Epidemiologisches Bulletin 8 2021 - KH+P yachtcharter.

 
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   8 Epidemiologisches
2021 Bulletin
25. Februar 2021

                   Antigentests zur Eigenanwendung |
                   Reiseassoziierte COVID-19-Fälle |
                   RKI-Frauengesundheitsbericht
Epidemiologisches Bulletin           8 | 2021       25. Februar 2021                                                      2

  Inhalt

  Was ist bei Antigentests zur Eigenanwendung zum Nachweis von SARS-CoV-2 zu beachten? 3
  Für den Nachweis einer akuten SARS-CoV-2-Infektion stehen in Deutschland aktuell zwei Testverfahren zur
  Verfügung: PCR-Methoden und Antigentests. Beide sind zur Anwendung durch Fachpersonal vorgesehen.
  Derzeit werden Antigentests, bei denen Probennahme, Testung und Bewertung des Ergebnisses durch medi-
  zinische Laien vorgesehen sind, im Rahmen der CE-Kennzeichnung geprüft. Antigen-Selbsttests zum Nach-
  weis einer akuten Infektion mit SARS-CoV-2 bieten Chancen, haben aber auch Risiken und Limitationen..

  (Dieser Beitrag erschien online vorab am 22. Februar 2021.)

  Betrachtung der reiseassoziierten COVID-19-Fälle im Sommer 2020                                                             10
  Die Frühphase der ersten COVID-19-Welle in Deutschland im Frühjahr 2020 war durch einen hohen Anteil
  reiseassoziierter Fälle geprägt. Hinzu kamen zunehmend autochthone Übertragungen, ehe die Fallzahlen
  nach einem ersten Lockdown zum Sommer hin deutlich abfielen. Vor Beginn der zweiten Welle war ein vo-
  rübergehender Anstieg der Fallzahlen zu verzeichnen. Diese „Sommerferienwelle“ reiseasso­ziierter
  ­COVID-19-Infektionen wird näher beschrieben und in Beziehung zu Schulferien, Angaben zur Reisetätigkeit
   und Testkapazitäten gesetzt.

  (Dieser Beitrag erschien online vorab am 8. Februar 2021.)

  Wie steht es um die Frauengesundheit?
  Neuer Bericht der Gesundheitsberichterstattung am RKI ist erschienen                                                        24
  Am 9.12.2020 wurde der neue Frauengesundheitsbericht des Robert Koch-Instituts publiziert. Der 400-
  seitige Bericht entstand im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung des Bundes und informiert umfassend
  zum Gesundheitszustand, Gesundheitsverhalten und zur Gesundheitsversorgung von Frauen und Mädchen
  aller Altersgruppen in Deutschland.

  Aktuelle Statistik meldepflichtiger Infektionskrankheiten: 7. Woche 2021                                                    30

  Impressum
  Herausgeber                                                      Allgemeine Hinweise/Nachdruck
  Robert Koch-Institut                                             Die Ausgaben ab 1996 stehen im Internet zur Verfügung:
  Nordufer 20, 13353 Berlin                                        www.rki.de/epidbull
  Telefon 030 18754 – 0
                                                                   Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendigerweise
  Redaktion                                                        die Meinung des Robert Koch-Instituts wider.
  Dr. med. Jamela Seedat
  Dr. med. Maren Winkler (Vertretung)                              Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons
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  Nadja Harendt (Redaktionsassistenz)
  Telefon: 030 18754 – 24 55
  Claudia Paape, Judith Petschelt (Vertretung)                     ISSN 2569-5266
  E-Mail: EpiBull@rki.de

         Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
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  Was ist bei Antigentests zur Eigenanwendung (Selbsttests)
  zum Nachweis von SARS-CoV-2 zu beachten?

  Infektionen mit dem Severe Acute Respiratory Syn-          steht. Von der Bearbeitung der Proben (Extraktion
  drome Corona Virus 2 (SARS-CoV-2) einschließlich           des genetischen Materials, Vorbereitung der PCR-
  seiner durch Evolution entstehendenen Varianten            Reaktion) bis zur Auswertung der Ergebnisse verge-
  präsentieren sich mit einem breiten aber unspezifi-        hen mehrere Stunden. Bei hohem Probenaufkom-
  schen Symptomspektrum. Dieses reicht von asymp­            men und einem Mangel an Reagenzien oder Mate-
  tomatischen Verläufen oder sehr milden, vom Be-            rial kann sich die Bereitstellung der Ergebnisse ggf.
  troffenen kaum wahrgenommen Zeichen bis hin zu             entsprechend verzögern.
  schweren und schließlich tödlichen Verläufen.
                                                             Antigentests lassen sich mit deutlich weniger Auf-
  Die SARS-CoV-2-Diagnostik stellt eine tragende             wand und Infrastruktur durchführen und liefern
  Säule im Rahmen der Erkennung der Infektion, des           ein Ergebnis in kurzer Zeit, weisen allerdings eine
  Meldewesens und der Steuerung von Maßnahmen                geringere Sensitivität und Spezifität als PCR-Tests
  dar. Für den Nachweis einer akuten Infektion mit           auf, was zu einer höheren Anzahl falsch negativer
  SARS-CoV-2 stehen in Deutschland derzeit zwei un-          bzw. falsch positiver Testergebnisse führen kann.
  terschiedliche erstattungsfähige Testverfahren für         Falsch positive Ergebnisse können durch einen
  den direkten Erregernachweis zur Verfügung:                nachfolgenden PCR-Test erkannt werden. Die Ver-
  PCR-Methoden mittels Nukleinsäureamplifika­                gütung der Tests im Rahmen der SARS-CoV-2-Dia-
  tionstechnik (NAAT, z. B. reverse Transkriptase PCR        gnostik bzw. der Umsetzung der nationalen Testra-
  [RT-PCR]) und Antigentests. Diese Tests sind zur           tegie ist über den einheitlichen Bewertungsmaßstab
  Anwendung durch Fachpersonal vorgesehen (La-               (EBM) oder die Corona­virus-Testverordnung (TestV)
  bortests und sogenannte „Point-of-Care-“(POC-)             geregelt. Detaillierte Informationen zur Indikation
   Tests, die direkt vor Ort fachgerecht durchgeführt        und Durchführung geeigneter diagnostischer Tests
   werden können; siehe Nationale Teststrategie und          sowie zur Bewertung der Ergebnisse finden sich in
  die Coronavirus-Testverordnung). Für beide o. g.           den „Hinweisen zur Testung von Patienten auf In-
  Testverfahren wird das Untersuchungsmaterial aus           fektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-
  den oberen Atemwegen, etwa durch einen tiefen              CoV-2“.
  ­Nasen-Rachen-Abstrich gewonnen, da sich das ­Virus
   im Epithel der Atemwege vermehrt.
                                                             Prüfung und Eignung von Antigentests
                                                             Derzeit wird die Eignung von Antigentests für die
  Nachweis von SARS-CoV-2                                    Anwendung durch medizinische Laien im Rahmen
  mittels RT-PCR und Antigentests                            der CE-Kennzeichnung geprüft, bei denen Proben-
  Der Nachweis von SARS-CoV-2 mittels RT-PCR ist             nahme, Testung und Bewertung des Ergebnisses
  der Goldstandard und zeichnet sich durch eine sehr         durch Selbsttestung/Eigenanwendung, d. h. auch
  hohe Sensitivität und Spezifität aus. Allerdings sind      durch medizinische ­Laien, vorgesehen sind. Als
  bei hohem Probenaufkommen PCR-basierte Tests               In-vitro-Diagnostika ­unterliegen diese Tests dem
  eine begrenzte Ressource. Bei extensiver Anwen-            Medizinprodukte­gesetz, welches die europäische
  dung kommt es zu Lieferengpässen bei Testreagen-           Richtlinie über In-vitro-Diagnostika-Richtlinie
  zien oder Material wie Plastikwaren und Pipetten-          (IVDR) (98/79/EG) umsetzt. Danach müssen Tests
  spitzen, die auch andere diagnostische Fragestellun-       zur Eigenanwendung so hergestellt sein, dass das
  gen in der Bearbeitung betreffen können. Zudem             Medizinprodukt (inkl. Gebrauchsinformationen,
  wird für die Durchführung Fachpersonal benötigt,           Kennzeichnung etc.) hinsichtlich Sicherheit und
  welches nur in begrenztem Umfang zur Verfügung             Leistungsfähigkeit ausreichend gebrauchstauglich
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  Abb. 1 | Die Aussagekraft von Antigen-Schnelltests hängt von der Sensitivität und Spezifität des jeweiligen Tests sowie vom Anteil
  der Infizierten unter den getesteten Personen ab (Vortestwahrscheinlichkeit). Die Rechenbeispiele in Abbildung 1A und 1B
  illus­trieren, wie die Aussagekraft der Antigen-Schnelltests von der Spezifität der Tests abhängt. Weitere Rechenbeispiele können
  mit einer inter­aktiven Anwendung auf der Webseite des Robert Koch-Instituts (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/
  Neuartiges_Coronavirus/Infografik_Antigentest_Tab.html) berechnet werden. Im 1. Rechenbeispiel (A, s. Abb. oben) wird eine
  klinische Sensitivität von 60 % und eine klinische Spezifität von 97 % angenommen. Im Rechenbeispiel unten (B, s. Abb. unten)
  wird zum Vergleich eine höhere klinische Spezifität von 99 % angenommen. Zudem wird im Rechenbeispiel angenommen, dass
  0,22% der Getesteten tatsächlich infiziert sind, wenn bei einer 7-Tage-Inzidenz von 35 pro 100.000 ungezielt getestet wird und
  ca. 33% der Infizierten im Meldewesen erfasst werden. Die Anzahl der resultierenden positiven und negativen Testresultate und
  die resultierenden Vorhersagewerte werden anhand eines sogenannten Natürlichen Häufigkeitsbaums illustriert. Unter den oben
  genannten Annahmen liegt im 1. Beispiel (A, s. Abb. oben) der positive Vorhersagewert bei ca. 4,17 %. Der negative Vorhersage-
  wert liegt bei ca. 99,91 %. Im 2. Beispiel (B, s. Abb. unten) liegt der positive Vorhersagewert bei ca. 11,50 %. Der negative
  Vorhersagewert bleibt bei ca. 99,91 %.
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  zur Eigenanwendung durch Laien ist und die Ergeb-           telefonisch mit dem Hausarzt oder einem geeigne-
  nisqualität unter diesen Anwendungsbedingungen              ten Testzentrum in Verbindung setzt, der/das dann
  sichergestellt werden kann. Dies umfasst die ge-            eine PCR-Testung in die Wege leitet und ggf. Hin-
  samte Anwendung des Tests und schließt auch die             weise zum weiteren Vorgehen gibt.
  Berücksichtigung einer entsprechend gebrauchs-
  tauglichen bzw. zuverlässigen Probennahme und               Ein häufig nicht richtig verstandener Aspekt betrifft
  Ergebnisdarstellung ein. Für den Marktzugang ist            die Aussagekraft eines negativen Ergebnisses, nicht
  die Erfüllung dieser Vorgaben gegenüber einer be­           zuletzt mit der Erwartung, dass eine Person sich für
  nannten Stelle nachzuweisen. In Produkten, die er-          bestimmte Situationen, die mit engeren Kontakten
  folgreich durch eine benannte Stelle zertifiziert           einhergehen, „freitesten“ könnte: Ein negatives
  wurden, darf die vierstellige Prüfziffer der benann-        ­Testergebnis schließt eine SARS-CoV-2-Infektion
  ten Stelle in der Gebrauchsanweisung ausgewiesen             nicht aus! Auch bei korrekter Testdurchführung ist
  werden. In Europa können In-vitro-Diagnostika                es lediglich weniger wahrscheinlich zum Zeitpunkt
  ­alleinig unter Veröffentlichung von durch die Her-          der Testung kontagiös, d. h. für andere ansteckend
   steller selbst generierten Validierungsdaten vertrie-       zu sein. Weiterhin ist die Aussagekraft eines sol­
   ben werden; eine unabhängige Validierung muss               chen Testergebnisses zeitlich begrenzt! Es ist also
   hier nicht durchlaufen werden. Eine „Zulassung“             durchaus möglich, dass eine infizierte Person, die
   im ­engeren Sinne ist Medizinprodukte-rechtlich             ein negatives Antigentestergebnis erhält, bereits am
   nicht vorgesehen. Unabhängige Überprüfungen der             darauffolgenden Tag (bei gestiegener Viruslast im
   Herstellerangaben zur Test-Performance sollten bei          Nasen-Rachenraum) ein positives Ergebnis be-
   der Auswahl der Teste berücksichtigt werden (siehe          kommt. (Falsch) negative Testergebnisse dürfen da­
   ­https://diagnosticsglobalhealth.org und Foundation         her nicht als Sicherheit (etwa in der Form „Ich bin
    for Innovative Diagnostics (FINDDx); https://www.          nicht infiziert und kann daher auf Schutzmaßnah­
    finddx.org/sarscov2-eval-antigen/). Darüber hinaus         men verzichten“) verstanden werden. Es ist in
    ist die Qualität der Probennahme für ein korrektes         ­jedem Falle erforderlich, trotz eines negativen Anti­
    Testergebnis entscheidend. Es ist wichtig, dass             gentestergebnisses weiterhin die AHA+L-Regeln
    ­Untersuchungsmaterial aus Regionen des oberen              einzuhalten. Treten auch trotz eines negativen
     Respirationstraktes gewonnen wird, welche poten-           Antigentestergebnisses Symptome auf, die mit
                                                                ­
     ziell eine hohe Viruslast aufweisen. Dazu muss der         ­COVID-19 vereinbar sind, ist es erforderlich, Ärzt­
     Hersteller leicht verständliche Angaben machen.             Innen zur weiteren Klärung zwecks PCR-Testung
                                                                 zu kontaktieren.

  Aussagekraft positiver und negativer
  Ergebnisse von Antigentests                                 Chancen bei der Eigenanwendung von
  Gerade bei der Anwendung von Antigentests durch             Antigentests zum Nachweis einer akuten
  Laien ist es essenziell, dass der Anwender das Test­        Infektion mit SARS-CoV-2
  ergebnis richtig interpretieren und sachgerechte            Durch Antigentests zur Eigenanwendung kann eine
  Schlussfolgerungen daraus ziehen kann. Ein positi­          breite und schnelle Testung vieler Menschen erfol-
  ves Ergebnis mit einem geeigneten Antigentest               gen. Bei korrekter und zeitgerechter Durchführung
  stellt zunächst einen Verdacht auf eine                     des Tests kann ein schnelles eigenverantwortliches
  SARS-CoV-2-Infektion dar. Es ist jedoch noch keine          Ergreifen von Maßnahmen zu einer Verbesserung
  Diagnose einer SARS-CoV-2-Infektion. Die Diagno-            des Infektionsschutzes und zu einer Verlang­
  se wird erst durch den nachfolgenden RT-PCR-Test            samung der Ausbreitung von SARS-CoV-2 führen.
  sowie die ärztliche Beurteilung gestellt. Bei einem         Vermehrtes Testen auch mittels Selbsttestung kann
  positiven Antigentestergebnis werden hohe Anfor-            durch die zeitnahe Erkennung von Infektionen, die
  derungen an das daraus resultierende selbstverant-          andernfalls unentdeckt geblieben wären, mehr und
  wortliche Handeln gestellt. Es ist erforderlich, dass       frühzeitigere Kontaktreduktionen durch häusliche
  sich die positiv getestete Person in Absonderung be-        Absonderung ermöglichen. Durch die Anwendung
  gibt (d. h. Kontakte konsequent reduziert) und sich         der Antigentests durch medizinische Laien könnte
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  das ansonsten dafür benötigte medizinische Perso-             Dieser Sachverhalt ist auch vielen medizinisch ge-
  nal teilweise entlastet werden. Des Weiteren bieten           schulten Personen nicht bekannt.1–3 Ob in Fachkrei-
  sie die Möglichkeit bei einem positiven Testergeb-            sen bekannt ist, dass die Herstellerangaben zur Sen-
  nis, noch vor der Bestätigung durch die PCR-Tes-              sitivität und Spezifität von Antigentests auf PCR-­
  tung und die darauffolgende Einleitung von Maß-               positiven Proben beruhen und zudem in der Praxis
  nahmen, erinnerliche Kontaktpersonen eigenver-                davon stark abweichen können, ist zustätzlich un-
  antwortlich frühzeitig zu warnen. Zu bedenken ist             klar. Sogenannte Natürliche Häufigkeitsbäume
  aber, dass ein korrektes Ergebnis stark von der re­           (s. Abb. 1A und 1B) können sowohl medizinisch ge-
  gelrechten Probengewinnung und Testdurchfüh­                  schulte wie auch ungeschulte Personen unterstüt-
  rung abhängt und in seiner Bedeutung von dem                  zen, den Zusammenhang zwischen Prävalenz (An-
  Betroffenen und seiner Umgebung verstanden wer­               teil der Infizierten unter den Getes­teten, Vortest-
  den muss. In Studien konnte gezeigt werden, dass              wahrscheinlichkeit), Sensitivität, Spezifität und posi-
  bei richtiger Anleitung, die Probenentnahme und               tivem und negativem Vorhersagewert zu verstehen.4
  daraus resultierende Antigentestergebnisse durch              Der positive Vorhersagewert beziffert die Wahr-
  Privatpersonen vergleichbar mit der Entnahme                  scheinlichkeit, dass eine Person infiziert ist, wenn
  durch medizinisches Personal war, was die Wich-               sie positiv getestet wurde. Der negative Vorhersage-
  tigkeit einer einfachen Darstellung der Anwendung             wert beziffert die Wahrscheinlichkeit, dass eine Per-
  durch Piktogramme von Seiten der Hersteller un-               son nicht infiziert ist, wenn sie negativ getestet wur-
  termauert.4,5                                                 de. Das folgende Rechenbeispiel illus­triert diesen
                                                                Zusammenhang. Weitere ­Rechenbeispiele können
                                                                mit einer interaktiven ­Anwendung auf der Webseite
  Risiken und Limitationen bei der                              des Robert Koch-­Instituts (https://www.rki.de/DE/
  Eigenanwendung von Antigentests                               Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Info-
  (Selbsttests) zum Nachweis einer                              grafik_Antigentest_Tab.html) berechnet werden. ­In
  akuten Infektion mit SARS-CoV-2                               unserem Rechenbeispiel wird angenommen, dass
  Die Nationale Teststrategie sieht ein zielgerichtetes         0,22 % der Getesteten tatsächlich infiziert sind,
  und anlassbezogenes Testen vor. In der Öffentlich-            wenn bei einer 7-Tage-Inzidenz von 35 pro 100.000
  keit wird eine umfangreiche, auch anlasslose Tes-             ungezielt getestet wird und ca. 33 % der Infizierten
  tung im Rahmen der Beherrschung der pandemi-                  im Meldewesen erfasst werden. Bei der Verwen-
  schen Situation viel diskutiert. Für eine bessere Be-         dung eines Antigentests mit einer klinischen Sensi-
  wertung ist die Kenntnis der Leistungsfähigkeit               tivität von 60 % bei asymptomatischen Personen
  und Aussagekraft dieser Antigentests von Bedeu-               und einer Spezifität von 97 % beträgt der negative
  tung. Auch sollten den Anwendern die Situationen,             Vorhersagewert des Antigentests ca. 99,91 %. Der
  in denen eine solche Testung zu einem sachgerech-             positive Vorhersagewert beträgt dann 4,17 %. Diese
  ten Verhalten beitragen kann, bekannt sein, z. B.             Werte hängen jedoch stark von weiteren ­Variablen
  frühzeitige Erkennung einer SARS-CoV-2-Infek­                 ab (Testzeitpunkt; Qualität der Probennahme; Qua-
  tion und nachfolgende Unterbrechung von Infek­                lität des verwendeten Tests).
  tionsketten. Ein äußerst wichtiger Punkt muss ver­
  standen werden: Diese Antigentests eignen sich                Bei positivem Ergebnis eines Antigentests zur Ei-
  nicht zur Anwendung bei Kontaktpersonen, um in                genanwendung besteht das Risiko, dass eine positiv
  ­eigener Verantwortung eine Quarantäne zu umge­               getestete Person keine Nachtestung durch Ärzt­
   hen oder zu verkürzen.                                       Innen oder ein geeignetes Testzentrum veranlasst.
                                                                In diesem Fall erfolgt keine Diagnose mit anschlie-
  Die Frage, wie wahrscheinlich eine Person mit ei-             ßender Meldung an die Gesundheitsbehörden. Da-
  nem positiven (oder negativen) Testergebnis tat-              durch können ggf. eine notwendige Behandlung
  sächlich (nicht) infiziert ist, lässt sich aus der Sensi-     oder Maßnahmen durch die Gesundheitsbehörden
  tivität und Spezifizät nur unter Berücksichtigung             nicht eingeleitet werden (Meldung, Isolation, Kon-
  des Anteils der tatsächlich Infizierten unter den Ge-         taktnachverfolgung, Quarantäne). Gemäß den Ver-
  testeten berechnen (Vortestwahrscheinlichkeit).               ordnungen einiger Bundesländer löst ein positives
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  Antigentestergebnis bereits die Verpflichtung zur           können in der Regel die Probenqualität nicht kon­
  häuslichen Absonderung aus. Ein positives Anti-             trollieren. Die Qualität der Probennahme ist jedoch
  gentestergebnis ohne sachkundige Erläuterung                für die Testung entscheidend. Ein fälschlicherweise
  oder nie­drigschwelliges Angebot zur Beratung (On-          negatives Testergebnis, welches durch nicht sachge-
  line, ­Telefon) und Nachtestung kann außerdem zu            rechte Abstrichentnahme oder Testdurchführung
  einer Fehleinschätzung des Betroffenen und damit            entstanden ist, birgt beispielsweise die Gefahr, dass
  zu ­einer erhöhten Verunsicherung führen.                   eine nichterkannte akut infizierte Person SARS-
                                                              CoV-2 weiter verbreitet, mit möglicherweise schwer­
  Aufgrund der geringeren Spezifität von Antigen-             wiegenden Konsequenzen. Durch eine breite und
  tests im Vergleich zur RT-PCR muss ein positives            den besonderen Umständen der Eigenanwendung
  Resultat eines Antigentests immer durch Methoden            Rechnung tragende Kommunikation und Informa­
  der NAAT (u. a. RT-PCR-Test) bestätigt werden.              tionsvermittlung kann ein wichtiger Beitrag geleis-
                                                              tet werden, diese Risiken zu minimieren. Die Infor-
  Eine breite Anwendung von Antigentests zur                  mationsvermittlung sollte nicht nur medizinisch
  ­Eigenanwendung in der Bevölkerung, die Anforde-            ungeschulte Personen erreichen, sondern auch
   rungen an die Spezifität nicht erfüllen, kann zudem        ­medizinisch geschultes Personal. Die Hersteller­
   dazu führen, dass es zu einem erhöhten Bedarf an            angaben zur Qualität der Tests beziehen sich auf die
   Bestätigungstests (NAAT-Methoden, u. a. RT-PCR)             Sensitivität und Spezifität der Tests. Daraus lassen
   und somit zur Bindung von Personalkapazitäten in            sich die positiven und negativen Vorhersagewerte
   Praxen und dem ÖGD sowie den Laboren kommt.                 der Tests nicht direkt ableiten.
   An Verständnis und Eigenverantwortlichkeit der
   Anwender werden daher sehr hohe Anforderungen              Grundsätzlich dürfen Produkte für den Nachweis
   gestellt. So kann zum Beispiel das sichere Ablesen         von SARS-CoV-2 nun entsprechend der Medizin-
   schwacher Testreak­tionen für medizinische Laien           produkte-Abgabeverordnung (MPAV) auch befristet
   schwierig sein. Ggf. könnte eine fotografische             an Laien abgegeben werden. Für diese Produkte
   ­Dokumentation der ­Testreaktion („Banden“), mit           muss allerdings ein Konformitätsbewertungs­
    anschließender professioneller Bewertung, oder die        verfahren gemäß IVDR 98/79/EG Anhang III Ab-
    Entwicklung entsprechender begleitender Apps hier         schnitt 6 durchgeführt worden sein. Einer der wich-
    hilfreich sein. Dies würde auch eine von der Ablese-      tigsten Unterschiede zwischen den Produkten für
    zeit unabhängige Verfügbarkeit des Ergebnisses            Laienanwender und professionelle Anwender ist
    ­ermöglichen.                                             hierbei, dass das Konformitätsbewertungsverfah-
                                                              ren, inklusive einer Gebrauchstauglichkeitsstudie
  Erfahrungen mit entsprechend geeigneten Antigen-            durch eine benannte Stelle geprüft wird. Neben
  tests liegen in Deutschland kaum vor. Eine niedrige         ­einer allgemeinen Übereinstimmung mit den An-
  Vortestwahrscheinlichkeit in der Allgemeinbevölke-           forderungen an eine Gebrauchsinformation, wie in
  rung (niedrige 7-Tage-Inzidenz) geht je nach Spezi-          der IVDR 98/79/EG Anhang I Absatz 3 und 8 defi-
  fität und Sensitivität des Tests in der praktischen          niert, muss in diesen Produkten eine eindeutige
  Anwendung mit einer höheren Anzahl falsch posi-              und an prominenter Stelle platzierte Zweckbestim-
  tiver Testergebnisse einher (siehe auch folgende             mung für die Laienanwendung und die vierstellige
  ­Infografik).                                                Prüfziffer der benannten Stelle zu finden sein. Für
                                                               die klinische Leistung der Produkte (Sensitivität
  Bei unsachgerechter Abstrichentnahme kann die                und Spezifität) gibt es keine Mindestanforderungen
  Aussagekraft des Testes limitiert sein. Dadurch,             in der Bewertung.
  dass Anwender die Probennahme und Testung
  selbstständig durchführen, kann die korrekte                Bei vollkommen freiem Zugang zu Antigentests zur
  Durchführung insbesondere der Probennahme und               Eigenanwendung besteht das Risiko, dass auf die
  der für eine möglichst zuverlässige Aussagekraft            Qualität der Tests (Sensitivität, Spezifität, Informa-
  richtige Untersuchungszeitpunkt nicht sicherge-             tionen in der Fachinformation, Angaben zur Ge-
  stellt werden. Selbsttestende medizinische Laien            brauchsanweisung) und auch auf die Lieferwege
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  und den Zugang zum Test (z. B. Kaufmöglichkeit in
  der Apotheke) kaum Einfluss genommen werden                Faktenbox
  kann. Es könnte passieren, dass sich Testanwen­
                                                              Bereits das Erkennen von Symptomen, die mit
  dende aufgrund des auf sie einströmenden massi-
                                                               COVID-19 vereinbar sind, soll im Hinblick auf
  ven Angebots und der damit einhergehenden Wer-               die Eindämmung des Infektionsgeschehens zum
  bung nur schwer orientieren und somit qualitativ             Arztbesuch oder (bei sehr gering ausgeprägten
  hochwertige Tests nur schwer ausfindig machen                Symptomen) zur eigenverantwortlichen häus­
  können. Hier werden Berichte zu den Erfahrungen              lichen Absonderung führen.
  der praktischen Umsetzung außerordentlich hilf-             Antigentests zur Anwendung vor Ort oder zur
  reich sein.                                                  Eigenanwendung erkennen nur eine sehr hohe
                                                               Viruslast in den oberen Atemwegen.
  Zusammengefasst sollte eine sachgerechte Infor-             Die Richtigkeit der Ergebnisse hängt von der
  mation die Anwender (medizinische Laien) dazu                Verbreitung der Infektion in der Bevölkerung mit
  ­befähigen:                                                  SARS-CoV-2 zum Zeitpunkt des Antigentests ab.
   1) vor dem Testen zu verstehen, welchem Zweck              Ein positives Ergebnis im Antigentest löst
      der Test dienen kann (z. B. nicht zum „Frei­             zunächst einen Verdacht auf das Vorliegen einer
      testen“ mit Verzicht auf Schutzmaßnahmen,                Infektion mit SARS-CoV-2 aus, soll ebenfalls zur
      nicht zur „Selbstdiagnose“, sondern zur Früh-            eigenverantwortlichen häuslichen Absonderung
      erkennung sonst nicht erkannter Infektionen),            führen und muss durch einen PCR-Test bestätigt
                                                               werden.
   2) qualitativ hochwertige Tests zu erkennen
      (z. B. auch Rücksprache mit der Apotheke),              Ein negatives Ergebnis im Antigentest hat nur
   3) die Probengewinnung sachgerecht durchzu­                 eine zeitlich begrenzte Aussagekraft („Gültigkeit“).
                                                               Es ist immer nur eine Momentaufnahme. Es darf
      führen,
                                                               nicht zu falscher Sicherheit und der Vernachläs­
   4) das Testergebnis sicher zu bewerten und
                                                               sigung von Schutzmaßnahmen führen.
   5) aufgrund des ermittelten Testergebnisses
                                                              Antigentests können eine sonst unerkannte
      informiert und verantwortungsvoll zu handeln.
                                                               Infektion am ehesten erkennen, wenn sie
                                                               – kurz vor Auftreten von Symptomen bzw.
  Für die entsprechende Kommunikation der ver-                 – in der frühen symptomatischen Phase einer
  schiedenen Aspekte eignen sich z. B. zu 1) einfache            Infektion durchgeführt werden. Die Sensitivität
  Checklisten, für 2) und 5) z. B. einfache Entschei-            ist deutlich geringer, wenn die Tests ungezielt
  dungsbäume sowie Informationen in der Apotheke,                ohne Vorliegen von Symptomen und nur
  für 3) und 4) gute Infografiken und Filme sowie ggf.           sporadisch eingesetzt werden.
  eine zusätzliche Kurzzusammenfassung der Fakto-             Antigentests können bei serieller/regelmäßig
  ren, die die Interpretation des Testresultats beein-         wiederholter Anwendung Hygienekonzepte in
  flussen können (Testzeitpunkt, Probenqualität,               bestimmten Einrichtungen ergänzen, so z. B.
  ­aktuelle Verbreitung des Virus, Temperatur, bei der         – in Heimen für die Betreuung älterer Menschen
                                                               – beim Personal von Praxen und Kranken­häusern
   der Test durchgeführt wird, etc.).
                                                               – in Schulen und Kindertagesstätten
                                                               – in betrieblichen Kontexten
                                                              Der Einsatz von Antigentests zur Eigenanwen-
  Fazit
                                                               dung sollte im Hinblick auf korrekte Anwendung
  Bei dem Einsatz von Antigentests zur Anwendung
                                                               und Beurteilung des Ergebnisses sowie den damit
  durch Laien als ergänzende Maßnahme für die Ein-             zu erzielenden Zusatznutzen für die Prävention
  dämmung der Pandemie bestehen neben Chancen                  wissenschaftlich begleitet werden. So hat zum
  der niederschwelligen Erkennung sonst nicht er-              Beispiel das Forschungsnetzwerk B-FAST sich mit
  kannter Fälle und der Förderung eigenverantwort­             derartigen Fragestellungen bereits beschäftigt und
  lichen Handelns relevante Risiken (z. B. Nicht-­             Expertisen erstellt.
  Einleiten notwendiger Schritte nach positivem Test,         Die Einhaltung von Hygieneregeln und die
  Erhöhung des Bedarfs an PCR-Bestätigungstests bei            Impfung sind der beste Schutz vor COVID-19.
  geringer Spezifität der zur Anwendung kommen-
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  den Tests, fehlerhafte Anwendung, Vermittlung                    nisses die Einleitung entsprechender nachfolgender
  ­einer Scheinsicherheit). Derzeit wird ein zusätz­               Maßnahmen sichergestellt ist. Dies könnte z. B. ein
   licher Nutzen von Antigentests insbesondere bei ei-             durch BetriebsärztInnen geschulter Einsatz von
   nem gezielten und wiederholten Einsatz in be-                   Selbstanwendertests bei LehrerInnen oder anderen
   stimmten Bevölkerungsgruppen und dies unter fol-                Berufsgruppen mit umfangreichen Personenkon-
   genden Voraussetzungen gesehen: (i) wenn der Ein-               takten in systemrelevanten Bereichen sein.
   satz der Antigentests zur Eigenanwendung intensiv
   durch leicht zugängliche und jederzeit verfügbare               Wesentliche Aspekte sind in der Faktenbox zusam-
   Beratungs- und Informationsangebote begleitet                   mengefasst.
   wird und (ii) wenn im Falle eines positiven Testergeb­

  Literatur
                                                                   a) 
  1    Keller N, Jenny MA: How to Determine When                         RKI, Abt. 3 Infektionsepidemiologie
                                                                   b)
       SARS-CoV-2 Antibody Testing Is or Is Not Useful                   RKI, Abt. 1 Infektionskrankheiten, FG 15 Virale
       for Population Screening: A Tutorial. https://doi.                Gastroenteritis- und Hepatitiserreger und Enteroviren
                                                                   c)
       org/10.1177/2381468320963068.                                     RKI, Abt. 1 Infektionskrankheiten, FG 17 Influenza­
  2 Jenny MA, Keller N, Gigerenzer G: Assessing
                                                                         viren und weitere Viren des Respirationstraktes
                                                                   d)
       minimal medical statistical literacy using the Quick              RKI, ZBS 1 Hochpathogene Viren
                                                                   e)
       Risk Test: a prospective observational study in                   RKI, P1 Wissenschaftskommunikation
                                                                   f )
                                                                         RKI
       Germany. https://doi.org/10.1136/bm-                        g)
                                                                         RKI, Abt. 3 Infektionsepidemiologie,
       jopen-2017-020847.
                                                                         FG 32 Surveillance
  3 Lein, Ines, et al.: SARS-CoV-2: Testergebnisse                 h)
                                                                         RKI, Abt. 3 Infektionsepidemiologie,
       richtig einordnen. Deutsches Ärzteblatt 117.47                    FG 36 Respiratorisch übertragbare Erkrankungen
       (2020): A-2304.                                             i)
                                                                         RKI, Abt. 3 Infektionsepidemiologie,
  4 McDowell, Jacobs: Meta-analysis of the effect of                     FG 37 Nosokomiale Infektionen, Surveillance von
       natural frequencies on Bayesian reasoning. https://               Antibiotikaresistenz und -verbrauch
       doi.org/10.1037/bul0000126                                  j)
                                                                         RKI, Abt. 1 Infektionskrankheiten
  5 Hoehl et al.: At-home self-testing of teachers with a
                                                                   Korrespondenz: MielkeM@rki.de
       SARS-CoV-2 rapid antigen test to reduce potential
       transmissions in schools. https://doi.
       org/10.1101/2020.12.04.20243410                             Vorgeschlagene Zitierweise
  6 Lindner et al.: Head-to-head comparison of                     Seifried J, Böttcher S, Oh DY, Michel J, Nitsche A,
       SARS-CoV-2 antigen detecting rapid test with self-          Jenny MA, Wieler LH, Antão E-M, Jung-Sendzik T,
       collected anterior nasal swab versus profeccional           Dürrwald R, Diercke M, Haas W, Abu Sin M,
       collected nasopharyngeal swab. https://doi.                 Eckmanns T, Hamouda O, Mielke M: Was ist bei
       org/10.1101/2020.10.26.20219600                             Antigentests zur Eigenanwendung (Selbsttests) zum
                                                                   Nachweis von SARS-CoV-2 zu beachten?

  Autorinnen und Autoren                                           Epid Bull 2021;8:3-9 | DOI 10.25646/8040
  a)                     b)
     Dr. Janna Seifried | Dr. Sindy Böttcher |                     (Dieser Artikel ist online vorab am 22. Februar 2021
  c)
     Dr. Djin-Ye Oh | d) Dr.-Ing. Janine Michel |                  erschienen.)
  d)
     Prof. Dr. Andreas Nitsche | e) Dr. Mirjam A. Jenny |
  f)
     Prof. Dr. Lothar H. Wieler | e) Dr. Esther-Maria Antão |
  a)
     Dr. Tanja Jung-Sendzik | c) Dr. Ralf Dürrwald |               Interessenkonflikt
  g)
     Michaela Diercke | h) Prof. Dr. Walter Haas |                 Die Autorinnen und Autoren erklären, dass kein
  i)
     Dr. Muna Abu Sin | i) Dr. Tim Eckmanns |                      Interes­senkonflikt ­besteht.
  a)
     Dr. Osamah Hamouda | j) Prof. Dr. Martin Mielke
Epidemiologisches Bulletin                        8 | 2021         25. Februar 2021                                                               10

  Betrachtung der reiseassoziierten COVID-19-Fälle im
  Sommer 2020 unter Berücksichtigung der Schulferien,
  Reisetätigkeit und Testkapazitäten

  Bezogen auf die Meldewoche (MW), in der Corona-                                land erworbene („autochthone“) Übertragungen,
  virus Disease 2019-(COVID-19-)Fälle an das Ge-                                 ehe die Fallzahlen nach einem ersten Lockdown
  sundheitsamt gemeldet wurden (Meldewoche =                                     zum Sommer hin deutlich abfielen. Bevor im Herbst
  Kalenderwoche), war die Frühphase der ersten
  ­                                                                              2020 eine zweite COVID-19-Welle Deutschland er-
  ­COVID-19-Welle in Deutschland ab MW  10 durch                                 fasste, war über den Hochsommer ein vorüberge-
   einen hohen Anteil reiseassoziierter Fälle geprägt                            hender Anstieg der Fallzahlen zu verzeichnen. Diese
   (s.  Abb. 1). Hinzu kamen zunehmend in Deutsch-                               „Sommerferienwelle“ reiseassoziierter COVID-19-

  Anzahl                                                                                                                                    Anteil in %

  45.000                                                                                                                                          100 %

  40.000                                                                                                                                          90 %

                                                                                                                                                  80 %
  35.000

                                                                                                                                                  70 %
  30.000

                                                                                                                                                  60 %
  25.000
                                                                                                                                                  50 %
  20.000
                                                                                                                                                  40 %

  15.000
                                                                                                                                                  30 %

  10.000
                                                                                                                                                  20 %

   5.000                                                                                                                                          10 %

      0                                                                                                                                           0
           10   11   12    13 14     15 16   17    18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31              32 33 34 35 36        37 38 39 40 41

                März                 April                   Mai         Juni           Juli                   August        September    Okt.
                          1. Welle                                                                             Ferienwelle

                                                                                                                               Meldewoche/Monat
                     Anzahl mit Exposition im Ausland                                 Anzahl alle anderen COVID-19-Fälle
                     Anzahl der Testungen (x 50)                                      Anzahl Flugankommende aus dem Ausland (x 100)
                       % Exposition Ausland bei allen Fällen                          % Bevölkerung mit Schulferien
                     Positivenanteil Reiserückkehrer (x 10)                           Positivenanteil (x 10)

  Abb. 1 | Dargestellt sind zwischen den MW 10 – 41 an das RKI übermittelte COVID-19-Fälle, mit und ohne Exposition im Ausland,
  der Anteil der Expositionen im Ausland an allen Fällen (%), die Testkapazitäten (mit 50 zu multiplizieren), die Anzahl der
  Flugankommenden (mit 100 zu multiplizieren) und der Anteil der Bevölkerung mit Sommerferien (%). Grau unterlegt auf der
  Zeitachse sind die erste COVID-19-Welle (MW 10 –17) und eine „Sommerferienwelle“ von COVID-19-Fällen mit Auslands­
  expositionen (MW 30 – 38), Datenstand 15.10.2020.
  (Bei der Zuweisung von Monats- zu Wochendaten, wurden Meldewochen an Monatsübergängen dem Monat zugeordnet,
  zu dem jeweils vier oder mehr Tage beitrugen. Monatsdaten wurden immer in der 2. Woche des Monats eingetragen)
Epidemiologisches Bulletin       8 | 2021       25. Februar 2021                                             11

  Infektionen wird hier beschrieben und in Beziehung          sen. Am 17.03.2020 wurde eine Reisewarnung für
  zu den Schulferien, Angaben zur Reisetätigkeit und          alle ca. 200 Länder der Welt ausgesprochen. Erste
  den Testkapazitäten gesetzt.                                Grenzöffnungen gab es Mitte Mai 2020 in Form von
                                                              Lockerungen der Grenzkontrollen. Am 15.06.2020
                                                              hob das Auswärtige Amt die Reisewarnungen für
  Hintergrund und Methodik                                    Staaten der Europäischen Union (EU) sowie die
  In Deutschland muss gemäß Infektionsschutz­                 Schweiz, Liechtenstein, Norwegen, Island und Groß-
  gesetz (IfSG) § 6 und § 7 jeder Verdacht, die Erkran-       britannien auf. Zu diesem Zeitpunkt wurden anstel-
  kung und der Tod in Bezug auf COVID-19 sowie                le der Reisewarnungen vom Bundesgesundheitsmi-
  jeder Nachweis einer akuten Infektion mit Severe            nisterium in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen
  Acute Respiratory Syndrome Coronavirus Type 2               Amt und dem Bundesministerium des Innern, für
  (SARS-CoV-2) an das zuständige Gesundheitsamt               Bau und Heimat, Risikogebiete definiert. Die Defi-
  gemeldet werden. Dort werden die Fälle gemäß Fall-          nition basierte auf erhöhter 7-Tage-Inzidenzen sowie
  definition des Robert Koch-Instituts (RKI) bewertet         weiteren Kriterien zur Lage vor Ort, wie Testkapazi-
  und weitere Ermittlungen durchgeführt. Gemäß § 11           täten und Eindämmungsmaßnahmen (s. www.rki.
  IfSG werden verschiedene Informationen, die in den          de/covid-19-risikogebiete).
  Gesundheitsämtern bei der Fallermittlung erhoben
  werden, auch an die zuständigen Landesbehörden              Die Zahlen der ankommenden Flugreisenden wur-
  und weiter an das RKI übermittelt: Dazu gehören             den beim Statistischen Bundesamt abgerufen.1 Die
  demografische Angaben zu den Fällen, Angaben zu             Zahl der Flugreisenden ist ein Indikator für Trends
  Symptomen, das wahrscheinliche Infektionsrisiko             in der Reisetätigkeit insgesamt, auch wenn Flugrei-
  sowie der Ort/das Land, in dem die Infektion wahr-          sen je nach Zielland neben z. B. Auto-, Bahn- und
  scheinlich erfolgte (im Folgenden als Expositions-          Busreisen, unterschiedlich hohe Anteile an Reisen
  ort/-land bezeichnet). Diese Fallinformationen sind         in das jeweilige Land ausmachen. Im Rahmen der
  nicht immer vollständig. Dies trifft vor allem für An-      weltweiten Maßnahmen reduzierte sich der Reise-
  gaben zum Vorliegen von Symptomen zu, aber auch             verkehr. Die Zahl der in Deutschland aus dem Aus-
  für den Expositionsort. Fälle mit fehlender Angabe          land ankommenden Flugreisenden nahm im Ver-
  des Expositionsortes ähneln bezüglich demografi-            gleich zum Vorjahr in den Monaten März 2020 um
  scher und klinischer Charakteristika eher den Fällen        60 %, im April und Mai um 98 % ab, um dann bis
  mit Expositionsort Deutschland als Fällen mit einer         August langsam auf 25 % der Zahl des Vorjahres
  Exposition im Ausland (s. Tabelle im Anhang). Da-           wieder anzusteigen. Anders als in den Vorjahren,
  her wurde für diese Auswertung angenommen, dass             in denen das Flugreiseaufkommen nach Höchst-
  Fälle ohne Angabe des Expositionsortes sich nicht           werten im Sommer und Herbst erst im November
  im Ausland infiziert hatten. Für die deskriptive Aus-       abnahm, ist ein leichter Rückgang der Anzahl der
  wertung der Expositionsland-Nennungen wurden                Flugankommenden im Jahr 2020 bereits im Sep-
  von den möglichen Mehrfachnennungen nur sol-                tember zu beobachten.
  che, die an erster und zweiter Stelle genannt wur-
  den, berücksichtigt.                                        In der vorliegenden Auswertung wurden außerdem
                                                              die Anpassungen der Teststrategie an die epidemio-
  Relevant für diese Auswertung war zudem der Ver-            logischen Entwicklungen sowie die Testkapazitäten
  lauf der Eindämmungsmaßnahmen, insbesondere                 berücksichtigt: So wurden im Frühjahr 2020 wäh-
  Grenzschließungen und -wiedereröffnungen. So                rend der ersten COVID-19-Welle vor allem sympto-
  wurden mit Wirkung ab 16.03.2020 vorübergehende             matische Personen getestet, die entweder Kontakt
  Grenzkontrollen an den Binnengrenzen zu Öster-              mit einem laborbestätigten COVID-19-Fall hatten
  reich, der Schweiz, Frankreich, Luxemburg und Dä-           oder die aus einem Risikogebiet kamen (https://
  nemark eingeführt. Der grenzüberschreitende Be-             edoc.rki.de/handle/176904/6484; Maßnahmen_
  rufspendler- und Warenverkehr blieben gewährleis-           Verdachtsfall_Infografik_2xDIN4.pdf)2. Nach Schlie-
  tet. Reisende ohne triftigen Reisegrund durften an          ßung der Grenzen Mitte März 2020 und vor dem
  den benannten Grenzen nicht mehr ein- und ausrei-           Hintergrund der steigenden Testkapazität, fokus-
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  sierten sich Testkriterien auf die möglichst umfas-         Für Bundesländer mit Ferienbeginn am Montag
  sende Erkennung von SARS-CoV-2-Infektionen bei              oder Ferienende am Freitag, wurde das Wochenende
  Personen mit COVID-19-relevanter Symptomatik,               zur schulfreien Zeit hinzugerechnet, die in der Folge
  auch unabhängig von Kontakt mit bestätigten Fällen          42 bis 46 Tage betrug. Um die bundeslandspezifi-
  (https://edoc.rki.de/handle/176904/6484.7). Nach            schen Ferienzeiten einander gegenüberstellen zu
  Wiederöffnung der Grenzen und der graduellen                können (Normalisierung), wurde eine weitere Zeit­
  Zunahme der Reisetätigkeiten nach dem                       skala eingeführt. Die Ferien liegen in den Tagen
  15.06.2020, wurden Einreisende aus Risikogebie-             1 bis 42. Den Tagen vor den Ferien wird ein negativer
  ten verpflichtet, ein negatives molekular-diagnosti-        Wert zugeordnet, den Tagen nach den Ferien ein po-
  sches SARS-CoV-2-Testergebnis kurz vor oder nach            sitiver, beginnend mit + 1. In Bundesländern mit > 42
  Einreise aus Risikogebieten vorzulegen, um eine             Ferientagen wurden die entsprechenden Tage zu
  14-tägige Quarantäne zu vermeiden. Zwischen dem             ­Ferienbeginn auf – 1 bis – 4 verschoben, da der Fokus
  08.08.2020 (MW 32) und 15.09.2020 (MW 38)                    in dieser Analyse auf dem Ferienende liegt.
  konnten sich Einreisende aus allen Ländern kos-
  tenlos an Flughäfen oder anderen Teststellen testen         Die deskriptiven Auswertungen wurden in Microsoft
  lassen, nach dem 15.09.2020 nur noch Einreisende            Excel und Stata/SE 15.1a vorgenommen.
  aus Risikogebieten.

  Beginnend in MW 11 wurden Daten zu Laborkapa­               Ergebnisse
  zitäten deutschlandweit von Universitätskliniken,
  Forschungseinrichtungen sowie klinischen und in             1. Zeitlicher Verlauf der übermittelten
  der ambulanten Versorgung tätigen Laboren auf               COVID-19-Fälle mit Angabe
  freiwilliger Basis erhoben und am RKI zusammen-             eines Expositionsorts im Ausland
  geführt.3 Für die MW 33 bis 38 liegen zudem Test-            Abbildung 1 stellt die in MW 10 – 41 2020 an das
  zahlen aus einigen an Testzentren angebundenen               RKI übermittelten COVID-19-Fälle mit und ohne
  Laboren vor. Eine gesonderte Erfassung und Aus-              Expositionsort im Ausland dar. Zu Beginn der ers-
  wertung der Tests, die direkt bei bzw. kurz nach der         ten ­COVID-19-Welle (MW 10 – 13) wurde bei einem
  Einreise durchgeführt werden, ist nicht für alle La-         größeren Anteil der übermittelten COVID-19-Fälle
  bore möglich. Die Zahl der meldenden Labore stieg            eine Exposition im Ausland angegeben (bis 45,1%
  bis MW 16 auf über 100 an, danach erhöhte sie sich           in MW 11). Mit zunehmender Übertragung in die
  ­kontinuierlich weiter bis auf > 180 (MW 42). Die            lokale Bevölkerung und Schließung der Grenzen
   ­tatsächlich täglich durchgeführten Testungen stie-         nahm dieser dann wieder ab (0,4% bis 1,8% in den
    gen von rund 470.000 in MW 26 auf über eine Mil-           MW 15 – 25). Mit Wiederöffnung der Grenzen im
    lion ab MW 34 (Daten abrufbar unter www.rki.de/            Sommer (MW 25) stieg der Anteil der Fälle mit ei-
    covid-19-testzahlen). Zahlen zu Ergebnissen der            ner Exposition im Ausland anfangs langsam und
    ­Testungen an den Testzentren für Einreisende wur-         ab MW 31 stärker an. Der Höhepunkt bei den über-
     den für die MW 33 – 38 teilweise an das RKI berich-       mittelten reiseassoziierten COVID-19-Fällen wur-
     tet und jeweils mittwochs in den wöchentlichen La-        de in MW 34 erreicht (48,0%). In MW 40, zwei
     geberichten veröffentlicht.                               Wochen nachdem in Baden-Württemberg als
                                                               ­
                                                               ­letztem Bundesland die Ferien beendet waren, war
  Die Saison der Sommerschulferien begann in                    der Anteil der Auslandsexpositionen auf 8,6%
  Deutschland in MW 26 mit Mecklenburg-Vorpom-                ­gesunken.
  mern. In MW 27 begannen in Nordrhein-Westfalen,
  dem bevölkerungsstärksten Bundesland, die Ferien.           Bereits vor Zunahme der übermittelten Fälle mit
  In den MW 30 bis 34, Mitte Juli bis Mitte August, hat-      Auslandsexposition hatte der Flugverkehr wieder
  ten Bundesländer, in denen über 70 % der Bevölke-           zugenommen. Ab Juni stieg die Zahl der mit dem
  rung leben, gleichzeitig Schulferien. Das Ende der          Flugzeug aus dem Ausland Einreisenden an, er-
  Saison markierte das Ferienende in Bayern und               reichte ihr Maximum im August und sank zum
  ­Baden-Württemberg Anfang bzw. Ende von MW 37.              Herbst wieder ab.
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  Mit einem Zuwachs von jeweils 17 – 20 % nahm die                                                          116              79    322
                                                                               100 %
  Anzahl der durchgeführten Tests in den MW 32 – 34,                                    2.091        526            975
                                                                                                                                695              80 +
                                                                                                                    907
  der Mitte der Ferienzeit, stark zu. Beginnend mit                                                    1.592       1.721       1.989             70 –79
                                                                                90 %    2.162
  MW 34 blieb die Anzahl der Tests mit ca. 1,1 bis 1,2                                                                                           60 –69
  Millionen/Woche bis MW 41 annähernd konstant.                                                                    3.694
                                                                                80 %    3.242                                  3.396             50 –59
  Der Positivenanteil in der Allgemeinbevölkerung                                                                                                40 –49
  lag in den MW 26 – 30 zwischen 0,6 % und 0,8 %,                               70 %                   4.027                                     30 –39
                                                                                                                   4.066
  in den MW 31 – 33 bei 1,0 %, in den MW 34 – 36 zwi-                                   6.229
                                                                                                                                                 20 –29
                                                                                                                               4.156
  schen 0,7 – 0,9 %. In den Wochen danach stieg er                              60 %
                                                                                                                                                 10 –19
  bis auf 2,5 % in MW 41. Der Positivenanteil von Ein-                                                            4.637                          0 –9
  reisenden war anfangs laut Testzentren mit Beginn                             50 %
  der Testungen in der MW 33 mit 1,6 % sehr hoch, in                                    4.493          2.606

  den MW 34 – 36 mit 0,9 – 1,0 % leicht über dem                                40 %                                           6.399
  ­Positivenanteil in der Allgemeinbevölkerung und ab                                                              6.528

   MW 37 – 41 leicht unterhalb (0,7 % – 1,6 %) der Posi-                        30 %    4.204          2.453

   tivenquote in der Allgemeinbevölkerung. In den be-
                                                                                20 %
   richtenden Testzentren wurden während der Ferien-                                                               3.844
                                                                                        3.964          2.283                   3.515
   zeit zwischen 7 % und 19 % der gesamten Tests
                                                                                10 %
   durchgeführt, danach 4 % – 8 %.
                                                                                        1.219                     2.056
                                                                                                     415                       1.493
                                                                                  0      554
  2. Vergleich reiseassoziierter Fälle während                                                              77
                                                                                         Alle     Fälle mit         Alle    Fälle mit
  der ersten Welle und der Sommerferienwelle                                           anderen  Expositions-      anderen Expositions-
                                                                                         Fälle     ort im           Fälle    ort im
  In der frühen Pandemiephase im März (MW 10 – 13,                                                Ausland                   Ausland
                                                                                            MW 10–13                  MW 30–38
  s. Abb. 1) waren sowohl reiseassoziierte Fälle als
  auch Fälle ohne Angabe eines Expositionsortes im
  Ausland älter als in der Sommerferienwelle                                   Abb. 2 | Darstellung der Anteile der an das RKI nach IfSG
                                                                               übermittelten COVID-19-Fälle nach Meldewoche, Alters-
  (MW 30 – 38). In beiden Wellen waren die reiseasso-                          gruppe und Expositionsort. Zudem sind die absoluten Fall-
  ziierten Fälle jedoch etwas jünger als alle anderen                          zahlen pro Altersgruppe angegeben. Frühphase der Pandemie
  Fälle (s. Tab. 1). In der frühen Pandemiephase war                           (MW 10 –13) und den Sommermonaten (MW 30 –38),
                                                                               Deutschland (Datenstand 15.10.2020)
  der Anteil der Fälle mit Angabe von Symptomen mit

                                    Frühe Pandemiephase MW 10 –13                                       Sommermonate MW 30 –38

                          Expositionsort Ausland            Alle anderen Fälle           Expositionsort Ausland             Alle anderen Fälle
                        (N = 14.099, 22 % der Fälle)   (N = 49.672, 78 % der Fälle)    (N = 22.067, 31 % der Fälle)    (N = 49.580, 69 % der Fälle)

   Altersmedian (IQR)           47 (32 – 55)                   49 (32 – 60)                      29 (20 – 42)                  33 (21 – 50)

   % Männlich               62 % (0,04 % o. A.)            49 % (0,1 % o. A.)              56 % (0,5 % o. A.)               51 % (0,5 % o. A.)

   % Asymptomatisch           4 % (4 % o. A.)               4 % (11 % o. A.)               37 %% (18 % o. A.)               22 % (30 % o. A.)

   % Hospitalisiert           7 % (8 % o. A.)               17 % (15 % o. A.)                3 % (9 % o. A.)                8 % (23 % o. A.)

   % Verstorben*                  0,50 %                         3,90 %                            0,10 %                         0,60 %

  Tab. 1 | Beschreibung der an das RKI nach Infektionsschutzgesetz übermittelten reiseassoziierten Fälle im Vergleich zu den
  anderen COVID-19-Fällen in der Frühphase der Pandemie (MW 10– 13) und den Sommermonaten (MW 30 – 38), Deutschland,
  (Datenstand 15.10.2020)
  * Prozente beziehen sich immer auf alle Fälle mit der jeweiligen Angabe, außer bei % Verstorben, die sich auf alle Fälle beziehen;
  IQR: Interquartilsabstand; o. A.: ohne Angabe
Epidemiologisches Bulletin                  8 | 2021               25. Februar 2021                                              14

  7-Tage-Inzidenz der COVID-19-Fälle

  25
                                                                           Sommerferien                                                 A
  20

  15

  10

   5

   0
        20 Tage vor den Sommerferien                            42 Tage während der Sommerferien        20 Tage nach den Sommerferien

  7-Tage-Inzidenz der COVID-19-Fälle mit Expostion im Ausland

  12       Baden-Württemberg
           Bayern
                                                                           Sommerferien                                                 B
           Berlin
  10       Brandenburg
           Bremen
           Hamburg
   8       Hessen
           Mecklenburg-Vorpommern
           Niedersachsen
   6
           Nordrhein-Westfalen
           Rheinland-Pfalz
           Saarland
   4
           Sachsen
           Sachsen-Anhalt
   2       Schleswig-Holstein
           Thüringen

   0
        20 Tage vor den Sommerferien                              42 Tage während der Sommerferien      20 Tage nach den Sommerferien

  7-Tage-Inzidenz der COVID-19-Fälle ohne Exposiiton im Ausland

  14
                                                                           Sommerferien                                                 C
  12

  10

   8

   6

   4

   2

   0
        20 Tage vor den Sommerferien                              42 Tage während der Sommerferien      20 Tage nach den Sommerferien

  Abb. 3 | Dargestellt sind die nach IfSG an das RKI übermittelten COVID-19-Fälle/100.00 Einwohner der letzten 7 Tage in
  Deutschland, normalisiert auf das Ferienende mit den letzten 20 Tagen vor den Ferien, den 42 Ferientagen (grau) und den ersten
  20 Tagen nach den Ferien. A) zeigt alle Fälle, B) nur Fälle mit Exposition im Ausland und C) nur Fälle, für die keine Exposition im
  Ausland angegeben war. Der dargestellte Zeitraum liegt zwischen MW 26 und MW 37 2020, Datenstand 15.10.2020.
Epidemiologisches Bulletin           8 | 2021           25. Februar 2021                                                               15

  Relevanz für COVID-19, im Folgenden symptoma-                           allen anderen. Der Anteil der Kinder und Jugendli-
  tisch genannt, sehr hoch; damals wurden aber auch                       chen sowie jüngeren Erwachsenen hatte dagegen
  vorrangig Personen mit Symptomen getestet. Hin-                         im Sommer besonders unter den reiseassozierten
  gegen nahm in den Sommermonaten, insbesondere                           Fällen, aber auch unter allen anderen Fällen, im Ver-
  bei den reiseassoziierten Fällen, der Anteil der Fälle                  gleich deutlich zugenommen.
  ohne Symptomatik mit Relevanz für COVID-19, im
  Folgenden asymptomatisch genannt, zu. Vor allem                         3. Übermittelte COVID-19-Fälle in den
  in der frühen Pandemiephase, aber auch weniger                          einzelnen Bundesländern vor,
  ausgeprägt in den Sommermonaten, war der Fall-­                         während und nach den Sommerferien
  Verstorbenenanteil bei reiseassoziierten Fällen                         Mit der zweiten Ferienwoche in Bayern und Baden-­
  niedriger als bei den anderen Fällen. In den Som-                       Württemberg (MW 32) wurden Einreisende ver-
  mermonaten hatte er in beiden Gruppen, aber be-                         mehrt getestet (z. B. an Autobahnraststätten, Flug-
  sonders stark bei Fällen ohne ausländischem Expo-                       häfen, Bahnhöfen). Die veränderte Teststrategie
  sitionsort, deutlich abgenommen. Reiseassoziierte                       deckt somit hier fast die gesamte Ferienzeit ab. Zu
  Fälle wurden in beiden Perioden deutlich seltener                       diesem Zeitpunkt waren in über der Hälfte der Bun-
  hospitalisiert als andere Fälle; zudem hatte der Hos-                   desländer die Ferien bereits mindestens zu zwei
  pitalisierungsanteil sich in beiden Gruppen im                          Dritteln vorüber bzw. sogar beendet (s. Abb. 1). In
  Sommer halbiert. Reiseassoziierte Fälle waren in                        Abbildung 3 werden die auf das Ferienende zeitlich
  beiden Perioden deutlich jünger und zu höheren                          normalisierten COVID-19-Fallzahlen dargestellt
  Anteilen Männer. Abbildung 2 zeigt, dass der Anteil                     (A – C). Es ist ein Anstieg der übermittelten Fälle
  älterer Fälle ab 60 Jahren in den Sommermonaten                         während der Ferien zu beobachten, der seinen Peak
  deutlich niedriger war als noch im Frühjahr; dies                       in der Woche nach den Ferien findet und dann
  war bei reiseassoziierten Fällen ausgeprägter als bei                   leicht abklingt (A). In Bayern und Baden-Württem-

   Expositionsland   Anzahl Fälle   Risikogebiet                                                                      Anteil symptomatischer
                     MW 30 – 38                                                                                           COVID-19-Fälle

   Kosovo               4.369       Seit 15.06.2020, MW 25                                                                    48 %

   Kroatien             3.903       Dubrovnik-Neretva und Požega-Slawonien (seit 09.09.2020; MW 37)                           68 %
                                    Split-Dalmatien (seit 20.08.2020, MW 34)

   Türkei               3.131       Seit 15.06.2020, MW 25                                                                    63 %

   Bosnien und          1.193       Seit 15.06.2020, MW 25                                                                    50 %
   Herzegowina

   Rumänien             1.096       Argeș, Bihor, Buzău, Neamt, Ialomita, Mehedinti, Timis (seit 07.08.2020, MW               49 %
                                    32)
                                    Bacău, Brăila, Brașov, Dâmbovița, Galați, Gorj, Ilfov, Prahova, Vaslui, Vrancea
                                    sowie die Metropolregion der Hauptstadt Bukarest (seit 12.08.2020; MW 33)

   Spanien              1.059       Aragón, Katalonien und Navarra (seit 31.07.2020; MW 31)                                   66 %
                                    Baskenland und Madrid (seit 11.08.2020; MW 33)
                                    Festland Spanien und die Balearen (seit 14.08. 2020, MW 33)
                                    Kanarische Inseln (seit 02.09.2020; MW 36)

   Frankreich            760        Île-de-France und Provence-Alpes-Côte d’Azur (seit 24.08.2020; MW 35)                     80 %
                                    Occitanie, Nouvelle-Aquitaine, Auvergne-Rhone-Alpes sowie Korsika (seit
                                    09.09.2020; MW 37)
                                    Region Hauts-de-France (seit 16.09.2020 ; MW 38)
                                    Bretagne, Centre-Val de Loire und Normandie (seit 23.09.2020 ; MW 39)

   Bulgarien             693        Regionen Blagoevgrad, Dobritch, Varna (seit 07.08.2020; MW 32)                            64 %

   Italien               548        Kein Risikogebiet bis MW 38                                                               75 %

   Nordmazedonien        535        Seit 15.06.2020, MW 25                                                                    40 %

  Tab. 2 | An das RKI nach IfSG übermittelte COVID-19-Fälle mit Nennung einer Exposition im Ausland nach Expositionsland bzw.
  COVID-19-Risikogebiet und Angabe von für COVID-19 relevanter Symptomatik, MW 30 – 38, 2020 (Datenstand 15.10.2020).
Epidemiologisches Bulletin                       8 | 2021            25. Februar 2021                                                                    16

  Expositionsland-Nennungen

  7.000

  6.000

  5.000

  4.000

  3.000

  2.000

  1.000

     0
          10     11   12   13    14   15   16   17   18   19 20   21   22   23 24   25   26   27 28   29 30    31 32   33   34    35 36   37   38   39   40   41

                                                                                                                                            Meldewoche 2020

               Kosovo                                Kroatien                                Türkei                                Bosnien und Herzegowina
               Rumänien                               Spanien                                Frankreich                            Bulgarien

               Italien                               Nordmazedonien                          Alle anderen

  Abb. 4 | Nennungen der häufigsten Expositionsländer nach Deutschland für die MW 10 – 41, Datenstand 15.10.2020

  berg stiegen die Fallzahlen dagegen bereits während                                    Ferien­ende erkennbar. Die Peaks in Nordrhein-West-
  der ersten Ferienhälfte deutlich auf ein Plateau an,                                   falen und Berlin vor Ferienanfang und in Bayern
  mit einem weiteren Anstieg nach Ferienende.                                            nach Ferienende sind auf größere lokale Ausbruch-
                                                                                         geschehen in einem großen Fleischverarbeitungs-
  Aufgeschlüsselt nach COVID-19-Fällen mit (B) und                                       betrieb im Landkreis Gütersloh, in einem Häuser-
  ohne (C) Exposition im Ausland wird deutlich, dass                                     block in Berlin-Neukölln und auf einem Spargelhof/
  in den Bundesländern mit frühem Ferienbeginn                                           Konservenfabrik im Landkreis Dingolfing-Landau
  (und später einsetzender Testung) der Peak der                                         zurückzuführen.
  ­diagnostizierten Fälle in der ersten Woche nach
   Schulbeginn auf Fälle mit Auslandsexpositionen zu-                                    4. Wichtige Expositionsländer
   rückzuführen ist (B). In Baden-Württemberg und                                        in der Sommerferienwelle
   Bayern, wo die Sommerschulferien als letztes be-                                      Tabelle  2 zeigt die ausländischen Staaten, die in
   gannen, kam die neue Teststrategie während der ge-                                    MW  30 – 38 bei übermittelten COVID-19-Fällen am
   samten Ferien zum Einsatz. Hier kommt es zu ei-                                       häufigsten als möglicher Expositionsort genannt
   nem breiten Plateau der Fälle mit Angabe eines Ex-                                    wurden. Mit Ausnahme von Italien waren während
   positionsorts im Ausland, das ca. in der dritten Fe-                                  der Sommerferienzeit wenigstens Teile der Länder
   rienwoche beginnt und gegen Ferienende abnimmt.                                       als Risikogebiete eingestuft. Bei Fällen mit der An-
                                                                                         gabe Kroatien, Spanien, Frankreich und Italien als
  Das Gesamtbild für Fälle ohne Auslandsexposition                                       Expositionsland war der Anteil der symptomati-
  ist divers (C). In vielen Bundesländern ist ein An-                                    schen Fälle mit 66 – 80% recht hoch, bei Angabe
  stieg der Inzidenz zwei bis drei Wochen nach                                           der anderen Länder niedriger, besonders niedrig
Epidemiologisches Bulletin      8 | 2021      25. Februar 2021                                                               17

  bei Angabe von Bosnien und Herzegowina, dem               Kum. 14-tägige Fallzahlen                               Kum. 14-Tages-
                                                            in DE mit Exp. im Reiseland                       Inzidenz im Reiseland
  Kosovo, Nordmazedonien, Rumänien und Serbien.
                                                            2.000                                                                 200

  Die im Sommer wichtigen Expositionsländer aus                                        Reiseland Kosovo
                                                            1.500                                                                 150
  Süd- und Südosteuropa spielten in der ersten Welle
  fast keine Rolle (s. Abb. 4). Von diesen waren nur
                                                            1.000                                                                 100
  Italien, Spanien und Frankreich in beiden Wellen
  substantiell vertreten.                                    500                                                                   50

  Der Peak der eingetragenen Fälle aus den Top 10                0                                                                  0
                                                                     10 12   14 16 18 20 22     24 26 28 30 32 34 36 38 40
  Expositionsländern wurden im Sommer für die
  MW 33 – 36 registriert. Allerdings verschob sich die                                                                            200
                                                            2.000
  relative Bedeutung der einzelnen Expositionslän-                                    Reiseland Kroatien
  der innerhalb der Sommerzeit: Pro MW betrachtet           1.500                                                                 150
  kamen in den MW 28 – 33 die meisten Fälle aus
  dem Kosovo, in MW 34 – 36 aus Kroatien und in             1.000                                                                 100

  MW 37 – 40 aus der Türkei. In diesen Phasen waren
                                                             500                                                                   50
  das Kosovo und die Türkei jeweils als Risikogebiete
  ausgewiesen, in Kroatien Teile des Landes. Für das
                                                                 0                                                                  0
  Kosovo und Kroatien stimmen diese Phasen mit                       10 12   14 16 18 20 22     24 26 28 30 32 34 36 38 40

  COVID-19-Infektionswellen in diesen Ländern
                                                            2.000                                                                 200
  überein (s. Abb. 5). Ähnlich war es für Spanien und
                                                                                        Reiseland Türkei
  Frankreich (nicht gezeigt), hier waren jedoch die         1.500                                                                 150
  Landesinzidenzen sehr viel höher als in den ande-
  ren Ländern und die eingetragenen gemeldeten              1.000                                                                 100
  Fallzahlen vergleichsweise niedrig. In den Inzidenz-
  daten der Türkei ist im Sommer keine große Infek-          500                                                                   50

  tionswelle feststellbar, wohl aber eine große Anzahl
                                                                 0                                                                  0
  an Fällen mit der Angabe Türkei als Expositionsort                 10 12   14 16 18 20 22     24 26 28 30 32 34 36 38 40
  in den deutschen Meldedaten.
                                                            2.000                                                                 200
  Die bundesweit am häufigsten genannten Länder                                        Reiseland Spanien

  das Kosovo, Kroatien und die Türkei wurden auch           1.500                                                                 150

  in den meisten Bundesländern am häufigsten ge-
                                                            1.000                                                                 100
  nannt (s. Tab. 3). In Sachsen und Sachsen-Anhalt
  wurde Bulgarien als häufigstes Expositionsland ge-         500                                                                   50
  nannt, in Thüringen lagen das Kosovo, Kroatien,
  Bulgarien und Rumänien gleich auf.                             0                                                                  0
                                                                     10 12   14 16 18 20 22     24 26 28 30 32 34 36 38 40

  In Bayern und Baden-Württemberg kam wegen des                                                                 Meldewoche 2020

  späten Ferienbeginns die im Sommer veränderte                         Kum. 14-tägige Fallzahlen in DE mit Exp. im Reiseland
  Teststrategie durchgehend zum Tragen. In diesen
                                                                        Kum. 14-Tages Inzidenz im Reiseland
  beiden Bundesländern lag zudem eine Überschnei-
  dung zwischen Ferienzeit und Einteilung in Risiko-        Abb. 5 | Vergleich der kumulativen 14-tägigen Anzahl von
  gebiete für die am häufigsten genannten Expositi-         Fällen mit Nennung eines bestimmten Reise­landes mit den
                                                            kumulativen 14-tägigen Fall-Inzidenzen in diesem Reiseland,
  onsländern vor (s. Tab. 4). Nur Teile von Kroatien        für das Kosovo, Kroatien, der Türkei und Spanien
  und Frankreich wurden erst zum Ferienende in die-         (Datenquelle: ECDC, https://www.ecdc.europa.eu/en/
  sen beiden Bundesländern zu Risikogebieten.               publications-data/download-todays-data-geographic-distribu-
                                                            tion-covid-19-cases-worldwide)
  ­Italien war zu keinem Zeitpunkt Risikogebiet in der
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