ZWEIERLEI MASS Was hierzulande verboten ist, kann nicht anderswo ungefährlich sein: Deutschland will ein Pestizidexportverbot auf den Weg bringen
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c Mictlancihuatl/Wikimedia Commons (CC BY 2.0) ZWEIERLEI MASS Was hierzulande verboten ist, kann nicht anderswo ungefährlich sein: Deutschland will ein Pestizidexportverbot auf den Weg bringen Trotz zahlreicher Defizite gilt das europäische Pestizidrecht gemeinhin als eines der strengsten weltweit. Zum Schutz von Mensch und Umwelt dürfen viele Pestizide innerhalb der EU nicht mehr angewendet werden. Außerhalb der EU gelten diese Verbote nicht, weshalb der Export ein großes Geschäft ist. Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern schon lange ein Ende dieser doppelten Standards. Auch Deutschland will nun ein Exportverbot für bestimmte Pestizide auf den Weg bringen. Forum Umwelt & Entwicklung – Rundbrief 3/ 2022 13
P estizide können in der EU nicht einfach registriert Hunderte Baumwollbäuerinnen und -bauern nach dem Ver- werden. Sie durchlaufen ein Genehmigungs- und sprühen von Pestiziden teils schwere Vergiftungen. Die Po- Zulassungsverfahren inklusive Gefahrenabschät- lizei ordnete 98 der erlittenen Vergiftungen, darunter zwei zung und Risikoanalyse, das in definierten Zeit- mit Todesfolge, der Verwendung des Syngenta-Insektizids intervallen wiederholt werden muss. Nur EU-weit geneh- Polo mit dem Wirkstoff Diafenthiuron zu. Der Wirkstoff migte Pestizidwirkstoffe dürfen in den EU-Mitgliedstaaten ist in der Schweiz und der Europäischen Union schon lange zum Einsatz kommen. Viele Pestizide, die noch vor Jahr- nicht mehr zugelassen, wird aber vom Schweizer Konzern zehnten angewendet wurden, haben mittlerweile ihre EU- Syngenta in Indien vertrieben. Eine Beschwerde von 51 Genehmigung unter anderem aufgrund der Gefährdung Landwirt:innen bei der Organisation für wirtschaftliche von Mensch und Umwelt verloren. Mit der begründeten Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) endete ergeb- Nicht-Genehmigung von Pestiziden erfüllt die EU Schutz- nislos. Die von den Geschädigten erhoffte Wiedergutma- pflichten gegenüber ihrer Bevölkerung, der Umwelt und der chung konnte das Verfahren nicht liefern. Eine Zivilklage biologischen Vielfalt. In der gängigen Praxis endet dieser auf Schadenersatz ist weiterhin anhängig. Dennoch: Trotz Schutz allerdings an den EU-Außengrenzen. So exportie- einer globalisierten Wirtschaft fehlt ein verbindlicher inter- ren EU-Staaten Jahr für Jahr Tausende von Tonnen bei uns nationaler Pestizidvertrag und ein globalisiertes Rechtsre- verbotener Pestizide in Länder außerhalb der EU – bislang gime, das Wiedergutmachung ermöglicht. ganz legal. Auch in Deutschland ansässige Pestizidfirmen Das im Januar 2023 in Deutschland in Kraft tretende verdienen an dem Geschäft und exportieren die bei uns Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wird auch Bayer und verbotenen Pestizide ungeachtet dessen, dass viele der Im- BASF Sorgfaltspflichten bezüglich der Achtung der Men- portländer – insbesondere im Globalen Süden – schwächere schenrechte bei ihren Geschäftstätigkeiten auferlegen. Eine Pestizidgesetze haben, die Anwendungsbedingungen oft be- zivilrechtliche Haftungsklausel, welche es Betroffenen ver- denklich sind, die Bevölkerung vor Ort oft völlig unzurei- einfachen würde, Schadenersatz einzuklagen, enthält das chend geschützt ist und sich gerade dort besonders viele Pes- Gesetz allerdings nicht. Angesichts 384 Millionen globaler tizidvergiftungen ereignen. Zunehmende Kritik an diesen ungewollter Pestizidvergiftungen, von denen mindestens giftigen Exporten insbesondere von Seiten zivilgesellschaft- 11.000 tödlich enden und sich zum Großteil in Ländern des licher Organisationen in den Im- und Exportländern und Globalen Südens ereignen, ist deutlich: Es muss präventive von Menschenrechtsexpert:innen hat die Wahrnehmung Lösungen zur Verhinderung von Pestizidvergiftungen ge- auf diese doppelten Standards im Pestizidhandel gelenkt ben. Ein Exportverbot solcher Pestizide, die auch bei uns und erste Gesetzesinitiativen hervorgebracht mit dem Ziel, aus Umwelt- und Gesundheitsgründen nicht genehmigt diese Praxis zukünftig rechtlich zu unterbinden. sind, wäre ein dringend notwendiger und rechtlich um- setzbarer erster Schritt zu mehr globaler Gerechtigkeit. Pestizide aus Europa in der ganzen Welt Unter den Kontinenten verzeichneten die europäischen Exportverbote für nicht zugelassene Pestizide Länder im Jahr 2021 die größten internationalen Umsätze Die Schweiz hat den Export einiger bestimmter Pestizide mit exportierten Pestiziden im Wert von 19,1 Milliarden und auch den Export von Polo mittlerweile rechtswirk- US-Dollar. Das entspricht 43,5 % des weltweiten Gesamt- sam verboten. Frankreich hat als erster EU-Mitgliedstaat umsatzes. Deutschland gehört seit Jahren zu den dominie- generell die Herstellung, die Lagerung und den Handel mit renden pestizidexportierenden Ländern weltweit. Exporte Pestizidprodukten rechtlich verboten, die Wirkstoffe ent- bei uns verbotener Pestizide gingen 2018, 2019 und 2021 halten, die aus Gründen des Schutzes der Gesundheit von unter anderem nach Algerien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Mensch und Tier oder der Umwelt nicht genehmigt wurden. Costa Rica, Elfenbeinküste, Äthiopien, Guatemala, Indien, In Deutschland wird derzeit an einer rechtlichen Umset- Indonesien, Jordanien, Malaysia, Mali, Mexiko, Marokko, zung des im Koalitionsvertrags vereinbarten Exportverbots Peru, Uganda, Venezuela und Vietnam. Auch die Liste der für bestimmte Pestizide gearbeitet. Um dies zu beschleu- exportierten Wirkstoffe ist lang. Exemplarisch sind hier nigen, hatten das European Center for Constitutional and Cyanamid, Cyfluthrin und Epoxiconazol zu nennen. Cya- Human Rights (ECCHR), die Heinrich-Böll-Stiftung, das namid hat seit 2008 keine EU-Genehmigung mehr, weil der INKOTA-netzwerk, das Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Wirkstoff nachweislich die Gesundheit der Anwender:innen Germany) und die Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Rechts- schädigt. Dennoch wird es seit Jahren von der ALZChe- gutachten beauftragt und im September vorgestellt. Das mAG aus Bayern u. a. nach Costa Rica, Äthiopien, Indien Rechtsgutachten „Umsetzung eines Ausfuhrverbots für und Südafrika exportiert. Das sehr giftige Insektizid Cyflu- bestimmte, gefährliche Pestizide aus Deutschland“ zeigt, thrin exportierte Bayer u. a. nach Uruguay, in die Philippi- wie ein nationales Exportverbot für bestimmte, gefährliche nen, nach Südafrika und Vietnam und das von der BASF in Pestizide besonders umfassend umgesetzt werden kann. Für Brandenburg hergestellte fruchtbarkeitsschädigende Fungi- ein schnelles Handeln kann die bereits jetzt im Pflanzen- zid Epoxiconazol wurde nach Brasilien ausgeführt. schutzgesetz verankerte Möglichkeit zur Erlassung einer Die Praxis des Exports von hierzulande verbotenen Durchführungsverordnung zügig umgesetzt werden. Al- Pestiziden ist nicht nur eine abstrakte Gefahr. Der Export lerdings kann hierüber vor allem der Export von bereits hat konkrete Folgen für Menschen in den Zielländern. Zu- formulierten Pestizidprodukten mit bestimmten Wirkstof- sätzlich zu den direkten gesundheitlichen Folgen ist es im fen rechtssicher beschränkt werden. Um auch den Export Fall von Pestizidvergiftungen für die Geschädigten kaum reiner Wirkstoffe rechtssicher zu verhindern, schlagen die möglich, Entschädigung zu erhalten. In Indien erlitten 2017 Gutachterinnen eine Reform des Pflanzenschutzgesetzes 14 Schwerpunkt
Mit der begründeten Nicht-Genehmigung von Pestiziden erfüllt die EU Schutzpflichten gegenüber ihrer Bevölkerung, der Umwelt und der biologischen Vielfalt. In der gängigen Praxis endet dieser Schutz allerdings an den EU-Außengrenzen. vor. Für die Auswahl der zu regulierenden Stoffe empfeh- bung zu ändern. Bereits im Frühjahr hieß es von Seiten len sie eine Anknüpfung an den Genehmigungsstatus auf der zuständigen Generaldirektion, dass sie hinsichtlich EU-Ebene, sodass nur in der EU genehmigte Wirkstoffe einer EU-weiten Regelung zum Exportverbot verbotener oder Produkte mit diesen Wirkstoffen ausgeführt werden Pestizide die Überarbeitung der EU-Verordnung über die dürfen. Nur auf diese Weise ließen sich Doppelstandards Aus- und Einfuhr gefährlicher Chemikalien prüfen wolle. vollumfänglich abbauen. Dass ein entsprechender Hinweis im jüngst veröffentlichten Arbeitsprogramm der EU-Kommission fehlt, ist befremd- Pestizidanwendungen verstoßen lich. Umso wichtiger ist, dass Deutschland nun zügig ein gegen die Menschenrechte nationales Exportverbot umsetzt. Schon bevor die UN-Vollversammlung im Sommer dieses Jahres den Zugang zu einer sauberen, gesunden und nach- Susan Haffmans und Christian haltigen Umwelt zum allgemeinen Menschenrecht erklärte, Schliemann-Radbruch mahnten Expert:innen der Vereinten Nationen wiederholt Verletzungen der Menschenrechte im Zusammenhang Susan Haffmans ist Referentin für Pestizide und mit Pestizidanwendungen insbesondere in Ländern des Internationales beim Pestizid Aktions-Netzwerk Deutschland. Globalen Südens an. Bereits 2017 hob die damalige UN- Christian Schliemann-Radbruch ist Jurist und Co-Leiter des Sonderberichterstatterin für das Recht auf Nahrung Hilal Programms Wirtschaft und Menschenrechte beim European Elver hervor, dass es eine eindeutige Menschenrechtsver- Center for Constitutional and Human Rights. letzung darstellt, wenn Menschen durch den Export von giftigen Substanzen zu Schaden kommen, und forderte eine verbindliche Regelung, um doppelte Standards zu vermei- den. 2020 prangerte der damalige UN Sonderberichterstat- ter Baskut Tuncak gemeinsam mit weiteren 35 führenden Expert:innen des UN-Menschenrechtsrates die gängige Praxis wohlhabender Staaten an, ihre verbotenen giftigen Chemikalien in ärmere Länder zu exportieren und forderte die Exportstaaten auf, diese Praxis zu beenden. Der am- tierende UN-Sonderberichterstatter für giftige Substanzen und Menschenrechte Marcos Orellana ermahnte Anfang 2021 die deutsche Regierung, ihre Menschenrechtsver- pflichtungen wahrzunehmen und den Export von Pestizi- den einzustellen, die in der EU verboten sind. Deutschland hat die Möglichkeit und Verantwortung, zu handeln und einen möglichst umfänglichen Export- stopp nicht genehmigter Pestizide umzusetzen. Dass eine solche nationale Regelung im Einklang mit EU- und in- ternationalem Handelsrecht ist und wie eine Ausformulie- rung aussehen könnte, zeigt das beschriebene Gutachten. Deutschland sollte sich zudem parallel um eine EU-weite Regelung bemühen. Die EU-Kommission hat sich in ihrer Chemikalienstrategie von 2020 das Ziel gesetzt, den Export verbotener gefährlicher Chemikalien aus der EU künftig zu unterbinden und hierfür, wenn nötig, die Gesetzge- Forum Umwelt & Entwicklung – Rundbrief 3/ 2022 15
RUNDBRIEF Forum Umwelt und Entwicklung 3/2022 VERGIFTETE PROFITE (K)EIN ENDE DER PESTIZID- NUTZUNG IN SICHT? JETZT AUF ÖKOLOGISCHE ES GEHT LOS! EINE PESTIZIDFREIE EU – KOLONIALE Die Verhandlungen zu KONTINUITÄTEN LANDWIRTSCHAFT EINE UTOPIE? UMSTELLEN! einem internationalen Wie das neue Flaggschiff der Über die Notwendigkeit eines Plastikabkommen starten internationalen Rahmens für Ein Erfolgsmodell aus Andhra EU-Verordnungen auf Grund Pradesh in Indien › Seite 42 gelaufen ist Pestizide › Seite 12 › Seite 26 ISSN 186 4-0 982 › Seite 5
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