87 Im Wandel getragen Alte und neue Rituale entdecken - Missionarische Dienste

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87 Im Wandel getragen Alte und neue Rituale entdecken - Missionarische Dienste
PERSPEKTIVEN                                87

          MAGAZIN FÜR GLAUBEN,
          LEBEN UND GEMEINDE

          Im Wandel getragen
          Alte und neue Rituale entdecken
87 Im Wandel getragen Alte und neue Rituale entdecken - Missionarische Dienste
2|   IM WANDEL GETRAGEN

     Inhalt                                                         Das Abo

     3                    › Ein Abo der PERSPEKTIVEN ist kostenlos
          Editorial
                                                                      und unverbindlich.
     4    Rituale im Alltag, im Jahreslauf, an besonderen Orten
                                                                 › Sie können Ihr Abo jederzeit ändern, erweitern
     6    Gewohnt gut – Rituale                                    oder kündigen.
     7    Ein großes Schiff legt am Hafen ab                     › Die PERSPEKTIVEN sind ein Magazin für Glauben,
                                                                   Leben und Gemeinde; sie erscheinen ca. 2x jährlich.
     10   „Wir müssen noch unser Lied singen“
                                                                   Manchmal gibt es ergänzend eine Sonderausgabe.
     12   Prüfungssegen tut Jugendlichen gut
                                                                 › MD aktuell ist ein Newsletter mit Infos zur Arbeit
     14   Rituale in der Arbeitswelt                               der Missionarischen Dienste Württemberg;
     18   Rituale bei Tod und Bestattung                           er erscheint etwa 3x jährlich.
     20   Interview: Wenn der Tod Teil des Berufslebens ist      › Sie können jede Publikation auf Papier gedruckt
     24   Tiere, Fahrzeuge, Gebäude – Segen für alle(s)?           oder digital beziehen.
     25   Du sollst ein Segen sein: Biblischer Impuls
                                                                                Ihr direkter Weg zum ABO:
     26   Typisch Kirche					                                    Die Abo-Seite im Internet
     28   So wie Jesus am Jordan                                 http://mdwue.de/aboservice
     30   Dem Himmel so nah
     32                                              Alternativ: Dieses Formular ausfüllen, abfotografieren
          Gottesdienst im Wandel: Kirche Kunterbunt
                                                                    und per Mail an margret.illi@elk-wue.de senden:
     34   Braucht Spiritualität Inszenierung?
     36   Interview: Sprache schafft Bilder und Wirklichkeit        Ihre Kontaktdaten
     39   Der schönste Tag im Leben                                 Name:
     40   Familienfest mit prägender Wirkung                        Mailadresse:
     41   Valentins-Event für Brautpaare
     42   Kirche auf der Hochzeitsmesse                             Bei einem Papier-Abonnement brauchen wir
     44   Die Konfirmation – Verbindung zwischen Generationen       Ihre Postadresse:
     46   Mein Kind wird konfirmiert!
                                                                    Straße/Hausnr:
     49   „O du fröhliche“ im Stadion unter dem Fernsehturm
     50   Die Kapelle der Arena auf Schalke			                      PLZ und Ort:

     45   Bibel aktuell:                                            Ihre Wahl
          Wenn das innere Feuer brennt
                                                                    Ich will die PERSPEKTIVEN, das Magazin abonnieren:
     50   Spirituelle Begegnungen mit der unsichtbaren Welt
                                                                             Digital		Papier
     58   Immer wieder: Gottes Licht hinter den Schatten entdecken
     59   Beten ist Beziehungspflege                               Ich will MD aktuell, den Newsletter mit Infos zur Arbeit
     62   Gott das Herz ausschütten                                der Missionarischen Dienste Württemberg, abonnieren:
     64   FreshX als neue Form geistlicher Gemeinschaft                      Digital		Papier
     66   Mein Pilgerweg im Alltag
     67   Impressum und Kontakte
     67   Zu guter Letzt
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AUCH WENN DIE ZEIT UNS GRAD FORDERT /
GIBT ES HOFFNUNG NOCH / DASS DER TAG KOMMT, /
AN DEM ALL DAS VORBEI IST / UND DIE WELT MACHT
WIEDER AUF / UND WIR SEHEN UNS ALLE WIEDER …
– BAND SILBERMOND IM MÄRZ 2020

Liebe Leserinnen und Leser
der PERSPEKTIVEN,
das hat die Band Silbermond während des ersten           typisch kirchliche Feiern wie Taufe oder Familien-
Shutdowns der Corona-Pandemie im März 2020               gottesdienste neu gedacht werden? Spannend
gesungen und damit ein Lebensgefühl ausgedrückt,         und umstritten wird es im dritten Schwerpunkt ›
dem viele Menschen noch lange recht geben: Die           S.34 unter der Überschrift „Braucht Spirituali-
eigenen Gewohnheiten, das eigene Selbstverständnis,      tät Inszenierung?“ Braucht‘s denn das, dass Spiri-
das Beziehungsleben und alle Zukunftspläne – nichts      tualität bei Gottesdiensten, Konfirmationsfeiern,
scheint mehr verlässlich, sicher, planbar zu sein. Wie   Hochzeiten inszeniert werden
in einem Labyrinth suchen wir einen Ausweg in die        muss? Da finden sich dann auch Weitere Informationen zum
                                                                                               Abonnieren der PERSPEKTIVEN
Zukunft. Jeder für sich, jede Gemeinde, Kleingruppe      Tipps, wie Familien etwa der finden Sie auf Seite 2
und wir als Gesellschaft im Ganzen. Dazu kommen          Bedeutung ihrer Konfirmation
die Herausforderungen des eigenen Lebens, die ja         Ausdruck verleihen können. Wie inszeniert Gel-
nicht weniger geworden sind. Das Lebensgefühl bis        senkirchen auf Schalke Glauben? Und schließlich
in die mittlere Lebenshälfte ist davon geprägt, in ei-   führt Dieter Kern unter der Fragestellung „Spiri-
ner verlorenen Zeit zu leben: Wann fängt das Leben       tuelle Begegnungen mit der unsichtbaren Welt“
wieder an?                                               › S.56 in eine Beziehungswelt der besonderen Art ein.
                                                         Wie kann das Beziehungsleben mit Gott lebendig
Rituale prägen unser Leben. Vom täglichen „Grüß          werden bzw. bleiben? Welche Gewohnheiten kön-
Gott“ oder „Moin“ übers Zähneputzen bis hin zum          nen dabei helfen?
Aufhorchen beim Läuten der Kirchenglocken.
Wenn sich unsere Rituale ändern, verändert das           Auf der Suche nach Sinn, Hoffnung und Leben loten
Leben seine Richtung. Denn es ist geprägt von diesen     wir im Labyrinth der Möglichkeiten auf 68 Seiten be-
bedeutsamen Gewohnheiten, die wir so gerne unter-        kannte und neue Wege aus. Wir sind gespannt auf die
schätzen. In diesem Magazin für Glauben, Leben und       Erfahrungen, die Sie als Leser damit machen. Denn
Gemeinde machen wir uns auf die Suche danach, wie        Gottes Welt wartet hinter dem Schleier des Gewohn-
Rituale sprechen, wieder neu zu uns sprechen können.     ten überall darauf, von uns entdeckt zu werden,

Der erste Blick geht dabei auf unsere Alltagsrituale                         Ihr
und Rituale im Jahreslauf. Steffen Kaupp leitet die
Jugendkirche CHOY und bringt diese Fragen auf den
Punkt › S.6. Wir beleuchten Rituale – vom Arbeits-
leben bis hin zum Bestattungswesen. In einem
zweiten Schwerpunkt › S.26 spüren wir kirchlichen                            Thomas Wingert, Redaktionsleiter,
Gepflogenheiten nach. Wie sieht das aus, wenn                                mit dem ganzen Redaktionsteam

Hier können Sie die Silbermond-Songs hören: 		      ‚Machen wir das Beste draus‘             ‚Ein anderer Sommer‘
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     IM WANDEL GETRAGEN

     Rituale im Alltag,
     im Jahreslauf,
     an besonderen Orten
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Rituale prägen unseren Lebensrhythmus. Sie begegnen uns auf
Schritt und Tritt: im Alltag, im Jahresablauf, an entscheidenden
Stationen unseres Lebens. Und es kann immer wieder passieren,
dass Gott uns im Vertrauten entgegenkommt und uns beschenkt.
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     Gewohnt gut – Rituale

Tor! Die Spieler jubeln und umarmen sich kurz. Und nach        Wie eine Tasse Kaffee: Vitamine für die Seele
dem Sieg tanzt die Mannschaft einen Freudentanz auf dem        Ein Alltag, der sich ständig wandelt und mich so
Spielfeld ... Corona stellte vieles auf den Kopf. Doch eben    ständig zu neuen Entscheidungen drängt, kann
nicht alles: Unsere Fußballer können doch nicht ganz anders,   krank machen. Rituale mit ihren Wiederholungs-
als sich auf diese gewohnte Weise zu freuen. Das zeigt:        situationen wirken hier wie Vitamine für die ge-
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Gewisse Regeln und         stresste Seele. Ich muss mir nicht den Kopf darüber
Muster im Verhalten sind gesetzt.                              zerbrechen, wie wir das Osterfest nächstes Jahr fei-
                                                               ern: Gesetzt ist (bzw. Ritual ist), dass die Verwandt-
     Wir sind vertraut mit ganz bestimmten Handlun-            schaft sich zum leckeren Speisen trifft und dass die
     gen im eigenen Leben und im Zusammenleben mit             Kinder das versteckte Osternest suchen werden.
     anderen. Intuitive Handlungsprogramme zeichnen            Wie im letzten Jahr.
     uns aus, die wir erlernt und tief in unserem Innern
     abgespeichert haben. So werden Persönlichkeiten           Und fürs nächste Ritual muss ich nicht bis Ostern
     geformt, aber auch Rangordnungen ausgewiesen,             warten: Selbstverständlich brauche ich zu meinem
     biographische Übergänge mit Konfirmations- oder           Frühstück „meine Tasse Kaffee“ und/oder eine
     Trauritualen gemeistert, Regierungen eingesetzt,          Zigarette. Bei frommen Menschen können es auch die
     Soldaten vereidigt, Menschen beerdigt – oder              Losungen sein. Dann bin ich bei mir angekommen –
     schlicht täglich Zähne geputzt. Immer wiederholen         und kann in den Tag starten. Niemand findet
     sich gewisse Dinge und Handlungen.                        Heimat, der ständig aus dem Koffer leben muss.

     Ansprechende Wiederholungen                                Rituale lassen uns also handeln, wie wir schon im-
     Diese zum Teil seit der Kindheit gewohnten und             mer handelten. Sie tragen eine entlastende Selbst-
     kulturell gefärbten Aktionen und Interaktionen             verständlichkeit ins Leben, die sowohl mein ICH als
     bezeichnen wir als „Rituale“: Sie lassen uns in ge-        auch unser Zusammenleben formt. Was ich wieder-
     wohnter Weise Leben und Zusammenleben gestal-              hole, gehört zu mir und macht mich aus. So gewinne
     ten. Mit ihnen erfahren wir in den alltäglichen wie        ich durch persönliche wie soziale Rituale Stabilität
     in den religiösen Zonen unseres Lebens                                  und Kontinuität: Immer neu werde ich
     Wiederholungssituationen, die für uns                RITUALEN           ich und gehöre zu einer Gemeinschaft
     etwas bedeuten und sprechend sind.              WOHNT STETS EIN         inmitten aller Veränderung. Ich gewin-
     Ritualen wohnt stets ein kommunikati-           KOMMUNIKATIVER          ne Traditionen - und damit Verhaltens-
     ver symbolischer Mehrwert inne. Beim              SYMBOLISCHER          sicherheit und emotionale Bestätigun-
     Begrüßungsritual gebe ich dir die Hand           MEHRWERT INNE          gen. Rituale tun einem Menschenleben
     und vermittle dir dadurch: „Willkom-                                    gut. Sie bergen mich bei Übergängen
     men – schön, dass du da bist!“ (In Corona-Zeiten           in meiner Biographie: Die Konfirmation adelt mich
     abgewandelt zum freundlichen Ellenbogenstoß …)             vom Kind zum Jugendlichen, die Hochzeitsfeier zur
     Ich falte zum Gebet die Hände, schließe die Augen          Ehepartnerin oder zum Ehepartner. Sie gestalten
     und zeige so: Ich öffne mich einer Wirklichkeit, die       den Jahreskreislauf: Ich trinke Glühwein auf dem
     mehr ist als das, was vor Augen ist.                       Adventsmarkt – und es ist Weihnachtszeit für mich
                                                                und uns.
     Symbolische Kommunikation hat stets einen offenen
     Verweischarakter: Ihre Botschaft ist nie so eindeu-        Mein ICH hingegen leidet, wenn ich mir nicht die
     tig wie ein Verkehrszeichen. Da sie eher andeutet          Hände nach dem Einkaufen sauber waschen oder
     statt ausdeutet und ausmalt statt definiert, spricht       dieselben nicht zum Abendgebet falten kann. Meine
     sie aber auch viel mehr Emotionen bzw. menschli-           sozialen Kontakte leiden, wenn ich nicht am Abend
     che Tiefenschichten an als nur unseren Kopf. Wei-          auf meinem geliebten Kuschelsofa nochmals meine
     se sagt der Theologe Fulbert Steffensky: „Wer die          WhatsApp-Posts durchstöbern und reagieren kann.
     Form, das Ritual und den Gestus missachtet, muss reden.”   Alles eine Frage des Rituals …
     Symbolische Kommunikation spricht ohne (viele)
     Worte, dafür aber äußerst sinnlich.

                                                                                                   Fortsetzung Seite 8 ›
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WAS ICH WIEDERHOLE, GEHÖRT ZU MIR UND
MACHT MICH AUS. ICH GEWINNE TRADITIONEN –
UND DAMIT VERHALTENSSICHERHEIT UND
EMOTIONALE BESTÄTIGUNGEN.
– STEFFEN KAUPP
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     Was rastet, das rostet
     Sozialer Wandel und Flexibilisierung sind die
     Bedrohung des Selbstverständlichen und damit des
     geltenden Rituals. Was heute gilt, hilft mir morgen
     nicht weiter. Ich muss mich ständig verwandeln,
     verändern, neu erfinden. Sind Rituale hier nicht
     eher Fesseln für die Seele?
     Früher war mir die Sportschau am Samstagabend
     heilig, jetzt verfolge ich die VfB-Spiele mit einem
     „Sky“-Abo. Kinderkirche oder Jungschar waren
     für mich prägend, aber das kirchliche Grundritual
     „Gottesdienst am Sonntagmorgen“ sagt mir wenig.            Um welche Rituale sollten
     Für meine aktuelle Lebenswelt, für meine Identität         wir uns mühen, damit
     und für meine sozialen Verbindungen ist das ge-
     meinsame entspannte Familienfrühstück zur glei-            sie (an)sprechend bleiben?
     chen Zeit weit sprechender.

     Wir entdecken hier: Rituale können nur dann ihre
     Wirkkraft und heilsamen Funktionen entfalten,
     wenn sie selber sprechend und weiterhin verstan-
     den bleiben, wenn sie also weiterhin symbolische
     Kommunikation und entlastende Funktion für Men-
     schen spürbar speichern. Sonst wirken sie schnell
     verstaubt, umständlich, naiv oder gar bedrängend.
     Sie können steif und gesetzlich wirken – und somit
     „Gift“ für die eigene Seele werden. Seitens einer
     wachen und kritischen Theologie, Soziologie und
     Psychologie sieht man diese Ambivalenz, die in Ri-
     tualen steckt. Wo wirken sie entlastend-befreiend,
     wo gesetzlich-neurotisch? Und welchen Interessen
     welcher sozialen Gruppen dienen sie dabei?

     So bleibt die Frage virulent gerade für Kirche und
     Glauben: Um welche Rituale sollten wir uns mü-
     hen, damit sie (an)sprechend bleiben, und welche
     müssen behutsam transformiert oder gar finalisiert
     werden? Denn nur vertraute und noch sprechende,
     also gültige Rituale entlasten und beheimaten die
     Seele - und schaffen Beziehungen und Verbunden-
     heit, die unsere Gesellschaft braucht.

                         Steffen Kaupp ist Pfarrer
                         der Jugendkirche CHOY,
                         freiberuflicher Berater und Musiker.
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      Ein großes Schiff legt am Hafen ab

Es ist der Tag, an dem sie uns richtig groß vorkommen – unsere
Einschulungskinder. Nicht nur die eigenen, auch die Kinder
aus der Nachbarschaft, aus der Gemeinde und von unserem
Wohnort. Mächtig stolz mit dem Schulranzen auf dem Rücken
und der Schultüte im Arm kommen sie am Morgen der Ein-
schulung in unsere Kirche. Gemeinsam mit ihren Eltern und
den Großeltern wollen sie den Start in den „Ernst des Lebens“
mit einem Einschulungsgottesdienst beginnen.

      „Da legt ein großes Schiff am Hafen ab, ein Zug fährt auf
      eine lange Reise …“ Ein Mitarbeiterteam, bestehend
      aus dem Ortspfarrer und einigen ehrenamtlich
      tätigen Müttern und Vätern, möchte mit einem The-
      mengottesdienst die Kinder und deren Eltern abho-
      len. Passende Gegenstände, eine selbstgestaltete
      Kulisse, thematisch abgestimmte Lieder oder ein
      ansprechendes Anspiel, meist selbst geschrieben,
      zum jeweiligen biblischen Thema: So nehmen wir
      die Einschulungskinder mit hinein in den Gottes-
      dienst. Wir wollen ihnen verdeutlichen, dass der
      lebendige Gott selbst verspricht, sie durch ihre
      Schulzeit und darüber hinaus zu begleiten und zu
      bewahren.

          HÖHEPUNKT DES GOTTESDIENSTES IST DIE
       PERSÖNLICHE SEGNUNG JEDES EINZELNEN KINDES

      Höhepunkt des Gottesdienstes ist ganz sicher,
      sowohl für die Eltern als auch die Kinder selbst, die
      persönliche Segnung jedes einzelnen Kindes. Wir
      folgen hiermit dem Beispiel Jesu, der seine Hände
      auf die Kinder legte und für sie betete. Die Handauf-
      legung ist ein Symbol der Liebe und Fürsorge Got-
      tes. Sie wurde von frühester Zeit an im Volk Gottes
      angewandt, um ihn zu bitten, seinen einzigartigen
      und wertvollen Segen zu erteilen.

      Diesen Segen wollen wir als Christen nicht nur für uns
      behalten. Als Gemeinde Gottes sind wir beauftragt
      und bevollmächtigt, davon Gebrauch zu machen.
      „Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein“
      lesen wir in 1. Mose 12,2. Diese Zusage gilt also nicht
      nur uns, sondern eben auch den vielen kleinen und
      großen Menschen um uns herum, die wir als Kirche
      niemals aus dem Blick verlieren dürfen.

                           Katja Rostan
                           lebt mit ihrer Familie in Enzweihingen
                           und engagiert sich in der Kinder-
                           und Jugendarbeit. Materialien für
                           Einschulungsgottesdienste können
                           gerne per Mail angefragt werden.
                           | katja.rostan@web.de
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       „Wir müssen noch unser Lied singen!“ –
       Rituale bei Kindern und Jugendlichen
Jede Gesellschaft und jede Gruppe braucht Rituale, um
Zusammengehörigkeit herzustellen. Und welche Rituale           Die umfangreichen empirischen Studien der vergan-
ihr wichtig sind, merkt man daran, was Kindern und             genen Jahre mit Konfirmand/innen haben gezeigt,
Jugendlichen beigebracht wird.                                 dass das Gottesdienstritual für Konfis genau diese
                                                               Problematik hat. Je öfter sie es erleben, desto mehr
       Familienrituale                                         merken sie: Das ist ja gar nicht für uns bestimmt, der
       Ein klassisches Ritual, das wohl fast alle Kinder er-   Gottesdienst ist für andere Zielgruppen gemacht und
       leben, ist das Zu-Bett-Geh-Ritual, an dem man sich      gedacht, die Inhalte des Rituals stammen aus einer
       viele grundlegende Dinge klar machen kann. Das          Zeit, mit der wir nichts mehr anfangen können.
       Ritual stabilisiert eine kritische Situation, den Ab-
       schied von den Eltern, den Abschied vom Land der         Das zeigt deutlich: Rituale müssen weiterentwi-
       Wachheit, wo man alles unter Kontrolle hat, ins un-      ckelt werden und mit der Zeit gehen. So schön
       sichere Land der Träume und oft                                           Patina sein kann und so stabil
       auch Alpträume. Eltern, die sich             IMMER MEHR MILIEUS           Gemeinschaften sind, die alte
       Zeit nehmen, die ein vertrautes Ein-          UND LEBENSWELTEN            Rituale pflegen – irgendwann
       schlaflied singen und womöglich ein GRENZEN SICH VONEINANDER kippt die Stimmung und man
       Gebet sprechen, helfen damit ihrem           AB, INDEM SIE EIGENE         kehrt dem Muff unter den Tala-
       Kind. Wie schnell der Charakter von            RITUALE ERFINDEN           ren von 1000 Jahren den Rücken.
       Ritualen als etwas streng Geregel-                                        Die Abstimmung der Konfis mit
       tes von Kindern verstanden wird, merkt man daran,        Füßen nach der Konfirmation ist altbekannt, fast
       dass sie gern protestieren, wenn man das Ritual ver-     keiner findet mehr den Weg in einen Gottesdienst,
       kürzen oder gar ausfallen lassen will, weil gerade die   in den er nur stumpf gezwungen wurde.
       Zeit knapp ist. Dann heult das Kind, bis man das Lied
       eben doch noch gesungen hat. Und wenn der Baby-          Im Zeitalter der Individualisierung werden Rituale
       sitter kommt, wird das Kind zum Traditionswächter        seltener, die breit akzeptiert sind und gepflegt
       und alles muss genauso gemacht werden wie immer.         werden. Immer mehr Milieus und Lebenswelten
                                                                grenzen sich voneinander ab, indem sie eigene
       Welchen Schatz an Ritualen ein Kind ins Leben mitbe-     Rituale erfinden.
       kommt, hängt stark von der Familie ab. Vielleicht gibt
       es dort das Ritual, dass jeden Sonntag gemeinsam ge-     Als Kirche Jesu Christi sollten wir dafür sorgen,
       spielt wird. Oder dass man einen Spaziergang macht.      dass der Schatz unserer Rituale weiter gepflegt und
       Später werden Gruppenrituale wichtig, die in der Kita    gelebt wird, um Kindern und Jugendlichen Orien-
       gepflegt werden. Und erste Übergangsrituale wie die      tierung zu geben. Sie sollen dazu angeregt werden,
       feierliche Verabschiedung aus dem Kindergarten und       für ihr Glaubensleben eigene Rituale zu entwickeln
       der Schulanfang mit Gottesdienst und Schultüte.          wie das tägliche Abendgebet oder eine „Stille Zeit“,
                                                                in der ein Bibeltext meditiert und gebetet wird. Ich
       Passt das Ritual?                                        bin außerdem ein großer Fan von Konfi 3, weil das
       Kinder und Jugendliche produzieren auch eigene           das perfekte Alter ist, um kirchliche Rituale wie
       Alltagsrituale. Manchmal sieht man bei Jugendli-         Taufe und Abendmahl kennen zu lernen oder ein-
       chen komplizierte Begrüßungen mit einstudierten          fache Formen des Gebets einzuüben. Im Grund-
       Bewegungsabläufen: Da sieht man bei der Begrü-           schulalter beginnen Kinder ein Symbolverständnis
       ßung deutlich, wer zur Peer Group gehört und wer         zu entwickeln, das man braucht, um Rituale nicht
       nur ein mattes Nicken abbekommt. Je älter Kinder         nur zu erleben, sondern auch in ihrem Symbolge-
       werden, desto häufiger erleben sie auch, dass Ritua-     halt entschlüsseln zu können. Und sie singen gern –
       le hohl und leer sein können und damit langweilig.       schon immer waren gemeinsame Gesänge und
       Wiederholung schafft nämlich nicht nur Vertraut-         Lieder ein wichtiger Bestandteil von Ritualen,
       heit, sondern birgt immer auch die Gefahr, dass der      gehen sie doch auch lange nach dem Ritual noch
       ursprüngliche Zweck in Vergessenheit gerät.              mit einem durch den Tag.

                                                               Dr. Thomas Ebinger ist Gemeindepfarrer in
                                                               Ostfildern-Kemnat. Zuvor war er Dozent für Konfi-Arbeit
                                                               am Pädagogisch-Theologischen Zentrum in Stuttgart.
                                                               Er bloggt unter | www.thomas-ebinger.de
IM WANDEL GETRAGEN   | 11

RITUALE MÜSSEN WEITERENTWICKELT
WERDEN UND MIT DER ZEIT GEHEN.
– THOMAS EBINGER
12 |   IM WANDEL GETRAGEN

          Prüfungssegen tut Jugendlichen gut

   Im Jahr 2012 wurde – initiiert von Jugendpfarrer Ralf Brennecke   Im Jahr 2020 konnten zum geplanten Termin keine
   und seinem katholischen Kollegen in Bad Waldsee – der erste       Segnungsgottesdienste stattfinden. Das ökumeni-
   PrüfungsSegen gefeiert. In den folgenden Jahren verbreitete       sche Team hat den PrüfungsSegen daraufhin digital
   sich das Konzept eines ökumenischen PrüfungsSegens für            produziert. Angeboten wurde eine kurze Version
   Jugendliche, die vor ihrem Schulabschluss oder anderen            von knapp einer Minute und eine längere von knapp
   Prüfungen stehen, an vielen Orten.                                fünf Minuten mit Bildern, die zum Download und
                                                                     zur freien Verbreitung auf der Homepage und bei
          Ein ökumenisches Team von Jugendreferentinnen,             Youtube eingestellt wurden. Daneben gab es auch
          Jugendpfarrern und Jugendseelsorgerinnen trifft            einen geistlichen Impuls und eine Meditation.
          sich jährlich zur Vorbereitung eines Entwurfs, der         Besonders die kurze Version wurde von sehr
          dann breit zur Verfügung gestellt wird. Nachahmen-         vielen genutzt – vermutlich auch mehrfach – als
          den soll es so leicht wie möglich gemacht werden, an       Mutmacher vor den Prüfungen. Zusätzlich wurde,
          ihren Orten, in Kirchen und Schulen einen Prüfungs-        wie schon in den zwei Jahren zuvor, ein Kanal auf
          Segen anzubieten.                                          Instagram (@pruefungssegen) bespielt, auf dem von
          | www.pruefungssegen.de                                    Aschermittwoch bis zum Abschluss der Prüfungen
                                                                     durch ein Redaktionsteam täglich Ermutigungen
          Denn Segen will gut tun („bene-dicere“ – jemandem          zur Prüfungsvorbereitung gepostet wurden.
          etwas Gutes sagen). Und der PrüfungsSegen tut Ju-
          gendlichen gut. Sie kommen in der kurzen Litur-            Die Corona-Krise führte so auch für den Prüfungs-
          gie zur Ruhe, halten inne und gehen dann gestärkt          Segen zu einer Neuentdeckung. Die digitalen
          durch eine persönliche Segnung aus dem Kirchen-            Formate werden sicherlich auch in Zukunft ange-
          raum in die Prüfungen.                                     boten werden, denn sie sorgen für eine niedrig-
                                                                     schwellige Verbreitung des Segens. Wohlgemerkt
          Der PrüfungsSegen ist ein niedrigschwelliges               als Zusatzangebot für alle, die den Weg nicht in
          Angebot für kirchlich-affine und kirchlich-distan-         eine Kirche zum PrüfungsSegen finden. Denn der
          zierte Jugendliche. Und es kommen sogar Eltern             Akt der persönlichen Segnung mit Handauflegung,
          mit. Auch sie lassen sich für ein ganz bestimmtes          Kreuzzeichen (signare – bezeichnen mit dem Kreuz,
                   Anliegen segnen. Segen tut gut, besonders         segnen), Blickkontakt und persönlichen Worten
PrüfungsSegen als
Schwellenritual
                   an dieser Schwellensituation vor Prüfun-          lässt sich digital schwerlich umsetzen.
                   gen. Biografisch ist das ein weiterer Schritt
          für Jugendliche. Die Schulzeit liegt hinter ihnen. Di-
          rekt vor ihnen die Prüfungssituation und weiter in
          der Zukunft mitunter unbekanntes Land. Angesichts
                         von Unsicherheiten tut es gut, sich         Auf der Seite des Evangelischen Jugendpfarramts Stuttgart,
                                                                     www.pruefungssegen.de, sind neben den Veranstaltungs-
                             Gottes Segen zusprechen zu las-
                                                                     orten in Württemberg und darüber hinaus auch alle Entwürfe,
                              sen. So betrachtet ist der Prü-        Audiodateien, Berichte und Materialien zur Werbung bereitgestellt.
                               fungsSegen ein Schwellenritual.

                                                                     Matthias Rumm ist Jugendpfarrer
                                                                     im Evangelischen Kirchenkreis Stuttgart.
IM WANDEL GETRAGEN   | 13

PRAXISTIPP

Einen Hoffnungssamen pflanzen

Material: ein kleiner Blumentopf, Blumenerde, Wasser, Samen
(Bohnen, Sonnenblumen oder anderer Samen)

Anleitung: Den Blumentopf mit Erde füllen, den Samen hineinlegen,
mit etwas Erde bedecken und gießen. Auf die Fensterbank stellen
und immer wieder die Erde befeuchten. Nun heißt es, warten, zuschauen
und staunen, wie aus einem so kleinen Samen eine Pflanze wächst.
Diese hegen und pflegen.

Hierzu noch ein Bibelvers aus 1. Mose 1, 12:
Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringt, ein jedes nach
seiner Art, und Bäume, die da Früchte tragen, in denen ihr Same ist, ein jeder
nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war.             (Lutherbibel 2017)

Diakonin Silke Waibel
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          Rituale in der Arbeitswelt
          Die Prüfung des Werkzeugkoffers nach dem immer gleichen Schema, die Textmarker
          farblich immer gleich angeordnet, die Abläufe wie gewohnt: Bewusst oder unbewusst
          folgen wir auch am Arbeitsplatz vertrauten Ritualen. Und genau dort können uns
          auch die Rituale begegnen, die wir mit unserem Glauben und unserem Wertesystem
          verbinden. Das gilt im Büro genauso wie auf Streife oder in der Hotellerie.

          Wo zwei oder drei zusammenkommen...
   Eigentlich mag ich das Wort „Rituale“ überhaupt nicht.
   Unwillkürlich muss ich dabei an eine inhaltsleere Hülle, an
   starre Abläufe oder kultische Handlungen denken.

          Wenn ich genauer darüber nachdenke, wo ich so-           Wie läuft so ein Treffen ab? Wir lesen die Losung
          genannten Ritualen folge, werde ich aber doch            oder jemand bringt einen Impuls mit. Wir tauschen
          fündig. Morgens mache ich in der Regel Stille Zeit       uns darüber und auch über persönliche Anliegen
          mit den „Lichtstrahlen“, ich bete vor dem Essen          aus. Wir beten dafür, für unser Land und unsere
                                 und besuche wöchentlich,          Politiker, für unsere Gemeinden, für die Firma, für
Wir brauchen einen vertrauten
                                 sofern nichts dazwischen          verfolgte Christen und die Welt. Das klingt jetzt
Rahmen, der Geborgenheit schafft
und mit Inhalt gefüllt wird      kommt, einen Gebetskreis          sehr umfassend, und das ist es oft auch. Am Ende
                                 unter Arbeitskollegen. Es         beten wir gemeinsam das Vaterunser und wün-
          waren in meinem Berufsleben verschiedene Ge-             schen uns eine gesegnete Woche. Es tut einfach
          betskreise an unterschiedlichen Orten und zu             gut, so in die Arbeitswoche zu starten.
          unterschiedlichen Zeiten: morgens vor Arbeitsbe-
          ginn, in der Frühstücks- oder Mittagspause, gleich       Bis vor kurzem konnte ich mir nicht vorstellen,
          montags am Anfang der Woche oder freitags zum            dass unser Gebetstreffen auch online über Sky-
          Abschluss der Arbeitswoche.                              pe sinnvoll und bereichernd ist. Ich habe meine
                                                                   Meinung geändert. Es geht und ich würde etwas
          Dabei konnte ich viele Kolleginnen und Kollegen          vermissen, hätten wir, bedingt durch Corona, den
          kennenlernen, mit denen ich sonst nicht in Kon-          Gebetskreis ausfallen lassen.
          takt gekommen wäre. Es war immer eine Verbun-
          denheit zu spüren auf der Basis unseres gemein-          Rituale? Wie anfangs beschrieben wäre es mir nie
          samen Glaubens. Es tut einfach gut, zu sehen, dass       in den Sinn gekommen, unser Treffen unter dem
          in der Berufswelt Menschen mit mir zusammen              Stichwort „Rituale“ abzuheften. Aber es ist tat-
          unterwegs sind, die den christlichen Glauben auch        sächlich eine gewisse Regelmäßigkeit zu erken-
          am Arbeitsplatz leben wollen und mit denen ich           nen, und wir Menschen brauchen einen vertrau-
          grundlegende Werte teile.                                ten Rahmen, der Geborgenheit schafft und dann
                                                                   umso leichter mit Inhalt gefüllt werden kann.

                                                                  Manfred Weimer ist Diplom-Ingenieur und
                                                                  arbeitet als Projektleiter in der Entwicklung im
                                                                  Raum Stuttgart. Er ist in seiner Kirchengemeinde
                                                                  aktiv im Posaunenchor und im Hauskreis.
IM WANDEL GETRAGEN        | 15

     Ein Stoßgebet vor dem Einsatz
Vor meinem Studium bei der Polizei BW habe ich im Kloster        • Während oder direkt nach Einsätzen, die über
Triefenstein bei Würzburg mein freiwilliges soziales Jahr ver-     das Übliche hinausgehen, habe ich keine fes-
bracht. Der Tagesablauf der Christusträger Brüder ist geprägt      ten Rituale. Weil solche Einsätze meist das ganze
von regelmäßigen Gebetszeiten. Während meiner Zeit dort            Bewusstsein und eine gesteigerte Wahrnehmung
habe ich Rituale und Liturgie sehr intensiv kennen- und be-        erfordern, ist dafür oft kein Raum vorhanden.
wusst schätzen gelernt.                                            Dann ist es ein Stoßgebet: „Herr Jesus, hilf“, oder,
                                                                   wenn mehr Zeit ist, ein kurzes Herzensgebet: „Herr
      Auch in meinem polizeilichen Alltag entdecke ich             Jesus Christus, erbarme dich meiner“, das mir in solchen
      immer wieder Rituale, die mir helfen, mit schwie-            Situationen Halt und Ruhe gibt.
      rigeren Situationen zurecht zu kommen:
                                                                 • Eins der wichtigsten Dinge nach besonderen
    • Das Anziehen und Ablegen der Uniform und der                 Einsätzen ist es für mich, sich mit den Kollegen
      Ausrüstungsgegenstände ist eine immer wie-                   über das Erlebte auszutauschen. Das, was passiert
      derkehrende Handlung, die für mich eine tiefere              ist, zu erzählen und mögliche Handlungsalter-
      Bedeutung hat. Die Uniform anzuziehen ist stark              nativen zu besprechen hat mir
      mit dem Gefühl verbunden: „Jetzt ist Dienst!“ und            bisher immer ungemein gehol-             Von Christus getragen,
                                                                                                     Christus tragen – Leitsatz der
      unterschwellig schwingt mit: „Herr, bitte sei dabei.         fen. Oft kann man das Erlebte       Christusträger Bruderschaft
      Begleite mich und beschütze uns und die, denen wir           so noch einmal aus einer ganz
      begegnen.“                                                   anderen Perspektive betrachten und die Arbeit
                                                                   dann bei der Arbeit lassen und nicht mit heim
    • Besonders in meiner Zeit im Streifendienst ist mir           nehmen.
      folgendes Ritual sehr bewusst geworden: Immer
      wenn ich kurz vor Dienstbeginn in der Waffen-               Wenn mich ein Einsatz trotzdem länger beschäf-
      kammer die Pistole aus dem Fach nehme und in                tigt, entlastet es mich, dass ich im Gebet alles vor
      das Holster stecke, denke ich kurz darüber nach:            Gott bringen und mich darauf verlassen kann,
      „Hoffentlich brauche ich die auch heute nicht.“             dass er mir meine Lasten abnimmt. Ich darf im
                                                                  festen Vertrauen auf Gott durch meinen (Berufs-)
    • Die Waffe nach dem Dienst wieder wegzuschließen             Alltag gehen. Ich weiß mich gut behütet und
      symbolisiert auf der anderen Seite, dass „es gut            kann jederzeit nach seiner Hand greifen,
      gegangen“, die Zeit der potentiellen Gefahr vorbei          wenn ich ihn brauche. So wie ich Christus
      ist. Die Schwere erlebter Situationen ist damit oft         in meinem Herzen trage, trägt er mich tagein,
      von mir abgefallen.                                         tagaus.

                                                                  Mareike Kloppenburg ist Polizeioberkommissarin.
                                                                  An ihrem Arbeitsplatz im Präsidium am Pragsattel
                                                                  schätzt sie neben ihren Kollegen besonders die
                                                                  wunderschöne Aussicht über Stuttgart.
16 |   IM WANDEL GETRAGEN

       Rituale und Gastfreundschaft
       Herr Köhler, Sie sind Direktor der zwei Mövenpick-       Werden über den üblichen Weihnachtsschmuck
       Hotels an Messe und Flughafen in Stuttgart mit           hinaus religiöse Festzeiten wie die Osternacht oder
       zusammen fast 600 Zimmern. Welche Rituale erleben        der Fastenmonat Ramadan im Hotel wahrgenommen?
       Sie im Alltag eines internationalen Hotels?              Selbstverständlich gibt es beim Personal Menschen, die
       Unter vielen ein Beispiel: Wenn ein Gast während des     ihre Religion leben. Das begrüßen und fördern wir aus-
       Aufenthalts Geburtstag hat, gibt es einen Geburts-       drücklich. Eine eigene kulturelle Identität ist eine wichti-
       tagskuchen oder einen Gruß aufs Zimmer. Auch ein         ge Grundlage für gelebte Gastfreundschaft!
       besonders geschmückter Tisch im Restaurant wird          Auch die kleinen Kultur-Rituale des Alltags unterstützen
       vorbereitet. In unseren Teams mit zusammen mehr als      wir: So schätzen wir es ausdrücklich, wenn Menschen
       200 Beschäftigten pflegen wir auch eigene Rituale im     an der Rezeption mit dem süddeutsch-regionalen „Grüß
       Betriebsalltag: So bedienen wir einmal im Monat unsere   Gott“ begrüßt werden. Wer selbst diese Kultur mitbringt,
       Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Mahlzei-        wird damit authentischer wahrgenommen als mit einem
       ten, und am Geburtstag erhalten sie einen besonders      universal-neutralen „Guten Tag“.
       geschmückten Kaffeetisch.                                Und Kolleginnen und Kollegen aus anderen Kulturen
       Bis vor kurzem haben wir uns jeweils am Freitagnach-     bringen ihre Kultur und ihre Rituale gerne hier ein. Eine
       mittag im Gang der Büro-Etage getroffen – ein offener    Kollegin aus dem Fernen Osten begrüßt die Gäste
       Treffpunkt am Ende der Woche. Ein Schlückchen Wein,      anders als ihr Kollege, der z.B. aus Italien kommt. Das ist
       Gespräche, was läuft – ein beliebtes und entspannendes   authentisch und persönlich.
       Wochenend-Ritual.
                                                                Rituale aus Kultur und Religion sind also Teil
       Haben Sie auch Erfahrungen mit religiösen Ritualen       gelebter Gastfreundschaft?
       im Team oder mit Gästen?                                 So kann man das durchaus formulieren. Wenn es im
       Erstaunlicherweise begegnen uns religiöse Rituale eher   Team Leute gibt, die Fastenzeiten einhalten, aus wel-
       selten. Wir sind ein Ort der Gastlichkeit für alle und   cher Religion auch immer, dann werden wir sensibler
       bleiben deshalb eher neutral. Aber in den Zimmern sind   für unsere Gäste. Dasselbe gilt auch für den Umgang
       Bibeln vorhanden, und einen Koran kann jeder Gast an     mit Alkohol oder bestimmten Speiseregeln.
       der Rezeption erhalten.                                  Ich bin gerne Direktor eines Hotels, in dem Gastfreund-
                                                                schaft sensibel und achtsam gelebt wird. Wo wir das
                                                                schon im Team einüben, gelingt uns das mit unseren
                                                                Gästen umso besser.

                                                                Herzlichen Dank für das Gespräch!
                                                                Die Fragen stellte Matthias Hiller.

                                                                Jürgen Köhler ist General Manager
                                                                Stuttgart Airport & Messe und Director
                                                                of Operations Germany der Mövenpick
                                                                Hotels & Resorts.
IM WANDEL GETRAGEN           | 17

    Rituale im Jahreslauf

    Viele kleine und größere Rituale begegnen uns nicht nur
    im Lebenslauf, sondern in besonderer Weise auch im Laufe
    eines Jahres. Ob es das Bleigießen an Silvester ist oder der
    Maibaum, der Martinsumzug oder das Geldbeutelwaschen am
    Aschermittwoch: Wenn solche Rituale ausfallen oder ausfallen
    müssen, dann ist das Jahr nicht mehr vollständig.                           Fasching – Fasnet – Karneval
                                                                                Verkleidung ist wichtig. Das können
                                                                                                                        alemanni-
                                                                                sche Häs sein mit Hexen- oder Tier
                                                                                                                    masken oder
                                                                                die Cowboy-, Indianer- oder Prin
                                                                                                                       zessinnen-
                                                                                verkleidung der Kinder. Die Saalver
                                                                                                                    anstaltungen
                                                                                mit mehr oder weniger launigen
                                                                                                                     Reden über
                                                                                politische und weltliche Themen
                                                                                                                     stehen den
                                                                               Umzügen mit Guggenmusik und
                                                                                                                     Häsgruppen
                                                                               gegenüber.     Das   Froschkuttelessen
                                                        Baum, meist                                                         einer
Maibaum
                   en  ta st et er  und geschmückter                           Riedlinger Narrenzunft am Fasc
                                                                                                                  hingsdienstag
Ein entrinde te r,                                           r männ-
                      it be  la ss en er Spitze wird von de                    ist genauso ein Ritual wie das
                                                                                                                    Auswaschen
ein Nadelbaum    , m                                           ichtet.
                        am    Vo  ra be nd  des 1. Mai aufger                  des leeren Geldbeutels am Ascher
                                                                                                                   mittwoch in
lichen Dorfjuge    nd                                           .April
                       ic ht en    m it ei ne m Dorffest am 30                 Rottenburg.
Meist ist das Aufr
                      den.                              . Es wird ver-
 und 1.Mai verbun               de  s Maibaumstehlens
                     Br au  ch
 Dazu gibt es de  n                                    chbardorfs zu
                     er ei te te n   Maibaum des Na
 sucht, den   vo rb                                       öst werden.
               Be  i ge lu ng  en  er Tat muss er ausgel
 entwenden.

                                                                            Polterabend
                                                                            Der Polterabend findet als Vorhochzeitsfest statt.
                                                                            Dem vor der Hochzeit stehenden Paar wird dabei
                                                                            als Dank für die Bewirtung Porzellan zu Bruch
       Vater tag                                                            gebracht, denn Scherben bringen Glück.
      Dieser Tag geht mit einem
                                ritualisierten Besäufnis
      einher. Bei Vatertagsto
                              uren scheint es wichtig
      sein, dass in der Gruppe                        zu
                                 von Männern, die mit
      einem Bollerwagen unter
                                wegs ist, möglichst viel
      Alkohol vernichtet wird
                              .
                                                                            Mar tinsumzug                                   s Laternen-
                                                                                                      g ist eine Form de
                                                                            Der Martinsumzu                                    s Heiligen
                                                                                                            die Geschichte de
                                                                            umzugs. Dabei wird                             als römischer
                                                                                                       nachgespielt, der
                                                                            Martin von Tours                               tel mit einem
                                                                                        au  f ei  ne m  Pferd seinen Man
                                                                            Of fiz ie r                                        rische Um-
                                                                                        te ilt e. Be gl ei tet wird der spiele
                                                                             Bett le r                                           Laternen.
                                                                                         Ki  nd  er n (u nd   deren Eltern) mit
                                                                             zug vo   n                                             an die
      Adventskalender
                                        Adventskalen-                                    sc  hl us s w  er  de n oft Gebäckstücke
      Ein liebgewonnenes Ritual ist der                                      Zum Ab
                                         zu versüßen,                        Kinder verteilt.
      der. Um die Zeit bis Weihnachten
                                        e) kleine Päck-
      werden für Kinder (und Erwachsen
                                         Kleinigkeiten
      chen mit Leckereien oder anderen
      aufgehängt.

                                                                          Silvester
                                                                          Einige Rituale haben sic
                                                                                                   h an Silvester herausgebil
                                                                         det. Vielerorts wird Fond                           -
                                                                                                    ue gemacht, das die Län-
                                                                         ge des Abends überbrü
                                                                                                   cken soll. Mit Bleigießen
                                                                         und dem Ausdeuten de
                                                                                                  r gegossenen Figuren sol
                                                                         ein Blick ins neue Jahr ge                          l
                                                                                                    wagt werden.
18 |   IM WANDEL GETRAGEN

                            Ein Kind steht vor der Urne seines Papas.
                            Dann nimmt es aus dem Korb mit den Blütenblättern
                            fast alle heraus und gibt sie mit vollen Händen ins
                            Grab. Es ist sein Papa. Da kann es so viele Blütenblätter
                            reinlegen, wie es mag.
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     Wenn es um die letzte Wegstrecke geht –
     Rituale bei Tod und Bestattung
Der größte Einschnitt in einem Leben, der auch die meiste      Ute Züfle gibt als Bestatterin viele konkrete
seelsorgliche Begleitung benötigt, ist sicher ein Todesfall.   Anregungen, wie Menschen in der Ausnahmesitu-
Hier muss aus verschiedenen Positionen und in verschiedene     ation gut begleitet werden können. So hat sie im
Richtungen gedacht und geblickt werden.                        Jahr 2019, zusammen mit ihrer Geschäftspartnerin
                                                               Chantal Häfner, in Stuttgart das „Café Tod“
      Da ist zum einen der sterbende Mensch, dem Trost         gegründet. Damit bieten sie eine Plattform, um
      und Hoffnung zugesagt werden sollen für einen            ungezwungen und unabhängig davon, ob man
      Weg, von dem kein Lebender je berichtet hat. Und         einen Sterbefall hatte oder nicht, bei Kaffee und
      da sind zum anderen die Angehörigen und Freunde.         Kuchen über das Thema Tod zu reden.
      Auch ihnen muss Trost und Hoffnung zugesagt wer-         | www.bestattungen-haefner-zuefle.de
      den, denn eine lebensbegleitende Person zu verlie-
      ren bringt Schmerz und Leere mit sich.                   Pfarrerin Christiane Wellhöner stellt aus theolo-
                                                               gischer Sicht Betrachtungen über Tod und Trauer-
      Der Sterbeprozess, die Beerdigung und die Trauer-        bewältigung an.
      zeit sind mehr sind als nur technische Verrichtun-
      gen medizinischer Art und der Versorgung eines           Letztlich aber können hier keine Rezepte für gelin-
      Leichnams.                                               gende Trauerarbeit vorgelegt werden. Diesen Weg
                                                               muss jeder Mensch selbst gehen und auch für sich
      Rituale können dazu beitragen, dass diese Zeit, vor      selbst und seine Familie hilfreiche Rituale entwi-
      allem des Trauerns um einen verstorbenen Men-            ckeln oder anpassen.
      schen, als fürsorglich und tröstend empfunden
      werden kann. Nirgendwo sonst gibt es von jeher so        Sterbende werden am Sterbebett von Angehörigen
      viele unterschiedliche Rituale wie beim Abschied         und Freunden besucht. Im Wissen um die Letzt-
      von Verstorbenen.                                        maligkeit des Besuchs wird von einander Abschied
                                                               genommen. Ein gemeinsam gesprochenes Gebet
      Wurde früher mit den Worten „Taufe – Trauung –           oder Vaterunser kann helfen, den Blick auf die Hoff-
      Tod“ die seelsorgliche Präsenz von Pfarrerinnen          nung der Ewigkeit zu lenken.
      und Pfarrern beschrieben, so hat sich auch dies ge-
      wandelt. Die Begleitung von Sterbenden und deren         Warum von der Verstorbenen nicht zu Hause Abschied
      Angehörigen liegt nicht mehr alleine bei den Geist-      nehmen und eine Totenwache halten? In den meisten
      lichen, sondern wird oft auch von Ärzten, Bestatte-      Bundesländern dürfen Verstorbene bis zu 36 Stunden
      rinnen oder Trauerrednern geleistet. Dabei gehen         zu Hause aufgebahrt werden.
      alte Rituale, wie die Aussegnung zu Hause, die Lei-
      chenwaschung durch Angehörige oder die Toten-            Leichenschmaus: Ein schreckliches Wort. Aber es soll
      wache immer mehr zurück.                                 die Zusammenkunft der Trauernden bei Kaffee und
                                                               (im Schwäbischen) Hefezopf beschreiben. Im Reden
      Wir haben drei Menschen befragt, die in ihrem            miteinander, auch über die verstorbene Person, wird
      beruflichen Alltag in unterschiedlicher Weise mit        die Trauer geteilt, aber auch gemeinsame Wegstre-
      Sterbenden, dem Tod, der Bestattung und den zu-          cken noch einmal nachverfolgt.
      gehörigen Ritualen zu tun haben.
                                                               Eine Aussegnung durch Pfarrerin oder Pfarrer bei der
      Dr. Martin Schock betont die Notwendigkeit, offen        Abholung des Verstorbenen bettet den letzten Weg
      mit dem Tod umzugehen und den Angehörigen                von zu Hause liturgisch ein.
      Hilfestellung bei der Trauerarbeit zu leisten.
                                                               Heute äußern immer mehr Menschen den Wunsch,
                                                               im Friedwald oder auf See bestattet zu werden. Dabei
                                                               entstehen neue Rituale.

                                                               Michael Schock ist Landesreferent für
                                                               Kirchenraumpädagogik und Prädikantenarbeit.

                                                                                                             Fortsetzung ›
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       Wenn der Tod Teil des Berufslebens ist

       DR. MARTIN SCHOCK ist leitender              UTE ZÜFLE leitet zusammen mit ihrer       CHRISTIANE WELLHÖNER war an
       Oberarzt in der Chirurgie. Er ist außerdem   Geschäftspartnerin Chantal Häfner ein     verschiedenen Stellen als Gemeinde-
       langjähriger ehrenamtlicher Mitarbeiter      Bestattungsunternehmen in Stuttgart.      pfarrerin tätig. Seit 2019 ist sie Studien-
       in der evangelischen Jugendarbeit.                                                     leiterin am Evangelischen Pfarrseminar
                                                                                              in Stuttgart-Birkach.

       Wie sind Sie dazu gekommen, den Beruf des Arztes, der Bestatterin, der Pfarrerin zu ergreifen?

       MS: Ich hatte mehr aus Solidarität           UZ: Nach meinem Examen als Kran-          CW: Ich wollte etwas Schönes
       zu meinen beiden (Schul-)Freunden            kenschwester habe ich ein paar            machen – und die Beschäftigung mit
       den Medizinertest mitgemacht. Für            Jahre auf einer Intensivstation gear-     der bilderreichen Welt der Bibel hat
       das Medizinstudium ist ein zweimo-           beitet. Als mir angeboten wurde, als      mich immer fasziniert und bezaubert.
       natiges Pflegepraktikum notwendig.           Bestatterin zu arbeiten, sah ich dies     Jetzt genieße ich das Privileg, un-
       Mit der Zeit wurde mir klar, dass ich        zunächst nur als Horizonterweite-         ser eigenes Leben und Ergehen
       als Chirurg meine praktisch-hand-            rung und ich dachte, eines Tages          und die Erfahrungen mit Gott, die
       werklichen Fähigkeiten und das Be-           geht es zurück in die Notfallmedizin.     in der Bibel gesammelt wurden,
       dürfnis, einen für andere nützlichen         Doch schnell merkte ich: Bestatterin      zusammenzudenken. Es öffnen sich
       Beruf zu ergreifen, gut verknüpfen           ist meine absolute Berufung!              neue Perspektiven, auch für den
       konnte. Ich sah mehr und mehr den                                                      Schmerz, dass ein gemeinsamer
       Plan Gottes darin.                                                                     Weg zu Ende gegangen ist.

       Wie gehen Sie persönlich mit Todesfällen um, mit denen Sie beruflich zu tun haben?

       MS: Da im Krankenhaus in der Regel           UZ: Wichtig finde ich, dass man ein       CW: Ich versuche, mir klarzumachen,
       mehrere Personen den Tod erleben             privates Umfeld hat, welches die-         dass die/der Verstorbene nicht mein
       und begleiten, findet in den meis-           sen besonderen Beruf mitträgt. Im         Verstorbener ist. Ich versuche, mich
       ten Fällen eine Aufarbeitung durch           Team stehen wir in engem Kontakt          in die Situation und das Erleben der
       Gespräche dieser Personen unter-             und geben Zeit und Raum zum Aus-          Angehörigen einzufühlen, ohne wie
       einander statt. Dies ist ein sehr hilf-      tausch. Ergänzend braucht es „neu-        sie zu fühlen. Und ich suche Worte,
       reicher Prozess, um bei besonderer           trale“ Menschen, mit denen man über       die einerseits dem Tod entgegentre-
       Betroffenheit entlastet zu werden            Erlebtes reden kann. Kraft für meine      ten und das Schweigen brechen und
       und zu entlasten.                            tägliche Arbeit geben mir meine Fa-       andererseits die eingetretene Stille
                                                    milie, die Musik, der Sport, die Natur,   nicht stören.
                                                    mein Freundeskreis, die wertschät-
                                                    zenden und schönen Rückmeldungen
                                                    der Menschen, die ich begleitet habe,
                                                    und nicht zuletzt mein Glaube.

       Hat sich der Umgang mit dem Tod in den letzten zehn Jahren verändert?

       MS: Für mich eigentlich nur durch            UZ: Ja! Und darüber bin ich froh. Wir     CW: Das kann ich schwer beurteilen.
       einen gewachsenen Erfahrungs-                versuchen, den Tod wieder ins Le-         Vielleicht wird die Spannung größer
       schatz, damit umzugehen.                     ben zu bringen. Hinterbliebene wie        zwischen der intensiven Auseinan-
                                                    Menschen, die an ihre eigene Be-          dersetzung mit dem Sterben einer-
                                                    erdigung denken, sind mutiger, das        seits, woran die Hospizbewegung
                                                    „letzte Fest“ so zu planen, wie es        einen guten Anteil hat, und der Ta-
                                                    zu der verstorbenen Person und zu         buisierung des Todes andererseits.
                                                    den Angehörigen passt. Abschied-          Mich bedrückt die Anonymisierung
                                                    nahmen zu Hause nehmen wieder             und Privatisierung des Todes.
                                                    deutlich zu. Schade finde ich, dass
                                                    viele Beisetzungen im allerkleinsten
                                                    Kreis stattfinden.
IM WANDEL GETRAGEN          | 21

DR. MARTIN SCHOCK                         UTE ZÜFLE                                 CHRISTIANE WELLHÖNER
ARZT                                      BESTATTERIN                               PFARRERIN

Haben Sie den Eindruck, dass Menschen mit dem Tod befangener oder hilfloser umgehen
als noch vor zwanzig Jahren?

MS: Die Ferne zum Tod und die oft sehr    UZ: Eigentlich eher das Gegenteil.        CW: Der Wunsch, bewusst und
privat gelebte Trauer um einen Ange-      Zumindest möchte ich mich gerne           selbstbestimmt sterben zu dürfen,
hörigen sind in unserer Gesellschaft      dafür einsetzen. Wenn ein lieber          wird begleitet von der Angst, dass
fest verankert. Eine Chance sehe ich in   Mensch stirbt, kann das jede und          einem genau das verwehrt wird. Es
den Patientenverfügungen, die die ei-     jeden hilflos machen. Es zieht einem      kostet viel Mut, sich diesem Konflikt
genen Vorstellungen von Sterben und       den Boden unter den Füßen weg.            und den damit verbundenen Fragen
Tod öffentlich machen. Ich kann nur je-   Nichts ist mehr, wie es war. Da darf      zu stellen. Wer soll eine Vorsorgevoll-
den ermutigen, diese mit Angehörigen      man hilflos sein. Da darf man Hilfe       macht erhalten? Was soll in der Pati-
zu besprechen, solange es einem gut       in Anspruch nehmen. Befangen zu           entenverfügung geregelt sein? Wem
geht. Das erleichtert es den Angehö-      sein halte ich für blockierend, aber      kann man vertrauen?
rigen und auch den Behandelnden, ei-      das erlebe ich sehr selten.
nen Menschen in den Tod loszulassen.

Gibt es Rituale, die in den letzten Jahren zugenommen haben?

MS: Das einzige, was vielleicht zu-       UZ: Ja! Auf jeden Fall. Zum Beispiel:     CW: Wahrscheinlich gibt es das,
genommen hat, ist die Bereitschaft        Ein Foto, eine Collage, eine Bild-        aber ich bekomme als Vertreterin
oder der Wunsch von Angehörigen,          präsentation des Verstorbenen. Ein        der evangelischen Kirche lange nicht
auch schon beim Sterbeprozess             „Teelichtritual“, d.h. jeder Trauergast   alle mit. Wir folgen ja einem eigenen
anwesend zu sein und nicht erst           darf ein Licht für den Verstorbenen       Bestattungsritual.
nach dem Tod informiert werden            anzünden. Das Bemalen oder Ge-
zu wollen.                                stalten des Sarges. Dabei sein beim
                                          Versorgen der/des Verstorbenen.
                                          Dabei sein beim Abholen oder der
                                          Kremation. Und vieles mehr!

Gibt es Rituale, die in den letzten Jahren abgenommen haben oder weggefallen sind?

MS: Aus meiner beruflichen Sicht          UZ: Es werden nicht mehr so viele         CW: Aussegnungen zu Hause und
nicht.                                    Gebetskarten („Sterbebilder“) ge-         Abendmahlsfeiern mit Sterbenden
                                          wünscht. Auch das Auflegen eines          haben signifikant abgenommen.
                                          Kondolenzbuches wird seltener.
                                          Häufiger finden Abschiede im en-
                                          gen Kreis statt. Aussegnung der/
                                          des Verstorbenen. Schwarze Klei-
                                          dung bei Trauerfeiern oder ein Jahr
                                          schwarz tragen.

Gibt es Unterschiede bei Bestattungen, wenn diese im ländlichen Raum oder in der Stadt stattfinden?

MS: Beruflich habe ich mit den            UZ: Ja, auf jeden Fall. In ländlicheren   CW: Menschen der Dorfgemeinschaft
Bestattungen nichts zu tun.               Gegenden gibt es noch mehr Erdbe-         nehmen selbstverständlich an Beer-
                                          stattungen. Es wird noch viel mehr        digungen teil. Der Tod wird nicht als
                                          darauf geachtet, „den Leuten“ alles       privates Ereignis einer Familie begrif-
                                          recht zu machen. Schön ist, dass          fen. Auch der Friedhof als öffentliche
                                          man in ländlichen Gegenden in der         Agentur für Trauer, wo man anderen
                                          Regel viel mehr Zeit hat und außer        begegnet, sich austauscht und sogar
                                          dieser einen Beerdigung sonst keine       tiefe Freundschaften entstehen, spielt
                                          an diesem Tag stattfindet. In den gro-    im ländlichen Raum eine größere Rol-
                                          ßen Städten ist alles durchgetaktet.      le als im städtischen.

                                                                                                              Fortsetzung ›
22 |   IM WANDEL GETRAGEN

       DR. MARTIN SCHOCK                      UTE ZÜFLE                                CHRISTIANE WELLHÖNER
       ARZT                                   BESTATTERIN                              PFARRERIN

       Wie wichtig sind besondere Räume im Krankenhaus, einem Bestattungsinstitut oder
       auf dem Friedhof, um von Verstorbenen Abschied zu nehmen?

       MS: Solche Räume sind unvermeid-       UZ: SEHR WICHTIG! Abschiedneh-           CW: Angehörige erleiden durch den
       lich wichtig. Die Zeit, um vom Ver-    men kann für den persönlichen            Tod einen schweren Verlust. Selbst
       storbenen Abschied zu nehmen, auf      Trauerprozess sehr hilfreich sein:       wenn er sich lange angekündigt hat
       die ganz persönliche Weise, ist mit    sich verabschieden, vielleicht noch      und es jetzt gut ist, dass er einge-
       das Wichtigste.                        Ungesagtes sagen, ein Gebet, ei-         treten ist, erschüttert er. Da ist ein
                                              nen Segen, ein „Danke“. Der bitteren     sorgfältig gestalteter Raum eine
                                              Wahrheit ins Gesicht sehen. – Es gibt    bergende Hülle und unbedingt eine
                                              kein Richtig oder Falsch. Wenn man       wirksame Hilfe. Ich glaube, dass der
                                              allerdings auch nur ein bisschen das     Trost bergender Räume in dieser
                                              Gefühl hat, man sollte hin, dann soll-   Situation kaum überschätzt werden
                                              te man es tun! Man kann diese Gele-      kann.
                                              genheit nicht zurückholen.

       Was brauchen oder fordern die Angehörigen Verstorbener nach Ihrer Ansicht besonders?

       MS: Angehörige brauchen meiner         UZ: Persönliche, menschliche und         CW: Krankheit, Pflege, Sorge und der
       Ansicht nach hauptsächlich die Auf-    ehrliche Begleitung! Zeit und Raum!      endgültige Abschied zehren an der
       forderung und die gesellschaftliche    Dasein. Sicherheit. Sortieren, wenn      Kraft, auch der unerwartete Tod be-
       Erlaubnis, offen mit dem Tod und       es einem den Boden unter den Fü-         lastet lange schwer. Hinterbliebene
       der Trauer um den Angehörigen          ßen wegzieht. Einen „Fahrplan“, wie      brauchen (Zeit)-Räume der Erholung
       umzugehen.                             es weitergeht. So sein dürfen, wie       für Leib und Seele und dürfen nicht
                                              man ist. Verständnis. Ein „zwischen      sofort wieder alltagstauglich funkti-
                                              den Zeilen hören“, also auch unge-       onieren müssen. Und sie brauchen
                                              sagte Wünsche/Bedürfnisse „hören“.       eine Anerkennung ihres Verlustes.

       Wie würden Sie den Satz vervollständigen: „Der Tod bedeutet für mich …“

       MS: … das Ende meiner Lebenszeit       UZ: Wenn ich Abschied nehmen muss:       CW: … dass ein Menschenleben un-
       auf der Erde. Getragen durch mei-      Töne in moll, Trauer, Schmerz, Hoff-     wiederbringlich vorbei ist. Mit dem
       ne Glaubensvorstellung, dass Gott      nung. Danke, dass du da warst und        Tod rutscht das irdische Leben in die
       uns bei sich im ewigen Leben auf-      mein Leben bereichert hast. Warum?       Vergangenheit. Den Tod am Ende
       nimmt. Ohne Streit, Krankheit und      Wenn ich selbst einmal gehe:             unseres Lebens, wenn es Zeit gewor-
       Ungerechtigkeit ist der Tod für mich   Sorge um die, dich ich zurücklasse.      den und das Leben hoffentlich gelebt
       eigentlich ein Neuanfang. Lediglich    Aber auch: Leben. Ewig. An einem         ist, sterben wir einmal und dann nie
       ein mögliches Leiden bis zum Tod       guten Ort sein, bei unserem Vater        mehr. Ich hoffe, dass es mir einmal
       kann mir Sorgen bereiten.              im Himmel!                               gegönnt ist, in Frieden das Zeitliche
                                              Darauf will ich hoffen und vertrauen.    zu segnen und im Vertrauen auf Gott
                                                                                       zu sterben.

                                                                                       Das Interview führte Michael Schock.

                                              Das vollständige Interview können Sie nachlesen unter
IM WANDEL GETRAGEN   | 23

HINTERBLIEBENE WIE MENSCHEN,
DIE AN IHRE EIGENE BEERDIGUNG DENKEN,
SIND MUTIGER, DAS „LETZTE FEST“ SO
ZU PLANEN, WIE ES ZU DER VERSTORBENEN
PERSON UND ZU DEN ANGEHÖRIGEN PASST.
– BESTATTERIN UTE ZÜFLE
24 |   IM WANDEL GETRAGEN

          Tiere, Fahrzeuge, Gebäude – Segen für alle(s)?

   Schon seit Jahrtausenden bitten die Menschen um den Segen           Sie betont, dass es um den Dank geht und um den
   Gottes, nicht nur für sich, sondern auch für die Umwelt, in der     lebensdienlichen Gebrauch eines Gegenstands durch
   sie leben. In der katholischen oder orthodoxen Tradition z.B. ist   den Menschen. Gesegnet werden also die Menschen,
   die Weihe und der damit verbundene Segen tief verwurzelt und        die mit etwas umgehen. Wie eine entsprechende
   gehört selbstverständlich dazu. Aber auch in der evangelischen      Segenshandlung dann jedoch von den teilnehmen-
   Kirche nehmen die Anfragen für solche Segenshandlungen zu.          den Personen wahrgenommen wird, kann nur
                                                                       bedingt beeinflusst werden. – Dies gilt im Übrigen
          „Ich würde ihn nicht anfassen!“ Die Frau sieht mich          auch für klassische Segenshandlungen wie Taufe
          halb streng, halb amüsiert an. Meine Hand zuckt              oder Trauung.
          zurück. Ich stehe in einer großen Messehalle auf
          einem Reitplatz und bin umringt von Menschen –               Mit etwas Abstand zum Schnabel des Falken lege
          und Tieren. Eines davon ist der Falke, der mit               ich der Tierpflegerin die Hand auf und spreche ihr
          schiefem Kopf von der Hand seiner Tierpflegerin              Gottes Segen zu. Die Hunde und Pferde werden
          auf mich blickt.                                             gestreichelt und bleiben ungewohnt ruhig – als
                                                                       würden sie spüren, dass hier etwas Ungewöhnli-
           Auf der jährlich stattfindenden Heimtiermesse               ches geschieht.
           in Stuttgart gibt es ein kirchliches Angebot. Ein
           kurzer Gottesdienst zwischen Hundeshows und                 Am Ende wird mir ein 2,5m langer Netzpython um
           Ponyreiten für Kinder. Höhepunkt dieses ökume-              die Schultern gelegt, als wäre die Schlange eine
                        nischen Angebots ist der sogenann-             lebendige, glitzernde Stola für meinen schwarzen
Es tut den Menschen
gut, wenn Ihnen Gottes  te Tiersegen. Wobei das nicht ganz             Talar. Die Tierpflegerin strahlt – Glaube und
Begleitung in Ihren     stimmt, denn es werden die Men-                Lebenswelt rücken ganz nah zusammen.
Lebenszusammenhängen schen gemeinsam mit ihren Tieren
zugesprochen wird
                        gesegnet. Für manche der Tierhalter
           unter den Ausstellern ist das wichtig. Sie unter-
           brechen die Arbeit an ihren Ständen, um mit ih-
           ren tierischen Begleitern gemeinsam zum Gottes-
           dienst zu kommen.

          Neben diesem Angebot auf der Heimtiermesse gibt
          es noch viele weitere Beispiele, wo solche Segens-
          handlungen angefragt werden. Die Inbetriebnahme
          von Fahrzeugen für die Feuerwehr oder die
          Diakoniestation, die Einweihung eines neuen
          Gebäudes oder auch Feier wie das 150-jährige
          Jubiläum einer Gastwirtschaft. Das zeigt, dass die
          geistliche Dimension des Segens im Alltag eine
          Bedeutung hat und geschätzt wird. Es tut den
          Menschen gut, wenn ihnen Gottes Begleitung in
          ihren Lebenszusammenhängen zugesprochen wird.

          Theologisch gesehen sind solche Segenshandlun-
          gen durchaus umstritten. Die von der Evangeli-
          schen Landeskirche in Württemberg im Jahr 2001
          veröffentlichte Handreichung zum Thema Segen
          stellt klar, dass eine „Segnung von Sachen“ nach
          evangelischem Verständnis nicht möglich ist.

          Tobias Schneider leitet die Missionarischen Dienste
          der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.
IM WANDEL GETRAGEN   | 25

BIBLISCHER IMPULS

Du sollst ein Segen sein

Es ist eines der eindrucksvollsten Segensworte
und wird in vielen Zusammenhängen gerne
genutzt – die Zusage Gottes an Abraham in Genesis 12:
„Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.“

In nur wenigen Versen wird dort beschrieben, wie
Abraham auf Gottes Wort hin alles zurücklässt und
in das Land aufbricht, das Gott ihm zeigt. Er ist damit
ein Beispiel für unverbrüchliches Gottvertrauen,
Zuversicht und den Mut, Neues zu wagen.

Ohne die Zusage des Segens wäre Abraham vermut-
lich nicht losgezogen. Aber Gott versprach ihm,
dass durch ihn alle Sippen der Erde Segen erlangen
werden. Gott geht sogar so weit, dass er den Segen
für andere an ihren Umgang mit Abraham koppelt.
Wer ihn segnet, wird gesegnet. Wer ihm flucht,
wird verflucht. Was heute etwas schwierig wirken
mag, war im damaligen Kontext doch nichts ande-
res als die ultimative Zusage der Gottesbegleitung
und Fürsorge.

Der Gott der Väter, der Gott Abrahams ist derselbe,
der sich in Jesus Christus offenbart hat und diese
Segenszusage nochmals durch sein Reden und
Handeln, durch Kreuz und Auferstehung verdeut-
licht hat. Vergleichbar mit dem Abrahamssegen ist
dabei die große Zusage des Neuen Testaments in
Matthäus 28: Ich bin bei euch alle Tage.

Bei Abraham hat Gott seinen Segen mit einer Auf-
forderung, einem Anspruch verbunden. Abraham
soll ein Segen sein. Er soll das, was ihm durch Gott
Gutes geschieht, weitergeben. Und genauso fordert
auch Jesus dazu auf, dass wir die Liebe, die Gott für
uns hat, an andere weitergeben.

Segen bedeutet letztlich nichts anderes als die
Zusage, dass Gott es gut mit uns meint. Ein Segen
zu sein, ihn weiterzugeben heißt demnach, durch
das eigene Reden und Handeln diese Zusage Gottes
deutlich zu machen – im eigenen Leben und im
Umgang mit den Mitmenschen und der Schöpfung.

Was sich so einfach liest, ist in der konkreten
Umsetzung dann jedoch oft recht schwierig. Darum
ist es gut, dass Gott uns dabei begleitet. Sein Segen
für uns ist zuerst da. Und durch ihn können wir
auch zu einem Segen für andere werden.

                                    Tobias Schneider
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