erfahrung von Menschen mit Behin- tenrechtskonvention kommt dies beson- derungen prägen. „Dazu zählen Stufen vor ders deutlich zum Tragen. Von der Würde ist Restaurants für Rollstuhl fahrende Gäste, nicht nur ungleich häufiger als in anderen fehlende Gebärdensprachdolmetschung internationalen Menschenrechtsdokumen- von Vorlesungen für gehörlose Studierende, 2 Diese Formel findet sich bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948, die – obwohl sie selbst nur den Status einer nicht rechtsverbindlichen Resolution hat – gleich- sam das Mutterdokument der in ihrem Gefolge entstandenen internationalen Menschenrechtskonventionen darstellt. 3 Vgl. Dietmar Willoweit, Die Veräußerung der Freiheit. Über den Unterschied von Rechtsdenken und Men- schenrechtsdenken, in: Würde und Recht des Menschen. Festschrift für Johannes Schwartländer, Würzburg 1992, S. 255-268. 4 Vgl. Heiner Bielefeldt, Menschenwürde. Der Grund der Menschenrechte. Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Berlin 2008. 5 Vgl. Artikel 24 Absatz 1 (a). 6 Vgl. Artikel 8. 5
Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention die zwangsweise Sonderbeschulung für Frauen leiden, wenn sie sowohl aufgrund behinderte Kinder oder Ampeln ohne akus- ihres Geschlechts als auch aufgrund von tische Signale für blinde Frauen und Män- Behinderung Diskriminierung erfahren. ner“.7 Solche strukturellen Zugangs- und Partizipationshindernisse machen es den Betroffenen schwer, ein Bewusstsein eige- Überwindung des ner Würde zu entwickeln, müssen sie doch den Eindruck gewinnen, dass man sie aus Defizit-Ansatzes dem öffentlichen Leben fernhält, sie dort zumindest für überflüssig hält oder sie gar, Strukturen gesellschaftlicher Ausgrenzung als ob man sich ihrer schäme, bewusst abson- manifestieren und reproduzieren sich typi- dert und im Grenzfall regelrecht versteckt. scherweise schon in der Sprache – etwa wenn Kinder mit Behinderungen Aus dem Konventionstext lässt sich erken- gelegentlich immer noch (wohlmeinend!) nen, dass die Unrechtserfahrung gesell- als „Sorgenkinder“ bezeichnet werden. Die schaftlicher Ausgrenzung eine wichtige Behindertenrechtskonvention markiert einen Triebkraft für die Arbeit an der Konvention grundlegenden Wechsel, indem sie den tra- (bei der Behindertenorganisationen aktiv ditionellen, primär an Defiziten der Betrof- beteiligt waren)8 bildet. Die Instrumente fenen orientierten Ansatz durch einen des Rechts sollen dazu beitragen, gesell- „diversity-Ansatz“ ersetzt, ohne den Problem- schaftliche Strukturen, die es Menschen druck, unter dem Menschen mit Behinde- mit Behinderungen erschweren, ein Bewusst- rungen leiden, in irgendeiner Weise zu sein eigener Würde zu entwickeln und auf- leugnen oder herunterzuspielen.9 rechtzuerhalten, systematisch zu über- winden und eine gleichberechtigte Teilhabe Der Konvention liegt ein Verständnis von der Betroffenen an allen Bereichen des Behinderung zugrunde, in dem diese kei- gesellschaftlichen Lebens zu gewährleisten. neswegs von vornherein negativ gesehen, Besondere Beachtung findet in der Kon- sondern als normaler Bestandteil mensch- vention das Problem der Mehrfachdiskrimi- lichen Leben und menschlicher Gesellschaft nierungen, unter denen zum Beispiel ausdrücklich bejaht und darüber hinaus als 7 Sigrid Arnade, Zwischen Anerkennung und Abwertung. Behinderte Frauen und Männer im bioethischen Zeitalter, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 8/2003, S. 3-6, hier S. 3. 8 Vgl. Degener, a.a.O., S. 109f. 9 Vgl. Degener, a.a.O., S. 4, die in der Konvention einen „Paradigmenwechsel vom medizinischen zum men- schenrechtlichen Modell von Behinderung“ ausmacht. 6
Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention Quelle möglicher kultureller Bereicherung Die Konvention beschränkt sich indessen wertgeschätzt wird („diversity-Ansatz“). nicht darauf, Behinderung als Bestandteil Die Akzeptanz von Behinderung als der Normalität menschlichen Lebens zu Bestandteil menschlicher Normalität ist begreifen. Sie geht einen Schritt weiter, nicht zuletzt deshalb von eminenter aktu- indem sie das Leben mit Behinderungen als eller Bedeutung, weil angesichts der wach- Ausdruck gesellschaftlicher Vielfalt positiv senden biotechnischen Möglichkeiten zur würdigt. Zu den in Artikel 3 aufgelisteten „Optimierung“ des menschlichen Erbguts generellen Prinzipien der Konvention zäh- die Gefahr besteht, dass Behinderte in len u.a. „Respekt für Differenz und Aner- neuer Weise – als Produkte angeblicher kennung von Behinderung als Bestandteil elterlicher Fehlplanung – stigmatisiert und menschlicher Vielfalt und Menschlichkeit“.12 womöglich sogar in ihrem Daseinsrecht in Die geforderte Anerkennung gilt demnach Frage gestellt werden. Jürgen Habermas hat nicht nur den behinderten Menschen und in seinem Essay „Die Zukunft der mensch- ihrer Würde, sondern erstreckt sich auch lichen Natur“ eindrucksvoll aufgezeigt, – und dies ist bemerkenswert – auf ihre welch gravierende Auswirkungen eine sich durch die Behinderung bedingten besonde- im Zuge technischer Entwicklungen immer ren Lebensformen. mehr durchsetzende „liberale Eugenik“ auf das Verständnis personaler Autonomie und Der „diversity-Ansatz“ führt konsequent gesellschaftlicher Gleichheit haben kann.10 dazu, dass manche Formulierungen der Dass Menschen mit Behinderungen von Konvention eine Nähe zu den Dokumenten gesundheitspolitischen Machbarkeits- des kulturellen Minderheitenschutzes auf- phantasien, wie sie durch hochgeschraubte weisen. Wenn beispielsweise die Staaten biopolitische Erwartungen genährt werden, dazu verpflichtet werden, die „linguistische unmittelbar existenziell betroffen sind, liegt Identität der Community der Gehörlosen“ auf der Hand.11 Gegen die Vision einer künf- anzuerkennen und zu fördern,13 erinnert tigen Gesellschaft ohne Behinderung stellt dies im Wortlaut an die im Rahmen des die Konvention das Bild einer Menschen- Europarats entwickelten Standards zur welt, in der Behinderte selbstverständlich Anerkennung der kulturellen Identität von leben und sich zugehörig fühlen können. nationalen Minderheiten. Dahinter steht 10 Vgl. Jürgen Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, Erweiterte Ausgabe, Frankfurt a.M. 2005. 11 Vgl. Arnade, a.a.O., S. 4ff. 12 Vgl. Artikel 3 (d): „Respect for difference and acceptance of disability as part of human diversity and humanity”. 13 Vgl. Artikel 24 Absatz 3 (b). 7
Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention die Einsicht, dass die eigenen Kommuni- auch durch die sozialen Problemlagen defi- kationsformen, die Menschen mit spezifi- niert, unter denen Behinderte leiden. Ohne schen Behinderungen – etwa die Gehör- diese gleichzeitige Problemorientierung losen – ausgebildet haben, nicht nur ein stünde die diversity-Semantik in Gefahr, Notbehelf sind, mit dem kommunikative zu verharmlosenden Sprachregelungen zu „Defizite“ kompensiert werden, sondern verflachen, in denen die Unrechtserfah- genuine Kulturerrungenschaften darstellen, rungen Behinderter keinen Ort mehr hätten. die gesellschaftliche Wertschätzung und staatliche Förderung verdienen. Daran zeigt Ausdrücklich problemorientiert ist bereits sich der Paradigmenwechsel, den die Behin- die Definition von Behinderung in der Prä- dertenrechtskonvention darstellt, beson- ambel. Das Problem – oder, wenn man so ders signifikant. will: das „Defizit“ – wird dabei allerdings nicht in den betroffenen Menschen verortet, Dieser Wechsel in der Einstellung zu Behin- sondern im ausgrenzenden und diskrimi- derung kommt nicht nur den Betroffenen nierenden gesellschaftlichen Umgang gese- zugute, sondern zugleich der Gesamt- hen, den diese Menschen vielfach erleben. gesellschaft. Schon die Präambel betont „die Die entscheidende Formulierung lautet: Bedeutung einer Anerkennung der wert- „Behinderung resultiert aus der Beziehung vollen – bestehenden und potenziellen – zwischen Personen mit Beeinträchtigungen Beträge, die Personen mit Behinderungen und den in Grundhaltungen und Umwelt- für eine insgesamt positive Entwicklung faktoren bestehenden Barrieren, derart dass und die innere Vielfalt ihrer Gemeinschaften dies die vollständige und wirksame Betei- leisten“.14 Eine Gesellschaft, die den Bei- ligung der Betroffenen auf der Grundlage trägen behinderter Menschen Raum gibt der Gleichheit mit anderen hindert“.15 und Aufmerksamkeit widmet, erfährt somit einen Zugewinn an Humanität und kultu- Behinderung wird in dieser Definition, um reller Vielfalt. es in der Sprache der modernen Sozialwis- senschaften auszudrücken, als eine gesell- Das Verständnis von Behinderung, wie es schaftliche Konstruktion verstanden. Zwar der Konvention zugrunde liegt, geht aller- knüpft sie an bestimmte physische, psychi- dings nicht vollständig im „diversity-Ansatz“ sche, mentale oder sensorische Beeinträch- auf. Komplementär dazu wird Behinderung tigungen („impairments“) an. Die Relevanz, 14 Vgl. Präambel (m): ”Recognizing the valued existing and potential contributions made by persons with dis- abilities to the overall well-being and diversity of their communities …“.. 15 Vgl. Präambel (e): ”… disability results from the interaction between persons with impairments and atti- tudinal and environmental barriers that hinders their full and effective participation in society on an equal basis with others“. 8
Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention die solchen natürlichen Beeinträchtigungen den Übergang vom passiven Erleiden eines zugeschrieben wird – mit allen stigmatisie- vermeintlich natürlichen Schicksals hin zur renden Konsequenzen für die Betroffenen aktiven Kritik an stigmatisierenden, diskri- – ist aber gerade kein natürliches Faktum, minierenden und ausgrenzenden gesell- sondern Resultat gesellschaftlichen Han- schaftlichen Einstellungen und Strukturen. delns. In diesem Sinne wird Behinderung Knapp und prägnant findet diese Grundein- gesellschaftlich „konstruiert“. sicht in der Formel der „Aktion Mensch“ (ehemals „Aktion Sorgenkind“) ihren Aus- Die in der Definition enthaltene Unterschei- druck: „Man ist nicht behindert, man wird dung zwischen „impairment“ und „disability“ behindert.“ 17 erinnert an die in der Geschlechterforschung etablierte begriffliche Differenzierung zwi- Zwischen den beiden Aspekten des Ver- schen „sex“ und „gender“: Gleichsam das ständnisses von Behinderung, wie es in der Analogon zum Begriff des biologischen Konvention formuliert ist – der positiv kon- Geschlechts („sex“) bildet in der Definition notierten diversity-Komponente und der der Begriff der Beeinträchtigung („impair- kritischen Aufdeckung gesellschaftlicher ment“); sie stellt das biologisch-natürliche Konstruktion von Behinderung – besteht Element dar, das in der Behinderung in der eine gewisse Spannung. Für das menschen- Regel mit präsent ist. Die Behinderung als rechtliche Empowerment der Betroffenen solche wird indessen nicht in dieser natür- sind jedoch beide Aspekte unverzichtbar. lichen (physischen, mentalen, sensorischen Das Vorgehen gegen strukturelles Unrecht, etc.) Beeinträchtigung des Individuums durch das Menschen daran gehindert wer- gesehen, sondern (analog zu „Gender“) als den, ihr Leben selbstbestimmt und gleich- eine gesellschaftliche Praxis bestimmt, die berechtigt mit anderen zu leben und ihre solche Beeinträchtigungen zum Anlass für kreativen Möglichkeiten zu entfalten, Zuschreibungen aller Art nimmt.16 gewinnt seine positive Handlungsperspek- tive in der selbstbewussten Forderung nach Behinderung in diesem Sinne als gesell- Anerkennung alternativer Lebens- und schaftlich konstruiert zu begreifen, bildet Kommunikationsformen, die den Pluralis- die Voraussetzung dafür, dass man sie als mus einer modernen freiheitlichen Gesell- strukturelles Unrecht adressieren kann. Aus schaft mit prägen. der Sicht der Betroffenen bedeutet dies 16 Zur Analogie und zur Differenz zwischen der gesellschaftlichen Konstruktion von Gender bzw. von Behinderung vgl. Ulrike Schildmann, Geschlecht und Behinderung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 8/ 2003, S. 29-35. 17 Zitiert nach Arnade, a.a.O., S. 3. 9
Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention Die Forderung sozialer Inklusion Ausgrenzung eine freiheitliche und gleich- berechtigte soziale Inklusion einfordert. Der Begriff der Würde wird in der Konven- tion wiederholt in Verbindung zu den Diese Orientierung zeigt sich ebenfalls Begriffen Autonomie und Unabhängigkeit bereits in den allgemeinen Prinzipien, wenn gebracht. So findet sich unter den in der dort die „vollständige und wirksame Parti- Konvention aufgelisteten allgemeinen Prin- zipation und Inklusion in der Gesellschaft“ zipien das Postulat der „Achtung für die als Zielsetzung angesprochen wird.20 Kon- inhärente Würde, für die individuelle Auto- krete Gestalt gewinnt dieses Prinzip zum nomie, einschließlich der Freiheit, eigene Beispiel in den Forderungen nach gleich- Entscheidungen zu treffen, sowie für die berechtigtem Zugang zum Arbeitsmarkt,21 Unabhängigkeit von Personen“.18 Dies ent- nach Möglichkeiten der Teilhabe am kultu- spricht dem klassisch-liberalen Verständ- rellen Leben22, nach inklusiver Bildung23 und nis von Menschenrechten als Rechten nach gleichberechtigter Mitwirkung in der freier Selbstbestimmung, in der die Würde Politik.24 Außerdem enthält die Konvention des Menschen als eines Verantwortungs- das Recht auf eine Staatsangehörigkeit25 subjekts Anerkennung erfährt. Ungewöhn- sowie das Recht auf Ehe und Elternschaft.26 lich ist es hingegen, wenn in der Konven- tion auch die Zielsetzung eines verstärkten Nach der Konvention gehören individuelle Zugehörigkeitsgefühls („enhanced sense of Autonomie und soziale Inklusion unauflös- belonging“) aufgeführt wird.19 Der Begriff lich zusammen; sie müssen für ein ange- des Zugehörigkeitsgefühls kommt meines messenes Verständnis zusammen gelesen Wissens sonst in keiner internationalen und auch in der praktischen Umsetzung Menschenrechtskonvention vor und gehört der Konventionsverpflichtung stets zusam- bislang nicht zum etablierten Vokabular men bedacht werden.27 Anders als gelegent- des Menschenrechtsdiskurses. Er steht sym- lich unterstellt wird, stehen Autonomie bolisch für eine spezifische Stoßrichtung und Inklusion nicht nur keineswegs in der Behindertenrechtskonvention, die gegen Widerspruch zueinander. Vielmehr bedingen die Unrechtserfahrung gesellschaftlicher sie einander wechselseitig: Ohne soziale 18 Vgl. Artikel 3 (a): „Respect for inherent dignity, individual autonomy including the freedom to make one’s own choices, and independence of persons“. 19 Vgl. Präambel (m). 20 Vgl. Artikel 3 (c): „… full and effective participation and inclusion in society“. 21 Vgl. Artikel 27. 22 Vgl. Artikel 30. 23 Vgl. Artikel 24. 24 Vgl. Artikel 29. 25 Vgl. Artikel 18 Absatz 1. 26 Vgl. Artikel 23 Absatz 1. 27 Die Überschrift zu Artikel 19 lautet: „Living independently and being included in the community”. 10
Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention Inklusion kann Autonomie praktisch nicht Der Begriff der Inklusion ist ein Kernbegriff gelebt werden, und ohne Autonomie nimmt der Behindertenrechtskonvention und durch- soziale Inklusion fast zwangsläufig Züge zieht sowohl als Substantiv wie als Adjek- von Bevormundung an. Mit anderen Wor- tiv den gesamten Text. Ihn mit „Integration“ ten: Erst in der wechselseitigen Verwie- bzw. „integrativ“ zu wiederzugeben, wie dies senheit wird klar, dass Autonomie gerade in der offiziellen deutschen Übersetzung nicht die Selbstmächtigkeit des ganz auf geschieht, ist problematisch und wird von sich gestellten Einzelnen (frei nach Wilhelm zahlreichen Fachleuten und von den Behin- Tells Ausspruch: „Der Starke ist am mäch- dertenverbänden zurückgewiesen.29 Zwar tigsten allein“) meint, sondern auf selbst- mag es schwierig sein, die Differenz von bestimmtes Leben in sozialen Bezügen zielt; „Integration“ und „Inklusion“ genau zu be- und im Gegenzug wird deutlich, dass soziale stimmen – zumal es ganz unterschiedliche, Inklusion ihre Qualität gerade dadurch engere oder weitere Integrationskonzepte gewinnt, dass sie Raum und Rückhalt für gibt. Fest steht indessen, dass die Behinder- persönliche Lebensgestaltung bietet. tenrechtskonvention über einen traditio- nellen Integrationsansatz hinausweist. Es Menschen mit Behinderungen haben beide geht nicht lediglich darum, innerhalb der Formen des Unrechts vielfach erlebt: sowohl bestehenden gesellschaftlichen Systeme die Ausgrenzung aus Schule, Arbeitsmarkt, (etwa innerhalb des Schulsystems) gleich- Politik oder Kultur und sogar die Verweige- sam die Türen zu öffnen, um nach Maß- rung von Familienleben und Elternschaft28 gabe des Möglichen für Behinderte Platz zu als auch die Bevormundung durch totale schaffen. Vielmehr ist der Anspruch, die Versorgungsinstitutionen. Es liegt in der Gesellschaft und ihre Subsysteme so zu Natur der Sache, dass das menschenrecht- verstehen, dass Menschen mit Behinderun- liche Empowerment von Menschen mit gen von vornherein darin selbstverständlich Behinderungen stets gegen beide komple- zugehörig sind. Der neue Leitbegriff der mentäre Formen der Entrechtung – Aus- Inklusion signalisiert den geforderten Wan- grenzung wie Bevormundung – gerichtet del hin zu einer selbstverständlichen Zu- sein muss. Positiv formuliert: Es geht um gehörigkeit. soziale Inklusion auf der Grundlage indivi- dueller Autonomie und damit zugleich um Mit dieser Akzentsetzung bei einer freiheit- eine freiheitliche Gestaltung des Zusammen- lichen sozialen Inklusion wird die Behin- lebens in Gesellschaft und Gemeinschaften. dertenrechtskonvention – abgesehen von 28 Vgl. Arnade, a.a.O., S. 3. 29 Vgl. Valentin Aichele, Die UN-Behindertenrechtskonvention und ihr Fakultativprotokoll. Ein Beitrag zur Ratifikationsdebatte, Policy Paper des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Berlin 2008, S. 11f. 11
Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention ihrer primären praktischen Funktion des rungssystemen ist eine Diskriminierung, Empowerment der konkret betroffenen die gegen Menschenrechte verstößt. Zu Menschen – auch für die Menschenrechts- den Rechten auf Inklusion gehört schließ- theorie wichtig. In der Menschenrechts- lich auch jenes elementare Menschenrecht debatte besteht nach wie vor eine Tendenz, auf Rechtsgemeinschaft, das Hannah Arendt die Rechte, die jedem Menschen zukom- nach dem Zweiten Weltkrieg im Blick auf men, in erster Linie als individuelle Ab- die Gruppe der „displaced persons“ postu- wehrrechte gegen Staat, Gesellschaft und liert hat30 und dessen Dringlichkeit sich Gemeinschaften zu verstehen. Darin steckt heute vor allem im Umgang mit Asyl- die richtige Einsicht, dass die Menschen- suchenden zeigt. Man könnte zahlreiche rechte die unverrechenbare Würde jedes weitere Beispiele nennen. einzelnen Menschen schützen – und zwar immer auch gegen etwaige Vereinnahmun- Nicht der oft beschworene Gegensatz von gen des Individuums durch übermächtige Individuum versus Gemeinschaft bzw. Kollektive. Die Abwehrkomponente der Men- Gesellschaft macht demnach die Pointe schenrechte ist und bleibt deshalb auch menschenrechtlicher Emanzipation aus. im Kontext der Behindertenrechtskonven- Vielmehr steht die durch menschenrecht- tion unverzichtbar. liche Individualrechte zu ermöglichende freie Gemeinschaftsbildung in der doppel- Erstaunlich wenig systematische Beach- ten Frontstellung gegen autoritäre, bevor- tung allerdings findet in der menschen- mundende Kollektivismen einerseits und rechtlichen Fachliteratur die Tatsache, dass gegen unfreiwillige soziale Ausgrenzun- die Menschenrechte ihr kritisches Potenzial gen andererseits.31 Menschenrechtswidrig auch gegen unfreiwillige Ausgrenzungen wären demnach z.B. Familienformen, die aus Gemeinschaften oder der Gesellschaft auf erzwungener Eheschließung basieren, entfalten. Dabei ist auch diese Komponente Religionsgemeinschaften, die abtrünnige im Menschenrechtsanspruch von Anfang Mitglieder mit Gewalt bedrohen, oder angelegt. Beispielsweise schützen die Men- Volksdemokratien ohne Pressefreiheit und schenrechte vor Ausbürgerung – eine Maß- ohne Rechte der Opposition. Ebenfalls nahme, die autoritäre Regime gern einge- unter Menschenrechtsgesichtspunkten setzt haben, um lästige Kritikerinnen und inakzeptabel aber wären eine Wirtschafts- Kritiker loszuwerden. Auch die (unfreiwil- politik, die die gesellschaftliche Desinte- lige) Exklusion aus den sozialen Siche- gration von Dauerarbeitslosen tatenlos hin- 30 Vgl. Hannah Arendt, Es gibt nur ein einziges Menschenrecht, in: Die Wandlung 4 (1949), S. 754-770; dies, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München/Zürich 2. Aufl. 1974, S. 452ff. 31 Vgl. Heiner Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, Darmstadt 1998, S. 150ff. 12
Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention nähme, oder eben eine gesellschaftliche Praxis, die Menschen mit Behinderungen Inhaltliche Verbürgungen und vom öffentlichen Leben, beispielsweise aus Umsetzungsverpflichtungen dem Regelschulsystem, absondert. Die UN-Behindertenrechtskonvention steht Menschenrechte setzen nicht nur Grenzen im Kontext der anderen internationalen für Gemeinschaften und die Gesellschaft, Menschenrechtskonventionen, die im Ge- indem sie unveräußerliche Rechte einzelner folge der Allgemeinen Erklärung der Men- Menschen statuieren. Gerade dadurch, dass schenrechte von 1948 entstanden sind.32 sie jedem einzelnen Menschen die Position Sie dient in erster Linie dazu, die bereits eines Subjekts gleichberechtigter Freiheit bestehenden menschenrechtlichen Stan- zuerkennen, eröffnen sie über ihre unver- dards unter dem besonderen Blickwinkel zichtbare negativ-abwehrende Funktion der Menschen mit Behinderungen zu prä- zugleich auch positive Möglichkeiten, zisieren und zu ergänzen. Sie baut also auf Gemeinschaften und die Gesellschaft im den anderen Menschenrechtskonventionen, Ganzen nach Gesichtspunkten von Freiheit auf die in der Präambel Bezug genommen und Gleichberechtigung weiter zu entwi- wird,33 weiter auf. Dementsprechend haben ckeln. Dieses in der Theorie der Menschen- die Verfasserinnen und Verfasser der Konven- rechte zu wenig bedachte Potenzial wird in tion sorgsam darauf geachtet, dass bereits der Behindertenrechtskonvention deutlicher existierende Standards nicht etwa durch als in anderen internationalen Menschen- schwächere Formulierungen unterminiert rechtskonventionen zu Wort gebracht. Nicht werden, sondern im Gegenteil bekräftigt zuletzt darin besteht die Bedeutung die- und gelegentlich ergänzt werden. ser neuen Konvention für die Weiterent- wicklung der Menschenrechtsdiskussion Die Behindertenrechtskonvention wird im Ganzen. gelegentlich als eine „Spezialkonvention“ bezeichnet. Dieser Begriff ist jedoch nicht glücklich gewählt. Er ist regelrecht irre- 32 Neben den beiden umfassenden Menschenrechtspakten von 1966 – dem Internationalen Pakt über wirt- schaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte – sind insbesondere zu nennen: die Internationale Konvention zur Abschaffung aller Formen rassistischer Diskriminierung (1965), das Übereinkommen zur Abschaffung aller Formen der Diskriminie- rung der Frau (1979), die Antifolterkonvention (1984), die Kinderrechtskonvention (1989) sowie die Kon- vention zum Schutz der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien (1990). All diese Konventionen weisen ein hohes Maß an inhaltlicher Übereinstimmung auf – bis hin zu oftmals wortgleichen Formulierungen. Dies muss so sein, denn schließlich bilden sie einander ergänzende Komponenten des einen internatio- nalen Menschenrechtsschutzes. 33 Vgl. Präambel (b). 13
Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention führend und kann leicht dahingehend miss- sche Rechte von 1966 formulierte Verbot, verstanden werden, als enthalte die Kon- Menschen ohne ihren Willen medizinischen vention „Sonderrechte“. In Wahrheit geht es oder wissenschaftlichen Experimenten zu indessen gerade um die Verwirklichung der unterziehen.34 Darüber hinaus beinhaltet allgemeinen Menschenrechte. Das „Spezielle“ die Konvention Bestimmungen für beson- der Konvention besteht nicht in der Formu- dere Gefährdungslagen – etwa bewaffnete lierung etwaiger Spezialrechte, sondern in Konflikte oder Naturkatastrophen. Außer- der speziellen Perspektive der Behinderten dem spricht sie das Problem der Mehrfach- auf die allgemeinen Menschenrechte. Das diskriminierungen an, von denen etwa Frauen Gesamtspektrum der Menschenrechte wird oder Mädchen mit Behinderungen häufig gleichsam unter dem Gesichtspunkt durch- betroffen sind.35 gearbeitet, wie Menschen mit Behinderungen ihre Ansprüche auf Autonomie, Gleichbe- Wie alle Menschenrechtskonventionen rechtigung, Inklusion und Teilhabe wirksam richtet sich auch die Behindertenrechts- zur Geltung bringen können. konvention in erster Linie an den Staat als den Garanten des Rechts, den sie in mehr- Die Behindertenrechtskonvention unter- facher Weise in die Pflicht nimmt.36 Der Staat scheidet sich von anderen Menschenrechts- ist gehalten, die Menschenrechte zunächst konventionen deshalb weniger durch die als Vorgabe (und gegebenenfalls als materialen Rechte als vielmehr durch die Grenze) eigenen Handels zu achten; dar- spezifische Perspektive von Menschen mit über hinaus hat er die betroffenen Men- Behinderungen, aus der sie diese Rechte schen vor drohenden Rechtsverletzungen formuliert und ggf. modifiziert. Charakte- durch Dritte aktiv zu schützen; schließlich ristisch sind, wie bereits erwähnt, die wie- soll er außerdem Infrastrukturmaßnahmen derholte Bezugnahme auf den Begriff der ergreifen, damit die Menschen von ihren Menschenwürde sowie eine besondere Rechten auch tatsächlich Gebrauch machen Akzentsetzung bei den Postulaten sozialer können.37 Diese Infrastrukturkomponente Inklusion und diskriminierungsfreier Parti- ist in der Behindertenrechtskonvention aus zipation. Ausdrücklich bekräftigt wird das verständlichen Gründen stark ausgeprägt. bereits im Pakt für bürgerliche und politi- Denn viele der Partizipationshindernisse, 34 Im Anschluss an das Folterverbot in Artikel 15 Absatz 1 Satz 2 heißt es: „In particular, no one shall be subjected without his or her free consent to medical or scientific experimentation.“ (Satz 2). 35 Vgl. Artikel 6 Absatz 1. 36 Vgl. insbesondere Artikel 4, der sich ausführlich mit den unterschiedlichen Staatenpflichten beschäftigt. 37 Diese drei Verpflichtungsebenen – formelhaft zusammengefasst in den Pflichten „to respect, to protect, to fulfil“ – werden in der internationalen Menschenrechtsdiskussion seit einigen Jahren unter dem Begriff der menschenrechtlichen Pflichtentrias thematisiert. Vgl. dazu Ida Elisabeth Koch, Dichotomies, Trichotomies or Waves of Duties, in: Human Rights Law Review 5 (2005), S. 81-103. 14
Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention unter denen Menschen mit Behinderungen auszugestalten, dass man die Implementie- leiden, hängen mit physischen oder men- rung auf nationaler Ebene stärkt. Die Erfah- talen Barrieren zusammen, deren Überwin- rung hat gezeigt, dass die Tätigkeit der für dung breit angelegte staatliche und gesell- die Überwachung der internationalen Kon- schaftliche Anstrengungen und auch die ventionen zuständigen UN-Ausschüsse Bereitschaft zur Übernahme von Kosten wenig Wirkung entfaltet, wenn sie nicht verlangt.38 rückgekoppelt ist mit Aktivitäten, die in den jeweiligen Ländern stattfinden. Es geht In prozeduraler Hinsicht verpflichten sich deshalb darum, Institutionen auf nationaler die Staaten dazu, mindestens alle vier Jahre Ebene zu schaffen, die – in Verbindung mit einen Bericht über die Umsetzung der Kon- den jeweiligen UN-Ausschüssen – die Um- ventionsverpflichtungen zu verfassen39 und setzung international verankerter Men- einem unabhängigen Sachverständigen- schenrechtsnormen systematisch begleiten. ausschuss der Vereinten Nationen („Com- mittee on the Rights of Persons with Dis- Die Behindertenrechtskonvention spricht abilities“)40 zur Prüfung vorzulegen. Mit in Artikel 33 näherhin drei Ebenen der diesem Staatenberichtsverfahren knüpft die nationalen Umsetzung an, die einander Behindertenrechtskonvention an einen wechselseitig ergänzen.42 Es sind dies die Monitoringmechanismus an, der im Rahmen Regierung, innerhalb derer die Zuständig- der anderen Menschenrechtskonventionen keitsbereiche klar definiert werden sollen, zum Teil schon seit Jahrzehnten existiert. nationale Menschenrechtsinstitutionen, Neu sind demgegenüber die Verpflichtun- die ein unabhängiges strukturelles Moni- gen, die darauf abzielen, eine systematische toring der Konventionsumsetzung leisten Überwachung der Umsetzung vor Ort – sollen, sowie schließlich die Zivilgesell- also in den einzelnen Staaten selbst – zu schaft, zur der insbesondere auch Betroffe- gewährleisten.41 Die Konvention folgt hier nenorganisationen gehören. Die Bundes- der jüngeren Tendenz, menschenrechtliche regierung hat das Deutsche Institut für Schutzmechanismen dadurch effektiver Menschenrechte damit beauftragt, als 38 Die in der Konvention angesprochenen Infrastrukturmaßnahmen umfassen zum Beispiel öffentliche Bewusstseinsbildung, Trainingsprogramme für das Fachpersonal, das mit behinderten Menschen umgeht, eine integrative Politik in Richtung auf Schule, Arbeitsmarkt und Kulturleben sowie Angebote der gesundheitlichen Rehabilitation. Erwähnt sei auch die Verpflichtung der Staaten zu Erhebung aussage- kräftiger statistischer Daten, auf deren Grundlage gesellschaftliche Diskriminierung – insbesondere auch indirekte Formen der Diskriminierung – besser erkannt und bearbeitet werden können. 39 Vgl. Artikel 35. 40 Vgl. Artikel 34. 41 Vgl. Artikel 33. 42 Zum Monitoring vgl. Aichele, a.a.O. S. 10f. 15
Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention Monitoring-Stelle43 für die Konvention zu wicklung des Menschenrechtsdiskurses. fungieren. Beachtung verdient insbesondere die starke Akzentsetzung auf soziale Inklusion, die ausdrücklich vom Postulat individueller Fazit: Das innovative Potenzial Autonomie her gedacht und von dorther von vornherein als eine freiheitliche Inklu- der Konvention sion definiert wird. Diese Zielsetzung ist Die Bedeutung der Behindertenrechtskon- zwar nicht per se neu, hat in der Theorie der vention besteht zunächst darin, dass sie Menschenrechte und im Selbstverständnis den internationalen Menschenrechtsschutz der Menschenrechtsbewegung bisher aller- auf die besonderen Gefährdungslagen von dings wenig systematische Aufmerksamkeit Menschen mit Behinderungen hin konkre- gefunden. Die Behindertenrechtskonven- tisiert und präzisiert. Dass die Diskriminie- tion kann insofern dazu beitragen, gewisse rung Behinderter als Menschenrechtsthema Einseitigkeiten im Selbstverständnis und in einer eigenen Konvention angesprochen in der Selbstdarstellung der Menschen- und systematisch auf die verschiedenen rechtsbewegung zu überwinden. Lebensbereiche bezogen wird, stellt einen wichtigen Fortschritt dar. Dies gilt umso Schließlich hat die Konvention Bedeutung mehr, als die Behindertenrechtskonvention für die Humanisierung der Gesellschaft im den internationalen Menschenrechtsschutz Ganzen. Indem sie Menschen mit Behin- auch in prozeduraler Hinsicht ergänzt, derungen davon befreit, sich selbst als „de- indem sie einen eigenen Monitoring- fizitär“ sehen zu müssen, befreit sie Mechanismus – entsprechend den Über- zugleich die Gesellschaft von einer falsch wachungsverfahren der anderen Menschen- verstandenen Gesundheitsfixierung, durch rechtskonventionen – etabliert. die all diejenigen an den Rand gedrängt werden, die den durch Werbewirtschaft Die Behindertenrechtskonvention bedeutet und Biopolitik vorangetriebenen Impera- aber weit mehr als eine Ergänzung des be- tiven von Fitness, Jugendlichkeit und per- stehenden Menschenrechtsschutzsystems manenter Leistungsfähigkeit nicht Genüge durch die besondere Berücksichtigung der tun. In diesem Sinne kommt der „diversity- spezifischen Belange Behinderter. Sie gibt Ansatz“, für den die Behindertenrechts- auch wichtige Impulse für eine Weiterent- konvention steht, zuletzt uns allen zugute. 43 Vgl. www.institut-fuer-menschenrechte.de/monitoring-stelle 16
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Deutsches Institut für Menschenrechte German Institute for Human Rights Zimmerstrasse 26/27 D-10969 Berlin Phone: (+49) (0)30 – 259 359 0 Fax: (+49) (0)30 – 259 359 59 info@institut-fuer-menschenrechte.de www.institut-fuer-menschenrechte.de
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