Zur Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen - Stiftung Aufarbeitung
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Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen Herausgegeben von Anna Kaminsky im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Erarbeitet von Anna Kaminsky, Ruth Gleinig und Lena Ens. Sandstein Verlag, Dresden
Gedenkstätte und Museum »Sowjetisches Speziallager Nr. 7 / Nr. 1« Sachsenhausen Oranienburg / Sachsenhausen. Nur wenige Ki- sich in der ehemaligen Dienstvilla des »In- lometer nördlich von Berlin befindet sich der spekteurs der Konzentrationslager« befindet. weitläufige Komplex der Gedenkstätte und des Das KZ Sachsenhausen wurde im Sommer Museums Sachsenhausen. Von 1936 bis 1945 1936 von Häftlingen aus den Emslandlagern als Konzentrationslager genutzt, unterhielt die errichtet. Es war die erste Neugründung eines sowjetische Geheimpolizei NKWD dort von 1945 Konzentrationslagers nach der Ernennung des bis 1950 das größte der insgesamt zehn Spezial- Reichsführers SS Heinrich Himmler zum Chef lager in der SBZ. 1961 eröffnete an diesem Ort der Deutschen Polizei im Jahr 1936. Als Mo- die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Sach- dell- und Schulungslager der SS und KZ in un- senhausen, in der zu DDR-Zeiten ausschließlich mittelbarer Nähe der Reichshauptstadt nahm das NS-Konzentrationslager erwähnt wurde. Sachsenhausen eine Sonderstellung im System Nach 1990 wurden bis dahin verschwiegene der nationalsozialistischen Konzentrationslager Lagerkapitel sowie tabuisierte Opfergruppen in ein: 1938 wurde die Verwaltungszentrale für die Darstellung einbezogen. Seit 1993 gehört die alle Konzentrationslager im deutschen Macht- Gedenkstätte zur Stiftung Brandenburgische Ge- bereich von Berlin nach Oranienburg verlegt. denkstätten und wurde umfassend umgestaltet. Zu dem fast 400 Hektar umfassenden KZ- Heute ist sie ein Ort der Erinnerung an das Komplex in Oranienburg gehörten ausgedehnte NS-Konzentrationslager Sachsenhausen und Wohnsiedlungen für die höheren SS-Dienst- an das sowjetische Speziallager. Im Rahmen grade und ihre Familien, außerdem das ab eines dezentralen Museumskonzepts wird die 1938 an der Lehnitzschleuse errichtete Außen- Geschichte von Sachsenhausen mit seinen ver- lager »Klinkerwerk« sowie umfangreiche logis- schiedenen Phasen dargestellt und dokumen- tische und militärische Funktionsbereiche der SS. tiert. Ein 2004 eröffnetes Besucherzentrum im Zwischen 1936 und 1945 hielten die Natio- Eingangsbereich führt in die komplexe Ge- nalsozialisten im KZ Sachsenhausen mehr als schichte des Ortes ein. 200 000 Menschen aus etwa 40 Nationen ge- Im unmittelbaren Umfeld der Gedenkstätte fangen. Zunächst inhaftierte die SS dort poli- befinden sich drei als Friedhöfe gestaltete Mas- tische Gegner des NS-Regimes: Kommunisten, sengräber des sowjetischen Speziallagers, in Sozialdemokraten, liberale und konservative denen 12 000 Tote anonym verscharrt wurden. Politiker, dann zunehmend auch sozial und Seit Herbst 2006 ist der Gedenkstätte die Inter- »rassisch« Verfolgte wie Juden, Christen, Zeu- nationale Jugendbegegnungsstätte – Jugend- gen Jehovas, Sinti und Roma sowie Homosexu- herberge »Haus Szczypiorski« angegliedert, die elle. Im Zuge der Aktion »Arbeitsscheu Reich« 78 DEUTSCHLAND | ORANIENBURG / SACHSENHAUSEN
Historische Aufnahme vom Lager Sachsenhausen kurz nach der Ankunft im Lager. Nachdem be- reits 1940 ein Krematorium mit einem Verbren- nungsofen in Betrieb genommen worden war, des Reichskriminalpolizeiamts lieferte die SS errichtete die SS 1942 im Industriehof ein neues im März und Juni 1938 über 6 000 als »asozial« Gebäude, das neben vier Verbrennungsöfen eingestufte Menschen in das Lager ein. Nach eine weitere Genickschussanlage und (ab 1943) der Pogromnacht vom 9. / 10. November 1938 eine Gaskammer enthielt. wurden mehr als 6 000 Juden aus Berlin und Der »Vernichtung durch Arbeit« fielen un- anderen Teilen des Deutschen Reiches nach zählige Häftlinge zum Opfer. Die Gefangenen Sachsenhausen deportiert. mussten in SS-eigenen Betrieben und in rund Seit Beginn des Zweiten Weltkriegs am 100 KZ-Außenlagern für die SS oder die Rüstungs- 1. September 1939 kamen zunehmend Häftlinge industrie Zwangsarbeit leisten. Von der stärke- aus den von Deutschland besetzten Ländern ren Einbeziehung der Konzentrationslager in Europas nach Sachsenhausen. Aufgrund der die Kriegsproduktion ab 1942 profitierten die ständig wachsenden Zahl der Insassen ver- großen Rüstungsbetriebe wie die Allgemeine schlechterten sich die Haftbedingungen rapide. Elektrizitäts-Gesellschaft (AEG), Siemens & Halske, Tausende Menschen starben an Unterernäh- das DEMAG-Panzerwerk, Heinkel Flugzeugwerke, rung, Krankheit, Erschöpfung und Misshand- die Daimler-Benz-Werke und die IG Farben. lungen oder wurden von der SS im Rahmen Insgesamt kamen mehrere Zehntausend Men- spezieller »Aktionen« ermordet. Im Spätsom- schen im KZ Sachsenhausen ums Leben. Kurz vor mer und Herbst 1941 wurden innerhalb weniger Kriegsende wurde das Lager evakuiert, wobei Wochen mehr als 10 000 sowjetische Kriegs- die SS etwa 3 000 nicht »marschfähige« Häft- gefangene in einer eigens dafür errichteten linge zurückließ. Diese wurden am 22. / 23. April Genickschussanlage von der SS umgebracht. 1945 durch sowjetische und polnische Einhei- Weitere 3 000 starben auf dem Transport oder ten befreit. Mehr als 35 000 Häftlinge hatten DEUTSCHLAND | ORANIENBURG / SACHSENHAUSEN 79
Eingang zur Gedenkstätte und Insgesamt wurden rund 30 000 Menschen auf- zum Museum Sachsenhausen grund des Befehls Nummer 00315 als soge- nannte Internierte nach Sachsenhausen ge- bracht. Diese Häftlinge waren nach den Be- zwei Tage zuvor die Baracken verlassen müssen. stimmungen des Potsdamer Abkommens prä- Sie wurden auf ihrem »Todesmarsch« Richtung ventiv verhaftet worden und blieben über Schwerin von Einheiten amerikanischer und Jahre ohne formelles Gerichtsurteil unter un- sowjetischer Truppen befreit. Viele Häftlinge menschlichen Bedingungen eingesperrt. Unter überlebten den Marsch nicht. ihnen befanden sich vor allem untere und Ab August 1945 wurde das ehemalige KZ als mittlere NSDAP-Funktionäre wie Block- und »Speziallager Nr. 7« von der sowjetischen Ge- Zellenleiter. Auf den Einlieferungslisten sind heimpolizei NKWD genutzt. Der erste Transport auch Angehörige von SS, Gestapo oder KZ- mit 150 Häftlingen des sogenannten Vorkom- Wachmannschaften, Mitarbeiter von NS-Mi- mandos traf am 10. August in Sachsenhausen nisterien und Behörden sowie Jugendliche, ein, um das Barackenlager für die Aufnahme einfache Mitglieder von NS-Jugendorganisa- weiterer Häftlinge vorzubereiten, insbesondere, tionen, politische Gegner und willkürlich Ver- um die Schäden an den Sicherungsanlagen zu haftete verzeichnet. beheben. Am Morgen des 16. August wurden Anfang des Jahres 1946 kam eine neue Häft- im 40 Kilometer entfernten Weesow 5 000 Häft- lingsgruppe ins Lager. Sie wurde in der Zone II, linge in Marsch gesetzt. Sie kamen am Abend in einem gesonderten Lagerbereich, getrennt von Sachsenhausen an und wurden im Baracken- den Internierten untergebracht. Es handelte dreieck, in der sogenannten Zone I, unterge- sich dabei um 6 000 ehemalige Offiziere der bracht. Bis zum Ende des Jahres 1945 waren in deutschen Wehrmacht, die aus westalliierter Sachsenhausen über 11 000 Personen inhaftiert. Kriegsgefangenschaft entlassen, von der sow- 80 DEUTSCHLAND | ORANIENBURG / SACHSENHAUSEN
jetischen Geheimpolizei NKWD beim Betreten len, jedoch kann in vielen Fällen von Willkür der SBZ erneut inhaftiert und über Sachsen- und unter Folter erpressten Geständnissen aus- hausen schließlich in die Sowjetunion zur gegangen werden. Die Mehrheit der Häftlinge Zwangsarbeit deportiert wurden. waren deutsche Männer. Bei den 7 500 Auslän- Am 16. und 17. September 1946 überstellte dern – vor allem Russen, Ukrainer und Polen – das NKWD die ersten Häftlinge, die durch ein handelte es sich um zahlreiche von den sow- Sowjetisches Militärtribunal (SMT) verurteilt jetischen Geheimdiensten verfolgte russische worden waren, ins Speziallager Sachsenhau- Emigranten, sowjetische Kriegsgefangene, ehe- sen. Sie kamen aus den mecklenburgischen malige Zwangsarbeiter und Soldaten der Roten Gefängnissen Alt-Strelitz und Güstrow. Ins- Armee, aber auch um Angehörige der Wlas- gesamt waren über 16 500 SMT-Verurteilte in sow-Armee. Die Lagerverwaltung hielt sie in Sachsenhausen inhaftiert. Die Mehrheit der gesonderten Baracken gefangen, isoliert von Urteile basierte auf dem berüchtigten Paragra- den anderen Häftlingen. Die Mehrzahl der rus- fen 58 des Strafgesetzbuches der Russischen sischen Emigranten und Bürger der Sowjetunion Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik aus blieb nur wenige Monate in Sachsenhausen, bis dem Jahr 1927. Das Spektrum der in den sow- sie von hier aus in die Straflager des sowjeti- jetischen Akten zu findenden Haftgründe ist schen GULag transportiert oder in der Sowjet- breit: Spionage, Waffenbesitz, antisowjetische union hingerichtet wurden. Propaganda, Werwolf-Tätigkeit, illegale Grup- penbildung, NS-Verbrechen, Diebstahl, Wirt- schaftsvergehen, Verkehrsunfälle mit Sach- und Personenschäden, Mitwisserschaften und vie- les mehr. Was sich jeweils konkret hinter sol- chen Vorwürfen verbarg, bleibt oft im Dunk- DEUTSCHLAND | ORANIENBURG / SACHSENHAUSEN 81
Insgesamt hielt die sowjetische Besatzungsmacht größte der drei Massengräber im nordöstlichen in Sachsenhausen zwischen 1945 und 1950 etwa Umfeld des Lagers wurde durch die Arbeits- 60 000 Personen gefangen. Mindestens 12 000 gemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945 – 1950 Gefangene starben dort an den Folgen von e. V. zu einem Friedhof mit einem Gedenkstein Unterernährung, Kälte und Krankheiten. umgestaltet. Die Speziallager waren im Unterschied zu Im Dezember 2001 eröffnete das Museum den Lagern in der Sowjetunion keine Arbeits- »Sowjetisches Speziallager Nr. 7 / Nr. 1 in Sach- lager, das heißt, die Gefangenen waren zur Un- senhausen 1945 – 1950«. Die ständige Ausstel- tätigkeit gezwungen. Den Häftlingen war jeg- lung dokumentiert auf einer Fläche von über licher Kontakt zur Außenwelt strikt verboten 350 Quadratmetern den Aufbau, die Organisa- (»Schweigelager«). Es herrschten katastrophale tion und den Haftalltag im Lager sowie dessen hygienische und sanitäre Verhältnisse, hinzu öffentliche Wahrnehmung in Ost und West. kam eine unzureichende Ernährung. Zwangs- Einen Schwerpunkt der Ausstellung bildet die läufig breiteten sich Krankheiten und Epide- Darstellung der Verfolgungsschicksale von 27 mien aus. Häftlingen des Speziallagers. Zum Museum ge- Etwa 5 000 Häftlinge wurden nach dem hören zwei in unmittelbarer Nähe befindliche offiziellen Abschluss der Entnazifizierung in Originalsteinbaracken der Zone II. In diesen bei- der SBZ 1948 aus dem »Speziallager Nr. 7« ent- den Gebäuden wird der Haftalltag im Lager do- lassen. Bis zur Auflösung der sowjetischen Spe- kumentiert. ziallager in der DDR im Frühjahr 1950 wurde das Zur Gedenkstätte gehören zudem eine Bib- Lager in Sachsenhausen als »Speziallager Nr. 1« liothek und ein Archiv. Nach Voranmeldung sind weitergeführt. Im Januar und Februar 1950 wur- Führungen und thematische Sonderführungen den insgesamt rund 8 000 Häftlinge entlassen, mit einem Einführungsfilm möglich. 2010 er- etwa 260 Häftlinge in die Lager der Sowjet- schien ein mit Unterstützung der Bundesstif- union deportiert. Mehrere Tausend Gefangene tung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur erar- überstellte die sowjetische Geheimpolizei an beitetes Buch mit den Namen von fast 12 000 die Behörden der DDR. Von diesen wurden 550 Toten der Speziallager Weesow und Sachsen- in den »Waldheimer Prozessen« verurteilt. hausen. Bis zur Eröffnung der Gedenkstätte 1961 wurde das Lagergelände als Übungsplatz der NVA genutzt. Nachdem das Speziallager in der Standort: Oranienburg, Straße der Nationen 22 Nationalen Mahn- und Gedenkstätte der DDR Internet: www.stiftung-bg.de über Jahrzehnte verschwiegen worden war, begann 1990 mit dem Fund der Massengräber die Annäherung an die »zweite« Geschichte von Sachsenhausen. Bereits im Sommer 1990 wurde ein Gedenkstein zu Ehren der Opfer sta- linistischer Willkür am ehemaligen Durchgang zwischen Zone I und Zone II eingeweiht. Au- ßerhalb des Sachsenhausener Gedenkstätten- geländes, an der Carl-Gustav-Hempel-Straße, wird an dem Massengrab »An der Düne« mit einem Gedenkstein an die Opfer des Spezial- lagers erinnert. Zudem gibt es ein weiteres Massengrab im Schmachtenhagener Forst. Das 82 DEUTSCHLAND | ORANIENBURG / SACHSENHAUSEN
Impressum © 2018 Sandstein Verlag, Dresden und Bundes- stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Herausgegeben von Anna Kaminsky im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Kronenstraße 5 10117 Berlin www.bundesstiftung-aufarbeitung.de buero@bundesstiftung-aufarbeitung.de Fachlektorat Maria Matschuk Lektorat Sina Volk, Sandstein Verlag Satz und Reprografie Jana Felbrich, Jana Neumann, Sandstein Verlag Gestaltung Jana Felbrich, Sandstein Verlag Druck und Verarbeitung FINIDR, s. r. o. Český Těšín Titelmotiv Mahnmal für die Opfer der Hungerkatastrophe in Kasachstan (© Jens Schöne) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbib- liografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk einschließlich seiner Teile ist urhe- berrechtlich geschützt. Jede Verwertung außer- halb der engen Grenzen des Urheberrechts- gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikro- verfilmungen und die Einspeicherung und Ver- arbeitung in elektronischen Systemen. www.sandstein-verlag.de ISBN 978-3-95498-390-2 47 2
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