Adipositas und dessen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit - Marit Riehl - veröffentlicht unter den socialnet Materialien Publikationsdatum: ...

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Adipositas und dessen
Auswirkungen auf die
psychische Gesundheit
Marit Riehl

veröffentlicht unter den socialnet Materialien
Publikationsdatum: 07.08.2020
URL: https://www.socialnet.de/materialien/29090.php
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Inhaltsverzeichnis

Einleitung .............................................................................................................. 1

1. Die psychische Gesundheit und Adipositas .................................................. 5

   1.1 Definition von psychischer Gesundheit .................................................................... 5

   1.2 Definition von Übergewicht und Adipositas .............................................................. 8

2. Übergewicht und Adipositas in der heutigen Zeit ......................................... 9

   2.1 Methoden zur Klassifizierung von Übergewicht und Adipositas .............................. 12

      2.1.1 Der Body-Mass-Index (BMI) ............................................................................ 12

      2.1.2 Der Taillenumfang und die Taille-Hüft-Relation ............................................... 13

      2.1.3 Die Bioelektrische Impedanzanalyse (BIA) ...................................................... 13

   2.2 Epidemiologie und Prävalenz ................................................................................. 14

   2.3 Die Ätiologie von Adipositas ................................................................................... 16

      2.3.1 Die genetische Veranlagung ............................................................................ 16

      2.3.2 Das Ess- und Bewegungsverhalten ................................................................. 17

      2.3.3 Intra- und interpersonelle Erklärungsmodelle................................................... 19

      2.3.4 Weitere Einflüsse ............................................................................................ 22

3. Adipositas im Kontext soziokultureller Strukturen ..................................... 23

   3.1 Das Ideal von Schönheit und Ästhetik .................................................................... 23

      3.1.1 Der Einfluss des Schönheitsideals ................................................................... 25

      3.1.2 Die Auswirkungen des Schönheitsideals ......................................................... 26

   3.2 Adipositas als Stigmatisierungsfaktor ..................................................................... 28

      3.2.1 Das Ausmaß von gewichtsbezogenen Stigmata(-handlungen) ........................ 29

      3.2.2 Die Auswirkungen von Stigmatisierung............................................................ 31

4. Psychische Komorbiditäten von Adipositas ................................................ 34

   4.1 Major Depression ................................................................................................... 35

   4.2 Essstörungen ......................................................................................................... 36

   4.3 Angst- und Zwangsstörungen ................................................................................ 39
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5. Adipositas-relevante Gruppen ...................................................................... 40

   5.1 Kinder und Jugendliche.......................................................................................... 40

   5.2 Frauen ................................................................................................................... 44

6. Die interdisziplinäre Behandlung von Adipositas ....................................... 46

   6.1 Ernährungsoptimierung .......................................................................................... 49

   6.2 Bewegungsförderung ............................................................................................. 50

   6.3 Therapeutische Maßnahmen ................................................................................. 53

      6.3.1 Verhaltenstherapie .......................................................................................... 54

      6.3.2 Psychoanalytische bzw. -dynamische Therapie ............................................... 56

      6.3.3 Systemische Therapie ..................................................................................... 57

   6.4 Sekundäre Behandlungsmaßnahmen .................................................................... 58

      6.4.1 Bariatrische Operation ..................................................................................... 59

      6.4.2 Medikamentöse Therapie ................................................................................ 60

   6.5 Weitere Behandlungsansätze ................................................................................ 61

      6.5.1 Körpertherapie................................................................................................. 61

      6.5.2 Motivationale Unterstützung ............................................................................ 62

7. Adipositas im Blickfeld der Sozialen Arbeit ................................................. 63

   7.1 Soziale Arbeit und Gesundheit ............................................................................... 63

   7.2 Kompetenzen und Aufgaben von Sozialer Arbeit ................................................... 66

   7.3 Adipositas-relevante Aspekte ................................................................................. 71

Fazit ..................................................................................................................... 75

Literaturverzeichnis ........................................................................................... 80

Abbildungsverzeichnis ...................................................................................... 91

Erklärung zur Selbstständigkeit .......................................................................... 1
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Einleitung                                                                                1

Einleitung
Einleitend sind folgende Aussagen anzuführen,

                    „Dicksein heißt, immer ein wenig anders zu sein“,

     „Dicksein heißt, dass du der modernen Massenkultur nicht teilhaben kannst, von
             Mode, Sport und Freizeitbeschäftigungen ausgeschlossen bist“

                                           und

       „Dick sein heißt, dass du mit dem Leben warten musst, bis du schlank bist“

                     (Orbach 1994: 34 zit. in Absenger 2004: 136),

die Übergewicht und Adipositas als subjektive und erhebliche Belastung ausweisen.

So ist der Körper – in seiner einzigartigen Form und Gestalt - ständiger Begleiter, Akteur
und Medium im Gefüge des personellen und sozialen Zusammenlebens und der Lebens-
ausgestaltung. Dies erfolgt zum Teil in bewusster Wahrnehmung, aber oftmals auch unbe-
wusst. Weiter ist dieser ebenso als Bestandteil des Identitätskonstrukts zu verstehen. Kör-
perhandlungen und -ausdruck sowie die äußere Erscheinung sind Merkmal des subjektiven
Selbstverständnisses. In dieser Hinsicht ist das Vorliegen von hohem Körpergewicht, im
Sinne von Übergewicht, aber vor allem von Adipositas, als körperliche Präsentation dahin-
gehend von Interesse, welche Bedeutung diese Art des körperlichen Aussehens auf sub-
jektiver Ebene und gleichermaßen für die Interaktion mit der Umwelt, hat.

An erster Stelle ist die dominierende Zentralität der Gewichtsthematik zu nennen. Das Ge-
wicht ist in Verbindung mit den bestehenden kulturellen Attraktivitäts- und Kompetenzvor-
stellungen einerseits Gegenstand individueller Gedanken- und Bewertungsmechanismen
und andererseits oftmals maßgebende Thematik im sozialen Austausch und Leben. Dar-
über hinaus ist auf struktureller Ebene, im Zuge einer vermehrten Gesundheitsorientierung
und -bewusstsein, die Aufmerksamkeit auf Adipositas als Gesundheitsproblematik zuneh-
mend gewachsen und wird als solche verstärkt thematisiert. Dies lässt sich auch darauf
zurückführen, dass immer mehr Menschen (Erwachsene sowie Kinder und Jugendliche)
von Übergewicht und Adipositas betroffen sind. In den letzten Jahrzehnten ist eine deutliche
Zunahme der Betroffenen zu verzeichnen. Hinzukommt, dass Adipositas als körperliche
Erscheinung und als Problematik, deutlich sichtbar für Außenstehende, sowohl im privaten
als auch im öffentlichen Bereich, ist. Als omnipräsente Konstitution bestehen kaum
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Einleitung                                                                                 2

Möglichkeiten, diese zu verdecken. Wenn überhaupt, ist diese durch modische Tricks al-
lenfalls zu verhüllen oder günstiger zu präsentieren.

Neben der hohen Stellung der defizitären Perspektive von Adipositas als beeinträchtigter
Gesundheitszustand und der damit einhergehenden mangelnden körperlichen Funktionali-
tät - im generellen Konsens - bleiben die Wirkungen auf psychischer und sozialer Ebene
größtenteils unbeachtet.

Dementsprechend lautet die zentrale Fragestellung dieser Arbeit, unter der Annahme, dass
benannte Aspekte einen maßgebenden Einfluss auf die seelische Gesundheit haben (kön-
nen):

Ob und inwiefern psychische und soziale Auswirkungen durch das Vorliegen eines hohen
Körpergewichts in Form von Adipositas (und ferner Übergewicht) bestehen und welche Fol-
gen diese in Bezug auf die psychische Gesundheit haben.

Dabei erfolgt die Konzentration in erster Linie auf adipöse Erwachsene in Deutschland. Da
jedoch ein entsprechender defizitärer Körperzustand, der bereits im Kindes- und Jugendal-
ter vorliegt, in Hinblick auf mögliche Auswirkungen jeglicher Art, ebenfalls nicht außer Acht
zu lassen ist, wird dieser Aspekt dahingehend auch berücksichtigt.

In diesem Sinne, unter der Annahme eines direkten Einflusses von Adipositas auf die psy-
chische und soziale Lage des Individuums, hat der körperliche Zustand einer Person
ebenso eine signifikante Bedeutung für die Soziale Arbeit. Einerseits ist, unter enger Ver-
knüpfung von Gesundheit und Sozialer Arbeit, Adipositas als direktes Handlungsfeld eben
dieser zu beachten. Andererseits besteht die Notwendigkeit, die körperlichen Konstitution
als festen Bestandteil des Individuums in den sozialpädagogischen Handlungsinterventio-
nen zu berücksichtigen. Ebenso ist Adipositas als Produzent und als Begleiterscheinung
sozialer und psychischer Problematiken, aber auch als Faktor sozialer Ungleichheit, nicht
zu vernachlässigen und dahingehend ein Handlungsfeld von Sozialer Arbeit.

So besteht das Ziel dieser Arbeit darin, die komplexen und vielfältigen Bedingungen von
Adipositas (auch hinsichtlich der Gewichtsregulierung und der Gewichtszunahme) vorzu-
stellen, zu beschreiben und dadurch auch stereotype Gedankenmuster in Bezug auf erhöh-
tes Körpergewicht zu hinterfragen. Weiter soll so ein Zusammenhang zwischen Adipositas
als körperliche Erkrankung und der psychischen Verfassung, im Sinne der seelischen Ge-
sundheit, hergestellt werden und die Perspektive von Adipositas durch eine psychosozialen
Betrachtungsweise erweitert werden. Durch ein erweitertes Verständnis von Adipositas und
deren vielfältigen Entstehungs- und Aufrechterhaltungsfaktoren, ist so auch die Optimie-
rung der Behandlung von Adipositas im Rahmen der Sozialen Arbeit, und im speziellen die
Handlungsfähigkeit und -kompetenz dieser, möglich.
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Der Aufbau dieser Arbeit ist dahingehend folgendermaßen konzipiert:

Zu Beginn ist in Bezug auf die Fragestellung und zum besseren Verständnis in Kapitel 1
einerseits die ‚psychische Gesundheit‘ hinsichtlich ihrer Bedeutung und Funktion und eine
Definition des Begriffes vorzustellen; andererseits ist eine Definition von ‚Übergewicht‘ und
‚Adipositas‘ vorzustellen und den Sinnzusammenhang, aber auch eine Unterscheidung bei-
der Begriffe, herzustellen.

In Kapitel 2 wird zum einen die methodische Herangehensweise zur Eingrenzung bzw.
Klassifizierung von Adipositas und Übergewicht beschrieben. Weiter wird das Ausmaß von
Adipositas und Übergewicht hinsichtlich der Verbreitung sowie bevölkerungsspezifische
Aspekte und somit die Relevanz von Adipositas näher erläutert. Anschließend erfolgt eine
Darstellung mehrerer Erklärungsansätze unterschiedlicher Fachdisziplinen für die Entste-
hung und Aufrechterhaltung von hohem Körpergewicht bzw. einer Gewichtszunahme.

In Kapitel 3 wird anschließend Adipositas, als körperlicher Zustand, im Kontext bestehen-
der gesellschaftlicher Strukturen und Vorstellungen begutachtet und beschrieben und wel-
che (Aus-)Wirkungen daraus entstehen. So werden zunächst die soziokulturellen Norm-
und Wertevorstellungen in Bezug auf das körperliche Aussehen, in diesem Sinne, das
Schönheitsideal, erläutert. Danach werden auf dieser Grundlage die Folgen des soziokul-
turellen Einflusses, in Form von Stigmatisierung und Diskriminierung, und die daraus ent-
stehenden Effekte auf das Individuum geschildert.

Danach werden in Kapitel 4, in Anbetracht der zugrundeliegenden Fragestellung, das Auf-
treten von psychischen Störungen in Zusammenhang mit Adipositas sowie bestehende
Wechselwirkungen erläutert.

Weiter befasst sich Kapitel 5 mit spezifischen Bevölkerungsgruppen, denen im Zuge von
vorliegender Adipositas, eine signifikante Bedeutung zugewiesen wird. Dies umfasst zum
einen Kinder und Jugendliche und welche Effekte (auf körperlicher und psycho-(sozialer)
Ebene) bedingt durch vorliegende Adipositas auftreten. Zum anderen ist der geschlechts-
spezifische Aspekt von Adipositas, im dem Sinne, dass Frauen, aufgrund verschiedener
Einflüsse, hohes Körpergewicht als sehr belastend empfinden, zu beschreiben.

Danach wird im Rahmen des 6.Kapitels die multimodale und interdisziplinäre Herange-
hensweise zur Beseitigung von Adipositas beschrieben und so verschiedene Ansätze und
Strategien zur Gewichtsreduzierung und -stabilisierung, aber auch hinsichtlich Adipositas-
assoziierter Begleiterscheinungen und -effekte, aufgeführt.

Zum Schluss erfolgt in Kapitel 7 der Bezug von Adipositas, als Handlungsaufgabe der So-
zialen   Arbeit.   Dahingehend    wird   die   Relevanz    von   Sozialer   Arbeit   in   der
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Einleitung                                                                               4

Gesundheitsfürsorge und in Bezug auf einen generellen Gesundheitsbewusstseins darge-
stellt. Weiter werden verschiedene Handlungskompetenzen und Vorgehensweisen hin-
sichtlich der zu erfolgenden Unterstützungsleistungen (bei vorliegender Adipositas) im Rah-
men der Sozialen Arbeit beschrieben. Dazu werden spezifische Aspekte, die in Zusammen-
hang mit Adipositas stehen, angeführt und die Handlungsnotwendigkeit von Sozialer Arbeit
(als Akteur) sowie zu erfolgende Handlungsmaßnahmen näher beleuchtet.

Abschließend ist anzumerken, dass in der folgenden Arbeit sowohl der Begriff Übergewicht
als auch Adipositas verwendet werden; zum Teil auch mit einer gleichrangigen Bedeutungs-
zuweisung. Dennoch ist zu betonen, dass die Gewichtung dieser Arbeit vorwiegend auf das
Vorliegen von hohem Körpergewicht in Form von Adipositas liegt. Die Hinzuziehung der
Körpererscheinung Übergewicht, wird im weiteren Verlauf hinreichend begründet.
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1. Die psychische Gesundheit und Adipositas                                                    5

1. Die psychische Gesundheit und Adipositas

1.1 Definition von psychischer Gesundheit

In Anlehnung des biopsychosozialen Modells der Gesundheit ist die psychische Gesund-
heit, neben der physischen und sozialen Gesundheit, das Maß, das die Gesundheit eines
Menschen wiedergibt (vgl. Fuchs/Schlicht 2012: 2).

So definiert die Weltgesundheitsorganisation, kurz WHO, (2018) diese folgendermaßen:

„Mental health is a state of well-being in which an individual realizes his or her own abilities,
can cope with the normal stresses of life, can work productively and is able to make a con-
tribution to his or her community“.

Daneben wird diese nach Grawe (1998) ebenso als Resultat der Regulation der subjektiven
Bestrebungen und Erfordernissen, wie auch Wünschen, einer Person und den innerhalb
der Umgebung tatsächlich zur Verfügung stehenden Mittel zur Realisierung der genannten
Bedürfnisse, die eine Person im Rahmen ihrer strukturellen, materiellen und sozialen Ge-
gebenheiten, besitzt, gesehen. In diesem Sinne ist dies ein Akt des Austarierens beider
Maximen, aus der sich, je nach Effizienz, eine positive oder negative Bilanz in Bezug auf
das subjektive Wohlbefinden entwickelt (vgl. Fuchs/Schlicht 2012: 2).

Weiter ist die psychische Gesundheit gekennzeichnet durch das Vorliegen adäquater Res-
sourcen und Fertigkeiten, um mit gegenwärtigen und länger andauernden Spannungszu-
ständen geeignet umgehen zu können (vgl. Heinz 2016: 86).

Dahingehend sind weitere Komponenten seelischer Gesundheit das seelische-körperliche
Wohlbefinden (durch eine sinnbesetzte Lebensführung und fehlende Beschwerden), die
Fähigkeit zur Anpassung und Weiterentwicklung (im Sinne autonomer Handlungsflexibilität
und -erweiterung) und allumfassende Wertschätzung (für sich selbst und andere) (vgl. Be-
necke 2014: 242). Dies erfolgt auf der Grundlage geeigneter Konfliktlösemechanismen und
durch eine funktionale Beziehungsausgestaltung sowie einer stabilen psychischen Konsis-
tenz und durch angemessene Kognitionsprozesse (vgl. a.a.O.: 243-247).

Weiter beschreibt Grawe (1998) die Gefahr der Entwicklung einer seelischen Störung auf-
grund einer wiederholten negativen Bilanz des Wohlbefindens im Rahmen der oben ge-
nannten Bewältigungsaufgabe (vgl. Fuchs/Schlicht 2012: 2f.).
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1. Die psychische Gesundheit und Adipositas                                                6

Folgende Abbildung (Abb.1) veranschaulicht die vielfältigen und differenzierten Einflüsse
auf die Funktionalität der psychischen Gesundheit:

 Abb. 1: Funktionsmodell der psychischen Gesundheit (Quelle: Hapke et al. 2012: 40)

Als Dimension der seelischen Gesundheit ist das Selbst(-konzept), insbesondere in Hinblick
auf mögliche negative Wirkungen auf dieses, die aufgrund bestehender Adipositas erfolgen
können, zu beachten. Es dient so als „Protektor“, „Ressource“, wie auch als „Moderator
oder Mediator“ (Hänsel 2012: 143f.).

Zu den Komponenten des Selbstkonzeptes gehören die Selbsteinschätzung, das Körper-
konzept, Fähigkeitskonzept, die Selbstbewertung und das Selbstbild. Diese sind grundsätz-
lich nicht klar voneinander abzugrenzen und bedingen sich gegenseitig (vgl. Wendler 2015:
85f.).

Die Selbsteinschätzung umfasst das Selbstvertrauen, das Selbstwertgefühl und die Selbst-
wertschätzung. Insgesamt ist damit die individuelle Beurteilung der Fähigkeiten und Kom-
petenzen der eigenen Person gemeint. Dies bezieht sich auf vergangene Handlungen, auf
bevorstehende Herausforderungen, aber auch auf das allgemeine Fähigkeitsrepertoire (vgl.
ebd.). Dahingehend beschreiben Becker, Zipfel und Teufel (2015: 96f.), dass ein positives
Selbstwertgefühl gekennzeichnet ist durch die Fähigkeit zur bereits erwähnten Selbstak-
zeptanz und Selbstvertrauen, ebenso eine soziale Kompetenz in Bezug auf einer erlebten
interpersonellen Interaktion und aktiven (positiv besetzten) Lebensführung. Weiter spielt die
Einbindung in einem funktionalen sozialen Beziehungsgeflecht eine wichtige Rolle.
1. Die psychische Gesundheit und Adipositas                                               7

Die Bedeutung eines positiven Selbstwertgefühls zeigt sich darin, dass auf dieser Grund-
lage eine effizientere Alltagsgestaltung erfolgt; die generelle Lebenszufriedenheit erhöht
wird und mit Misserfolgen, wie auch Erfolgserlebnissen, adäquat verfahren wird (vgl. ebd.).
Dementsprechend dient ein positives Selbstbild als protektiver Faktor gegenüber erlebten
Belastungen und negativen Effekten. Hingegen führt ein negativer Selbstwert zu Gefühlen
der Ohnmacht und des Versagens; mehr noch, wird die Entwicklung gravierender psychi-
scher Störungen begünstigt. Ebenso zeigt sich, je höher der Widerspruch zwischen dem
eigenen Selbstbild und dem (subjektiven) Ideal des Selbst ist, desto maßgebender ist die
Verringerung des (positiven) Selbstwertgefühls (vgl. Csmarich 2014: 30f.).

Das Körperkonzept bildet die Basis für die Ausprägung des Selbstkonzepts. Denn der Kör-
per dient als Medium aller stattfindenden emotionalen und kognitiven Vorgänge, die sich in
durch ein bestimmtes Körpererlebens und -ausdrucks, gestalten. Diese kognitiven und
emotionalen Mechanismen erfolgen sowohl bewusst als auch unbewusst. So umfasst das
Körperkonzept einerseits das Körperschema, welches das Bewusstsein der eigenen Kör-
pervorgänge innerhalb von Raum und Zeit meint und andererseits das Körpergefühl, das
als emotionale Verbindung zum Körper verstanden wird und die subjektive Einstellung dem-
gegenüber, wie auch die Art und Weise der Interaktion des Körpers mittels verschiedener
Bewegungen sowie die Gestik und Mimik in der Umwelt, umfasst (vgl. Wendler 2015: 86;
vgl. Wimmer-Puchinger 2016: 12).

Das Fähigkeitskonzept meint die Beurteilung, Wahrnehmung und emotionale Besetzung
hinsichtlich der eigenen Leistungsfähigkeit und Kompetenzen (vgl. Wendler 2015: 86f.). In
diesem Zusammenhang ist auch gleichermaßen die von Bandura (1977: 193) bezeichnete
Fähigkeit zur Selbstwirksamkeit(-erwartung) zu nennen, die das personelle Vertrauen in die
eigene Kompetenz- und Leistungsfähigkeit bzw. Handlungserfolg hin zum Erreichen eines
gewünschten Ergebnisses meint (vgl. Staiger 2015: 29).

Zuletzt bezeichnet das Selbstbild die weitgehend objektive Selbstreflexion der eigenen
Handlungen, während im Rahmen der Selbstbewertung die individuellen Handlungen und
Gefühle einer emotionalen Einschätzung unterliegen (vgl. Wendler 2015: 87).

Es spielen sowohl biologische, individuelle, familiäre und soziale Faktoren sowie materielle
und strukturelle Aspekte eine Rolle, die auf die psychische Gesundheit einwirken. Diese
interagieren auf komplexe Art und Weise miteinander und beeinflussen nebenher die
Schutz- und Risikofaktoren (vgl. Hapke et al. 2012: 39).

Die psychische Gesundheit ist von zentraler Bedeutung für die Lebensqualität, Leistungs-
fähigkeit und der sozialen Teilhabe und ist daher, insbesondere im Kontext von Überge-
wicht und Adipositas - als „Störfaktor“ - nicht zu vernachlässigen (vgl. RKI 2018a).
1. Die psychische Gesundheit und Adipositas                                                  8

Es ist hinzuzufügen, dass die ganzheitliche psychische Gesundheit vielmehr als ein Ideal
zu verstehen ist, die im vollkommenen Maße hinsichtlich der psychischen Fähigkeiten und
Zielen nicht gänzlich zu erreichen ist. So bedeuten Einschränkungen und Devianzen inner-
halb der beschriebenen Voraussetzungen und Kriterien von psychischer Gesundheitlich
nicht sogleich, dass eine psychische Störung vorliegt, sondern kann vielmehr einen Hinweis
auf eine vorliegende Vulnerabilität und erhöhtes Risiko dazu sein (vgl. Benecke 2014: 247).

1.2 Definition von Übergewicht und Adipositas

Die Bezeichnungen Übergewicht und Adipositas werden oft gleichrangig und mit dem glei-
chen Sinngehalt benutzt. Dabei ist eine Unterscheidung beider Begriffe sinnvoll, da die Be-
deutungen und Aussagen voneinander abweichen können. Durch einen synonymen Ge-
brauch dieser Begriffe werden beide Zustände und deren mitunter verschiedenen Charak-
teristika in Bezug auf Mortalität und Morbidität, wie auch zu anderen Aspekten, wie Ein-
schränkungen im Alltag und psychosoziale Auswirkungen, gleichrangig akzeptiert. Es stellt
jedoch einen Unterschied dar, ob eine Person übergewichtig oder adipös ist – einerseits
auf biologischer bzw. medizinischer Ebene und andererseits auf psychosozialer Ebene.

So beschreibt Übergewicht, unter Berücksichtigung von Alter und Geschlecht, ein über den
Durchschnitt liegendes Körpergewicht. Dagegen ist Adipositas definiert „als eine über das
Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfetts“ (DAG 2012) bei der die im Kör-
pergewicht anteilige Fettmenge von maßgebender Bedeutung ist (vgl. Warschburger/Pe-
termann 2008: 1).

Ebenso zu unterscheiden ist, dass Adipositas oft mit einem erhöhten Risiko für Morbidität,
Mortalität und anderen Einschränkungen sowie Beschwerden, einhergeht. Personen mit
Übergewicht weisen dagegen keine geringere Lebenserwartung auf (vgl. Kroke 2013: 121).
Weiter ist vor allem das Merkmal der Chronizität, welche mit Adipositas assoziiert wird,
jedoch nicht mit Übergewicht, von signifikanter Bedeutung (vgl. Hölling et al. 2008: 606).

Nichtsdestotrotz sind die Begriffe Übergewicht und Adipositas nicht gänzlich voneinander
abzugrenzen, da Übergewicht in starker Form auch als Adipositas bezeichnet wird (vgl.
Schienkiewitz et al. 2017: 21) und Übergewicht auch als Vorstufe der Adipositas, bzw. auf
eine Tendenz zur Entwicklung eben dieser hinweist. Im angloamerikanischen Sprachge-
brauch wird die Bezeichnung Übergewicht synonym mit dem im Deutschen gebräuchlichen
Begriff Präadipositas („overweight“) verwendet (vgl. Wirth 2008: 10). Gleichermaßen ist aus
soziokultureller bzw. psychosozialer Sicht eine klare Abgrenzung von Übergewicht und
2. Übergewicht und Adipositas in der heutigen Zeit                                       9

Adipositas schwierig. Sowohl Übergewicht (in ‚vereinfachter‘ Form), als auch Adipositas (in
‚verstärkter‘ Form), haben negative Effekte auf das psychosoziale Wohlbefinden und be-
schreiben einen körperlichen Zustand, der außerhalb der festgelegten gesundheitlichen
und ästhetischen Norm liegt.

Ein weiterer Aspekt, den es zu beachten gilt, ist die problematische und oft wenig wert-
schätzende Verwendung der Begrifflichkeiten (vgl. Schmitt/Rose 2017: 175). Damit sind
nicht nur die Begriffe Übergewicht und Adipositas gemeint (die zumindest den vermeintli-
chen Anspruch nach Objektivität beanspruchen), sondern auch andere Umschreibungen,
wie ‚dick‘, ‚fett‘, ‚mollig‘, oder ähnlich umgangssprachliche Bezeichnungen, wie Fettsucht
und Fettleibigkeit– sie alle beinhalten eine negative Konnotation (vgl. Tolasch 2017: 102),
dessen implizierter Sinngehalt eine Abwertung der bezeichneten Person und die Forderung
nach Veränderung (des derzeitigen Zustandes) umfasst (vgl. Barlösius 2014: 7).

2. Übergewicht und Adipositas in der heutigen Zeit

Die heutige Gesellschaft ist gekennzeichnet durch eine zunehmende Orientierung zu Ge-
sundheit und entsprechendem gesundheitsorientierten Verhalten und kann dahingehend
auch als „Gesundheitsgesellschaft“ (Homfeldt 2014: 4) verstanden werden.

In dieser Hinsicht ist die Bedeutung von Adipositas, die in diesem Kontext als eine Gesund-
heitsstörung gilt, signifikant; vor allem, da eine zunehmende Fokussierung und sogar Skan-
dalisierung von Übergewicht, aber mehr von Adipositas als Gesundheitsproblem, im allge-
meinen Konsens, erfolgt (vgl. Wolff 2013: 55f.; Dammann 2016: 44). Herleiten lässt sich
dies durch die kulturelle Tendenz zu Katastrophismus und Zukunftspessimismus sowie der
verstärkten Medikalisierung, also die Einnahme einer medizinischer Perspektive, in vielen
gesellschaftlichen Lebensbereichen. Ebenso wird die Fettleibigkeit einerseits auf individu-
eller Ebene als Anpassungsfehlleistung an die kulturellen Paradigmen der Selbstkontrolle
und Selbstdisziplinierung, im Sinne eines Kontrollverlustes, gesehen. Andererseits beein-
flussen übergeordnete Kontrollmechanismen von Staat und Politik, die allgemeine Denk-
weisen. Bespiele sind: Eltern mit adipösen Kindern, wird im Sinne einer Kindeswohlgefähr-
dung, das Sorgerecht entzogen, die Verbeamtung aufgrund eines zu hohen BMI verweigert
oder das Gesundheitsverhalten wird durch die Einführung eines Ampelsystems der Lebens-
mittel in die Kategorien von gesund und weniger gesund, beeinflusst. Des Weiteren wird
der Körper, im Sinne eines Normierungsprozesses, klassifiziert in ‚normal‘ und ‚abwei-
chend‘. Darin impliziert ist die Aufforderung, sich diesen kulturellen Maßstäben und
2. Übergewicht und Adipositas in der heutigen Zeit                                       10

dahingehend der indirekten Kontrollmechanismen von außen unterzuordnen (vgl. Wolff
2013: 59-67).

Kennzeichnend für Adipositas ist die Einstufung als eigenständige Krankheit, die mit einem
mit chronischen Verlauf einhergeht (vgl. Schienkiewitz et al. 2017: 21; Hölling et al. 2008:
606). In diesem Sinne ist Adipositas nach dem ICD-10, nicht als klassische Essstörung,
sondern im Sinne einer Gewichtsstörung als Endokrine-, Ernährungs- und Stoffwechsel-
krankheit klassifiziert, und eine pathologische Gewichtszunahme (in extremer Form) meint
(vgl. Messerli-Bürgy/Munsch 2018: 320; Schuck/Schneider 2019: 11). Weiterhin wird im
Zuge der Krankheitsdefinition von Adipositas ein signifikanter Zusammenhang zwischen
Morbidität und Mortalität sowie anderen Einschränkungen in Bezug auf die Lebensqualität
und der körperlichen und psychischen Befindlichkeit angeführt (vgl. DAG 2014: 19-26).
Demnach werden körperliche Erkrankungen, wie u.a. Diabetes mellitus, Insulinresistenz,
Dyslipidämie, arterielle Hypertonie oder gastrointestinale Erkrankungen mit Adipositas in
Verbindung gebracht (vgl. DAG 2014: 20ff.).

Folgende Abbildung (Abb. 2) veranschaulicht das Risiko für die Entstehung einzelner so-
matischer Komorbiditäten in Zusammenhang mit Adipositas:

           Abb. 2: Das Morbiditätsrisiko bei Adipositas (Quelle: DAG 2014: 20)
2. Übergewicht und Adipositas in der heutigen Zeit                                           11

Ebenso wird in der nachfolgenden Abbildung (Abb. 3) deutlich, dass Adipositas mit einer
erhöhten Sterblichkeitsrate assoziiert ist:

             Abb. 3: Das Mortalitätsrisiko bei Adipositas (Quelle: Müller et al. 2003: 30)

Jedoch ist in diesem Zusammenhang auf das sogenannte „obesity paradox“ (Oga/Eseyin
2016; Wang 2014; Chapman 2010) hinzuweisen. Dahingehend relativieren Ergebnisse ver-
schiedener Untersuchungen das erhöhte Gesundheitsrisiko bei bestehendem erhöhten
Körpergewicht bei einem BMI von 25-35 kg/m² und weisen vielmehr darauf hin, dass be-
treffende Personen mit steigendem Alter einen besseren Gesundheitszustand hinsichtlich
kardio-vaskulären Erkrankungen aufweisen, als Personen mit einer schlankeren Konstitu-
tion. Jedoch bedarf es in dieser Hinsicht weiterer Untersuchungen, ob dieses Phänomen
tatsächlich zutreffend ist (vgl. Dammann 2016: 44; vgl. Wolff 2013: 56; Kroke 2013: 110).

Weiterhin ist zu bemerken, dass die medizinischen Kosten im Rahmen des Gesundheits-
systems im Zusammenhang mit Adipositas (und deren physischen und psychischen
Komorbiditäten) rund 8% der ganzheitlichen Krankheitsaufwendungen betragen. Dies ent-
sprechen etwa 25 Mrd. Euro pro Jahr (vgl. Becker/Zipfel/Teufel 2015: 17).
2. Übergewicht und Adipositas in der heutigen Zeit                                            12

2.1 Methoden zur Klassifizierung von Übergewicht und Adipositas

Die Zuordnung des Körpergewichtes in ‚gesund‘ und ,ungesund‘ basiert auf die Kategori-
sierung und Bestimmung von Untergewicht, Normalgewicht sowie von Übergewicht und
Adipositas. Dazu werden verschiedene Methoden herangezogen. Diese sollen nun im Fol-
genden kurz vorgestellt werden.

2.1.1 Der Body-Mass-Index (BMI)

In erster Linie ist der ‚Body-Mass-Index‘ (BMI), ein Gewicht-Längen-Index, das maßge-
bende Instrument und die Einheit zur Bestimmung der verschiedenen Gewichtsklassen.
Ermittelt wird der BMI durch folgende Formel:

                  ö        öß
BMI (kg/m²) =
                 ö     ä         ²

Anders ausgedrückt, der BMI wird mittels Division der Körpergröße in kg durch das Quadrat
der Körperlänge in m berechnet. Folgende Abbildung veranschaulicht die Klassifizierung
des Körpergewichts mittels des BMI:

Abb. 4: Klassifikation des Körpergewichts anhand des BMI (Quelle: Becker/Zipfel/Teufel: 18)

Dabei zeigt sich, wie bereits beschrieben, dass die Einteilung von Übergewicht und Präadi-
positas nicht klar abzugrenzen ist. Übergewicht gilt so ab einem BMI von 25 kg/m² (und
mehr), Präadipositas gilt bei einem BMI von 25 -29,9 kg/m² und Adipositas (und deren ver-
schiedenen Schweregrade) ab einem BMI von 30 kg/m² und mehr (vgl. Hauner/Bosy-West-
phal/Müller 2013: 2f.).

Obwohl der BMI sich als kennzeichnendes Maß zur Klassifikation des Körpergewichts weit-
gehend international etabliert hat, ist zu beachten, dass der BMI nur bedingt den Anteil der
2. Übergewicht und Adipositas in der heutigen Zeit                                       13

Körperfettmasse (und das damit einhergehende Risiko für Morbidität und Mortalität durch
eine erhöhte Körperfettmasse) erfassen kann. Ein erhöhtes Körpergewicht kann auch unter
anderem durch eine gesteigerte Muskelmasse, wie etwa bei Kraftsportlern, bestehen und
kann dementsprechend zu falschen Schlussfolgerungen führen (vgl. (Hauner/Bosy-West-
phal/Müller 2013: 2). Dementsprechend erfolgt keine Unterscheidung von Fettmasse und
fettfreier Masse. Ebenso wird durch den BMI, der Verteilung des Körperfettes im Körper,
keinerlei Beachtung geschenkt. In Anbetracht der Tatsache, dass die im Bauchraum be-
findliche Fettansammlung als ein Indikator für weiterfolgende Beeinträchtigungen gilt, ist
dem eine nicht unerhebliche Bedeutung zuzuweisen (vgl. Neuhauser et al. 2013: 42). Wei-
ter bemerkt Kroke (2013: 121), dass Personen, die eigentlich ein, durch eine erhöhte Kör-
perfettmasse erhöhtes Risiko (hinsichtlich entsprechender Adipositas assoziierter Krank-
heiten) aufweisen, durch die ungenaue Beschreibung der Körperfettmasse, nicht als adipös
erkannt und identifiziert werden und der BMI dementsprechend nicht als absolutes Maß
anzuerkennen ist. In diesem Sinne ist der BMI als Richtlinie zur Bestimmung des Gesund-
heitsrisikos mit einem bestimmten Körpergewicht nur bedingt nutzbringend.

2.1.2 Der Taillenumfang und die Taille-Hüft-Relation

Eine weitere Methode, die eher als der BMI, einen Hinweis auf das Risiko für morbide Aus-
wirkungen gibt, ist die Messung des Taillenumfanges, auch ‚waist circumference‘ (WC) ge-
nannt. Dieser gilt als Maß für das vorhandene intraabdominale (vizerale) bzw. bauchspezi-
fische Fett und als Indikator für die Entwicklung Adipositas assoziierter Erkrankungen (vgl.
Wirth 2015: 358).

Ähnlich wie die Messung des Taillenumfangs, ist die Feststellung der Taille-Hüft-Relation
eine weitere geeignete Methode und mit gleichartiger Aussagekraft, um die Fettverteilung
zu ermitteln. Dabei wird das Verhältnis von Taillenumfang zu Hüftumfang, durch die Be-
rechnung des Quotienten beider Größen, festgestellt. Bei Männern liegt ein erhöhtes Risiko
für weitere biologische Komorbiditäten bei einem Wert ab 1,0 (und mehr) vor - bei Frauen
ab einem Wert von 0,85 (und mehr) (vgl. Neuhauser et al. 2013: 51).

2.1.3 Die Bioelektrische Impedanzanalyse (BIA)

Die bioelektrischen Impedanzanalyse (BIA) bestimmt die Körperzusammensetzung hin-
sichtlich des Körperfettes, des Gesamtkörperwassers und der fettfreien Masse. Dabei wird
2. Übergewicht und Adipositas in der heutigen Zeit                                      14

ungefährlicher Wechselstrom durch den Körper geleitet und mithilfe der unterschiedlichen
Widerstände bzw. Leitfähigkeiten der verschiedenen Körperorgane, die Fettmasse und fett-
freie Masse erschlossen. Dadurch erfolgt ein genauerer Aufschluss darüber, wie die Fett-
verteilung und Fettansammlung im Körper angesiedelt ist (vgl. Reimers 2005: 356; Wirth
2015: 358).

2.2 Epidemiologie und Prävalenz

Weltweit sind nach WHO (2016) rund 1,9 Milliarden Erwachsene von Übergewicht, darunter
600 Millionen von Adipositas, betroffen. Es ergibt sich daraus eine Prävalenz von 39 % bzw.
13 %.

Derzeitige Daten zur Verbreitung von Übergewicht und Adipositas, erhoben durch die „Stu-
die zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS1), zeigen auf, dass rund 67,1 %
der Männer und 53 % der Frauen von Übergewicht sowie 23 % (Männer) und 24 % (Frauen)
von Adipositas, betroffen sind (vgl. RKI 2018b). Der Erhebungszeitraum war von 2008-
2011:

        Abb. 5: Adipositasverteilung nach Alter und Geschlecht
        (Quelle: Mensik/Schienkiewitz/Scheidt-Nave 2012: 7)

Deutlich wird die Korrelation zwischen Übergewicht bzw. Adipositas und dem Alter. Mit stei-
gendem Alter steigt auch das Körpergewicht (vgl. ebd.).
2. Übergewicht und Adipositas in der heutigen Zeit                                         15

Werden die Daten aus der DEGS1 mit vorherigen Studien, wie dem Bundesgesundheits-
survey 1998 (BGS98), verglichen, zeigt sich, dass eine Zunahme der Adipositas-Prävalenz
in den letzten Jahrzehnten erfolgte: Bei Frauen stieg der Anteil an Adipositas von 22,5 %
auf 23,9% und bei Männern von 18,9 % auf 23,3 %. Die Prävalenzrate von Übergewicht
blieb dagegen relativ konstant (vgl. Mensik/Schienkiewitz/Scheidt-Nave 2012: 8).

Eine weitere Studie, die es zu nennen gilt, ist die Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“
von 2014 bzw. 2015 (GEDA 2014/2015-EHIS). Nach dieser Auswertung leiden 28,8 % der
Frauen und 43,3 % der Männer an Übergewicht und jeweils etwa 18 % (beider Geschlech-
ter) sind von Adipositas betroffen. Dabei ist zu beachten, dass die Berechnung der Prä-
valenz auf Selbstangaben der Befragten beruht, anders als bei Studien, wie zum Beispiel
der BGS98 und DEGS1, was zur Folge hat, dass sich Abweichungen bei den Prävalenzan-
gaben ergeben (vgl. Schienkiewitz et al. 2017: 22).

Des Weiteren zeigt sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem sozioökonomi-
schen Status und Adipositas. Je niedriger dieser ist, desto höher ist der Anteil an adipösen
Männern und Frauen:

       Abb. 6: Adipositas und sozioökonomischer Status
       (Quelle: Mensik/Schienkiewitz/Scheidt-Nave 2012: 9)

Im Gegenzug offenbart sich in Städten (im Vergleich zu ländlichen Gegenden) die Tendenz,
dass bei einem hohen sozioökonomischen Status der Anteil an Adipösen deutlich geringer
ausfällt. So hat nebenbei nicht nur die soziale Lage, sondern auch der Ort einen Einfluss
auf das Vorliegen von hohem Körpergewicht (vgl. Benecke 2014: 348).
2. Übergewicht und Adipositas in der heutigen Zeit                                          16

Gemäß der Folgeerhebung der KiGGS-Studie (2014-2017), betrug der Anteil an überge-
wichtigen Kindern und Jugendlichen 15,4 % im Alter von 3-17 Jahren. Dazu sind 5,9 % von
Adipositas betroffen. Ebenso zeigt sich auch bei Kindern und Jugendlichen, dass der Anteil
an Übergewicht und Adipositas steigt, je niedriger der soziale Status der Familie ist. Die
Prävalenzrate ist jedoch seit der Basiserhebung (2003-2006) konstant (hoch) geblieben
(vgl. Schienkiewitz et al. 2018: 18f.).

2.3 Die Ätiologie von Adipositas

In erster Linie wird Adipositas mit falscher Ernährung und/oder Mangel an Bewegung as-
soziiert. Jedoch gilt es zu beachten, dass die Entstehung und Ursache zur Entwicklung von
Übergewicht und Adipositas durch verschiedene Faktoren bedingt wird. Für ein adäquates
Verständnis und eine entsprechende Behandlung besteht daher die Notwendigkeit, diese
miteinzubeziehen. In diesem Sinne werden im Folgenden verschiedene Ansätze näher be-
schrieben und erläutert.

In Anlehnung an Ried (2010: 188-192) wird auf drei Hauptaspekte verwiesen, die von Be-
deutung sind: die „Passion“ – die Leidenschaft für Genuss, die mit einem Mangel an Bewe-
gung und einem unkontrollierten Essverhalten einhergeht; die „Pathologie“ – gemeint sind
biologisch-medizinische Faktoren und psychologische Mechanismen, durch die Adipositas
als Krankheit, als Symptom und als Komorbidität verstanden wird. Zuletzt ist nach Ried die
„Kultur“ zu nennen, in der zu hohes Körpergewicht in Relation mit den gesellschaftlichen
Bedingungen zu setzen ist.

Daneben sind weitere Einflussnahmen auf die Zunahme des Körpergewichts zu beachten,
wie das Schlafverhalten, Stress, das sozioökonomische Umfeld und der Einfluss von
(Psycho-)Pharmaka.

2.3.1 Die genetische Veranlagung

So ist der Aspekt der Genetik und mögliche genetische Prädispositionen und dessen Ein-
fluss auf die biomechanische Gewichtsregulation zu berücksichtigen:

Im Rahmen von Zwillings- und Adoptionsstudien wurde festgestellt, dass der Anteil an Ver-
erbung in Bezug auf das Körpergewicht und Fettmasse etwa 64-80 % beträgt. Untersucht
wurden     u.a.   getrennt    aufgewachsene          Zwillingspaare,   die   in   verschiedenen
2. Übergewicht und Adipositas in der heutigen Zeit                                      17

Adoptionsfamilien aufwuchsen. Dabei wiesen die Zwillingkinder ein mit den biologischen
Eltern vergleichbares Körpergewicht und weniger mit den Adoptiveltern (mit denen sie zu-
sammenleben, auf (vgl. Frieling/Hinney/Bleich 2015: 390).

Weiter wurden im Rahmen mehrerer Assoziationsstudien, welche den Zusammenhang zwi-
schen verschiedenen genetischen Varianten, also dem Genotyp und einer hinführenden
Merkmalsausprägung, dem Phänotyp, untersuchten, verschiedene Ansätze entwickelt, die
auf das Einwirken mittels einer genetischen Prädisposition hinweisen. So wird zum einen
im Kandidatengen-Ansatz davon ausgegangen, dass es einen Hinweis auf spezifische
Gene gibt, die relevant für die Entstehung von Übergewicht sind. Ebenso wird davon aus-
gegangen, dass unterschiedliche Mutationen und Varianten am neuronalen Melanocortin-
rezeptor 4, der für die Steuerung von Appetit und Hunger verantwortlich ist, eine Gewichts-
steigerung hervorrufen. Dies lässt sich durch eine verminderte Funktion des Melanocortin-
rezeptors 4 ableiten. Des Weiteren ist das Modell der Haushältergene, auch ‚thrifty-Gene‘,
zu nennen. Nach dieser Hypothese hat, durch wiederholte Hungerphasen in der Geschichte
der Evolution, eine Selektion bestimmter Gene stattgefunden. Diese Gene waren verant-
wortlich für einen schnellen Aufbau von Energiereserven und konnten somit Energiever-
brauch begünstigten. Zu beachten gilt, dass dieses Erklärungsmodell bisher nur kaum bis
keine Evidenz hat. Zuletzt wird angenommen, dass ein kombiniertes Auftreten mehrerer
Genotypen, also polygene Formen und Varianten, eine Zunahme des Körpergewichts er-
möglichen (vgl. a.a.O.: 392f.).

2.3.2 Das Ess- und Bewegungsverhalten

Nach Petermann und Pudel (2003: 17ff.) ist Übergewicht und Adipositas in direkte Bezie-
hung mit sogenannten „Überflussgesellschaften“ zu setzen. So haben „Technisierung und
Automatisierung […] innerhalb weniger Jahrzehnte den Alltag, den Beruf und die Freizeit
so massiv beeinflusst, dass der tägliche Kalorienverbrauch [durch Bewegung, MR] bei den
meisten Menschen innerhalb einer Generation um ca. ein Drittel gesunken ist. Etwa 40-
60% der Bevölkerung in der Europäischen Union pflegen eine bewegungsarme Lebens-
weise“ (Schmagold/Matlik: 405, zit. in: Lützenkirchen S.17).

Dabei besteht die Problematik darin, dass einerseits die Ernährung und andererseits die
Bewegung durch eine in solchen Gesellschaften typische Angebotsvielfalt, in Bezug auf
Lebensmittel und technische Modernisierung, zu inadäquaten Verhaltensweisen hinsicht-
lich der Ernährung und Bewegung führen. Gemeint ist damit, dass der kulturell geprägte
2. Übergewicht und Adipositas in der heutigen Zeit                                         18

Lebensstil eine Gewichtszunahme begünstigt. Dies wird zum einen durch ein durchgehen-
des und allumfassendes Nahrungsangebot mit zum Teil kohlenhydrat- und zuckerreichhal-
tigen Bestandteilen, welche zu erschwinglichen Preisen erhältlich sind und zum anderem
dadurch, dass sich die Größe der Essenportionen, die im Supermarkt erhältlich sind, erhöht
hat, begünstigt. Doppelte Portionen gelten nun als die übliche Portionsgröße, die regelmä-
ßig verzehrt werden. Hinzukommt, dass aufgrund von Zeitmangel, für viele Personen (Fa-
milien, Alleinerziehende, Berufstätige, usw.) eine rasche Nahrungszubereitung bzw. -auf-
nahme favorisiert wird und erforderlich ist (vgl. Munsch/Hilbert 2015: 15f.).

Daneben wird ebenfalls ausreichende Bewegung durch verschiedene Faktoren gehemmt.
Dies umfasst zum einen, eine in der Freizeit (durch u.a. einen gesteigerten Medienkonsum)
und eine im Berufsalltag vermehrte passive Aktivität. Weiter werden im Alltag – beispiels-
weise zum Einkaufen oder der Weg zur Arbeit, oftmals Fortbewegungsmittel genutzt, die
weniger körperliche Aktivität einschließen, wie die Nutzung von Autos, Bussen oder Stra-
ßenbahnen. Dazu ist es sogar nicht einmal notwendig, das Haus zu verlassen, um Einkäufe
oder ähnliches zu erledigen, da diese mittlerweile per Lieferservice direkt nach Hause ge-
liefert werden können (vgl. ebd.). Gleichwohl findet eine „Verhäuslichung“ der Kindheit statt.
Unternehmungen und Spiele finden nun vorwiegend im Haus, als draußen auf der Straße,
statt (vgl. Staiger 2015: 21).

Darüber hinaus ist die Wirkung von sozialen Netzwerken nicht zu unterschätzen. So wurde
in einer Studie von Christakis und Fowler (2007) die Beobachtung aufgestellt, dass die
Wahrscheinlichkeit zu einem erhöhten Gewicht steigt, wenn das soziale Umfeld Personen
mit einem hohen Körpergewicht aufweist (vgl. Munsch/Hilbert 2015: 16f.).

Weitere Aspekte der Ernährungsweise, die ein Risiko für die Entwicklung von Übergewicht
und Adipositas darstellen, sind zum einen die Aufnahme einer großen Menge an Essen, im
Sinne von großer Essensportionen; wiederholtes und mehrmaliges Einnehmen von Zwi-
schenmahlzeiten zusätzlich zu den regulären Mahlzeiten, aber auch irreguläre Ernährungs-
zeiten. Daneben ist ebenso der Verzehr von kalorienreichen Nahrungsmitteln, aber auch
eine (hohe) Verzehrgeschwindigkeit begünstigend für die Zunahme an Gewicht (vgl. Be-
cker/Zipfel/Teufel 2015: 21).

Ebenso zeigt sich, dass ein niedriger sozioökonomischer Status mit einer ungesünderen
Ernährungsweise einhergeht. So beinhaltet deren Ernährung vermehrt Wurst- und Fleisch-
waren, Zucker, Butter und Weißbrot. Im Gegenzug sind Personen aus der oberen Schicht
mehr darauf bedacht, sich abwechslungsreich zu ernähren und mehr proteinreiche Lebens-
mittel und Obst zu sich zu nehmen (vgl. Klotter 2017: 23f.)
2. Übergewicht und Adipositas in der heutigen Zeit                                       19

Aber nicht nur das Ernährungs- und Essverhalten spielt bei der Entwicklung von Überge-
wicht und Adipositas eine Rolle, sondern auch das Bewegungsverhalten. In diesem Zusam-
menhang ist sportliche Inaktivität sowohl Bedingung und Ursache – als auch Folge von
Übergewicht. Einerseits wird durch zu wenig Bewegung eine Gewichtszunahme begünstigt,
andererseits; wird aufgrund eines zu hohen Körpergewichts, angemessenes Bewegungs-
verhalten durch unter anderem körperliches Unwohlsein oder auch Scham, vielmehr ge-
hemmt (vgl. Alexandridis 2012: 76).

Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass die von der WHO empfohlene Zeit für kör-
perliche Bewegung von etwa vier Fünftel der Bevölkerung nicht erfüllt wird (vgl. Krug et al.
2013: 765).

Weiterhin zeigt sich, dass ebenso wie beim Ernährungsverhalten, die familiäre Sozialisation
eine bedeutende Rolle in Bezug auf das Aktivitätsverhalten hat. So haben die Einstellungen
und die Ausgestaltung des Bewegungsverhaltens der Eltern maßgebenden Einfluss auf die
Ausübung von körperlicher Aktivität – hinsichtlich der Form und Häufigkeit, auf das Bewe-
gungsverhalten deren Kinder und Jugendlichen. Dabei ist zu bemerken, dass das Ausmaß
an körperlicher Betätigung durch die zugehörige Schicht beeinflusst wird. Je höher der so-
ziale Status, desto größer auch die Häufigkeit und Verteilung von sportlichen und körperli-
chen Aktivitäten (vgl. Staiger 2015: 18).

2.3.3 Intra- und interpersonelle Erklärungsmodelle

Weitere Aufmerksamkeit ist den zugrundeliegenden psychologischen und soziologischen
Prozessen zu widmen, die nun im Folgenden erläutert werden sollen.

An erster Stelle ist so zunächst zu bemerken, dass Essverhalten durch Lernprozesse er-
worben wird. Dahingehend ist die Sozialisation der betreffenden Person von Bedeutung
(Klotter 2017: 26ff.). So werden in der Kindheit Verhaltensweisen in Bezug auf die Nah-
rungsaufnahme, wie die Regelmäßigkeit, Portionsgröße, und die Präferenz bzw. Nutzung
von bestimmten Lebensmitteln, von den Eltern oder auch von der Peergroup, übernommen
bzw. erlernt. Demgemäß ist das sozial-kognitive Modelllernen zu nennen (vgl. Munsch/Hil-
bert 2015: 17; Klotter 2017: 52).

Eine weitere Lerntheorie bezieht sich auf die Konditionierung. Munsch/Hilbert (2015: 17)
führen die evaluative Konditionierung an, durch die bestimmte Nahrungsmittel mithilfe von
negativ oder positiv assoziierten Stimuli (also unkonditionierter Stimulus, US), auf einen
(ehemals) emotional neutralen Reiz (also konditionierten Stimulus, CS) übertragen werden.
2. Übergewicht und Adipositas in der heutigen Zeit                                         20

So werden in diesem Sinne fetthaltige und kohlenhydratreiche Lebensmittel (Chips, Nüsse,
etc.) im Gegensatz zu Obst und Gemüse oft positiv in Verbindung mit geselligen Abenden
mit Freunden und Familie gebracht.

Weiter verweist Klotter (2017: 46f.) auf die operante Konditionierung. Dabei fungiert Essen
als positive Verstärkung – entweder um bereits Positives zusätzlich zu verstärken (und dient
somit als zusätzliche Belohnung) oder Negatives soll durch die positive Verstärkung neutra-
lisiert werden. Essen dient dementsprechend als Trost und Beruhigung.

Ebenso ist aus psychoanalytischer Perspektive auf verschiedene Erklärungsansätze von
Adipositas zu verweisen:

So ist im Sinne S. Freud’s Triebtheorie Adipositas darauf zurückzuführen, dass die betref-
fende Person innerhalb der kindlichen psychosexuellen Entwicklungsphasen (von oraler
über analer zur phallisch-genitalen Phase), im speziellen in der oralen Phase, eine Regres-
sion, also eine Wiederkehrung, in diese Phase vollzogen wird, oder an dieser festgehalten
wird. Gleichermaßen wird ebenso aufgeführt, dass zurückliegende Defizite in dieser Phase
ebenfalls dazu führen, dass die betreffende Person sich auf diese fixiert. Dabei ist die orale
Phase gekennzeichnet durch eine lustvolle Besetzung der Mundregion. Bereits als Säug-
ling ist die Nahrungsaufnahme mit einer emotionalen Komponente verbunden. Wird das
Kind in dieser Phase ‚überversorgt‘, wird dahingehend eine Abkopplung aus dieser Phase
verhindert und verbleibt weiterhin in dieser. Übermäßiges Essen ist das daraus folgende
Resultat. Gleichermaßen kann durch einen Mangel hinsichtlich der (emotionalen) Versor-
gung, emotionale Zuwendung, aber auch die Zuwendung zu Essen allgemein, durch eine
gesteigerte Nahrungsaufnahme als Instrument zur Kompensation und als Ersatzbefriedi-
gung genutzt werden. Im Zuge der Regression erfolgt die Rückwendung von der genitalen
Phase zur oralen Phase. Die Nahrungszufuhr wird so beispielsweise als Bewältigungsstra-
tegie verwendet, um mögliche bestehende Konflikte mit der Sexualität zu kompensieren
und diese stellvertretend zu befriedigen (vgl. Klotter 2017: 61-66).

Daneben wird Adipositas aus psychosomatischer Perspektive als eine Erkrankung verstan-
den, der seelische Beeinträchtigungen und Konflikte zugrunde liegen und das erhöhte Kör-
pergewicht als Bewältigungsmechanismus und dahingehend als ‚Schutzfaktor‘ gegen die
psychischen Belastungen und Problematiken fungiert. Durch die Konzentration auf die
problematische Thematik des (gesteigerten) Übergewichts, treten andere psychische Be-
lastungen in den Hintergrund bzw. werden verdrängt (vgl. Henke 2016: 50).

Im Rahmen der Ich-Psychologie besteht die Annahme, dass adipöse Personen in Konflikt
zwischen dem „Ich“ und dem (unerreichbaren) „Ich-Ideal“ (Dammann 2016: 39) stehen. Da-
mit einhergehend ist ein gesteigerter Anspruch an Leistung und gleichzeitige Empfindung
2. Übergewicht und Adipositas in der heutigen Zeit                                       21

des Scheiterns und Schuld. Daraus resultieren dementsprechende Frusthandlungen, wie
etwa ein erhöhter oder kalorienreicher Lebensmittelverzehr, der als Regulationsmechanis-
mus der negativen Emotionen dient (vgl. ebd.).

Des Weiteren ist, bezugnehmend auf die Selbstpsychologie, der sogenannte „Affekthunger“
zu nennen. Demnach wird das emotionale Bedürfnis nach sozialer Nähe und Aufmerksam-
keit durch das Bedürfnis nach Essen ersetzt (vgl. Dammann 2016: 39f.).

Weiterhin sind nach Hilde Bruch Essstörungen und auch Adipositas eine Folge eines dys-
funktionalen Umgangs zwischen Mutter und Kind. Durch eine inadäquaten Deutung der
verschiedenen Bedürfnislaute des Säuglings (bei Schmerzen, nassen Windeln oder auch
Hunger) und die dahingehend generelle Auslegung der verschiedene Laute als ein Bedürf-
nis nach Hunger in wiederholten und häufigen Maße, dass dadurch das Kind im späteren
Verlauf, Schwierigkeiten haben kann, seine eigenen Signale (neben dem Signal Hunger)
geeignet zu differenzieren. Nahrung wird dementsprechend als geschätztes Mittel zur Be-
dürfnisbefriedigung herangezogen (vgl. Klotter 2017: 60f.).

Ein weiterer Aspekt, den es zu beleuchten gilt, ist enthemmtes Essverhalten, welches eine
übersteigerte Nahrungsaufnahme umfasst. Dabei wird unterschieden zwischen emotiona-
lem Essen, externalem Essen und restriktivem Essen. Ersteres meint den Versuch, starke
negative Emotionen und Gefühle mithilfe eines hohen Verzehres von Nahrungsmitteln zu
bewältigen. Zu bemerken ist dabei, dass Studien darauf verweisen, dass Menschen mit
Übergewicht oder Adipositas wesentlich häufiger auf solche Maßnahmen zurückgreifen, als
solche, die dem Normalgewicht entsprechen (vgl. Munsch/ Hilbert 2015: 18; Nightin-
gale/Cassin 2019: 10). Zweiteres bezeichnet ein Essverhalten, dass nicht aufgrund eines
internalen Hunger- und Sättigungsempfinden, sondern durch äußere Reize, hervorgerufen
wird. In diesem Zusammenhang sind die eigenen Körpersignale der Betroffenen deutlich
weniger ausgeprägt bzw. können weniger wahrgenommen werden als äußere Stimuli. Auf-
geführt wird dies unter der Externalisierungstheorie nach Schachter, Goldman & Gordon
1968 (vgl. Munsch/ Hilbert 2015: 18). Letzteres beschreibt ein Essverhalten, das aufgrund
konstanter Versagung von ausreichender Nahrung und Diätverhalten, die betroffene Per-
son in einen Zustand der Entbehrung mit einem andauernden Gefühl nach Hunger führt;
der in bestimmten Situationen, die sich der kognitiven Kontrolle entziehen (starke Gefühle,
Wirkungen von Substanzen, etc.) zu unkontrollierten Essanfällen führt. So besteht im Sinne
des Utrechter Zielkonfliktmodells ein Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach Essen bzw.
dem Genuss von Essen und dem Wunsch nach Gewichtskontrolle oder -reduktion. Die kog-
nitive Regulation der Nahrungsrestriktion ist nur bei vorhandener kognitiver Kapazität mög-
lich. Ist die kognitive Leistung gestört, kann so auch das einschränkende Verhalten in Bezug
auf das Essen aufgehoben werden. Zuletzt ist zu bemerken, dass diese Typen des
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