Die BP übernimmt Veba Oel und Aral - Post Merger Integration und Unternehmenskultur

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Die BP übernimmt Veba Oel und Aral - Post Merger Integration und Unternehmenskultur
Die BP übernimmt
Veba Oel und Aral
Post Merger Integration und Unternehmenskultur
Achim Weiand

                                                 Ber telsm a n n Stiftung
Die BP übernimmt Veba Oel und Aral - Post Merger Integration und Unternehmenskultur
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Die BP übernimmt Veba Oel und Aral - Post Merger Integration und Unternehmenskultur
Inhalt

Vorwort                               4

Danksagung                            7

1. Unternehmenskultur und
  M&A-Aktivitäten                     8

2. Die Fallstudie                    18
 - Die beteiligten Unternehmen       18
 - Strategischer Hintergrund         24
 - Strategische Integration          28
 - Strukturelle Integration          32
 - Kulturelle Integration            36
 - Personelle Integration            54

3. Lessons learned                   60
 - Das Fazit aus Unternehmenssicht   60
 - Abschließende Anmerkungen
  des Autors                         62

Biografien                           64

Quellenverzeichnis                   65
 - Literaturverzeichnis              65
 - Interviews                        67   Die Bertelsmann Stiftung setzt sich für das Gemeinwohl ein. Sie enga-
 - Bildnachweise                     67   giert sich in den Bereichen Bildung, Wirtschaft und Soziales, Gesundheit
                                          sowie internationale Verständigung und fördert das friedliche Mit-
Der Autor                            68   einander der Kulturen. Durch ihr gesellschaftliches Engagement will
                                          sie alle Bürgerinnen und Bürger ermutigen, sich ebenfalls für das
                                          Gemeinwohl einzusetzen. Die 1977 von Reinhard Mohn gegründete,
                                          gemeinnützige Einrichtung hält die Mehrheit der Kapitalanteile der
                                          Bertelsmann AG. Die Bertelsmann Stiftung arbeitet operativ und ist
                                          unabhängig vom Unternehmen sowie parteipolitisch neutral.

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Vorwort

Vorwort

                 Ein Blick auf die Schlagzeilen der Tagespresse     aktionen.1 Grund hierfür ist in den Augen der
                 verrät, welche Großereignisse derzeit im Wirt-     Wirtschaftsprüfer mangelndes Integrations-
                 schaftsgeschehen die maßgeblichen sind: Das        management und -umsetzung. Integration umfasst
                 Übernahmeangebot der E.ON an Endesa, die           komplexe Prozesse, die im Vorfeld des Vollzugs
                 Übernahme von Arcelor durch Mittal, die Inte-      der Fusion oder der Akquisition zu planen sind.
                 gration von Reebok in Adidas-Salomon, die Über-    Darüber hinaus ist in der Umsetzung mit ver-
                 nahme der Hypo-Vereinsbank durch Unicredit,        schiedenen Unwägbarkeiten und Widerständen
Martin Spilker   die Schlacht um Schering, der Verkauf der japa-    zu rechnen, die sich aus der Zusammenführung
                 nischen Vodafone-Tochter an Softbank und so        verschiedener Unternehmen oder Unternehmens-
                 weiter und so fort. Fusionen und Übernahmen        einheiten ergeben. Dabei sind Strategie und
                 prägen die Wirtschaftslandschaft und sind deut-    Organisation als Treiber zu sehen, die Rahmen
                 liche Indizien für einen internationalen Wettbe-   und Orientierung geben. Entscheidend ist jedoch
                 werb. Auf der Suche nach neuen Märkten und         ebenso eine bewusste Gestaltung der Unterneh-
                 Kunden fusionieren Unternehmen zu größeren         menskultur(en), die einen eigenständigen Beitrag
                 und schlagkräftigeren Gebilden. Doch auch um       dazu leistet, dass Führungskräfte und Mitarbeiter
                 Märkte zu sichern und Synergien zu nutzen,         den merger oder die Akquisition tragen und ein
                 sehen sich Unternehmen nach fusionswilligen        Gerüst für das neue Unternehmen entsteht. Zu
                 Partnern und Übernahmekandidaten um. Mit           häufig wird dieser Aspekt vernachlässigt, aber
                 der Ausschaltung von Konkurrenten, der Bünde-      insbesondere in internationalen Kooperationen
                 lung von Aktivitäten, Größenvorteilen und Kom-     dann schmerzvoll in der post merger-Phase er-
Petra Köppel
                 petenzvorsprüngen rechnen sich die Unterneh-       fahren. Unterschiedliche Kulturen auf nationaler,
                 men bessere Chancen am in- und ausländischen       regionaler, ethnischer und unternehmerischer
                 Markt aus. Es reicht nicht mehr, im eigenen Land   Ebene können zu Differenzen, Wahrnehmungs-
                 konkurrenzfähig oder auch Marktführer zu sein;     sperren und Ablehnungshaltungen führen, die
                 Produktion, Entwicklung und Vertrieb und im        kostspielige Konflikte verursachen, Manager vor
                 erheblichen Maße Finanzierung sind immer           unlösbare Probleme stellen und nicht zuletzt
                 mehr im internationalen Gefüge zu sehen und        den M&A scheitern lassen.
                 zu steuern.

                 Entscheidungen zu internationalen M&A werden
                 daher aufgrund von finanziellen und produk-
                 tionswirtschaftlichen Aspekten getroffen. Ob
                 die errechneten Vorteile jedoch auch zum Tragen
                 kommen, hängt von einer Reihe weiterer Einfluss-
                 faktoren ab, die außerhalb der messbaren und
                 direkt kontrollierbaren Reichweite der Analysten   1 Ernst & Young AG (2006) – Handeln wider besseres

                 liegen. So missraten nach einer Umfrage von        Wissen. Warum viele Transaktionen scheitern, ohne es zu
                 Ernst & Young 50 % der Unternehmenstrans-          müssen. Stuttgart

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Vorwort

In diesem Zusammenhang gilt es, einen genaue-         ethnische Zugehörigkeit im Vordergrund, sodass
ren Blick darauf zu werfen, wie eine Integration      es schnell zu einer Auseinandersetzung zwischen
aus der unternehmenskulturellen Perspektive           „den Einheimischen“ und „den Anderen“, seien
angegangen wird. An erster Stelle steht die Frage:    es die Japaner, die Briten oder die Franzosen es-
Ist eine neue, einheitliche Unternehmenskultur        kaliert. Vor allem sind dann umso mehr landes-
erwünscht? Der eindeutige wirtschaftliche Vorteil,    kulturelle Denk- und Verhaltensweisen zu berück-
dass die beiden vorher unabhängigen Unterneh-         sichtigen, die nur bedingt vom Unternehmen zu
men miteinander vollkommen verschmelzen,              beeinflussen sind. In diesem Falle bietet sich
besteht in der Angleichung von formalen und           eine Symbiose an, in der beide Kulturen ent-
informalen Prozessen und Strukturen, die eine         sprechend der Rahmenbedingungen sinnvoll
barrierelose und schnelle Abwicklung über             verknüpft werden, gemeinsam wachsen und
Bereiche und Einheiten hinweg ermöglichen.            Spielraum für regionale, markt- oder produkt-
Auch die Identifizierung aller Mitarbeiter mit dem    spezifische Besonderheiten lassen.
einen Unternehmen kann zu größerer Kohäsion,
Motivation und positiver Außenwirkung führen.         Eine solche Lösung ist bei der Integration von
Auf der anderen Seite verzichtet man auf diese        Veba Oel und Aral durch die BP gewählt worden.
Art und Weise auf die für besondere Märkte,           Die BP stand vor der Herausforderung, deutsche
Kunden oder Produkte herausgebildeten Kompe-          und britische Unternehmenseinheiten zu einem
tenzen, die in der jeweiligen Kultur der vorherigen   neuen hochleistungsfähigen Unternehmen zu-
Unternehmen verankert waren und eventuell ein         sammenzuführen, um sich einerseits neue
Kaufgrund gewesen sind. Oft sind Marke und            Zugänge zu erschließen, andererseits ohne durch
Image eng mit der Identifikation der Mitarbeiter      Aufgabe von Marken und Identitäten Märkte zu
mit ihrem Hause verbunden und ein Wettbewerbs-        verlieren. Die Integration wurde zeitnah zur
vorteil. Sollen diese Besonderheiten abgeschafft      formellen Übernahme angestoßen, vor allem
und durch eine als womöglich fremd und unpas-         durch eine aktive und offene Kommunikations-
send empfundene Unternehmenskultur ersetzt            politik und passgenaue Maßnahmen für die ver-
werden, bedeutet dies einerseits im gleichen Zuge     schiedenen Zielgruppen. Dabei wurde zugestan-
einen Verlust des eben geschilderten ökonomi-         den, dass der Prozess des Zusammenwachsens
schen Nutzens. Andererseits wird das von den          keine Sache von Tagen oder Wochen ist, sondern
Angehörigen der übernommenen Unternehmung             eine langfristige und dynamische Angelegenheit.
als fehlende Wertschätzung, als Missachtung           Darauf stellte sich die BP ein und ist nun stolz
und Eroberung wahrgenommen und rundweg                darauf, nach einer Zeit, die sicherlich auch durch
abgelehnt. Was dann als gemeinsames Ziel und          Turbulenzen geprägt war, von Erfolgen zu
gemeinsame Identität gedacht war, schlägt ins         berichten und Lernerfahrungen weiterzugeben.
Gegenteil um und fördert Ablehnung und Aufbau
(psychologischer) Grenzen zwischen dem, was
zusammenwachsen soll. In internationalen Über-
nahmen steht dabei häufig die nationale oder

                                                                                                               |5
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Vorwort

          Achim Weiand hat in seiner Fallstudie Hinter-       Die eingangs geschilderten internationalen
          und Beweggründe der Akquisition recherchiert,       Transaktionen werden in den nächsten Jahren
          die verschiedenen Bereiche der Integration be-      weiter ansteigen und das nationale Wirtschafts-
          gleitet und mit Erfahrungsberichten der Beteilig-   geschehen bestimmen. Umso wichtiger ist ein
          ten angereichert. Ein Herzstück dieser Arbeit       aktives und bewusstes Management, das sich
          stellen die Aktivitäten und Maßnahmen der in-       über die Rahmenbedingungen und Herausforde-
          ternen Kommunikation dar, denen in diesem           rungen von M&A, deren Abwägung über finan-
          Integrationsprozess eine zentrale Rolle für den     zielle Analysen hinausgeht, im Klaren ist und
          Erfolg dieses Unterfangens zukommt. Achim           über ein Repertoire an möglichen Handlungs-
          Weiands Ergebnisse belegen die Relevanz einer       weisen für eine erfolgreiche Integration verfügt.
          Verknüpfung von ökonomisch fundierten Ent-          Die Berücksichtigung und Nutzung von Unter-
          scheidungen mit konkreten Integrationsmaß-          nehmenskultur als ein Pfeiler des Erfolgs ver-
          nahmen im strategischen, strukturellen, kultu-      steht sich dann von selbst.
          rellen und personellen Bereich.

          Die Schaffung einer Unternehmensidentität unter
          unternehmenskulturellen Gesichtspunkten ver-
          weist auf das Gewicht von Unternehmenskultur        Martin Spilker                  Petra Köppel
          und ihrer aktiven Gestaltung durch das Manage-
          ment. Hier zeichnet sich eine Schnittstelle zum     Leiter des Kompetenz-           Projektmanagerin
          Projekt „Unternehmenskulturen in globaler In-       zentrums Unterneh-              Kompetenzzentrum
          teraktion“ ab, das sich der Untersuchung der
                    2
                                                              menskultur / Führung,           Unternehmenskultur /
          verschiedenen Perspektiven und Ansatzpunkte         Persönlicher Referent           Führung,
          von Unternehmenskultur widmet. Dieses greift        von Liz Mohn,                   Bertelsmann Stiftung,
          u. a. die Rolle von Unternehmenskultur in inter-    Bertelsmann Stiftung,           Gütersloh
          nationalen Unternehmenskooperationen wie            Gütersloh
          strategischen Allianzen, global vernetzten Pro-
          jekten oder Lieferanten-Kundenbeziehungen auf,
          um verschiedene Handlungsmöglichkeiten zu
          generieren.

                                                              2 Zu weiterer Projektinformation siehe Bertelsmann

                                                              Stiftung (2006) – Unternehmenskulturen in globaler
                                                              Interaktion, www.unternehmenskultur.org.

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Danksagung

Danksagung

Ich bedanke mich bei Wilhelm Bonse-Geuking,
Aufsichtsratsvorsitzender und ehemaliger
Vorstandsvorsitzender der deutschen BP, sowie
bei Dr. Uwe Franke, Vorstandsvorsitzender der
deutschen BP, für die Möglichkeit, eine Fallstudie
über diese hochinteressante Integration schreiben
zu können.

Mein besonderer Dank gilt Britta Kopfer, Manager
Internal Communications bei der deutschen BP,
für ihre kompetente und tatkräftige Unterstützung
sowie für die Vermittlung von Kontakten und
Informationen.

Achim Weiand

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Unternehmenskultur

1. Unternehmenskultur
   und M&A-Aktivitäten

                     Unbestritten in betriebswirtschaftlicher For-          zu einer umfangreichen, kostspieligen und
                     schung wie Praxis ist mittlerweile der Beitrag         zeitaufwendigen Befragung der Mitarbeiter?6
                     von Unternehmenskultur zum Unternehmens-               Oder bleibt es beim Fünf-Zeiler des externen
                     erfolg. Sackmann definiert dabei den Begriff der       Unternehmensberaters, der seine ersten
                     Unternehmenskultur folgendermaßen: „Der                Eindrücke niederschreibt?
                     Kern oder die unsichtbare Basis einer Unter-
                     nehmenskultur besteht aus jenen grundlegenden,
                     kollektiven Überzeugungen, die das Denken,         3 Sackmann, Sonja A. & Bertelsmann Stiftung (2004) – Er-

                     Handeln und Empfinden der Führungskräfte           folgsfaktor Unternehmenskultur. Wiesbaden: Gabler. S. 24
                     und Mitarbeiter im Unternehmen maßgeblich          4 Sackmann (in Sackmann, Sonja A. & Bertelsmann

                     beeinflussen und die insgesamt typisch für das     Stiftung (2004) – Erfolgsfaktor Unternehmenskultur.
                     Unternehmen bzw. eine Gruppe im Unternehmen        Wiesbaden: Gabler. S. 27 ff.) definiert vier zentrale
                     sind.“ Offen bleiben aber trotz der mittlerweile
                          3
                                                                        Funktionen einer Unternehmenskultur: 1) Reduktion
                     verstärkten Forschungsbemühungen zur               von Komplexität, 2) Bereitstellung eines Orientierungs-
                     Unternehmenskultur, ihren Funktionen4 und          rasters für koordiniertes Handeln, 3) Stärkung der Identi-
                     Ausprägungen wichtige Fragen:                      fikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen, 4) Sicher-
                                                                        stellung von Kontinuität.
                     —   Wie sieht eine „gute“, erstrebenswerte         5 Sackmann definiert zehn zentrale Kriterien einer Unter-

                         Unternehmenskultur konkret aus? Gibt es        nehmenskultur (in Sackmann, Sonja A. & Bertelsmann
                         sogenannte „zentrale Kriterien“ , die bran-
                                                          5
                                                                        Stiftung (2004) – Erfolgsfaktor Unternehmenskultur.
                         chen- oder sogar länderübergreifend gültig     Wiesbaden: Gabler. S. 44): 1) Gemeinsame Zielorientie-
                         sind? Müssen sich nicht zwangsläufig die       rung, 2) Verantwortung gegenüber der Gesellschaft,
                         Unternehmenskulturen eines kleinen,            3) Haltungen, Überzeugungen und Werte, 4) Unabhän-
                         regional agierenden Mittelständlers und        gigkeit und Transparenz der Unternehmensaufsicht,
                         diejenige eines international agierenden       5) Partizipatives Führungsverhalten, 6) Unternehmer
                         Großunternehmens aufgrund unterschied-         im Unternehmen, 7) Führungskontinuität, 8) Adaptions-
                         licher Mitarbeiter- und Kundenstrukturen,      und Integrationsfähigkeit, 9) Kundenorientierung,
                         aufgrund unterschiedlicher Größenver-          10) Shareholder-Orientierung
                         hältnisse und des Einsatzes verschiedener      6 Vgl. dazu die ausführliche und detaillierte Darstellung

                         Steuerungsmechanismen unterscheiden?           unterschiedlicher Ansätze (z. B. den Organizational
                         Haben nicht nationale Kulturen entschei-       Culture Inventory oder das Denison-Organisationskul-
                         denden Einfluss auf eine damit jeweils         turmodell) bei Sackmann, Sonja A. (2006) – Assessment,
                         lokal eingefärbte Unternehmenskultur           Evaluation, Improvement: Success through Corporate
                         und vereiteln so internationalen Groß-         Culture. Herausgegeben von der Bertelsmann Stiftung.
                         konzernen die erwünschte einheitliche          Gütersloh sowie die gekürzte Variante in Bertelsmann
                         Unternehmenskultur in allen Kontinenten?       Stiftung (2006) – Messen, werten, optimieren. Erfolg
                     —   Wie kann man Unternehmenskulturen              durch Unternehmenskultur. Ein Leitfaden für die Praxis.
                         praktikabel messen? Gibt es Alternativen       Gütersloh

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Unternehmenskultur

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—   Welches Instrumentarium an Maßnahmen               nehmenskulturen. Oft sind bereits die der Inte-
    steht dem Praktiker zur zielgerichteten            gration vorausgehenden Phasen unzureichend
    Schaffung oder Beeinflussung einer                 in der Abarbeitung: Die Planungsphase9 kommt
    Unternehmenskultur zur Verfügung? Wie              zu kurz oder bei der Durchführungsphase wird
    groß sind eigentlich die Möglichkeiten zur         beispielsweise eine cultural due diligence10 nicht
    Beeinflussung einer Unternehmenskultur?        7
                                                       realisiert. In der Integrationsphase lässt sich
                                                       dann nur mit Not reparieren, was vorher ver-
Ungeachtet dieser offenen Fragen steht jedes           säumt wurde. Im Folgenden interessiert, welche
Unternehmen vor der Herausforderung, aktiv             prinzipiellen Möglichkeiten Unternehmen haben
und zielgerichtet seine Unternehmenskultur zu          zur Gestaltung einer Integration.
entwickeln. Eine besondere Herausforderung
stellen dabei Mergers & Acquisitions (M&A)
dar, weil bei ihnen zwei (oder mehrere) Unter-
nehmenskulturen aufeinander treffen und eine           7 Vgl. die Argumentation von Blazejewski, Susanne &

Entscheidung getroffen werden muss, wie das            Dorow, Wolfgang (2005) - Unternehmenskulturen in glo-
neue Unternehmen in Zukunft arbeiten soll.             baler Interaktion. Ein Leitfaden für die Praxis. Heraus-
Ist ein Deal aber erst einmal geschlossen, dann        gegeben von der Bertelsmann Stiftung. Gütersloh. S. 15 ff.
richtet sich die öffentliche und unternehmensin-       8 Vgl. etwa Ernst & Young AG (2006) – Handeln wider

terne Aufmerksamkeit wieder anderen Themen             besseres Wissen. Warum viele Transaktionen scheitern,
zu – und viele Deals scheitern in der folgenden        ohne es zu müssen. Stuttgart; Grube, Rüdiger & Töpfer,
Integrationsphase. Deshalb soll im Folgenden           Armin (2002) – Post Merger Integration. Erfolgsfaktoren
ein Blick geworfen werden auf die Integrations-        für das Zusammenwachsen von Unternehmen. Stuttgart.
phase als oft vernachlässigte, aber letztendlich       S. 43–52; Koch, Thomas (2002) – Post Merger-Manage-
entscheidende Seite von M&A-Aktivitäten und            ment. In Picot, Gerhard (2002) – Handbuch Mergers &
die spezielle Bedeutung der Unternehmens-              Acquisitions, Planung, Durchführung, Integration.
kultur in ihr.                                         Stuttgart: SchäfferPoeschel. S. 383–406
                                                       9 Beispielsweise die Analyse des eigenen Unternehmens,

In der Integration der Unternehmen sollen              die Analyse von Wettbewerbern und der Branchenent-
die vorher identifizierten Synergien realisiert        wicklung sowie die Analyse von Motiven und Ziel-
werden; allzu oft schlägt dies jedoch fehl.            setzungen für M&A-Aktivitäten.
Gründe für dieses Scheitern sind unter anderem         10 Zur Cultural Due Diligence vgl. Schneck, Ottmar &

das Fehlen einer klaren Strategie in Bezug auf         Zimmer, Alexander (2006) – Cultural Due Diligence. In
das übernommene Unternehmen, dysfunktiona-             Wirtz, Bernd W. (Hrsg.) (2006) – Handbuch Mergers &
le Konkurrenz um leitende Positionen, das Über-        Acquisitions. Wiesbaden: Gabler. S. 585–610 oder Höge-
gehen der Interessen der Mitarbeiter, die              mann, Bernd (2005) – Cultural Due Diligence. In Berens,
Unterschätzung der Langwierigkeit des Inte-            Wolfgang, Brauner, Hans W. & Strauch, Joachim (2005) –
grationszeitraums sowie die mangelnde Berück-          Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen. Stuttgart.
sichtigung der oftmals unterschiedlichen Unter-        4., überarbeitete und erweiterte Auflage. S. 539–564

                                                                                                                                   |9
Die BP übernimmt Veba Oel und Aral - Post Merger Integration und Unternehmenskultur
Unternehmenskultur

                     Haspeslagh und Jemison11 waren die ersten          Unternehmens oder des kleineren Fusions-
                     Forscher, die systematisch den Möglichkeiten       partners vollständig absorbiert (Absorption,
                     der strategischen Gestaltung einer Integration     Assimilation oder Kulturübernahme), um die
                     nach Mergers & Acquisitions nachgegangen           Grenzen zwischen den Unternehmen aufzu-
                     sind. Als wichtigstes Ziel von M&A-Aktivitäten     lösen. Entscheidend sind hier nach Haspeslagh
                     definieren sie dabei die Schaffung von Mehrwert    und Jemison der Wille des stärkeren Unterneh-
                     durch das neue Unternehmen, relativ gesehen        mens, seinen Willen durchzusetzen, sowie die
                     zum Wert der voneinander unabhängigen Unter-       notwendige hohe Integrationsgeschwindigkeit.12
                     nehmen vor der Fusion oder der Akquisition.
                     Der Transfer von strategisch wichtigem Wissen      Erhaltungsstrategien werden hingegen ge-
                     ist eine wichtige Quelle zur Schaffung von Mehr-   wählt bei einer geringen strategischen Abhän-
                     wert. Dieser Transfer reicht von der Koppelung     gigkeit zwischen den Unternehmen und einer
                     von Einkaufsvolumen über die Übertragung           hohen Notwendigkeit, eine organisatorische
                     von funktionellem oder Management-Know-how         Autonomie zu gewähren. Die Hauptaufgabe des
                     bis hin zum totalen Zusammenlegen aller            übernehmenden Unternehmens besteht hier
                     Ressourcen. Nach Haspeslagh und Jemison stei-      darin, die wichtigen Vermögenswerte des über-
                     gen mit zunehmender Zusammenarbeit der             nommenen Unternehmens zu erhalten; dazu
                     Unternehmen die entstehenden Synergien; es         zählen neben den materiellen Vermögens-
                     wird allerdings auch wegen der notwendigen tie-    werten (Produktionsanlagen, Lagerbestände,
                     fen Eingriffe in Strukturen und Prozesse der       Gebäude etc.) vor allem die „flüchtigen“ imma-
                     beteiligten Unternehmen immer schwieriger,         teriellen Vermögenswerte (wie beispielsweise
                     diese Synergien zu erreichen. Dieser erste, die    Wissen und Motivation von Management und
                     Wahl einer Integrationsstrategie beeinflussende    Mitarbeitern). Die Auswirkungen auf die Unter-
                     Faktor wird von ihnen die strategische Ab-         nehmenskultur des übernommenen Unterneh-
                     hängigkeit der Unternehmen in Bezug auf die        mens sind in der Regel unwesentlich und werden
                     Schaffung von Mehrwert genannt. Paradoxer-         nur vorsichtig vorgenommen; beide Kulturen
                     weise kann aber bei einer Integration genau die-   werden oftmals nebeneinander bestehen (Er-
                     ses strategisch wichtige Wissen zerstört werden;   haltung, stand alone oder Kulturpluralismus).
                     beispielsweise verlassen Schlüsselpersonen das
                     Unternehmen, weil Arbeitsweisen und Prozesse
                     einschneidend verändert werden sollen. Dieser
                     zweite, die Wahl einer Integrationsstrategie
                     bestimmende Faktor ist das Ausmaß, in dem die
                     organisatorische Autonomie der Unternehmen
                     bewahrt werden muss, um den erwarteten
                     Mehrwert zu schaffen. Es ergeben sich folgende
                     vier Möglichkeiten einer Integrationsstrategie:

                     Absorptionsstrategien in Bezug auf das über-
                     nommene Unternehmen werden gewählt bei
                     einer hohen strategischen Abhängigkeit beider      11 Haspeslagh, Philippe C. & Jemison, David B. (1991) -

                     Unternehmen und wenig Notwendigkeit, dem           Managing Acquisitions. Creating Value Through
                     akquirierten Unternehmen eine organisatori-        Corporate Renewal. New York: Free Press. S. 145
                     sche Autonomie zu gewähren, um die erwarte-        12 Zur Bedeutung der Integrationsgeschwindigkeit vgl.

                     te Wertsteigerung zu realisieren. Bei dieser       insbesondere Gerpott, Thorsten J. (1993) – Integrations-
                     Strategie wird dann auch in der Regel die          gestaltung und Erfolg von Unternehmensakquisitionen.
                     Unternehmenskultur des aufgekauften                Stuttgart

10 |
Unternehmenskultur

Bei einer hohen strategischen Abhängigkeit der                Bei der Symbiose soll sich nach und nach aus
Unternehmen und einer hohen Notwendigkeit,                    den beiden alten Kulturen eine neue, gemein-
eine organisatorische Autonomie zu gewähren,                  same Kultur entwickeln (Kulturmischung,
werden beide Unternehmen zuerst nebeneinan-                   Neugestaltung oder partielle Integration).
der bestehen und sich später nach und nach
zu einem neuen Unternehmen entwickeln                         Eine vierte Möglichkeit einer Integrations-
(Symbiose). Dies ist die komplexeste Form einer               strategie bietet das Modell der (Finanz-)Holding,
Integrationsstrategie mit den höchsten                        bei der es wegen der geringen strategischen
Herausforderungen. Diese Unternehmens-                        Abhängigkeit keinen Einfluss der Holding auf
entwicklung benötigt die Erhaltung von Grenzen                das operative Geschäft der Tochterunternehmen
zwischen den Unternehmen und gleichzeitig                     und damit auch keinen Einfluss auf die Unter-
das Durchbrechen von eben diesen Grenzen.                     nehmenskulturen gibt.

Abbildung 1: Vier Möglichkeiten einer Integrationsstrategie13

                                hoch

                                                          Erhaltung                                      Symbiose
   Notwendigkeit der
    organisatorischen
              Autonomie
                                                          Holding                                        Absorption

                             niedrig                                            Strategische Abhängigkeit                                    hoch

                                         Synergien durch          Übertragung von         Übertragung von         Zusammenlegung
                                         Kombination (Ein-        Management-             funktionalem            der Ressourcen
                                         kauf, Kapitalkraft...)   Know-how                Know-how

13 Haspeslagh, Philippe C. & Jemison, David B. (1991) -

Managing Acquisitions. Creating Value Through
Corporate Renewal. New York: Free Press. S. 145

                                                                                                                                                 | 11
Unternehmenskultur

                     Lucks und Meckl führen – bezogen auf den                   post merger-Integration – die Vor- und Nachteile
                     Umgang mit den Unternehmenskulturen in der                 der drei wichtigsten Integrationsvarianten auf:14

                     Tabelle 1: Integrationsstrategien mit ihren Vor- und Nachteilen

                                                       Pro                                    Kontra

                      Kombination aus                  • Der entstehende Kultur-              • Bereiche des Denkens,
                      bestehenden                        schock in beiden Unter-                Handelns und Empfindens
                      Kulturen – Kultur-                 nehmen ist gering.                     sowie Prozesse und
                      mischung/Symbiose                                                         Strukturen, die bislang als
                                                       • Das Entstehen einer                    selbstverständlich galten,
                                                         gemeinsamen Kultur                     sind neu zu verhandeln.
                                                         führt zu einem stärkeren
                                                         Zusammenwachsen beider               • Gefahr der Lähmung der
                                                         Unternehmen.                           Organisation aufgrund
                                                                                                von langsamen, da
                                                       • Der intensive Know-how-                meistens im Konsens ge-
                                                         Austausch führt zu                     troffenen Entscheidungen.
                                                         einer Verbesserung der
                                                         operativen Exzellenz.                • Dieser Integrationsansatz
                                                                                                ist sehr aufwendig umzu-
                                                                                                setzen und zeitintensiv.

                      Übernahme der                    • Schnellster                          • Der Kulturschock tritt
                      Kultur eines                       Integrationsansatz.                    massiv bei dem über-
                      Partners – Kultur-                                                        nommenen Unternehmen
                      übernahme/                       • Nur ein Partner muss mit               auf; Gefühl des Verlusts
                      Absorption                         einer neuen Kultur                     und der Fremdbestim-
                                                         vertraut gemacht werden.               mung.

                                                                                              • Die Frage wird nicht
                                                                                                gestellt, ob die übernom -
                                                                                                mene Kultur wirklich die
                                                                                                bessere ist; diese Frage
                                                                                                wird über den Einsatz von
                                                                                                Macht entschieden.

                                                                                              • Erhaltung der unterneh-
                                                                                                mensspezifischen
                                                                                                Schwächen des überneh-
                                                                                                menden Unternehmers.

                      Beide Kulturen                   • Der Kulturschock bleibt              • Die beiden Kulturen sind
                      bestehen gleichbe-                 bei beiden Unternehmen                 schwierig zu kontrollieren;
                      rechtigt nebenein-                 aus.                                   es entstehen wenig oder
                      ander – Kulturplura-                                                      gar keine kulturell
                      lismus/Erhaltung                 • Die bisherigen Tätigkeiten             bedingten Synergien.
                                                         können (fast) nahtlos wie
                                                         bisher fortgesetzt werden.

                     14 Ergänzt nach Lucks, Kai & Meckl, Reinhard (2002) –

                     Internationale Mergers & Acquisitions. Der prozessorien-
                     tierte Ansatz. Berlin u. a.: Springer. S. 152

12 |
Unternehmenskultur

Unabhängig von der Entscheidung, welche die-             tierung der Maßnahmen absichern.15 Bei einer
ser Integrationsstrategien vom Top-Management            Integration müssen allerdings unterschiedliche
gewählt wird, erscheint es wichtig, eine Systematik      Teilbereiche voneinander abgegrenzt werden,
beim Vorgehen in der post merger-Integration zu          die jeweils unterschiedliche Ziele verfolgen, den
berücksichtigen. Denn zu oft werden Inte-                Einsatz unterschiedlicher Diagnoseinstrumente
grationsmaßnahmen eingesetzt, ohne danach zu             verlangen und auch entsprechend auf ein anderes
fragen, ob sie einen Beitrag liefern zu einem            Set von Integrationsmaßnahmen zurückgreifen.
vorab definierten Integrationsziel. So sollte nach       In Anlehnung an Vogel16 sollen im Folgenden
der 1) Festlegung des Integrationsansatzes               vier Teilbereiche einer Integration beschrie-
2) eine Diagnose der Ausgangslage in beiden              ben werden: die strategische Integration, die
Unternehmen erfolgen, um dann zielgerichtet              strukturelle Integration, die kulturelle Integra-
den 3) Einsatz von Interventionen planen und             tion und die personelle Integration der beteilig-
durchführen zu können. Eine 4) fortlaufende              ten Unternehmen.
Evaluation der Ergebnisse soll die Zielorien-

Abbildung 2: Teilbereiche einer Integration

                               Strategische Integration                               Strukturelle Integration

                                   Kulturelle Integration                             Personelle Integration

15 Vgl. den Ansatz von Blazejewski, Susanne & Dorow,

Wolfgang (2005) – Unternehmenskulturen in globaler
Interaktion. Ein Leitfaden für die Praxis. Bertelsmann
Stiftung (Hrsg.). Gütersloh
16 Siehe Vogel, Dieter H. (2002) – M & A, Ideal und

Wirklichkeit. Wiesbaden. S. 254

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Unternehmenskultur

                     Als am wichtigsten angesehen werden hierbei          Aufgaben, Darstellung in Flowcharts oder Kom-
                     zweifellos die strategische und die strukturelle     munikationsdiagrammen) und Prozesskosten-
                     Integration, die meistens auch zeitlich als erste    rechnungen. Maßnahmen zur Prozessneuge-
                     erfolgen. Ohne die beiden anderen Teilbereiche       staltung sind dann die Festlegung von neuen
                     der kulturellen und der personellen Integration      Abläufen, Verantwortlichen und Zuständigkeiten.
                     allerdings wird ihr Erfolg nur kurzfristig sein.
                     Diese vier Teilbereiche einer Integration werden     Die kulturelle Integration ist ein wichtiger, aber
                     nachfolgend beschrieben, jeweils mit ihren Zielen,   schwierig zu managender Integrationsbereich,
                     den entsprechenden Diagnoseinstrumenten und          da ihr wertmäßiger Beitrag zu einer „gelungenen“
                     den zugeordneten Maßnahmen.                          Integration schwer zu messen ist und sich die
                                                                          Wirkung dieser Maßnahmen oft erst mittel- oder
                     Bei der strategischen Integration als einem der      langfristig zeigt. Bei der kulturellen Integration
                     wichtigsten Integrationsbereiche, der bei allen      können mehrere Zielebenen mit ihnen jeweils
                     vier beschriebenen Integrationsstrategien zum        zugeordneten Instrumenten/Maßnahmen unter-
                     Tragen kommt, geht es um die Konsolidierung          schieden werden. Geht es um das reine Fakten-
                     der unternehmensstrategischen Absichten der          wissen der Mitarbeiter („Wissen“), so kommen
                     beteiligten Unternehmen, eine operative, ge-         klassische Kommunikations- und Trainings-
                     schäftsfeldbezogene Strategieumsetzung sowie         instrumente zum Einsatz wie beispielsweise
                     um den Transfer strategischer Ressourcen und         Newsletter oder Zeitung zu Integrationsthemen,
                     Fähigkeiten. Zum Einsatz bei der Diagnose            Vorstandsrundschreiben, E-Mails „an alle“, der
                     kommen hierbei alle klassischen Instrumente          Einsatz von chatrooms im firmeneigenen
                     des strategischen Managements (z. B. SWOT-           Intranet, fachgebundene Trainings oder das
                     Analyse, Portfolio-Analyse, Wertkettenanalyse,       Schaffen von sogenannten „Gelben Seiten“ mit
                     Benchmarking).17 Die Maßnahmen bestehen bei-         Ansprechpartnern in beiden Unternehmen und
                     spielsweise in der Angleichung der Strategien        deren Expertise. Soll hingegen die Einstellung
                     beider Unternehmen oder einer Neupositionie-         der Mitarbeiter („Wollen“) verändert werden,
                     rung des übernommenen Unternehmens. Ent-             dann reichen noch so gut gestaltete Information
                     scheidungen der strategischen Integration werden     und Kommunikation nicht aus. Dann kommen
                     oftmals bereits vor dem formellen Vollzug der        beispielsweise Führungskräfte-Konferenzen,
                     Akquisition getroffen und direkt nach der            Maßnahmen der Teamentwicklung oder Abtei-
                     formellen Übernahme vom übernehmenden                lungsworkshops zur konkreten Gestaltung der
                     Unternehmen ohne Mitwirkungsmöglichkeiten            Zusammenarbeit zum Einsatz. Eminent wichtig
                     des übernommenen Unternehmens umgesetzt.             sind auch die persönliche Sichtbarkeit der
                                                                          Führungskräfte im Integrationsprozess sowie
                     Die strukturelle Integration soll eine leistungs-    die Einbindung der Mitarbeiter in den Integra-
                     fähige Aufbau- und Ablauforganisation gewähr-        tionsprozess statt des ausschließlichen Einsatzes
                     leisten und liefert somit das organisatorische       unternehmensexterner Berater. Der weitaus
                     Skelett der neu gestalteten Organisation. Zur        schwierigste Zielbereich bei der kulturellen Inte-
                     Diagnose eignen sich hier Darstellungen der          gration ist die Veränderung des Verhaltens der
                     Strukturen (Organigramm, Analyse von Füh-            Mitarbeiter („Können“ und – schließlich ent-
                     rungsspannen, Analyse formaler und informaler        scheidend – „Machen“). Erwünschte Verände-
                     Beziehungen), Prozessdarstellungen (z. B. Daten-
                     gewinnung über Selbstaufschreibungen von
                                                                          17 Vgl. etwa die Darstellung bei Simon, Hermann & von

                                                                          der Gathen, Andreas (2002) – Das große Handbuch der
                                                                          Strategieinstrumente. Werkzeuge für eine erfolgreiche
                                                                          Unternehmensführung. Frankfurt: Campus

14 |
Unternehmenskultur

rungen im Verhalten müssen durch geeignete           mens- oder Führungs-)Werte durch das Top-
Belohnungs- und Sanktionsmechanismen unter-          Management, Beförderung von Führungskräften
stützt werden. Dazu gehören beispielsweise           mit exemplarischem Rollenverständnis etc.19
neue Zielvereinbarungen mit Führungskräften,
die Neugestaltung und Abstimmung von
Beförderungssystemen mit neuen Werten oder
Verhaltensregeln, das Feedback über erhobene
Daten, Rollenanalysen, Veränderungen in
Strukturen, Prozessen, Verantwortlichkeiten und
Beziehungen und – letztendlich auch –
Versetzungen oder Entlassungen.

Klassische Diagnoseinstrumente für die kulturelle
Integration sind: Interviews/Gruppeninterviews,
Diagnoseworkshops, Mitarbeiterbefragungen
über Fragebogen (schriftlich oder online-gestützt,
eventuell mit Fallstudienset), Dokumenten-           18 Vgl. etwa Doppler, Klaus & Lauterburg, Christoph (1994) –

analyse (z. B. der Leitlinien oder der Visionen      Change Management, Frankfurt am Main: Campus.
der Unternehmen), Kundenbefragungen oder             S. 170 ff.; Block, Peter (1997): Erfolgreiches Consulting.
Prozessbeschreibungen.   18
                              Die Maßnahmen der      Das Berater-Handbuch. Frankfurt am Main, New York:
kulturellen Integration überdecken sich v. a. bei    Campus. S. 186 ff.; Königswieser, Roswitha & Exner,
den eher „weichen“ Themen mit denjenigen der         Alexander (1998): Systemische Intervention. Stuttgart:
personellen Integration. Sie sollten wie alle        Klett-Cotta; French, Wendell L. & Bell, Cecil H. jr. (1990) –
anderen Maßnahmen immer vor dem Hintergrund          Organisationsentwicklung. Bern/Stuttgart: Haupt. S. 58 f.
einer vorab erfolgten Zieldefinition ausgewählt      19 Vgl. Blazejewski, Susanne & Dorow, Wolfgang (2005) –

werden. Maßnahmen zur kulturellen Integration        Unternehmenskulturen in globaler Interaktion. Ein
sind beispielsweise: schnelle, offene und umfas-     Leitfaden für die Praxis. Gütersloh. Sie machen sieben
sende Information der Mitarbeiter (z. B. über        Ansatzpunkte für eine kulturelle Integration bei interna-
Mitarbeiterzeitschriften, über schriftliche oder     tional agierenden Untenehmen aus: 1) Cultural Vision -
elektronische Newsletter oder über ein firmen-       schriftliche Fixierung der Unternehmensgrundwerte;
eigenes Business-TV), Kennenlernen des anderen       anschauliche, kreative Kommunikation der Grundwerte;
Unternehmens und seiner Mitarbeiter (z. B. über      Beschränkung auf maximal fünf bis sieben Grundwerte;
Betriebsbesichtigungen, Feiern oder gemeinsame       Übersetzung in die Landessprachen, Grundwerte opera-
Kulturveranstaltungen, away-days für komplette       tionalisieren 2) Local Dialogue – lokale Perspektive sys-
Abteilungen), intensive Kommunikation mit den        tematisch einbeziehen; lokale Operationalisierungen;
Mitarbeitern auch über Hierarchiegrenzen hin-        Konflikte kooperativ lösen 3) Visible Action – Werte
weg (z. B. über townhall-meetings, Führungs-         leben; Grundwerte emotional vertreten 4) Communicator –
kräfte-Konferenzen oder ein gemeinsames Mittag-      Dialogplattformen institutionalisieren; Verständigungs-
essen von Top-Managern mit Mitarbeitern), Maß-       fähigkeit herstellen; Kommunikationsstil konsequent
nahmen der Personalentwicklung (z. B. Team-          internationalisieren; global taugliche Artefakte 5) Cultural
training für neu zusammengesetzte Abteilungen,       Ambassador – Rotationsprogramme verstetigen; Flexibilität
kultursensibilisierende Trainings bei grenzüber-     zulassen; Roundtrip organisieren; Einbindung vor Ort
schreitenden mergers, Coaching von Führungs-         sicherstellen 6) Open Sky – Führungspositionen interna-
kräften, Job-Rotation zum Akquisitionspartner),      tionalisieren; globale Auswahlverfahren umsetzen;
Erarbeitung und Kommunikation neuer Grund-           Imageprobleme im Ausland abbauen 7) Compliance -
werte/Führungsleitlinien und entsprechender          Verbindlichkeit der Grundwerte; Kulturtauglichkeit
Anreizsysteme, Vorleben der neuen (Unterneh-         prüfen; Kontrolle und Sanktionierung

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Unternehmenskultur

                     Die personelle Integration verfolgt ein umfang-        sein, dass die Top-Führungskräfte aller Tochter-
                     reiches Zielpaket. Hierzu gehören in der Regel         unternehmen in dem Bewusstsein handeln, Teil
                     der Umgang mit Personalüberhang (oder -unter-          eines größeren Ganzen zu sein, ihre Unterneh-
                     deckung), die Handhabung unterschiedlicher             mensstrategien auf die Strategie der Mutterge-
                     Human-Resource-Regelwerke, die Kooperation             sellschaft abstimmen und somit eine gemeinsame
                     mit mehreren Arbeitnehmervertretungen, die             Identität entwickeln. In dieses Spannungsfeld
                     schnelle Besetzung der Führungspositionen, das         zwischen mehreren Unternehmenskulturen ge-
                     Erhalten der Leistungsträger (statt: „exit of the      raten deshalb meistens nur die Top-Führungs-
                     best, merger of the rest“) sowie einer motivierten     kräfte; die unmittelbar am Produkt oder beim
                     Belegschaft mit einer hohen Arbeitszufriedenheit.      Kunden tätigen Mitarbeiter der Tochterunter-
                     Als Diagnoseinstrumente kommen infrage: die            nehmen werden daher selten als Zielgruppe von
                     Analyse der zugrunde liegenden arbeitsrecht-           solchen kulturellen Integrationsmaßnahmen aus-
                     lichen Vertragswerke (z. B. Tarifverträge, Betriebs-   gemacht. Wichtig erscheint es daher, bei allen
                     vereinbarungen, Arbeitsverträge, Sozialpläne etc.),    Integrationsmaßnahmen die Frage zu stellen,
                     die Analyse von personalpolitischen Grundsätzen,       wie wichtig die Entwicklung einer einheitlichen
                     die Analyse von Personalstruktur und -kosten,          Unternehmenskultur auf allen Hierarchieebenen
                     die Analyse der vorhandenen Qualifikationen            eines Unternehmens ist oder ob es nicht aus-
                     etc. Da Synergien bei den meisten M&A-Aktivi-
                        20
                                                                            reicht, für die Top-Führungskräfte eine gemein-
                     täten auch über Entlassungen von Mitarbeitern          same Identität aufzubauen, ansonsten aber ver-
                     realisiert werden, sind die Maßnahmen der per-         bindende Elemente zwischen der Unternehmens-
                     sonellen Integration meistens negativ besetzt:         kultur der Muttergesellschaft und denjenigen
                     Interessenausgleich und Sozialplan bei betriebs-       der Tochtergesellschaften herzustellen und eine
                     bedingten Kündigungen, Personalauswahl (z. B.          partielle Autonomie der Subkulturen zuzulassen.
                     über ein Management-appraisal), Einrichten einer
                     Jobbörse, Gründen einer Transfergesellschaft,
                     Umzugsregelungen, Frühpensionierungen, Alters-
                     teilzeitregelungen, Abfindungsregelungen oder
                     das Auslaufen befristeter Verträge.

                     Was bei den bisher dargestellten Ansätzen zur
                     Integration allerdings wenig bedacht wird, ist
                     die Tatsache, dass große Unternehmen mit eigen-
                     ständig am Markt operierenden Tochterunter-
                     nehmen21 in der Regel Subkulturen neben der
                     Unternehmenskultur der Muttergesellschaft aus-
                     bilden. Diese Subkulturen erfüllen eine wichtige
                     Funktion, vermitteln sie doch den Mitarbeitern         20 Vgl. hierzu die Checkliste zu einer Due Diligence bei

                     der Tochterunternehmen eine eindeutige und             Berens, Wolfgang, Brauner, Hans W. & Strauch, Joachim
                     konkrete Identität mit diesem Unternehmen und          (2005) – Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen.
                     seinen Produkten oder Dienstleistungen. Die            Stuttgart. 4., überarbeitete und erweiterte Auflage.
                     Unternehmensleitung der Muttergesellschaft             S. 857–860
                     wird hier keine Notwendigkeit zum Eingreifen           21 Vgl. beispielsweise die großen Automobilunternehmen

                     sehen, solange diese Subkulturen nicht dysfunk-        DaimlerChrysler oder Ford, die mehrere Marken getrennt
                     tional werden, indem sie beispielsweise den            führen, das Handelsunternehmen Metro mit seinen
                     Transfer von Know-how oder Mitarbeitern zwi-           verschiedenen Vertriebskanälen oder das Versicherungs-
                     schen den Teilkonzernen behindern. Wichtig aus         unternehmen Ergo mit seinen unterschiedlichen Versi-
                     der Sicht der Muttergesellschaft wird es alleine       cherungsunternehmen.

16 |
Unternehmenskultur

Abbildung 3: Eingangsbereich des neuen BP-Aral-Gebäudes in Bochum

Die nachfolgende Darstellung der Integration von
Veba Oel und Aral durch und in die Deutsche BP
orientiert sich an der hier vorgenommenen Ein-
teilung einer Integration in die vier Teilbereiche
einer strategischen, strukturellen, kulturellen
und personellen Integration. Vielen Darstellungen
von Integrationen mangelt es gerade bei dem
kulturellen Teilbereich an Konkretheit, sodass
weder die angewendete Methodik nachvollzogen
noch die Sinnhaftigkeit der angewendeten
Maßnahmen überprüft werden können. Deshalb
verwendet diese Darstellung im Kontext der
Schriftenreihe der Bertelsmann Stiftung zu Unter-
nehmenskulturen viel Raum für die ausführliche
Darstellung der kulturellen Integration mit ihren
einzelnen Maßnahmen und deren Methodik.

                                                                                  | 17
Die Fallstudie | Die beteiligten Unternehmen

2. Die Fallstudie

                                   Am 16.07.2001 gab es eine überraschende Presse-      Die beteiligten Unternehmen: BP und
                                   mitteilung: Die E.ON AG aus Düsseldorf würde         Deutsche BP einerseits, E.ON, Veba Oel
                                   Anteile ihrer Öltochter Veba Oel aus Gelsenkirchen   und Aral andererseits
                                   an die BP plc, London, verkaufen und im Gegen-
                                   zug von der deutschen BP AG deren Anteile an         Die spätere BP plc wurde 1909 unter dem Namen
                                   der Firma Gelsenberg erhalten. Beide Tauschob-       Anglo-Persian Oil Company (APOC) von William
                                   jekte waren der breiteren Öffentlichkeit kaum        Knox D'Arcy gegründet, der allerdings im
                                   bekannt – hinter ihnen versteckten sich allerdings   späteren Geschäftsverlauf der APOC keine weitere
                                   Unternehmen, mit denen fast jeder Deutsche           Rolle mehr spielen sollte.22 Die Burmah Oil
                                   irgendwann schon einmal als Verbraucher zu           Company erwarb von D'Arcy – begünstigt durch
                                   tun hatte und die jeweils eine sehr hohe Marken-     die hohen Anlaufverluste der Erdölexploration
                                   bekanntheit mit einem hohen Marktanteil              in Persien – 97 % der Stammaktien und wurde
                                   verbanden: Die Aral AG aus Bochum und die            im Jahr 1914 von der britischen Regierung als
                                                                                        größtem Anteilseigner abgelöst. Erst 1987 wurde

                                   Abbildung 4: Logos der beteiligten Unternehmen BP, Veba Oel und Aral

                                   Ruhrgas AG aus Essen. Die folgende Fallstudie        diese staatliche Beteiligung bis auf eine winzige
                                   beleuchtet das Vorgehen bei der Integration von      Restbeteiligung reduziert. Die APOC, 1935 erst in
                                   Veba Oel und deren Tochterunternehmen Aral in        Anglo-Iranian Oil Company (AIOC) und 1954
                                   die Deutsche BP. In einem ersten Schritt werden
                                   die BP plc und die Deutsche BP sowie die E.ON
                                   AG mit ihren Töchtern Veba Oel und Aral kurz         22 Vgl. zur folgenden Darstellung des Unternehmens

                                   porträtiert. Anschließend erfolgt die Schilderung    und seiner Strategie Deutsche BP AG (2005) – Geschichte
                                   der Integration von Veba Oel und Aral in die         der BP international, www.deutschebp.de/sectiongeneric
                                   Deutsche BP.                                         article.do?categoryId=2010185&contentId=2015044,
                                                                                        Abfrage am 04.11.2005 sowie Liedtke, Rüdiger (2005) –
                                                                                        Wem gehört die Republik 2006? Frankfurt. a. M. S. 150 ff.

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Die Fallstudie | Die beteiligten Unternehmen

schließlich in British Petroleum umbenannt, er-     Im Jahr 1987 gelang der BP dann ein Quanten-
schloss als eine der ersten Ölgesellschaften auf-   sprung: Die BP übernahm die restlichen Anteile
grund einer vom Schah von Persien gekauften         an der Standard Oil Company of Ohio und eta-
Konzession Erdölvorkommen im Nahen Osten.           blierte sich damit als erster europäischer Wett-
Das Unternehmen blieb in den ersten Jahren          bewerber auf dem größten Einzelmarkt der Welt -
seiner Existenz schwerpunktmäßig vor allem im       dem US-amerikanischen Markt. Zudem verkaufte
Nahen Osten aktiv, musste aber nach der Verstaat-   die britische Regierung ihre restlichen Anteile
lichung aller ausländischen Aktivitäten durch die   an der BP in Höhe von 37,5 %, die so zu einer
iranische Regierung im Jahr 1951 eine verstärkte    der großen Publikumsgesellschaften wurde.
Internationalisierung seiner Aktivitäten angehen,   Ende 1987 folgte mit dem Kauf der britischen
um den Ausfall der Erdöllieferungen aus dem         Britoil eine der ersten Akquisitionen, die BP zu
Iran auszugleichen. So kamen neben Kuwait und       einer der größten Erdölgesellschaften machen
dem Irak ab 1969 auch Alaska (mit einer 25 % -      sollten. Die spektakulärste Aktion war der merger
Beteiligung an der Standard Oil Company of Ohio),   mit Amoco (USA) im Jahr 1998, der bis dahin
Nigeria sowie bedeutende Felder in der Nordsee      größte merger mit einem Kaufpreis von rund
hinzu. In den 50er-Jahren begann für die BP eine    55 Milliarden US $. Die neue Gesellschaft hieß
Phase der Diversifikation des Unternehmens, als     nun BP Amoco. Dieser merger wurde aber im
Versuche unternommen wurden, aus Öl Protein         Jahr 1999 durch die Übernahme von Mobil (# 4
zu machen. BP hatte schließlich eigene Unterneh-    weltweit) durch Exxon (# 2 weltweit) für rund
mensbereiche mit Aktivitäten wie Nahrungsmittel,    87 Milliarden US $ getoppt. Bei BP folgten die
Reinigungsmittel sowie Körperpflegeprodukte.        Übernahmen der US-amerikanischen Atlantic
Weiterhin begann BP, sich im Bereich der Mine-      Richfield (ARCO), des 50 %-Anteils der Bayer AG
ralien zu engagieren und kaufte beispielsweise      an dem vormals gemeinsamen Joint Venture BP
Kupferproduzenten auf. Der Aufbau eines Kohle-      Köln GmbH (früher EC Erdölchemie GmbH), des
geschäfts in den USA folgte. BP war demzufolge      Schmierstoffanbieters Burmah Castrol und der
in den 80er-Jahren ein unverbundener Misch-         Vastar. Im Jahr 2000 generierte BP dank dieser
konzern mit Aktivitäten bei Erdöl, Petrochemie,     starken externen Wachstumsphase einen Umsatz
Kohle, Kupfer, Tierfutter, Informatik und vielem    von rund 148 Milliarden US $ mit einem Über-
anderen. Das Erstarken der OPEC, die Ölkrisen       schuss von rund 12 Milliarden US $ und war
der Jahre 1973 und 1979/1980, sinkende Margen       damit nach Royal Dutch/Shell und ExxonMobil
im Kerngeschäft sowie Überkapazitäten bei den       die drittgrößte Erdölgesellschaft der Welt.23
Raffinerien veranlassten das Management zu
einer Restrukturierung des Konzerns: BP ver-
kaufte nach und nach einen Großteil der Nicht-
Kernaktivitäten und konzentrierte sich erneut       23 Vgl. Bonder, Michael & Student, Thomas (2003) –

auf Kohlenwasserstoffe.                             Wem gehört was in Europa? Regensburg. S. 71 sowie
                                                    BP (2001) annual review 2000. London. S. 14 f. Der
                                                    Börsenwert der BP betrug Ende 2000 175 Mrd. US $.

                                                                                                                                          | 19
Die Fallstudie | Die beteiligten Unternehmen

                                   BP war im Jahr 2000 in vier Geschäftszweige          dig von der APOC übernommenen OLEX wurde
                                   gegliedert und machte folgende Angaben zu            später durch Umbenennung die Deutsche Benzin-
                                   ihnen:24
                                                                                        und Petroleumgesellschaft. Die OLEX als deutsche
                                                                                        Tochter der AIOC hatte 1939 beim Vertrieb von
                                   —   Exploration und Produktion, d. h. alle klassi-   Mineralölprodukten in Deutschland einen Markt-
                                       schen upstream-Aktivitäten im Zusammen-          anteil von 12 %; beim Vertrieb von Petroleum
                                       hang mit der Suche und der Förderung             kontrollierte sie rund 25 % des gesamten Handels.
                                       von Erdöl und Erdgas. Produktionsstätten         Mit Beginn des 2. Weltkrieges wurden die Mineral-
                                       in 21 Ländern; tägliche Produktion von           ölgesellschaften in die Arbeitsgemeinschaft
                                       1,93 Million Barrel Rohöl und 7,6 Milliarden     Mineralölverteilung zusammengefasst und staat-
                                       cubic feet Erdgas.                               licher Leitung unterstellt. Mit der folgenden
                                   —   Gas, Strom und erneuerbare Energien, d. h.       Teilung Deutschlands verlor die OLEX ihre
                                       Bündelung des Gas-Marketings, des Solar-         wichtigen Aktivitäten in Osteuropa sowie – durch
                                       geschäfts und anderer Energieformen wie          Beschlagnahmung – in Österreich und der
                                       z. B. Wasserstoff und Wind. Täglicher Gasab-     Tschechoslowakei. 1950 erfolgte die Fusion der
                                       satz von 14,5 Millionen cubic feet.              OLEX mit der Eurotank zur BP Benzin- und
                                   —   Verarbeitung und Vertrieb, d. h. alle Down-      Petroleum-Gesellschaft mbH. Frühzeitig erfolgte
                                       stream-Aktivitäten von Handel, Transport         der Wiederaufbau von Raffineriekapazitäten in
                                       über Verarbeitung in Raffinerien und Logistik    Hamburg, in Dinslaken am Niederrhein und im
                                       bis hin zu Vertrieb von Erdöl bzw. Erdölpro-     bayerischen Vohburg. Die BP gründete 1957 mit
                                       dukten. 24 Raffinerien in Eigenbesitz oder       der Bayer AG ein Joint Venture im Bereich der
                                       mit BP-Beteiligung; täglicher Rohöldurchsatz     Petrochemie, die Erdölchemie GmbH in Köln-
                                       von 2,9 Millionen Barrel; 29.000 Tankstellen.    Worringen, und konnte damit eine weitere Stufe
                                   —   Petrochemie, d. h. Herstellung und Vertrieb      der Wertschöpfungskette abdecken. 1978 konnte
                                       von petrochemischen Produkten, Zwischen-         die BP zudem noch durch ein Tauschgeschäft
                                       produkten und Kunststoffen, basierend auf        mit der Veba AG aus Düsseldorf in die Ruhrgas
                                       den Einsatzstoffen aus den eigenen Raffine-      AG als dem größten deutschen Gasunternehmen
                                       rien. 55 Produktionsstätten weltweit;            einsteigen. Die Veba hatte erst 1974 die Aktien-
                                       Produktion von jährlich 22,1 Millionen Tonnen.   mehrheit an der Gelsenberg AG erworben, die
                                                                                        einen Anteil von rund 25 % an Ruhrgas hatte. Die
                                   Die BP hatte eine Matrix-Organisation, d. h. neben   Mineralöltochter der Veba, die Veba Oel aus Gel-
                                   die vier Geschäftszweige traten die Länder (in       senkirchen, hatte allerdings zu kämpfen mit zu
                                   ihrer Produktions- oder Absatzfunktion) sowie        wenig eigener Exploration, dementsprechend
                                   die betrieblichen Funktionen (z. B. Marketing,
                                   Controlling, Investor Relations, Human Resources).

                                   Die Geschichte der BP in Deutschland datiert
                                   zurück bis in das Jahr 1926, als sich die damalige
                                   APOC an der 1904 gegründeten Aktiengesellschaft      24 Vgl. BP (2001) – annual report and accounts 2000.

                                   für österreichische und ungarische Mineralöl-        London. Innenumschlagseite sowie Deutsche BP AG
                                   exporte (OLEX) beteiligte.25 Die APOC suchte         (2004) – Über BP. Das Unternehmen. Hamburg
                                   nach Vertriebskanälen für ihre persischen Ölvor-     25 Vgl. Karlsch, Rainer & Stockes, Raymond G. (2003) –

                                   kommen und konnte in bereits bestehende Un-          Faktor Öl. Die Mineralölwirtschaft in Deutschland 1859–
                                   ternehmen in Deutschland einsteigen, die auf-        1974. München sowie Deutsche BP AG (2005) – Geschichte
                                   grund des verlorenen 1. Weltkrieges ihre bis-        der BP in Deutschland,
                                   herigen Erdölquellen in Galizien, Rumänien und       www.deutschebp.de/sectiongenericarticle.do?category
                                   im Elsass verloren hatten. Aus der 1931 vollstän-    Id=2010187&contentId=2002475, Abfrage am 04.11.2005

20 |
Die Fallstudie | Die beteiligten Unternehmen

hohen Beschaffungskosten für Rohöl, Überkapa-        zu tun hatten, und entwickelte sich zu einem
zitäten in den eigenen Raffinerien und einem         diversifizierten Mischkonzern. Entscheidenden
stagnierenden Marktumfeld. Die Veba entschloss       Einfluss auf die weitere Entwicklung der Strom-
sich, ihre wertvollen Anteile an der Ruhrgas an      unternehmen sollte eine Verordnung der EU
die BP zu verkaufen im Gegenzug für die ver-         haben: Das europäische Parlament verabschiede-
tragliche Zusicherung langfristiger Rohölliefe-      te in 1998 die „Richtlinie für den Elektrizitäts-
rungen durch die BP und die Abgabe von Raffi-        Binnenmarkt“, die die schrittweise Öffnung der
nerieanteilen an die BP, um so ihre eigenen          bis dahin auf nationaler Ebene voneinander
Überkapazitäten abzubauen. Die BP betrachtete        abgeschotteten Strommärkte innerhalb Europas
ihr Engagement bei der Ruhrgas als passive           vorsah. Es entstand mehr Wettbewerb auf natio-
Finanzbeteiligung, die zu einem geeigneten           naler wie internationaler Ebene, sodass alle
Zeitpunkt auch veräußert werden könnte. Die BP       Stromkonzerne ihre bisherigen Strategien über-
in Deutschland hatte somit Aktivitäten in der        prüften. Ebenso wie die Veba aus Düsseldorf
Erdölverarbeitung und der Petrochemie, dem           stellte sich die 1923 als Vereinigte Industrie-
Mineralölvertrieb, dem Schmierstoffgeschäft          Unternehmungen Aktiengesellschaft durch das
sowie – indirekt über die Anteile an der Ruhrgas –   Deutsche Reich gegründete Viag Ende der 90er-
im Gasgeschäft.                                      Jahre als Mischkonzern mit einer Stromtochter
                                                     dar, die in Deutschland stark war, international
Die E.ON AG aus Düsseldorf war der Verhand-          gesehen aber auf den mittleren Rängen landete.
lungspartner der BP. Sie entstand erst am 16. Juni   Auch die übrigen Konzerntöchter waren in ihren
2000 durch die Fusion der beiden deutschen           jeweiligen Branchen eher mittelgroße Spieler.
Mischkonzerne Veba AG, Düsseldorf, und Viag          Vergeblich versuchte die Viag im Jahr 1998 eine
AG, München. Beide Organisationen hatten eine        Fusion mit der schweizerischen Alusuisse-Lonza,
lange Vergangenheit als Konzerne, die vom Staat      die aber an unterschiedlichen Einschätzungen
gegründet wurden und die erst in den 80er-Jahren     der Wertrelationen beider Unternehmen
nach und nach privatisiert wurden. So gründete       scheiterte.
das preußische Reich 1929 die Vereinigte Elek-
trizitäts- und Bergwerks-Aktiengesellschaft          Als Resultat der geänderten Rahmenbedingungen
(Veba AG) als Holding, in die der preußische Staat   vor allem im Strombereich entschlossen sich
die Preußische Elektrizitäts Aktiengesellschaft      beide Unternehmen zum Handeln und schlossen
(PreussenElektra), die Preußische Bergwerks-         im September 1999 eine Grundsatzvereinbarung
und Hütten-Aktiengesellschaft (Preussag) sowie       über den Zusammenschluss beider Unterneh-
seine anderen Bergwerksaktivitäten beispiels-        men in der Form eines merger of equals ab. Als
weise im Ruhrgebiet einbrachte. Mit der              Kernbereiche des neuen Unternehmens E.ON
PreussenElektra als „Stromtochter“ hatte Veba        AG legte der Vorstand die Geschäftsbereiche
eine gesicherte Wettbewerbsposition, da es auf       Energie (mit Strom und Öl) und Chemie fest;
der Stufe der regionalen Verbundunternehmen          alle anderen Aktivitäten sollten entweder über
(RWE, PreussenElektra, Bayernwerk, EnBW, VEW,        Verkäufe oder Börsengänge nach und nach aus
HEW, BEWAG, VEAG) Gebietsmonopole gab, die           dem Konzern ausgegliedert werden. Die E.ON
zuverlässig für hohe Renditen sorgten. Der           AG erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2000 einen
einzige Nachteil dieser Struktur war, dass diese     Umsatz von rund 93,24 Milliarden Euro und ein
eine weitere Expansion aller Stromkonzerne           Betriebsergebnis von 2,762 Milliarden Euro mit
innerhalb Deutschlands verhinderte. So wuchs         rund 186.800 Mitarbeitern.26
Veba (ebenso wie die Konkurrenten Viag und
RWE) wegen dieser Restriktionen im Strombe-
reich durch Firmenzukäufe immer mehr in              26 E.ON AG (2001) – Geschäftsbericht 2000. Düsseldorf.

Bereiche hinein, die nichts mit Strom oder Kohle     Umschlagseite

                                                                                                                                          | 21
Die Fallstudie | Die beteiligten Unternehmen

                                   Zu den Konzerntöchtern gehörten die Stromtoch-            ten Zugang zu venezuelanischem Rohöl;
                                   ter E.ON Energie AG (als Fusionsprodukt aus               PdVSA hingegen bekam einen Zugang zum
                                   PreussenElektra und Bayernwerk), die Veba Oel             größten Mineralölabsatzmarkt Europas. Der
                                   AG (Erdöl), die Chemietochter Degussa AG (als             Raffineriebereich allerdings war gekenn-
                                   Fusionsprodukt aus DegussaHüls und SKW                    zeichnet durch Überkapazitäten und einen
                                   Trostberg), die Viterra AG (Immobilienmanage-             über den Preis gesteuerten Verdrängungs-
                                   ment), Restaktivitäten in der Telekommunikation           wettbewerb.
                                   sowie diverse Beteiligungen (u. a. an der Stinnes     —   Die Anlagen der weiterverarbeitenden
                                   AG als einem der größten deutschen Logistik-              Petrochemie gehörten ebenfalls dem Joint
                                   Unternehmen). Die strategischen Grundüber-                Venture Ruhr Oel, sodass Veba Oel keine
                                   legungen beider Konzerne vor der Fusion hatten            volle unternehmerische Kontrolle über diesen
                                   auch für das neue Unternehmen Gültigkeit: In              Geschäftszweig hatte. Die Petrochemie war
                                   vielen Teilbereichen war E.ON als Mischkonzern            ebenfalls ein zyklisches Geschäft in Bezug
                                   national gut aufgestellt, war aber in den interna-        auf das erzielte Betriebsergebnis.
                                   tionalen Rankings nur ein mittelgroßer Spieler.       —   Der Tankstellenvertrieb der Veba Oel wurde
                                   Die Expansion der E.ON im Strombereich zielte             am 01.01.2000 neu geordnet: Veba Oel über-
                                   jetzt auf das Ausland, insbesondere den britischen,       nahm die restlichen Anteile der Mitgesell-
                                   den US-amerikanischen und den skandinavischen             schafter Wintershall (15 %), einer Tochter der
                                   Markt sowie die Länder Osteuropas. 2002 wurde             BASF, und Mobil (28 %) an Aral und verfügte
                                   überraschend bekannt gegeben, dass E.ON An-               mit 99 % über die volle unternehmerische
                                   teile an der Degussa an die RAG AG, Essen,                Kontrolle. Aral war zu diesem Zeitpunkt
                                   abgeben würde und die Chemie somit von einer              mit einem Marktanteil von ca. 20 % und
                                   Kernaktivität zu einer reinen Finanzbeteiligung           ca. 2.560 Tankstellen Marktführer in Deutsch-
                                   wurde. E.ON präsentierte sich damit als interna-          land. Da der Absatz von Mineralölprodukten
                                   tional aktiver Stromkonzern mit einer kleinen             stagnierte, baute Aral erfolgreich das Shop-
                                   deutschen Öltochter, der Veba Oel.                        Geschäft aus, das in 2000 47 % zum Unter-
                                                                                             nehmensergebnis beisteuerte. Außerhalb
                                   Die Veba Oel mit Sitz in Gelsenkirchen war zu             Deutschlands war Aral allerdings nur in den
                                   diesem Zeitpunkt ein vollständig über alle Stufen         mitteleuropäischen Ländern Ungarn, Tsche-
                                   der Wertschöpfungskette integrierter Mineral-             chien, Polen, der Slowakei, Österreich und
                                   ölkonzern.   27
                                                                                             Luxemburg mit insgesamt 448 Tankstellen
                                                                                             vertreten – Aral war nur ein starker local
                                   —   Im Bereich Exploration und Produktion                 player. Die vollständige Übernahme von Aral
                                       (upstream) war sie über ihre 100 %ige Tochter         und die erstmalige Vollkonsolidierung sorgte
                                       Veba Oil & Gas (VOG) international aktiv;             bei Veba Oel für einen Umsatzanstieg von
                                       die VOG war allerdings im Vergleich zu den            12,229 Milliarden Euro (inkl. Mineralölsteuer)
                                       Wettbewerbern zu klein und konnte die für             in 1999 auf 28,78 Milliarden Euro in 2000.
                                       stabile Erträge notwendige Portfoliobalance           Veba Oel erwirtschaftete mit 8.593 Mit-
                                       der Investitionen in unterschiedliche Förder-         arbeitern zum 31.12.2000 einen Jahresüber-
                                       gebiete nicht erbringen; zudem konnte sie –           schuss vor Ertragssteuern in Höhe von
                                       anders als die Ölmultis – alleine keine Inves-        733 Millionen Euro.
                                       titionen in giant fields tätigen.
                                   —   Im Raffineriebereich brachte Veba Oel ihre
                                       Raffinerien 1982 in das 50/50-Joint Venture
                                       Ruhr Oel mit Petróleos de Venezuela (PdVSA)       27 Vgl. zur Geschichte des Unternehmens Veba Oel AG

                                       ein. So konnte Veba Oel die Investitionskosten    (2002) – Veba Oel. Unternehmen im ständigen Wandel.
                                       halbieren und sicherte sich einen permanen-       Gelsenkirchen

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