87 Im Wandel getragen Alte und neue Rituale entdecken - Missionarische Dienste
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PERSPEKTIVEN 87 MAGAZIN FÜR GLAUBEN, LEBEN UND GEMEINDE Im Wandel getragen Alte und neue Rituale entdecken
2| IM WANDEL GETRAGEN Inhalt Das Abo 3 › Ein Abo der PERSPEKTIVEN ist kostenlos Editorial und unverbindlich. 4 Rituale im Alltag, im Jahreslauf, an besonderen Orten › Sie können Ihr Abo jederzeit ändern, erweitern 6 Gewohnt gut – Rituale oder kündigen. 7 Ein großes Schiff legt am Hafen ab › Die PERSPEKTIVEN sind ein Magazin für Glauben, Leben und Gemeinde; sie erscheinen ca. 2x jährlich. 10 „Wir müssen noch unser Lied singen“ Manchmal gibt es ergänzend eine Sonderausgabe. 12 Prüfungssegen tut Jugendlichen gut › MD aktuell ist ein Newsletter mit Infos zur Arbeit 14 Rituale in der Arbeitswelt der Missionarischen Dienste Württemberg; 18 Rituale bei Tod und Bestattung er erscheint etwa 3x jährlich. 20 Interview: Wenn der Tod Teil des Berufslebens ist › Sie können jede Publikation auf Papier gedruckt 24 Tiere, Fahrzeuge, Gebäude – Segen für alle(s)? oder digital beziehen. 25 Du sollst ein Segen sein: Biblischer Impuls Ihr direkter Weg zum ABO: 26 Typisch Kirche Die Abo-Seite im Internet 28 So wie Jesus am Jordan http://mdwue.de/aboservice 30 Dem Himmel so nah 32 Alternativ: Dieses Formular ausfüllen, abfotografieren Gottesdienst im Wandel: Kirche Kunterbunt und per Mail an margret.illi@elk-wue.de senden: 34 Braucht Spiritualität Inszenierung? 36 Interview: Sprache schafft Bilder und Wirklichkeit Ihre Kontaktdaten 39 Der schönste Tag im Leben Name: 40 Familienfest mit prägender Wirkung Mailadresse: 41 Valentins-Event für Brautpaare 42 Kirche auf der Hochzeitsmesse Bei einem Papier-Abonnement brauchen wir 44 Die Konfirmation – Verbindung zwischen Generationen Ihre Postadresse: 46 Mein Kind wird konfirmiert! Straße/Hausnr: 49 „O du fröhliche“ im Stadion unter dem Fernsehturm 50 Die Kapelle der Arena auf Schalke PLZ und Ort: 45 Bibel aktuell: Ihre Wahl Wenn das innere Feuer brennt Ich will die PERSPEKTIVEN, das Magazin abonnieren: 50 Spirituelle Begegnungen mit der unsichtbaren Welt Digital Papier 58 Immer wieder: Gottes Licht hinter den Schatten entdecken 59 Beten ist Beziehungspflege Ich will MD aktuell, den Newsletter mit Infos zur Arbeit 62 Gott das Herz ausschütten der Missionarischen Dienste Württemberg, abonnieren: 64 FreshX als neue Form geistlicher Gemeinschaft Digital Papier 66 Mein Pilgerweg im Alltag 67 Impressum und Kontakte 67 Zu guter Letzt
IM WANDEL GETRAGEN | 3 AUCH WENN DIE ZEIT UNS GRAD FORDERT / GIBT ES HOFFNUNG NOCH / DASS DER TAG KOMMT, / AN DEM ALL DAS VORBEI IST / UND DIE WELT MACHT WIEDER AUF / UND WIR SEHEN UNS ALLE WIEDER … – BAND SILBERMOND IM MÄRZ 2020 Liebe Leserinnen und Leser der PERSPEKTIVEN, das hat die Band Silbermond während des ersten typisch kirchliche Feiern wie Taufe oder Familien- Shutdowns der Corona-Pandemie im März 2020 gottesdienste neu gedacht werden? Spannend gesungen und damit ein Lebensgefühl ausgedrückt, und umstritten wird es im dritten Schwerpunkt › dem viele Menschen noch lange recht geben: Die S.34 unter der Überschrift „Braucht Spirituali- eigenen Gewohnheiten, das eigene Selbstverständnis, tät Inszenierung?“ Braucht‘s denn das, dass Spiri- das Beziehungsleben und alle Zukunftspläne – nichts tualität bei Gottesdiensten, Konfirmationsfeiern, scheint mehr verlässlich, sicher, planbar zu sein. Wie Hochzeiten inszeniert werden in einem Labyrinth suchen wir einen Ausweg in die muss? Da finden sich dann auch Weitere Informationen zum Abonnieren der PERSPEKTIVEN Zukunft. Jeder für sich, jede Gemeinde, Kleingruppe Tipps, wie Familien etwa der finden Sie auf Seite 2 und wir als Gesellschaft im Ganzen. Dazu kommen Bedeutung ihrer Konfirmation die Herausforderungen des eigenen Lebens, die ja Ausdruck verleihen können. Wie inszeniert Gel- nicht weniger geworden sind. Das Lebensgefühl bis senkirchen auf Schalke Glauben? Und schließlich in die mittlere Lebenshälfte ist davon geprägt, in ei- führt Dieter Kern unter der Fragestellung „Spiri- ner verlorenen Zeit zu leben: Wann fängt das Leben tuelle Begegnungen mit der unsichtbaren Welt“ wieder an? › S.56 in eine Beziehungswelt der besonderen Art ein. Wie kann das Beziehungsleben mit Gott lebendig Rituale prägen unser Leben. Vom täglichen „Grüß werden bzw. bleiben? Welche Gewohnheiten kön- Gott“ oder „Moin“ übers Zähneputzen bis hin zum nen dabei helfen? Aufhorchen beim Läuten der Kirchenglocken. Wenn sich unsere Rituale ändern, verändert das Auf der Suche nach Sinn, Hoffnung und Leben loten Leben seine Richtung. Denn es ist geprägt von diesen wir im Labyrinth der Möglichkeiten auf 68 Seiten be- bedeutsamen Gewohnheiten, die wir so gerne unter- kannte und neue Wege aus. Wir sind gespannt auf die schätzen. In diesem Magazin für Glauben, Leben und Erfahrungen, die Sie als Leser damit machen. Denn Gemeinde machen wir uns auf die Suche danach, wie Gottes Welt wartet hinter dem Schleier des Gewohn- Rituale sprechen, wieder neu zu uns sprechen können. ten überall darauf, von uns entdeckt zu werden, Der erste Blick geht dabei auf unsere Alltagsrituale Ihr und Rituale im Jahreslauf. Steffen Kaupp leitet die Jugendkirche CHOY und bringt diese Fragen auf den Punkt › S.6. Wir beleuchten Rituale – vom Arbeits- leben bis hin zum Bestattungswesen. In einem zweiten Schwerpunkt › S.26 spüren wir kirchlichen Thomas Wingert, Redaktionsleiter, Gepflogenheiten nach. Wie sieht das aus, wenn mit dem ganzen Redaktionsteam Hier können Sie die Silbermond-Songs hören: ‚Machen wir das Beste draus‘ ‚Ein anderer Sommer‘
IM WANDEL GETRAGEN | 5 Rituale prägen unseren Lebensrhythmus. Sie begegnen uns auf Schritt und Tritt: im Alltag, im Jahresablauf, an entscheidenden Stationen unseres Lebens. Und es kann immer wieder passieren, dass Gott uns im Vertrauten entgegenkommt und uns beschenkt.
6| IM WANDEL GETRAGEN Gewohnt gut – Rituale Tor! Die Spieler jubeln und umarmen sich kurz. Und nach Wie eine Tasse Kaffee: Vitamine für die Seele dem Sieg tanzt die Mannschaft einen Freudentanz auf dem Ein Alltag, der sich ständig wandelt und mich so Spielfeld ... Corona stellte vieles auf den Kopf. Doch eben ständig zu neuen Entscheidungen drängt, kann nicht alles: Unsere Fußballer können doch nicht ganz anders, krank machen. Rituale mit ihren Wiederholungs- als sich auf diese gewohnte Weise zu freuen. Das zeigt: situationen wirken hier wie Vitamine für die ge- Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Gewisse Regeln und stresste Seele. Ich muss mir nicht den Kopf darüber Muster im Verhalten sind gesetzt. zerbrechen, wie wir das Osterfest nächstes Jahr fei- ern: Gesetzt ist (bzw. Ritual ist), dass die Verwandt- Wir sind vertraut mit ganz bestimmten Handlun- schaft sich zum leckeren Speisen trifft und dass die gen im eigenen Leben und im Zusammenleben mit Kinder das versteckte Osternest suchen werden. anderen. Intuitive Handlungsprogramme zeichnen Wie im letzten Jahr. uns aus, die wir erlernt und tief in unserem Innern abgespeichert haben. So werden Persönlichkeiten Und fürs nächste Ritual muss ich nicht bis Ostern geformt, aber auch Rangordnungen ausgewiesen, warten: Selbstverständlich brauche ich zu meinem biographische Übergänge mit Konfirmations- oder Frühstück „meine Tasse Kaffee“ und/oder eine Trauritualen gemeistert, Regierungen eingesetzt, Zigarette. Bei frommen Menschen können es auch die Soldaten vereidigt, Menschen beerdigt – oder Losungen sein. Dann bin ich bei mir angekommen – schlicht täglich Zähne geputzt. Immer wiederholen und kann in den Tag starten. Niemand findet sich gewisse Dinge und Handlungen. Heimat, der ständig aus dem Koffer leben muss. Ansprechende Wiederholungen Rituale lassen uns also handeln, wie wir schon im- Diese zum Teil seit der Kindheit gewohnten und mer handelten. Sie tragen eine entlastende Selbst- kulturell gefärbten Aktionen und Interaktionen verständlichkeit ins Leben, die sowohl mein ICH als bezeichnen wir als „Rituale“: Sie lassen uns in ge- auch unser Zusammenleben formt. Was ich wieder- wohnter Weise Leben und Zusammenleben gestal- hole, gehört zu mir und macht mich aus. So gewinne ten. Mit ihnen erfahren wir in den alltäglichen wie ich durch persönliche wie soziale Rituale Stabilität in den religiösen Zonen unseres Lebens und Kontinuität: Immer neu werde ich Wiederholungssituationen, die für uns RITUALEN ich und gehöre zu einer Gemeinschaft etwas bedeuten und sprechend sind. WOHNT STETS EIN inmitten aller Veränderung. Ich gewin- Ritualen wohnt stets ein kommunikati- KOMMUNIKATIVER ne Traditionen - und damit Verhaltens- ver symbolischer Mehrwert inne. Beim SYMBOLISCHER sicherheit und emotionale Bestätigun- Begrüßungsritual gebe ich dir die Hand MEHRWERT INNE gen. Rituale tun einem Menschenleben und vermittle dir dadurch: „Willkom- gut. Sie bergen mich bei Übergängen men – schön, dass du da bist!“ (In Corona-Zeiten in meiner Biographie: Die Konfirmation adelt mich abgewandelt zum freundlichen Ellenbogenstoß …) vom Kind zum Jugendlichen, die Hochzeitsfeier zur Ich falte zum Gebet die Hände, schließe die Augen Ehepartnerin oder zum Ehepartner. Sie gestalten und zeige so: Ich öffne mich einer Wirklichkeit, die den Jahreskreislauf: Ich trinke Glühwein auf dem mehr ist als das, was vor Augen ist. Adventsmarkt – und es ist Weihnachtszeit für mich und uns. Symbolische Kommunikation hat stets einen offenen Verweischarakter: Ihre Botschaft ist nie so eindeu- Mein ICH hingegen leidet, wenn ich mir nicht die tig wie ein Verkehrszeichen. Da sie eher andeutet Hände nach dem Einkaufen sauber waschen oder statt ausdeutet und ausmalt statt definiert, spricht dieselben nicht zum Abendgebet falten kann. Meine sie aber auch viel mehr Emotionen bzw. menschli- sozialen Kontakte leiden, wenn ich nicht am Abend che Tiefenschichten an als nur unseren Kopf. Wei- auf meinem geliebten Kuschelsofa nochmals meine se sagt der Theologe Fulbert Steffensky: „Wer die WhatsApp-Posts durchstöbern und reagieren kann. Form, das Ritual und den Gestus missachtet, muss reden.” Alles eine Frage des Rituals … Symbolische Kommunikation spricht ohne (viele) Worte, dafür aber äußerst sinnlich. Fortsetzung Seite 8 ›
IM WANDEL GETRAGEN | 7 WAS ICH WIEDERHOLE, GEHÖRT ZU MIR UND MACHT MICH AUS. ICH GEWINNE TRADITIONEN – UND DAMIT VERHALTENSSICHERHEIT UND EMOTIONALE BESTÄTIGUNGEN. – STEFFEN KAUPP
8| IM WANDEL GETRAGEN Was rastet, das rostet Sozialer Wandel und Flexibilisierung sind die Bedrohung des Selbstverständlichen und damit des geltenden Rituals. Was heute gilt, hilft mir morgen nicht weiter. Ich muss mich ständig verwandeln, verändern, neu erfinden. Sind Rituale hier nicht eher Fesseln für die Seele? Früher war mir die Sportschau am Samstagabend heilig, jetzt verfolge ich die VfB-Spiele mit einem „Sky“-Abo. Kinderkirche oder Jungschar waren für mich prägend, aber das kirchliche Grundritual „Gottesdienst am Sonntagmorgen“ sagt mir wenig. Um welche Rituale sollten Für meine aktuelle Lebenswelt, für meine Identität wir uns mühen, damit und für meine sozialen Verbindungen ist das ge- meinsame entspannte Familienfrühstück zur glei- sie (an)sprechend bleiben? chen Zeit weit sprechender. Wir entdecken hier: Rituale können nur dann ihre Wirkkraft und heilsamen Funktionen entfalten, wenn sie selber sprechend und weiterhin verstan- den bleiben, wenn sie also weiterhin symbolische Kommunikation und entlastende Funktion für Men- schen spürbar speichern. Sonst wirken sie schnell verstaubt, umständlich, naiv oder gar bedrängend. Sie können steif und gesetzlich wirken – und somit „Gift“ für die eigene Seele werden. Seitens einer wachen und kritischen Theologie, Soziologie und Psychologie sieht man diese Ambivalenz, die in Ri- tualen steckt. Wo wirken sie entlastend-befreiend, wo gesetzlich-neurotisch? Und welchen Interessen welcher sozialen Gruppen dienen sie dabei? So bleibt die Frage virulent gerade für Kirche und Glauben: Um welche Rituale sollten wir uns mü- hen, damit sie (an)sprechend bleiben, und welche müssen behutsam transformiert oder gar finalisiert werden? Denn nur vertraute und noch sprechende, also gültige Rituale entlasten und beheimaten die Seele - und schaffen Beziehungen und Verbunden- heit, die unsere Gesellschaft braucht. Steffen Kaupp ist Pfarrer der Jugendkirche CHOY, freiberuflicher Berater und Musiker.
IM WANDEL GETRAGEN | 9 Ein großes Schiff legt am Hafen ab Es ist der Tag, an dem sie uns richtig groß vorkommen – unsere Einschulungskinder. Nicht nur die eigenen, auch die Kinder aus der Nachbarschaft, aus der Gemeinde und von unserem Wohnort. Mächtig stolz mit dem Schulranzen auf dem Rücken und der Schultüte im Arm kommen sie am Morgen der Ein- schulung in unsere Kirche. Gemeinsam mit ihren Eltern und den Großeltern wollen sie den Start in den „Ernst des Lebens“ mit einem Einschulungsgottesdienst beginnen. „Da legt ein großes Schiff am Hafen ab, ein Zug fährt auf eine lange Reise …“ Ein Mitarbeiterteam, bestehend aus dem Ortspfarrer und einigen ehrenamtlich tätigen Müttern und Vätern, möchte mit einem The- mengottesdienst die Kinder und deren Eltern abho- len. Passende Gegenstände, eine selbstgestaltete Kulisse, thematisch abgestimmte Lieder oder ein ansprechendes Anspiel, meist selbst geschrieben, zum jeweiligen biblischen Thema: So nehmen wir die Einschulungskinder mit hinein in den Gottes- dienst. Wir wollen ihnen verdeutlichen, dass der lebendige Gott selbst verspricht, sie durch ihre Schulzeit und darüber hinaus zu begleiten und zu bewahren. HÖHEPUNKT DES GOTTESDIENSTES IST DIE PERSÖNLICHE SEGNUNG JEDES EINZELNEN KINDES Höhepunkt des Gottesdienstes ist ganz sicher, sowohl für die Eltern als auch die Kinder selbst, die persönliche Segnung jedes einzelnen Kindes. Wir folgen hiermit dem Beispiel Jesu, der seine Hände auf die Kinder legte und für sie betete. Die Handauf- legung ist ein Symbol der Liebe und Fürsorge Got- tes. Sie wurde von frühester Zeit an im Volk Gottes angewandt, um ihn zu bitten, seinen einzigartigen und wertvollen Segen zu erteilen. Diesen Segen wollen wir als Christen nicht nur für uns behalten. Als Gemeinde Gottes sind wir beauftragt und bevollmächtigt, davon Gebrauch zu machen. „Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein“ lesen wir in 1. Mose 12,2. Diese Zusage gilt also nicht nur uns, sondern eben auch den vielen kleinen und großen Menschen um uns herum, die wir als Kirche niemals aus dem Blick verlieren dürfen. Katja Rostan lebt mit ihrer Familie in Enzweihingen und engagiert sich in der Kinder- und Jugendarbeit. Materialien für Einschulungsgottesdienste können gerne per Mail angefragt werden. | katja.rostan@web.de
10 | IM WANDEL GETRAGEN „Wir müssen noch unser Lied singen!“ – Rituale bei Kindern und Jugendlichen Jede Gesellschaft und jede Gruppe braucht Rituale, um Zusammengehörigkeit herzustellen. Und welche Rituale Die umfangreichen empirischen Studien der vergan- ihr wichtig sind, merkt man daran, was Kindern und genen Jahre mit Konfirmand/innen haben gezeigt, Jugendlichen beigebracht wird. dass das Gottesdienstritual für Konfis genau diese Problematik hat. Je öfter sie es erleben, desto mehr Familienrituale merken sie: Das ist ja gar nicht für uns bestimmt, der Ein klassisches Ritual, das wohl fast alle Kinder er- Gottesdienst ist für andere Zielgruppen gemacht und leben, ist das Zu-Bett-Geh-Ritual, an dem man sich gedacht, die Inhalte des Rituals stammen aus einer viele grundlegende Dinge klar machen kann. Das Zeit, mit der wir nichts mehr anfangen können. Ritual stabilisiert eine kritische Situation, den Ab- schied von den Eltern, den Abschied vom Land der Das zeigt deutlich: Rituale müssen weiterentwi- Wachheit, wo man alles unter Kontrolle hat, ins un- ckelt werden und mit der Zeit gehen. So schön sichere Land der Träume und oft Patina sein kann und so stabil auch Alpträume. Eltern, die sich IMMER MEHR MILIEUS Gemeinschaften sind, die alte Zeit nehmen, die ein vertrautes Ein- UND LEBENSWELTEN Rituale pflegen – irgendwann schlaflied singen und womöglich ein GRENZEN SICH VONEINANDER kippt die Stimmung und man Gebet sprechen, helfen damit ihrem AB, INDEM SIE EIGENE kehrt dem Muff unter den Tala- Kind. Wie schnell der Charakter von RITUALE ERFINDEN ren von 1000 Jahren den Rücken. Ritualen als etwas streng Geregel- Die Abstimmung der Konfis mit tes von Kindern verstanden wird, merkt man daran, Füßen nach der Konfirmation ist altbekannt, fast dass sie gern protestieren, wenn man das Ritual ver- keiner findet mehr den Weg in einen Gottesdienst, kürzen oder gar ausfallen lassen will, weil gerade die in den er nur stumpf gezwungen wurde. Zeit knapp ist. Dann heult das Kind, bis man das Lied eben doch noch gesungen hat. Und wenn der Baby- Im Zeitalter der Individualisierung werden Rituale sitter kommt, wird das Kind zum Traditionswächter seltener, die breit akzeptiert sind und gepflegt und alles muss genauso gemacht werden wie immer. werden. Immer mehr Milieus und Lebenswelten grenzen sich voneinander ab, indem sie eigene Welchen Schatz an Ritualen ein Kind ins Leben mitbe- Rituale erfinden. kommt, hängt stark von der Familie ab. Vielleicht gibt es dort das Ritual, dass jeden Sonntag gemeinsam ge- Als Kirche Jesu Christi sollten wir dafür sorgen, spielt wird. Oder dass man einen Spaziergang macht. dass der Schatz unserer Rituale weiter gepflegt und Später werden Gruppenrituale wichtig, die in der Kita gelebt wird, um Kindern und Jugendlichen Orien- gepflegt werden. Und erste Übergangsrituale wie die tierung zu geben. Sie sollen dazu angeregt werden, feierliche Verabschiedung aus dem Kindergarten und für ihr Glaubensleben eigene Rituale zu entwickeln der Schulanfang mit Gottesdienst und Schultüte. wie das tägliche Abendgebet oder eine „Stille Zeit“, in der ein Bibeltext meditiert und gebetet wird. Ich Passt das Ritual? bin außerdem ein großer Fan von Konfi 3, weil das Kinder und Jugendliche produzieren auch eigene das perfekte Alter ist, um kirchliche Rituale wie Alltagsrituale. Manchmal sieht man bei Jugendli- Taufe und Abendmahl kennen zu lernen oder ein- chen komplizierte Begrüßungen mit einstudierten fache Formen des Gebets einzuüben. Im Grund- Bewegungsabläufen: Da sieht man bei der Begrü- schulalter beginnen Kinder ein Symbolverständnis ßung deutlich, wer zur Peer Group gehört und wer zu entwickeln, das man braucht, um Rituale nicht nur ein mattes Nicken abbekommt. Je älter Kinder nur zu erleben, sondern auch in ihrem Symbolge- werden, desto häufiger erleben sie auch, dass Ritua- halt entschlüsseln zu können. Und sie singen gern – le hohl und leer sein können und damit langweilig. schon immer waren gemeinsame Gesänge und Wiederholung schafft nämlich nicht nur Vertraut- Lieder ein wichtiger Bestandteil von Ritualen, heit, sondern birgt immer auch die Gefahr, dass der gehen sie doch auch lange nach dem Ritual noch ursprüngliche Zweck in Vergessenheit gerät. mit einem durch den Tag. Dr. Thomas Ebinger ist Gemeindepfarrer in Ostfildern-Kemnat. Zuvor war er Dozent für Konfi-Arbeit am Pädagogisch-Theologischen Zentrum in Stuttgart. Er bloggt unter | www.thomas-ebinger.de
IM WANDEL GETRAGEN | 11 RITUALE MÜSSEN WEITERENTWICKELT WERDEN UND MIT DER ZEIT GEHEN. – THOMAS EBINGER
12 | IM WANDEL GETRAGEN Prüfungssegen tut Jugendlichen gut Im Jahr 2012 wurde – initiiert von Jugendpfarrer Ralf Brennecke Im Jahr 2020 konnten zum geplanten Termin keine und seinem katholischen Kollegen in Bad Waldsee – der erste Segnungsgottesdienste stattfinden. Das ökumeni- PrüfungsSegen gefeiert. In den folgenden Jahren verbreitete sche Team hat den PrüfungsSegen daraufhin digital sich das Konzept eines ökumenischen PrüfungsSegens für produziert. Angeboten wurde eine kurze Version Jugendliche, die vor ihrem Schulabschluss oder anderen von knapp einer Minute und eine längere von knapp Prüfungen stehen, an vielen Orten. fünf Minuten mit Bildern, die zum Download und zur freien Verbreitung auf der Homepage und bei Ein ökumenisches Team von Jugendreferentinnen, Youtube eingestellt wurden. Daneben gab es auch Jugendpfarrern und Jugendseelsorgerinnen trifft einen geistlichen Impuls und eine Meditation. sich jährlich zur Vorbereitung eines Entwurfs, der Besonders die kurze Version wurde von sehr dann breit zur Verfügung gestellt wird. Nachahmen- vielen genutzt – vermutlich auch mehrfach – als den soll es so leicht wie möglich gemacht werden, an Mutmacher vor den Prüfungen. Zusätzlich wurde, ihren Orten, in Kirchen und Schulen einen Prüfungs- wie schon in den zwei Jahren zuvor, ein Kanal auf Segen anzubieten. Instagram (@pruefungssegen) bespielt, auf dem von | www.pruefungssegen.de Aschermittwoch bis zum Abschluss der Prüfungen durch ein Redaktionsteam täglich Ermutigungen Denn Segen will gut tun („bene-dicere“ – jemandem zur Prüfungsvorbereitung gepostet wurden. etwas Gutes sagen). Und der PrüfungsSegen tut Ju- gendlichen gut. Sie kommen in der kurzen Litur- Die Corona-Krise führte so auch für den Prüfungs- gie zur Ruhe, halten inne und gehen dann gestärkt Segen zu einer Neuentdeckung. Die digitalen durch eine persönliche Segnung aus dem Kirchen- Formate werden sicherlich auch in Zukunft ange- raum in die Prüfungen. boten werden, denn sie sorgen für eine niedrig- schwellige Verbreitung des Segens. Wohlgemerkt Der PrüfungsSegen ist ein niedrigschwelliges als Zusatzangebot für alle, die den Weg nicht in Angebot für kirchlich-affine und kirchlich-distan- eine Kirche zum PrüfungsSegen finden. Denn der zierte Jugendliche. Und es kommen sogar Eltern Akt der persönlichen Segnung mit Handauflegung, mit. Auch sie lassen sich für ein ganz bestimmtes Kreuzzeichen (signare – bezeichnen mit dem Kreuz, Anliegen segnen. Segen tut gut, besonders segnen), Blickkontakt und persönlichen Worten PrüfungsSegen als Schwellenritual an dieser Schwellensituation vor Prüfun- lässt sich digital schwerlich umsetzen. gen. Biografisch ist das ein weiterer Schritt für Jugendliche. Die Schulzeit liegt hinter ihnen. Di- rekt vor ihnen die Prüfungssituation und weiter in der Zukunft mitunter unbekanntes Land. Angesichts von Unsicherheiten tut es gut, sich Auf der Seite des Evangelischen Jugendpfarramts Stuttgart, www.pruefungssegen.de, sind neben den Veranstaltungs- Gottes Segen zusprechen zu las- orten in Württemberg und darüber hinaus auch alle Entwürfe, sen. So betrachtet ist der Prü- Audiodateien, Berichte und Materialien zur Werbung bereitgestellt. fungsSegen ein Schwellenritual. Matthias Rumm ist Jugendpfarrer im Evangelischen Kirchenkreis Stuttgart.
IM WANDEL GETRAGEN | 13 PRAXISTIPP Einen Hoffnungssamen pflanzen Material: ein kleiner Blumentopf, Blumenerde, Wasser, Samen (Bohnen, Sonnenblumen oder anderer Samen) Anleitung: Den Blumentopf mit Erde füllen, den Samen hineinlegen, mit etwas Erde bedecken und gießen. Auf die Fensterbank stellen und immer wieder die Erde befeuchten. Nun heißt es, warten, zuschauen und staunen, wie aus einem so kleinen Samen eine Pflanze wächst. Diese hegen und pflegen. Hierzu noch ein Bibelvers aus 1. Mose 1, 12: Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringt, ein jedes nach seiner Art, und Bäume, die da Früchte tragen, in denen ihr Same ist, ein jeder nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. (Lutherbibel 2017) Diakonin Silke Waibel
14 | IM WANDEL GETRAGEN Rituale in der Arbeitswelt Die Prüfung des Werkzeugkoffers nach dem immer gleichen Schema, die Textmarker farblich immer gleich angeordnet, die Abläufe wie gewohnt: Bewusst oder unbewusst folgen wir auch am Arbeitsplatz vertrauten Ritualen. Und genau dort können uns auch die Rituale begegnen, die wir mit unserem Glauben und unserem Wertesystem verbinden. Das gilt im Büro genauso wie auf Streife oder in der Hotellerie. Wo zwei oder drei zusammenkommen... Eigentlich mag ich das Wort „Rituale“ überhaupt nicht. Unwillkürlich muss ich dabei an eine inhaltsleere Hülle, an starre Abläufe oder kultische Handlungen denken. Wenn ich genauer darüber nachdenke, wo ich so- Wie läuft so ein Treffen ab? Wir lesen die Losung genannten Ritualen folge, werde ich aber doch oder jemand bringt einen Impuls mit. Wir tauschen fündig. Morgens mache ich in der Regel Stille Zeit uns darüber und auch über persönliche Anliegen mit den „Lichtstrahlen“, ich bete vor dem Essen aus. Wir beten dafür, für unser Land und unsere und besuche wöchentlich, Politiker, für unsere Gemeinden, für die Firma, für Wir brauchen einen vertrauten sofern nichts dazwischen verfolgte Christen und die Welt. Das klingt jetzt Rahmen, der Geborgenheit schafft und mit Inhalt gefüllt wird kommt, einen Gebetskreis sehr umfassend, und das ist es oft auch. Am Ende unter Arbeitskollegen. Es beten wir gemeinsam das Vaterunser und wün- waren in meinem Berufsleben verschiedene Ge- schen uns eine gesegnete Woche. Es tut einfach betskreise an unterschiedlichen Orten und zu gut, so in die Arbeitswoche zu starten. unterschiedlichen Zeiten: morgens vor Arbeitsbe- ginn, in der Frühstücks- oder Mittagspause, gleich Bis vor kurzem konnte ich mir nicht vorstellen, montags am Anfang der Woche oder freitags zum dass unser Gebetstreffen auch online über Sky- Abschluss der Arbeitswoche. pe sinnvoll und bereichernd ist. Ich habe meine Meinung geändert. Es geht und ich würde etwas Dabei konnte ich viele Kolleginnen und Kollegen vermissen, hätten wir, bedingt durch Corona, den kennenlernen, mit denen ich sonst nicht in Kon- Gebetskreis ausfallen lassen. takt gekommen wäre. Es war immer eine Verbun- denheit zu spüren auf der Basis unseres gemein- Rituale? Wie anfangs beschrieben wäre es mir nie samen Glaubens. Es tut einfach gut, zu sehen, dass in den Sinn gekommen, unser Treffen unter dem in der Berufswelt Menschen mit mir zusammen Stichwort „Rituale“ abzuheften. Aber es ist tat- unterwegs sind, die den christlichen Glauben auch sächlich eine gewisse Regelmäßigkeit zu erken- am Arbeitsplatz leben wollen und mit denen ich nen, und wir Menschen brauchen einen vertrau- grundlegende Werte teile. ten Rahmen, der Geborgenheit schafft und dann umso leichter mit Inhalt gefüllt werden kann. Manfred Weimer ist Diplom-Ingenieur und arbeitet als Projektleiter in der Entwicklung im Raum Stuttgart. Er ist in seiner Kirchengemeinde aktiv im Posaunenchor und im Hauskreis.
IM WANDEL GETRAGEN | 15 Ein Stoßgebet vor dem Einsatz Vor meinem Studium bei der Polizei BW habe ich im Kloster • Während oder direkt nach Einsätzen, die über Triefenstein bei Würzburg mein freiwilliges soziales Jahr ver- das Übliche hinausgehen, habe ich keine fes- bracht. Der Tagesablauf der Christusträger Brüder ist geprägt ten Rituale. Weil solche Einsätze meist das ganze von regelmäßigen Gebetszeiten. Während meiner Zeit dort Bewusstsein und eine gesteigerte Wahrnehmung habe ich Rituale und Liturgie sehr intensiv kennen- und be- erfordern, ist dafür oft kein Raum vorhanden. wusst schätzen gelernt. Dann ist es ein Stoßgebet: „Herr Jesus, hilf“, oder, wenn mehr Zeit ist, ein kurzes Herzensgebet: „Herr Auch in meinem polizeilichen Alltag entdecke ich Jesus Christus, erbarme dich meiner“, das mir in solchen immer wieder Rituale, die mir helfen, mit schwie- Situationen Halt und Ruhe gibt. rigeren Situationen zurecht zu kommen: • Eins der wichtigsten Dinge nach besonderen • Das Anziehen und Ablegen der Uniform und der Einsätzen ist es für mich, sich mit den Kollegen Ausrüstungsgegenstände ist eine immer wie- über das Erlebte auszutauschen. Das, was passiert derkehrende Handlung, die für mich eine tiefere ist, zu erzählen und mögliche Handlungsalter- Bedeutung hat. Die Uniform anzuziehen ist stark nativen zu besprechen hat mir mit dem Gefühl verbunden: „Jetzt ist Dienst!“ und bisher immer ungemein gehol- Von Christus getragen, Christus tragen – Leitsatz der unterschwellig schwingt mit: „Herr, bitte sei dabei. fen. Oft kann man das Erlebte Christusträger Bruderschaft Begleite mich und beschütze uns und die, denen wir so noch einmal aus einer ganz begegnen.“ anderen Perspektive betrachten und die Arbeit dann bei der Arbeit lassen und nicht mit heim • Besonders in meiner Zeit im Streifendienst ist mir nehmen. folgendes Ritual sehr bewusst geworden: Immer wenn ich kurz vor Dienstbeginn in der Waffen- Wenn mich ein Einsatz trotzdem länger beschäf- kammer die Pistole aus dem Fach nehme und in tigt, entlastet es mich, dass ich im Gebet alles vor das Holster stecke, denke ich kurz darüber nach: Gott bringen und mich darauf verlassen kann, „Hoffentlich brauche ich die auch heute nicht.“ dass er mir meine Lasten abnimmt. Ich darf im festen Vertrauen auf Gott durch meinen (Berufs-) • Die Waffe nach dem Dienst wieder wegzuschließen Alltag gehen. Ich weiß mich gut behütet und symbolisiert auf der anderen Seite, dass „es gut kann jederzeit nach seiner Hand greifen, gegangen“, die Zeit der potentiellen Gefahr vorbei wenn ich ihn brauche. So wie ich Christus ist. Die Schwere erlebter Situationen ist damit oft in meinem Herzen trage, trägt er mich tagein, von mir abgefallen. tagaus. Mareike Kloppenburg ist Polizeioberkommissarin. An ihrem Arbeitsplatz im Präsidium am Pragsattel schätzt sie neben ihren Kollegen besonders die wunderschöne Aussicht über Stuttgart.
16 | IM WANDEL GETRAGEN Rituale und Gastfreundschaft Herr Köhler, Sie sind Direktor der zwei Mövenpick- Werden über den üblichen Weihnachtsschmuck Hotels an Messe und Flughafen in Stuttgart mit hinaus religiöse Festzeiten wie die Osternacht oder zusammen fast 600 Zimmern. Welche Rituale erleben der Fastenmonat Ramadan im Hotel wahrgenommen? Sie im Alltag eines internationalen Hotels? Selbstverständlich gibt es beim Personal Menschen, die Unter vielen ein Beispiel: Wenn ein Gast während des ihre Religion leben. Das begrüßen und fördern wir aus- Aufenthalts Geburtstag hat, gibt es einen Geburts- drücklich. Eine eigene kulturelle Identität ist eine wichti- tagskuchen oder einen Gruß aufs Zimmer. Auch ein ge Grundlage für gelebte Gastfreundschaft! besonders geschmückter Tisch im Restaurant wird Auch die kleinen Kultur-Rituale des Alltags unterstützen vorbereitet. In unseren Teams mit zusammen mehr als wir: So schätzen wir es ausdrücklich, wenn Menschen 200 Beschäftigten pflegen wir auch eigene Rituale im an der Rezeption mit dem süddeutsch-regionalen „Grüß Betriebsalltag: So bedienen wir einmal im Monat unsere Gott“ begrüßt werden. Wer selbst diese Kultur mitbringt, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Mahlzei- wird damit authentischer wahrgenommen als mit einem ten, und am Geburtstag erhalten sie einen besonders universal-neutralen „Guten Tag“. geschmückten Kaffeetisch. Und Kolleginnen und Kollegen aus anderen Kulturen Bis vor kurzem haben wir uns jeweils am Freitagnach- bringen ihre Kultur und ihre Rituale gerne hier ein. Eine mittag im Gang der Büro-Etage getroffen – ein offener Kollegin aus dem Fernen Osten begrüßt die Gäste Treffpunkt am Ende der Woche. Ein Schlückchen Wein, anders als ihr Kollege, der z.B. aus Italien kommt. Das ist Gespräche, was läuft – ein beliebtes und entspannendes authentisch und persönlich. Wochenend-Ritual. Rituale aus Kultur und Religion sind also Teil Haben Sie auch Erfahrungen mit religiösen Ritualen gelebter Gastfreundschaft? im Team oder mit Gästen? So kann man das durchaus formulieren. Wenn es im Erstaunlicherweise begegnen uns religiöse Rituale eher Team Leute gibt, die Fastenzeiten einhalten, aus wel- selten. Wir sind ein Ort der Gastlichkeit für alle und cher Religion auch immer, dann werden wir sensibler bleiben deshalb eher neutral. Aber in den Zimmern sind für unsere Gäste. Dasselbe gilt auch für den Umgang Bibeln vorhanden, und einen Koran kann jeder Gast an mit Alkohol oder bestimmten Speiseregeln. der Rezeption erhalten. Ich bin gerne Direktor eines Hotels, in dem Gastfreund- schaft sensibel und achtsam gelebt wird. Wo wir das schon im Team einüben, gelingt uns das mit unseren Gästen umso besser. Herzlichen Dank für das Gespräch! Die Fragen stellte Matthias Hiller. Jürgen Köhler ist General Manager Stuttgart Airport & Messe und Director of Operations Germany der Mövenpick Hotels & Resorts.
IM WANDEL GETRAGEN | 17 Rituale im Jahreslauf Viele kleine und größere Rituale begegnen uns nicht nur im Lebenslauf, sondern in besonderer Weise auch im Laufe eines Jahres. Ob es das Bleigießen an Silvester ist oder der Maibaum, der Martinsumzug oder das Geldbeutelwaschen am Aschermittwoch: Wenn solche Rituale ausfallen oder ausfallen müssen, dann ist das Jahr nicht mehr vollständig. Fasching – Fasnet – Karneval Verkleidung ist wichtig. Das können alemanni- sche Häs sein mit Hexen- oder Tier masken oder die Cowboy-, Indianer- oder Prin zessinnen- verkleidung der Kinder. Die Saalver anstaltungen mit mehr oder weniger launigen Reden über politische und weltliche Themen stehen den Umzügen mit Guggenmusik und Häsgruppen gegenüber. Das Froschkuttelessen Baum, meist einer Maibaum en ta st et er und geschmückter Riedlinger Narrenzunft am Fasc hingsdienstag Ein entrinde te r, r männ- it be la ss en er Spitze wird von de ist genauso ein Ritual wie das Auswaschen ein Nadelbaum , m ichtet. am Vo ra be nd des 1. Mai aufger des leeren Geldbeutels am Ascher mittwoch in lichen Dorfjuge nd .April ic ht en m it ei ne m Dorffest am 30 Rottenburg. Meist ist das Aufr den. . Es wird ver- und 1.Mai verbun de s Maibaumstehlens Br au ch Dazu gibt es de n chbardorfs zu er ei te te n Maibaum des Na sucht, den vo rb öst werden. Be i ge lu ng en er Tat muss er ausgel entwenden. Polterabend Der Polterabend findet als Vorhochzeitsfest statt. Dem vor der Hochzeit stehenden Paar wird dabei als Dank für die Bewirtung Porzellan zu Bruch Vater tag gebracht, denn Scherben bringen Glück. Dieser Tag geht mit einem ritualisierten Besäufnis einher. Bei Vatertagsto uren scheint es wichtig sein, dass in der Gruppe zu von Männern, die mit einem Bollerwagen unter wegs ist, möglichst viel Alkohol vernichtet wird . Mar tinsumzug s Laternen- g ist eine Form de Der Martinsumzu s Heiligen die Geschichte de umzugs. Dabei wird als römischer nachgespielt, der Martin von Tours tel mit einem au f ei ne m Pferd seinen Man Of fiz ie r rische Um- te ilt e. Be gl ei tet wird der spiele Bett le r Laternen. Ki nd er n (u nd deren Eltern) mit zug vo n an die Adventskalender Adventskalen- sc hl us s w er de n oft Gebäckstücke Ein liebgewonnenes Ritual ist der Zum Ab zu versüßen, Kinder verteilt. der. Um die Zeit bis Weihnachten e) kleine Päck- werden für Kinder (und Erwachsen Kleinigkeiten chen mit Leckereien oder anderen aufgehängt. Silvester Einige Rituale haben sic h an Silvester herausgebil det. Vielerorts wird Fond - ue gemacht, das die Län- ge des Abends überbrü cken soll. Mit Bleigießen und dem Ausdeuten de r gegossenen Figuren sol ein Blick ins neue Jahr ge l wagt werden.
18 | IM WANDEL GETRAGEN Ein Kind steht vor der Urne seines Papas. Dann nimmt es aus dem Korb mit den Blütenblättern fast alle heraus und gibt sie mit vollen Händen ins Grab. Es ist sein Papa. Da kann es so viele Blütenblätter reinlegen, wie es mag.
IM WANDEL GETRAGEN | 19 Wenn es um die letzte Wegstrecke geht – Rituale bei Tod und Bestattung Der größte Einschnitt in einem Leben, der auch die meiste Ute Züfle gibt als Bestatterin viele konkrete seelsorgliche Begleitung benötigt, ist sicher ein Todesfall. Anregungen, wie Menschen in der Ausnahmesitu- Hier muss aus verschiedenen Positionen und in verschiedene ation gut begleitet werden können. So hat sie im Richtungen gedacht und geblickt werden. Jahr 2019, zusammen mit ihrer Geschäftspartnerin Chantal Häfner, in Stuttgart das „Café Tod“ Da ist zum einen der sterbende Mensch, dem Trost gegründet. Damit bieten sie eine Plattform, um und Hoffnung zugesagt werden sollen für einen ungezwungen und unabhängig davon, ob man Weg, von dem kein Lebender je berichtet hat. Und einen Sterbefall hatte oder nicht, bei Kaffee und da sind zum anderen die Angehörigen und Freunde. Kuchen über das Thema Tod zu reden. Auch ihnen muss Trost und Hoffnung zugesagt wer- | www.bestattungen-haefner-zuefle.de den, denn eine lebensbegleitende Person zu verlie- ren bringt Schmerz und Leere mit sich. Pfarrerin Christiane Wellhöner stellt aus theolo- gischer Sicht Betrachtungen über Tod und Trauer- Der Sterbeprozess, die Beerdigung und die Trauer- bewältigung an. zeit sind mehr sind als nur technische Verrichtun- gen medizinischer Art und der Versorgung eines Letztlich aber können hier keine Rezepte für gelin- Leichnams. gende Trauerarbeit vorgelegt werden. Diesen Weg muss jeder Mensch selbst gehen und auch für sich Rituale können dazu beitragen, dass diese Zeit, vor selbst und seine Familie hilfreiche Rituale entwi- allem des Trauerns um einen verstorbenen Men- ckeln oder anpassen. schen, als fürsorglich und tröstend empfunden werden kann. Nirgendwo sonst gibt es von jeher so Sterbende werden am Sterbebett von Angehörigen viele unterschiedliche Rituale wie beim Abschied und Freunden besucht. Im Wissen um die Letzt- von Verstorbenen. maligkeit des Besuchs wird von einander Abschied genommen. Ein gemeinsam gesprochenes Gebet Wurde früher mit den Worten „Taufe – Trauung – oder Vaterunser kann helfen, den Blick auf die Hoff- Tod“ die seelsorgliche Präsenz von Pfarrerinnen nung der Ewigkeit zu lenken. und Pfarrern beschrieben, so hat sich auch dies ge- wandelt. Die Begleitung von Sterbenden und deren Warum von der Verstorbenen nicht zu Hause Abschied Angehörigen liegt nicht mehr alleine bei den Geist- nehmen und eine Totenwache halten? In den meisten lichen, sondern wird oft auch von Ärzten, Bestatte- Bundesländern dürfen Verstorbene bis zu 36 Stunden rinnen oder Trauerrednern geleistet. Dabei gehen zu Hause aufgebahrt werden. alte Rituale, wie die Aussegnung zu Hause, die Lei- chenwaschung durch Angehörige oder die Toten- Leichenschmaus: Ein schreckliches Wort. Aber es soll wache immer mehr zurück. die Zusammenkunft der Trauernden bei Kaffee und (im Schwäbischen) Hefezopf beschreiben. Im Reden Wir haben drei Menschen befragt, die in ihrem miteinander, auch über die verstorbene Person, wird beruflichen Alltag in unterschiedlicher Weise mit die Trauer geteilt, aber auch gemeinsame Wegstre- Sterbenden, dem Tod, der Bestattung und den zu- cken noch einmal nachverfolgt. gehörigen Ritualen zu tun haben. Eine Aussegnung durch Pfarrerin oder Pfarrer bei der Dr. Martin Schock betont die Notwendigkeit, offen Abholung des Verstorbenen bettet den letzten Weg mit dem Tod umzugehen und den Angehörigen von zu Hause liturgisch ein. Hilfestellung bei der Trauerarbeit zu leisten. Heute äußern immer mehr Menschen den Wunsch, im Friedwald oder auf See bestattet zu werden. Dabei entstehen neue Rituale. Michael Schock ist Landesreferent für Kirchenraumpädagogik und Prädikantenarbeit. Fortsetzung ›
20 | IM WANDEL GETRAGEN Wenn der Tod Teil des Berufslebens ist DR. MARTIN SCHOCK ist leitender UTE ZÜFLE leitet zusammen mit ihrer CHRISTIANE WELLHÖNER war an Oberarzt in der Chirurgie. Er ist außerdem Geschäftspartnerin Chantal Häfner ein verschiedenen Stellen als Gemeinde- langjähriger ehrenamtlicher Mitarbeiter Bestattungsunternehmen in Stuttgart. pfarrerin tätig. Seit 2019 ist sie Studien- in der evangelischen Jugendarbeit. leiterin am Evangelischen Pfarrseminar in Stuttgart-Birkach. Wie sind Sie dazu gekommen, den Beruf des Arztes, der Bestatterin, der Pfarrerin zu ergreifen? MS: Ich hatte mehr aus Solidarität UZ: Nach meinem Examen als Kran- CW: Ich wollte etwas Schönes zu meinen beiden (Schul-)Freunden kenschwester habe ich ein paar machen – und die Beschäftigung mit den Medizinertest mitgemacht. Für Jahre auf einer Intensivstation gear- der bilderreichen Welt der Bibel hat das Medizinstudium ist ein zweimo- beitet. Als mir angeboten wurde, als mich immer fasziniert und bezaubert. natiges Pflegepraktikum notwendig. Bestatterin zu arbeiten, sah ich dies Jetzt genieße ich das Privileg, un- Mit der Zeit wurde mir klar, dass ich zunächst nur als Horizonterweite- ser eigenes Leben und Ergehen als Chirurg meine praktisch-hand- rung und ich dachte, eines Tages und die Erfahrungen mit Gott, die werklichen Fähigkeiten und das Be- geht es zurück in die Notfallmedizin. in der Bibel gesammelt wurden, dürfnis, einen für andere nützlichen Doch schnell merkte ich: Bestatterin zusammenzudenken. Es öffnen sich Beruf zu ergreifen, gut verknüpfen ist meine absolute Berufung! neue Perspektiven, auch für den konnte. Ich sah mehr und mehr den Schmerz, dass ein gemeinsamer Plan Gottes darin. Weg zu Ende gegangen ist. Wie gehen Sie persönlich mit Todesfällen um, mit denen Sie beruflich zu tun haben? MS: Da im Krankenhaus in der Regel UZ: Wichtig finde ich, dass man ein CW: Ich versuche, mir klarzumachen, mehrere Personen den Tod erleben privates Umfeld hat, welches die- dass die/der Verstorbene nicht mein und begleiten, findet in den meis- sen besonderen Beruf mitträgt. Im Verstorbener ist. Ich versuche, mich ten Fällen eine Aufarbeitung durch Team stehen wir in engem Kontakt in die Situation und das Erleben der Gespräche dieser Personen unter- und geben Zeit und Raum zum Aus- Angehörigen einzufühlen, ohne wie einander statt. Dies ist ein sehr hilf- tausch. Ergänzend braucht es „neu- sie zu fühlen. Und ich suche Worte, reicher Prozess, um bei besonderer trale“ Menschen, mit denen man über die einerseits dem Tod entgegentre- Betroffenheit entlastet zu werden Erlebtes reden kann. Kraft für meine ten und das Schweigen brechen und und zu entlasten. tägliche Arbeit geben mir meine Fa- andererseits die eingetretene Stille milie, die Musik, der Sport, die Natur, nicht stören. mein Freundeskreis, die wertschät- zenden und schönen Rückmeldungen der Menschen, die ich begleitet habe, und nicht zuletzt mein Glaube. Hat sich der Umgang mit dem Tod in den letzten zehn Jahren verändert? MS: Für mich eigentlich nur durch UZ: Ja! Und darüber bin ich froh. Wir CW: Das kann ich schwer beurteilen. einen gewachsenen Erfahrungs- versuchen, den Tod wieder ins Le- Vielleicht wird die Spannung größer schatz, damit umzugehen. ben zu bringen. Hinterbliebene wie zwischen der intensiven Auseinan- Menschen, die an ihre eigene Be- dersetzung mit dem Sterben einer- erdigung denken, sind mutiger, das seits, woran die Hospizbewegung „letzte Fest“ so zu planen, wie es einen guten Anteil hat, und der Ta- zu der verstorbenen Person und zu buisierung des Todes andererseits. den Angehörigen passt. Abschied- Mich bedrückt die Anonymisierung nahmen zu Hause nehmen wieder und Privatisierung des Todes. deutlich zu. Schade finde ich, dass viele Beisetzungen im allerkleinsten Kreis stattfinden.
IM WANDEL GETRAGEN | 21 DR. MARTIN SCHOCK UTE ZÜFLE CHRISTIANE WELLHÖNER ARZT BESTATTERIN PFARRERIN Haben Sie den Eindruck, dass Menschen mit dem Tod befangener oder hilfloser umgehen als noch vor zwanzig Jahren? MS: Die Ferne zum Tod und die oft sehr UZ: Eigentlich eher das Gegenteil. CW: Der Wunsch, bewusst und privat gelebte Trauer um einen Ange- Zumindest möchte ich mich gerne selbstbestimmt sterben zu dürfen, hörigen sind in unserer Gesellschaft dafür einsetzen. Wenn ein lieber wird begleitet von der Angst, dass fest verankert. Eine Chance sehe ich in Mensch stirbt, kann das jede und einem genau das verwehrt wird. Es den Patientenverfügungen, die die ei- jeden hilflos machen. Es zieht einem kostet viel Mut, sich diesem Konflikt genen Vorstellungen von Sterben und den Boden unter den Füßen weg. und den damit verbundenen Fragen Tod öffentlich machen. Ich kann nur je- Nichts ist mehr, wie es war. Da darf zu stellen. Wer soll eine Vorsorgevoll- den ermutigen, diese mit Angehörigen man hilflos sein. Da darf man Hilfe macht erhalten? Was soll in der Pati- zu besprechen, solange es einem gut in Anspruch nehmen. Befangen zu entenverfügung geregelt sein? Wem geht. Das erleichtert es den Angehö- sein halte ich für blockierend, aber kann man vertrauen? rigen und auch den Behandelnden, ei- das erlebe ich sehr selten. nen Menschen in den Tod loszulassen. Gibt es Rituale, die in den letzten Jahren zugenommen haben? MS: Das einzige, was vielleicht zu- UZ: Ja! Auf jeden Fall. Zum Beispiel: CW: Wahrscheinlich gibt es das, genommen hat, ist die Bereitschaft Ein Foto, eine Collage, eine Bild- aber ich bekomme als Vertreterin oder der Wunsch von Angehörigen, präsentation des Verstorbenen. Ein der evangelischen Kirche lange nicht auch schon beim Sterbeprozess „Teelichtritual“, d.h. jeder Trauergast alle mit. Wir folgen ja einem eigenen anwesend zu sein und nicht erst darf ein Licht für den Verstorbenen Bestattungsritual. nach dem Tod informiert werden anzünden. Das Bemalen oder Ge- zu wollen. stalten des Sarges. Dabei sein beim Versorgen der/des Verstorbenen. Dabei sein beim Abholen oder der Kremation. Und vieles mehr! Gibt es Rituale, die in den letzten Jahren abgenommen haben oder weggefallen sind? MS: Aus meiner beruflichen Sicht UZ: Es werden nicht mehr so viele CW: Aussegnungen zu Hause und nicht. Gebetskarten („Sterbebilder“) ge- Abendmahlsfeiern mit Sterbenden wünscht. Auch das Auflegen eines haben signifikant abgenommen. Kondolenzbuches wird seltener. Häufiger finden Abschiede im en- gen Kreis statt. Aussegnung der/ des Verstorbenen. Schwarze Klei- dung bei Trauerfeiern oder ein Jahr schwarz tragen. Gibt es Unterschiede bei Bestattungen, wenn diese im ländlichen Raum oder in der Stadt stattfinden? MS: Beruflich habe ich mit den UZ: Ja, auf jeden Fall. In ländlicheren CW: Menschen der Dorfgemeinschaft Bestattungen nichts zu tun. Gegenden gibt es noch mehr Erdbe- nehmen selbstverständlich an Beer- stattungen. Es wird noch viel mehr digungen teil. Der Tod wird nicht als darauf geachtet, „den Leuten“ alles privates Ereignis einer Familie begrif- recht zu machen. Schön ist, dass fen. Auch der Friedhof als öffentliche man in ländlichen Gegenden in der Agentur für Trauer, wo man anderen Regel viel mehr Zeit hat und außer begegnet, sich austauscht und sogar dieser einen Beerdigung sonst keine tiefe Freundschaften entstehen, spielt an diesem Tag stattfindet. In den gro- im ländlichen Raum eine größere Rol- ßen Städten ist alles durchgetaktet. le als im städtischen. Fortsetzung ›
22 | IM WANDEL GETRAGEN DR. MARTIN SCHOCK UTE ZÜFLE CHRISTIANE WELLHÖNER ARZT BESTATTERIN PFARRERIN Wie wichtig sind besondere Räume im Krankenhaus, einem Bestattungsinstitut oder auf dem Friedhof, um von Verstorbenen Abschied zu nehmen? MS: Solche Räume sind unvermeid- UZ: SEHR WICHTIG! Abschiedneh- CW: Angehörige erleiden durch den lich wichtig. Die Zeit, um vom Ver- men kann für den persönlichen Tod einen schweren Verlust. Selbst storbenen Abschied zu nehmen, auf Trauerprozess sehr hilfreich sein: wenn er sich lange angekündigt hat die ganz persönliche Weise, ist mit sich verabschieden, vielleicht noch und es jetzt gut ist, dass er einge- das Wichtigste. Ungesagtes sagen, ein Gebet, ei- treten ist, erschüttert er. Da ist ein nen Segen, ein „Danke“. Der bitteren sorgfältig gestalteter Raum eine Wahrheit ins Gesicht sehen. – Es gibt bergende Hülle und unbedingt eine kein Richtig oder Falsch. Wenn man wirksame Hilfe. Ich glaube, dass der allerdings auch nur ein bisschen das Trost bergender Räume in dieser Gefühl hat, man sollte hin, dann soll- Situation kaum überschätzt werden te man es tun! Man kann diese Gele- kann. genheit nicht zurückholen. Was brauchen oder fordern die Angehörigen Verstorbener nach Ihrer Ansicht besonders? MS: Angehörige brauchen meiner UZ: Persönliche, menschliche und CW: Krankheit, Pflege, Sorge und der Ansicht nach hauptsächlich die Auf- ehrliche Begleitung! Zeit und Raum! endgültige Abschied zehren an der forderung und die gesellschaftliche Dasein. Sicherheit. Sortieren, wenn Kraft, auch der unerwartete Tod be- Erlaubnis, offen mit dem Tod und es einem den Boden unter den Fü- lastet lange schwer. Hinterbliebene der Trauer um den Angehörigen ßen wegzieht. Einen „Fahrplan“, wie brauchen (Zeit)-Räume der Erholung umzugehen. es weitergeht. So sein dürfen, wie für Leib und Seele und dürfen nicht man ist. Verständnis. Ein „zwischen sofort wieder alltagstauglich funkti- den Zeilen hören“, also auch unge- onieren müssen. Und sie brauchen sagte Wünsche/Bedürfnisse „hören“. eine Anerkennung ihres Verlustes. Wie würden Sie den Satz vervollständigen: „Der Tod bedeutet für mich …“ MS: … das Ende meiner Lebenszeit UZ: Wenn ich Abschied nehmen muss: CW: … dass ein Menschenleben un- auf der Erde. Getragen durch mei- Töne in moll, Trauer, Schmerz, Hoff- wiederbringlich vorbei ist. Mit dem ne Glaubensvorstellung, dass Gott nung. Danke, dass du da warst und Tod rutscht das irdische Leben in die uns bei sich im ewigen Leben auf- mein Leben bereichert hast. Warum? Vergangenheit. Den Tod am Ende nimmt. Ohne Streit, Krankheit und Wenn ich selbst einmal gehe: unseres Lebens, wenn es Zeit gewor- Ungerechtigkeit ist der Tod für mich Sorge um die, dich ich zurücklasse. den und das Leben hoffentlich gelebt eigentlich ein Neuanfang. Lediglich Aber auch: Leben. Ewig. An einem ist, sterben wir einmal und dann nie ein mögliches Leiden bis zum Tod guten Ort sein, bei unserem Vater mehr. Ich hoffe, dass es mir einmal kann mir Sorgen bereiten. im Himmel! gegönnt ist, in Frieden das Zeitliche Darauf will ich hoffen und vertrauen. zu segnen und im Vertrauen auf Gott zu sterben. Das Interview führte Michael Schock. Das vollständige Interview können Sie nachlesen unter
IM WANDEL GETRAGEN | 23 HINTERBLIEBENE WIE MENSCHEN, DIE AN IHRE EIGENE BEERDIGUNG DENKEN, SIND MUTIGER, DAS „LETZTE FEST“ SO ZU PLANEN, WIE ES ZU DER VERSTORBENEN PERSON UND ZU DEN ANGEHÖRIGEN PASST. – BESTATTERIN UTE ZÜFLE
24 | IM WANDEL GETRAGEN Tiere, Fahrzeuge, Gebäude – Segen für alle(s)? Schon seit Jahrtausenden bitten die Menschen um den Segen Sie betont, dass es um den Dank geht und um den Gottes, nicht nur für sich, sondern auch für die Umwelt, in der lebensdienlichen Gebrauch eines Gegenstands durch sie leben. In der katholischen oder orthodoxen Tradition z.B. ist den Menschen. Gesegnet werden also die Menschen, die Weihe und der damit verbundene Segen tief verwurzelt und die mit etwas umgehen. Wie eine entsprechende gehört selbstverständlich dazu. Aber auch in der evangelischen Segenshandlung dann jedoch von den teilnehmen- Kirche nehmen die Anfragen für solche Segenshandlungen zu. den Personen wahrgenommen wird, kann nur bedingt beeinflusst werden. – Dies gilt im Übrigen „Ich würde ihn nicht anfassen!“ Die Frau sieht mich auch für klassische Segenshandlungen wie Taufe halb streng, halb amüsiert an. Meine Hand zuckt oder Trauung. zurück. Ich stehe in einer großen Messehalle auf einem Reitplatz und bin umringt von Menschen – Mit etwas Abstand zum Schnabel des Falken lege und Tieren. Eines davon ist der Falke, der mit ich der Tierpflegerin die Hand auf und spreche ihr schiefem Kopf von der Hand seiner Tierpflegerin Gottes Segen zu. Die Hunde und Pferde werden auf mich blickt. gestreichelt und bleiben ungewohnt ruhig – als würden sie spüren, dass hier etwas Ungewöhnli- Auf der jährlich stattfindenden Heimtiermesse ches geschieht. in Stuttgart gibt es ein kirchliches Angebot. Ein kurzer Gottesdienst zwischen Hundeshows und Am Ende wird mir ein 2,5m langer Netzpython um Ponyreiten für Kinder. Höhepunkt dieses ökume- die Schultern gelegt, als wäre die Schlange eine nischen Angebots ist der sogenann- lebendige, glitzernde Stola für meinen schwarzen Es tut den Menschen gut, wenn Ihnen Gottes te Tiersegen. Wobei das nicht ganz Talar. Die Tierpflegerin strahlt – Glaube und Begleitung in Ihren stimmt, denn es werden die Men- Lebenswelt rücken ganz nah zusammen. Lebenszusammenhängen schen gemeinsam mit ihren Tieren zugesprochen wird gesegnet. Für manche der Tierhalter unter den Ausstellern ist das wichtig. Sie unter- brechen die Arbeit an ihren Ständen, um mit ih- ren tierischen Begleitern gemeinsam zum Gottes- dienst zu kommen. Neben diesem Angebot auf der Heimtiermesse gibt es noch viele weitere Beispiele, wo solche Segens- handlungen angefragt werden. Die Inbetriebnahme von Fahrzeugen für die Feuerwehr oder die Diakoniestation, die Einweihung eines neuen Gebäudes oder auch Feier wie das 150-jährige Jubiläum einer Gastwirtschaft. Das zeigt, dass die geistliche Dimension des Segens im Alltag eine Bedeutung hat und geschätzt wird. Es tut den Menschen gut, wenn ihnen Gottes Begleitung in ihren Lebenszusammenhängen zugesprochen wird. Theologisch gesehen sind solche Segenshandlun- gen durchaus umstritten. Die von der Evangeli- schen Landeskirche in Württemberg im Jahr 2001 veröffentlichte Handreichung zum Thema Segen stellt klar, dass eine „Segnung von Sachen“ nach evangelischem Verständnis nicht möglich ist. Tobias Schneider leitet die Missionarischen Dienste der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.
IM WANDEL GETRAGEN | 25 BIBLISCHER IMPULS Du sollst ein Segen sein Es ist eines der eindrucksvollsten Segensworte und wird in vielen Zusammenhängen gerne genutzt – die Zusage Gottes an Abraham in Genesis 12: „Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.“ In nur wenigen Versen wird dort beschrieben, wie Abraham auf Gottes Wort hin alles zurücklässt und in das Land aufbricht, das Gott ihm zeigt. Er ist damit ein Beispiel für unverbrüchliches Gottvertrauen, Zuversicht und den Mut, Neues zu wagen. Ohne die Zusage des Segens wäre Abraham vermut- lich nicht losgezogen. Aber Gott versprach ihm, dass durch ihn alle Sippen der Erde Segen erlangen werden. Gott geht sogar so weit, dass er den Segen für andere an ihren Umgang mit Abraham koppelt. Wer ihn segnet, wird gesegnet. Wer ihm flucht, wird verflucht. Was heute etwas schwierig wirken mag, war im damaligen Kontext doch nichts ande- res als die ultimative Zusage der Gottesbegleitung und Fürsorge. Der Gott der Väter, der Gott Abrahams ist derselbe, der sich in Jesus Christus offenbart hat und diese Segenszusage nochmals durch sein Reden und Handeln, durch Kreuz und Auferstehung verdeut- licht hat. Vergleichbar mit dem Abrahamssegen ist dabei die große Zusage des Neuen Testaments in Matthäus 28: Ich bin bei euch alle Tage. Bei Abraham hat Gott seinen Segen mit einer Auf- forderung, einem Anspruch verbunden. Abraham soll ein Segen sein. Er soll das, was ihm durch Gott Gutes geschieht, weitergeben. Und genauso fordert auch Jesus dazu auf, dass wir die Liebe, die Gott für uns hat, an andere weitergeben. Segen bedeutet letztlich nichts anderes als die Zusage, dass Gott es gut mit uns meint. Ein Segen zu sein, ihn weiterzugeben heißt demnach, durch das eigene Reden und Handeln diese Zusage Gottes deutlich zu machen – im eigenen Leben und im Umgang mit den Mitmenschen und der Schöpfung. Was sich so einfach liest, ist in der konkreten Umsetzung dann jedoch oft recht schwierig. Darum ist es gut, dass Gott uns dabei begleitet. Sein Segen für uns ist zuerst da. Und durch ihn können wir auch zu einem Segen für andere werden. Tobias Schneider
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