Alles bleibt anders?! - Kirchenentwicklung als Kulturwandel - Januar 2018 - Pastoralplan

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Alles bleibt anders?! - Kirchenentwicklung als Kulturwandel - Januar 2018 - Pastoralplan
Januar 2018

Kirchenentwicklung als Kulturwandel

Alles bleibt anders?!
Alles bleibt anders?! - Kirchenentwicklung als Kulturwandel - Januar 2018 - Pastoralplan
Unsere Seelsorge

4		     Zum Entwicklungsweg der Kirche im Bistum Münster                         27       frei.raum.coesfeld
		      Pastoraltheologische Wegmarken und Indikatoren                           		       Pilotprojekt für junge Erwachsene in Coesfeld
		      der Erneuerung                                                           		       Daniel Gewand
		      Elisa Prkacin
                                                                                 31		 Wie tiefgreifend ist der sich vollziehende
8		     Nicht in Idyllen flüchten                                                		 Veränderungsprozess?
		      Die Herausforderungen heutiger Pastoral                                  		 Eine Einschätzung aus Leitungsperspektive
		      Prof. Rainer Bucher                                                      		       Pfarrer Meinolf Winzeler, Generalvikar Dr. Norbert Köster

11		    Großes Engagement für kleine Persönlichkeiten                            36		 Was würde Jesus tun?
		      Ein neues Stadtteilprojekt, initiiert von den Kirchen-                   		 Die Emmaus-Erzählung als pastorales
		      gemeinden in Dorsten-Hervest                                             		 Handlungsmodell
		      Kai Kaczikowski, Angela Prang                                            		       Donatus Beisenkötter

14		    Laboratorium – Gottesdienst anders                                       40       Mittendrin!
		      Neue Wege der Gottesdienstgestaltung in Friesoythe                       		       Von der Sehnsucht nach dem Vertrauten und der
		      Martin Kröger, Sabine Orth, Anja Runden                                  		       Sehnsucht nach dem Neuen
                                                                                 		       Andreas Fritsch
18		    Trauernde trösten und Tote begraben
		      Trauer- und Begräbnisdienst durch freiwillig Engagierte                  44       Kommunizieren, nachdenken, mitdenken
		      Johannes Wendt                                                           		       Was eine Zeitschrift für Bildungsprozesse in der
                                                                                 		       Gemeinde leisten kann
20      Von „Gar nicht mal so einfach!“ bis „Total hilfreich!“                   		       Prof. Dr. Rita Burrichter
		      Wer Kirche in den Händen der Leute und Vielfalt
		      will, braucht Leitplanken                                                46       Service
		      Tobias Plien, Pfarrer Meinolf Winzeler

24      Nah bei den Menschen
		      Eine gemeinsame Herausforderung von
		      Caritas und Pastoral
		      Heinz-Josef Kessmann

Das Themenheft der Hauptabteilung Seelsorge im Bischöflichen Generalvikariat Münster erscheint mehrmals
im Jahr und erreicht alle hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger, die Vorsitzenden der Pfarreiräte, die
Bildungseinrichtungen und die Katholischen Öffentlichen Büchereien im Bistum Münster.
Herausgeber und Verleger Bischöfliches Generalvikariat Münster, Hauptabteilung Seelsorge Redaktion Donatus
                                                                                                                      Der Ausgleich der Treibhausgas-
Beisenkötter, Georg Garz Redaktionsbeirat Johannes Bernard, Dominik Blum, Michael Seppendorf Konzeption               emissionen erfolgte durch die Unter-
Andreas Fritsch Layout und Satz Thomas Bauer, www.kampanile.de Druck Druckerei Joh. Burlage, www.burlage.de           stützung anerkannter Klimaschutz-
                                                                                                                      projekte. Wir unterstützen mit die-
Redaktionssekretariat Heidrun Rillmann, Bischöfliches Generalvikariat Münster, Hauptabteilung Seelsorge, Dom-         sem Druck ein Klimaschutzprojekt
platz 27, 48143 Münster, Telefon 0251 495-1181, redaktion@unsere-seelsorge.de Fotos Georg Garz und Donatus            im brasilianischen Staat Ceará.
                                                                                                                      Das Projekt umfasst fünf Keramik-
Beisenkötter (Titel), Archiv, privat
                                                                                                                      produktionsstätten, die nachhaltig
Bezug: Telefon: 0251 495-541, Telefax: 0251 495-7541, materialdienst@bistum-muenster.de                               produzierte, erneuerbare Biomasse
Einzelbezugspreis 3,50 Euro Jahresabonnement 9,90 Euro (3 Ausgaben)                   ZKZ 74165 ISSN 1863-7140       zur Befeuerung nutzen.
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Liebe Leserinnen und Leser,

            der Begriff „Kulturwandel“     sich das Bistum „Mittendrin“ – so
            hat bei Google, der Realität   auch der Titel der Analyse von Andreas
            im Internet, 246.000 Er-       Fritsch.
            gebnisse. Der Oberbegriff
„Kultur“ erzielt mit 258.000 Ergebnis-     Ein Ergebnis der Analyse der Lokalen
sen nur wenig mehr Treffer, was den        Pastoralpläne lautet, dass „Sozialraum-
Schluss nahelegt, dass der Wandel zur      orientierung“ zunehmend an Bedeu-
Kultur fest dazugehört. Interessant ist    tung gewinnt. Aber sichtbar ist auch:
auch: Das Begriffspaar „Kulturwandel       Viele Pfarreien sind stark bürgerlich
und Kirche“ hat 106.000 Ergebnisse.        verortet und tun sich schwer mit der
Mehr noch als andere gesellschaftliche     von Papst Franziskus formulierten
Größen und Wirtschaftsunternehmen          Herausforderung, an die „Ränder der
scheinen sich die Kirchen mit dem          Gesellschaft zu gehen“. Kommen Gäste
Kulturwandel zu beschäftigen.              aus der Weltkirche zu uns ins Bistum,
                                           ermutigen sie uns, unseren Kulturwan-
Die Kirche ist von ihrem Ursprung her      del eng am Evangelium zu orientieren
Expertin für den „Wandel“. Die Bot-        und recht einfach zu fragen: „Was
schaft von der Barmherzigkeit Gottes,      würde Jesus tun?“
die Fähigkeit des Menschen zur Um-
kehr und zur positiven Gestaltung der      Kulturwandel in der Kirche bewegt
Gesellschaft hat viele und vieles über     sich immer zwischen Tradition und
Jahrhunderte hinweg bewegt. Schwerer       Neuauf bruch. Gleich zweimal führen
tut sich die Kirche mit dem eigenen        Texte dieser Ausgabe Unsere Seelsorge
„Kulturwandel“, meint dieser doch eine     dazu den Begriff „mixed economy“ an,
Verbesserung der Kommunikation un-         beide zum Thema Gottesdienst. Der
tereinander und der Haltung zur Gesell-    ursprünglich betriebswirtschaftliche
schaft. Die letzten 200 Jahre habe sich    Begriff meint im kirchlichen Kontext,
die Kirche, so Generalvikar Dr. Norbert    dass es durchaus sinnvoll sein kann,
Köster im Interview in dieser Ausgabe,     klassische und neue Formate nebenei-
gegenüber der Welt stark abgegrenzt.       nander stehen zu lassen. Besonders in
Dadurch wurden viele gesellschaftliche     der anglikanischen Kirche wird dieser
Errungenschaften wie Mitwirkung,           Gedanke stark verfolgt. Stärker tradi-
Transparenz, Pluralität und Integration    tionell geprägte Gottesdienste bieten
nicht oder nur unzureichend nachvoll-      Heimat. Neue Formate sprechen andere
zogen. Glaubwürdigkeits- und Rele-         Zielgruppen an. Das alleine macht
                                                                                                          Frank Vormweg
vanzverlust sind heute die schmerzhaf-     noch keinen Kulturwandel, berücksich-
                                                                                     Bischöfliches Generalvikariat Münster
ten Folgen dieser Abgrenzung, obwohl       tigt aber Pluralität und den Wunsch
                                                                                                Hauptabteilung Seelsorge
viele Menschen Orientierung suchen         nach stärkerer individueller Orientie-
                                                                                           vormweg@bistum-muenster.de
und sich mehr Klarheit von der Kirche      rung in der Kirche.
wünschen.
                                           Kulturwandel braucht eine gelingende
Das Bistum Münster hat sich im Diö-        Kommunikation – schlichtes Drüber-
zesanpastoralplan auf einen Kulturwan-     reden, Einbeziehen, Nachdenken und
del von der Volkskirche hin zu einer       den Mut, eine Idee in die Wirklichkeit
Kirche des Volkes verpf lichtet. Die       umzusetzen. Das ist Arbeit. All denen
Hälfte aller Pfarreien hat in der Folge    herzlichen Dank, die am Kulturwandel
Lokale Pastoralpläne, ein Instrument       im Bistum mitwirken: den Autoren und
für den Kulturwandel, entwickelt. Was      Interviewpartnern unserer Ausgabe
bewegen diese mitunter sehr aufwän-        und Ihnen, den Leserinnen und Lesern!
digen Diskussions- und Prioritätenpro-                                                              Donatus Beisenkötter
zesse in den Pfarreien? Ist ein Kultur-                                                       Redaktion Unsere Seelsorge
wandel spürbar? Zumindest befindet                                                     beisenkoetter@bistum-muenster.de
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4                 Unsere Seelsorge

Zum Entwicklungsweg der Kirche im Bistum Münster
Pastoraltheologische Wegmarken und Indikatoren der Erneuerung

Die deutschsprachige katholische Kirche befindet sich in der Situation eines tiefgreifenden Wandels – auch
im Bistum Münster. Was empirische Analysen auf unterschiedliche Weise aufzeigen, ist auf allen Ebenen
des Bistums, der Pfarreien und Gemeinden, des Bischöflichen Generalvikariats und in anderen kirchlichen
Zusammenhängen seit langem spürbar: Einst selbstverständliche Zeichen und Formen, Aktivitäten und An-
gebote sind für viele Menschen immer weniger (selbst-)verständlich. Hinzu kommt, dass nach „dem Ende
der Volkskirche (…) jeder Einzelne aus freien Stücken (entscheidet), ob er Teil dieser Kirche sein will oder
nicht, ob er diese Beziehung zu Gott und zu den Schwestern und Brüdern leben will und kann“, wie Bischof
Felix Genn etwa im Zusammenhang der Zufriedenheitsstudie betont hat. Vor diesem Hintergrund stellt sich
die Frage, unter welcher Zielperspektive Prozesse der Kirchenentwicklung anzustoßen sind. Und welche
Aspekte können eine grundlegende Orientierung inmitten der angezeigten Umbrüche geben?
Alles bleibt anders?! - Kirchenentwicklung als Kulturwandel - Januar 2018 - Pastoralplan
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Die pastoralen Verständigungsprozes-      Prozesse der Erneuerung zu dienen.           Einsatz für das Leben, die Würde und
se, die in den letzten Jahren geführt     Kirche ist kein Selbstzweck, sondern         die Freiheit jedes Menschen, und damit
wurden, lassen bereits wesentliche        „Zeichen und Werkzeug“ dafür, „der           dem Frieden zu dienen“. Christinnen
theologische Orientierungen und pasto-    Gemeinschaft Gottes mit den Men-             und Christen dazu zu ermutigen,
rale Grundhaltungen erkennen, die den     schen und der Menschen untereinan-           „häufiger und selbstverständlicher und
Weg der Kirchenentwicklung nicht nur      der zu dienen“ (SdK 2011, S. 4). Dem-        mit demütigem Selbstbewusstsein“
im Bistum Münster leiten. Diese sollen    entsprechend kann es nicht einfach um        Zeugnis davon zu geben, wie Gott in
in einem ersten Schritt skizziert wer-    Prozesse der Selbsterhaltung gewohn-         der Welt wirkt, ist eine zentrale Aufga-
den, um schließlich in einem zweiten      ter Strukturen oder Aktivitäten gehen.       be von Seelsorge (SdK 2011, S. 8).
Schritt Indikatoren, das heißt konkre-    Es wird vielmehr darauf ankommen
te Kennzeichen herauszustellen, die       wahrzunehmen, an welchen unter-              Kirche gestalten
anzeigen, worin die mit dem Entwick-      schiedlichen Orten in unseren Pfarrei-       In den Entwicklungsschritten und Lern-
lungsweg verbundenen Erneuerungen         en die Frohe Botschaft und das Leben         erfahrungen der Kirchenentwicklung
genau bestehen.                           von Menschen sich einander wechsel-          im Bistum Münster lassen sich erste
                                          seitig erschließen, das heißt, Kirche        Akzente einer Entwicklungsidee des
Theologische Orientierungen und           von ihrer Sendung her bedeutsam wird.        Kircheseins erkennen.
pastorale Grundhaltungen                                                               Alle Planungs- und Entscheidungspro-
Mit dem Grundlagenpapier „Die Sen-        Kultur des Vertrauens fördern                zesse in der Pastoral dienen dabei dem
dung der Kirche im Bistum Münster“        2. Grundlegend für Prozesse der              einen Grundanliegen: „Es geht um die
(im Folgenden zitiert als SdK plus Sei-   Kirchenentwicklung ist eine Kultur           Bildung einer lebendigen, missionari-
tenangabe) aus dem Jahr 2011 werden       des Vertrauens, die im Glauben an            schen Kirche vor Ort.“ (Pastoralplan
mindestens drei Wegmarken gesetzt,        Gottes Treue gründet. Diese Haltung          für das Bistum Münster (im Folgenden
                                                                                       zitiert als PP plus Seitenzahl) 2013, S.

  „  Sich unterbrechen lassen vom möglicherweise
                                                                                       26)

                                                                                       Menschennah
    überraschenden „Heute Gottes“.
                                                                                       Die Lebenswirklichkeit ist der Aus-
                                                                                       gangspunkt jeder Pastoral, die in der
                                                                                       Linie des Zweiten Vatikanischen Kon-
die die Entwicklungsprozesse der Kir-     des Vertrauens darf keine Floskel            zils steht. Eine menschennahe Pastoral
che im Bistum Münster orientieren.        bleiben. Sie hat sich immer wieder           nimmt „Freude und Hoffnung, Trauer
                                          neu in Beziehungen zu bewähren.              und Angst der Menschen von heute,
Gott im Heute entdecken                   Erkennbar wird sie etwa dann, wenn           besonders der Armen und Bedrängten
1. Pastorale Entwicklungen erschöpfen     das „gemeinsame Priestertum aller            aller Art“ wahr, denn sie „sind auch
sich grundsätzlich nicht in organisato-   Getauften und Gefirmten (…) Bischöfe,        Freude und Hoffnung, Trauer und
rischen Neustrukturierungsprozessen.      Priester und Laien“ dazu befähigt, „in       Angst der Jünger Christi“ (GS 1). Die
Entscheidend ist vielmehr ein geistlich   der Verschiedenheit ihrer Dienste am         Gegenwarts- beziehungsweise Wirk-
orientierter Prozess der unterscheiden-   Auf bau des Reiches Gottes und an der        lichkeitsform des Indikativs „sind“
den Wahrnehmung, der sich auf die         Heiligung der Welt mitzuwirken“ (SdK         verdankt sich dem Anspruch, der theo-
heutige Wirklichkeit einlässt und darin   2011, S. 6). Erlebt wird sie auch dort, wo   logisch in der Kenosis Gottes liegt. Die
„Gott im Heute“ entdeckt (SdK 2011, S.    Christinnen und Christen mit ihren           Identifikation mit „Freude und Hoff-
5). Das heißt auch: Pastorale Prozesse    unterschiedlichen Charismen wahrge-          nung, Trauer und Angst“ ist das, was in
sind nicht bis ins Letzte „machbar“.      nommen und wertgeschätzt werden.             der leidenschaftlichen Selbstmitteilung
Bei allen notwendigen Planungskon-                                                     Gottes in Jesus Christus bereits gesche-
zepten bedarf es einer aufmerksamen       Charismen entwickeln                         hen, also wirklich ist. Pastoral steht
Haltung, die sich unterbrechen lassen     3. Charismen sind Gaben, die nicht           damit im Entdeckungszusammenhang
kann vom möglicherweise überraschen-      für sich selbst, sondern für andere          der unauf hörlichen Bewegung, mit der
den „Heute Gottes“. Die Erneuerung        da sind, indem sie anderen „nützen“,         sich Gott in Jesus Christus dem Men-
von Kirche „verdankt sich dem Wirken      wie Paulus im Brief an die Korinther         schen heute zuwendet.
Gottes“ und nicht umgekehrt (SdK          schreibt (1 Kor 14,12). Gottes Wirken im
2011, S. 4). Im Zentrum steht damit       Heute wird dort erfahrbar, wo Christin-      Lebendig
eine lernende Pastoral, die in der Welt   nen und Christen ihre Charismen in           Lebendig ist Kirche da, „wo der Glau-
von heute entdeckt, dass sie Gottes so    den Dienst der Nächstenliebe stellen,        be lebt und Menschen mit Gott und
voll ist, wie Alfred Delp im Jahr 1944    etwa „in der Sorge für Arme, Kranke,         miteinander in Berührung kommen“
schreibt. Umgekehrt gilt: Dem Wirken      Alleinstehende und Fremde, aber auch         (PP 2013, S. 27). Dort ist Kirche „Volk
Gottes in der Welt von heute haben        im Dienst an der Gerechtigkeit und im        Gottes auf dem Weg“. Auf dem Weg
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zu sein bedeutet, dass Kirche selbst        vitäten und Angebote, sowie der eigene        in welchen Bereichen wirklich Ent-
Lernende ist. Volk Gottes wird Kirche       Stil der Leitung es ermöglichen, dass         scheidungskompetenzen übertragen
dann, so der Pastoraltheologe Rainer        Menschen ihre Antwort geben können            und in welchen Bereichen Möglich-
Bucher, „wenn sie in Wort und Tat das       auf Gottes Ruf.3                              keiten der Mitsprache oder Kooperati-
Evangelium vom Leben der Men-                                                             on eröffnet werden.
schen her eröffnet und das Leben vom        Indikatoren für die Entwicklung hin zu      ••Dienste werden zeitlich befristet,
Evangelium her befreit“. 1 Glaubwürdig      einer Kirche des Volkes Gottes                damit im Sinne der gemeinsamen
und sichtbar ist Kirche als Volk Got-       Aus den Verständigungs- und Dialog-           Verantwortung immer wieder neue
tes schließlich im „Respekt vor der je      prozessen der letzten Jahre lassen sich       Räume eröffnet werden, in denen sich
eigenen Berufung und im Miteinander         erste Indikatoren beschreiben, die an-        andere in den Dienst stellen können.
von Priestern und Laien“, betont der        zeigen, welche Aspekte der Erneuerung       ••Hauptberuf liche verstehen sich als
Pastoralplan. In dieser Perspektive         aus dem skizzierten Entwicklungsweg           Ermöglicherinnen und Ermöglicher,
fördert das Bistum eine lebendige Kir-      der Kirche im Bistum Münster konkret          indem sie Getaufte darin ermutigen,
che, in der „der Dienst der Leitung in      resultieren.                                  unterstützen und fördern, Verantwor-
Gemeinschaft“ ausgeübt und erkenn-                                                        tung für die Sendung der Kirche vor
bar wird, dass das „Bewusstsein, zum        1. Eine Pastoral, die von der gemein-         Ort wahrzunehmen.
Volk Gottes zu gehören, (…) stärker (ist)   samen Verantwortung des Volkes              ••Diejenigen, die über mehr Macht und
als alle Unterschiede, die es innerhalb     Gottes ausgeht                                Einf luss verfügen, nehmen sich selbst
der Kirche aufgrund von Charisma und        Verantwortung für die Sendung der             zurück, indem sie „den anderen wich-
Amt gibt“ (PP 2013, S. 27).                 Kirche hat das ganze Volk Gottes.             tiger (…) als sich selbst“ nehmen und
                                            Dahinter steckt mehr als die Über-            Vertrauen schenken, indem sie „dem
Missionarisch                               nahme von delegierten Aufgaben. Die           anderen ein Stückchen mehr zutrau-
Kirche ist nur dann lebendig, wenn          Sakramentalität der Taufe wird unter-         en, als er es eigentlich verdient hat“.
sie missionarisch ist. Alle kirchlichen     boten, wenn freiwillig Engagierte in          (vgl. Rainer Bucher in dieser Ausgabe)

                                                                                        2. Eine Pastoral, die sich an den Gaben
    „   Ermöglichen, dass Menschen ihre Antwort geben können auf Gottes Ruf.
                                                                                        der Menschen orientiert
                                                                                        Die Entwicklung einer gabenorien-
                                                                                        tierten Pastoral greift zu kurz, wenn
                                                                                        man diese lediglich als Strategie des
Orte und Aktivitäten sind darauf hin        erster Linie nur als „MitarbeiterInnen“     Ehrenamtsmanagements versteht. Es
zu stärken, sich ihrer „missionarischen     oder „HelferInnen“ des Pfarrers oder        geht um mehr als nur die Gewinnung
Dimension“ – und das heißt nichts an-       der pastoralen Hauptberuf lichen und        potenzieller „Ehrenamtlicher“ für
deres, als sich ihrer Sendung – bewusst     im engeren Sinne als „Ehrenamtliche“        gewohnte Aufgabenfelder. Ziel ist es
zu werden.2 „Mission heißt, dass die        wahrgenommen werden und nicht               vielmehr, eine neue „Volk-Gottes-Sensi-
Kirche aus sich herausgehen muss“, so       als originär Berufene, die durch die        bilität“5 einzuüben und zu kultivieren.
der Konzilstheologe M.-D. Chenu. Kir-       Taufe am gemeinsamen Priestertum            Dementsprechend ist ernstzunehmen,
che ist herausgefordert, sich im Auftrag    des gesamten Volkes Gottes teilhaben.       dass immer weniger Menschen „für
des Evangeliums immer wieder selbst         Indem das Zweite Vatikanische Konzil        vorgegebene Aufgabenfelder ange-
zu überschreiten, an die Ränder zu ge-      das neutestamentliche Bild vom Volk         worben und ehrenamtlich eingesetzt
hen und sich den Lebensverhältnissen        Gottes aufgreift, hat es die Dichotomi-     werden“, sondern „umgekehrt (...)
und Milieus auszusetzen, um darin die       en wie etwa die zwischen „Klerikern“        ihre persönlichen Gaben entdecken,
„Mission Gottes“ in der Welt von heute      und „Laien“ theologisch aufgebrochen.       einbringen und entfalten“ (Gemein-
zu entdecken. Dies erfordert, so Papst      Das „zentrale Zuordnungsprinzip in          sam Kirche sein, S.19) wollen. Aus
Franziskus in seinem Apostolischen          der Kirche“ ist „nicht die Über- oder       einem solchen Logikwechsel von einer
Schreiben Evangelii Gaudium, eine           Unterordnung, sondern der Beitrag zur       ausschließlichen Aufgabenorientierung
„ständige Haltung des Auf bruchs“ (EG       pastoralen Gesamtaufgabe der Kirche“. 4     hin zu einer stärkeren Gabenorientie-
20), die die „unfassbare Freiheit des                                                   rung können neue Dienste, Beteili-
Wortes“ akzeptiert, „das auf seine Wei-     Indikatoren                                 gungsformen und Ausdrucksformen
se und in sehr verschiedenen Formen         •• Die unterschiedlichen Rollen einzelner   des Kircheseins erwachsen.
wirksam ist, die gewöhnlich unsere            Akteure in der Pastoral werden auf Au-
Prognosen übertreffen und unsere              genhöhe und in einem partizipativen       Indikatoren
Schablonen sprengen“ (EG 22). Alle            Prozess für die pastorale Gesamtaufga-    •• Pastoral setzt in erster Linie nicht bei
Prozesse der pastoralen Entwicklung           be von Kirche eingesetzt.                  festgelegten Aufgaben an, sondern ent-
können somit nur dieses Ziel haben,         ••Es ist transparent, für wen welcher        deckt das Wirken Gottes in den Gaben
dass entsprechende Strukturen, Akti-          Grad an Partizipation gilt, das heißt      der Menschen vor Ort.
Alles bleibt anders?! - Kirchenentwicklung als Kulturwandel - Januar 2018 - Pastoralplan
7

•• Kultiviert wird das Vertrauen in die          leben untereinander wie in Bezug auf
   dynamische Kraft der Taufe und die Ga-        die Pfarrei in relationaler Offenheit
                                                                                          1 Bucher, Rainer: Die pastorale Konstitution
   ben der Menschen und nicht die Angst          und suchen die wechselseitige Kom-
                                                                                          der Kirche, in: Ders. (Hg.): Die Provokation
   vor Veränderungen und Machtverlust.           munikation.
                                                                                          der Krise. Zwölf Fragen und Antworten zur
•• Das Pastoralteam unterstützt Men-          •• Gefördert wird eine Kultur des Ver-
                                                                                          Lage der Kirche, 2. verbesserte Auflage,
   schen dabei, ihre Gaben zu entdecken          trauens und der Fehlerfreundlichkeit,
                                                                                          Würzburg 2005, S. 30-44, hier S. 40.
   und sie einzubringen.                         etwa hinsichtlich der experimentellen
                                                                                          2 Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskon-
•• In Pfarreien werden Freiräume dafür           Erprobung neuer Ausdrucksformen
                                                                                          ferenz (Hg.): Die Deutschen Bischöfe: „Zeit
   geöffnet, dass sich die unterschiedli-        des Glaubens.
                                                                                          zur Aussaat“. Missionarisch Kirche sein, Bonn
   chen Gaben auch auf ungewohnte, kre-
                                                                                          2000, S. 8, 29ff.
   ative und neue Art und Weise entfalten     Resümee
                                                                                          3 Vgl. Feiter, Reinhard: Antwortendes Handeln.
   können.                                    Der Entwicklungsweg, auf dem sich die
                                                                                          Praktische Theologie als kontextuelle Theolo-
•• Menschen werden dazu ermutigt, Nein        Kirche im Bistum Münster befindet,
                                                                                          gie (Theologie und Praxis 14), Münster 2002;
   sagen zu können, falls eine Aufgabe        zeigt einen umfassenden Kulturwandel
                                                                                          zugl. Habil.-Schrift Universität Bonn 2001.
   nicht ihren Gaben entspricht.              an, der nicht nur auf der Ebene der
                                                                                          4 Bucher, Rainer: ... wenn nichts bleibt, wie es
•• Neben sachlichen Notwendigkeiten           Strukturen, sondern auch der Haltun-
                                                                                          war. Zur prekären Zukunft der katholischen
   werden die Charismen beim persona-         gen und Rollen tiefgreifende Verände-
                                                                                          Kirche, 2. Auflage, Würzburg 2012, S. 122.
   len Einsatz berücksichtigt (vgl. PP2013,   rungen mit sich führt. Die beschriebe-
                                                                                          5 Schönemann, Hubertus: Workshop Kirche
   S. 34).                                    nen Wegmarken zeigen in die Rich-
                                                                                          im Ausbau. Impuls „Vom Ehrenamtsmanage-
                                              tung einer partizipativen Kirche, die
                                                                                          ment zur Volk-Gottes-Sensibilität. Charismen
3. Eine Pastoral, die Kirche an vielfäl-      aus der Kraft der Taufe und der Vielfalt
                                                                                          verändern Kirche“, abrufbar unter: http://www.
tigen Orten wachsen sieht                     der Charismen lebt. In diesem Sinne
                                                                                          zmir.de/wp-content/uploads/2016/01/2015-
Die Wahrnehmung der vielfältigen Orte,        sind die unterschiedlichen Orte, an
                                                                                          11-25-Workshop-Volk-Gottes-Sensibilit
an denen Kirche von ihrer Sendung her         denen Christinnen und Christen dem
                                                                                          %C3%A4t_ausform.pdf.
lebt, öffnet für einen gesamtpastoralen       Leben von Menschen in der Perspektive
                                                                                          6 Bucher, Rainer: Partizipative Kirche. Stati-
Lernprozess der Kirchenentwicklung, die       des Evangeliums dienen, als Orte von
                                                                                          onen eines weiten Weges, in: Kröger, Elisa
von den Lebens- und Sozialräumen der          Kirche wahrzunehmen.
                                                                                          (Hg.): Wie lernt Kirche Partizipation? Theo-
Menschen heute ausgeht. Auf diese Wei-
                                                                                          logische Reflexion und praktische Erfah-
se wird der Blick geweitet für die unter-     Paradigmenwechsel
                                                                                          rungen, Würzburg 2016, S. 59-69, hier S. 68.
schiedlichen (personalen und territoria-      In allem vollzieht sich ein wesentlicher
len) Gemeinden sowie Ausdrucksformen          Paradigmenwechsel von einer versorg-
des Glaubens auf dem Territorium der          ten Kirche hin zu einer Kirche, die
Pfarrei, so etwa Schulen, Kindertages-        sich in der Verantwortung des ganzen
einrichtungen, Krankenhauskapellen,           Volkes Gottes nicht um sich selbst, son-
Verbände, Ordensgemeinschaften.               dern vor allem um eines „sorgt“: das
Neben den vertrauten Formen sind darü-        Leben der Menschen vor Ort, besonders
ber hinaus auch Orte und Gelegenheiten        der Bedrängten und Armen. Kirchli-
zu entdecken, in denen aus der Kraft des      che Partizipation wäre demnach als
Evangeliums Neues entsteht.                   „existenzielle Partizipation“ zu denken,
                                              „als ,Exposure‘ (…), als ‚Sich-Aussetzen‘
Indikatoren                                   der Gegenwart und ihren ‚Zeichen der
•• Die sozialen Lebensräume der Men-          Zeit‘, als ‚Partizipation‘ an den Freuden
   schen innerhalb der Pfarrei werden         und Hoffnungen, an der Trauer und
   aufmerksam wahrgenommen.                   den Ängsten einer unüberschaubaren
•• Das Pastoralteam unterstützt und be-       Gegenwart“.6 In diesem Sinne sind alle
   gleitet die Getauften auf dem Weg der      erforderlichen Ressourcen und struk-
   gemeinsamen Verantwortung für die          turellen Voraussetzungen zukünftig
   Kirche vor Ort.                            auf dieses Ziel hin einzusetzen, die ge-
•• Auf dem Territorium der Pfarrei            meinsame Verantwortung des ganzen
   werden vielfältige Formen von Ge-          Volkes für die Sendung der Kirche im
   meinden gefördert, die Verantwortung       Bistum Münster zu stärken.
   tragen für den solidarischen Dienst der                                                                                    Elisa Prkacin
   Nächstenliebe, für die Verkündigung                                                             Bischöfliches Generalvikariat Münster
   des Wortes Gottes und das Leben in                                                     Referat Pastoraltheologische Grundsatzfragen
   Gemeinschaft.                                                                                          prkacin-e@bistum-muenster.de
•• Die unterschiedlichen Gemeinden
Alles bleibt anders?! - Kirchenentwicklung als Kulturwandel - Januar 2018 - Pastoralplan
8                Unsere Seelsorge

Nicht in Idyllen flüchten
Die Herausforderungen heutiger Pastoral

Die Transformationsprozesse, in denen sich Kirche befindet und denen sie ausgesetzt ist, erfordern eine
neue Definition der Beziehungen, Rollen, Selbstverständnisse und Strukturen – sowohl binnenkirchlich
wie auch in der Beziehung zur Welt. Der Grazer Pastoraltheologe Rainer Bucher warnt in diesem Kon-
text vor Rückzugstendenzen in vermeintlich sichere Vergangenheitsideale und plädiert stattdessen für
Demut, Eingestehen der eigenen Sprachlosigkeit sowie Mut zum Experiment. Der Weg der Kirche der
Zukunft lässt sich seiner Ansicht nach von den kirchlichen Orten, Gelegenheiten und Ereignissen her
verstehen, an denen Kirche im Sinne ihrer Sendung schon heute „funktioniert“.
Alles bleibt anders?! - Kirchenentwicklung als Kulturwandel - Januar 2018 - Pastoralplan
9

In Ruinen                                   mer (wieder) geben wird.                     vereinbaren lässt, schlägt es in Zeiten
Es geht für die deutschsprachige            Der Sozialpsychologe Harald Welzer           der volkskirchlichen Auslaufphase
katholische Kirche um nichts weniger,       hat in seinem Buch „Selbst denken“           verschärft vor: Kirche als Gemeinschaft
als um die Suche „nach Wegen, in den        eine kleine Analyse der Psychologie          hoch integrierter mittelgroßer Überzeu-
Ruinen zerbrochener Machtsysteme zu         absteigender Institutionen entwickelt.       gungs- und Lebensgemeinschaften von
wohnen“.1                                   „Immer, wenn sich Gesellschaften im          70 bis 80 Menschen.
Ruinen aber fehlt der ursprüngliche         Abstieg von ihrer ehemaligen Bedeu-
Zusammenhang. Man kann ihn noch             tung befinden, kommt das Bewusstsein         Bei den Engagierten im Bewegungs-
ahnen, aber er funktioniert nicht mehr.     nicht hinterher. Man kann nur schwer         spektrum aber ist es die Auf bruchskir-
Zudem fehlt Ruinen das Dach: Sie            verkraften, nicht mehr so bestimmend         che der Nachkonzilszeit, sind es die
konstituieren zwar noch einen eigenen       und mächtig zu sein wie einst, und           religiös motivierten sozialen Bewegun-
Raum, sind aber zugleich Elemente           zieht es daher vor, sich wenigstens noch     gen für Umwelt und die Armen, für
„unter freiem Himmel“. Das ehemals          bestimmend und mächtig zu fühlen.            Gerechtigkeit und Frieden, heute oft
ausgesperrte oder nur kontrolliert          (…) Die Menschen verharren, trotz mit        formatiert in der Nachfolge der latein-
zugelassene Außen ist nun perma-            Händen zu greifender Veränderungs-           amerikanischen Basisgemeinden als
nent sichtbar, es dringt ein mit Regen,     prozesse in Rolle, sozialer Lage und po-     „small christian communities“, an die
Schnee und Sonne, mit Würmern und           litischer Macht, in ihrer Persönlichkeits-   man anschließen will.
Gräsern: Elementares und Subversives.       struktur, in ihrem sozialen Habitus auf
Das eröffnet Weite, was jene begrüßen,      einer früheren Stufe – nämlich auf dem       Nichts davon ist per se illegitim. Nur:
die sich immer schon eingesperrt fühl-      Höhepunkt ihrer gefühlten historischen       Die eigenen Sehnsüchte als Zukunfts-
ten, vermittelt aber auch Schutzlosig-      Bedeutsamkeit.“2                             modelle von Kirche zu nehmen, funktio-
keit, was jene fürchten, die Schutz und     Man kann die Reformvorschläge für die        niert in Zeiten ruinierter kirchlicher
Sicherheit suchen.                          katholische Kirche danach einteilen,         Institutionalität nicht mehr. Zu leicht
Ruinen künden von vergangener Größe,        auf welchen konkreten „Höhepunkt             droht die projektive Falle, die eigenen
schaffen aber auch eine Landschaft von      der gefühlten Bedeutsamkeit“ sie sich        guten Erfahrungen mit Kirche, also
unbestreitbarem Reiz. Sie sind an ihrem     beziehen.                                    das, was man ihr verdankt und anderen
alten Ort, kontextualisieren aber Altes                                                  wünscht, eben den „Höhepunkt der
völlig neu. Es gibt manches vom Alten       Bei den Traditionalisten ist es die Kirche   gefühlten Bedeutsamkeit“, als Basis für
noch, aber es ist nicht mehr dasselbe,      des Tridentinums in ihrer Realisierung       eine mögliche Zukunft der Kirche zu
manches funktioniert noch in ihnen,         durch die Pianische Epoche von der           nehmen.
aber nichts mehr wie früher. Wer es sich
in ihnen bequem macht, so malerisch
sie sind, wird bald spüren, wie ausge-
                                               „  Die eigenen Sehnsüchte als Zukunftsmodelle von Kirche zu nehmen,
setzt er ist. Denn nichts Äußeres hält           funktioniert in Zeiten ruinierter kirchlicher Institutionalität nicht mehr.
mehr zusammen, was zusammenge-
hörte, es muss eine neue, eine innere
Kohäsion gefunden und entwickelt            Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahr-    Das ist die zentrale Erschütterung,
werden. Diese imaginäre Kohäsion ist        hunderts, ist es die Priesterkirche der      welche die aktuelle kirchliche Lage
reizvoll und setzt Phantasien frei, sie     Spitzengewänder und der barocken Ge-         dem Volk Gottes und vor allem seinen
ist aber auch flüchtig und prekär und       samtentfaltung kirchlicher Schönheit,        Zukunftsdenkern zumutet: Die eige-
zudem etwas sehr Individuelles.             Gottesgewissheit und innerkirchlicher        ne, als wertvoll und wichtig erfahrene
Nachdem sich die Machtverhältnisse          Macht, ist es die im letzten ästhetische     Kirche ist für die meisten Menschen
zwischen Individuum und religiösen          Vision einer kosmischen Bedeutsamkeit        dieser Gesellschaft offenkundig keine
Institutionen auch im katholischen Feld     der katholischen Kirche über und jen-        mögliche Kirche, und es ist aussichtlos,
gedreht haben und sich auch die katho-      seits aller konkreten Zeiten und Orte.       dies ändern zu wollen. Man wird dann
lische Kirche situativ und nicht mehr       Beim alltäglichen Gemeindechristen-          immer nur jene erreichen, die ungefähr
normativ vergemeinschaftet, gerät die       tum ist es die Pfarrfamilie, bei der die     so sind oder werden wollen, wie jene, die
klassische katholische Pastoralmacht in     Kinder ebenso froh in die Kirche gehen       noch in kirchlichen Zusammenhängen
ihre finale Krise und die Kirche in einen   wie die Eltern, ist es die mittelständi-     anzutreffen sind, und deshalb diese, in
ruinösen Zustand.                           sche Volkskirche der Anständigen und         sich zudem differenten, Sehnsüchte tei-
                                            Fleißigen, die sich um einen freundli-       len. Es ist aber nicht erlaubt, die Verkün-
Sehnsüchte                                  chen Priester schart, und die das Leben      digung des Evangeliums in Wort und
Wie aber gut wohnen in den Ruinen           alltäglich wie in den Krisensituationen      Tat an jene Realisationen zu binden, die
vergangener Machtsysteme? Die erste         stützt und begleitet. Paul Weß, der früh     bereits existieren, in dekonstruktiven
Voraussetzung: Man darf sich nicht          realisierte, dass sich dieses Konzept        Situationen ist es sogar existenzgefähr-
nach etwas sehnen, was es nie und nim-      mit volkskirchlicher Kontinuität nicht       dend.
Alles bleibt anders?! - Kirchenentwicklung als Kulturwandel - Januar 2018 - Pastoralplan
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Alle drei projektiven Sehnsüchte un-        Solche Orte gibt es, in der Caritas und      sche Wende“ des 4. Jahrhunderts etwa,
terlaufen die Pluralitäts-, Kontrast- und   der Kategorialpastoral, in der Liturgie      den Umbruch von der Spätantike zum
Entwicklungsproblematik von Kirche in       und für viele in Klöstern und bei geistli-   Frühmittelalter oder die Wende zur
der späten Moderne. Sie imaginieren –       chen Menschen. Es gibt sie sicher auch       Neuzeit mit den Reformationen. Aber
unterschiedlich zentrierte und unter-       in Pfarreien.                                auf dieser Ebene liegen die Herausforde-
schiedlich strukturierte – Einmütig-        Die zentralen geistlichen Kompetenzen,       rungen schon, und ohne echte Konflikte
keitsträume und Einmütigkeitsräume,         die man für die Gestaltung solcher Orte      wird es nicht abgehen – und auch nicht
die es innerhalb der Kirche(n) praktisch    braucht, sind liebende Aufmerksam-           ohne Demut, Scheitern und Schmerzen.
nie gegeben hat und in postmoder-           keit, Demut und Vertrauen. Liebende
nen Zeiten erst recht nicht oder nur        Aufmerksamkeit heißt, die Wirklichkeit       Dieser Beitrag wurde erstmals veröffent-
unter massiven (Ausschluss-)Kosten          wahrzunehmen, wie sie ist, und ihr so                  licht auf www.feinschwarz.net
geben kann. Heutiges Leben bedeutet,        wie sie ist, mit Liebe und Aufmerksam-
dass standardisierte Erwartungen auf        keit zu begegnen. Demut aber heißt,
nicht-standardisierte Wirklichkeiten        den anderen wichtiger zu nehmen als          1 Johannes Hoff, Spiritualität und Sprachver-
treffen.3 Alle drei Zukunftsmodelle aber    sich selbst, und Ermutigung durch            lust. Theologie nach Foucault und Derrida,
arbeiten mit der Imagination stan-          Vertrauen bedeutet, dem anderen ein          Paderborn u. a. 1999, 18.
dardisierter kirchlicher Sozialräume,       Stückchen mehr zuzutrauen, als er es         2 Harald Welzer, Selbst denken. Eine Anleitung
die versprechen, genau diese prekäre        eigentlich verdient hat.                     zum Widerstand, Frankfurt/M. 2013, 12f.
postmoderne Situation zu unterlaufen.                                                    Ich danke Hildegard Wustmans für den
Das macht ihre Faszination und ihr          Das wäre der neue pastorale Habitus,         Hinweis auf dieses Buch und Zitat.
Versprechen aus, ist aber eben auch der     der notwendig wäre: neugierig sein, auf-     3 Vgl. Heinz Bude, Die Gesellschaft der Angst,
Grund, warum sie nicht funktionieren:       merksam sein, zu Wagnissen ermuti-           Hamburg 2014.
Es sind Idyllen, die man da vorschlägt.     gen, Spontanität schätzen, Rollendistanz     4 So in seinem Artikel: Wo ist die Null-Linie?
Idyllen aber sind Verführungen, also        signalisieren, Freiräume geben, Fehlver-     Von der nötigen Demut im Kontakt mit dem
haltlose Versprechen; versucht man sie      suche akzeptieren, Vertrauen schenken        Unendlichen auf feinschwarz.net
zu realisieren, werden sie ganz schnell     knapp über das hinaus, was eigentlich
zu Höllen, in denen Abweichung Aus-         verdient wäre, und überhaupt die Freude
schluss, mindestens, bedeutet.              des Evangeliums nicht von anderen

Wie weiter?
Hans-Joachim Sander hat zu Recht
                                              „   Wo man sich zum Konzept des „Sich-Aussetzens“ vorwagt,
darauf hingewiesen, dass man nicht               zeigt sich heute schon, was kommen könnte.
unmittelbar von „den Zumutungen
zur Ermutigung“ übergehen kann,
„der Respekt vor der Demütigung der         fordern, sondern selber verkörpern. Das
Null-Linie“ vielmehr „resistent gegen       verlagert die Prüfstrecke: Nicht das ei-
die Versuchung von Utopie“4 machen          gene Erleben, sondern die Erfahrungen
sollte. Zwischen den Zumutungen der         der anderen sind der Ort, an dem die
Ruinen und der Ermutigung muss,             Zukunft der Kirche sich entscheidet.
geistlich gesprochen, die Demut, theolo-    Überall, wo die alte Herrschaftskatego-
gisch gesprochen, die erkenntnisoffene      rie „Überschaubarkeit“ verabschiedet
Sprachlosigkeit und organisationstheo-      wurde und dafür Dienstkategorien
retisch das Experimentieren liegen.         etabliert wurden und wo man sich zum
Der Weg der Kirche in die Zukunft           Konzept des „Sich-Aussetzens“ vorwagt,
führt mithin nur über eine Analyse          zeigt sich heute schon, was kommen
jener kirchlichen Orte, an denen sie        könnte. Man kann an jene pastoralen
unter postmodernen Kontexten „funk-         Orte anknüpfen, wo die von den kirchli-
tioniert“– und zwar im Sinne des            chen „Hirten“ immer schon geforderte
kirchlichen Auftrages, ein „Zeichen und     Selbstlosigkeit aus deren individueller
Werkzeug des Heils“ zu sein. Das sind       Standesethik in die pastorale Ereignis-
jene pastoralen Orte, wo man ehrlich        struktur gewandert ist.
und aufmerksam ist, wertschätzend und       Man darf auf das Volk Gottes vertrau-                                         Rainer Bucher
solidarisch, wo Kirche sich schmutzig       en. Ähnlich epochale Umbrüche hat                                           Universität Graz
macht, wo man Gott im Heute und             es schon einige Male gegeben, und das              Professor und Vorstand des Instituts für
nicht in der Vergangenheit oder der Zu-     Volk Gottes hat sie letztendlich dann            Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie
kunft sucht, um den Papst zu zitieren.      doch kreativ gestaltet: die „Konstantini-                         rainer.bucher@uni-graz.at
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Großes Engagement für kleine Persönlichkeiten
Ein neues Stadtteilprojekt, initiiert von den Kirchengemeinden in Dorsten-Hervest

Die Pfarreien in Dorsten-Hervest haben nach neuen Wegen gesucht, um den Stadtteil aktiv mitzugestalten.
Die hierbei entwickelte Kooperation mit dem bundesweiten Mentorenprogramm „Balu und Du“ ermöglicht
neue Formen der Zusammenarbeit mit anderen Partnern in der Stadt und stärkt das diakonische Profil der
Kirche vor Ort. Gleichzeitig wird so die Vernetzung jenseits des konkreten Projektes verbessert. Pastoralre-
ferent Kai Kaczikowski berichtet von der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte und markiert auch die Ver-
änderung in der Sicht auf die Menschen im Stadtteil und den sich hieraus ergebenden christlichen Auftrag
der Pfarrei.

Das Netzwerk „Balu und Du“                der freundliche Bär Balu zur Seite.        dern die Möglichkeit geboten werden,
Ein jeder kennt wohl das Dschungelbuch    Diese Geschichte steht als Namenspate      zahlreiche Abenteuer zu erleben, Neues
– jene berühmte Geschichte von Rudyard    für das bundesweite Netzwerk „Balu         zu entdecken, Fragen zu stellen, die Welt
Kipling, in der das kleine Menschenkind   und Du e. V.“ mit Sitz in Köln. Auch in    um sich herum verstehen und kennen
Mogli zunächst im Dschungel auf-          unserer Welt gibt es Kinder, die davon     zu lernen – und eine Vertrauensperson
wächst, jedoch mit Hilfe neuer Freunde    profitieren können, wenn ihnen ein gro-    zuverlässig bei sich zu wissen. Daher hat
schließlich den Weg zurück in die Men-    ßer Freund zur Seite steht und mit ihnen   sich das Programm von „Balu und Du“
schenwelt findet. Auf diesem Weg durch    gemeinsam die Welt entdeckt. Wie Mogli     zum Ziel gesetzt, mit über 80 verschie-
den Dschungel steht Mogli insbesondere    im Dschungelbuch soll auch diesen Kin-     denen Standorten in Deutschland vielen
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Moglis unserer Welt ebenfalls ihren         andere Institutionen um diese Kinder        Organisationen und interessierte Bürger)
ganz persönlichen Balu an die Seite zu      kümmern können. Es folgte die Grün-         stimmten einstimmig der Vorstellung
stellen. Dies geschieht dadurch, dass       dung einer neuen Projektgruppe, die         des Konzeptes von „Balu und Du“ in
Kindern im Grundschulalter Jugendli-        vom Pastoralreferenten der drei Her-        Dorsten-Hervest zu und gaben „grünes
che oder junge Erwachsene als Mento-        vester Gemeinden initiiert wurde und        Licht“ für eine einjährige Pilotphase
rinnen und Mentoren vermittelt werden,      bis heute geleitet wird, sowie die Suche    unter der Trägerschaft der Stadtteilkon-
die sich mit „ihrem“ Mogli regelmäßig       nach weiteren Akteuren und Koopera-         ferenz.
ehrenamtlich und im außerschulischen        tionspartnern im Stadtteil. Die überaus     Doch zunächst galt es erst einmal, Schü-
Bereich treffen. Als Balus (die über wei-   positive Erfahrung bei der Suche war,       lerinnen und Schüler als „Balus“ am
terführende Schulen, Fachhochschulen        dass gegenüber dem entwickelten neuen       Paul-Spiegel-Berufskolleg anzuwerben.
oder Universitäten gewonnen werden)         Stadtteilprojekt („Balu und Du“ – Orts-     Dies wurde im Rahmen einer Info-Ver-
sind sie ebenfalls große Freunde mit
Vorbildcharakter, Ratgeber, Spielkame-
raden, Zuhörer oder auch Beschützer.
                                              „   Ausgangspunkt war, dass Kirche in dieser Zeit neue und ungewohnte
Sie sind es, denen die Moglis ihre Sorgen        Wege gehen muss, den Stadtteil aktiv aus christlicher Sicht mitzuge-
anvertrauen können, und mit denen sie            stalten, zu prägen und so das Evangelium zu verkünden.
eine schöne Zeit verbringen. Auch im
Stadtteil Dorsten-Hervest, den die drei
Gemeinden St. Josef, St. Marien und         gruppe Dorsten-Hervest) überall große       anstaltung im Fachbereich Sozialpäda-
St. Paulus umfassen, gibt es Kinder, die    Offenheit und Bereitschaft zum Engage-      gogik (angehende ErzieherInnen) um-
davon profitieren können, wenn ihnen        ment signalisiert wurde.                    gesetzt. Insgesamt meldeten sich zum
im „Dschungel des Alltags“ ein großer       Neben den ortsansässigen Grundschu-         Projekt-Start siebzehn Schülerinnen und
Freund verlässlich zur Seite steht und      len und einer Förderschule lag es für die   ein Schüler für „Balu und Du“. Nach
mit ihnen gemeinsam die Welt entdeckt.      Suche nach den Balus auf der Hand, das      der Auswahl der Grundschulkinder und
                                            Paul-Spiegel-Berufskolleg in Hervest für    der Bereitschaft der SchülerInnen gab
Der Kairos für neue Wege der Pastoral       eine Kooperation anzufragen.                es ein sogenanntes „Matching-Treffen“,
Ausgangspunkt für dieses, nicht auf den                                                 bei dem je nach Wohnort und Interessen
ersten Blick kirchliche, Engagement war     Die Projekt-Partner                         die Zuordnung der Gespanne gebildet
der Ansatzpunkt im Pastoralteam, dass       Die neue Projektgruppe umfasst folgen-      werden konnte. So startete das Mento-
Kirche in dieser Zeit neue und unge-        de Institutionen/Organisationen und         renprogramm nach der Zuordnung im
wohnte Wege gehen muss. Das heißt,          Aufgaben:                                   Jahre 2016 nach den Herbstferien.
dass die katholischen Kirchengemein-        •• Katholische Kirchengemeinden
den in Hervest den Anspruch haben,             St.Josef, St. Marien und St. Paulus      Vorbereitung und Begleitung
den Stadtteil aktiv aus christlicher           (Initiator)                              Neben den regelmäßigen Treffen in der
Sicht mitzugestalten, zu prägen und so      •• Albert-Schweitzer- und Augusta-          Freizeit verpflichteten sich die jungen
das Evangelium zu verkünden bezie-             Grundschule (Auswahl und Beglei-         Leute zu einem wöchentlichen Seminar
hungsweise ihm ein Gesicht zu geben.           tung der Moglis)                         in der Schule zusätzlich am Nachmittag
Daraus entwickelte sich der diakonale       •• von-Ketteler-Förderschule (Auswahl       und zu einem Online-Tagebuch. In den
Ansatz für das Stadtteilprojekt, das           und Begleitung der Moglis)               Seminarstunden werden unter Anlei-
den Gemeinden einen neuen Blick auf         •• Mobile Jugendhilfe (Auswahl und          tung der Lehrerin und Projektkoordina-
benachteiligte Kinder in Hervest gibt          Begleitung der Moglis)                   torin die SchülerInnen auf die Treffen
und das schon bestehende Netzwerk           •• Paul-Spiegel-Berufskolleg (Auswahl       vorbereitet, es gibt einen Austausch
unterschiedlicher Akteure ausbaut.             und Begleitung der Balus und Projekt-    unter den Balus, und es werden Prob-
Die kirchlichen Vertreter nahmen die           koordination)                            leme und Schwierigkeiten besprochen.
„Zeichen der Zeit“ im Herbst 2015 zum       •• Mr. Trucker Kinderhilfe (Sponsor)        Das Online-Tagebuch dient dazu, die wö-
Anlass, als auf der Tagung der Stadtteil-                                               chentlichen Aktivitäten zu beschreiben
konferenz in Hervest in der Diskussion      Das Projekt wird konkret                    und bietet die Möglichkeit, bei auftre-
um die Versorgung der Flüchtlinge           Die Mitglieder der Projektgruppe ent-       tenden Problemen schnell reagieren zu
allgemeiner Konsens herrschte, auch         wickelten nach dem ersten Treffen ein       können.
andere benachteiligte Kinder im Stadtteil   Konzept für eine neue Ortsgruppe in         Während das Projekt an Fahrt aufnahm
nicht zu vergessen. Daraufhin wurde im      Dorsten, nahmen Kontakt zur Ge-             und die ersten positiven Rückmeldun-
Arbeitskreis „Flüchtlinge“ neben vielen     schäftsstelle von „Balu und Du“ in Köln     gen aus den Familien zu hören waren,
Maßnahmen für diese Gruppe auch das         auf und stellten dies der Stadtteilkonfe-   konzipierte das Projekt-Team weitere
bundesweite Mentorenprogramm „Balu          renz in Hervest im Frühjahr 2016 vor.       gemeinsame Aktivitäten. So entstand
und Du“ von kirchlicher Seite als ein       Die anwesenden Mitglieder (Vertreter        ein gemeinsames Treffen im Advent im
Modell vorgestellt, wie sich Kirche und     unterschiedlicher Vereine, Institutionen,   Pfarrheim von St. Agatha mit anschlie-
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ßendem Eislaufen („Moglis on Ice“), ein       zukünftigen Gespanne mit dem Pro-
Ausflug zum Frankenhof im Frühjahr            jekt-Team sollen den Start erleichtern.
und ein gemeinsames Abschlussfest mit
Zauberer und Clown im Sommer.                 Wechselseitige Lernerfahrungen
                                              Für die beteiligten Kirchengemeinden
Abschluss des ersten Durchlaufs               hat sich gezeigt, dass durch dieses Pro-
Bei diesem Treffen wurden auch die            jekt viele Synergien im Stadtteil geweckt
Moglis mit einer „Balu und Du“- Medail-       und gestärkt wurden.
le und die Balus mit einem offiziellen
Ehrenamtsnachweis des Landes NRW              •• Die bestehende Verzahnung der
geehrt. Da die Treffen jeweils ein Jahr          Akteure im Stadtteil (Lehrer und
andauern, steht es nach dem Abschluss-           Schulsozialarbeiter an den beteiligten
fest allen frei, sich weiterhin zu treffen,      Schulen, Sozialarbeiter der Mobilen
was von gut der Hälfte aller Gespanne            Jugendhilfe und Vertreter der Mr.
auch wahrgenommen wird. Selbst wenn              Trucker Kinderhilfe) wurde deutlich
regelmäßige Treffen nicht mehr möglich           verbessert.
sind, entsteht doch oft ein bleibender        •• Die gezielte Auswahl der Kinder aus
Kontakt, der sich in gelegentlichen Tele-        benachteiligten Familien ermöglicht
fonaten, Urlaubspostkarten und anderen           einen Blick und einen Austausch über
freundschaftlichen Beziehungen zeigt.            die betroffenen Familien, der ansons-
                                                 ten nicht gegeben wäre, und der mitt-
Das bundesweite Projekt „Balu und Du“            lerweile weitere Anfragen unterschied-
wird von Anfang an von der Geschäfts-            licher Art an Kirche ergeben hat.
stelle in Köln engmaschig begleitet.          •• Nicht zuletzt nehmen die Akteure
Die MitarbeiterInnen stehen besonders            und besonders die jungen Leute vom
zum Projektstart, aber auch im Verlauf           Paul-Spiegel-Berufskolleg an einem
mit einer qualifizierten Beratung und            Projekt teil, das von der katholischen
Begleitung, einem Materialfundus für             Kirche im Stadtteil initiiert und beglei-
die Seminare sowie einem umfassenden             tet wird. So gewinnt Kirche vor Ort an
Versicherungsschutz für alle Beteiligten         Profil und bekommt für Menschen ein
zur Seite.                                       neues Gesicht.

Auch von wissenschaftlicher Seite wurde       Das Projekt von „Balu und Du“ in Dors-
das Mentorenprogramm bereits mehr-            ten-Hervest zeigt, dass die katholische
mals untersucht, begleitet und evaluiert.     Kirche sich den gesellschaftlichen Fra-
Beispielsweise konnte eine deutliche Ver-     gen stellt, sich aktiv einmischt und den
besserung im Verhalten und in den All-        Stadtteil bewusst mitprägt. Frei nach
tagskompetenzen der Moglis (wie etwa          dem Motto: Mit Christus in der Mitte –
Selbsteinschätzung, Konzentration und         für die Menschen dieser Zeit und dieses
Selbstvertrauen) nachgewiesen werden.         Stadtteils!
Aber auch die Balus können durch die-
ses Angebot ihre Schlüsselkompetenzen
(Einfühlungsvermögen, verantwortungs-
volle Sorge, kreative Problemlösungen)
erweitern.

Obwohl nicht alle Balus das ganze Jahr
(aus persönlichen oder schulischen
Gründen) durchgehalten haben, wird es
dennoch eine Weiterführung des Pro-
jekts geben. Zurzeit läuft es jedoch ohne
eine aktive Beteiligung des Paul-Spie-
gel-Berufskollegs, da sich nur wenige
Balus auf das Projekt einlassen konnten.                                        Angela Prang                        Kai Kaczikowski
Besonders die erste Kontaktaufnahme           Projekt-Koordinatorin, Paul-Spiegel-Berufskolleg   Projekt-Initiator und Projekt-Leiter
durch ein gemeinsames Treffen aller                    a.prang@paul-spiegel-berufskolleg.de      kaczikowski@bistum-muenster.de
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Laboratorium – Gottesdienst anders
Neue Wege der Gottesdienstgestaltung in Friesoythe

In der Pfarrei St. Marien in Friesoythe bereitet seit Jahren ein Team aus Hauptberuflichen und freiwillig
Engagierten alternative Gottesdienste vor. Dieses “Laboratorium – Gottesdienst anders“ genannte
Format besticht durch eine Vielfalt an biblischen, methodischen, musikalischen und gestalterischen
Variationen. Anja Runden, Sabine Orth und Martin Kröger stehen in einem Interview mit Andreas Fritsch
Rede und Antwort. Deutlich wird: Dort, wo die Verbindung von Lebensthemen und liturgisch vielfältigen
Formen gelingt, sind Menschen auch heute ansprechbar.
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Beschreiben Sie bitte Ihr Projekt Labo-    in unseren Gottesdiensten sich darauf      Inwiefern ist Ihnen eine neue Qualität
ratorium – Gottesdienst anders.            einlassen können. Diese Erfahrung          der Partizipation vor allem derjenigen
                                           hat einerseits dazu geführt, dass auch     gelungen, die Sie als Zielgruppe im
Anja Runden: Wir sind eine kleine          in den klassischen Liturgien entspre-      Blick haben?
Gruppe von Haupt- und Ehrenamtlichen,      chende Formen und Elemente Einzug
die sich zusammengefunden haben, um        gehalten haben, andererseits hat sich      Sabine Orth: Wer ist die Zielgruppe,
eine andere, neue Form des Gottes-         die Vorstellung verändert, was als Got-    muss zuerst gefragt werden. Unsere
dienstes zu feiern. Wir sind der Mei-      tesdienst gelten kann. Die Leitung von     Zielgruppe sind alle Christen, die
nung, dass es mehr Menschen gibt, die      „Nicht-Eucharistiefeiern“ als geteilte     eine andere Form von Gottesdiensten
glauben, als die, die sonntags unsere      Leitung von Klerikern und Laien, von       suchen und sich mit der klassischen
Gottesdienste besuchen. Vielleicht war     hauptamtlich und freiwillig Enga-          Form etwas schwertun. Bei unseren
es auch einfach eine Sehnsucht, die        gierten, scheint akzeptiert. Insgesamt     Gottesdiensten braucht man keine Vor-
tief in jedem von uns steckte, etwas       führen die Erfahrungen mit dem La-         kenntnisse, da sie immer anders gestal-
Anderes, Neues, Bewegendes auszu-          boratorium dazu, dass weitere Fragen       tet sind und daher alle unwissend sind,
probieren. So machten wir uns Anfang       mit Blick auf die Zukunft auf brechen.     was oder wie es abläuft. Wir muten
2010 auf den Weg … einmal im Quar-         Eine Frage ist, wie wir und in welchen     unseren Besuchern so ziemlich alles
tal auf einem Freitagabend feiern wir

                                                   „
einen Laboratoriums-Gottesdienst. Das
Feedback unserer Besucher gibt uns
                                                       Einfach mal der eigenen Spiritualität Raum geben.
recht! Wir sind immer noch auf dem
Weg! Das freut uns besonders. Gerade
deshalb macht es Spaß, immer wie-
der neue Ideen und Inspirationen zu        Räumen wir in Zukunft Liturgie feiern      zu, aber keiner muss alles mitmachen.
verwirklichen. Einfach mal der eigenen     möchten? Je nach Antwort hat dies          Das ist das Besondere, denn viele wol-
Spiritualität Raum geben. Unser Got-       Konsequenzen bis in die Gestaltung/        len sich auch gerne aktiv beteiligen und
tesdienst passt in die heutige Zeit und    Renovierung von Kirchenräumen hi-          einbringen, was uns selber oft über-
berührt.                                   nein. An dieser Frage arbeiten wir seit    rascht. Es sind alles schon „Schwarz-
                                           einiger Zeit sehr konkret.                 brotesser ihres Glaubens“. Wir nehmen
Was ist hieran neu, anders, jenseits der                                              sie ernst, wir trauen ihnen was zu!
Routine in Ihrer Pfarrei?                  Hat Ihr Praxisbeispiel zu einem neuen
                                           Miteinander von Hauptberuflichen und       Woran wird erfahrbar, dass Menschen
Martin Kröger: Ein Teil des jetzigen       freiwillig Engagierten geführt? Wenn ja,   sich besonders gut mit ihren Talenten
Teams sammelte zunächst Erfahrun-          woran wird dies erfahrbar?                 einbringen können?
gen mit der thematischen Gestaltung
von Eucharistiefeiern. Es machte sich      Anja Runden: Ich kann da von meinen        Sabine Orth: Das wird in der Vorbe-
zunehmend ein Unbehagen breit, weil        eigenen Erfahrungen sprechen. Als          reitung klar, indem jeder/jede Ideen
der gegebene Rahmen sich immer             ich damals den ersten Gottesdienst         einbringen kann und die eigenen
mehr als zu eng erwies und viele Kom-      gesehen und miterlebt habe, war ich        Beziehungen, Kontakte zu anderen
promisse nötig machte. Der Schritt in      sehr angetan von der Idee und habe         Unterstützern einbringt. In der Aus-
das weitere Format „Wort-Gottes-Feier“,    mich angesprochen gefühlt. Dann habe       gestaltung der Gottesdienste, in denen
der Schritt zur „geteilten Gottesdienst-   ich in den Pfarrnachrichten gelesen,       jede/r die Funktion übernimmt, die er
leitung“, der Einbau neuer Elemente,       dass diese Gruppe für helfende Hände       /sie gerne ausüben möchte. Darüber
die Zusammenarbeit mit unterschied-        immer offen ist. Seitdem arbeite ich als   hinaus haben wir bei uns neue Talente
lichsten Musikern und das „Mitein-         Ehrenamtliche im Team Laboratorium         entdeckt, zu deren Entfaltung wir uns
ander-Ringen“ um Inhalte und Form          mit. Es macht sehr viel Spaß. Ich mer-     auch fortgebildet haben.
im Team machen den entscheidenden          ke, dass ich andere Ideen hineinbrin-
Unterschied.                               ge, die auch gehört werden. Eine tolle     Anja Runden: Unter anderem spielt die
                                           Erfahrung.                                 Musik bei uns eine große Rolle. Wir
Zu welcher Veränderung hat Ihr neues                                                  stellen immer wieder fest, wie wichtig
Gottesdienstformat geführt? Was ist        Sabine Orth: Ja, es ist ein Miteinander    dieser Teil des Gottesdienstes bei uns
seitdem anders?                            auf Augenhöhe. Vielleicht liegt es auch    ist. Wir haben keine feste Musikrich-
                                           daran, dass die entzündende Idee von       tung, sind für alles offen und geben je-
Martin Kröger: Wir haben mit ver-          Ehrenamtlichen kam, die sich mit Be-       dem (auch jungen Nachwuchstalenten)
schiedensten Formen und Gestaltungs-       gleitung von Hauptberuf lichen zu dem      eine Chance. Auch bei der Liedauswahl
elementen experimentiert und die           heutigen Projekt Laboratorium – Got-       beziehen wir die Musiker mit ein. Sie
Erfahrung gemacht, dass die Menschen       tesdienst anders entwickelt hat.           haben oft ein gutes Gespür dafür, wel-
16                   Unsere Seelsorge

che Lieder zu unserem Thema passen         nander umgehen“ – vielleicht ist das        dem bisher Bestehenden wachsen
könnten. Darauf vertrauen wir.             die Basis, die die Auseinandersetzung       soll? Welche Erfahrungen haben Ihnen
                                           mit der Frohen Botschaft möglich            geholfen und sind wichtig gewesen?
Martin Kröger: Unsere Gottesdienste        macht.
brauchen viel „Support“ auf unter-         Vermutlich auch die Folge unserer           Sabine Orth: Von Anfang an waren
schiedlichsten Ebenen. Menschen un-        Auseinandersetzung im Team mit der          wir darauf bedacht, keine Konkurrenz
terstützen uns mit ihren Talenten und      Frohen Botschaft von einem Gott, der        zum klassischen Programm zu sein,
Ressourcen. Das reicht vom Fotografen,     bedingungslose Annahme gewährt.             sondern eine ergänzende Erweiterung
über Catering, über das Schreiben                                                      des Angebotes der Pfarrei. Wir haben
von Beiträgen für die Pfarrnachrich-       Ist es gelungen, mit diesen Gottes-         den Pfarreirat immer informiert und in
ten, über die Mitwirkung im Gottes-        diensten Menschen jenseits der klas-        unser Vorhaben eingebunden, denn die
dienst selbst, über eine Wagenladung       sischen Kerngemeinde zu gewinnen, zu        Ursprünge entstammten einer Arbeits-
Grünpf lanzen vom Gärtner, über die        interessieren?                              gruppe des Pfarreirates. Wir sind be-
Ausleihe von 25 Kubikmetern Styropor                                                   wusst auf eine nicht kirchlich besetzte
durch einen Baustoff händler, über         Sabine Orth: Ja, durch unsere groß-         Zeit, den Freitagabend gegangen, um
handgeschmiedete Nägel für das Kreuz       artige Werbung: Website, Facebook,          niemandem in die Quere zu kommen.
vom „Stadtschmied“, über 350 handge-       Plakate (sind schon Sammlerobjekte),        Und einfach machen, anfangen, trotz
sägte Holzkreuze und vieles mehr bis       Postkarten, Bierdeckel, Auf kleber,         vieler Bedenken von anderer Seite. Die
                                                                                       große Nachfrage gibt uns recht, dass

         „   Und einfach machen, anfangen, trotz vieler Bedenken.
                                                                                       vielen Menschen unser „Gottesdienst
                                                                                       anders“ vorher gefehlt hat und sie auf
                                                                                       der Suche nach einer anderen Form
                                                                                       waren.
hin zur Ausleihe eines großformatigen      Zeitungsartikel, Schirme, Aufnäher.
Fernsehers durch einen lokalen Elek-       Durch die musikalische Gestaltung,          Martin Kröger: Aus England stammt
tronik-Fachhändler inklusive Trans-        für die wir unterschiedliche Künstler       der Begriff der „mixed economy“, der
portleistungen.                            zu Gast hatten, von der Rockband bis        das Nebeneinander von klassischen
                                           zur Blaskapelle, die wiederum auch          und neuen Formaten beschreibt. Wir
Offensichtlich hat die Auseinander-        ihre Fans mit sich ziehen. Durch            stehen, was die Spannung angeht,
setzung mit der Frohen Botschaft eine      unsere Themen, wovon sich Menschen          sicher an einem Punkt, an dem die
besondere Bedeutung gehabt, sei es         angesprochen fühlen, die sonst nicht        Schätze des bisherigen Weges noch
durch eine ausdrückliche und sichtbare     mehr zur Kirche gehen, einer anderen        einmal gehoben werden müssen. Je
Form, sei es dadurch, dass dies für alle   Pfarrei oder Konfession angehören.          nachdem, wie man den Ertrag des bis-
Beteiligten spürbar wurde?                                                             her zurückgelegten Weges einschätzt,
                                           Sind neue Formen der Kooperation            könnten sich weitere Konsequenzen
Sabine Orth: Ja, definitiv. Unsere         unterschiedlicher Gruppen sowie neue        für die Ausdifferenzierung des liturgi-
lebensnahen Themen sind immer un-          Formen der Kommunikation wichtig            schen Angebotes und Konsequenzen
terfüttert und verwoben mit der Frohen     gewesen oder geworden?                      für die Zuteilung von Ressourcen erge-
Botschaft, deren Verkündigung uns                                                      ben. Geholfen hat uns auf dem bishe-
am Herzen liegt. Immer wieder rücken       Sabine Orth: Für jeden neuen Gottes-        rigen Weg sicherlich ein hohes Maß an
wir auch Bibelstellen in den Fokus, die    dienst werden neue Kooperationspart-        Transparenz und Rückbindung an die
unbekannt sind, uns aber auch heute        ner gesucht, sei es für das Catering, für   pfarrlichen Gremien und vor allem die
noch weiterhelfen können.                  die Dekoration, für die Musik oder für      positive Resonanz.
                                           ein bestimmtes Thema. Das geht über
Anja Runden: Zudem machen wir die          die vorbereitende Kommunikation über        Welche Lernerfahrungen sind aus Ihrer
Erfahrung, dass auch unsere Besucher       Facebook bis hin zur Kooperation mit        Sicht von so zentraler Bedeutung,
des Gottesdienstes immer wieder nach       örtlichen Restaurants im Nachklang          dass diese auch in Zukunft bei Ihnen
der Frohen Botschaft suchen.               eines Gottesdienstes. Im Vorfeld gab es     Berücksichtigung finden sollten?
                                           schon Interviews auf der Straße oder
Martin Kröger: Ich glaube, dass die        auch Exkursionen zu anderen Grup-           Sabine Orth: Die Freiheit der Ge-
Gottesdienstbesucher sich ohne Bedin-      pen, Pfarreien, Kirchen, um von ihnen       staltung ist für mich von zentraler
gung angenommen fühlen. Das fängt          zu lernen und mit ihnen Erfahrungen         Bedeutung, denn sie ist verankert im
mit der Begrüßung an der Eingangstür       auszutauschen.                              christlichen Glauben mit dem Ziel, die
an und endet oft im Gespräch über                                                      Themen der Menschen in Verbindung
Gottesdienstinhalte in kleinen Runden      Wie würden Sie die Spannung beschrei-       mit der Frohen Botschaft zu bringen.
nach dem Gottesdienst. „Gut mitei-         ben, die entsteht, wenn Neues neben         Eine wichtige Lernerfahrung war für
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