Burnout als Protest gegen ein Ungleichgewicht
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Was ist Burnout? Burnout als Protest gegen ein Ungleichgewicht An dieser Stelle möchte ich es wagen, Ih- nicht zu einer so starken Depression führt, nen meine eigene Definition von Burnout dass der Betroffene einen Suizid erwägt). vorzustellen und zu erläutern. Burnout ist eine Form des Protests Ein hilfreiches Warnsignal gegen ein Ungleichgewicht in Ihrem Organismus. Es mag jetzt vielleicht etwas befremdlich klingen, aber sollten wir dem, sollten wir Lassen Sie uns diese Definition doch ein- unserem Burnout nicht sogar etwas dank- mal aufdröseln. Lesen Sie bitte den Satz bar sein, dass es uns mit seinen lästigen, noch einmal, aber betonen Sie dabei das unangenehmen, aber noch nicht gefähr- Wort »eine«. Dann merken wir, dass es lichen Symptomen darauf hinweist, dass möglicherweise mehrere, unterschiedli- etwas in unserem Leben nicht stimmt? che Formen des Protestes gibt. Eine andere Der Patient, der durch Stress und zu viel Möglichkeit wäre etwa die Entwicklung Arbeit einen Bluthochdruck entwickelt eines Magengeschwürs, einer rheumati- hat (der leider nicht weh tut und darum schen Erkrankung oder eines Herzinfarkts. keinen Leidensdruck verursacht), in der Wenn Sie wählen dürften, auf welche Art Folge ohne Vorwarnung einen Schlaganfall und Weise Ihr Organismus Ihnen sagen erlitten hat und nun sein Leben im Roll- will, dass etwas nicht stimmt, für welche stuhl fristet, wäre froh, »nur« ein Burnout Krankheit würden Sie sich entscheiden? gehabt zu haben, gegen das er etwas hätte tun können. Seien Sie Ihrem Organismus Ich möchte Burnout jetzt keineswegs ver- also dankbar, dass er gerade diese Form harmlosen. Es handelt sich um eine be- des Protestes gewählt hat – es hätte auch deutsame und in seiner schweren Ausprä- noch schlimmer kommen können! gung sogar um eine schlimme Krankheit, ▬ Burnout verläuft schleichend – wir kön- die den Einzelnen in die totale Verzweif- nen es rechtzeitig erkennen und gegen- lung treiben kann. Aber sie hat gegenüber steuern. anderen schweren, chronischen Krank- ▬ Burnout ist äußerst unangenehm – je- heiten doch einige Vorteile. Sie verläuft doch nicht lebensbedrohlich. in der Regel schleichend (das ist nicht nur ▬ Burnout verursacht viele Symptome – ein Vorteil, da der Betroffene sie dadurch aber alle sind vollständig reversibel. lange Zeit verkennt), was aber die Chance bietet, sie rechtzeitig erkennen und be- Betrachten wir uns den »Protest«. Ein Pro- handeln zu können, bevor sie ein wirklich test ist immer ein Aufbegehren, ein Wehren bedrohliches Stadium erreicht hat. Sie ist gegen ein als ungerecht empfundenes Vor- auch nicht lebensbedrohlich (wenn Sie gehen. Haben Sie sich schon einmal über- 14 aus: Schmiedel, Burnout (ISBN 9783830435495) © 2010 Trias Verlag
Burnout als Protest gegen ein Ungleichgewicht legt, dass Ihr Organismus sich gegen Ihr eine Dysbalance zwischen den Faktoren, Verhalten, Ihre Einstellungen, Ihre Lebens- die die Gefäße verengen, und denen, die weise wehrt und Ihnen mitteilen möchte, sie erweitern. Es gilt bei jeder Erkrankung, dass er mit dem, was Sie tun oder wie Sie die Art des Ungleichgewichts zu erkennen es tun, nicht ganz einverstanden ist? Die und – wenn irgend möglich – wieder ein Symptome, die er entwickelt, sind Aus- harmonisches Gleichgewicht herzustellen. druck dieses Protestes, zunächst noch ganz Die Art des Ungleichgewichtes kann beim milde, aber wenn Sie auf ihn nicht hören Burnout vielfältiger Natur sein. wollen, auch deutlicher, zuletzt sogar quä- lend. Ihr Organismus kommuniziert mit Die Abbildung der Waage veranschaulicht Ihnen – hören Sie ihm zu, dann nehmen diesen Zusammenhang. Wir können mehr Sie dem Protest den Wind aus den Segeln. Stress ausgesetzt sein, als wir verkraf- ten können. Unsere Anspannungs- und Entspannungsphasen stehen in keinem Wo sind Ungleichgewichte? adäquaten Verhältnis zueinander. Wir ver- fügen über weniger Nährstoffe, als wir für Ihr Organismus wehrt sich gegen ein »Un- unseren Energiestoffwechsel benötigen. gleichgewicht«. Eigentlich ist die Ursache Wir nehmen mehr Genussmittel zu uns, jeder Erkrankung ein Ungleichgewicht. Bei als uns guttut. Dies sind nur einige Bei- einer Infektion waren die Abwehrzellen des spiele. Gelingt es uns, das gestörte Gleich- Immunsystems (zumindest zu Beginn der gewicht (nicht selten gibt es auf mehreren Infektion) den Krankheitserregern unter- Ebenen gleichzeitig ein solches Ungleich- legen. Bei einem Bluthochdruck herrscht gewicht) wiederherzustellen – im Bild 왘 Die Lösung des Burnoutproblems ist (zumindest theore- tisch) ganz einfach: Ressourcen Verringern Sie die Belastungen oder vermehren Sie die Belastungen Ressourcen – dann kann die Waagschale Gesundheit sich wieder in ein ge- Burnout sundes Gleichgewicht bewegen. 15 aus: Schmiedel, Burnout (ISBN 9783830435495) © 2010 Trias Verlag
Was ist Burnout? unsere Ressourcen-Waagschale zu füllen, die nachlassende Fähigkeit, geistig an- dann haben wir eine gute Chance, dass spruchswollen Aufgaben gerecht zu wer- unser Organismus nicht mehr protestieren den. Und schließlich meldet sich auch die muss – und sich die Waage wieder in der Seele zu Wort, wenn der Burnoutpatient Mitte einpendelt. einerseits zu aggressiven Schuldzuweisun- gen greift oder andererseits in eine resig- native Depression verfällt. Mit Organismus Es geht um Körper, Geist und ist die Gesamtheit unserer Strukturen und Seele Funktionen gemeint, also Körper, Geist und Seele. Ich habe in diesen Abschnitten stets das Wort »Organismus« verwendet. Ich hät- te auch »Körper« schreiben können, aber Es ist »Ihr« Burnout was ich meine, geht weit über den Körper hinaus. Natürlich kann unser Organismus Und zum Schluss möchte ich auch noch beim Burnout auch körperliche Symptome die Bedeutung »Ihres« Organismus beto- entwickeln wie etwa Rückenschmerzen nen. Es sind »Ihre« Symptome, unter denen oder Herzbeschwerden. Genauso treten Sie leiden. Es ist »Ihr« Organismus, der aber auch geistige Symptome auf wie etwa Ihnen etwas sagen will. Und es »Ihr« per- mangelnde Konzentrationsfähigkeit oder sönliches Burnout. Die Symptomatik vieler INFO Burnout spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab Betrachten wir uns zunächst die körper- ▬ Entscheidungsschwäche liche Ebene. Hier geben Patienten oft ▬ eine verminderte Belastbarkeit folgende Symptome an: ▬ eine verminderte Motivation ▬ Herzbeschwerden ▬ verminderte Kreativität ▬ Verdauungsbeschwerden ▬ Kopfschmerz Und auf der emotionalen Ebene ist Burn- ▬ Müdigkeit out oft begleitet von: ▬ Lustlosigkeit ▬ Unruhe ▬ Muskelverspannungen ▬ Nervosität ▬ Rückenschmerzen ▬ Pessimismus ▬ depressiven Verstimmungen Auf der mentalen Ebene klagen Betroffe- ▬ einem Gefühl der inneren Leere ne häufig über: ▬ einem verminderten Selbstwertgefühl ▬ Konzentrationsstörungen ▬ Antriebslosigkeit 16 aus: Schmiedel, Burnout (ISBN 9783830435495) © 2010 Trias Verlag
Burnout als Protest gegen ein Ungleichgewicht Burnoutpatienten ähnelt sich. Burnoutpa- Ich habe diese Absätze nicht geschrieben, tienten haben viele Gemeinsamkeiten, die um Burnout zu verharmlosen, sondern um Burnout erst ermöglichen. Aber kein Burn- Ihnen auch andere Perspektiven aufzu- out gleicht dem anderen. »Ihr« Burnout zeigen. Sie können sich dieser Sichtweise bedeutet, dass es Ihnen möglicherweise anschließen oder zu einer ganz anderen etwas ganz anderes sagen möchte, als das Bewertung gelangen. Dann haben Sie aber Burnout Ihres Arbeitskollegen demselben. Ihre Gründe dafür. In jedem Fall haben Sie »Ihr« Burnout bedeutet auch, dass Sie bzw. ein Problem von anderer Seite betrachtet. Ihr Organismus es entwickelt hat und Vielleicht bekommen Sie auch eine andere dass Sie dafür verantwortlich sind (nicht Einstellung zu »Ihrem Burnout«, können zu verwechseln mit Schuld!). Und es liegt es akzeptieren, sich mit ihm anfreunden auch in »Ihrer« Macht, das Burnout zu hei- oder zumindest einen Waffenstillstand len oder erträglich zu machen. Ärzte, Psy- mit ihm schließen. Vielleicht betrachten chologen oder auch Burnoutratgeber wie Sie es nicht mehr als Ihren Feind, den es dieser können Ihnen nur Wegweiser auf- unter allen Umständen zu vernichten gilt, stellen, wohin die Reise zu einem besseren sondern als einen Teil Ihrer selbst, der zu Wohlbefinden gehen mag. Ob der einzu- Ihnen gehört und nicht nur etwas Schlech- schlagende Weg Erfolg verspricht oder ob tes darstellt. Dann können Sie möglicher- Sie diesen überhaupt gehen mögen, ent- weise sogar etwas Hilfreiches von Ihrem scheidet niemand anderes als Sie selbst! Burnout lernen. Gabi »Ich wollte immer anderen helfen – jetzt brauche ich selbst Hilfe« Gabi (34) stammt aus einfachen Verhältnissen. Sie hat nach einer Lehre ihr Abi auf dem zweiten Bildungsweg gemacht und dann ihr Wunschfach Psychologie studiert. Wie sich bei ihr ein Burnoutsyndrom entwickelte, schildert sie am bes- ten selbst: »Das Studium war anstrengend und sehr theoretisch; ich musste mich da ziemlich durchboxen. Die vielen Seminare, Kurse und Supervisionen, die ich auch nach dem Studium noch absolvieren musste, um Zusatzqualifikationen zu erlangen, kosteten mich viel Zeit, Geld und Nerven. Aber ich habe durchgehalten, weil ich Menschen, die krank sind und Schutz brauchen, helfen möchte. Meine Oma war depressiv und hat Selbstmord begangen. Das war ein totaler Schock für mich, weil ich sehr an ihr hing. Das Psychologiestudium war wohl auch eine Art Verarbeitungsversuch. Dann arbeitete ich in einer kardiologischen Reha-Klinik. Dort konnte ich etwas für andere Menschen tun, ihnen dabei helfen, nach einem Herzinfarkt ihr Leben 17 aus: Schmiedel, Burnout (ISBN 9783830435495) © 2010 Trias Verlag
Was ist Burnout? neu zu ordnen und einen Neuanfang zu wagen. Ich war mit Feuereifer dabei, die Schicksale der einzelnen Patienten haben mich sehr berührt. Ich habe mich we- sentlich mehr engagiert als beispielsweise meine Kollegen; das wurde von mei- nen Vorgesetzten aber überhaupt nicht anerkannt. Im Gegenteil. Ironie des Schicksals Meine Arbeitskollegen machen Dienst nach Vorschrift, machen – ich arbeite in einer viele Witzchen mit den Patienten (und hinter deren Rücken auch Herzklinik und bekom- über die Patienten), sind nicht so mitfühlend und engagiert wie me selbst Herzrhyth- ich, sind aber dennoch beliebter als ich, sowohl bei den Patien- musstörungen. ten als auch bei den Ärzten. Das setzte mir ganz schön zu. Meine Arbeit hat mich immer stärker erschöpft; Misserfolge haben mich über Tage verfolgt; die Erfolge, die schon auch immer wieder da waren, haben mir aber keine neue Energie gegeben. Ich fühlte mich ausgelaugt, bekam Rücken- schmerzen und – Ironie des Schicksals – auch Herzrhythmusstörungen. Ich wurde also in der Herzklinik schulmedizinisch perfekt durch untersucht: Diagnose ›funktionelle Herzbeschwerden‹. Das heißt, organisch war alles o.k. – die Beschwerden mussten also psychisch bedingt sein, damit kenne ich mich ja eigentlich aus. Aber wenn es einen selbst betrifft, ist es noch einmal etwas ande- res. Ich wollte auf keinen Fall als ›Psychotante‹ gelten, die es jetzt selbst erwischt hat. Ich habe die Zähne zusammengebissen und versucht, mich noch besser weiterzubilden, habe am Wochenende weitere Kurse belegt und Fachliteratur ge- wälzt. Und dann kam die Sache mit Wolfgang, einem ›Musterpatienten‹, der super mitgemacht hatte, mit dem ich sehr intensiv und erfolgreich gearbeitet hatte. Ausgerechnet dieser Patient erlitt einen tödlichen Re-Infarkt – 2 Tage bevor er nach Hause entlassen werden sollte. Ich war total verzweifelt. Warum gerade er? Warum nicht andere Patienten, die unbelehrbar so weiter rauchen, trinken und essen wie zuvor? Was habe ich bloß falsch gemacht? Hätte ich das verhindern können? Dieses Erlebnis hat mir den Rest gegeben, in den nächsten Wochen habe ich mich nur noch zur Arbeit geschleppt. Morgens jede Menge Kaffee und abends Beruhigungsmittel. Meine Herzrhythmusstörungen wurden trotz der Einnahme von Betablockern immer unerträglicher. Schließlich war es mein sonst wenig psychosomatisch orientierter Chefarzt, der mir nahelegte, mich in eine psycho- somatische Klinik zu begeben. Und im Grunde hat er mich bei der Gelegenheit auch gleich rausgeschmissen, indem er meinte, ich solle mir doch danach eine Stelle in einer Mutter-Kind-Klinik suchen, wenn ich den Stress in einer Herzklinik nicht aushalten könne. Ich war in jeder Beziehung am Ende und wusste, dass ich dringend Hilfe brauche.« █ 18 aus: Schmiedel, Burnout (ISBN 9783830435495) © 2010 Trias Verlag
Burnout als Protest gegen ein Ungleichgewicht INFO Burnout = Depression? Depression und Burnout haben viel liche Folge der lange andauernden miteinander zu tun und lassen sich oft Erschöpfung. In diesem Stadium lassen nur schwer voneinander unterscheiden. sich Burnout und Depression kaum noch Darum meinen manche Ärzte auch, es voneinander unterscheiden. Lediglich re- gäbe gar kein Burnout, sondern das, was trospektiv kann der Patient auf Befragen als Burnout bezeichnet wird, sei nur eine oft noch angeben, ob das Huhn oder Ei verkappte Depression. In der Tat sind zuerst da war. viele Menschen mit Burnout depressiv Ganz anders bei der Depression. Hier und viele Depressive sind erschöpft und waren die psychischen Veränderungen haben keinen Antrieb. primär vorhanden. Die Antriebslosigkeit Nimmt man noch den häufig vorhande- ist dann nur eine Folge der Depression. nen Faktor Stress dazu, ergibt sich das Bei der Differenzialdiagnose Depression in der Abbildung gezeigte Bild: zwischen oder Burnout bedarf es mitunter eines Depression, Erschöpfung und Stress gibt Psychiaters, damit ein vermeintliches es eine große Schnittmenge – nämlich Burnoutsyndrom ausgeschlossen und Burnout. Erschöpfung und Stress sind ggf. eine tatsächlich vorhandene Depres- nicht dasselbe, haben aber eine ge- sion nachgewiesen und dann adäquat meinsame Schnittmenge. Stress kann zu behandelt werden kann. Eine schwere Erschöpfung führen und umgekehrt. Das- Depression im Rahmen eines Burnouts selbe gilt für Depression und Erschöp- benötigt professionelle Hilfe in Form von fung sowie für Depression und Stress. psychotherapeutischen Gesprächen oder Burnout schließlich weist meist Anteile sogar Medikamenten. von Stress, Depression und Erschöpfung in unterschiedlicher Wertigkeit auf. Unterschiedliche Krankheitsbilder Trotz aller Gemeinsamkeiten und Stress Depression Überschneidungen zwischen Burnout Burn- und Depression scheint es sich aber um out zwei verschiedene Krankheitsbilder zu handeln. Treten Burnout und Erschöpfung auf, muss zunächst noch keine depressi- ve Stimmung damit verbunden sein. Im Erschöpfung fortgeschrittenen Stadium des Burnouts treten jedoch oft Resignation, Schwermut und Verzweiflung auf. Diese Form der 왖 Burnout als Schnittmenge von Stress, Depression ist dann aber eine verständ- Depression und Erschöpfung. 19 aus: Schmiedel, Burnout (ISBN 9783830435495) © 2010 Trias Verlag
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