Unternehmensstrafrecht in Deutschland - Geschichte, Gegenwart und nahe Zukunft - jura.uni-augsburg.de

Die Seite wird erstellt Josefine Hanke
 
WEITER LESEN
Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel                                                                    26.06.2019
Geschichte und Zukunft des
Unternehmensstrafrechts am 26.06.2019

                                                        Unternehmensstrafrecht in
                                                        Deutschland
                                                        Geschichte, Gegenwart und nahe Zukunft

                                                        Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel

             Zielsetzung des Vortrages und zentrale Thesen

             Darstellung und Kontextualisierung der Diskussion
             These 1: Entwicklung spiegelt soziokulturelle Hintergrundüberzeugungen, die sich
             über dogmatische Positionen u. die Modellierung zentraler Begriffe artikulieren, wider.
             These 2: In der Diskussion werden zentrale Fragenkomplexe oft hintergründig
             mitverhandelt:
               das Verhältnis von Dogmatik und Rechtspolitik, letztlich also: die materialen
                Grenzen der Strafgesetzgebung
               das Selbstverständnis der Strafrechtswissenschaft und ihre Rolle bei der
                Gesetzgebung
             These 3: Vielfach geht es Rechtwissenschaft nicht um Lösung der mit dem Begriff
             Unternehmensstrafrecht verbundenen Fragen, sondern um Bestätigung (eigener)
             dogmatischer/strafrechtstheoretischer Positionen.

                                                                                                               1
Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel                                                                           26.06.2019
Geschichte und Zukunft des
Unternehmensstrafrechts am 26.06.2019

             Verschiedene Sichtweisen

             1. Rechtspolitik vs. Rechtsdogmatik
             • Blickwinkel des Gesetzgebers erfasst sozial relevante Akteure und damit auch
               Unternehmen, weil diese maßgeblich für Wohl und Wehe einer Gesellschaft sind.
             • Rechtsdogmatik kennt nur Personen als Zurechnungsendpunkte, traditionell:
               natürliche (aber auch juristische), im Wettbewerbs-/Kartellrecht auch Unternehmen.
             2. Verschiedene Sichtweise in der Strafrechtsdogmatik:
             • USA: „If the invisible and intangible essence we call a corporation can level
               mountains, law down irontracks, and run railroad cars on them, it can intent to do it,
               and can act therein as well viciously and virtously.“ (US Supreme Court, NY Railroad v US,
                1909, 492)

             • Deutschland: Societas delinquere non potest

             Societas delinquere non potest? Verbandsstrafen als Teil der deutschen
             Rechtsgeschichte

             1. Deliktsfähigkeit von Verbänden – Städte, Gilden, Zünfte, Abteien – war bis zum Ende des
             18. Jh. in ganz Europa anerkannt, auch in Deutschland.
             2. Ende des 18. Jh. radikale Abkehr. Grund: Korporationen büßten ihre aus dem Mittelalter
             tradierten Vorrechte und ihre Macht ein; politische Macht wurde bei Staat konzentriert. Keine
             praktische Notwendigkeit für Verbandsstrafe.
             3. Vom BayStGB 1813 bis RStGB keine Regelung mehr enthalten, wohl aber im Neben-/
             Landesrecht. So erlaubte § 393 RAO die Festsetzung einer Kriminalstrafe gg. jur. Person (blieb
             bis 1967 erhalten, hatte Bedeutung aber schon einige Jahre zuvor verloren).
             4. Als sich gegen Ende des 19. Jh. die Industrialisierung mit Verspätung auch in Deutschland
             voll entfaltete, wuchs Macht wirtschaftlicher Verbände. Von Verbandsstrafen wurde – auf
             den verbliebenen Grundlagen – wieder verstärkt Gebrauch gemacht. Ordnungsstrafrecht mit
             seiner – vorgeblich – ethisch neutralen Geldbuße wurde ausgebaut (etwa § 17 VO gg
             Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellung v. 1920, § 39 VO Devisenbewirtschaftung v. 1932)

                                                                                                                      2
Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel                                                                26.06.2019
Geschichte und Zukunft des
Unternehmensstrafrechts am 26.06.2019

             1950er Jahre als „Sattelzeit“: Übergang zur Ablehnung des
             Verbandsstrafrechts

             1. BGHSt 5, 32: (Bestrafung nach Besatzungsrecht): Verbandsstrafe widerspreche
                „bisherigem deutschen Rechtsdenken“ u. sozialethischem Schuldbegriff. Aber: Sie
                verstoße nicht gegen ordre public, da nach der RAO jur. Personen für Handlungen
                ihrer Organe einzustehen haben.
             => An existierende Regelungen anknüpfen? Mehrheit meint: nein!
             1. Rechtskulturelle Selbstbehauptung: In der Diskussion um die Kollektivschuldfrage
                habe man von „der Strafhaftung aufgrund von Schicksalsverbundenheit genug
                verschmeckt (Engisch).“ Verbandsstrafe entstamme „fremden, die heimatliche
                Tradition der Besatzungsmächte widerspiegelndem Rechtsdenken“ (Jescheck).
             2. Dogmatische Begründung: Handlungs- und ethisierender Schuldbegriff
             3. Rechtspolitisch: Strafe treffe unschuldige Anteilseigner.

             Lösung im OWiG

             1. § 5 Wirtschaftsstrafgesetz (1954): Geldbuße gegen Personenverband, wenn es
                in Folge einer Aufsichtspflichtverletzung zu einer Zuwiderhandlung (eines
                Mitarbeiters) gekommen ist. ==> Ahndung einer Straftat einer Leitungsperson, die
                nicht aufsichtsunterworfen ist, nicht möglich
             2. § 26 OWiG (1968) = § 30 OWiG (1975): Nebenfolgelösung: Als Nebenfolge kann
                Geldbuße gg jur. Person verhängt werden, wenn Leitungsperson eine Straftat/OWi
                begeht und dadurch Pflichten der jur. Person verletzt/diese bereichert. „Als
                Nebenfolge“ wurde später gestrichen.
             3. Bußgeldhöchstmaß nach § 30 OWiG: 10 Millionen Euro, nach § 17 Abs. 4 OWiG
                mehr, wenn wirtschaftliche Vorteile der Anknüpfungstat größer waren.
             4. Mit § 130 OWiG (Aufsichtspflichtverletzung durch Leitungsperson als OWi) bildet
                § 30 OWiG den „Kern eines Unternehmens- und Verbandsstrafrechts“ (Rogall)

                                                                                                           3
Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel                                                                              26.06.2019
Geschichte und Zukunft des
Unternehmensstrafrechts am 26.06.2019

             Absicherung dieser Rechtslage durch Rechtswissenschaft

             1. Echtes Unternehmensstrafrecht „sachlogisch“ unmöglich: Der Vorwurf rechtswidrigen
                Verhaltens könne “denknotwendig“ nur gegenüber natürlichen Personen erhoben
                werden.“ (Zieschang, GA 2014, 91, 95). => Begründung?

             2. Rechtsphilosophische Begründungslinien: Strafunrecht ist „Störung des
                Friedensverhältnisses durch einen in sich reflektierten Willen“. (v. Freier, GA 2009, 98, 106)

             3. Strafrechtsfunktional: „Verbandsstrafrecht als „rechtspolitischer Zombie“, der „nach
                gründlicher Prüfung verworfen worden ist“, weil er mit „logisch notwendigen
                Strukturprinzipien des Strafrechts“ unvereinbar sei. Strafandrohung richte sich an
                „rationalen Nutzenmaximierer“, der von Begehung einer Straftat abgeschreckt werden
                soll. (...) Adressat kann „nur ein zum Verstehen der Norm und zu ihrer Befolgung
                befähigter Mensch sein“ (Schünemann, ZIS 2016, 1, 2 und öfters)

             Schwachstellen der (lange) herrschenden Lehre

             1. Jur. Personen sind - begriffsnotwendig - rechtlich handlungsfähig. Dass das
                Strafrecht Rechtshandlung nicht anerkennen dürfe, weil juristische Person eine
                „physisch-geistige Substanz“ (Roxin) fehle, ist petitio principii.

             2. Rechtswissenschaft vertritt keinen ethisierenden Schuldbegriff mehr:
                „Persönliche Vorwerfbarkeit“ impliziert keinen ethischen Vorwurf. Einen solchen
                können Recht und Gerichte auch gg. Einzelnen nicht erheben. Schuld markiert
                Zuständigkeit für Verletzung einer Norm, die nicht ethisch fundiert sein muss.

             3. Funktionaler Schuldbegriff, der auf (negative/positive) Generalprävention
                ausgerichtet ist, ist auf jur. Personen übertragbar: Jur. Personen sind – über ihre
                Organe – für Strafandrohung deutlich besser ansprechbar als viele natürliche
                Personen; Gesellschaft lokalisiert Verantwortung nicht allein bei Mitarbeitern, sondern
                auch bei Unternehmen, die von Straftaten profitieren.

                                                                                                                         4
Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel                                                                      26.06.2019
Geschichte und Zukunft des
Unternehmensstrafrechts am 26.06.2019

             Zieht Dogmatik der Gesetzgebung Grenzen?

             1. „Indiskutabel wäre die These, Gesetzgeber sei an dogmatische Argumente gebunden,
                die nur ein Teil der Rechtswissenschaft, wenn auch vehement und mit sachlogischem
                Anspruch vorbringt.“ In den Grenzen der Grundrechte könne Gesetzgeber
                bestimmen, wer Zurechnungsendpunkt ist. (Vogel)

             2. „‚Societas delinquere non potest‘ ist kein Satz des deutschen
                Verfassungsrechts.“ (Jahn und h.M.)

             The tide is turning: Politik

             1. „Die Kommission lehnt die Einführung einer Unternehmenssanktionierung im Bereich
                des klassischen Strafrechts ab. (Kommission zur Reform des Sanktionenrechts beim
                Bundesjustizministerium, 2002)

             2. „Wir prüfen die Einführung eines Unternehmensstrafrechts für multinationale
                Unternehmen.“ (Koalitionsvertrag von CDU, CSU, SPD, 2003, Abschnitt 5.1)

             3. „Wir regeln das Sanktionsrecht für Unternehmen neu. (...) Um Rechtssicherheit für alle
                Beteiligten zu schaffen, werden wir gesetzliche Vorgaben für ‚Internal Investigations‘
                machen, insbes. mit Blick auf beschlagnahmte Unterlagen und Durchsuchungs-
                möglichkeiten. “ (Wird näher ausgeführt in: Koalitionsvertrag, CDU, CSU, SPD, 2018,
                Rz. 5895-5920)

                                                                                                                 5
Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel                                                                          26.06.2019
Geschichte und Zukunft des
Unternehmensstrafrechts am 26.06.2019

             Gründe für den Meinungsumschwung I: Unternehmensstrafrecht und
             Wirtschaftsordnung

             1. USA mit gereiftem kapitalistischen System implementieren strenge
                Unternehmensregulierung: strafrechtlich abgesichertes Kartellverbot (Sherman-
                Act) und Unternehmensstrafrecht
             2. In Deutschland herrschte lange der Glaube an einen organisierten
                Kapitalismus vor: Parteien, Unternehmen, Gewerkschaften verhalten sich
                korporatistisch; Unternehmen sollen nicht nur eigeninteressiert agieren, sondern
                gemeinwohlorientiert. Strenge Regulierung dann tendenziell unnötig.
             3. Spätestens mit der Auflösung des Korporatismus („Deutschland AG“) sind
                diesen Annahmen überholt. Deutlich wird: Unternehmen agieren primär
                eigennutzorientiert. Dennoch ist in Deutschland moralische Empörung über
                Unternehmen, die gewinnorientiert handeln u. Gesetzeslücken nutzen, immer noch
                größer als in den USA. Und der Erfolg der StA kleiner, weil klare Regeln fehlen.

             Gründe für den Meinungsumschwung II: Praxis ohne Rechtsgrundlage
              Gängige These: Gesetzgeber reagiert auf aktuelle Fälle (Siemens, Finanzmarktkrise,
               Dieselgate).
              Wahr ist: Praktische Bedeutung des geltenden Rechts in Großverfahren gestiegen
                § 30 OWiG hat sich zum Nukleus eines Parastrafrechts entwickelt, auch in Fällen, in denen
                 es nicht zu einer rechtskräftigen Verurteilung einer nat. Person gekommen ist.
                Treiber waren Ermittlungen ausl. Behörden und Druck internationaler Organisationen
              Rechtsanwendung hat zahlreiche Unzulänglichkeiten des geltenden Rechts offen-
               gelegt:
                Nach Einleitung eines Verfahrens keine Einstellung gg. Auflagen möglich; keine Vorgaben
                 für Bußgeldbemessung. Wirken sich Aufklärungshilfe und/oder Compliance-Maßnahmen,
                 im Ausland gezahlte Strafen, Schadenswiedergutmachung etc. auf Bußgeld aus?
                Jur. Person hat nur eingeschränkte Verteidigungsrechte
                Keine Rechts- u. Wettbewerbsgleichheit (Opportunitätsprinzip), kaum transnationale
                 Wirkung des deutschen Rechts

                                                                                                                     6
Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel                                                                           26.06.2019
Geschichte und Zukunft des
Unternehmensstrafrechts am 26.06.2019

             Grundlage der Diskussion: Konkrete Entwürfe

              NRW-Entwurf eines Verbandsstrafrechtsgesetzbuches (2013): Politik drohte
               Wissenschaft zu überholen, da Entwurf konkrete (auch strafprozessuale)
               Regelungen enthält u. damit Diskussion auf neue Grundlage gestellt hat. Dennoch:
               NRW-E galt weithin als unbefriedigend und unternehmensunfreundlich.
              Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes (2018) v. Henssler/Hoven/
               Kubiciel/Weigend. Koalitionsvereinbarung lehnt sich erkennbar daran an.
              Kriminalpolitische Kritik am Vorgehen der Kölner Forschungsgruppe:
               Wissenschaft dürfe Gesetzgeber keine Konzepte liefern, sondern müsse sich auf Kritik am
                Gesetzgeber beschränken (Leitner).  Dann ist es regelmäßig zu spät.
               Erfolg verdanke sich „erfolgreichem Marketing“ (Schünemann)  Und einem anschlussfähigen
                Konzept. Darf Wissenschaft für Konzepte werben? Das taten schon Feuerbach und der AE-Kreis.

              

             Empirische Erkenntnisse unserer Forschungsgruppe

             1. Insgesamt geringe Anwendungspraxis
             • 48 Staatsanwaltschaften wurden auf Empfehlungen der GStA kontaktiert, weil diese auf
               Wirtschaftskriminalität spezialisiert sind
             • 17 von ihnen gaben an, in den letzten 5 Jahren keine Verfahren nach § 30 OWiG
               geführt zu haben
             • Schleswig-Holstein und Sachsen je nur ein Verfahren, Sachsen-Anhalt fünf
             2. Verfahren werden fast nie eingestellt: In 88,6% der Fälle wurde Bußgeld verhängt
             3. Mittelwert der Bußgelder: 1,3 Mio. Euro

                                                                                                                      7
Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel                                                                    26.06.2019
Geschichte und Zukunft des
Unternehmensstrafrechts am 26.06.2019

             Rechtsvergleichende Erkenntnisse aus den USA u. Österreich

             Besonders relevant sind Eindrücke aus dem rechtskulturell verwandten Österreich,
             das vor 10 Jahren Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) eingeführt hat:
             1. Zunehmende Zahl von Verfahren; wenige Verurteilungen, weil viele Verfahren
                diversionell erledigt werden
             2. öVbVG hat sich nach Aussage der befragten Experten in Praxis bewährt:
               „relevante präventive Wirkung“, „sehr starke Wirkung“
               „sehr schlüssiger Ansatz“, „grundsätzlich vernünftig“
             3. Anders als vielfach (von Straftheoretikern) behauptet, hatte VbVG keine negativen
                Auswirkungen auf Ausgestaltung des Strafrechts bzw. Zurechnung (auch in der CH
                und in den USA sind keine Spillover-Effekte erkennbar)
             4. Kritik am VbVG: „Geldbußendeckelung viel zu niedrig“

             Grundzüge des Kölner Modells

               Ermittlungszwang, aber kein Anklagezwang
               Fokus: nicht Sanktionierung, sondern Diversion durch Einstellung bei
                Auflagenerfüllung und Bewährungsauflagen (wie im JGG)
               Kein primär retributives Modell (= Verbandsstrafe als Reaktion auf
                Organisationsversagen), sondern spezialpräventives Ziel: Verbandsstruktur soll
                verbessert werden.
               Erfahrungen in USA und Ö zeigen, dass Verbesserung der Verbandsstrukturen
                möglich ist.
               Legitimation durch Verbandsverantwortlichkeit (vgl. § 1 OWiG, öVerfGH v.
                2.12.2016). Verantwortlichkeit meint nicht diffuse soziologische „Verbandsattitüde“,
                sondern Zuständigkeit für unternehmensbezogenes Verhalten v. Leitungspersonen

                                                                                                               8
Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel                                                                              26.06.2019
Geschichte und Zukunft des
Unternehmensstrafrechts am 26.06.2019

             Stand der Dinge in Berlin

              Referentenentwurf des VerbSanktG ist (fast) fertig. Verzögerung wegen Wechsel im
               Ministeramt und Aufnahme von Regeln zu internen Untersuchungen
              Um die Jahreswende gab es informellen Austausch von BMJV mit Vertretern der
               Wissenschaft, von Verbänden und Unternehmen
              Neueste Entwicklung: Noch vor Vorstellung des Referentenentwurfes soll es eine
               Sachverständigen-Anhörung im Rechtsausschuss geben (formelle Grundlage ist Antrag der
               Fraktion “Die Linke“ BT-Drs. 19/7983: „Deutschland braucht ein Unternehmensstrafrecht“)
              Publikation Referentenentwurf: Unterschiedliche Informationen aus der Politik über Zeitpunkt.
               Erwartung nunmehr: recht bald nach Übernahme des BMJV durch neue Ministerin

             Grundzüge einer Neuregelung

             • Gesetz regelt „Sanktionierung“ als Folge verbandsbezogener Straftaten
             • Einführung des Legalitätsprinzips, aber kein Anklage- oder gar Sanktionszwang, d.h. StA
               sollen ermitteln, ihnen steht aber eine Palette von Einstellungs- und anderen Möglichkeiten zur
               Beendigung des Verfahrens ohne Hauptverhandlung und Urteil zur Verfügung
             • Zuständig StA und Strafgericht. Jedoch: VerbSankG ist kein Strafrecht, sondern dritte Spur.
               Im Vordergrund steht nicht Ausgleich von Schuld (wie im StGB), sondern Spezialprävention
               (wie im JGG), d.h. strukturelle Besserungen des Verbandes.
             • Sanktionierung bei verbandsbezogener Straftat durch Leitungsperson (wie § 30 OWiG). Im
               Kölner Entwurf vorgesehen: Absehen von Sanktionierung des Verbandes, wenn
               Leitungsperson sich über Anweisung hinwegsetzt und Sicherheitsvorkehrungen umgeht
               („rotten apple“)
             • Sanktionierung, wenn Mitarbeiter Straftat in Wahrnehmung der Angelegenheiten des
               Verbandes begeht und dies durch Unterlassen erforderlicher und zumutbarer
               (Compliance-)Maßnahmen ermöglicht worden ist.

                                                                                                                         9
Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel                                                                       26.06.2019
Geschichte und Zukunft des
Unternehmensstrafrechts am 26.06.2019

             Sanktionierung

             • Umsatzbezogene Obergrenze für Geldbuße; Einführung von Bemessungsgrundsätzen
               (siehe § 5 Abs. 3 Kölner Entwurf)
             • Umstritten, ob (weiteres) Register neben Wettbewerbsregister: Notwendig? Geschlossenes
               Register wie BZR oder offenes Register als Sanktion (shame sanction). Kölner Entwurf
               lehnt Letzteres als resozialisierungsfeindllich und unnötig ab.
             • Einführung einer Art Strafbefehlsverfahrens?
             • Aussetzung der Sanktionierung zur Bewährung (vgl. § 5 Abs. 1 Kölner Entwurf)
             • Einstellungsmöglichkeiten (gegen Auflagenerfüllung), wenn Schwere der Tat nicht
               entgegensteht
                - und vor Begehung der Tat Compliance-Management-System existierte,
                - Unternehmen nach Bekanntwerden der Zuwiderhandlung mit Ermittlungsbehörden
                  kooperiert hat,
                - Maßnahmen getroffen werden, Verfehlungen dieser Art künftig zu verhindern
                - entstandener Schaden wiedergutgemacht wird

             Offene Fragen

              Soll analog zu § 81 Abs. 3a GWB die Möglichkeit bestehen, auch gegen weitere juristische
               Personen oder Personenvereinigungen, die das Unternehmen zum Zeitpunkt der Begehung der
               Straftat gebildet haben, eine Geldsanktion festzusetzen?  Kölner Entwurf lehnt das ab,
               schlägt Rechtsnachfolgeregelung vor.
              Wer überprüft Einhaltung von Auflagen? Monitor (Kölner Entwurf) oder Regelung wie in
               § 8 WettRegG (vgl. Kubiciel/Dust, APzKp 2/2017)?
              Beschlagnahmeverbot von Ergebnissen interner Untersuchungen (so Kölner Entwurf) oder
               klarstellende Kodifizierung entlang der Rspr. des BVerfG (Volkswagen/Jones Day)? Falls
               Letzteres: Privilegierung nur für Unterlagen von „Unternehmensverteidigern“? Verkennt mE
               gesellsch. Pflicht zur Durchführung von Untersuchungen.
              Vorgaben für Durchführung interner Untersuchungen? BMJV denkt offenbar darüber nach,
               bußgeldmindernde Wirkung der Kooperation an die Einhaltung von Fairnessgrundsätzen in
               internen Untersuchungen zu knüpfen. Verbindet mE zwei Fragen, die auf unterschiedlichen
               Ebenen stehen.

                                                                                                                 10
Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel                                                                         26.06.2019
Geschichte und Zukunft des
Unternehmensstrafrechts am 26.06.2019

         Weitere, hier ausgesparte Aspekte:
         • Unternehmensstrafrecht und transnationaler
           Menschenrechtsschutz
         • Internationalisierung des
           Unternehmensstrafrechts

         Dazu Beiträge auf Homepage der
         Forschungsstelle.
         Für Fragen und Kritik                          Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel
                                                        Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Inter-
         michael.kubiciel@jura.uni-augsburg.de          nationales Straf- und Strafprozessrecht, Medizin-
                                                        und Wirtschaftsstrafrecht
                                                        Universität Augsburg
                                                        www.jura.uni-augsburg.de/kubiciel

                                                                                                                   11
Sie können auch lesen