ACATECH POSITION BIOTECHNOLOGISCHE ENERGIE UMWANDLUNG IN DEUTSCHLAND - STAND, KONTEXT, PERSPEKTIVEN

 
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> Biotechnologische
                   Energie­umwandlung
                        in Deutschland

                   Stand, Kontext, Perspektiven

acatech (Hrsg.)

                  acatech POSITION
> Biotechnologische
 Energieumwandlung
      in Deutschland
 Stand, Kontext, Perspektiven

              acatech (Hrsg.)

acatech POSITION
                   Juni 2012
Titel

Herausgeber:

acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, 2012

Geschäftsstelle   Hauptstadtbüro                                     Brüssel-Büro
Residenz München  Unter den Linden 14                                Rue du Commerce/Handelsstraat 31
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E-Mail: info@acatech.de
Internet: www.acatech.de

Koordination: Dr. Marc-Denis Weitze
Redaktion: Holger Schnell, Linda Tönskötter
Layout-Konzeption: acatech
Konvertierung und Satz: Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS,
Sankt Augustin

Die Originalfassung der Publikation ist verfügbar auf www.springerlink.com
Kolumnentitel
                                                                            Inhalt

> inhalt

Kurzfassung                                                                             4

Projekt		                                                                               7

Vorbemerkung                                                                            8

1 Einleitung                                                                            9

2	Biotechnologische Energieumwandlung: Erneuerbare Energie aus Biomasse	               12
       2.1	Aktuelle Situation der b­ iotechnolo­gischen Energieumwandlung              12
       2.2	Entwicklung der gesetzlichen Rahmen­bedingungen zu Bioenergie               18
       2.3  Gesellschaftliche Rahmenbedingungen                                         21
       2.4  Gesellschaftliche Akzeptanz                                                 23

3	Kurzcharakteristik der biotechnologischen Verfahren und Werkzeuge	                   24
      3.1  Kommerzielle Verfahren                                                       25
      3.2  Pilot- und Demonstrationsstufe                                               25
      3.3  Forschung und Entwicklung                                                    25
      3.4	Produktionssysteme und biotechno­logische Werkzeuge                          26

4 Empfehlungen	                                                                         27

Anhang: Verfahren und Werkzeuge der ­biotechnologischen Energieumwandlung               29

Literatur		                                                                             37
Biotechnologische Energieumwandlung

    Kurzfassung

    Bis 2022 wird Deutschland aus der Kernkraft aussteigen und      Biomasse sollte dort zum Einsatz kommen, wo sie
    das Energiesystem zum Teil auf erneuerbare Energien um-         ­uner­setzlich ist: als speicherbarer Energieträger für
    stellen. Neben Sonnenenergie und Windkraft nimmt dabei           Kraftstoffe.
    die Biomasse einen zentralen Platz ein: Mehr als zwei Drittel    Die erneuerbare Energie aus nachwachsender Biomas-
    der heute bereitgestellten erneuerbaren Energie werden aus       se adressiert die aktuellen Herausforderungen unseres
    Biomasse gewonnen. In der regenerativen Wärme- und Kraft-        Energie­systems. Sie kann dem Klimawandel durch redu­
    stoffversorgung ist Biomasse der Hauptenergie­träger. Ein        zierte Treibhausgasemissionen begegnen, die Abhängig-
    Verfahren, um aus Biomasse speicherbare Energie zu gewin-        keit der Energieversorgung von den endlichen fossilen
    nen, ist die biotechnologische Energie­umwandlung.               Quellen ­verringern und ökologisch und sozial nachhalti-
                                                                     ges ­Wirtschaften e­rmöglichen. Für die Stromerzeugung
    Was ist biotechnologische Energie­umwandlung?                    stehen mit Wind- und Solartechnik effektive Alternativen
    Wie bei allen Bioenergie-Linien werden bei der biotechno­        zu fossilen Energie­trägern und Atomkraft zur Verfügung,
    logischen Energieumwandlung Strom, Wärme und Kraft-              die auf der gleichen Fläche mehr Energie produzieren kön-
    stoffe nicht aus endlichen Rohstoffvorräten, den fossilen        nen als Biomasse. Die Energie­erzeugung aus Biomasse lie-
    Quellen, gewonnen, sondern nachwachsende Rohstoffe               fert hingegen Energie­träger wie Biogas, Bioethanol oder
    genutzt. Bei der biotechnologischen Energieumwandlung            andere Stoffe. Diese sind gut speicherbar und transpor-
    wandeln Enzyme, Zellen oder ganze Organismen die Bio-            tierbar. Damit ist Biomasse b­ esonders zur Versorgung mit
    masse in stoffliche Energieträger wie Methan (Biogas)            Kraftstoffen geeignet.
    oder Ethanol um. Gegenüber chemischen Verfahren, die
    derzeit etwa zur Biodieselherstellung aus Pflanzenölen ein-     „Tank oder Teller“: Biotechnologisch her­gestellter
    gesetzt werden, kann die biotechnologische Umwandlung           Kraftstoff kann den Konflikt entschärfen.
    unter Einsatz von weniger Prozessenergie und dezentral          Die Biokraftstoffe sollten mithilfe biotechnologischer
    eingesetzt werden. Dazu können unterschiedlichste Aus-          Verfahren der sogenannten 2. Generation hergestellt
    gangsstoffe verwendet werden. Biogas wird durch Vergä-          werden. Das sind Verfahren, die Restrohstoffe der Land-
    rung von G ­ ülle und Viehmist sowie von Pflanzenbiomasse       und Forstwirtschaft sowie Abwässer und Abgase nutzen.
    (derzeit vor allem Mais) erzeugt. In Blockheizkraftwerken       Zurzeit werden vorrangig Öle, Stärke und Zucker, die in
    (BHKW) wird das Biogas in Strom und Wärme umgewan-              erster Linie Lebensmittel sind, in speicherbare Bioenergie­
    delt. Biogas wird aber auch zum Heizen oder als Treibstoff      träger umgewandelt, da ihre Umwandlung chemisch bzw.
    in Kraftfahrzeugmotoren genutzt. Bioethanol entsteht            biotechno­logisch relativ einfach zu erreichen ist. Aufgrund
    durch die Vergärung von zucker- und stärkehaltigen Pflan-       des rasanten Wachstums der Weltbevölkerung und der
    zen; biotechnologische Verfahren zur Umwandlung von             steigenden Nachfrage nach Lebens- und Futtermitteln
    Ligno­zellulosen befinden sich im Pilot- bzw. Demonstra-        konkurrieren energiereiche Biomasse und Pflanzen zur
    tionsstadium. Es kann als Kraftstoff in Ottomotoren Ver-        Lebensmittelversorgung immer stärker um die begrenzten
    wendung finden. Als prominentes Beispiel hierfür sorgte         Agrarflächen. Der Konflikt kann nur entschärft werden,
    jüngst der Ethanol-Kraftstoff E10 (10 Prozent Ethanol-          wenn zur Kraftstoffversorgung mit Bioethanol und -gas
    Anteil) für Schlagzeilen. Das neue Angebot an deutschen         nicht für Lebensmittel geeignete Roh- bzw. Reststoffe ver-
    Tankstellen führte zu heftigen Debatten über die techni-        wendet werden. So stehen die begrenzten Agrarflächen
    sche Anwendungssicherheit und Nachhaltigkeit.                   weiterhin für die Lebensmittelproduktion zur Verfügung.

4
Kurzfassung

Die entschärfte Agrarflächenkonkurrenz kann die Prei-             statt. Um das Wertschöpfungspotenzial zu heben, muss
se für Lebensmittel und Bioenergiepflanzen entkoppeln;            Deutschland im internationalen Wettbewerb aufholen.
die stark gestiegenen Marktpreise für Lebensmittel in der
jüngsten Vergangenheit wurden unter anderem auf den               Bisher sind Verfahren zur Gewinnung stofflicher Energie-
verstärkten Anbau von ­Bioenergiepflanzen zurückgeführt.          träger aus Restrohstoffen noch nicht am Markt etabliert.
                                                                  Gegenüber der einfachen Umsetzung von Öl oder Zucker
Die Verwendung von Reststoffen hat auch ökologische               erfordern sie einen höheren technologischen Aufwand.
Vorteile gegenüber der Nutzung von Biomasse vom Acker:            Die Internationale Energieagentur (IEA) sieht bis 2050
Sie verursacht keine zusätzlichen Treibhausgasemissionen          geringere Produktionskosten für konventionelles Etha-
durch Düngung. Biotechnologische Verfahren können Rest-           nol gegenüber Ethanol aus lignocellulosischen Reststof-
und Abfallstoffe dezentral vor Ort in Energie umwandeln.          fen wie Stroh, Bagasse und anderen Ernterückständen.
Dies ermöglicht kurze Transportwege.                              Auch eine Kon­   kurrenzfähigkeit zu fossilen Treibstoffen
                                                                  wird für Lignocellulose-­Ethanol erst langfristig erwartet.
Biotechnologische Energieumwandlung eröffnet                      Die ­ Umwandlung von Nicht-Lebensmittelrohstoffen in
­ökonomische Chancen. Für den Markterfolg m       ­ üssen         speicher­bare Energieträger ist möglich und langfristig auch
 ­Politik und Wirtschaft förderliche ­Rahmen­bedingungen          wirtschaftlich. Trotzdem ist das aufwendigere Verfahren
                                                                  ­
  schaffen.                                                       derzeit eine hohe Hürde für eine Etablierung am Markt.
  Die biotechnologische Energieumwandlung ermöglicht
  eine gekoppelte Produktion von Energie und höherwerti-          Auch bei erfolgreicher Kommerzialisierung steht die bio-
  gen Chemikalien. Darüber hinaus können die Gärreste als         technologische Energieumwandlung aus Restrohstoffen vor
  Dünger in die Landwirtschaft zurückgeführt werden und           einer großen Herausforderung: Bereits heute ist abzusehen,
  sie dienen auch der Humusbildung. Die Weiterentwick-            dass nicht genügend Biomasse für flüssige Energieträger
  lung dieser Verfahren eröffnet deutschen Unternehmen            zur Verfügung stehen wird, um die Bioenergieziele der EU
  damit bedeutende Wertschöpfungsmöglichkeiten. Auch              im Kraftstoffsektor zu erreichen, wenn sich Biomassever-
  im internationalen Wettbewerb kann sich Deutschland als         brennung im gleichen Maße wie bisher steigert. Um die
  Anlagenexporteur mit biotechnologischen Verfahren und           Verheizung von Biomasse zugunsten der biotechnologi-
  Energieträgern platzieren: Der weltweite Gesamtmarkt für        schen Kraftstoffgewinnung zu reduzieren, muss der Dialog
  Ethanol liegt bei über 100 Milliarden Liter; die erwarteten     mit der Bevölkerung gesucht werden. Denn trotz breiter
  Kapazitäten für Ethanol der 2. Generation erreichen in den      ­Zu­stimmung für erneuerbare Energien kann die Biotechno-
  nächsten drei Jahren jedoch erst wenige Prozent der Ge-          logie in der Gesellschaft auf Vorbehalte stoßen.
  samtproduktion. Das Potenzial für biotechnologisch herge-
  stellte Kraft­stoffe und entsprechende Technologien ist groß.   Empfehlungen in Kürze
  Allerdings werden sich Biokraftstoffverfahren der 2. Gene-
  ration zuerst in USA, Europa und Schwellenländern etablie-      1.	Förderung von Forschung und E­ ntwicklung
  ren, wo es bereits Pilotanlagen gibt. Deutschland ist zwar in   acatech empfiehlt, die biotechnologische Energie­
  der Forschung zur biotechnologischen Energieumwandlung          umwandlung der 2. Generation bis zur Marktreife wei­
  weltweit führend, die Kommerzialisierung neuer Linien der       ter zu entwickeln. Die im 6. Energieforschungsprogramm
  2. Generation findet jedoch verstärkt in anderen Ländern        der Bundesregierung genannte Unterstützung bis zur

                                                                                                                         5
Biotechnologische Energieumwandlung

    ­ emonstration der großmaßstäblichen Eignung ist wesent-
    D                                                               4.	Ausbildung
    lich für eine erfolgreiche Etablierung. Die Entwicklung von     acatech empfiehlt, die Interdisziplinarität der Forschung
    ­Verfahren zur Nutzung von Rest- und Abfallstoffen sollte       vom „Gen bis zum Kraftstoff“ gezielt in die Ausbildung
     weiterhin gefördert werden.                                    von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren zu integrie­
                                                                    ren. Die Auseinandersetzung mit Technikfolgen und Sicher-
    2. Nutzungsstrategie                                            heitskonzepten sollte sowohl in die Ausbildung als auch in
    acatech empfiehlt, die Verteilung der Rohstoffe in die          jedes Forschungsprojekt integriert werden.
    verschiedenen Segmente politisch zu steuern, insbeson­
    dere eine Verbrennung der Rohstoffe nicht noch weiter           5. Kommunikation
    zu fördern. ­­­­­Mit der gezielten Förderung von Technologien   acatech empfiehlt, in der öffentlichen Kommunikation
    für Biokraftstoffe, die nicht in der Konkurrenz zu Lebens-      deutlich zu machen, dass eine biobasierte, nachhalti­
    mitteln stehen, sollte daher deren Kommerzialisierung           ge Wirtschaft nicht ohne Technik und neue Technolo­
    erleichtert und unterstützt werden. Ähnlich sichere und         gien möglich ist. Auch beim Thema „biotechnologische
    langfristig stabile gesetzliche Rahmenbedingungen, wie es       Energie­umwandlung“ muss die Öffentlichkeit über Vor-
    das Erneuer­bare-Energien-Gesetz für regenerativen Strom        und Nachteile der Bereitstellungswege – fossil oder bio-
    gewährt, werden auch für Biokraftstoffe gebraucht. Anreize      massebasiert – informiert werden.
    für eine verstärkte V  ­ erbrennung sollten abgebaut werden.

    3. Internationale Kooperationen
    acatech empfiehlt, internationale Kooperationen mit
    biomassereichen Ländern bei der Verfahrensentwicklung
    auszubauen. Sie sind essenziell für eine erfolgreiche
    ­Behauptung am Markt. Die Stärke der deutschen Verfah-
     renstechnik kann hier in der Prozessoptimierung zu beider-
     seitigem Vorteil eingesetzt werden.

6
Projekt

Projekt

>> Projektleitung                                              >> Projektkoordination
—— Prof. Dr. Thomas Bley, Technische Universität Dresden /     —— Dr. Marc-Denis Weitze, acatech Geschäftsstelle
    acatech
                                                               >> Projektverlauf
>> Projektgruppe                                               Projektlaufzeit: 7/2011 – 4/2012
—— Prof. Dr. Frank Behrendt, Technische Universität Berlin /
     acatech                                                   Diese acatech POSITION wurde im Mai 2012 durch das
—— Prof. Dr. Thomas Bley, Technische Universität Dresden /     acatech Präsidium syndiziert.
     acatech
—— Holger Gassner, RWE Innogy GmbH                             Ausgehend von Workshops zum Thema, die acatech
—— Dr. Jochem Henkelmann, BASF SE                              im Projekt­vorfeld am 22. Oktober 2008 in Berlin und –
—— Dr. Manfred Kircher, Cluster Industrielle Biotechnologie    ­gemeinsam mit dem BioÖkonomieRat – am 4. Februar 2011
—— Dr. Stephan Krinke, Volkswagen AG                            in Leipzig veranstaltet hat, wurden eine Literaturrecherche
—— Prof. Dr. Alfred Pühler, Universität Bielefeld / acatech     und eine Reihe von Experteninterviews durchgeführt.
—— Dr. Markus Rarbach, Süd-Chemie AG
—— Prof. Dr. Thomas Scheper, Universität Hannover /            Auf dieser Basis wurden gemeinsam mit der Projektgruppe
    ­acatech                                                   die Position erstellt und die Empfehlungen abge­leitet.
—— Prof. Dr. Ulrich Stottmeister, Sächsische Akademie der
    Wissenschaften / acatech                                   Experteninterviews wurden geführt mit:
—— Prof. Dr. Christian Wandrey, Forschungszentrum Jülich
    GmbH / acatech                                             ——   Dr. Walter Böhme, OMV
—— Dr. Martin Wolf, Bayer Technology Services GmbH             ——   Prof. Dr. Eckhard Boles, Universität Frankfurt
                                                               ——   Dr. Thorsten Gottschau, FNR
>> Reviewer                                                    ——   Dr. Lutz Guderjahn, CropEnergies
—— Prof. Dr. Utz-Hellmuth Felcht, One Equity Partners          ——   Prof. Dr. Katharina Kohse-Höinghaus, Universität
    Europe GmbH / acatech Präsidium (Leitung)                       ­Bielefeld
—— Prof. Dr. Bernd Müller-Röber, Universität Potsdam /         ——    Dr. Achim Marx, CLIB 2021
    ­acatech                                                   ——    Dr. Murillo Villela Filho
—— Prof. Dr. Günther Wess, Helmholtz Zentrum München /         ——    Dr. Ulrike Schmidt-Staiger, Fraunhofer IGB
     acatech                                                   ——    Prof. Dr. Frank Scholwin, DBFZ
—— Prof. Dr. Georg Gübitz, Technische Universität Graz         ——    Prof. Dr. Gerhard Stucki, SATW
                                                               ——    Prof. Dr. Christian Wilhelm, Universität Leipzig
acatech dankt allen externen Fachgutachtern. Die Inhalte       ——    Prof. Dr. An-Ping Zeng, Technische Universität
der vorliegenden Position liegen in der alleinigen Verant-           ­Hamburg-Harburg
wortung von acatech.                                           ——     Dr. Yelto Zimmer, VTI

>> Aufträge / Mitarbeiter                                      >> Finanzierung
—— Dr. Anke Mondschein, Technische Universität Dresden         acatech dankt dem acatech Förderverein für seine
                                                               ­Unterstützung.

                                                                                                                        7
Biotechnologische Energieumwandlung

    Vorbemerkung

    Vor dem Hintergrund der Diskussion um die Nutzung von       ­ öglichkeiten einer effektiveren Bioenergienutzung auf
                                                                M
    Biomasse für die Energieerzeugung insgesamt und für         und stellt vielversprechende Ansätze zur biologischen Er-
    Biokraftstoffe im Besonderen haben acatech – Deutsche       zeugung von Wasserstoff vor.2
    ­Akademie der Technikwissenschaften, Leopoldina – Natio­
     nale Akademie der Wissenschaften und der bei acatech       acatech geht von den derzeitigen politischen und ökono-
     angesiedelte BioÖkonomieRat das Thema aufgegriffen         mischen Rahmenbedingungen aus und leitet von diesem
     und im Jahr 2011 Arbeitsgruppen zu dessen Bearbeitung      Standpunkt Empfehlungen ab. Wie können die durch die
     eingesetzt. Unter gegenseitiger Abstimmung wurden unter­   Legislative gesetzten Ausbauziele für regenerative Energien
     schiedliche Schwerpunkte für die von ihnen erarbeiteten    mit der verfügbaren Biomasse mit welchen Technologien
     Positionspapiere bzw. Stellungnahmen gesetzt und Empfeh-   am besten erreicht werden, ohne die Nahrungsmittelversor-
     lungen dazu vorgelegt.                                     gung zu beeinträchtigen?

    Das Papier des BioÖkonomieRats1 fordert eine politische     Die Empfehlungen des BioÖkonomieRats wurden am 2    ­ 0. Ja-
    Neubewertung der kohlenstoffbasierten Quellen unter Be-     nuar 2012 in der Bundespressekonferenz vorgestellt und den
    rücksichtigung aller Nutzungspfade: Ernährung, stoffliche   fünf hauptsächlich betroffenen Ressorts übergeben.
    Nutzung, Energie.
                                                                Das acatech Positionspapier wurde erstmals am 21. Juni
    Leopoldina setzt den Schwerpunkt auf eine kritische Ana-    2012 auf dem „Biotechnological Energy Conversion: Chal-
    lyse der Verfügbarkeit von Biomasse unter den Aspekten      lenges and Opportunities“ Kongress im Rahmen der Ache-
    Klimaschutz und Nachhaltigkeit, zeigt technologische        ma in Frankfurt / Main der Öffentlichkeit präsentiert.

    1		   BioÖkonomieRat 2012.
    2		   Leopoldina 2012.
8
Einleitung

1 Einleitung

Bis 2022 wird Deutschland aus der Kernkraft aussteigen            Was ist biotechnologische Energie­umwandlung?
und das Energiesystem zum Teil auf erneuerbare Energien           Bei allen Bioenergie-Linien werden Strom, Wärme bzw.
umstellen. Neben Sonnenenergie und Windkraft nimmt                Kraftstoffe nicht aus endlichen Rohstoffvorräten, den fos-
dabei die Biomasse einen zentralen Platz ein: Mehr als            silen Quellen, gewonnen, sondern nachwachsende Roh-
zwei Drittel der heute bereitgestellten erneuerbaren Ener-        stoffe genutzt. Bei der Pflanzenölproduktion (Raps- und
gie werden aus Biomasse gewonnen. In der regenerativen            Palmöl) aus Biomasse und gegebenenfalls nachfolgenden
­Wärme- und Kraftstoffversorgung ist Biomasse sogar der           Umsetzungen zur Biodieselherstellung kommen chemi-
 Haupt­energieträger. Die Nutzung von erneuerbaren Ener­          sche Verfahren zum Einsatz. Bei der biotechnologischen
 gien aus nachwachsender Biomasse zielt auf die Bekämp-           Energieumwandlung leisten hingegen Enzyme, Zellen
 fung des Klimawandels, auf eine Verringerung der Abhän-          (Bakterien) oder ganze Organismen (Pilze) die Umwand-
 gigkeit der Energieversorgung von den endlichen fossilen         lung der Biomasse in Energieträger wie Biogas oder Etha-
 Quellen und auf ökologisch und sozial nachhaltiges Wirt-         nol. Dazu können unterschiedlichste Ausgangsstoffe ein-
 schaften. Die Energieerzeugung aus Biomasse kann da-             gesetzt w­ erden. Biogas wird durch Vergärung von Gülle
 rüber hinaus speicherbare, stoffliche Energie­träger und         und Viehmist und von Pflanzenbiomasse (derzeit vor al-
 Kraftstoffe ­liefern.                                            lem Mais) erzeugt. In Blockheizkraftwerken (BHKW) wird
                                                                  das Biogas in Strom umgewandelt. Biogas wird aber auch
Dennoch wurde Bioenergie in den vergangenen Jahren in             zum Heizen oder als Treibstoff in Kraftfahrzeug­motoren
Politik und Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. So hatte Bio-   genutzt. Bioethanol entsteht durch die Vergärung von zu-
energie ökologisch bedenkliche landwirtschaftliche Mono-          cker- und stärkehaltigen P­ flanzen wie Zuckerrüben, Mais
kulturen zur Folge und trug zur Zerstörung von Regenwald          oder Getreide. Es kann als Kraftstoff in Ottomotoren Ver-
sowie anderen naturnahen Lebensräumen bei. Aufgrund               wendung finden. Als prominentes Beispiel hierfür sorgte
begrenzter Agrarflächen steht der Anbau energiereicher            jüngst der Ethanol-Kraftstoff E10 (10 Prozent Ethanol-
Biomasse in Konkurrenz zum Anbau von Pflanzen zur                 Anteil) für Schlagzeilen. Das neue Angebot an deutschen
Lebens­mittelversorgung.                                          Tankstellen führte zu heftigen Debatten über die techni-
                                                                  sche Anwendungssicherheit und Verwendung von Lebens-
Grundsätzlich kann Bioenergie je nach Umwandlungsver-             mittel-Rohstoffen zur Energie­erzeugung.
fahren der Strom-, Wärme- und Kraftstoffversorgung dienen.
Zur Bioenergie zählt                                               Zum Verbrennen zu schade: Umwandlung zu
                                                                  ­speicherbaren Energieträgern
—— die Verbrennung von Biomasse zur Wärme- oder Strom-             Der Vorteil biotechnologischer oder chemischer Verfahren
   erzeugung (thermische Umwandlung),                              gegenüber der Verbrennung von Biomasse zur Wärme- oder
—— die Gewinnung von Pflanzenöl aus Biomasse beispiels-            Stromerzeugung ist, dass sie stoffliche Energieträger hoher
   weise als Grundstoff für Biodiesel (physikalisch-chemi-         Energiedichte (zum Beispiel Biogas, Ethanol) liefern. Diese
   sche Umwandlung),                                               sind gut speicherbar und transportierbar. Während Strom
—— die Vergasung oder Verkohlung von Biomasse (thermo-             auch e­ ffektiv durch andere erneuerbare Energien wie Son-
   chemische Umwandlung)                                           nen- und Windkraft erzeugt wird, sollte Biomasse als Rohstoff
—— sowie die biotechnologische Energieumwandlung.                  dort Verwendung finden, wo sie strategisch im regener­ativen
                                                                   Energiemix benötigt wird: für speicherbare Energieträger.

                                                                                                                           9
Biotechnologische Energieumwandlung

     Vor allem für die Gewährleistung von Mobilität sind                     Biotechnologie kann die Konkurrenz „Tank oder Teller“
     Energie­träger mit einer hohen Energiedichte (flüssige Kraft­           entschärfen.
     stoffe) unverzichtbar. Trotz der fortschreitenden Erfolge bei           Das Potenzial für die Erzeugung von Energie aus Biomasse ist
     der E-Mobilität werden für Last- und Flugverkehr Batterien              jedoch nicht unendlich. Es ist Konsens, dass die Energiegewin-
     wirtschaftlich voraussichtlich nicht realisierbar sein. Auch            nung nicht zulasten der Lebensmittelproduktion, vor allem in
     bei PKWs wird der Anteil der Elektromobilität an der deut-              Entwicklungsländern, ausgebaut werden darf. Die „Tank- oder
     schen Kraftfahrzeugflotte bis 2020 nur wenige Prozent                   Teller“-Diskussion der zurückliegenden Jahre zeigte deutlich,
     erreichen. Flüssige Kraftstoffe sind jedoch bislang nur auf             dass auch der Ausbau der Bioenergie­nutzung durch geeigne-
     fossiler Basis herstellbar – oder mit Biomasse. Am Markt                te Rahmenbedingungen gesteuert werden muss und kann.
     bewährt haben sich bisher neben der chemischen Umset-                   So weisen etwa das Büro für T­echnikfolgenabschätzung3,
     zung von pflanzlichen Ölen vor allem biotechnologische                  die Leopoldina4 und der BioÖkonomieRat5 darauf hin, dass
     Verfahren zur Konversion von Biomasse in Kraftstoffe und                aufgrund der prognostizierten Zunahme der Weltbevölke-
                                                                             ­
     speicherbare Energieträger.                                             rung und des Verbrauchs tierischer Produkte die Nachfrage
                                                                             nach Lebens- und F­uttermitteln noch steigen wird. Damit

     Abbildung 1: Zusammensetzung der terrestrischen Biomasse – Potenzial für biotechnologische Energiegewinnung der 2. Generation. (Die gesamte
     terrestrische Biomasseproduktion liegt bei 120 Milliarden Tonnen pro Jahr.) Quelle: GDCh Fachgruppe, Umweltchemie und Ökotoxikologie

                  0,1
                                            5,0
               0,1
            1,0

               24,0
                                                    20,0

                                                                                             Stärke

                                                                                             Zucker (Sucrose)
                                                                     Lebensmittel
                                                                     < 10 %                  Pflanzenöl

                                                                                             Proteine, andere Inhaltsstoffe

                                                                                             Lignin

                                                                     Lignocellulose          Cellulose
                              50,0                                   > 90 %
                                                                                             Hemicellulosen

     3		 TAB 2010.
     4		 Leopoldina 2012.
     5		 BioÖkonomieRat 2012.

10
Einleitung

nimmt auch die Konkurrenz um landwirtschaftliche Nutz-                    Gegenüber der einfachen Umsetzung von Öl oder Zucker er-
flächen zu. Dieser Konflikt kann entschärft werden, wenn                  fordern diese Verfahren einen höheren Aufwand.6 Trotzdem
sich der weitere Ausbau der energetischen Nutzung von Bio-                haben biotechnologische Verfahren gegenüber chemischen
masse vorrangig auf die Nutzung von nicht für Lebensmittel                Verfahren und gegenüber der Verbrennung von Biomasse
geeigneten Roh- bzw. Reststoffen konzentriert. So kann der                zur Wärme- oder Stromerzeugung spezifische Vorteile:
ethische Konflikt “Tank oder Teller“ vermieden werden. Die
Verwendung von Reststoffen verursacht keine zusätzlichen                  1. Abfälle werden mithilfe biotechnologischer Verfahren
Treib­hausgasemissionen (THG-Emissionen) durch Düngung.                      zu Energieträgern. Biotechnologische Verfahren können
Die entschärfte Agrarflächenkonkurrenz kann darüber hinaus                   unter milden Bedingungen Rest- und Abfallstoffe um-
die Preise für Lebensmittel und Bioenergiepflanzen entkop-                   setzen und sind damit auch für dezentrale Anwendun-
peln; die stark gestiegenen Marktpreise für Lebensmittel in                  gen gut geeignet. Rohstoffe können vor Ort verwendet
der jüngsten Vergangenheit wurden unter anderem auf den                      werden und ermöglichen kurze Transportwege.
verstärkten Anbau von Bioenergiepflanzen zurückgeführt.
                                                                          2. Biotechnologische Verfahren produzieren im Gegensatz
Verfahren, die Restrohstoffe, wie die lignocellulosischen                    zur thermischen Verwertung (Verbrennung) von Bio-
Nebenprodukte der Land- und Forstwirtschaft (wie Stroh)                      masse einfach lagerfähige stoffliche Energieträger einer
sowie Abwässer nutzen, werden auch als biotechnologi-                        hohen Energiespeicherdichte. Sie ergänzen damit ande-
sche Energieumwandlung der „2. Generation“ bezeichnet.                       re, weniger gut speicherbare regenerative Energien.
Bislang sind Verfahren zur Gewinnung stofflicher Energie-
träger aus Restrohstoffen jedoch noch nicht am Markt etab-                3. Biotechnologische Verfahren benötigen weniger
liert. Abb. 1 illustriert, wie groß deren Potenzial gegenüber                Prozess­energie – sowohl bei der Stoffwandlung als
der Lebensmittelproduktion ist. Proteine, Stärke und Zucker,                 auch bei der Stoffproduktion – als vergleichbare, klas-
die wesentlichen Bestandteile in Lebensmitteln, machen                       sische chemische Verfahren. Die Weiterentwicklung der
wenige Prozente der terrestrischen Biomasse aus, der Anteil                  Verfahren für eine gekoppelte Produktion von Energie
der Lignocellulosen an der Gesamtbiomasse liegt hingegen                     und höherwertigen Chemikalien eröffnet bedeutende
deutlich über 90 Prozent.                                                    Wertschöpfungspotenziale in Deutschland.

Zurzeit werden vorrangig Öle, Stärke und Zucker, die auch                 Die vorliegende POSITION hebt die Bedeutung der
als Lebensmittel dienen können, in speicherbare Bioenergie­               ­biotechnologischen Energieumwandlung aus anwendungs-
träger umgewandelt, da ihre Umwandlung chemisch bzw.                       und verfahrenstechnischer Sicht heraus. In den folgenden
biotechnologisch relativ einfach zu erreichen ist. Mithilfe                Kapiteln wird weiter ausgeführt, wie die biotechnologische
biotechnologischer Verfahren könnte auch das große Poten-                  Energieumwandlung insbesondere dann einen heraus­
zial lignocellulosischer Rohstoffe für speicherbare Energie-               ragenden Beitrag zur Versorgungssicherheit in Deutschland
träger oder Kraftstoffe genutzt werden. Diese Energieträger                und zur Reduktion von Treibhausgasemissionen leisten
sind in einem regenerativen Energiemix unverzichtbar und                   kann, wenn Nachhaltigkeitskriterien angelegt werden –
erweitern sinnvoll die bisherige energetische Nutzung von                  und dass sich in diesem Feld gerade für Deutschland be-
Lignocellulosen durch Verbrennung.                                         deutende Wertschöpfungsmöglichkeiten eröffnen.

6		   Pflanzen synthetisieren Lignocellulosen auch deswegen, weil diese durch Mikroorganismen schwer abbaubar sind (vgl. Thauer 2008).
                                                                                                                                         11
Biotechnologische Energieumwandlung

     2	Biotechnologische Energieumwandlung:
        Erneuerbare Energie aus Biomasse
     2.1	Aktuelle Situation der                                             chemischen Verfahren der Energiegewinnung. Spezifische
         ­biotechnolo­gischen Energieumwandlung                              Vorzüge biotechnologischer Verfahren sind hierzu im Ver-
                                                                             gleich vor allem zu sehen in:
     Die Bedeutung der Bioenergie innerhalb der regenerativen
     Energien ist weltweit und auch in Deutschland hoch. Die                 —— der Nutzung wasserhaltiger Ausgangssubstanzen und
     Nationale Forschungsstrategie Bioökonomie 2030 geht                        der Nutzung wässriger Abfallströme, die thermisch
     davon aus, dass die Bedeutung von Bioenergie noch zu-                      nicht genutzt werden können,
     nehmen wird.7 Die Zahlen der vergangenen Jahre verdeut-                 —— der Generierung von Energieträgern hoher Energie­
     lichen dies: Der Biomasseanteil an erneuerbarer Energie in                 speicherdichte und
     Deutschland wuchs von 2000 bis 2010 von 61 auf 71 Pro-                  —— der Schließung regionaler (Nährstoff-) Kreisläufe durch
     zent. Biomasse stellt in Deutschland mehr als zwei Drittel                 die Nutzung der Gärreste für die Humusreproduktion.8
     der erneuerbaren Energie (Abb. 2 A).
                                                                             Abb. 2 A zeigt, dass der größte Anteil der Biomasse zur Wär­
     Biotechnologische Verfahren konkurrieren um die verfüg­                 me­erzeugung genutzt, also verbrannt wird. Biotechnologi-
     bare Biomasse mit thermischen (Verbrennung) oder thermo-­               sche Prozesse zeigen ihre Vorteile bei der Kraftstofferzeugung

     Abbildung 2 A: Anteil der Bioenergie9 an der gesamtem regenerativen Energieerzeugung in Deutschland 2010 (Daten: FNR 2011)

     Biokraftstoffe 13,0 %                                                                   7,2 % Wasserkraft

     Biomasse 12,1 %                                                                      13,3 % Windenergie
     (Strom)
                                                      gesamt
                                                   275,4 TWh
                                                 ca. 71 % durch                             1,9 % Solarthermie
                                                   Bioenergie                                2,0 % Geothermie

                                                                                           4,4 % Photovoltaik
     Biomasse 46,1 %
     (Wärme)

     7		 BMBF 2010.
     8		Im Sinne der Rohstoffstrategie der Bundesregierung (BMWi 2010) werden auch unverzichtbare Pflanzennährstoffe (insbesondere Phosphor) in
         Kreisläufen effizient genutzt.
     9		 Strom und Wärme aus Biomasse inkl. Klär-, Deponiegas und biogener Anteil des Abfalls.

12
Erneuerbare Energie aus Biomasse

und Herstellung von Biogas als stofflichem Energieträger in      Abbildung 2 B: Anteil der biotechnologischen Energieumwand-
der Verstromung. Im Bereich Wärme spielen biotechnologi-         lung an der Energieerzeugung aus Biomasse in Deutschland 2010
                                                                 (Daten: FNR 2011)
sche Prozesse wesentlich nur im Sinn der Abwärmenutzung
eine Rolle.                                                      100

Am Markt eingeführte biotechnologische Verfahren zur
Energieumwandlung beschränken sich derzeit auf die Bio-
gasherstellung und Ethanol als Kraftstoff der 1. Genera­tion      75
(Vergärung von zucker- bzw. stärkereicher Biomasse, die
prinzipiell auch für Lebens- bzw. Futtermittel geeignet wä-
ren). Verfahren zur Nutzung von Rohstoffen, die nicht mit
der Lebensmittelproduktion in Konkurrenz stehen (Biokraft-       50
stoffe der 2. Generation), befinden sich in der Pilot- bzw.
Demonstrationsphase (vgl. Anhang S. 31).

In Deutschland wurden 2010 43 Prozent des aus Biomas-
                                                                 25
se erzeugten Stroms und 24 Prozent der aus Biomasse
erzeugten Kraftstoffe mit biotechnologischen Methoden
­bereitgestellt (vgl. Abb. 2 B). Der größere Teil der aus Bio-
 masse erzeugten Kraftstoffe basiert jedoch auf Pflanzen­
                                                                   0
 ölen, insbesondere aus Rapssaat, die mit chemischen             [%]            Strom                       Kraftstoffe
 Methoden zu Biodiesel weiterverarbeitet werden. Der
                                                                        Biomasse         davon Biotechnologie
 Energie­
        pflanzenanbau in Deutschland belief sich 2011
 auf rund 16 Prozent der Ackerfläche. Biogaskulturen be-
 anspruchten davon 40 Prozent, für die Ethanolerzeugung          in der Biodieselproduktion ist (vgl. Abb. 3). In Brasilien
 wurden ca. 13 Prozent der Energiepflanzenfläche genutzt         wa­ren bereits 2008 21 Prozent des Kraftstoffverbrauchs
 (der überwiegende Anteil entfällt mit 47 Prozent auf Raps).     ­Biokraftstoffe.12
 Im europäischen Vergleich ist Deutschland bei der Biogas­
 produktion führend und produzierte 2009 mit 4,2 Millio-         Preislich ist derzeit nur die Ethanolherstellung aus brasilia­
 nen Tonnen Öläquivalent mehr als die Hälfte der gesamt-         nischem Zuckerrohr mit fossilen Kraftstoffen konkurrenz­fähig,
 europäischen Biogasleistung.10                                  auch wenn sich der Preisabstand zwischen europäischem
                                                                 und brasilianischem Ethanol durch die auf dem Weltmarkt
Global spielt die biotechnologische Umwandlung für er-           seit 2007 gestiegenen Zuckerpreise verringert haben dürfte.
neuerbare Kraftstoffe eine erheblich größere Rolle: 82 Pro-
zent der erneuerbaren Kraftstoffe wurden weltweit 2008           Abb. 4 zeigt, dass vor allem in den USA, Brasilien und in
biotechnologisch erzeugt.11 Brasilien und die USA sind die       Ländern der EU an diesen Verfahren gearbeitet wird.13
Haupterzeugerländer von Ethanol, während die EU ­führend         Wenn auch der weltweite Gesamtmarkt für Ethanol bei

10		 AEBIOM 2011.
11		 OECD 2011.
12		 IEA 2011a.
13		 BiofuelsDigest 2011.

                                                                                                                          13
Biotechnologische Energieumwandlung

     über 100 Milliarden Liter liegt (aufsummiert aus Abb. 3),                aus lignocellulosischen Rohstoffen (Abb. 5).14 Nach dieser
     erreichen die erwarteten Kapazitäten für Ethanol der 2. Ge-              Prognose wird die Umwandlung von Nicht-Lebensmittel-
     neration (Lignocellulose-Ethanol) in den nächsten drei Jah-              rohstoffen in speicherbare Energieträger erst langfristig
     ren nur wenige Prozent davon. Deutschland ist hier kaum                  (Perspektive 2050) unter Kostengesichtspunkten konkur-
     sichtbar.                                                                renzfähig – unter Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspek-
                                                                              ten ist das freilich schon früher gegeben. Sicherlich ist das
     Klassische Biokraftstoffverfahren werden sich zunehmend                  aufwendigere Verfahren derzeit eine hohe Hürde für eine
     in Entwicklungsländern etablieren, Verfahren der 2. Gene-                erfolgreiche Etablierung am Markt. Um auch zukünftig
     ration zuerst in USA, Europa und Schwellenländern, wo es                 erfolgreich im internationalen Vergleich bei der biotechno­
     bereits Pilot-Anlagen gibt. Für die Durchsetzung am Markt                logischen ­Energieumwandlung zu bestehen, muss jetzt in
     ist neben technologisch effizienten Lösungen die Wirt-                   die Verfahrens­entwicklung investiert werden.
     schaftlichkeit entscheidend. Die Internationale Energie-
     agentur (IEA) sieht hier noch bis 2050 geringere Produk-                 Soll aus gesellschaftspolitischen Gründen (Reduzierung
     tionskosten für konventionelles Ethanol gegenüber Ethanol                von THG-Emissionen, Vermeidung von Nahrungskonkurrenz

     Abbildung 3: Weltweite Biokraftstoffproduktion 2010 (Daten: OECD 2011)

         Biokraftstoffproduktion 2010
            50

                          40

                          30

                          20
     [Milliarden Liter]

                          10

                           0
                                  Vereinigte     Brasilien   Europäische       China            Indien
                                   Staaten                      Union
                                  Biodiesel    Ethanol

     14		                 IEA 2011b.
14
Erneuerbare Energie aus Biomasse

und unerwünschter Landnutzungsänderung) die Nutzung                      gesetzlichen Fristen zu kurz. Welche biomassebasierten
lignocellulosischer Rohstoffe für Kraftstoffe gegenüber                  Energieträger sich durchsetzen werden, hängt wesent­
Zucker- und Stärke-basierten Verfahren vorangetrieben                    lich von diesen politischen Weichenstellungen ab.
und zur Marktreife gebracht werden, sind entsprechende
flankierende Maßnahmen nötig. Bereits in der Nationalen                  Die Auswirkungen der politischen Rahmenbedingungen
Forschungsstrategie Bioökonomie 203015 wird das Fehlen                   zeigen sich beim Vergleich zwischen amerikanischer und
von ausreichendem Wagniskapital als ein Hindernis für                    europäischer Förderpolitik. Wesentliches Ziel beim Einsatz
die Durchsetzung neuer Technologien am Markt gesehen.                    von Bioenergie in Europa sind Treibhausgaseinsparungen,
Das EEG gibt langfristig stabile Rahmenbedingungen für                   während die Förderpolitik in den USA stärker auf Erdöl­un­
regenerativen Strom. acatech empfiehlt, ähnlich klare                    abhängigkeit zielte. Dementsprechend wurden in den USA
und langfristig stabile Rahmenbedingungen auch für                       kontinuierlich auch aus Klimaschutzsicht weniger geeignete
Biokraftstoffe der 2. Generation zu schaffen. Gerade                     Verfahren (zum Beispiel Ethanol aus Mais) gefördert und ein
für investitionsintensive Anlagen sind die bestehenden                   volumenmäßiger Marktausbau vorangetrieben. Wesentliche

Abbildung 4: Im Jahr 2010 prognostizierter Ausbau der Kapazitäten für die biotechnologische Produktion von Kraftstoffen der 2. Generation. In
Deutschland wurden für 2011 nur insgesamt 2 Millionen Liter pro Jahr prognostiziert. (Man beachte die Skalierung der Ordinate in Vergleich zur
Abbildung 3.) (Daten: BiofuelsDigest 2011)

                        6
                                                                                                                   EU-27

                                                                                                                   China
                        5
                                                                                                                   Kanada

                                                                                                                   Brasilien
                        4
                                                                                                                   USA

                        3

                        2
[Milliarden Liter/a]

                        1

                        0
                              2009   2010   2011*     2012*         2013*         2014*         2015*
                                                      *Prognose

15		                   BMBF 2010.
                                                                                                                                       15
Biotechnologische Energieumwandlung

       THG-Einsparungen werden erst für Biokraftstoffe der 2. Ge-                                  anlagen; 2011 wurde der Grundstein für eine erste kommerzi-
       neration erwartet.16                                                                        elle Anlage für Ethanol aus Lignocellulosen gelegt.

       Der US Renewable Fuels Standard (RFS) ist einer der Haupt-                                  Die Bioenergienutzung in Deutschland stand von Beginn an
       treiber für die 2. Generation der Biokraftstoffe, da er eine ste-                           stärker unter Effizienz- und damit THG-Einsparungskriterien.
       tige Erhöhung des Lignocellulose-Ethanol-Anteils festschreibt.                              Die Erfahrungen bei Anbau und Nutzung von Biomasse zeig-
       Der Ausbau erneuerbarer Energien im Strom- und Wärme-                                       ten, dass THG-Einsparungen durch Produktions­    methoden
       markt genießt dagegen deutlich geringere Aufmerksamkeit.                                    (insbesondere hoher Düngemitteleinsatz, niedrige Umwand-
       Mit den vorhandenen Kapazitäten bei der Ethanolherstellung                                  lungseffizienzen) und Landnutzungsänderungen (Kohlen­
       sowie der gesetzlichen Grundlage entstand in den USA eine                                   stoffsenke des Bodens17) durchaus konterkariert werden
       gute Startposition zur Kommerzialisierung lignocellulosischer                               können. Großvolumige Ausbauziele wurden in der Folge kri-
       Verfahren. Es gibt dort mehrere Pilot- und Demonstrations­                                  tischer begleitet.

       Abbildung 5: Prognostizierte Entwicklung der Produktionskosten ausgewählter Biokraftstoffe in US-Dollar nach IEA 2011b

                              1,2

                              1,0

                              0,8

                              0,6
     USD/l Benzinäquivalent

                              0,4

                              0,2

                              0,0          2010                    2015                     2030                   2050
                                          Ethanol Zuckerrohr            Ethanol konventionell          Ethanol 2. Generation
                                                                                                       (Lignocellulose)
                                         fossile Kraftstoffe

      16		                    WBGU 2009.
      17		Im                    Boden liegt Kohlenstoff gebunden im Humus vor. Dieser Kohlenstoffvorrat kann jedoch durch erhöhte mikrobielle Aktivität abgebaut
                              werden. Erhöhte mikrobielle Aktivität wird vor allem durch Umpflügen des Bodens (Sauerstoffeintrag) und Düngung (Nährstoffversorgung)
                              hervorgerufen. Exemplarisch für besonders Kohlenstoff-reiche Böden sind Moore und Regenwald. Hier führt Landnutzungsänderung zu beson-
                              ders hohen CO2-Emissionen.
16
Erneuerbare Energie aus Biomasse

Die THG-Einsparungen verschiedener Verfahren wurden in                                                                       Ersatz eines weniger umweltbelastenden fossilen Energie-
einer von der IEA 2010 veröffentlichten Studie18 zusammen-                                                                   trägers resultiert in einem geringeren Einsparpotenzial. So
gefasst. Abb. 6 zeigt die große Bandbreite der Berechnun-                                                                    haben alle Wege, die zum Beispiel Erdgas ersetzen, schon
gen zu den Einsparungspotenzialen der biotechnologischen                                                                     per se ein geringeres Treibhausgasreduktionspotenzial als
Verfahren. Diese zum Teil um mehr als 100 Prozent diffe-                                                                     alle Wege, die Erdöl ersetzen, da die Förderung von Erdöl
rierenden Angaben beruhen zum einen auf unterschied­                                                                         ­umweltbelastender ist als die Erdgasförderung. Trotzdem
lichen zugrunde gelegten Annahmen, Verfahrensvarianten                                                                        sind Trendaussagen möglich. Kommerzialisierte biotechno-
und Rohstoffen, zum anderen werden Nebenprodukte un-                                                                          logische Verfahren, die das in der EU für 2017 verbindliche
terschiedlich berücksichtigt. Die besonders hohen Spann-                                                                      50 Prozent-Einsparungsziel erfüllen können, sind Ethanol
breiten für Algen-Biodiesel und Butanol sind zusätzlich auf                                                                   aus Zuckerrohr, Biogas (insbesondere mit Gülleverwertung)
die Unsicherheiten aufgrund der noch nicht beendeten Ver-                                                                     und Ethanol aus Zuckerrübe, während Ethanol aus Weizen
fahrensentwicklung zurückzuführen. Zudem verändern sich                                                                       und insbesondere Mais höhere Risiken aufweisen.19
die Verfahren und damit verbunden die THG-Einsparungen                                                                       Ethanol aus Lignocellulosen als Kraftstoff der 2. Generation
durch technischen Fortschritt. In die Bewertung fließt                                                                       zeigt ein besseres Potenzial zur Reduktion der Treibhausgas-
auch ein, welcher fossile Energieträger ersetzt wurde. Der                                                                   emissionen, wenn auch hier der Unsicherheitsgrad aufgrund

Abbildung 6: Erzielbare Treibhausgaseinsparungen durch Nutzung biotechnologischer Verfahren im Vergleich mit fossilen Energieträgern. Zusam-
menfassung aus 60 Ökobilanz-Studien (IEA 2010). Die Werte enthalten keine Beiträge durch indirekte Landnutzungsänderung. Einsparungen von
mehr als 100 Prozent sind möglich durch die Anrechnung von Koppelprodukten

                                                   140
Einsparung des Treibhausgas-Ausstoßes in Prozent

                                                   120
                                                   100
                                                   80                                                                                                                    Reduktionsziele
verglichen mit fossilem Kraftstoff

                                                   60                                                                                                                       2018

                                                   40                                                                                                                        2017
                                                   20                                                                                                                        2011

                                                     0
                                                   -20
                                                   -40
                                                   -60
                                                                 n) l

                                                                             l

                                                                                            ol

                                                                                                         ol

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                                                                                                                                       ol

                                                                                                                                               as

                                                                                                                                                              l
                                                               io no

                                                                         no

                                                                                                                                                             e
                                                                                                                                                          es
                                                                                        n

                                                                                                         n

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                                                                        ta

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                                                                                                                                    ha

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                                                                                                                                            Bi
                                                                        Bu

                                                                                        t

                                                                                                     t

                                                                                                                    t

                                                                                                                                   t

                                                                                                                                                         io
                                                         en se-E

                                                                                    s-E

                                                                                                 n-E

                                                                                                                n-E

                                                                                                                               r-E

                                                                                                                                                    n-B
                                                                                                                                h
                                                                                 ai

                                                                                                 ze

                                                                                                              be
                                                      . G lo

                                                                                                                             ro

                                                                                                                                                    ge
                                                                                 M

                                                                                              ei
                                                    (2 ellu

                                                                                                              rü

                                                                                                                          er

                                                                                                                                                 Al
                                                                                             W

                                                                                                           er

                                                                                                                        ck
                                                       C

                                                                                                         ck

                                                                                                                    Zu
                                                                                                       Zu

18		                           IEA 2011b.
19		Pflanzenöle                           und Pflanzenöl-Kraftstoffe sind im Sinne dieser Studie keine biotechnologisch hergestellten Energieträger. Sie sind deshalb nicht
                               berücksichtigt.
                                                                                                                                                                                    17
Biotechnologische Energieumwandlung

     der noch nicht beendeten Technologieentwicklung entspre-                    Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der Wertschöpfung,
     chend hoch ist. Für Butanol ist die große Spanne auch in der                die in Deutschland durch Technologieexport generiert wird,
     Variabilität der Einsatzstoffe begründet. Wie für Ethanol ste-              wichtig. Regional besteht auch in Deutschland ein nutz-
     hen alle Routen über Zucker, Mais, Weizen und – bei erfolg-                 bares Potenzial, um Verfahren für die biotechnologische
     reicher Einführung – über Lignocellulosen zur Verfügung. Die                Energie­erzeugung zu kommerzialisieren, weltweit sind
     Reduktion von THG-Emissionen um mehr als 100 Prozent ist                    ­jedoch bedeutend größere Potenziale vorhanden.
     auf die Anrechnung von Koppelprodukten zurückzuführen.
     Zum Beispiel sind Reste der Ethanolherstellung aus Weizen
     als proteinreiches Tierfutter verwertbar und können so Soja-                2.2	Entwicklung der gesetzlichen Rahmen­
     anbau in anderen Teilen der Welt ersetzen.                                       bedingungen zu Bioenergie

     Aufgrund dieser unterschiedlichen Einflüsse bei der Pro-                    Mit dem im Jahr 1997 von der Europäischen Kommis­
     duktion wurde die Gesetzgebung in Europa weniger ein-                       sion veröffentlichten Weißbuch über erneuerbare Energie­
     deutig in Bezug auf konkrete Zielprodukte gefasst, son-                     träger20 wurden erstmals verbindliche Ziele über den Anteil
     dern sie orientiert sich an Nachhaltigkeitsaspekten. Die                    erneuerbarer Energien am Energiemix in der Europäischen
     Renewable Energy Directive (RED) setzt keine spezifischen                   Union festgelegt. Stabile politische und gesetzliche Rah-
     Quoten für Kraftstoffe der 2. Generation, sondern fördert                   menbedingungen und der verbesserte Zugang erneuerbarer
     ihre Nutzung indirekt über die einzuhaltenden THG- und                      Energien zum Stromnetz sollten im hoch regulierten und
     Nachhaltigkeitsstandards. Die Auswirkungen dieser Rege-                     auch subventionierten Energiemarkt die Voraussetzung für
     lungen auf die Entwicklung der Industrie sind allerdings                    den Ausbau der erneuerbaren Energien schaffen.21
     deutlich unsicherer, verglichen mit den US-amerikani-
     schen. Dies führt dazu, dass die deutsche Wissenschaft                      Ziele für den Anteil von Strom aus erneuerbaren Energiequel-
     und deutsche Wissenschaftler zwar weltweit mit führend                      len und den Anteil von Biokraftstoffen wurden mit europäi-
     auf dem Gebiet der biotechnologischen Energieum-                            schen Richtlinien für das Jahr 2010 definiert, die jedoch kei-
     wandlung sind, die Kommerzialisierung neuer Linien der                      nen bindenden Charakter hatten. Die EU als Ganze verfehlte
     2. Generation jedoch verstärkt in anderen Ländern der                       diese Ziele. Abb. 7 zeigt, dass ein Anteil von 18 Prozent für er-
     Erde stattfindet. acatech empfiehlt daher, internationale                   neuerbaren Strom gegenüber den angestrebten 22,1 Prozent
     Kooperationen bei der Entwicklung und Kommerziali­                          und ein Anteil von 5,1 Prozent Biokraftstoffen gegenüber
     sierung auszubauen.                                                         den angestrebten 5,75 Prozent im Kraftstoffsektor erreicht
                                                                                 wurden. Während Deutschland seine Ziele in beiden Berei-
     Es sind verstärkte Aktivitäten nötig, um bei der groß­                      chen sogar überschritt, konnten nur sieben bzw. neun weitere
     technischen Umsetzung der Technologien Anteil zu ha-                        der 27 EU-Staaten ihre Ziele (über)erfüllen.22 Als Gründe für
     ben. Kooperationen mit biomassereichen Ländern bei der                      das Nichterreichen der Vorgaben wurde unter anderem an-
     Verfahrensentwicklung sind essenziell für eine weitere er-                  geführt, dass die Vor­gaben nicht verbindlich gewesen seien
     folgreiche Behauptung am Markt.                                             und der bestehende Rechtsrahmen für ein unsicheres Investi-
                                                                                 tionsklima gesorgt habe.23

     20		   Europäische Kommission 1997.
     21		Strategie und Aktionsplan zur Förderung erneuerbarer Energien wurden für alle erneuerbaren Energieträger entwickelt; sie sind nicht ­spezifisch

          für die biotechnologische Energieumwandlung.
     22		 Europäische Kommission 2011a.
     23		 Europäische Kommission 2009.

18
Biotechnologische
                                                                                    Erneuerbare Energie
                                                                                                    Energieumwandlung
                                                                                                        aus Biomasse

Mit der Richtlinie des Europäischen Parlaments zur Förde-     Ausweitung agrarischer Produktion, also auch für Rohstof-
rung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen         fe der ­Lebensmittel-, Pharma- und Kosmetikindustrie. Die
(Renewable Energy Directive: RED)24 wurden daher gesetz-      Vermeidung unerwünschter Landnutzungsänderungen
lich bindende Zielvorgaben gemacht. Sie beinhalten einen      ist mög­licherweise effektiver durch bi- oder multilaterale
Anteil von 20 Prozent erneuerbarer Energie am Bruttoend-
energieverbrauch und von 10 Prozent im Verkehrssektor
(vgl. Abb. 7). Es wurden nationale Aktionspläne mit jeweils   Abbildung 7: Anteil der erneuerbaren Energien am Brutto-Endenergie-
unterschiedlichen zu erreichenden Zielen sowie Modali-        verbrauch im Jahr 2010. Zielvorgaben gemäß EU-Richtlinien 2001 und
                                                              2003 sowie Novellierung des deutschen EEG Gesetzes 2012 (Daten:
täten für die Nutzung von Biokraftstoffen festgelegt, um      Europäische Komision 2011a)
den bereits erreichten Stand der Nutzung erneuerbarer
Energien in den Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen. Die      40
Bundesregierung beschloss im August 2010 ihren Natio-                                           Ziel 2020
nalen Aktionsplan für erneuerbare Energie. Darin legte sie
für Deutschland ein Ziel von 18 Prozent erneuerbarer Ener-
gie am Brutto-Endenergieverbrauch, im Verkehrssektor von      30
10 Prozent fest, das im Jahr 2020 erreicht werden soll.

                                                                                        Ziel 2010
Neben Zielvorgaben legt die RED gleichzeitig verbindliche
                                                                    Ziel 2020
Nachhaltigkeitskriterien fest. Dadurch wächst der Druck auf   20
eine erfolgreiche Kommerzialisierung solcher Verfahren zur                  Ziel 2020
Energiegewinnung. Insbesondere für die Nutzung von Bio-
energie gilt die Forderung einer nachhaltigen Erzeugung,
der Einhaltung von Mindeststandards für die Treibhausgas­     15
einsparung und die Vermeidung von Schäden durch eine
veränderte Flächennutzung sowie einer Diversifizierung der                                       Ziel 2010
Rohstoffquellen.                                                            Ziel 2010                               Ziel 2020
                                                              10
Mit der Festlegung der Nachhaltigkeitsstandards wird
eine direkte Landnutzungsänderung zum Anbau von
Energiepflanzen ausgeschlossen. Festlegungen zur
­                                                                                                                    Ziel 2010
Berücksich­tigung bzw. Vermeidung von Verschiebung             5
der Lebensmittelanbau­flächen in Gebiete mit wichtigen
ökologischen Funktionen durch einen ausgeweiteten
Energiepflanzen­anbau (indirekte Landnutzungs­änderung)
sind hingegen noch in der Diskus­sion. Eine von der EU         0
veröffentlichte Studie weist darauf hin, dass die Auswir-     [%]      Brutto-End-             Strom         Verkehrssektor
                                                                    energieverbrauch
kungen indirekter Landnutzungsänderungen nicht unter-
                                                                     EU          Deutschland
schätzt werden dürfen.25 Sie gelten aber für jede Form der

24		   RED 2009.
25		   IFPRI 2011.
                                                                                                                          19
Biotechnologische Energieumwandlung

     Abkommen mit den Erzeugungsländern zu erreichen und            Die mit der Förderung von erneuerbaren Energien verbun-
     sollte nicht nur die Produktion von Rohstoffen für Bioener-    denen Ziele der Bekämpfung des Klimawandels und Ver-
     gie betreffen.                                                 besserung der Versorgungssicherheit werden flankiert von
                                                                    Bestimmungen zur Energieeffizienz.27 Die Mitglieds­staaten
     Das Nachhaltigkeitskonzept ist nicht nur auf flüssige Ener-    haben sich verpflichtet, ihren Primärenergieverbrauch
     gieträger/Kraftstoffe anzuwenden. Es muss auch für die         bis 2020 um 20 Prozent zu verringern („20-20-20-Ziel“).
     Nutzung fester und gasförmiger Energieträger aus Biomas-       Energie­effizienz soll in die allgemeine Energiepolitik und
     se bei Stromerzeugung, Heizung und Kühlung gelten. Die         das Maßnahmen­paket für Energie und Klima integriert wer-
     von der Europäischen Kommission für 2013 vorgeschlagene        den; nur so sind die ambitionierten Ausbauziele nachhaltig
     CO2-Besteuerung26 könnte die Konkurrenzfähigkeit von re-       erreichbar.
     generativen Energieträgern gegenüber fossilen weiter stär-
     ken. Diese Besteuerung kann als flankierende Maßnahme          Die Vorgaben der RED wurden unter anderem mit der
     auch die Markteinführung neuer, nachhaltiger Bioenergie-       Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung, der Biomasse-
     Technologien begleiten. Ein erfolgreicher Strukturwandel       strom-Nachhaltigkeitsverordnung und Änderungen zum
     bedarf weiterer politischer Steuerungsmaßnahmen.               Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in deutsches Recht
                                                                    überführt. Dabei müssen flüssige Bioenergieträger Mindest-
      In der Entwicklung der gesetzlichen Vorgaben zur Bioener-     anforderungen zur Einsparung von Treibhausgasen gegen-
      gie spiegelt sich die Lernkurve wider, die seit Beginn der    über dem jeweiligen konventionellen Energieträger erfüllen
      intensivierten Nutzung regenerativer Energien durchlau-       (Minderung von 35 Prozent ab 2011, 50 Prozent ab 2017
      fen wurde. Während im Kyoto-Protokoll von 1997 Bioener-       und 60 Prozent ab 2018). Die im deutschen EEG-Gesetz ge-
      gie noch als CO2-neutral angesehen wurde, rückte durch        troffenen Festlegungen zu Einspeisevorrang und Einspeise­
     wissenschaftliche Studien und Untersuchungen zuneh-            vergütung haben den stabilen Netzzugang für erneuerbare
     mend ins Bewusstsein, dass intensive Landwirtschaft vor        Energien ermöglicht. Die für 2012 vorgesehene Novellie-
     allem durch direkte und indirekte Landnutzungs­änderung        rung28 hält an diesen bewährten Grundprinzipien fest und
     auch zu deutlich negativen Effekten hinsichtlich Treib-        richtet die Förderung nun stärker auf die notwendige Stei-
     hausgasemissionen führen kann: Die Zerstörung der              gerung der Kosteneffizienz und die verbesserte Markt-, Netz-
     ­Kohlenstoffsenkenfunktion von naturnahen Böden und            und Systemintegration aus. Für Planungssicherheit sorgt
      erhebliche Emissionen durch intensive Düngung haben           eine langfristige Perspektive: Der Anteil der erneuerbaren
      daran den größten Anteil. Konsequenterweise folgten ver-      Energien am Stromverbrauch soll 2020 mindestens 35 Pro-
      bindliche Regelungen für eine ausreichende Berücksich­        zent betragen. 2030 sollen es 50 Prozent, 2040 65 Prozent
      tigung der Nachhaltigkeit. Mittlerweile werden Nach-          und 2050 80 Prozent sein.
      haltigkeitskriterien nicht nur in Bezug auf Emissionen,
      sondern auch in sozialer und ökologischer Hinsicht ge-        Diese Ziele unterstreichen den politischen Willen, den auf-
      fordert. Die Beachtung dieser Kriterien ist für die weitere   grund des 2011 beschlossenen Ausstiegs aus der Atomkraft
      Forschung und Entwicklung in der Bioenergie und deren         notwendigen Umbau der Strombereitstellung zum verstärk-
      erfolgreichen Ausbau essenziell.                              ten Ausbau der erneuerbaren Energien zu nutzen.

     26		 Europäische Kommission 2011b.
     27		 Europäische Kommission 2008.
     28		 EEG 2012.

20
Erneuerbare Energie aus Biomasse

Für die Stromerzeugung stehen mit Wind- und Solartech­                  die erhöhte CO2-Produktion durch die Verbrennung fossiler
nik effektive Alternativen zu fossilen Energieträgern /                 Energie­träger und der damit verknüpfte Klimawandel ver-
Atomkraft zur Verfügung, die einen höheren Flächen­                     ringert werden.
nutzungsgrad29 als Bioenergie aufweisen. Biomasse ist
zudem nur begrenzt verfügbar. Die Verwendung von                        Der Nationale Biomasseaktionsplan der Bundesregierung31
Biomasse sollte mit stabilen Rahmenbedingungen lang­                    setzt die Schwerpunkte der Bioenergienutzung daher
fristig in Richtung stofflicher Energieträger als Ersatz für
fossile Kraftstoffe gelenkt werden. Biotechnologische                   —— auf einen optimalen Beitrag zum Klimaschutz,
Verfahren zur Herstellung von speicherbaren Energieträ­                 —— auf Versorgungssicherheit und
gern und von Kraftstoffen erfüllen daher eine strategisch               —— auf wirtschaftliche Entwicklung und inländische Wert-
wichtige Aufgabe gegenüber der Verbrennung zur Strom-                      schöpfung, insbesondere im ländlichen Raum.
und Wärmegewinnung.
                                                                        Die Verschränkung von Klimaschutzzielen und wirtschafts-
Zwar würden prinzipiell durch die Verbrennung von Bio-                  politischen Zielen wie die Versorgungssicherheit und
masse mehr fossile Energieträger für Kraftstoffe zur Ver-               Unabhängigkeit von Rohstoffimporten ist dabei höchst
fügung stehen. Sollen aber auch im Bereich Kraftstoffe                  anspruchsvoll. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundes­
wesentliche Anteile regenerativ erzeugt werden – wie es in              regierung Globale Umweltfragen (WBGU) weist in seinem
den EU-Richtlinien festgehalten ist –, kann auf Biomasse                Hauptgutachten „Gesellschaftsvertrag für eine Große Trans-
nicht verzichtet werden. Hier sind vor allem Verfahren der              formation“32 darauf hin, dass trotz der programmatischen
„2. Generation“ hervorzuheben, die nicht in Konkurrenz zur              Ebenbürtigkeit die Erfüllung beider Ziele in der Praxis nicht
Lebensmittelproduktion stehen                                           immer zeitgleich stattfinden kann. Die Transformation des
                                                                        Energiesystems erfolge nicht primär aus Mangel an fossilen
                                                                        Ressourcen, sondern zur Vermeidung gefährlicher Klima­
2.3	Gesellschaftliche Rahmenbedingungen                                 veränderungen. Bereits im Hauptgutachten Bioenergie33
                                                                        wird darauf hingewiesen, dass „Bioenergie nicht als bloßer
In der Politik und in der Bevölkerung besteht allgemein                 quantitativer Beitrag zur Energiemenge zu sehen [ist], son-
ein breiter Konsens zum Ausbau erneuerbarer Energien.30­                dern allgemein die qualitativen Eigenschaften von Biomas-
Die mit der Nutzung gewünschten Ziele sind jedoch                       se daraufhin zu überprüfen [sind], wie sie zu den Zielen
nicht immer kohärent: Erneuerbare Energien unterliegen                  eines nachhaltigen Energiesystems beitragen können.“
verschiedenen Beurteilungskriterien. Aus wirtschaftspoli-
­
tischer Sicht soll mit regenerativer Energie die Abhängig-              Auch das Umweltbundesamt34 weist darauf hin, dass bei
keit von ­ Rohstoffimporten verringert werden. Zusätzlich               den derzeitigen Ausbauzielen für Bioenergie die global
ist Klima­schutz ein wichtiges gesellschaftspolitisches Ziel            pro Kopf zur Verfügung stehende Landwirtschaftsfläche
und ein wesentlicher Treiber für den verstärkten Umbau                  leicht überschritten werden kann und eine Bioenergie-
der Energieerzeugung. Mit regenerativer Energie sollen                  erzeugung nicht nur auf landwirtschaftlich angebauten

29		 Der Flächennutzungsgrad beschreibt, wie viel Energie in einem Jahr pro Flächeneinheit gewonnen werden kann.
30		 Europäische Kommission 2010.
31		 BMU und BMELV 2009.
32		 WBGU 2011.
33		 WBGU 2009.
34		 Bringezu et al. 2009.

                                                                                                                               21
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