Alles bleibt anders?! - Kirchenentwicklung als Kulturwandel - Januar 2018 - Pastoralplan
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Unsere Seelsorge 4 Zum Entwicklungsweg der Kirche im Bistum Münster 27 frei.raum.coesfeld Pastoraltheologische Wegmarken und Indikatoren Pilotprojekt für junge Erwachsene in Coesfeld der Erneuerung Daniel Gewand Elisa Prkacin 31 Wie tiefgreifend ist der sich vollziehende 8 Nicht in Idyllen flüchten Veränderungsprozess? Die Herausforderungen heutiger Pastoral Eine Einschätzung aus Leitungsperspektive Prof. Rainer Bucher Pfarrer Meinolf Winzeler, Generalvikar Dr. Norbert Köster 11 Großes Engagement für kleine Persönlichkeiten 36 Was würde Jesus tun? Ein neues Stadtteilprojekt, initiiert von den Kirchen- Die Emmaus-Erzählung als pastorales gemeinden in Dorsten-Hervest Handlungsmodell Kai Kaczikowski, Angela Prang Donatus Beisenkötter 14 Laboratorium – Gottesdienst anders 40 Mittendrin! Neue Wege der Gottesdienstgestaltung in Friesoythe Von der Sehnsucht nach dem Vertrauten und der Martin Kröger, Sabine Orth, Anja Runden Sehnsucht nach dem Neuen Andreas Fritsch 18 Trauernde trösten und Tote begraben Trauer- und Begräbnisdienst durch freiwillig Engagierte 44 Kommunizieren, nachdenken, mitdenken Johannes Wendt Was eine Zeitschrift für Bildungsprozesse in der Gemeinde leisten kann 20 Von „Gar nicht mal so einfach!“ bis „Total hilfreich!“ Prof. Dr. Rita Burrichter Wer Kirche in den Händen der Leute und Vielfalt will, braucht Leitplanken 46 Service Tobias Plien, Pfarrer Meinolf Winzeler 24 Nah bei den Menschen Eine gemeinsame Herausforderung von Caritas und Pastoral Heinz-Josef Kessmann Das Themenheft der Hauptabteilung Seelsorge im Bischöflichen Generalvikariat Münster erscheint mehrmals im Jahr und erreicht alle hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger, die Vorsitzenden der Pfarreiräte, die Bildungseinrichtungen und die Katholischen Öffentlichen Büchereien im Bistum Münster. Herausgeber und Verleger Bischöfliches Generalvikariat Münster, Hauptabteilung Seelsorge Redaktion Donatus Der Ausgleich der Treibhausgas- Beisenkötter, Georg Garz Redaktionsbeirat Johannes Bernard, Dominik Blum, Michael Seppendorf Konzeption emissionen erfolgte durch die Unter- Andreas Fritsch Layout und Satz Thomas Bauer, www.kampanile.de Druck Druckerei Joh. Burlage, www.burlage.de stützung anerkannter Klimaschutz- projekte. Wir unterstützen mit die- Redaktionssekretariat Heidrun Rillmann, Bischöfliches Generalvikariat Münster, Hauptabteilung Seelsorge, Dom- sem Druck ein Klimaschutzprojekt platz 27, 48143 Münster, Telefon 0251 495-1181, redaktion@unsere-seelsorge.de Fotos Georg Garz und Donatus im brasilianischen Staat Ceará. Das Projekt umfasst fünf Keramik- Beisenkötter (Titel), Archiv, privat produktionsstätten, die nachhaltig Bezug: Telefon: 0251 495-541, Telefax: 0251 495-7541, materialdienst@bistum-muenster.de produzierte, erneuerbare Biomasse Einzelbezugspreis 3,50 Euro Jahresabonnement 9,90 Euro (3 Ausgaben) ZKZ 74165 ISSN 1863-7140 zur Befeuerung nutzen.
3 Liebe Leserinnen und Leser, der Begriff „Kulturwandel“ sich das Bistum „Mittendrin“ – so hat bei Google, der Realität auch der Titel der Analyse von Andreas im Internet, 246.000 Er- Fritsch. gebnisse. Der Oberbegriff „Kultur“ erzielt mit 258.000 Ergebnis- Ein Ergebnis der Analyse der Lokalen sen nur wenig mehr Treffer, was den Pastoralpläne lautet, dass „Sozialraum- Schluss nahelegt, dass der Wandel zur orientierung“ zunehmend an Bedeu- Kultur fest dazugehört. Interessant ist tung gewinnt. Aber sichtbar ist auch: auch: Das Begriffspaar „Kulturwandel Viele Pfarreien sind stark bürgerlich und Kirche“ hat 106.000 Ergebnisse. verortet und tun sich schwer mit der Mehr noch als andere gesellschaftliche von Papst Franziskus formulierten Größen und Wirtschaftsunternehmen Herausforderung, an die „Ränder der scheinen sich die Kirchen mit dem Gesellschaft zu gehen“. Kommen Gäste Kulturwandel zu beschäftigen. aus der Weltkirche zu uns ins Bistum, ermutigen sie uns, unseren Kulturwan- Die Kirche ist von ihrem Ursprung her del eng am Evangelium zu orientieren Expertin für den „Wandel“. Die Bot- und recht einfach zu fragen: „Was schaft von der Barmherzigkeit Gottes, würde Jesus tun?“ die Fähigkeit des Menschen zur Um- kehr und zur positiven Gestaltung der Kulturwandel in der Kirche bewegt Gesellschaft hat viele und vieles über sich immer zwischen Tradition und Jahrhunderte hinweg bewegt. Schwerer Neuauf bruch. Gleich zweimal führen tut sich die Kirche mit dem eigenen Texte dieser Ausgabe Unsere Seelsorge „Kulturwandel“, meint dieser doch eine dazu den Begriff „mixed economy“ an, Verbesserung der Kommunikation un- beide zum Thema Gottesdienst. Der tereinander und der Haltung zur Gesell- ursprünglich betriebswirtschaftliche schaft. Die letzten 200 Jahre habe sich Begriff meint im kirchlichen Kontext, die Kirche, so Generalvikar Dr. Norbert dass es durchaus sinnvoll sein kann, Köster im Interview in dieser Ausgabe, klassische und neue Formate nebenei- gegenüber der Welt stark abgegrenzt. nander stehen zu lassen. Besonders in Dadurch wurden viele gesellschaftliche der anglikanischen Kirche wird dieser Errungenschaften wie Mitwirkung, Gedanke stark verfolgt. Stärker tradi- Transparenz, Pluralität und Integration tionell geprägte Gottesdienste bieten nicht oder nur unzureichend nachvoll- Heimat. Neue Formate sprechen andere zogen. Glaubwürdigkeits- und Rele- Zielgruppen an. Das alleine macht Frank Vormweg vanzverlust sind heute die schmerzhaf- noch keinen Kulturwandel, berücksich- Bischöfliches Generalvikariat Münster ten Folgen dieser Abgrenzung, obwohl tigt aber Pluralität und den Wunsch Hauptabteilung Seelsorge viele Menschen Orientierung suchen nach stärkerer individueller Orientie- vormweg@bistum-muenster.de und sich mehr Klarheit von der Kirche rung in der Kirche. wünschen. Kulturwandel braucht eine gelingende Das Bistum Münster hat sich im Diö- Kommunikation – schlichtes Drüber- zesanpastoralplan auf einen Kulturwan- reden, Einbeziehen, Nachdenken und del von der Volkskirche hin zu einer den Mut, eine Idee in die Wirklichkeit Kirche des Volkes verpf lichtet. Die umzusetzen. Das ist Arbeit. All denen Hälfte aller Pfarreien hat in der Folge herzlichen Dank, die am Kulturwandel Lokale Pastoralpläne, ein Instrument im Bistum mitwirken: den Autoren und für den Kulturwandel, entwickelt. Was Interviewpartnern unserer Ausgabe bewegen diese mitunter sehr aufwän- und Ihnen, den Leserinnen und Lesern! digen Diskussions- und Prioritätenpro- Donatus Beisenkötter zesse in den Pfarreien? Ist ein Kultur- Redaktion Unsere Seelsorge wandel spürbar? Zumindest befindet beisenkoetter@bistum-muenster.de
4 Unsere Seelsorge Zum Entwicklungsweg der Kirche im Bistum Münster Pastoraltheologische Wegmarken und Indikatoren der Erneuerung Die deutschsprachige katholische Kirche befindet sich in der Situation eines tiefgreifenden Wandels – auch im Bistum Münster. Was empirische Analysen auf unterschiedliche Weise aufzeigen, ist auf allen Ebenen des Bistums, der Pfarreien und Gemeinden, des Bischöflichen Generalvikariats und in anderen kirchlichen Zusammenhängen seit langem spürbar: Einst selbstverständliche Zeichen und Formen, Aktivitäten und An- gebote sind für viele Menschen immer weniger (selbst-)verständlich. Hinzu kommt, dass nach „dem Ende der Volkskirche (…) jeder Einzelne aus freien Stücken (entscheidet), ob er Teil dieser Kirche sein will oder nicht, ob er diese Beziehung zu Gott und zu den Schwestern und Brüdern leben will und kann“, wie Bischof Felix Genn etwa im Zusammenhang der Zufriedenheitsstudie betont hat. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, unter welcher Zielperspektive Prozesse der Kirchenentwicklung anzustoßen sind. Und welche Aspekte können eine grundlegende Orientierung inmitten der angezeigten Umbrüche geben?
5 Die pastoralen Verständigungsprozes- Prozesse der Erneuerung zu dienen. Einsatz für das Leben, die Würde und se, die in den letzten Jahren geführt Kirche ist kein Selbstzweck, sondern die Freiheit jedes Menschen, und damit wurden, lassen bereits wesentliche „Zeichen und Werkzeug“ dafür, „der dem Frieden zu dienen“. Christinnen theologische Orientierungen und pasto- Gemeinschaft Gottes mit den Men- und Christen dazu zu ermutigen, rale Grundhaltungen erkennen, die den schen und der Menschen untereinan- „häufiger und selbstverständlicher und Weg der Kirchenentwicklung nicht nur der zu dienen“ (SdK 2011, S. 4). Dem- mit demütigem Selbstbewusstsein“ im Bistum Münster leiten. Diese sollen entsprechend kann es nicht einfach um Zeugnis davon zu geben, wie Gott in in einem ersten Schritt skizziert wer- Prozesse der Selbsterhaltung gewohn- der Welt wirkt, ist eine zentrale Aufga- den, um schließlich in einem zweiten ter Strukturen oder Aktivitäten gehen. be von Seelsorge (SdK 2011, S. 8). Schritt Indikatoren, das heißt konkre- Es wird vielmehr darauf ankommen te Kennzeichen herauszustellen, die wahrzunehmen, an welchen unter- Kirche gestalten anzeigen, worin die mit dem Entwick- schiedlichen Orten in unseren Pfarrei- In den Entwicklungsschritten und Lern- lungsweg verbundenen Erneuerungen en die Frohe Botschaft und das Leben erfahrungen der Kirchenentwicklung genau bestehen. von Menschen sich einander wechsel- im Bistum Münster lassen sich erste seitig erschließen, das heißt, Kirche Akzente einer Entwicklungsidee des Theologische Orientierungen und von ihrer Sendung her bedeutsam wird. Kircheseins erkennen. pastorale Grundhaltungen Alle Planungs- und Entscheidungspro- Mit dem Grundlagenpapier „Die Sen- Kultur des Vertrauens fördern zesse in der Pastoral dienen dabei dem dung der Kirche im Bistum Münster“ 2. Grundlegend für Prozesse der einen Grundanliegen: „Es geht um die (im Folgenden zitiert als SdK plus Sei- Kirchenentwicklung ist eine Kultur Bildung einer lebendigen, missionari- tenangabe) aus dem Jahr 2011 werden des Vertrauens, die im Glauben an schen Kirche vor Ort.“ (Pastoralplan mindestens drei Wegmarken gesetzt, Gottes Treue gründet. Diese Haltung für das Bistum Münster (im Folgenden zitiert als PP plus Seitenzahl) 2013, S. „ Sich unterbrechen lassen vom möglicherweise 26) Menschennah überraschenden „Heute Gottes“. Die Lebenswirklichkeit ist der Aus- gangspunkt jeder Pastoral, die in der Linie des Zweiten Vatikanischen Kon- die die Entwicklungsprozesse der Kir- des Vertrauens darf keine Floskel zils steht. Eine menschennahe Pastoral che im Bistum Münster orientieren. bleiben. Sie hat sich immer wieder nimmt „Freude und Hoffnung, Trauer neu in Beziehungen zu bewähren. und Angst der Menschen von heute, Gott im Heute entdecken Erkennbar wird sie etwa dann, wenn besonders der Armen und Bedrängten 1. Pastorale Entwicklungen erschöpfen das „gemeinsame Priestertum aller aller Art“ wahr, denn sie „sind auch sich grundsätzlich nicht in organisato- Getauften und Gefirmten (…) Bischöfe, Freude und Hoffnung, Trauer und rischen Neustrukturierungsprozessen. Priester und Laien“ dazu befähigt, „in Angst der Jünger Christi“ (GS 1). Die Entscheidend ist vielmehr ein geistlich der Verschiedenheit ihrer Dienste am Gegenwarts- beziehungsweise Wirk- orientierter Prozess der unterscheiden- Auf bau des Reiches Gottes und an der lichkeitsform des Indikativs „sind“ den Wahrnehmung, der sich auf die Heiligung der Welt mitzuwirken“ (SdK verdankt sich dem Anspruch, der theo- heutige Wirklichkeit einlässt und darin 2011, S. 6). Erlebt wird sie auch dort, wo logisch in der Kenosis Gottes liegt. Die „Gott im Heute“ entdeckt (SdK 2011, S. Christinnen und Christen mit ihren Identifikation mit „Freude und Hoff- 5). Das heißt auch: Pastorale Prozesse unterschiedlichen Charismen wahrge- nung, Trauer und Angst“ ist das, was in sind nicht bis ins Letzte „machbar“. nommen und wertgeschätzt werden. der leidenschaftlichen Selbstmitteilung Bei allen notwendigen Planungskon- Gottes in Jesus Christus bereits gesche- zepten bedarf es einer aufmerksamen Charismen entwickeln hen, also wirklich ist. Pastoral steht Haltung, die sich unterbrechen lassen 3. Charismen sind Gaben, die nicht damit im Entdeckungszusammenhang kann vom möglicherweise überraschen- für sich selbst, sondern für andere der unauf hörlichen Bewegung, mit der den „Heute Gottes“. Die Erneuerung da sind, indem sie anderen „nützen“, sich Gott in Jesus Christus dem Men- von Kirche „verdankt sich dem Wirken wie Paulus im Brief an die Korinther schen heute zuwendet. Gottes“ und nicht umgekehrt (SdK schreibt (1 Kor 14,12). Gottes Wirken im 2011, S. 4). Im Zentrum steht damit Heute wird dort erfahrbar, wo Christin- Lebendig eine lernende Pastoral, die in der Welt nen und Christen ihre Charismen in Lebendig ist Kirche da, „wo der Glau- von heute entdeckt, dass sie Gottes so den Dienst der Nächstenliebe stellen, be lebt und Menschen mit Gott und voll ist, wie Alfred Delp im Jahr 1944 etwa „in der Sorge für Arme, Kranke, miteinander in Berührung kommen“ schreibt. Umgekehrt gilt: Dem Wirken Alleinstehende und Fremde, aber auch (PP 2013, S. 27). Dort ist Kirche „Volk Gottes in der Welt von heute haben im Dienst an der Gerechtigkeit und im Gottes auf dem Weg“. Auf dem Weg
6 Unsere Seelsorge zu sein bedeutet, dass Kirche selbst vitäten und Angebote, sowie der eigene in welchen Bereichen wirklich Ent- Lernende ist. Volk Gottes wird Kirche Stil der Leitung es ermöglichen, dass scheidungskompetenzen übertragen dann, so der Pastoraltheologe Rainer Menschen ihre Antwort geben können und in welchen Bereichen Möglich- Bucher, „wenn sie in Wort und Tat das auf Gottes Ruf.3 keiten der Mitsprache oder Kooperati- Evangelium vom Leben der Men- on eröffnet werden. schen her eröffnet und das Leben vom Indikatoren für die Entwicklung hin zu ••Dienste werden zeitlich befristet, Evangelium her befreit“. 1 Glaubwürdig einer Kirche des Volkes Gottes damit im Sinne der gemeinsamen und sichtbar ist Kirche als Volk Got- Aus den Verständigungs- und Dialog- Verantwortung immer wieder neue tes schließlich im „Respekt vor der je prozessen der letzten Jahre lassen sich Räume eröffnet werden, in denen sich eigenen Berufung und im Miteinander erste Indikatoren beschreiben, die an- andere in den Dienst stellen können. von Priestern und Laien“, betont der zeigen, welche Aspekte der Erneuerung ••Hauptberuf liche verstehen sich als Pastoralplan. In dieser Perspektive aus dem skizzierten Entwicklungsweg Ermöglicherinnen und Ermöglicher, fördert das Bistum eine lebendige Kir- der Kirche im Bistum Münster konkret indem sie Getaufte darin ermutigen, che, in der „der Dienst der Leitung in resultieren. unterstützen und fördern, Verantwor- Gemeinschaft“ ausgeübt und erkenn- tung für die Sendung der Kirche vor bar wird, dass das „Bewusstsein, zum 1. Eine Pastoral, die von der gemein- Ort wahrzunehmen. Volk Gottes zu gehören, (…) stärker (ist) samen Verantwortung des Volkes ••Diejenigen, die über mehr Macht und als alle Unterschiede, die es innerhalb Gottes ausgeht Einf luss verfügen, nehmen sich selbst der Kirche aufgrund von Charisma und Verantwortung für die Sendung der zurück, indem sie „den anderen wich- Amt gibt“ (PP 2013, S. 27). Kirche hat das ganze Volk Gottes. tiger (…) als sich selbst“ nehmen und Dahinter steckt mehr als die Über- Vertrauen schenken, indem sie „dem Missionarisch nahme von delegierten Aufgaben. Die anderen ein Stückchen mehr zutrau- Kirche ist nur dann lebendig, wenn Sakramentalität der Taufe wird unter- en, als er es eigentlich verdient hat“. sie missionarisch ist. Alle kirchlichen boten, wenn freiwillig Engagierte in (vgl. Rainer Bucher in dieser Ausgabe) 2. Eine Pastoral, die sich an den Gaben „ Ermöglichen, dass Menschen ihre Antwort geben können auf Gottes Ruf. der Menschen orientiert Die Entwicklung einer gabenorien- tierten Pastoral greift zu kurz, wenn man diese lediglich als Strategie des Orte und Aktivitäten sind darauf hin erster Linie nur als „MitarbeiterInnen“ Ehrenamtsmanagements versteht. Es zu stärken, sich ihrer „missionarischen oder „HelferInnen“ des Pfarrers oder geht um mehr als nur die Gewinnung Dimension“ – und das heißt nichts an- der pastoralen Hauptberuf lichen und potenzieller „Ehrenamtlicher“ für deres, als sich ihrer Sendung – bewusst im engeren Sinne als „Ehrenamtliche“ gewohnte Aufgabenfelder. Ziel ist es zu werden.2 „Mission heißt, dass die wahrgenommen werden und nicht vielmehr, eine neue „Volk-Gottes-Sensi- Kirche aus sich herausgehen muss“, so als originär Berufene, die durch die bilität“5 einzuüben und zu kultivieren. der Konzilstheologe M.-D. Chenu. Kir- Taufe am gemeinsamen Priestertum Dementsprechend ist ernstzunehmen, che ist herausgefordert, sich im Auftrag des gesamten Volkes Gottes teilhaben. dass immer weniger Menschen „für des Evangeliums immer wieder selbst Indem das Zweite Vatikanische Konzil vorgegebene Aufgabenfelder ange- zu überschreiten, an die Ränder zu ge- das neutestamentliche Bild vom Volk worben und ehrenamtlich eingesetzt hen und sich den Lebensverhältnissen Gottes aufgreift, hat es die Dichotomi- werden“, sondern „umgekehrt (...) und Milieus auszusetzen, um darin die en wie etwa die zwischen „Klerikern“ ihre persönlichen Gaben entdecken, „Mission Gottes“ in der Welt von heute und „Laien“ theologisch aufgebrochen. einbringen und entfalten“ (Gemein- zu entdecken. Dies erfordert, so Papst Das „zentrale Zuordnungsprinzip in sam Kirche sein, S.19) wollen. Aus Franziskus in seinem Apostolischen der Kirche“ ist „nicht die Über- oder einem solchen Logikwechsel von einer Schreiben Evangelii Gaudium, eine Unterordnung, sondern der Beitrag zur ausschließlichen Aufgabenorientierung „ständige Haltung des Auf bruchs“ (EG pastoralen Gesamtaufgabe der Kirche“. 4 hin zu einer stärkeren Gabenorientie- 20), die die „unfassbare Freiheit des rung können neue Dienste, Beteili- Wortes“ akzeptiert, „das auf seine Wei- Indikatoren gungsformen und Ausdrucksformen se und in sehr verschiedenen Formen •• Die unterschiedlichen Rollen einzelner des Kircheseins erwachsen. wirksam ist, die gewöhnlich unsere Akteure in der Pastoral werden auf Au- Prognosen übertreffen und unsere genhöhe und in einem partizipativen Indikatoren Schablonen sprengen“ (EG 22). Alle Prozess für die pastorale Gesamtaufga- •• Pastoral setzt in erster Linie nicht bei Prozesse der pastoralen Entwicklung be von Kirche eingesetzt. festgelegten Aufgaben an, sondern ent- können somit nur dieses Ziel haben, ••Es ist transparent, für wen welcher deckt das Wirken Gottes in den Gaben dass entsprechende Strukturen, Akti- Grad an Partizipation gilt, das heißt der Menschen vor Ort.
7 •• Kultiviert wird das Vertrauen in die leben untereinander wie in Bezug auf dynamische Kraft der Taufe und die Ga- die Pfarrei in relationaler Offenheit 1 Bucher, Rainer: Die pastorale Konstitution ben der Menschen und nicht die Angst und suchen die wechselseitige Kom- der Kirche, in: Ders. (Hg.): Die Provokation vor Veränderungen und Machtverlust. munikation. der Krise. Zwölf Fragen und Antworten zur •• Das Pastoralteam unterstützt Men- •• Gefördert wird eine Kultur des Ver- Lage der Kirche, 2. verbesserte Auflage, schen dabei, ihre Gaben zu entdecken trauens und der Fehlerfreundlichkeit, Würzburg 2005, S. 30-44, hier S. 40. und sie einzubringen. etwa hinsichtlich der experimentellen 2 Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskon- •• In Pfarreien werden Freiräume dafür Erprobung neuer Ausdrucksformen ferenz (Hg.): Die Deutschen Bischöfe: „Zeit geöffnet, dass sich die unterschiedli- des Glaubens. zur Aussaat“. Missionarisch Kirche sein, Bonn chen Gaben auch auf ungewohnte, kre- 2000, S. 8, 29ff. ative und neue Art und Weise entfalten Resümee 3 Vgl. Feiter, Reinhard: Antwortendes Handeln. können. Der Entwicklungsweg, auf dem sich die Praktische Theologie als kontextuelle Theolo- •• Menschen werden dazu ermutigt, Nein Kirche im Bistum Münster befindet, gie (Theologie und Praxis 14), Münster 2002; sagen zu können, falls eine Aufgabe zeigt einen umfassenden Kulturwandel zugl. Habil.-Schrift Universität Bonn 2001. nicht ihren Gaben entspricht. an, der nicht nur auf der Ebene der 4 Bucher, Rainer: ... wenn nichts bleibt, wie es •• Neben sachlichen Notwendigkeiten Strukturen, sondern auch der Haltun- war. Zur prekären Zukunft der katholischen werden die Charismen beim persona- gen und Rollen tiefgreifende Verände- Kirche, 2. Auflage, Würzburg 2012, S. 122. len Einsatz berücksichtigt (vgl. PP2013, rungen mit sich führt. Die beschriebe- 5 Schönemann, Hubertus: Workshop Kirche S. 34). nen Wegmarken zeigen in die Rich- im Ausbau. Impuls „Vom Ehrenamtsmanage- tung einer partizipativen Kirche, die ment zur Volk-Gottes-Sensibilität. Charismen 3. Eine Pastoral, die Kirche an vielfäl- aus der Kraft der Taufe und der Vielfalt verändern Kirche“, abrufbar unter: http://www. tigen Orten wachsen sieht der Charismen lebt. In diesem Sinne zmir.de/wp-content/uploads/2016/01/2015- Die Wahrnehmung der vielfältigen Orte, sind die unterschiedlichen Orte, an 11-25-Workshop-Volk-Gottes-Sensibilit an denen Kirche von ihrer Sendung her denen Christinnen und Christen dem %C3%A4t_ausform.pdf. lebt, öffnet für einen gesamtpastoralen Leben von Menschen in der Perspektive 6 Bucher, Rainer: Partizipative Kirche. Stati- Lernprozess der Kirchenentwicklung, die des Evangeliums dienen, als Orte von onen eines weiten Weges, in: Kröger, Elisa von den Lebens- und Sozialräumen der Kirche wahrzunehmen. (Hg.): Wie lernt Kirche Partizipation? Theo- Menschen heute ausgeht. Auf diese Wei- logische Reflexion und praktische Erfah- se wird der Blick geweitet für die unter- Paradigmenwechsel rungen, Würzburg 2016, S. 59-69, hier S. 68. schiedlichen (personalen und territoria- In allem vollzieht sich ein wesentlicher len) Gemeinden sowie Ausdrucksformen Paradigmenwechsel von einer versorg- des Glaubens auf dem Territorium der ten Kirche hin zu einer Kirche, die Pfarrei, so etwa Schulen, Kindertages- sich in der Verantwortung des ganzen einrichtungen, Krankenhauskapellen, Volkes Gottes nicht um sich selbst, son- Verbände, Ordensgemeinschaften. dern vor allem um eines „sorgt“: das Neben den vertrauten Formen sind darü- Leben der Menschen vor Ort, besonders ber hinaus auch Orte und Gelegenheiten der Bedrängten und Armen. Kirchli- zu entdecken, in denen aus der Kraft des che Partizipation wäre demnach als Evangeliums Neues entsteht. „existenzielle Partizipation“ zu denken, „als ,Exposure‘ (…), als ‚Sich-Aussetzen‘ Indikatoren der Gegenwart und ihren ‚Zeichen der •• Die sozialen Lebensräume der Men- Zeit‘, als ‚Partizipation‘ an den Freuden schen innerhalb der Pfarrei werden und Hoffnungen, an der Trauer und aufmerksam wahrgenommen. den Ängsten einer unüberschaubaren •• Das Pastoralteam unterstützt und be- Gegenwart“.6 In diesem Sinne sind alle gleitet die Getauften auf dem Weg der erforderlichen Ressourcen und struk- gemeinsamen Verantwortung für die turellen Voraussetzungen zukünftig Kirche vor Ort. auf dieses Ziel hin einzusetzen, die ge- •• Auf dem Territorium der Pfarrei meinsame Verantwortung des ganzen werden vielfältige Formen von Ge- Volkes für die Sendung der Kirche im meinden gefördert, die Verantwortung Bistum Münster zu stärken. tragen für den solidarischen Dienst der Elisa Prkacin Nächstenliebe, für die Verkündigung Bischöfliches Generalvikariat Münster des Wortes Gottes und das Leben in Referat Pastoraltheologische Grundsatzfragen Gemeinschaft. prkacin-e@bistum-muenster.de •• Die unterschiedlichen Gemeinden
8 Unsere Seelsorge Nicht in Idyllen flüchten Die Herausforderungen heutiger Pastoral Die Transformationsprozesse, in denen sich Kirche befindet und denen sie ausgesetzt ist, erfordern eine neue Definition der Beziehungen, Rollen, Selbstverständnisse und Strukturen – sowohl binnenkirchlich wie auch in der Beziehung zur Welt. Der Grazer Pastoraltheologe Rainer Bucher warnt in diesem Kon- text vor Rückzugstendenzen in vermeintlich sichere Vergangenheitsideale und plädiert stattdessen für Demut, Eingestehen der eigenen Sprachlosigkeit sowie Mut zum Experiment. Der Weg der Kirche der Zukunft lässt sich seiner Ansicht nach von den kirchlichen Orten, Gelegenheiten und Ereignissen her verstehen, an denen Kirche im Sinne ihrer Sendung schon heute „funktioniert“.
9 In Ruinen mer (wieder) geben wird. vereinbaren lässt, schlägt es in Zeiten Es geht für die deutschsprachige Der Sozialpsychologe Harald Welzer der volkskirchlichen Auslaufphase katholische Kirche um nichts weniger, hat in seinem Buch „Selbst denken“ verschärft vor: Kirche als Gemeinschaft als um die Suche „nach Wegen, in den eine kleine Analyse der Psychologie hoch integrierter mittelgroßer Überzeu- Ruinen zerbrochener Machtsysteme zu absteigender Institutionen entwickelt. gungs- und Lebensgemeinschaften von wohnen“.1 „Immer, wenn sich Gesellschaften im 70 bis 80 Menschen. Ruinen aber fehlt der ursprüngliche Abstieg von ihrer ehemaligen Bedeu- Zusammenhang. Man kann ihn noch tung befinden, kommt das Bewusstsein Bei den Engagierten im Bewegungs- ahnen, aber er funktioniert nicht mehr. nicht hinterher. Man kann nur schwer spektrum aber ist es die Auf bruchskir- Zudem fehlt Ruinen das Dach: Sie verkraften, nicht mehr so bestimmend che der Nachkonzilszeit, sind es die konstituieren zwar noch einen eigenen und mächtig zu sein wie einst, und religiös motivierten sozialen Bewegun- Raum, sind aber zugleich Elemente zieht es daher vor, sich wenigstens noch gen für Umwelt und die Armen, für „unter freiem Himmel“. Das ehemals bestimmend und mächtig zu fühlen. Gerechtigkeit und Frieden, heute oft ausgesperrte oder nur kontrolliert (…) Die Menschen verharren, trotz mit formatiert in der Nachfolge der latein- zugelassene Außen ist nun perma- Händen zu greifender Veränderungs- amerikanischen Basisgemeinden als nent sichtbar, es dringt ein mit Regen, prozesse in Rolle, sozialer Lage und po- „small christian communities“, an die Schnee und Sonne, mit Würmern und litischer Macht, in ihrer Persönlichkeits- man anschließen will. Gräsern: Elementares und Subversives. struktur, in ihrem sozialen Habitus auf Das eröffnet Weite, was jene begrüßen, einer früheren Stufe – nämlich auf dem Nichts davon ist per se illegitim. Nur: die sich immer schon eingesperrt fühl- Höhepunkt ihrer gefühlten historischen Die eigenen Sehnsüchte als Zukunfts- ten, vermittelt aber auch Schutzlosig- Bedeutsamkeit.“2 modelle von Kirche zu nehmen, funktio- keit, was jene fürchten, die Schutz und Man kann die Reformvorschläge für die niert in Zeiten ruinierter kirchlicher Sicherheit suchen. katholische Kirche danach einteilen, Institutionalität nicht mehr. Zu leicht Ruinen künden von vergangener Größe, auf welchen konkreten „Höhepunkt droht die projektive Falle, die eigenen schaffen aber auch eine Landschaft von der gefühlten Bedeutsamkeit“ sie sich guten Erfahrungen mit Kirche, also unbestreitbarem Reiz. Sie sind an ihrem beziehen. das, was man ihr verdankt und anderen alten Ort, kontextualisieren aber Altes wünscht, eben den „Höhepunkt der völlig neu. Es gibt manches vom Alten Bei den Traditionalisten ist es die Kirche gefühlten Bedeutsamkeit“, als Basis für noch, aber es ist nicht mehr dasselbe, des Tridentinums in ihrer Realisierung eine mögliche Zukunft der Kirche zu manches funktioniert noch in ihnen, durch die Pianische Epoche von der nehmen. aber nichts mehr wie früher. Wer es sich in ihnen bequem macht, so malerisch sie sind, wird bald spüren, wie ausge- „ Die eigenen Sehnsüchte als Zukunftsmodelle von Kirche zu nehmen, setzt er ist. Denn nichts Äußeres hält funktioniert in Zeiten ruinierter kirchlicher Institutionalität nicht mehr. mehr zusammen, was zusammenge- hörte, es muss eine neue, eine innere Kohäsion gefunden und entwickelt Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahr- Das ist die zentrale Erschütterung, werden. Diese imaginäre Kohäsion ist hunderts, ist es die Priesterkirche der welche die aktuelle kirchliche Lage reizvoll und setzt Phantasien frei, sie Spitzengewänder und der barocken Ge- dem Volk Gottes und vor allem seinen ist aber auch flüchtig und prekär und samtentfaltung kirchlicher Schönheit, Zukunftsdenkern zumutet: Die eige- zudem etwas sehr Individuelles. Gottesgewissheit und innerkirchlicher ne, als wertvoll und wichtig erfahrene Nachdem sich die Machtverhältnisse Macht, ist es die im letzten ästhetische Kirche ist für die meisten Menschen zwischen Individuum und religiösen Vision einer kosmischen Bedeutsamkeit dieser Gesellschaft offenkundig keine Institutionen auch im katholischen Feld der katholischen Kirche über und jen- mögliche Kirche, und es ist aussichtlos, gedreht haben und sich auch die katho- seits aller konkreten Zeiten und Orte. dies ändern zu wollen. Man wird dann lische Kirche situativ und nicht mehr Beim alltäglichen Gemeindechristen- immer nur jene erreichen, die ungefähr normativ vergemeinschaftet, gerät die tum ist es die Pfarrfamilie, bei der die so sind oder werden wollen, wie jene, die klassische katholische Pastoralmacht in Kinder ebenso froh in die Kirche gehen noch in kirchlichen Zusammenhängen ihre finale Krise und die Kirche in einen wie die Eltern, ist es die mittelständi- anzutreffen sind, und deshalb diese, in ruinösen Zustand. sche Volkskirche der Anständigen und sich zudem differenten, Sehnsüchte tei- Fleißigen, die sich um einen freundli- len. Es ist aber nicht erlaubt, die Verkün- Sehnsüchte chen Priester schart, und die das Leben digung des Evangeliums in Wort und Wie aber gut wohnen in den Ruinen alltäglich wie in den Krisensituationen Tat an jene Realisationen zu binden, die vergangener Machtsysteme? Die erste stützt und begleitet. Paul Weß, der früh bereits existieren, in dekonstruktiven Voraussetzung: Man darf sich nicht realisierte, dass sich dieses Konzept Situationen ist es sogar existenzgefähr- nach etwas sehnen, was es nie und nim- mit volkskirchlicher Kontinuität nicht dend.
10 Unsere Seelsorge Alle drei projektiven Sehnsüchte un- Solche Orte gibt es, in der Caritas und sche Wende“ des 4. Jahrhunderts etwa, terlaufen die Pluralitäts-, Kontrast- und der Kategorialpastoral, in der Liturgie den Umbruch von der Spätantike zum Entwicklungsproblematik von Kirche in und für viele in Klöstern und bei geistli- Frühmittelalter oder die Wende zur der späten Moderne. Sie imaginieren – chen Menschen. Es gibt sie sicher auch Neuzeit mit den Reformationen. Aber unterschiedlich zentrierte und unter- in Pfarreien. auf dieser Ebene liegen die Herausforde- schiedlich strukturierte – Einmütig- Die zentralen geistlichen Kompetenzen, rungen schon, und ohne echte Konflikte keitsträume und Einmütigkeitsräume, die man für die Gestaltung solcher Orte wird es nicht abgehen – und auch nicht die es innerhalb der Kirche(n) praktisch braucht, sind liebende Aufmerksam- ohne Demut, Scheitern und Schmerzen. nie gegeben hat und in postmoder- keit, Demut und Vertrauen. Liebende nen Zeiten erst recht nicht oder nur Aufmerksamkeit heißt, die Wirklichkeit Dieser Beitrag wurde erstmals veröffent- unter massiven (Ausschluss-)Kosten wahrzunehmen, wie sie ist, und ihr so licht auf www.feinschwarz.net geben kann. Heutiges Leben bedeutet, wie sie ist, mit Liebe und Aufmerksam- dass standardisierte Erwartungen auf keit zu begegnen. Demut aber heißt, nicht-standardisierte Wirklichkeiten den anderen wichtiger zu nehmen als 1 Johannes Hoff, Spiritualität und Sprachver- treffen.3 Alle drei Zukunftsmodelle aber sich selbst, und Ermutigung durch lust. Theologie nach Foucault und Derrida, arbeiten mit der Imagination stan- Vertrauen bedeutet, dem anderen ein Paderborn u. a. 1999, 18. dardisierter kirchlicher Sozialräume, Stückchen mehr zuzutrauen, als er es 2 Harald Welzer, Selbst denken. Eine Anleitung die versprechen, genau diese prekäre eigentlich verdient hat. zum Widerstand, Frankfurt/M. 2013, 12f. postmoderne Situation zu unterlaufen. Ich danke Hildegard Wustmans für den Das macht ihre Faszination und ihr Das wäre der neue pastorale Habitus, Hinweis auf dieses Buch und Zitat. Versprechen aus, ist aber eben auch der der notwendig wäre: neugierig sein, auf- 3 Vgl. Heinz Bude, Die Gesellschaft der Angst, Grund, warum sie nicht funktionieren: merksam sein, zu Wagnissen ermuti- Hamburg 2014. Es sind Idyllen, die man da vorschlägt. gen, Spontanität schätzen, Rollendistanz 4 So in seinem Artikel: Wo ist die Null-Linie? Idyllen aber sind Verführungen, also signalisieren, Freiräume geben, Fehlver- Von der nötigen Demut im Kontakt mit dem haltlose Versprechen; versucht man sie suche akzeptieren, Vertrauen schenken Unendlichen auf feinschwarz.net zu realisieren, werden sie ganz schnell knapp über das hinaus, was eigentlich zu Höllen, in denen Abweichung Aus- verdient wäre, und überhaupt die Freude schluss, mindestens, bedeutet. des Evangeliums nicht von anderen Wie weiter? Hans-Joachim Sander hat zu Recht „ Wo man sich zum Konzept des „Sich-Aussetzens“ vorwagt, darauf hingewiesen, dass man nicht zeigt sich heute schon, was kommen könnte. unmittelbar von „den Zumutungen zur Ermutigung“ übergehen kann, „der Respekt vor der Demütigung der fordern, sondern selber verkörpern. Das Null-Linie“ vielmehr „resistent gegen verlagert die Prüfstrecke: Nicht das ei- die Versuchung von Utopie“4 machen gene Erleben, sondern die Erfahrungen sollte. Zwischen den Zumutungen der der anderen sind der Ort, an dem die Ruinen und der Ermutigung muss, Zukunft der Kirche sich entscheidet. geistlich gesprochen, die Demut, theolo- Überall, wo die alte Herrschaftskatego- gisch gesprochen, die erkenntnisoffene rie „Überschaubarkeit“ verabschiedet Sprachlosigkeit und organisationstheo- wurde und dafür Dienstkategorien retisch das Experimentieren liegen. etabliert wurden und wo man sich zum Der Weg der Kirche in die Zukunft Konzept des „Sich-Aussetzens“ vorwagt, führt mithin nur über eine Analyse zeigt sich heute schon, was kommen jener kirchlichen Orte, an denen sie könnte. Man kann an jene pastoralen unter postmodernen Kontexten „funk- Orte anknüpfen, wo die von den kirchli- tioniert“– und zwar im Sinne des chen „Hirten“ immer schon geforderte kirchlichen Auftrages, ein „Zeichen und Selbstlosigkeit aus deren individueller Werkzeug des Heils“ zu sein. Das sind Standesethik in die pastorale Ereignis- jene pastoralen Orte, wo man ehrlich struktur gewandert ist. und aufmerksam ist, wertschätzend und Man darf auf das Volk Gottes vertrau- Rainer Bucher solidarisch, wo Kirche sich schmutzig en. Ähnlich epochale Umbrüche hat Universität Graz macht, wo man Gott im Heute und es schon einige Male gegeben, und das Professor und Vorstand des Instituts für nicht in der Vergangenheit oder der Zu- Volk Gottes hat sie letztendlich dann Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie kunft sucht, um den Papst zu zitieren. doch kreativ gestaltet: die „Konstantini- rainer.bucher@uni-graz.at
11 Großes Engagement für kleine Persönlichkeiten Ein neues Stadtteilprojekt, initiiert von den Kirchengemeinden in Dorsten-Hervest Die Pfarreien in Dorsten-Hervest haben nach neuen Wegen gesucht, um den Stadtteil aktiv mitzugestalten. Die hierbei entwickelte Kooperation mit dem bundesweiten Mentorenprogramm „Balu und Du“ ermöglicht neue Formen der Zusammenarbeit mit anderen Partnern in der Stadt und stärkt das diakonische Profil der Kirche vor Ort. Gleichzeitig wird so die Vernetzung jenseits des konkreten Projektes verbessert. Pastoralre- ferent Kai Kaczikowski berichtet von der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte und markiert auch die Ver- änderung in der Sicht auf die Menschen im Stadtteil und den sich hieraus ergebenden christlichen Auftrag der Pfarrei. Das Netzwerk „Balu und Du“ der freundliche Bär Balu zur Seite. dern die Möglichkeit geboten werden, Ein jeder kennt wohl das Dschungelbuch Diese Geschichte steht als Namenspate zahlreiche Abenteuer zu erleben, Neues – jene berühmte Geschichte von Rudyard für das bundesweite Netzwerk „Balu zu entdecken, Fragen zu stellen, die Welt Kipling, in der das kleine Menschenkind und Du e. V.“ mit Sitz in Köln. Auch in um sich herum verstehen und kennen Mogli zunächst im Dschungel auf- unserer Welt gibt es Kinder, die davon zu lernen – und eine Vertrauensperson wächst, jedoch mit Hilfe neuer Freunde profitieren können, wenn ihnen ein gro- zuverlässig bei sich zu wissen. Daher hat schließlich den Weg zurück in die Men- ßer Freund zur Seite steht und mit ihnen sich das Programm von „Balu und Du“ schenwelt findet. Auf diesem Weg durch gemeinsam die Welt entdeckt. Wie Mogli zum Ziel gesetzt, mit über 80 verschie- den Dschungel steht Mogli insbesondere im Dschungelbuch soll auch diesen Kin- denen Standorten in Deutschland vielen
12 Unsere Seelsorge Moglis unserer Welt ebenfalls ihren andere Institutionen um diese Kinder Organisationen und interessierte Bürger) ganz persönlichen Balu an die Seite zu kümmern können. Es folgte die Grün- stimmten einstimmig der Vorstellung stellen. Dies geschieht dadurch, dass dung einer neuen Projektgruppe, die des Konzeptes von „Balu und Du“ in Kindern im Grundschulalter Jugendli- vom Pastoralreferenten der drei Her- Dorsten-Hervest zu und gaben „grünes che oder junge Erwachsene als Mento- vester Gemeinden initiiert wurde und Licht“ für eine einjährige Pilotphase rinnen und Mentoren vermittelt werden, bis heute geleitet wird, sowie die Suche unter der Trägerschaft der Stadtteilkon- die sich mit „ihrem“ Mogli regelmäßig nach weiteren Akteuren und Koopera- ferenz. ehrenamtlich und im außerschulischen tionspartnern im Stadtteil. Die überaus Doch zunächst galt es erst einmal, Schü- Bereich treffen. Als Balus (die über wei- positive Erfahrung bei der Suche war, lerinnen und Schüler als „Balus“ am terführende Schulen, Fachhochschulen dass gegenüber dem entwickelten neuen Paul-Spiegel-Berufskolleg anzuwerben. oder Universitäten gewonnen werden) Stadtteilprojekt („Balu und Du“ – Orts- Dies wurde im Rahmen einer Info-Ver- sind sie ebenfalls große Freunde mit Vorbildcharakter, Ratgeber, Spielkame- raden, Zuhörer oder auch Beschützer. „ Ausgangspunkt war, dass Kirche in dieser Zeit neue und ungewohnte Sie sind es, denen die Moglis ihre Sorgen Wege gehen muss, den Stadtteil aktiv aus christlicher Sicht mitzuge- anvertrauen können, und mit denen sie stalten, zu prägen und so das Evangelium zu verkünden. eine schöne Zeit verbringen. Auch im Stadtteil Dorsten-Hervest, den die drei Gemeinden St. Josef, St. Marien und gruppe Dorsten-Hervest) überall große anstaltung im Fachbereich Sozialpäda- St. Paulus umfassen, gibt es Kinder, die Offenheit und Bereitschaft zum Engage- gogik (angehende ErzieherInnen) um- davon profitieren können, wenn ihnen ment signalisiert wurde. gesetzt. Insgesamt meldeten sich zum im „Dschungel des Alltags“ ein großer Neben den ortsansässigen Grundschu- Projekt-Start siebzehn Schülerinnen und Freund verlässlich zur Seite steht und len und einer Förderschule lag es für die ein Schüler für „Balu und Du“. Nach mit ihnen gemeinsam die Welt entdeckt. Suche nach den Balus auf der Hand, das der Auswahl der Grundschulkinder und Paul-Spiegel-Berufskolleg in Hervest für der Bereitschaft der SchülerInnen gab Der Kairos für neue Wege der Pastoral eine Kooperation anzufragen. es ein sogenanntes „Matching-Treffen“, Ausgangspunkt für dieses, nicht auf den bei dem je nach Wohnort und Interessen ersten Blick kirchliche, Engagement war Die Projekt-Partner die Zuordnung der Gespanne gebildet der Ansatzpunkt im Pastoralteam, dass Die neue Projektgruppe umfasst folgen- werden konnte. So startete das Mento- Kirche in dieser Zeit neue und unge- de Institutionen/Organisationen und renprogramm nach der Zuordnung im wohnte Wege gehen muss. Das heißt, Aufgaben: Jahre 2016 nach den Herbstferien. dass die katholischen Kirchengemein- •• Katholische Kirchengemeinden den in Hervest den Anspruch haben, St.Josef, St. Marien und St. Paulus Vorbereitung und Begleitung den Stadtteil aktiv aus christlicher (Initiator) Neben den regelmäßigen Treffen in der Sicht mitzugestalten, zu prägen und so •• Albert-Schweitzer- und Augusta- Freizeit verpflichteten sich die jungen das Evangelium zu verkünden bezie- Grundschule (Auswahl und Beglei- Leute zu einem wöchentlichen Seminar hungsweise ihm ein Gesicht zu geben. tung der Moglis) in der Schule zusätzlich am Nachmittag Daraus entwickelte sich der diakonale •• von-Ketteler-Förderschule (Auswahl und zu einem Online-Tagebuch. In den Ansatz für das Stadtteilprojekt, das und Begleitung der Moglis) Seminarstunden werden unter Anlei- den Gemeinden einen neuen Blick auf •• Mobile Jugendhilfe (Auswahl und tung der Lehrerin und Projektkoordina- benachteiligte Kinder in Hervest gibt Begleitung der Moglis) torin die SchülerInnen auf die Treffen und das schon bestehende Netzwerk •• Paul-Spiegel-Berufskolleg (Auswahl vorbereitet, es gibt einen Austausch unterschiedlicher Akteure ausbaut. und Begleitung der Balus und Projekt- unter den Balus, und es werden Prob- Die kirchlichen Vertreter nahmen die koordination) leme und Schwierigkeiten besprochen. „Zeichen der Zeit“ im Herbst 2015 zum •• Mr. Trucker Kinderhilfe (Sponsor) Das Online-Tagebuch dient dazu, die wö- Anlass, als auf der Tagung der Stadtteil- chentlichen Aktivitäten zu beschreiben konferenz in Hervest in der Diskussion Das Projekt wird konkret und bietet die Möglichkeit, bei auftre- um die Versorgung der Flüchtlinge Die Mitglieder der Projektgruppe ent- tenden Problemen schnell reagieren zu allgemeiner Konsens herrschte, auch wickelten nach dem ersten Treffen ein können. andere benachteiligte Kinder im Stadtteil Konzept für eine neue Ortsgruppe in Während das Projekt an Fahrt aufnahm nicht zu vergessen. Daraufhin wurde im Dorsten, nahmen Kontakt zur Ge- und die ersten positiven Rückmeldun- Arbeitskreis „Flüchtlinge“ neben vielen schäftsstelle von „Balu und Du“ in Köln gen aus den Familien zu hören waren, Maßnahmen für diese Gruppe auch das auf und stellten dies der Stadtteilkonfe- konzipierte das Projekt-Team weitere bundesweite Mentorenprogramm „Balu renz in Hervest im Frühjahr 2016 vor. gemeinsame Aktivitäten. So entstand und Du“ von kirchlicher Seite als ein Die anwesenden Mitglieder (Vertreter ein gemeinsames Treffen im Advent im Modell vorgestellt, wie sich Kirche und unterschiedlicher Vereine, Institutionen, Pfarrheim von St. Agatha mit anschlie-
13 ßendem Eislaufen („Moglis on Ice“), ein zukünftigen Gespanne mit dem Pro- Ausflug zum Frankenhof im Frühjahr jekt-Team sollen den Start erleichtern. und ein gemeinsames Abschlussfest mit Zauberer und Clown im Sommer. Wechselseitige Lernerfahrungen Für die beteiligten Kirchengemeinden Abschluss des ersten Durchlaufs hat sich gezeigt, dass durch dieses Pro- Bei diesem Treffen wurden auch die jekt viele Synergien im Stadtteil geweckt Moglis mit einer „Balu und Du“- Medail- und gestärkt wurden. le und die Balus mit einem offiziellen Ehrenamtsnachweis des Landes NRW •• Die bestehende Verzahnung der geehrt. Da die Treffen jeweils ein Jahr Akteure im Stadtteil (Lehrer und andauern, steht es nach dem Abschluss- Schulsozialarbeiter an den beteiligten fest allen frei, sich weiterhin zu treffen, Schulen, Sozialarbeiter der Mobilen was von gut der Hälfte aller Gespanne Jugendhilfe und Vertreter der Mr. auch wahrgenommen wird. Selbst wenn Trucker Kinderhilfe) wurde deutlich regelmäßige Treffen nicht mehr möglich verbessert. sind, entsteht doch oft ein bleibender •• Die gezielte Auswahl der Kinder aus Kontakt, der sich in gelegentlichen Tele- benachteiligten Familien ermöglicht fonaten, Urlaubspostkarten und anderen einen Blick und einen Austausch über freundschaftlichen Beziehungen zeigt. die betroffenen Familien, der ansons- ten nicht gegeben wäre, und der mitt- Das bundesweite Projekt „Balu und Du“ lerweile weitere Anfragen unterschied- wird von Anfang an von der Geschäfts- licher Art an Kirche ergeben hat. stelle in Köln engmaschig begleitet. •• Nicht zuletzt nehmen die Akteure Die MitarbeiterInnen stehen besonders und besonders die jungen Leute vom zum Projektstart, aber auch im Verlauf Paul-Spiegel-Berufskolleg an einem mit einer qualifizierten Beratung und Projekt teil, das von der katholischen Begleitung, einem Materialfundus für Kirche im Stadtteil initiiert und beglei- die Seminare sowie einem umfassenden tet wird. So gewinnt Kirche vor Ort an Versicherungsschutz für alle Beteiligten Profil und bekommt für Menschen ein zur Seite. neues Gesicht. Auch von wissenschaftlicher Seite wurde Das Projekt von „Balu und Du“ in Dors- das Mentorenprogramm bereits mehr- ten-Hervest zeigt, dass die katholische mals untersucht, begleitet und evaluiert. Kirche sich den gesellschaftlichen Fra- Beispielsweise konnte eine deutliche Ver- gen stellt, sich aktiv einmischt und den besserung im Verhalten und in den All- Stadtteil bewusst mitprägt. Frei nach tagskompetenzen der Moglis (wie etwa dem Motto: Mit Christus in der Mitte – Selbsteinschätzung, Konzentration und für die Menschen dieser Zeit und dieses Selbstvertrauen) nachgewiesen werden. Stadtteils! Aber auch die Balus können durch die- ses Angebot ihre Schlüsselkompetenzen (Einfühlungsvermögen, verantwortungs- volle Sorge, kreative Problemlösungen) erweitern. Obwohl nicht alle Balus das ganze Jahr (aus persönlichen oder schulischen Gründen) durchgehalten haben, wird es dennoch eine Weiterführung des Pro- jekts geben. Zurzeit läuft es jedoch ohne eine aktive Beteiligung des Paul-Spie- gel-Berufskollegs, da sich nur wenige Balus auf das Projekt einlassen konnten. Angela Prang Kai Kaczikowski Besonders die erste Kontaktaufnahme Projekt-Koordinatorin, Paul-Spiegel-Berufskolleg Projekt-Initiator und Projekt-Leiter durch ein gemeinsames Treffen aller a.prang@paul-spiegel-berufskolleg.de kaczikowski@bistum-muenster.de
14 Unsere Seelsorge Laboratorium – Gottesdienst anders Neue Wege der Gottesdienstgestaltung in Friesoythe In der Pfarrei St. Marien in Friesoythe bereitet seit Jahren ein Team aus Hauptberuflichen und freiwillig Engagierten alternative Gottesdienste vor. Dieses “Laboratorium – Gottesdienst anders“ genannte Format besticht durch eine Vielfalt an biblischen, methodischen, musikalischen und gestalterischen Variationen. Anja Runden, Sabine Orth und Martin Kröger stehen in einem Interview mit Andreas Fritsch Rede und Antwort. Deutlich wird: Dort, wo die Verbindung von Lebensthemen und liturgisch vielfältigen Formen gelingt, sind Menschen auch heute ansprechbar.
15 Beschreiben Sie bitte Ihr Projekt Labo- in unseren Gottesdiensten sich darauf Inwiefern ist Ihnen eine neue Qualität ratorium – Gottesdienst anders. einlassen können. Diese Erfahrung der Partizipation vor allem derjenigen hat einerseits dazu geführt, dass auch gelungen, die Sie als Zielgruppe im Anja Runden: Wir sind eine kleine in den klassischen Liturgien entspre- Blick haben? Gruppe von Haupt- und Ehrenamtlichen, chende Formen und Elemente Einzug die sich zusammengefunden haben, um gehalten haben, andererseits hat sich Sabine Orth: Wer ist die Zielgruppe, eine andere, neue Form des Gottes- die Vorstellung verändert, was als Got- muss zuerst gefragt werden. Unsere dienstes zu feiern. Wir sind der Mei- tesdienst gelten kann. Die Leitung von Zielgruppe sind alle Christen, die nung, dass es mehr Menschen gibt, die „Nicht-Eucharistiefeiern“ als geteilte eine andere Form von Gottesdiensten glauben, als die, die sonntags unsere Leitung von Klerikern und Laien, von suchen und sich mit der klassischen Gottesdienste besuchen. Vielleicht war hauptamtlich und freiwillig Enga- Form etwas schwertun. Bei unseren es auch einfach eine Sehnsucht, die gierten, scheint akzeptiert. Insgesamt Gottesdiensten braucht man keine Vor- tief in jedem von uns steckte, etwas führen die Erfahrungen mit dem La- kenntnisse, da sie immer anders gestal- Anderes, Neues, Bewegendes auszu- boratorium dazu, dass weitere Fragen tet sind und daher alle unwissend sind, probieren. So machten wir uns Anfang mit Blick auf die Zukunft auf brechen. was oder wie es abläuft. Wir muten 2010 auf den Weg … einmal im Quar- Eine Frage ist, wie wir und in welchen unseren Besuchern so ziemlich alles tal auf einem Freitagabend feiern wir „ einen Laboratoriums-Gottesdienst. Das Feedback unserer Besucher gibt uns Einfach mal der eigenen Spiritualität Raum geben. recht! Wir sind immer noch auf dem Weg! Das freut uns besonders. Gerade deshalb macht es Spaß, immer wie- der neue Ideen und Inspirationen zu Räumen wir in Zukunft Liturgie feiern zu, aber keiner muss alles mitmachen. verwirklichen. Einfach mal der eigenen möchten? Je nach Antwort hat dies Das ist das Besondere, denn viele wol- Spiritualität Raum geben. Unser Got- Konsequenzen bis in die Gestaltung/ len sich auch gerne aktiv beteiligen und tesdienst passt in die heutige Zeit und Renovierung von Kirchenräumen hi- einbringen, was uns selber oft über- berührt. nein. An dieser Frage arbeiten wir seit rascht. Es sind alles schon „Schwarz- einiger Zeit sehr konkret. brotesser ihres Glaubens“. Wir nehmen Was ist hieran neu, anders, jenseits der sie ernst, wir trauen ihnen was zu! Routine in Ihrer Pfarrei? Hat Ihr Praxisbeispiel zu einem neuen Miteinander von Hauptberuflichen und Woran wird erfahrbar, dass Menschen Martin Kröger: Ein Teil des jetzigen freiwillig Engagierten geführt? Wenn ja, sich besonders gut mit ihren Talenten Teams sammelte zunächst Erfahrun- woran wird dies erfahrbar? einbringen können? gen mit der thematischen Gestaltung von Eucharistiefeiern. Es machte sich Anja Runden: Ich kann da von meinen Sabine Orth: Das wird in der Vorbe- zunehmend ein Unbehagen breit, weil eigenen Erfahrungen sprechen. Als reitung klar, indem jeder/jede Ideen der gegebene Rahmen sich immer ich damals den ersten Gottesdienst einbringen kann und die eigenen mehr als zu eng erwies und viele Kom- gesehen und miterlebt habe, war ich Beziehungen, Kontakte zu anderen promisse nötig machte. Der Schritt in sehr angetan von der Idee und habe Unterstützern einbringt. In der Aus- das weitere Format „Wort-Gottes-Feier“, mich angesprochen gefühlt. Dann habe gestaltung der Gottesdienste, in denen der Schritt zur „geteilten Gottesdienst- ich in den Pfarrnachrichten gelesen, jede/r die Funktion übernimmt, die er leitung“, der Einbau neuer Elemente, dass diese Gruppe für helfende Hände /sie gerne ausüben möchte. Darüber die Zusammenarbeit mit unterschied- immer offen ist. Seitdem arbeite ich als hinaus haben wir bei uns neue Talente lichsten Musikern und das „Mitein- Ehrenamtliche im Team Laboratorium entdeckt, zu deren Entfaltung wir uns ander-Ringen“ um Inhalte und Form mit. Es macht sehr viel Spaß. Ich mer- auch fortgebildet haben. im Team machen den entscheidenden ke, dass ich andere Ideen hineinbrin- Unterschied. ge, die auch gehört werden. Eine tolle Anja Runden: Unter anderem spielt die Erfahrung. Musik bei uns eine große Rolle. Wir Zu welcher Veränderung hat Ihr neues stellen immer wieder fest, wie wichtig Gottesdienstformat geführt? Was ist Sabine Orth: Ja, es ist ein Miteinander dieser Teil des Gottesdienstes bei uns seitdem anders? auf Augenhöhe. Vielleicht liegt es auch ist. Wir haben keine feste Musikrich- daran, dass die entzündende Idee von tung, sind für alles offen und geben je- Martin Kröger: Wir haben mit ver- Ehrenamtlichen kam, die sich mit Be- dem (auch jungen Nachwuchstalenten) schiedensten Formen und Gestaltungs- gleitung von Hauptberuf lichen zu dem eine Chance. Auch bei der Liedauswahl elementen experimentiert und die heutigen Projekt Laboratorium – Got- beziehen wir die Musiker mit ein. Sie Erfahrung gemacht, dass die Menschen tesdienst anders entwickelt hat. haben oft ein gutes Gespür dafür, wel-
16 Unsere Seelsorge che Lieder zu unserem Thema passen nander umgehen“ – vielleicht ist das dem bisher Bestehenden wachsen könnten. Darauf vertrauen wir. die Basis, die die Auseinandersetzung soll? Welche Erfahrungen haben Ihnen mit der Frohen Botschaft möglich geholfen und sind wichtig gewesen? Martin Kröger: Unsere Gottesdienste macht. brauchen viel „Support“ auf unter- Vermutlich auch die Folge unserer Sabine Orth: Von Anfang an waren schiedlichsten Ebenen. Menschen un- Auseinandersetzung im Team mit der wir darauf bedacht, keine Konkurrenz terstützen uns mit ihren Talenten und Frohen Botschaft von einem Gott, der zum klassischen Programm zu sein, Ressourcen. Das reicht vom Fotografen, bedingungslose Annahme gewährt. sondern eine ergänzende Erweiterung über Catering, über das Schreiben des Angebotes der Pfarrei. Wir haben von Beiträgen für die Pfarrnachrich- Ist es gelungen, mit diesen Gottes- den Pfarreirat immer informiert und in ten, über die Mitwirkung im Gottes- diensten Menschen jenseits der klas- unser Vorhaben eingebunden, denn die dienst selbst, über eine Wagenladung sischen Kerngemeinde zu gewinnen, zu Ursprünge entstammten einer Arbeits- Grünpf lanzen vom Gärtner, über die interessieren? gruppe des Pfarreirates. Wir sind be- Ausleihe von 25 Kubikmetern Styropor wusst auf eine nicht kirchlich besetzte durch einen Baustoff händler, über Sabine Orth: Ja, durch unsere groß- Zeit, den Freitagabend gegangen, um handgeschmiedete Nägel für das Kreuz artige Werbung: Website, Facebook, niemandem in die Quere zu kommen. vom „Stadtschmied“, über 350 handge- Plakate (sind schon Sammlerobjekte), Und einfach machen, anfangen, trotz sägte Holzkreuze und vieles mehr bis Postkarten, Bierdeckel, Auf kleber, vieler Bedenken von anderer Seite. Die große Nachfrage gibt uns recht, dass „ Und einfach machen, anfangen, trotz vieler Bedenken. vielen Menschen unser „Gottesdienst anders“ vorher gefehlt hat und sie auf der Suche nach einer anderen Form waren. hin zur Ausleihe eines großformatigen Zeitungsartikel, Schirme, Aufnäher. Fernsehers durch einen lokalen Elek- Durch die musikalische Gestaltung, Martin Kröger: Aus England stammt tronik-Fachhändler inklusive Trans- für die wir unterschiedliche Künstler der Begriff der „mixed economy“, der portleistungen. zu Gast hatten, von der Rockband bis das Nebeneinander von klassischen zur Blaskapelle, die wiederum auch und neuen Formaten beschreibt. Wir Offensichtlich hat die Auseinander- ihre Fans mit sich ziehen. Durch stehen, was die Spannung angeht, setzung mit der Frohen Botschaft eine unsere Themen, wovon sich Menschen sicher an einem Punkt, an dem die besondere Bedeutung gehabt, sei es angesprochen fühlen, die sonst nicht Schätze des bisherigen Weges noch durch eine ausdrückliche und sichtbare mehr zur Kirche gehen, einer anderen einmal gehoben werden müssen. Je Form, sei es dadurch, dass dies für alle Pfarrei oder Konfession angehören. nachdem, wie man den Ertrag des bis- Beteiligten spürbar wurde? her zurückgelegten Weges einschätzt, Sind neue Formen der Kooperation könnten sich weitere Konsequenzen Sabine Orth: Ja, definitiv. Unsere unterschiedlicher Gruppen sowie neue für die Ausdifferenzierung des liturgi- lebensnahen Themen sind immer un- Formen der Kommunikation wichtig schen Angebotes und Konsequenzen terfüttert und verwoben mit der Frohen gewesen oder geworden? für die Zuteilung von Ressourcen erge- Botschaft, deren Verkündigung uns ben. Geholfen hat uns auf dem bishe- am Herzen liegt. Immer wieder rücken Sabine Orth: Für jeden neuen Gottes- rigen Weg sicherlich ein hohes Maß an wir auch Bibelstellen in den Fokus, die dienst werden neue Kooperationspart- Transparenz und Rückbindung an die unbekannt sind, uns aber auch heute ner gesucht, sei es für das Catering, für pfarrlichen Gremien und vor allem die noch weiterhelfen können. die Dekoration, für die Musik oder für positive Resonanz. ein bestimmtes Thema. Das geht über Anja Runden: Zudem machen wir die die vorbereitende Kommunikation über Welche Lernerfahrungen sind aus Ihrer Erfahrung, dass auch unsere Besucher Facebook bis hin zur Kooperation mit Sicht von so zentraler Bedeutung, des Gottesdienstes immer wieder nach örtlichen Restaurants im Nachklang dass diese auch in Zukunft bei Ihnen der Frohen Botschaft suchen. eines Gottesdienstes. Im Vorfeld gab es Berücksichtigung finden sollten? schon Interviews auf der Straße oder Martin Kröger: Ich glaube, dass die auch Exkursionen zu anderen Grup- Sabine Orth: Die Freiheit der Ge- Gottesdienstbesucher sich ohne Bedin- pen, Pfarreien, Kirchen, um von ihnen staltung ist für mich von zentraler gung angenommen fühlen. Das fängt zu lernen und mit ihnen Erfahrungen Bedeutung, denn sie ist verankert im mit der Begrüßung an der Eingangstür auszutauschen. christlichen Glauben mit dem Ziel, die an und endet oft im Gespräch über Themen der Menschen in Verbindung Gottesdienstinhalte in kleinen Runden Wie würden Sie die Spannung beschrei- mit der Frohen Botschaft zu bringen. nach dem Gottesdienst. „Gut mitei- ben, die entsteht, wenn Neues neben Eine wichtige Lernerfahrung war für
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