17 Politik der ,Glückskulturen': Brüche, Kontinuitäten, Ambivalenzen

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17 Politik der ,Glückskulturen‘: Brüche,
   Kontinuitäten, Ambivalenzen
Das Ziel der Untersuchung war eine Forschungslücke in der transnationalen
Wissens- und Gefühlsgeschichte über kulturelle Nationalismen aufzudecken. Die
Konstruiertheit von Glückswissen als ein ambivalentes Experten- und Populär-
wissen ist im Untersuchungszeitraum 1933 bis 1945 von Wandel, Kontinuitäten
und Ambivalenzen gekennzeichnet. Ausgehend von dieser These wurden in der
vorliegenden Untersuchung die Bereiche der Politik, der Wissenschaft und der
darstellenden Künste im transnationalen Vergleich zwischen NS-Deutschland
und der Schweiz anhand quellenkritischer Beispielanalysen untersucht.
    „Glück, was ist Glück? Wer weiß es mir zu nennen?“ Diese Frage über die
„Jagd nach dem Glück“ im Glücksratgeber von Reinhold Gerling bildete den
Auftakt zum Einleitungskapitel der vorliegenden Untersuchung.¹ Der Ratgeber-
autor war sich sicher, dass die Leserschaft ihr als defizitär begriffenes Selbst in
eine ,glücklichere’ Lebensführung umwandeln könnte, sobald sie sich autosug-
gestiv mittels seiner arbeitspsychologischen Anleitung zur leistungsorientierten
Rationalisierung, Disziplinierung und Optimierung selbstermächtigen würde.
    Zehn Jahre später, 1930, warnte Thomas Heine mit seiner Karikatur vor der
„Jagd nach dem Glück“ in einer nationalsozialistischen Lebensführung. Sein
Appell blieb jedoch ungehört. Im Frühjahr 1933 errichtete der demokratisch ge-
wählte Diktator Adolf Hitler das NS-Regime.
    Am 11. Dezember 1935, an einer Großkundgebung der „Deutschen Arbeits-
front“, propagierte der „Reichsleiter“ und Mitbegründer der Freizeitorganisation
„Kraft durch Freude“, Dr. Robert Ley, vor rund 20.000 „schaffenden deutschen
Menschen“:

     „Wir wissen, wozu wir leben. Wir begreifen und wir verstehen, was Glück ist. Wir bekennen
     uns zum Nationalsozialismus. Der Erfolg wird immer größer. Deutschland wir immer
     schöner werden, und dieses Volk wird immer glücklicher sein.“²

In Referenz an arbeitspsychologische Schriften, wie Hendrik de Mans Studie zum
„Kampf um die Arbeitsfreude“ von 1927, deutet Ley das Wissen der leistungsori-
entierten Arbeitspsychologie nach 1933 um. Ley zufolge könne sich die „Volks-
gemeinschaft“ autosuggestiv ihr individuelles „Glück“ erarbeiten, indem sie sich

 S. Kap. 1, 3.
 Ausschnitt einer Rede von Robert Ley (1890 – 1945), „Reichsleiter“ der „Deutschen Arbeits-
front“ (DAF), 11. Dezember 1935. In: Ders. 1937a, 207.

   OpenAccess. © 2021 Isabelle Haffter, publiziert von De Gruyter.        Dieses Werk ist lizenziert
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als selbstdisziplinarischer „Volkskörper“ der „rassenhygienischen“ Arbeitsmoral
„Kraft durch Freude“ verschreibe.
     In diese pathetische Rhetorik stimmten zahlreiche NS-Ratgeber und auto-
biografische Erlebnisromane ein, wie dies der Glücksratgeber „Schicksalsmächte
des Erfolges?“ von C.H. Huter oder die autobiografischen Veröffentlichungen über
den „NS-Arbeitsdienst“ von Lisa Tasche und Gustav Faber zeigen. In ambivalenter
Kontinuität zur Weimarer Republik propagierten die Autor*innen einen ,neuen’
Erfolgstypus im Stereotyp des „Ariers“. Entlang einer geschlechterspezifischen
„Rassenpolitik“ versprach die pseudoindividualisierte Lebensführung „Kraft
durch Freude“ einer ganzen Generation junger Menschen, die als Kriegsverlie-
rer*innen nach dem Ersten Weltkrieg aufgewachsen waren, „Glück“ und „Erfolg“
im „Dritten Reich“.
     Die darstellenden Künste, allen voran ,das Theater‘, dienten als propagan-
distisches Leitmedium und Schauplatz der nationalsozialistischen Glückspolitik.
Als Beispiel sei das Festspiel „Glückliches Volk“ genannt, welches im August 1938
unter der Festspielleitung von Hanns Niedecken-Gebhard als Tourismuswerbung
„Reist ins fröhliche Deutschland“, an das annektierte Österreich gerichtet, im
Berliner Olympiastadion aufgeführt wurde. Die im Festspiel dargestellte Gesell-
schaftsutopie fü hrte in der Realität eine ganze Generation arbeitswilliger, hoff-
nungsvoller Menschen in ein von amoralischen Gewaltexzessen, Hass und Zer-
störungswut getriebenes Massensterben im Zweiten Weltkrieg und in die
Vernichtung Unschuldiger im Holocaust.
     Wie reagierte nach 1933 die Schweiz auf die nationalsozialistische Gefühls-
politik eines totalitären „Glücks“? Der transnationale Vergleich zeigt, dass sich
seit Anfang der 1930er Jahre die Schweizer Regierung ebenfalls darum bemühte,
eine auf arbeitspsychologisches Wissen gestützte, dezidiert affirmative Gefühls-
politik in breiten Bevölkerungsschichten zu etablieren. Im Vergleich zur Arbeits-
moral „Kraft durch Freude“ orientierte sich die Regierung im Kontext der „geis-
tigen Landesverteidigung“ ebenso an einer leistungsorientierten und
geschlechterstereotypisierten Arbeitsmoral. Im Unterschied zur NS-Ideologie
fußte diese jedoch auf christlich-konservativen und humanistischen Werten und
lehnte rassenideologische Ansätze ab. Stattdessen beschworen die Vertreter*in-
nen der „geistigen Landesverteidigung“ einen gemeinschaftsstiftenden Kultur-
nationalismus, der Werte der Aufklärung, wie Vernunft und Moral, in Abgrenzung
zur affirmativen Emotionspolitik des NS-Regimes als typisch schweizerisch für
sich reklamierte. In einer verklärten Selbstdarstellung eines imaginierten Natio-
nalmythos von Freiheit, politischer Souveränität und Demokratie schlugen sie
einen Bogen bis zur Gründung der Eidgenossenschaft 1291. Zukunftsorientiert
propagierten sie das überzeitliche Sinnbild des wehrhaften Schweizers im
transnationalen Freiheitskämpfer Wilhelm Tell.
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      Mit der Annexion Österreichs im Frühjahr 1938 spitzte sich die nationalso-
zialistische Bedrohung für die Schweiz zu. Zugleich stieg die Bewunderung für die
Wirtschaftserfolge des NS-Regimes in der Schweizer Bevölkerung. In der soge-
nannten „Kulturbotschaft“, die federführend vom rechtskonservativen Bundesrat
Philipp Etter verfasst wurde, fand die affirmative Gefühlspolitik im Dezember 1938
eine politische Grundlage. Als kultureller Nationalismus hielt sie der NS-Arbeits-
moral „Kraft durch Freude“ eine alternative Lebensführung entgegen. Mit dem
Vorwurf konfrontiert, die „Kulturbotschaft“ sei für die Schweizer Bevölkerung mit
ihrem Appell an ideengeschichtliche Werte und eine Einheit in der viersprachigen
Vielfalt zu intellektuell, zu wenig emotional und zu wenig zugänglich, sah sich
der Bundesrat abermals zum Handeln gezwungen.
      Etter entschied sich für eine affirmative Selbstdarstellung einer emotionspo-
litisch imaginierten Gemeinschaft der Nation. Als Schauplatz der kulturnationa-
listischen Leistungsschau eines ,glücklichen‘ Schweizer Volkes wählte Etter die
Landesausstellung, die von Mai bis Oktober 1939 in Zürich stattfand und vom
Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September jäh unterbrochen wurde. Das Ziel
der Landesausstellung war es, eine „glückliche Zukunft“, wie die gleichnamige
Skulptur über dem Eingangstor des Ausstellungsteils „Heimat und Volk“ hieß, im
Sinne der massenpsychologischen Arbeitsmoral der „geistigen Landesverteidi-
gung“ zu propagieren. Die heterogene Bevölkerung sollte auf dieselben kultur-
nationalistischen Werte eingeschworen werden, um sie im Kriegsfall damit mili-
tärstrategisch mobilisieren zu können.
      Der mit der NS-Theaterwissenschaft transnational vernetzte Schweizer Re-
gisseur und Theaterwissenschaftler Dr. Oskar Eberle wurde beauftragt, ein na-
tionales Festspiel aufzuführen, das auf arbeits- und theaterwissenschaftlichem
Glückswissen basierte. Der kulturnationalistische Auftrag lautete, die imaginierte
Gemeinschaft der Nation sowohl für die Laiendarsteller*innen als auch das Pu-
blikum emotionspolitisch erfahrbar zu machen. Der dramaturgische Höhepunkt
des offiziellen Festspiels der Landesausstellung, die Schwurszene im letzten Akt,
war eigens dafür konzipiert worden (Abb. 36). Der Schwur auf den ewig wäh-
renden Bund der Schweizer Eidgenossenschaft, welcher vom gemeinsamen An-
stimmen der Schweizer Nationalhymne als theaterästhetische Durchbrechung der
,Vierten Wand‘ abgelöst wurde, war laut Pressemitteilungen ein massenpsycho-
logischer Erfolg.
      Der Ausgangspunkt der Untersuchung war die quellenbasierte Erkenntnis,
dass eine dezidiert affirmative Gefühlspolitik im transnationalen Vergleich zwi-
schen NS-Deutschland und der Schweiz festzustellen ist, die sich aus einer wis-
senshistorischen Perspektive als eine Politik der ,Glückskulturen‘ untersuchen
lässt. Diese quellengestü tzte Beobachtung ist überraschend. Lange Zeit fokus-
sierten Forschungen zum Nationalsozialismus auf die aggressive, antisemitische
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und antibolschewistische Propagandastrategie. In den letzten Jahren richteten
Historiker*innen wie Ute Frevert mit ihrem emotionshistorischen Ansatz zur
Analyse einer Gefühlspolitik, d. h. einer „Politik mit Gefühlen“, ihre Perspektive
auch auf affirmative Gefühlspolitiken. An letzteren Forschungszweig lehnt sich
die vorliegende Untersuchung an und ergänzt diesen um ein Forschungsdesi-
derat: Eine Wissensgeschichte über eine Politik transnationaler Wissens- und
Gefühlskulturen eines propagierten „Glücks“.
    Wissen über „Glück“ bedeutet Macht. Als ein emotionspolitisches Machtin-
strument kann zur Selbstdarstellung einer Nation, ihres Werte- und Moralsystems,
auf Glü ckswissen zurü ckgegriffen und dieses umgedeutet werden. Vor dem Hin-
tergrund dieser These lauten die zentralen Forschungsfragen:
1. Wie veränderte sich Glü ckswissen im Übergang von der Weimarer Republik
    zum Nationalsozialismus im transnationalen Vergleich zur Schweiz?
2. Wo sind Wandel, Kontinuitäten und Ambivalenzen festzustellen?

Die Begrifflichkeit der Politik der ,Glü ckskulturen‘ in ihrer Pluralform (,Glü cks-
kulturen‘) dient dazu, die Wissenszirkulation und Konstruiertheit des historischen
Quellenbegriffs „Glück“ als Teil einer transnationalen Wissenskultur zu unter-
suchen und erstmals für den Untersuchungszeitraum darzulegen.
     Kennzeichnend für eine affirmative Gefühlspolitik, wie sie im Rahmen der
Kontinuitäts-These dargelegt wird, sind 1. eine leistungsorientierte Selbstdarstel-
lung, 2. eine autosuggestive Emotionalisierung und 3. eine selbstdisziplinarische
Mobilisierung. Aus diesem Grund wurde die Singularform der Politik gewählt, um
die transnationalen Merkmale dieser kontextspezifisch affirmativen Gefühlspoli-
tik zu beschreiben.
     Und was bedeutet „Glück“? Mit dem Ansatz der Emotions- und Wissensge-
schichte begreift die Untersuchung „Glü ck“ nicht als eindeutig bestimmbares
Gefü hl. Gefühle sind, Ute Frevert zufolge, sozial erlernbar und wandelbar. Sie
können historisch kontextspezifisch interpretiert werden. Die Untersuchung fasst
„Glück“ auch nicht als einen abschließend definierbaren Wissensbestand auf.
Wissen zeichnet sich, im Sinne der Wissensgeschichte, durch vielschichtige,
historisch kontextspezifische Umdeutungen aus. „Glü ck“ wird folglich als kom-
plexer, dynamischer und daher im höchsten Masse ambivalenter Quellenbegriff
verstanden.
     Methodisch bietet sich ein Ländervergleich zwischen NS-Deutschland und
der Schweiz an, weil 1. eine transnationale Wissenszirkulation und 2. eine dezi-
diert affirmative Gefü hlspolitik nach 1933 nachgewiesen werden können, die auf
arbeitspsychologischem Glückswissen basierten.
     Den Ausgangpunkt der Recherchen bildete die Annahme eines wissenshis-
torischen Wandels innerhalb der Glücksdiskurse nach 1933, der sich in NS-
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Deutschland durch einen Bruch von individualisierten Glückversprechen im Zuge
westlicher Modernisierungs- und Individualisierungsprozesse zu kollektivisti-
schen Glücksvorstellungen im Rahmen der totalitären NS-Arbeitsmoral „Kraft
durch Freude“ manifestierte. Mit den theoretischen Ansätzen der Wissens- und
Gefühlsgeschichte und der kulturhistorischen Methodik der Quellenkritik zeich-
nete sich während der transnational angelegten Quellenanalyse ein differen-
zierteres Zeitbild ab. Die anfängliche These musste kritisch überprüft und hin-
sichtlich wissenshistorischer Kontinuitäten und Ambivalenzen erweitert werden.
     Es stellte sich heraus, dass sich in NS-Deutschland neben einem Wandel auch
Kontinuitäten abzeichneten, was eine überraschende Forschungserkenntnis dar-
stellte. Neben der Kontinuität war Ambivalenz ein entscheidendes Analyseer-
gebnis, da dieser Begriff einerseits die diachrone Vielstimmigkeit von transna-
tionalen Glückswissenszirkulationen aufzeigt. Andererseits deckt der
Ambivalenzbegriff die innere Widersprüchlichkeit des deutschen Glücksbegriffs
und dessen zeitgleich transnational rezipierter Glücksvorstellungen auf. Dies
zeigte die Analyse von lexikalischem Glückswissen oder der Erfolgskarriere des
NS-Ratgeberautors Walther von Hollander sowie der Professorin für Arbeitspsy-
chologie Franziska Baumgarten in der Schweiz.
     Die methodischen Herausforderungen und Chancen eines transnationalen
Analyseansatzes liegen in der Möglichkeit, kulturnationalistische Selbstdarstel-
lungen zu dekonstruieren und stattdessen Verflechtungen und Widersprüch-
lichkeiten in Transkulturationsprozessen sichtbar zu machen.³
     Die Auswahlkriterien des Quellenkorpus sind wie folgt begründet: Die Ar-
beitspsychologie und Theaterwissenschaft waren maßgeblich daran beteiligt,
Glückswissen zu erzeugen, zu verbreiten oder zu verdrängen und in ihrer ambi-
valenten Kontinuität nach 1933 in den politischen Dienst ihrer Nation zu stellen.
Dabei fand eine Wissenszirkulation ü ber die exemplarische Glü cks- und Er-
folgsratgeberliteratur und die Volkstheater-Kultur statt, die ihrerseits wiederum
Forschungsgegenstand der Arbeitspsychologie und Theaterwissenschaft waren.
Aus diesem Grund wurden historische Begriffe von „Glück“ und dessen Trabanten
(wie Freude, Frohsinn oder Euphorie) in wissenschaftlichen Studien, politischen
Reden oder kulturellen Aufführungen herangezogen und auf ihre transnationalen
Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin analysiert.
     Die Hauptergebnisse der Untersuchung zeigen auf, dass in den Krisen- und
Kriegsjahren von 1933 bis 1945, die von Verfolgung, Krieg und dem Holocaust
geprägt waren, „Glü ck“ als historischer Gefü hlsbegriff und Gegenstand einer
transnational rezipierten Forschungstätigkeit 1. kulturnationalistisch von Wis-

 Vgl. Tanner 2020, 232.
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senschaftler*innen auf Werte- und Machtsysteme ausgerichtet, 2. ideologisch von
Politiker*innen umgedeutet, 3. emotionspolitisch an Parteiveranstaltungen pro-
pagiert wurden und 4. massenpsychologisch an nationalen Festspielen als ge-
meinschaftsstiftendes Zusammengehörigkeitserlebnis wirkten.
     Ziele der Politik der ,Glückskulturen‘ waren: 1. eine leistungsorientierte
Selbstdarstellung zu demonstrieren, der eine emotionspolitische Erziehungsmo-
ral zugrunde lag, welche 2. eine massenpsychologische Wiedererkennung der
propagierten Lebensführung erwecken und 3. eine autosuggestive Emotionali-
sierung und Bejahung des kulturnationalistischen Werte- und Machtsystems be-
wirken und den scheinindividualisierten Wunsch nach einer leistungsorientierten
Nachahmung⁴ auslösen sollte. Die arbeitspsychologische Wirkungsmacht einer
Politik der ,Glückskulturen‘ als ein emotionspolitisches Erziehungsinstrument
einer moralisierenden Lebensführung begriffen, sollte 4. zur freiwilligen, selbst-
erzieherischen Mobilisierung verleiten, was 5. im Kriegsfall eine selbstdisziplina-
rische „Opferbereitschaft“ im Dienst an der „Volksgemeinschaft“ und am „Staat“
bedeuten würde.⁵ Transnationale Merkmale dieser kontextspezifisch affirmativen
Gefühlspolitik waren folglich: Leistungsorientiertheit, Autosuggestion und Selbst-
disziplinierung. Das Ziel einer affirmativen Gefühlspolitik war, die Legitimation
und Zustimmung kulturnationalistischer Werte über eine emotionspolitische Ar-
beitsmoral in der breiten Bevölkerung zu festigen, um sie im Kriegsfall damit
mobilisieren zu können.
     Der transnationale Ansatz der Untersuchung stellt ein erweitertes For-
schungsfeld zur Diskussion, welches zu einer Erforschung wissenschaftshistori-
scher Begriffe, Lehrmeinungen und akademischer Karrieren anregen soll. Die
Untersuchung möchte fü r eine länderü bergreifende Erweiterung interdisziplinär
ausgerichteter Forschungsfragen plädieren, die ü ber nationalstaatliche Sonder-
weg-Thesen hinausdenkt und auf Forschungsinteressen der Wissenschafts- und
Kulturgeschichte sowie der Politik-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften aus-
geweitet wird.

 Die spezifische Konzeption von Nachahmung („Mimesis“) als Grundlage von Aristoteles’
Dichtungstheorie wurde im Kontext des Laienspiel- und Festspieldiskurses von Theaterwissen-
schaftlern wie Oskar Eberle umgedeutet, wie die historische Analyse exemplarisch veranschau-
licht, s. Kap. 15.7.
 Vgl. Denkanstöße für diese These gaben Untersuchungen von Rüdiger Hachtmann zur „völ-
kischen“ Leistungsgemeinschaft in der Industriearbeit im „Dritten Reich“, vgl. Hachtmann 1989,
sowie der Sammelband „Nation und Emotion. Deutschland und Frankreich im Vergleich 19. und
20. Jahrhundert“, vgl. François, Siegrist und Vogel 1995.
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